Editorial - Pabst Science Publishers

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Editorial

Martin Poltrum & Martin Tauss

Wir freuen uns, mit der vorliegenden Ausgabe           Albert Hofmann, der Vater der LSD- und
einen Themenschwerpunkt zu präsentieren,           Psilocybin-Synthese, schreibt in seinem Opus
der uns sehr am Herzen liegt: nämlich der          Magnum LSD – mein Sorgenkind:
Verweis, dass es nicht nur eine dunkle Seite
von psychotropen Substanzen gibt, die zu Ab-       „In der Möglichkeit, die auf mystisches Erleben aus-
hängigkeit, Leid, Elend, Sucht und Verderben       gerichtete Meditation von der stofflichen Seite her zu
führt, sondern möglicherweise auch eine helle      unterstützen, sehe ich die eigentliche Bedeutung von
und „heilende“ Seite – zumindest in Bezug auf      LSD. Eine solche Anwendung entspricht ganz dem
die Psychedelika. Diese helle Seite ist auch ein   Wesen und Wirkungscharakter von LSD als sakraler
Thema der „Bewusstseinskultur“ – ein aktuel-       Droge.“1
les Konzept, das einen zeitgemäßen Rahmen
bietet, um bewusstseinsverändernde Praktiken       Sakrament, Medikament, Kampfstoff und
ethisch zu befragen und einzuschätzen. Das ist     Wahrheitsserum (CIA und Militär) – all diese
gerade für das erneute Interesse an psychedeli-    Möglichkeiten wurden in LSD gesehen und
schen Wirkstoffen relevant (siehe S. 7 ff.).       erforscht. Bis die Hippies kamen, deren ideo-
    Allein die Vielzahl der bisherigen Klassifi-   logisch überfrachteter Drogenkonsum zur
kationen dieser Substanzen – als Phantastica,      politischen Repression führte, was wiederum
Halluzinogene, Psychotomimetika, Psycholyti-       das Verbot vieler Psychedelika mit sich brach-
ka, Psychedelika oder sogar als Entheogene –       te. Damit kam auch die seriöse psychiatrisch-
zeigt drastisch, wie unterschiedlich deren Wir-    psychotherapeutische Forschung beinahe zum
kungen bewertet werden können. Wir bleiben         Erliegen. Denn die Reputation dieser Stoffe war
hier im Wesentlichen beim Begriff der „Psyche-     nun so schlecht, dass entsprechende Studien
delika“, der sich international wieder durchge-    aufgrund nötiger Sondergenehmigungen nicht
setzt hat und die neue wissenschaftliche Wert-     nur unheimlich kompliziert wurden (und groß-
schätzung gegenüber diesen Substanzen gut          teils noch immer sind), sondern Forschung in
zum Ausdruck bringt.                               diesem Bereich fast schon einem Karrieresuizid
    Bevor LSD, Psilocybin & Co. Anfang der         gleichkam.
1970er Jahre durch die Convention on Psychotro-        Seit geraumer Zeit lässt sich jedoch erfreu-
pic Substances der Vereinten Nationen auf die      licherweise ein Trend beobachten, den Kenner
Liste der verbotenen Drogen kamen, gab es in       der Psychedelika-Forschung, die in der vorlie-
der Psychiatrie und Psychotherapie der 1950er      genden Ausgabe zur Sprache kommen, als Re-
und 1960er Jahre viel versprechende Unter-         naissance bezeichnen: die Wiederkehr dieser
suchungen zum Einsatz dieser Substanzen in         Medikamente in Wissenschaft und Therapie.
therapeutischen Settings. In die Psychedelika          Die historische Entwicklung dieser For-
setzte man große Hoffnungen, um für die psy-       schung, die kulturgeschichtliche Bedeutung
chiatrische Forschung sogenannte „Modellpsy-       dieser Substanzen, die Hintergründe für das
chosen“ zu erzeugen oder aber therapeutische       Comeback der Psychedelika; welche Hoff-
Tiefenbohrungen in verdrängte und verschlos-       nungen und Probleme, Visionen und State-
sene Teile der Seele zu unternehmen – ganz zu      of-the-art-Empfehlungen mit diesen Mitteln
schweigen von den früh einsetzenden Versu-         verbunden sind; wie sich ein Horrortrip bei
chen, diese Stoffe gleichsam als höhenpsycho-      der Einnahme im nicht-medizinischen Setting
logische Sprungbretter in die Transzendenz zu      anfühlen kann; ein Textauszug aus dem aktu-
verwenden (Stichwort Karfreitagsexperiment)        ellen Buch Elysium hin und zurück. Mit Psyche-
und als Sakramente zu würdigen. Diese Option
                                                   1
                                                       Hofmann, A. (2020). LSD – mein Sorgenkind. Die Entdeckung
findet sich übrigens schon am Beginn der mo-           einer „Wunderdroge“ (9. Aufl., S. 218). Stuttgart: Klett-Cotta.
dernen psychedelischen Forschung.                      (Erstauflage 1979)

rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021, 5–6
6                                                                                     M. Poltrum & M. Tauss

