FÜR DEMOKRATIE GEGEN VERGESSEN - Gegen ...
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Heft 109 / 2021 GEGEN VERGESSEN FÜR DEMOKRATIE Gegen Vergessen FÜR DEMOKRATIE Informationen für Mitglieder, Freunde und Förderer von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Schwerpunktthema: Geschichte vor Ort – aus einer jungen Perspektive weitere Themen: ■ Interview zum Kinofilm „Je suis Karl“ ■ Kolonialgeschichte als erinnerungspolitische Aufgabe Informationen zur politischen Bildungsarbeit
EDITORIAL Liebe Freundinnen und Freunde von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.! Diese Ausgabe der Vereinszeitschrift ist eine besondere. Die fünf nommen haben. Unterstützung haben sie zudem von jungen studentischen Hilfskräfte der Geschäftsstelle von Gegen Ver- Autorinnen und Autoren erhalten, die in Projekten des Vereins gessen – Für Demokratie e. V. haben für das vorliegende Heft mitwirken oder über die Regionalen Arbeitsgruppen in Kontakt gemeinsam die Redaktion übernommen und sind der Frage mit Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. stehen. Auch in der nachgegangen, wie Geschichte vor Ort heute zeitgemäß ver- Rubrik „Aus unserer Arbeit“ können Sie also Beiträge aus einer mittelt werden kann. Sie haben darüber diskutiert, welche The- jungen Perspektive finden. men ihnen und den Menschen in ihrem Umfeld wichtig sind und welche Formate sie für geeignet halten, um Jugendliche Es lohnt sich für alle Leserinnen und Leser, sich mit den vorlie- und junge Erwachsene zu erreichen. Das Redaktionsteam mit genden Texten auseinanderzusetzen. Gerade weil die Redakteu- Thomas Stein, Alina Schulenkorf, Noël Schepp, Michèle Wag- rinnen und Redakteure auch einen kritischen Blick auf die bis- nitz und Henri Rösch hat sich auf die Suche nach guten Bei- herige Vereinsarbeit werfen und Ansätze identifizieren, die aus spielen gemacht, Interviews geführt, Autoren angefragt, selbst ihrer Sicht künftig eine größere Rolle spielen sollten. geschrieben. Abgesehen davon möchte ich es nicht versäumen, Sie an die ge- Entstanden sind so zum Beispiel Artikel über Postkolonialismus, plante Mitgliederversammlung am 20. November in Münster zu über Stereotype in Schulbüchern, Geschichtsvermittlung auf In- erinnern. Die entsprechenden Einladungen wurden im Septem- stagram und über historische Rundgänge, die mit digitaler Un- ber an die Mitglieder verschickt. Wir werden alles daransetzen, terstützung eigenständig geplant werden können. Außerdem dass die Versammlung tatsächlich in Präsenz stattfinden kann. haben Michèle Wagnitz und Alina Schulenkorf den Regisseur Ich würde mich sehr freuen, möglichst viele von Ihnen dort per- des neuen Kinofilms „Je suis Karl“ interviewt und dabei auch sönlich zu treffen. kritische Fragen gestellt. Mit herzlichen Grüßen Allen Redaktionsmitgliedern möchte ich für diese Arbeit herzlich danken, vor allem, da sie diese anspruchsvolle Herausforderung Ihr Andreas Voßkuhle neben ihren eigentlichen Aufgaben in der Geschäftsstelle über- Die Mitgliederversammlung von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. findet am 20. November 2021 in Münster statt. Die Einla- dung und weitere Informationen zu Anmeldung und Ablauf finden Sie auf unserer Homepage unter der Rubrik Verein / Mitglieder. IMPRESSUM Herausgegeben von Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V., Stauffenbergstraße 13-14, 10785 Berlin Telefon (0 30) 26 39 78-3, Telefax (0 30) 26 39 78-40, info@gegen-vergessen.de, www.gegen-vergessen.de Bankkonto: Sparkasse KölnBonn · IBAN DE45 3705 0198 0008 5517 07 · BIC COLSDE33XXX Titelbild Fotomontage: Alexander Atanassow, Originale: Foto: