Ein Tropfen von Jupiters Blut - La Spinetta
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Ein Tropfen von Jupiters Blut Alle lieben den Chianti – doch der war knapp davor, seinen Charakter zu verlieren. Jetzt entdecken die Winzer ihn neu und staunen über die Kraft uralter Trauben TEXT INKA SCHMELING FOTOS DARSHANA BORGES Die Traube der Etrusker: Seit Jahrtausenden pflanzen Menschen hier Sangiovese an – der Name bedeutet übersetzt: »Blut des Jupiter« Goldlicht über Rebreihen: Der Chianti Classico wird nur in der gleichnamigen Region zwischen Siena und Florenz produziert – hier ein Rebfeld in Panzano 54 MERIAN www.merian.de www.merian.de MERIAN 55
Versiegelt, verstaubt und gut verborgen: Weinschätze in einem Keller bei Panzano Von Pisa bis Montalcino: Der Chianti ist da zu Hause, wo die Toskana am schönsten ist sphalt!« Der Winzer Leo- Gusmè – für ihn sind sie ein Sinnbild Das Lächeln des Puristen: Giorgio A nardo Bellaccini schüttelt den für die Geschichte des Chianti. Rivetti lehnt Cuvées ab und Kopf, empört und ein wenig Chianti, das ist zuerst einmal ein mag Sangiovese nur sortenrein belustigt. Asphalt in den Stück Land. Es erstreckt sich grob Gassen von San Gusmè, zwischen Pisa im Nordwesten und einem typisch toskani- Montalcino im Südosten – und alles, schen Dorf östlich von Siena. Wo die was dazwischen reift und gärt, kann Olivenbäume und Weinstöcke bis an sich später Chianti-Wein nennen. die alte Außenmauer heranwachsen, Meist aber denkt man bei Chianti an wo vor den Häusern Terracotta-Kübel das Chianti Classico – das Zentrum der mit Geranien und Rosen stehen und Region zwischen Florenz und Siena, die Haustüren eher einen Klopfer ha- ein Mosaik aus Wäldern, Weinbergen ben als eine Klingel – meist stehen sie und Olivenhainen. Nur hier darf der ganz offen. Wo die Toskana aussieht gleichnamige Wein gekeltert werden, wie im Touristentraum, ausgerechnet ein herber Roter mit einem schwarzen dort haben sie in den Siebzigern Hahn am Flaschenhals, dem gallo nero. das Kopfsteinpflaster aus dem Boden In Weinhandlungen auf der ganzen gerissen und durch Asphalt ersetzt. Welt verkörpert der Chianti Classico Leonardo Bellaccini, dessen Weingut den typisch toskanischen Rotwein. San Felice ganz in der Nähe liegt, er- Kreiert wurde er im 19. Jahrhundert zählt gern von den Gassen in San auf dem Castello di Brolio, südlich von Hightech mit Ausblick: Auf Rivettis Weingut La Spinetta gärt der Wein in modernen Stahltanks 56 MERIAN www.merian.de www.merian.de MERIAN 57
Über Felder und Hügel wandern, dann ein Glas Chianti: Sehnsuchts- Landschaft bei Panzano 1/1 Seite Gaiole, von Baron Bettino Ricasoli, auch der Sangiovese einen Teil seines einem Universalgenie. Der brachte es Charakters verloren. Mode-Reben wie nicht nur bis zum Ministerpräsidenten Merlot oder Cabernet Sauvignon soll- Italiens, sondern studierte auf seinem ten den kräftigen Wein gefälliger Castello auch die Seidenraupenzucht, machen und dem internationalen Ge- moderne Pflugtechniken, Mineralien, schmack anpassen. Oft wurden sie ihm Fossilien und eben Weinbau. 1872 legte in so großen Mengen beigemischt, dass er die Regeln für die Herstellung des die Weine nicht mehr den Namen Chianti Classico fest. Die wichtigste: Zu Chianti Classico tragen durften. Auch mindestens 80 Prozent muss er aus Bellaccini hat mitgemacht: »Ich war ja Sangiovese gewonnen werden, einer noch jung«, sagt er und hebt entschul- Traube, die vor über 2000 Jahren die digend die Hände. Als er mit 21 vom Etrusker hier angepflanzt haben und Önologie-Studium in Siena kam, baute deren Name übersetzt »Blut des Jupi- er Merlot an und Cabernet Sauvignon, ter« bedeutet. Zusätzlich dürfen andere Chardonnay und Sauvignon Blanc. rote Rebsorten beigemischt werden. »Supertoscani« heißen diese Weine, »Ein Gentleman, nobel und elegant Verschnitte internationaler Rebsorten – aber vom Dorf«, so beschreibt Win- aus toskanischen Weinbergen, die ge- Hüter des Schlüssels: zer Bellaccini den Sangiovese. Doch fälliger waren als der oft etwas derbe Marco Fizialetti, Geschäftsführer wie die alten Gassen in San Gusmè, so Sangiovese: weicher, weltläufiger, aber des Castello di Querceto hatte in den vergangenen Jahrzehnten auch verwechselbarer. Die Winzer machten den Chianti gefälliger – und nahmen ihm so die Seele 58 MERIAN www.merian.de