    delika unterwegs in der zweiten Lebenshälfte (von   choanalyse, sowie vier Beiträge zum Thema
    Claude Weill) und alles, was Sie schon immer        Film und Sucht.
    über LSD, Psilocybin, Meskalin, Ayahuasca &
    Co. wissen wollten und wissen sollten – all das     Damit hoffen wir, dass für jede(n) unserer ge-
    haben wir versucht, in diese Jubiläumsausgabe       schätzten Leser und Leserinnen doch zumin-
    von rausch zu integrieren.                          dest das eine oder andere Schmankerl dabei ist,
        Darüber hinaus gibt es neben zwei Bildstre-     und wünschen viel Freude und helle Momente
    cken, die dem Wiener Maler Heinz Stangl und         mit der vorliegenden Ausgabe.
    dem französischen Künstler Bastien Vivès ge-
    widmet sind, zwei Texte zum Themenbereich                                          Martin Poltrum
    Kreativität, Rausch, Psychopathologie und Psy-                                    und Martin Tauss

      Univ.-Prof. Dr. Martin Poltrum                      Dr. Martin Tauss
      Professor für Psychotherapiewissenschaft            Leitender Redakteur für Wissenschaft und
      an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien         Lebenskunst bei der österreichischen
      Philosoph, Psychotherapeut, Lehrtherapeut.          Wochenzeitung DIE FURCHE (www.furche.at)
      martin.poltrum@sfu.ac.at                            sowie assoziiertes Mitglied am Institut für
                                                          Sozialästhetik und psychische Gesundheit der
                                                          Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) Wien.
                                                          mtauss@kabelplus.at

                                                                                rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021
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Die Vision einer Bewusstseinskultur:
historische und aktuelle Perspektiven

Martin Tauss

    „The next great step of mankind is to step into the nature of his own mind – the real question is ‘just what
    is consciousness?’ – and we must make the most intelligent and creative use of science in exploring these
    questions.“
                                                                      Gary Snyder, Earth House Hold (1969)

Zusammenfassung
    Der Begriff „Bewusstseinskultur“ wurde vom deutschen Philosophen Thomas Metzinger geprägt und
ausgearbeitet. Er dient als konzeptueller Rahmen, um Strategien der Bewusstseinsmodulation zu bewerten
und gesellschaftlich nutzbar zu machen. Für die weitere Entwicklung dieses Konzepts sind historische Bezüge
aufschlussreich. Eine frühe Vision evidenzbasierter Bewusstseinskultur findet sich bereits in Aldous Huxleys
utopischem Roman „Eiland“ (1962). Ausgehend davon unternimmt der vorliegende Beitrag eine Zeitreise und
beleuchtet exemplarisch Schauplätze und Entwicklungen, die für die Themen der Bewusstseinskultur relevant
sind. Er verbindet narrative und analytische Passagen, ohne dabei eine vollständige Geschichte von Bewusst-
seinskultur zu präsentieren. Der Fokus liegt auf ursprünglich spirituellen Methoden der Bewusstseinsverände-
rung – dem Einsatz von Psychedelika (pharmakologisches Modell) und der Praxis von Achtsamkeitsmeditation
(asketisches Modell). Beide Modelle haben zuletzt wachsendes Interesse im klinischen und psychotherapeuti-
schen Bereich hervorgerufen. Der aktuelle Blick auf Psychedelika und Meditation ist aber auch hinsichtlich der
Leitfrage der Bewusstseinskultur viel versprechend: Was ist ein guter Bewusstseinszustand?

Schlüsselwörter: Bewusstseinskultur, Psychedelika, Buddhismus, Meditation, Achtsamkeit (Mindfulness),
Thomas Metzinger, Aldous Huxley

Summary
    The term ‘Bewusstseinskultur’ (‘consciousness culture’, ‘culture of consciousness’) was coined and elabo-
rated by German philosopher Thomas Metzinger. It serves as a conceptual framework to evaluate strategies for
modulating states of consciousness with regard to societal benefit. A historical perspective is revealing for fur-
ther developing this concept. An early vision of ‘Bewusstseinskultur’ can already be found in Aldous Huxley’s
novel ‘Island’ (1962). Starting from Huxley’s utopian vision, this article sheds light on historical scenes and
trends, which are relevant for the topics of ‘Bewusstseinskultur’. It combines narrative and analytical sections,
but does not present an encompassing history of ‘Bewusstseinskultur’. The main focus is placed on conscious-
ness-altering methods that originate in the field of religion and spirituality, namely the use of psychedelics
(pharmacological model) and the practice of mindfulness meditation (ascetic model). Both models have recently
gained growing interest in medicine and psychotherapy. Finally, the current perspective on psychedelics and
mindfulness meditation is promising for the pivotal question of ‘Bewusstseinskultur’: What is a good state of
consciousness?