Atharva Dharmadhikari auf Unsplash; Projekt Badehaus (s.S. 6) Redaktion: Thomas Stein, Alina Schulenkorf, Henri Rösch, Michèle Wagnitz, Noël Schepp, Liane Czeremin, Dr. Michael Parak (V.i.S.d.P.) Lektorat: Ines Eifler, Görlitz Gestaltung: Atanassow-Grafikdesign, Dresden Druck: B&W MEDIA-SERVICE Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH Die Zeitschrift wird klimaneutral auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt. Die Herausgabe dieser Zeitschrift wurde gefördert durch das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen keine Meinungsäußerung der Redaktion oder des Vereins dar. Die Redaktion überlässt die Entscheidung über eine Verwendung gendergerechter Sprache den Autorinnen und Autoren. ISSN 2364-0251 2 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
INHALT Inhaltsverzeichnis Die Themen in dieser Ausgabe SCHWERPUNKTTHEMA Interview: „Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort stärkt die Zivilgesellschaft“ 4 Kolonialgeschichte und das Afrikanische Viertel 7 Die Arbeiterstadt Solingen: 360-Grad-Rundgang des Max-Leven-Zentrums 9 Interview: „Schulbücher sind ein Spiegel der Gesellschaft“ 11 Historisches Lernen im Hochbildformat? 14 „Darum sind wir Jugendbotschafter*innen“ 16 WEITERE THEMEN Interview zum Film „Je suis Karl“: „Nur wenn Leute wütend auf den Film sind, 19 können Diskurse entstehen.“ Internierungslager und Flucht über die Pyrenäen (1939 – 1941) 22 BLOG DEMOKRATIEGESCHICHTEN.DE Umkämpfte Erinnerung – 100 Jahre politischer Mord in Deutschland 26 ANALYSE UND MEINUNG Kolonialgeschichte als erinnerungspolitische Aufgabe 28 AUS UNSERER ARBEIT Interview: Radeln für Demokratie – Spendensammeln einmal anders 30 RAG Böblingen-Herrenberg-Tübingen: „Man wird ja wohl noch sagen dürfen …“ 32 RAG Münsterland: Das Leiden der Jüngeren 34 RAG Münsterland: „Überdehnen und Verbiegen“ 36 RAG Nordhessen-Südniedersachsen: Besuch aus Montevideo: 38 Jüdischer Autor reist nach Beiseförth NAMEN UND NACHRICHTEN Geschichten verfolgter Juden sichtbar gemacht – Ehrung von Frauke Dettmer 40 Frühe Konzentrationslager in Sachsen – Filmtour „ZUSTAND UND GELÄNDE“ 41 REZENSIONEN Ernst-Jürgen Walberg bespricht – eine Sammelrezension: 42 Schwieriges Erbe. Linden-Museum und Württemberg im Kolonialismus. Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage. Beute. Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe. Beute. Ein Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe. IMPRESSUM 2 VORSTAND UND BEIRAT 47 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021 3
SCHWERPUNKTTHEMA Interview „Auseinandersetzung mit der Geschichte vor Ort stärkt die Zivilgesellschaft“ David Gilles ist Mitarbeiter des Anne Frank Zentrums in Berlin und Projektleiter von „Erinnern vor Ort“. Wir haben mit ihm über den Bedarf von historisch-politischer Bildung im ländlichen Raum gesprochen und ihn gefragt, warum die Auseinan- dersetzung mit Geschichte für Jugendliche (immer) wertvoll ist. Foto: Mandy Klötzer Seit wann gibt es das Projekt Die Themen Demokratie- und vor und was gab den Anstoß dazu? allem Kolonialgeschichte kommen David Gilles: Das Projekt gibt es seit De- in eurem Projekt hingegen nicht vor. zember 2020. Das Anne Frank Zentrum Warum? hat in der Vergangenheit bereits drei ähn- Die inhaltliche Kompetenz des Anne liche Projekte organisiert und daher viel Frank Zentrums liegt natürlich beim Na- Erfahrung in der Begleitung von lokalen tionalsozialismus und insbesondere bei Jugendgeschichtsprojekten im ländlichen der Geschichte des Holocausts. Metho- Raum. Von den Teilnehmenden dieser den der historischen Forschung und der Projekte kam der Wunsch nach