Der Wein hinten im Gewölbe ist über 100 Jahre alt – und schmeckt »bellissimo« Ricasoli ist kein Traditionalist, der Glas hin – einen Chianti Classico »Il diesem Gut entstehe. Bei den Kunstwer- einfach nur zurück in die Vergangen- Picchio«, eine Mischung aus 92 Pro- ken ebenso wie bei den Reben. heit will. »Natürlich müssen wir auf zent Sangiovese mit der ebenfalls tos- Für Leonardo Bellaccini dagegen, unsere Wurzeln achten«, sagt er und kanischen Rebsorte Canaiolo. den Winzer aus der Nähe von San schwärmt von der »unterschätzten einen Kompromiss mit Ge- Gusmè, der einst für Merlot und Schönheit« des Sangiovese. Doch er will die Tradition nicht gegen die Moderne ausspielen. Und so bringt er K schmacksmoden eingehen will Giorgio Rivetti, 52. »Warum sollte jemand viel Geld für toskani- Cabernet Sauvignon schwärmte, ist die toskanische Identität im Laufe seines Lebens immer wichtiger geworden. 2010 einen reinen Sangiovese seines schen Wein ausgeben, wenn er gar nicht Als er vor vielen Jahren seine Arbeit Gutes auf den Markt – und gleichzeitig nach Toskana schmeckt?«, fragt er. auf San Felice begann, erforschten dort einen reinen Merlot. Ein Balanceakt, Wenn er seine Weine im Ausland vor- schon Wissenschaftler der Universität der auch seinem großen Vorfahren stellt, redet er zuerst über die Land- Florenz zusammen mit den Winzern gefallen würde, da ist sich Ricasoli schaft, in der sie reifen: »Eine Zypresse die alten, fast vergessenen Rebsorten sicher: »Für seine Zeit war Baron Bet- auf einem Hügel. Der Duft von Ros- der Toskana. Damals nahm Bellaccini tino ein großer Modernist«, seine wis- marin, Lorbeer und dem Sommerstaub ihre Arbeit nicht ernst, den Museums- senschaftlichen Studien zu Landwirt- auf der Straße«, diese Bilder und Ge- weinberg, den die Wissenschaftler auf schaft und Weinbau waren damals rüche sollen seine Weine hervorrufen. San Felice aufbauten, betrachtete er äußerst fortschrittlich. Auf seinem Weingut La Spinetta zunächst belustigt, später interessiert – Gut 40 Kilometer nördlich vom Sitz Casanova südlich von Pisa, in den heute ist er begeistert. »Die alten Sor- der Ricasolis liegt das Castello di westlichen Ausläufern des Chianti-Ge- ten holen einfach das beste aus unse- Querceto, das Weingut von Alessandro bietes fernab vom Chianti Classico, rem Boden«, sagt er heute. Sonne? Traube? – Marco Pallanti Liebesglut über Fässern: Die Besitzer des Castello di François. Der 74-Jährige öffnet die baut Rivetti nur toskanische Rebsorten Er zerdrückt eine Traube, seine Fin- meditiert gern vor diesem Kunstwerk Ama laden jeden Herbst Holztür zu seinem Weinkeller, die an, Colorino und vor allem Sangiovese. ger färben sich blutrot. »Was für eine Künstler auf ihr Weingut – schwer ist wie die einer Kirche, und Wegen dieser Traube hat er neben sei- Farbe«, ruft er. »Pugnitello« heißt diese dabei entstehen Werke läuft unter Gewölbebögen entlang, nen beiden Weingütern im Piemont Rebe, übersetzt bedeutet das in etwa: wie diese Lichtinstallation vorbei an Regalen voller Flaschen. Im- ein weiteres in der Toskana aufgebaut. kleine Faust. Bellaccini hat sie unter M E RIA N W E I N G Ü T E R mer tiefer geht es in den Keller, die Alle seine Weine sind sortenrein; den inzwischen 270 Sorten des Muse- Castello di Brolio (E6) Gaiole in Chianti hintersten Flaschen liegen dort schon Mischungen, wie sie beim Chianti umsweinbergs für sich entdeckt und Tel. 0577 73 01, www.ricasoli.it. Hier so lange, dass der Staub der Jahre Classico erlaubt sind, lehnt er ab. Da- auf mehreren Hektar angebaut. wurde 1872 die Chianti-Formel erfunden. Begonnen hatte die Krise des Chianti die Geschichte ihrer Familie ein Sym- längst zu einem eigenen Etikett für kürte ihn der bekannte Weinführer 2006 kamen die ersten Flaschen auf aber schon gut 20 Jahre früher, als die bol für Aufstieg, Niedergang und verkrustet ist. Die ältesten sind von des Verlags Gambero Rosso im Jahr den Markt. Die Weinkritiker waren Castello di Querceto (D5) mezzadria abgeschafft wurde, die Renaissance des Chianti. 