Keywords: Bewusstseinskultur (consciousness culture, culture of consciousness), psychedelics, buddhism,
meditation, mindfulness, Thomas Metzinger, Aldous Huxley

rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021, 7–25
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    Vorbemerkung: Im Sinne der besseren Lesbarkeit     für dieses Konzept ist ein naturalistisches Welt-
    wurden Zitate aus englischsprachigen Quellen vom   und Menschenbild: Man sei auf dem Weg zu
    Autor ins Deutsche übertragen.                     einer völlig neuen Theorie darüber, was geis-
                                                       tige Zustände überhaupt sind, weil die neuro-
    Knapp hundert Jahre, nachdem Sigmund Freud         biologischen Grundlagen solcher Zustände nun
    – vergeblich – eine biologisch fundierte Theorie   immer deutlicher hervortreten würden. Durch
    des menschlichen Seelenlebens zu formulieren       die Fortschritte der Neuro-, Informations- und
    versuchte, gab es in den 1990er Jahren tatsäch-    Kognitionswissenschaften werde sich das Ver-
    lich eine große Aufbruchsstimmung im Be-           ständnis des Bewusstseins tiefgreifender ver-
    reich der Neurowissenschaft: Am Ende des 20.       ändern als durch jede andere wissenschaftliche
    Jahrhunderts versprach die Gehirnforschung         Revolution der Vergangenheit. Infolgedessen
    bedeutende Fortschritte, nicht nur für die Me-     werde menschliches Bewusstsein zunehmend
    dizin, sondern für die ganze Gesellschaft.         technisch verfügbar; subjektives Erleben könne
    In den USA wurde die „Decade of the Brain“         immer genauer beeinflusst werden – und das
    ausgerufen, um die Bedeutung der Gehirnfor-        werde mittelfristig auch soziokulturelle Kon-
    schung verstärkt in der Öffentlichkeit zu ver-     sequenzen mit sich bringen (Metzinger, 2003,
    mitteln. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen     S. 4 ff.).
    Union übernahmen den Appell und initiierten            Der Fokus von Bewusstseinskultur liegt auf
    vernetzte wissenschaftliche Förderprogramme.       jeglichem Handeln in Bezug auf die innere Um-
    Ein Jahrzehnt nach den USA wurde auch in           welt des Bewusstseins, einschließlich geistiger
    Deutschland eine „Dekade des Gehirns“ aus-         Handlungen. „Handlung“ bedeutet hier also
    gerufen.                                           nicht nur, wie man nach außen hin agiert, son-
        Eine neurowissenschaftliche Euphorie           dern auch, was man tut, um bestimmte geisti-
    machte sich breit; Superlative schwappten aus      ge Verfassungen hervorzubringen. Deshalb ist
    der akademischen Welt in die allgemeinen Me-       Bewusstseinsethik das inhaltliche Kernstück
    dien: Das rätselhafteste Organ des menschli-       der Bewusstseinskultur: Nicht nur, wie eine
    chen Körpers schien nun endlich entschlüsselt      „gute Handlung“, sondern auch, wie ein „guter
    zu werden. Neue Technologien zur Verände-          Bewusstseinszustand“ aussieht, ist hier zu defi-
    rung des Bewusstseins und der Persönlichkeit       nieren. Bewusstseinsethik soll sich auf norma-
    wurden diskutiert; der Blick auf den Menschen      tiver Ebene mit jenen Handlungen auseinan-
    fokussierte auf das „neurochemische Selbst“,       dersetzen, „deren primäres Ziel darin besteht,
    befeuert durch die erfolgreiche Einführung         das Bewusstsein anderer Personen oder des
    neuer Generationen von Psychopharmaka              Handelnden selbst zu verändern“ (a.a.O., S. 15).
    ebenso wie durch massive Marketing-Kampag-         Diese Überlegungen eröffnen eine Reihe von
    nen der großen Pharmafirmen (Rose, 2003). Die      relevanten Fragen: Was sind gute und erstre-
    Gehirnforschung, so hieß es vielerorts, werde      benswerte, interessante oder wünschenswerte
    „in dramatischer Weise unser Menschenbild          Bewusstseinszustände? Welche Klassen von
    und damit die Grundlage unserer Kultur, die        Bewusstseinszuständen sollen gesellschaftlich
    Basis unserer ethischen wie politischen Ent-       gefördert werden? Welche wollen wir unseren
    scheidungen“ verändern (Singer & Metzinger,        Kindern zeigen? Welche Bewusstseinszustände
    2003, S. 68). Dementsprechend sollte sie auch      hingegen sind abzulehnen und zu unterdrü-
    zur Grundlage für andere Forschungsbereiche        cken? Und gibt es auch im normalen Alltag For-
    werden und diese fortlaufend informieren.          men des subjektiven Erlebens und der Selbster-
    Vor diesem Hintergrund markierten Begriffs-        fahrung, die „besser“ sind als andere? (a.a.O.,
    neubildungen wie Neuroethik, Neuroästhetik,        S. 9 f.).
    Neurodidaktik etc. den zunehmenden Deu-                Metzinger schlägt drei Kriterien vor, um
    tungsanspruch der Neurowissenschaften.             zu bestimmen, was gute geistige Verfassungen
                                                       sind:
                                                       1) Minimierung von Leiden,
    Thomas Metzingers Begriff                          2) epistemischer Wert (d. h. Bewusstseinszu-
    einer „Bewusstseinskultur“                             stände verbunden mit Erkenntnis und Wis-
                                                           sen),
    Manche Geisteswissenschaftler teilten diesen       3) erhöhte Wahrscheinlichkeit für das Auftre-
    Enthusiasmus – darunter auch Thomas Met-               ten weiterer günstiger (oder noch günstige-
    zinger. Der deutsche Philosoph prägte 1994             rer) Bewusstseinszustände.
    erstmals den Begriff einer biologisch fundier-
    ten „Bewusstseinskultur“, den er seither weiter    An zentraler Stelle steht hier der Begriff des
    ausgearbeitet und differenziert hat (Metzinger     „bewussten Leidens“: Metzinger (2017) versteht
    2003, 2006, 2008, 2014, S. 316 ff.). Grundlegend   darunter leidvolle und unangenehme Bewusst-