einer grö- didaktischen Vermittlung lassen sich aber, ßeren Vernetzung und Stärkung. Nun ist wie gesagt, recht leicht auf andere The- der Rahmen mit deutlich mehr Initiativen menfelder übertragen. und einem deutschlandweiten Anspruch sehr viel größer gefasst als bisher. Ziel ist Für die Zukunft können wir uns gut vor- es, ein aktives und lebendiges Netzwerk stellen, den thematischen Rahmen aus- von lokalen Jugendgeschichtsprojekten im zuweiten. Eine Möglichkeit wäre, dass ländlichen Raum aufzubauen. wir uns auf die Geschichte des 20. Jahr- hunderts konzentrieren und den Schwer- Wie wollt ihr dieses Ziel erreichen? punkt auf die Themen „Verfolgung“ und Unsere Aufgabe ist eine Transferaufga- „Widerstand“ setzen, wobei der Schwer- be: herauszufinden, wer was gut kann, punkt bei NS-Geschichte bleiben soll. und zu vernetzen. Dafür haben wir eine David Gilles Hier könnte es für Jugendliche darum Online-Plattform entwickelt, in der sich gehen, mittels Biografien von Verfolgten die Projekte finden und austauschen kön- Gleichsetzung der „beiden deutschen oder Widerständigen – auch im Kontext nen. Außerdem bauen wir gerade eine Diktaturen“ sehen. Wenn es aber um Me- der Weimarer Republik oder des Koloni- digitale Deutschlandkarte der lokalen Ge- thoden der Forschung und Vermittlung alismus – eine kritische Auseinanderset- schichtsprojekte auf, um übersichtlich zu geht, ist auf praktischer Ebene vieles ähn- zung zu führen: Was können wir aus die- machen, wer wo an was arbeitet. lich. Bei der Arbeit mit Zeitzeug*innen sen Biografien lernen? oder der Frage, wie man Interviews führt, Daneben bieten wir für die Projekte insge- ist es egal, welche Geschichte das betrifft. Was kannst du über die Entstehung samt vier Fortbildungen und fortlaufende von Geschichtsprojekten im Beratungsleistungen an. Am Ende des Zudem hat sich gezeigt, dass es sehr tol- ländlichen Raum berichten? Projektjahres wollen wir noch ein großes le Initiativen gibt, die zu DDR-Geschichte Am Anfang stehen häufig Auseinan- Vernetzungstreffen veranstalten, wenn arbeiten, aber deutlich geringere struktu- dersetzungen um die Gedenkkultur. Die das Pandemiegeschehen das zulässt. relle Unterstützung erhalten als zum Bei- Denkmäler des Ersten und Zweiten Welt- spiel Projekte zur NS-Geschichte. Es gibt kriegs bilden noch heute einen Großteil Haben Sie sich gegenüber den viel weniger Förderangebote zu diesem der sichtbaren Erinnerungskultur im länd- alten Projekten auch inhaltlich Thema, auch weil sich insgesamt we- lichen Raum. Manche Leute reiben sich neu ausgerichtet? niger Institutionen mit DDR-Geschichte am Narrativ dieser Darstellungen und su- Ja. Es geht nicht mehr nur um NS-Ge- beschäftigen. Wir haben im vergangenen chen nach alternativen Zugängen. schichte, sondern auch um DDR-Ge- Jahr ein Fachforum zu Erinnerungsprojek- schichte. Wir haben diese Entscheidung ten im ländlichen Raum organisiert, bei Auch die Spurensuche im ländlichen Raum im Vorfeld kontrovers diskutiert, weil wir dem die Initiativen ihren riesigen Bedarf gibt Anstöße: Manche entdecken, dass ihr eine akute Gefahr in der scheinbaren an Austausch deutlich formuliert haben. Dorf in der Nähe eines ehemaligen Außen- 4 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