1904, der Großvater hat sie gekeltert. 2002 zum »Winzer des Jahres«. Rivetti begeistert. Weil der Wein so anders Via A. François 2, Greve in Chianti, Tel. Halbpacht, bei der Bauern einen Teil eute leitet Francesco Ricasoli, Alessandro François schwärmt davon, ist überzeugter Purist: »Wir müssen bei schmeckte, weil er so neuartig war und 055 85921, www.castellodiquerceto.it ihrer Arbeitskraft und die Hälfte ihrer Erträge den Großgrundeigentümern zur Verfügung stellen mussten. Ein H 54, Urururenkel von Baron Bettino, den Betrieb. Sein Büro liegt zu Füßen des Familienstamm- wie zeitlos dieser Chianti Classico sei, ein reiner Sangiovese. Noch heute, mehr als hundert Jahre später, schmecke er unseren einheimischen Sorten bleiben. Sonst verlieren wir unsere Identität.« Marco Pallanti, Präsident des Ver- dabei gleichzeitig so alt. »Padre di pug- nitello« nennt die Fachpresse Bellaccini mittlerweile gern. Nun reift in seinem Chianti Classico fast vollständig aus Sangiovese, mehrere Gäste-Apartments. La Spinetta Casanova (C5) Fortschritt für die Bauern, doch viele sitzes Castello di Brolio. Ursprünglich einfach »bellissimo«. bandes »Vino Chianti Classico« sieht Keller die nächste einheimische Traube Via Prov. Terricciolese, Terricciola Weingutsbesitzer konnten sich ohne war er Werbefotograf, Anfang der och auch François geht mit der das ähnlich: »Der Sangiovese ist der heran: die »Volpola«, eine weiße Sorte. Tel. 0141 877396, www.la-spinetta. die mezzadria den aufwendigen Betrieb nicht mehr leisten.Viele alte Weingüter wurden an ausländische Investoren ver- neunziger Jahre gab er den Job auf, um mit seinem Vater das Familiengut zurückzukaufen. Heute, keine zwanzig D Mode – vor allem, weil seine Kunden es so wollen. In der Probierstube schenkt er später einen Geschmack der Toskana.« Dennoch ist Pallanti auf seinem Weingut Castello di Ama offen für neue Impulse. Jeden Bellaccini glaubt, dass sie zumindest hier in der Toskana den Langeweiler Chardonnay verdrängen könnte. Auf com. Sortenreine Weine San Felice (E6) Castelnuovo Berardenga, Tel. 0577 3991 kauft. Die neuen Besitzer schraubten Jahre später, gehört sein Chianti Clas- »Cignale« aus, einen Verschnitt aus Herbst zur Traubenernte laden er und San Felice wachsen die alten Trauben www.agricolasanfelice.it die Produktionsmenge hoch, die Quali- sico »Castello di Brolio 2006« zu den Cabernet Sauvignon mit einem klei- seine Frau Künstler aus aller Welt ein, nun Hektar um Hektar, die Menge an Alte Sorten, Museumsweinberg tät der Weine ging runter. fünf besten Weine der Welt – gewählt nen Anteil Merlot, und eine ameri- die sich in ihren Arbeiten mit dem Merlot, Cabernet Sauvignon, Char- Castello di Ama (E6) Gaiole in Chianti In dieser Zeit verloren auch die vom Wine Spectator, dem bedeutends- kanische Besucherin ruft begeistert: Wein, den Trauben, der Reifung und donnay, Sauvignon Blanc geht dagegen Tel. 0577746031, www.castello Nachfahren des Chianti-Erfinders ten amerikanischen Weinmagazin. Es »I love that!« Auf die Frage nach sei- Lese auseinandersetzen. Der Wein- immer mehr zurück. diama.com. Jeden Herbst arbeiten hier Ricasoli ihr Weingut an eine austra- ist ein kräftiger Wein auf Sangiovese- nem Lieblingswein zögert François bauer sieht eine Analogie zwischen der Das Chianti entdeckt sich neu. Auch Künstler zum Thema Weinbau. lische Firma. Doch anders als den Basis – ein kleiner Anteil Merlot und und meint, er könne auch nicht sagen, Kunst und dem Wein. Nicht die Her- das Dorf San Gusmè ist heute für Autos meisten gelang es ihnen, den Betrieb Cabernet Sauvignon ist allerdings welches seiner Kinder er lieber hat. kunft zähle, sondern das, was im gesperrt. Und den Asphalt haben sie Mehr Toskana-Weine auf Seite 120 wieder in Besitz zu nehmen – und so ist auch dabei. Aber dann stellt er schweigend ein Zusammenspiel mit dem Boden auf wieder herausgerissen. 60 MERIAN www.merian.de www.merian.de MERIAN 61
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