                                                                                rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021
Die Vision einer Bewusstseinskultur                                                                        9

seinszustände, insbesondere negative psycho-            z. B. biologische Psychiatrie, „Cognitive Enhan-
physische Zustände, die durch das Erleben von           cement“, „Moral Enhancement“, „kosmetische
zunehmender Unsicherheit (Kontrollverlust)              Psychopharmakologie“.
oder den drohenden Verlust des inneren Zu-          r 6NHBOH NJU QTZDIPBLUJWFO 4VCTUBO[FO
sammenhalts (Kohärenzverlust) geprägt sind.             (Drogenpolitik)
In der ethischen Praxis sei es prioritär, sich          z. B. kontrollierter Zugang zu Psychedelika, ba-
auf die Verminderung von Leiden zu konzen-              sierend auf wissenschaftlicher Nutzen-Risiko-
trieren:                                                Analyse.
                                                    r 4DIVMVOHJO.FEJUBUJPO 1ÅEBHPHJL
    „Wir sollten die Gesamtmenge des bewussten          Achtsamkeitsmeditation in einem säkularen,
    Leidens im Universum nicht erhöhen, solange         weltanschaulich neutralen Setting, um die geis-
    keine wirklich zwingenden Gründe vorliegen,         tige Autonomie zu erhöhen; insbesondere zum
    dies zu tun.“ (Metzinger, 2014, S. 337)             Schutz vor Reizüberflutung in den neuen medi-
                                                        alen Umwelten.
Ausschlaggebend für einen guten Bewusst-            r 5FSNJOBMF #FXVTTUTFJOT[VTUÅOEF #FIBOE-
seinszustand sei daher, ob er bewusst erlebtes          lung von Sterbenden)
Leiden vermindert – nicht nur in der Gegen-             wünschenswerte Bewusstseinsverfassungen im
wart, sondern auch in der Zukunft; und nicht            Vorfeld des Todes.
nur im individuellen Erleben, sondern auch in
dem aller anderen leidensfähigen Wesen. So          Doch das Konzept von Bewusstseinskultur ist
mag zwar beispielsweise ein Alkoholrausch ne-       prinzipiell auch über den Menschen hinausge-
gative Bewusstseinszustände vorübergehend           dacht. Es befasst sich mit dem Vermeiden von
verhindern, jedoch künftig und für andere           leidvollen Bewusstseinszuständen bei Tieren
Menschen leidvolle Konsequenzen haben, so-          (Tierethik) ebenso wie mit neuartigen Bewusst-
dass in der Gesamtbilanz noch mehr Leiden in        seinsformen durch Hirn-Computer-Schnitt-
die Welt gebracht wird. Hinter solchen Überle-      stellen; nicht zuletzt auch mit der Möglichkeit,
gungen steht die Vorstellung, die unterschied-      dass künftig bei Maschinen eine Art von künst-
lichen Qualitäten und Intensitäten bewussten        lichem Bewusstsein vorhanden sein könnte
Leidens künftig vielleicht in quantitativer         (Metzinger, 2014, S. 273 ff.).
Form erfassen und somit auch vergleichen zu             Bewusstseinskultur ist assoziiert mit den
können.                                             Werten der liberalen Demokratie, die heute im
    Der Einsatz von psychoaktiven Substanzen        verstärkten Wettstreit mit autokratischen Sys-
erhält in diesem Konzept von Bewusstseinskul-       temen und Neonationalismen steht. Ihr eigent-
tur ein neues, zeitgemäßes Framing: als „Be-        liches Anliegen ist Aufklärung im Sinne einer
wusstseinstechnologie“ (Metzinger, 2003, S. 11).    inneren Emanzipation. Denn ein hohes Maß an
Das ist der Dachbegriff für ein breites Spektrum    geistiger Selbstbestimmung ist das Fundament
pharmakologischer und nicht-pharmakologi-           für ein selbstbestimmtes Leben. Der Aufbruch
scher Maßnahmen: psychoaktive Substanzen            aus der Unmündigkeit bezieht sich nunmehr
einschließlich Psychopharmaka, (nicht näher         auf mentale Prozesse, deren Eigendynamik
bezeichnete) Meditationstechniken, autogenes        man bei unzureichender Bewusstheit leicht
Training, katathymes Bilderleben, luzides Träu-     ausgeliefert sein kann.
men, etc. Alle diese Maßnahmen gehören zum
Instrumentarium einer Bewusstseinskultur.              „Den gegenwärtigen Mangel an echter Bewusst-
Sie könnten dazu dienen, bereichernde Grenz-           seinskultur kann man als gesellschaftlichen Aus-
erfahrungen zu ermöglichen und veränderte              druck des steckengebliebenen Projekts der Auf-
Bewusstseinszustände ohne Suchtpotenzial zu            klärung deuten: Was uns fehlt ist (…) eine neue
entdecken. Bereits in der Schule sollte ein „neu-      Variante praktisch-kritischer Rationalität bei
rophänomenologischer Werkzeugkasten“ mit               der Benutzung unseres eigenen Gehirns.“ (Met-
einfachen Bewusstseinstechniken vermittelt             zinger, 2003, S. 18; vgl. dazu auch Wentorp,
werden, um Kinder und Jugendliche für das              2020)
Potenzial des menschlichen Geistes zu sensi-
bilisieren und ihre psychische Gesundheit zu
fördern.                                            Nährboden für Neuropsychedelik
    Folgende Anwendungen im Rahmen einer
Bewusstseinskultur werden von Metzinger             Metzingers Konzept von Bewusstseinskultur
(2003) prominent ins Treffen geführt:               erwächst aus dem gleichen Nährboden, der
r .PEVMBUJPO WPO )JSOGVOLUJPOFO /FVSP-         gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Renais-
    technologien)                                   sance der psychedelischen Forschung in Gang
                                                    gebracht hat. Nachdem die einst florierende

rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021
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     Halluzinogen-Forschung seit den gesellschaft-       ger anlässlich des 100. Geburtstags des LSD-
     lichen Unruhen der späten 1960er Jahre fast         Entdeckers Albert Hofmann 2006 ein Führer-
     zum Erliegen gekommen war, nutzte eine neue         schein-Modell für den Psychedelika-Gebrauch,
     Generation von Wissenschaftlern rund um die         der an bestimmte Voraussetzungen gebunden
     Jahrtausendwende das zunehmende Interes-            sein sollte. Dazu zählen die neuropsychiatri-
     se an den Neurowissenschaften, um psyche-           sche Abklärung des individuellen Risikos, der
     delische Wirkstoffe erneut auf die Agenda zu        Abschluss einer privaten Pflegeversicherung,
     bringen – im Labor ebenso wie in klinischen         ein Theoriekurs sowie mehrere kontrollierte
     Forschungsprogrammen. Und damit tauchten            Psychedelika-Sitzungen in geschütztem Set-
     auch Motive und Themen wieder auf, die seit         ting. Wer einen solchen „LSD-Führerschein“
     jeher mit den Psychedelika verbunden waren,         besitzt, sollte pro Jahr maximal zwei Einzeldo-
     aber unter den Bedingungen eines spätmoder-         sen für den Eigengebrauch legal erwerben dür-
     nen Materialismus besonders schwer zu ver-          fen (Metzinger, 2006, S. 36; 2014, S. 333 f.).
     handeln sind: Ehrfurcht, Ergriffenheit, Mystik
     (Langlitz, 2012; Pollan, 2018).
         Bemerkenswert ist jedenfalls, dass das aka-     Weisheit und Wissenschaft
     demische Interesse an Psychedelika nicht nur
     auf therapeutische Anwendungen beschränkt           Das moderne Konzept von Bewusstseinskul-
     blieb. Allen Hindernissen zum Trotz wendete         tur hat weitreichende und weitverzweigte
     es sich auch dem spirituellen Potenzial die-        Wurzeln. Beispiele für bewusstseinskulturel-
     ser Substanzen wieder zu, das der Mediziner         le Ansätze finden sich seit den Frühzeiten der
     und Theologe Walter Pahnke 1962 mit seinem          Menschheitsgeschichte – im Schamanismus
     „Karfreitagsexperiment“ an der Harvard-Uni-         ebenso wie in den Yoga-Traditionen oder in der
     versität erstmals systematisch dokumentiert         antiken Philosophie. In zahlreichen Weisheits-
     hatte. Damals waren es Theologiestudenten,          traditionen gibt es eine Ethik des inneren Han-
     die während eines christlichen Gottesdiensts        delns. Bewusstseinskultur könnte heute ein
     Psilocybin verabreicht bekamen und unter dem        Sammelbecken sein, in dem Weisheitsquellen
     Einfluss der Droge signifikant häufiger über        aus allen Zeiten und Weltgegenden auf dem Bo-
     mystische und spirituelle Erfahrungen berich-       den der Wissenschaft zusammenfließen. Wie
     teten als die Probanden in der Vergleichsgrup-      der Dokumentarfilm „Das stille Leuchten“ (2018)
     pe (Pahnke, 1963).                                  zeigt, dient das Konzept der Bewusstseinskul-
         Roland Griffiths und Mitarbeiter von der        tur mittlerweile als übergeordneter Bezugs-
     Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore       punkt für heterogene Initiativen in Europa, in
     griffen diese Fragestellung 2006 in einer klei-     denen innere Entwicklung und soziale Selbst-
     nen, aber viel beachteten Studie mit moderner       erfahrung gefördert werden – in Kindergärten,
     Methodik wieder auf. Ihre Ergebnisse konnten        Schulen und alternativen Bildungseinrichtun-
     die Aussage von Pahnkes Experiment bekräf-          gen. Diverse Methoden wie Achtsamkeitsschu-
     tigen: Relativ zu einer aktiven Vergleichssubs-     lung, Resilienz-Training, Empathie-Stärkung,
     tanz (Methylphenidat) begünstigte Psilocybin        Zen-Meditation oder die Gewaltfreie Kommu-
     das Auftreten spiritueller Erfahrungen. Mehr        nikation nach Marshall B. Rosenberg kommen
     als zwei Drittel der Studienteilnehmer stuften      hier zum Einsatz. Die Übungen dienen unter
     ihre Erfahrung unter dem psychedelischen            anderem dazu, die Gefühls- und Körperwahr-
     Wirkstoff entweder als die bedeutungsvollste        nehmung, die Impulskontrolle und emotionale
     Erfahrung oder als eine der fünf bedeutungs-        Selbstregulation zu verbessern. Die Kultivie-
     vollsten Erfahrungen ihres Lebens ein. Dieser       rung von Bewusstheit im Alltag soll jeweils
     Effekt war auch bei einer Nachuntersuchung          zu innerer Aufrichtigkeit führen, eine ethische
     nach 14 Monaten messbar und mit positiven           Grundhaltung stärken und authentische Bezie-
     Verhaltensänderungen sowie einer Steigerung         hungen unterstützen.
     des Wohlbefindens und der Lebenszufrieden-              Dass der Begriff der „Bewusstseinskultur“
     heit assoziiert (Griffiths et al., 2006, 2008).     in den letzten Jahren zunehmend attraktiv ge-
         In seinen Ausführungen zur Bewusstseins-        worden ist, verdankt sich jedoch vor allem jener
     kultur bezieht sich Metzinger explizit auch auf     bemerkenswerten Koinzidenz, die im Fokus
     Psychedelika und spricht sich mit Verweis auf       dieses Beitrags steht: dem wachsenden wis-
     solche Studien dafür aus, ihr Nutzen-Risiko-        senschaftlichen Interesse für den gesellschaft-
     Profil neu zu evaluieren. Um den „verborgenen       lichen Nutzen der Psychedelika und der Acht-
     Nutzen“ bei minimiertem Risiko zu aktualisie-       samkeitsmeditation.
     ren, plädiert er für die kontrollierte Abgabe von
     klassischen Psychedelika (aus heutiger Sicht
     vor allem Psilocybin). So präsentierte Metzin-