SCHWERPUNKTTHEMA Quelle: Anne Frank Zentrum https://www.annefrank.de/bildungsarbeit/projekte/erinnern-vor-ort/ lagers eines Konzentrationslagers liegt, was im lokalen Gedächtnis bisher nicht präsent ist. Wenn sie ein Erinnerungspro- jekt starten wollen, wird der Austausch mit anderen, die schon ähnliche Prozesse durchgemacht haben, sehr wichtig und hilfreich. Hier setzen wir mit dem Projekt „Erinnern vor Ort“ an. Im Projektverbund befinden sich zum Beispiel auch profes- sionelle Gedenkstätten und Bildungsein- richtungen, die mit ihrer jahrzehntelangen Erfahrung unheimlich wichtig für kleine Erinnerungsprojekte sein können, die sich noch am Anfang befinden. Der Bedarf von Geschichts- und Erinnerungsprojekten an Vernetzung und Unterstützung ist auf dem Land also größer als in der Stadt? Auf jeden Fall. Während in den Städten, vor allem hier in Berlin, große Geschichts- museen, Erinnerungsorte und Bildungsin- stitutionen angesiedelt sind, gibt es da- von im ländlichen Raum nur sehr wenige. Ohne diese Strukturen finden kleine Pro- jekte im ländlichen Raum, die oft nur von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen ge- Eine Karte bietet Übersicht und Informationen zu den Projekten von „Erinnern vor Ort“. stemmt werden, nur schwer Verbündete. » Best Practice: Spannende Geschichtsprojekte vor Ort Ein Projekt auf beiden Seiten der Neiße Zurzeit wird ein internationales, besonders deutsch-polnisches, Bildungsangebot für Jugendliche und junge Erwachsene zum Thema Stalag VIII A und lokale Geschichte (von 1939 bis heute) für die Gedenk- und Begegnungsstätte Europäisches Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur entwickelt. Besonders wichtig ist es für uns, ein angebotsreiches Bildungsprogramm zu schaffen. In dessen Rahmen soll nicht nur die Thematik des Kriegsgefan- genenlagers Stalag VIII A und der NS-Zeit, sondern auch die Geschichte der beiden Städte Görlitz und Zgorzelec nach 1945 sowie das jüdische Leben in Görlitz behandelt werden. Unser Ziel ist es, möglichst viele Schüler*innen sowie außerschulische Vertreter*innen aus der Regi- on mit der Thematik und mit Der Meetingpoint Music Messiaen e. V. hat es sich zur Aufgabe dem Ort bekannt zu machen. gemacht, die Geschichte der Schicksale der Gefangenen des ehe- Wir wollen das Bewusstsein maligen Kriegsgefangenenlagers Stalag VIII A auf beiden Seiten über das historische Erbe der der Neiße (Görlitz / Zgorzelec) gemeinsam mit der polnischen Region bei den Jugendlichen Stiftung Erinnerung, Bildung, Kultur ins öffentliche Bewusstsein und jungen Erwachsenen zu heben. Vor allem soll die Geschichte des Nationalsozialismus, verankern und die grenzüber- der Shoah und des Zweiten Weltkriegs jungen Menschen na- schreitende Zusammenarbeit hegebracht werden. Die gemeinschaftliche Betreibung mit der sowie den Aufbau von mehr polnischen Stiftung Pamięć, Edukacja, Kultura der deutsch-pol- Toleranz stärken. Dabei han- nischen Gedenkstätte und die Erforschung und Vermittlung der deln wir über die Grenzen und Geschichte des Ortes durch moderne Formate der kulturellen Schulsysteme hinaus. und historisch-politischen Bildung mit internationaler Ausrich- Autorin: Marta Wyspiańska, Gedenkstätten- und Bildungsreferentin tung und einem Fokus auf junge Menschen bilden den Kern der Arbeit des Meetingpoint Music Messiaen e. V. Link zum Projekt: ■ www.meetingpoint-music-messiaen.net Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021 5
SCHWERPUNKTTHEMA » Gibt es noch andere Gründe, warum nen Anknüpfungspunkte finden, wird es daktisch sehr versiert sind. Daneben gibt ihr euch auf den ländlichen Raum spannend. Dafür braucht es auch keine es Leute aus Archiven, die viel Geschichts- konzentriert? unmittelbaren biografischen Verknüpfun- und Forschungswissen mitbringen, aber Es gibt in den ländlichen Räumen so vie- gen zur Geschichte. Alle Jugendlichen sich fragen, wie sie junge Menschen zur le tolle und engagierte Menschen, die stellen sich ähnliche Alltagsfragen. Über Teilnahme motivieren können. Diese Leu- sich für ein demokratisches