                                                                                 rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021
Die Vision einer Bewusstseinskultur                                                                      11

Aldous Huxleys Utopie                               und einer – wie man aus heutiger Sicht sagen
einer Bewusstseinskultur                            könnte – spirituell orientierten Gemeinwohl-
                                                    ökonomie, zwischen der Verrohung und der
Wer nach modernen Vordenkern für eine wis-          Veredelung des menschlichen Geistes. Durch
senschaftlich fundierte Bewusstseinskultur          die Brille von Erich Fromms Kulturkritik
Ausschau hält, stößt unweigerlich auf Aldous        (1976/2011) geraten hier Gruppen mit divergen-
Huxley. Der englische Schriftsteller verhandel-     ten Prinzipien konflikthaft aneinander: die Ver-
te bereits früh die Eckpfeiler dieses Konzepts      treter der „Dimension des Habens“ und jene
(ohne freilich auf den konkreten Begriff einer      der „Dimension des Seins“. Letztere sehen in
„Bewusstseinskultur“ zu rekurrieren) und er-        der Kultivierung des Bewusstseins das höchs-
fasste dabei auch die politische Dimension der      te Ziel. Tatsächlich zeigt eine Textanalyse, dass
damit assoziierten Fragen. In seinen utopischen     wesentliche Aspekte von Metzingers Konzept
Romanen „Schöne neue Welt“ (1932) und „Eiland“      der Bewusstseinskultur in Huxleys letztem Ro-
(1962) beschrieb er völlig konträre Visionen von    man bereits vorweggenommen sind: die direk-
Bewusstseinskultur: Die erste dreht sich um         te oder indirekte Modulation von Hirnfunktio-
autoritäre Bewusstseinskontrolle durch bioche-      nen, ein neuartiger Umgang mit psychoaktiven
mische Manipulation der Massen; die zweite          Substanzen, die Schulung in Achtsamkeitsme-
handelt von einer Kultur, wo der heilsamen          ditation sowie die Frage nach wünschenswer-
Entfaltung des menschlichen Geistes oberste         ten terminalen Bewusstseinszuständen.
Priorität eingeräumt wird.
    Die positive Utopie in seinem letzten Ro-
man „Eiland“, der ein Jahr vor seinem Tod er-       Modulation von Hirnfunktionen
schien, sah Aldous Huxley als Essenz seines
Denkens und Wirkens. Hier ist seine intellektu-     Der Einsatz neurobiologisch wirksamer Inter-
elle und persönliche Biographie zu einem geis-      ventionen folgt in „Eiland“ dem Prinzip einer
tigen Vermächtnis verarbeitet, das aktuelle wis-    Bewusstseinsethik. Im Wesentlichen gibt es
senschaftliche Entwicklungen in erstaunlicher       zwei Bereiche, um dabei kulturell wünschens-
Weise antizipiert (Tauss, 2010). Darin beschreibt   werte Effekte hervorzubringen: Einerseits sol-
er eine harmonische Gesellschaft, die sich an       len Kriminalität und gesellschaftsschädigendes
den Werten des Mahayana-Buddhismus orien-           Verhalten durch frühzeitiges „Moral Enhan-
tiert; eine Gesellschaft, in der Wissenschaft und   cement“ verhindert werden. Entsprechende
Religion versöhnt werden konnten, in der Sinn-      Risikopersonen werden bereits im Kindesalter
lichkeit als Tor zum Übersinnlichen gilt; eine      durch flächendeckendes Screening identifi-
Gesellschaft, die ihre Mitglieder sogar dazu        ziert; bei Erhärtung des Verdachts erhalten sie
anleitet, psychedelische Substanzen einzuneh-       präventiv eine psychopharmakologische Be-
men und tantrisch inspirierten Sex – gewisser-      handlung. Auf diese Weise soll „ein Haufen po-
maßen eine erotische Bewusstseinskultur – zu        tenzieller Versager und Verbrecher, Tyrannen
praktizieren.                                       und Sadisten, Misanthropen und Revoluzzer
    „Eiland“ ist einer von Huxleys typischen        um der Revolution willen“ in eine Gruppe nütz-
Ideenromanen, in denen Reflexionen über Poli-       licher Bürger verwandelt werden, die „ohne
tik, Wirtschaft, Religion und Wissenschaft in       Strafen und Schwert“ regiert werden können.
eine literarische Form gegossen sind. Er erzählt    Huxley setzte schon damals überbordende
die Geschichte eines schiffbrüchigen Repor-         und selbst aus heutiger Sicht naive Hoffnung
ters, der durch Zufall auf der tropischen Insel     in die Entwicklung der Psychopharmakologie:
Pala – eine Anspielung auf Pali, die Sprache der    Denn in der von ihm gezeichneten Gesellschaft
buddhistischen Schriften – landet. Dort wird        hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die
er in zahlreichen Dialogen mit deren Einwoh-        bisher üblichen Ansätze in Strafrecht und So-
nern mit den Traditionen einer fremden Kultur       zialarbeit letztlich „kein Ersatz für Biochemie“
vertraut gemacht. Im Laufe der Erzählung wird       seien (Huxley, 1962/2003, S. 182 ff.). Der Einsatz
der kritische Journalist zunehmend zu den           von Psychopharmaka zum Zwecke eines „vor-
Werten und geistigen Grundlagen dieser Kul-         getäuschten Glücklichseins“ – worin man die
tur bekehrt. Doch deren Lage ist prekär: Die Ex-    spätere Idee einer „kosmetischen Psychophar-
pansion einer Militärdiktatur, verbunden mit        makologie“ erkennen könnte – wird hingegen
den Machenschaften der Ölindustrie, besiegelt       abgelehnt (a.a.O., S. 254).
schon bald ihren Untergang.                             Andererseits geht es in „Eiland“ um Anlei-
    Der Roman lebt von der narrativen Span-         tungen zum spirituellen Wachstum, basierend
nung zwischen konträren gesellschaftlichen          auf den Erkenntnissen der Gehirnforschung.
Strukturen und mentalen Ausrichtungen: zwi-         Dafür ist ein eigener Forschungsbereich zu-
schen durchtriebenem Raubtierkapitalismus           ständig, die „Neurotheologie“ – ein Begriff, der

rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021
12                                                                                                    M. Tauss

     erstmals in Huxleys Roman auftaucht und Jahr-            Dass halluzinogene Substanzen eine ver-
     zehnte später tatsächlich prägend für eine neue      borgene geistige Wirklichkeit zum Vorschein
     wissenschaftliche Disziplin werden sollte. Die       bringen können und dabei seelische und spiri-
     neurotheologische Forschung in „Eiland“ ist an       tuelle Wahrheiten offenbaren, ist ein zentrales
     der Schnittstelle religiöser und biologischer Ka-    Motiv des psychedelischen Diskurses. Das im-
     tegorien angesiedelt. Sie widmet sich den neu-       pliziert schon der Begriff „psychedelisch“, der
     ronalen Korrelaten spiritueller Erfahrungen,         1957 im Briefwechsel zwischen Aldous Huxley
     von prämystischen Visionen, Telepathie und           und dem Psychiater Humphry Osmond geprägt
     anderen parapsychologischen Phänomenen bis           worden ist (griech. „delosis“: Offenbarung).
     hin zur „vollentfalteten mystischen Erfahrung“       Dennoch können nicht alle Inseleinwohner an
     (a.a.O., S. 166).                                    dieser exotischen Reifeprüfung teilnehmen.
          Im Gegensatz zu Metzinger (2003, S. 17), der    Ähnlich wie bei Metzingers Idee eines „LSD-
     davon ausgeht, dass das Bewusstsein im Zuge          Führerscheins“ gibt es vor dem Halluzinogen-
     des wissenschaftlichen Fortschritts bald nicht       Gebrauch ein medizinisches Screening, um jene
     mehr „als Projektionsfläche für metaphysische        Personen zu exkludieren, die dafür nicht geeig-
     Hoffnungen und Sehnsüchte“ taugen kann, ma-          net erscheinen. Insofern beschreibt der Roman
     nifestiert sich in Huxleys Spätwerk das Weltbild     von 1962 ein Szenario, wie es heute etwa bei der
     der „Philosophia perrenis“, der „ewigen Philo-       „European Foundation for Psychedelic Science“
     sophie“ der Mystik (Bradshaw, 1962/2005, S. X):      (MIND) auf der Agenda steht – nämlich legale
     Bei ihm wird das Verhältnis von Gehirn, Geist        und sichere Kontexte für die psychedelische Er-
     und überweltlicher Transzendenz über die Fil-        fahrung verfügbar zu machen. Hedonistischer
     terhypothese gedacht, die der englische Schrift-     Drogenkonsum hingegen wird in Huxleys Ge-
     steller bereits 1954 in seinem einflussreichen       sellschaftsmodell abgelehnt; dementsprechend
     Drogenessay „Die Pforten der Wahrnehmung“            gibt es nur eine geringe Prävalenz an Suchter-
     vorgestellt hat. Demnach wird das Bewusstsein        krankungen (a.a.O., S. 127).
     vom Gehirn nicht produziert, sondern übermit-
     telt. Im Alltag arbeitet das Gehirn eliminierend
     und stellt somit einen Filter dar, durch den das     Schulung in Meditation
     „potenziell größtmögliche Bewusstsein“ auf
     ein limitiertes, für das Überleben notwendiges       Nicht nur der Psychedelika-Gebrauch, auch
     Bewusstsein heruntergebrochen wird. Durch            Meditation zählt in „Eiland“ zu den Praktiken