Miteinander Themen wie Ausgrenzung aufgrund von te zusammenzubringen und voneinander einsetzen. Diese zu unterstützen ist uns Herkunft, Aussehen oder Zugehörigkeit profitieren zu lassen, ist ein riesiger Ge- besonders wichtig. Das Engagement für kann man mit allen jungen Menschen ins winn. ■ Erinnerung und die Auseinandersetzung Gespräch kommen, ob in der Stadt oder mit der Geschichte vor Ort stärkt immer auf dem Land, ob mit oder ohne Migrati- Die Fragen stellte Henri Rösch. die Zivilgesellschaft und die demokrati- onsgeschichte. Er studiert Public History in Berlin und schen Strukturen in der Gegenwart. war bis Juli 2021 studentischer Mitar- Und wie gut ist euer Projekt beiter in der Geschäftsstelle von Ge- Was nehmen Jugendliche nachgefragt? gen Vergessen – Für Demokratie e. V. aus der Auseinandersetzung Sehr gut. Wir haben über 60 Bewerbun- mit Geschichte mit? gen bekommen, von denen wir nur 40 Für sie ist Geschichte immer dann inte- aufnehmen konnten. Die Menschen sind ressant, wenn sie eine Verbindung zwi- unheimlich motiviert und haben große schen ihrem Leben und der Geschichte Lust auf den Austausch. Schön ist auch, sehen. Wenn sie merken, dass sie aus dass ganz unterschiedliche Expertise zu- der Auseinandersetzung etwas für sich sammenkommt: Es gibt Teilnehmende, Link zum Projekt: selbst herausholen können und ihre eige- die aus der Sozialarbeit kommen und di- ■ www.annefrank.de/erinnern Best Practice: Spannende Geschichtsprojekte vor Ort Der „Erinnerungsort Badehaus“ – ein Ort des Betrachtens und Recherchierens durch Zeitzeugeninterviews, Filmprojektionen, Kunstinstallati- onen, Fotocollagen und Biografien der ehemaligen Bewohner. Im Buch „LebensBilder“ werden 34 Porträts jüdischer DPs vor- gestellt. Wichtig ist den Verantwortlichen, Jugendliche zu erreichen und diese besondere „Geschichte vor Ort“ erleb- und erfahr- bar zu machen. So zeigt der Dokumentarfilm „Von Zeit und Hoffnung“ der jungen „Badehäusler“ Interviews von sechs Zeitzeug*innen und deren Enkeln. Neben Führungsangebo- ten zu verschiedenen Themen ermöglicht ein Audioguide für Erwachsene und Jugendliche – konzipiert von Studierenden der Ludwig-Maximilians-Universität München – ein selbststän- diges Erkunden der Dauerausstellung. Mittels einer App der Schüler*innen des Gymna- siums Geretsried, die dafür Foto: Justine Bittner In dem Ort Föhrenwald / Waldram wechseln sich innerhalb von mit zwei Geschichtspreisen 20 Jahren drei historische Zeitschichten ab. Ab 1940 errichteten ausgezeichnet wurden, kön- die Nationalsozialisten im Wolfratshauser Forst eine Muster- nen Jugendliche ab 14 Jah- siedlung für die Arbeiter der benachbarten Rüstungsfabriken. ren fiktive Figuren der jewei- Gegen Kriegsende führte hier der KZ-Todesmarsch vorbei. Im ligen Zeitschicht durch den Oktober 1945 wurde Föhrenwald für zwölf Jahre zu einem La- Ort begleiten. Diese Erinne- ger für jüdische Displaced Persons (DP), die den Holocaust über- rungsarbeit fordert die Be- lebt hatten. 1956 / 57 siedelten sich katholische kinderreiche sucher*innen dazu auf, sich Heimatvertriebene an; der Ort wurde in Waldram umbenannt. aktiv zu beteiligen! Der „Erinnerungsort Badehaus“ bietet dem Besucher die Mög- lichkeit, diesen Spuren der Migrationsgeschichte zu folgen. In dem innovativen und informativ-modernen Museum präsen- Autorin: Eva Greif, Schulbeauftragte tieren zahlreiche Dokumente, Fotos und Exponate die histo- des Erinnerungsortes Badehaus rischen Zeitschichten. Ergänzt und vertieft wird der Einblick in Leben und Alltag von 1939 bis etwa 1960 unter anderem Link zum Projekt: ■ https://erinnerungsort-badehaus.de 6 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
SCHWERPUNKTTHEMA Noël Schepp Kolonialgeschichte und das Afrikanische Viertel Ein Multimedia-Rundgang durch Berlin-Wedding Die studentischen Mitarbeitenden der tischen Strukturen in der Bundesrepub- Der Weg führt uns weiter auf einem ru- Berliner Geschäftsstelle von Gegen Ver- lik, von afrodeutscher Kultur. All dies hat higen Pfad mitten durch eine gepflegte gessen – Für Demokratie e.V. trafen sich einen Bezug zu diesem Ort, den wir uns Kleingartenanlage. Sie trägt den Namen im August zur Erkundung der postkolo- mithilfe einer Internetseite, die Audio- „Dauer-Kleingartenverein Togo“ und führt nialen Geschichte des Afrikanischen Vier- und illustrierte Textbeiträge bereithält, zum Nachtigalplatz, benannt nach Gus- tels in Berlin-Wedding. Wir nutzten dafür auf eigene Faust erschließen wollen. tav Nachtigal. Dieser gilt als Begründer eine über das Internet nutzbare Multime- der deutschen Kolonien in Afrika und war dia-Karte (siehe Link auf Seite 8). In die- Im ersten Audiobeitrag, nur ein paar Me- dort ab 1884 als Reichskommissar für sem Erfahrungsbericht halten wir unsere ter weiter in der Otawistraße, erklärt der „Deutsch-Westafrika“ (Kamerun, Togo) ad- Eindrücke über die digitale Vermittlung Projektkoordinator Yonas Endrias, dass das ministrativ für die Besetzung von Flächen der Geschichte vor Ort fest: Afrikanische Viertel zu einem Lern- und Er- zuständig. innerungsort des deutschen Kolonialismus Ortstermin in Berlin-Wedding, der Treff- sowie des Unabhängigkeitsbestrebens af- Die durch diese Kreuzung laufende Pe- punkt ist an der U-Bahnstation „Rehber- rikanischer Staaten werden soll. Das Vier- tersallee wurde ebenfalls nach einer füh- ge“ im Afrikanischen Viertel. An einem tel wurde im späten deutschen Kaiserreich renden kolonialen Figur benannt, wie wir schwülwarmen Nachmittag – die Regen- erbaut, seine Straßen und Plätze benannte im Audiobeitrag erfahren: Carl Peters war wolken haben sich gerade verzogen – man nach bestimmten Menschen und Or- 1885 der Begründer der Kolonie „Deutsch- fällt uns nach dem Treppensteigen am ten: Sie sollten an den imperialen Willen Ostafrika“ (im heutigen Tansania, Burundi U-Bahn-Ausgang in der Otawistraße eine der europäischen Großmächte erinnern, und Ruanda). Peters, auch als „Hängepe- große Informationstafel ins Auge, welche „den Platz an der Sonne“ zu ergattern. ters“ oder in Tansania als „blutige Hand“ die komplexe Geschichte des Viertels the- Mit einiger Neugier, dieses große Flächen- bezeichnet, misshandelte Menschen be- matisiert. Es ist die Rede vom deutschen denkmal zu erkunden, machen wir uns vorzugt mit seiner Nilpferdpeitsche, wur- Kolonialismus, von fortwährenden rassis- auf zur nächsten Station. de wegen zahlreicher Verbrechen erst aus dem Amt als Staatsdiener entlassen und Mit Forderung bemalter Schachtdeckel im Afrikanischen Viertel. anschließend von den Nationalsozialisten Foto: Alina Schulenkorf rehabilitiert. In den 1980er Jahren be- schloss man jedoch, die nach ihm benann- te Allee umzuwidmen. Da man sich nicht darauf einigen konnte, Personen aus der afrikanischen Widerstandsbewegung als neue Namensgeber zu wählen, wurde die Petersallee kurzerhand per Zusatzschild dem ehemaligen Berliner Stadtverordne- ten Hans Peters gewidmet. Umkämpfte Straßennamen Das Afrikanische Viertel ist ein Ort der Gegensätze: Diese nach „Männern der Kolonialisierung“ benannten Straßenna- men sind politisch momentan höchst um- kämpft. Anwohnende und konservative Parteien fordern die Beibehaltung oder die bereits beschriebene Umwidmung von Straßennamen; Aktivist:innen sind vehement dagegen und fordern die Um- benennung zum Beispiel nach antikoloni- » Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021 7