     Drogengebrauch oder Körper-Geist-Prakti-             der Bewusstseinskultur. Die beiden Mittel ver-
     ken wie Yoga, Meditation, Fasten, etc. können        halten sich zueinander wie ein „gelegentliches
     die Pforten der Wahrnehmung jedoch geöff-            Festmahl“ zu den „täglichen Mahlzeiten“. In
     net werden, so dass „eine größere Menge von          dem buddhistisch geprägten Inselstaat dient
     GEIST in den eigenen Geist einzudringen ver-         die Achtsamkeitsmeditation der kontinuier-
     mag“ und sich vorübergehend ein „erweitertes         lichen Geistesschulung, um destruktive Ge-
     Bewusstsein“ manifestiert (Huxley, 1962/2003,        wohnheiten zu durchbrechen und „klüger zu
     S. 166). Praktiken dieser Art sind signifikant für   werden auf der Ebene konkreter Erfahrungen
     die gelebte Bewusstseinskultur im utopischen         und persönlicher Beziehungen“ (a.a.O., S. 222).
     Inselstaat.                                          Das utopische Bildungssystem zielt dabei nicht
                                                          nur darauf ab, die kognitiven und intellektuel-
                                                          len Fähigkeiten zu fördern, sondern den gan-
     Umgang mit psychoaktiven                             zen „Geist-Körper-Komplex“ in allen seinen
     Substanzen                                           Aspekten. Auf einer existenziellen Ebene ist
                                                          Meditation die Antwort auf das harte Faktum
     In „Eiland“ gilt die psychedelische Erfahrung        der Vergänglichkeit: Das Leben ist endlich, je-
     als kulturell so wertvoll, dass Jugendliche an       der Augenblick ist kostbar. Achtsamkeit ist hier
     der Schwelle zum Erwachsenenalter zum ri-            das angemessene Mittel, um dieser Tatsache ge-
     tuellen Drogenkonsum angeleitet werden. Der          recht zu werden.
     moderne Initiationsritus vollzieht sich in einem         Achtsamkeit bzw. Mindfulness ist in der
     sakralen Setting, in dem ein Pilz-Wirkstoff als      buddhistischen Lehre die Übersetzung des Pa-
     „Moksha-Medizin“ (Sanskrit „moksha“: Befrei-         li-Begriffs „Sati“, der eigentlich „Erinnerung“
     ung, Erlösung) verabreicht wird. Mit einer Gip-      bedeutet. Denn es geht darum, sich immer wie-
     felerfahrung werden die Jugendlichen an eine         der daran zu erinnern, achtsam zu sein, das
     neue Dimension der Wirklichkeit herangeführt,        heißt der gegenwärtigen Erfahrung mit voller
     in der die „tiefsten Wahrheiten der Religion“        Bewusstheit zu begegnen. In „Eiland“ sind es
     zugänglich sein sollen (a.a.O., S. 193).             die papageienartigen Myna-Vögel, die die Men-
                                                          schen dabei mit ihrem schnoddrigen Singsang

                                                                                  rausch, 10. Jahrgang, 1/2-2021
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