SCHWERPUNKTTHEMA Foto: Alina Schulenkorf » alen Widerständler:innen und Vorbildern aus der Schwarzen Community. Und ob- wohl die Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Mitte die Umbenennungen bereits 2017 beschlossen hat, sind dort wegen anhängiger Klagen immer noch die alten Bezeichnungen zu sehen, wenn sie nicht gerade von Aktivist:innen mit Farbe über- malt worden sind. Weiter führt uns die Route durch ehema- lige Sozialbauten in schlichter Zwischen- kriegsarchitektur zur Swakopmunder Straße, benannt nach einer Küstenstadt in Namibia, wie ein Textbeitrag verrät. Diese galt als wichtigster Hafen der ehe- Übermalte Straßenschilder in Berlin-Wedding maligen Kolonie „Deutsch-Südwestaf- rika“. Hier wurde nach einem Aufstand trag über einen Briefwechsel zwischen gen zu den immer noch aktuellen Tren- der lokalen Bevölkerung gegen die dem Nama-Vertreter Hendrik Witboi und nungswelten der deutschen postkolonia- deutsche Fremdherrschaft im Jahr 1904 dem Kolonialgouverneur von Deutsch- len Gesellschaft geschlagen. eines der ersten „Konzentrationslager“ Südwestafrika, Theodor Leutwein, aus errichtet. In den folgenden vier Jahren dem Jahre 1894. Darin droht der deutsche Lernen im Gehen töteten die deutschen Kolonisatoren im Kolonialvertreter unverhohlen dem mit Vernichtungskrieg gegen die Bevölke- dem Mute der Verzweiflung schreiben- Die Zeit vergeht während des Rundgangs rungsgruppen der Herero und Nama circa den Nama-Vertreter mit der militärischen regelrecht im Flug. Wir sind bereits ob 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Niederschlagung jedes Akts der Selbstbe- des Lesens und Lauschens der vielen Fak- Nama. Der Genozid gilt als der erste des hauptung. ten und des Verarbeitens verschiedener 20. Jahrhunderts. historischer (Selbst-) Zeugnisse nach der Als letzte Station hören wir uns in der Hälfte der 20 Stationen am Ende unserer Die gegensätzlichen Eindrücke begleiten Togostraße eine Vertonung des Gedichts Aufnahmefähigkeit. Nach zweieinhalb uns den ganzen Weg entlang: Während „blues in schwarz weiß“ der afrodeut Stunden ziehen wir am frühen Abend wir durch beschaulich-grüne Wohngegen- schen Dichterin May Ayim aus dem Jahr daher ein durchweg positives Fazit: Die- den laufen, lauschen wir einem Audiobei- 1995 an. Hier wird eindrücklich der Bo- se von der eigenständigen Erkundung der Geschichte vor Ort geprägte Art des Stele im Afrikanischen Viertel (südl. Tafelseite) an der Ottawistraße Ecke Müllerstraße in Berlin-Wedding. Stadtrundgangs ist grundsätzlich sehr zu empfehlen. Zudem ist das Lernen im Ge- Miriam Guterland 2013 / Wikimedia, Creative Commons, CC BY-SA 3.0 hen für viele sicherlich eine willkommene Abwechslung zu Veranstaltungen in In- nenräumen. Zwar muss dabei die techni- sche Komponente mit mobilem Endgerät, Kopfhörern und Datenvolumen bedacht werden, dann steht Geschichtsinteres- sierten jedoch nichts mehr im Wege. Dass keine konkrete Route vorgegeben wurde (wie bei vielen anderen Alternativen), ge- fiel uns besonders, da wir uns somit einen eigenen Weg und thematische Schwer- punkte suchen konnten. Der Rundgang bietet somit die Möglichkeit, sich niedrig- schwellig und ungezwungen über die be- wegte Vergangenheit und Gegenwart des Afrikanischen Viertels zu informieren. ■ Noël Schepp ist studentischer Mitarbeiter in der Geschäftsstelle von Gegen Ver- gessen – Für Demokratie e.V. und studiert im Master „Gender, Intersektionalität und Politik“ an der Freien Universität Berlin. Lesen Sie zum Thema koloniales Erbe auch den Meinungsbeitrag von Noël Schepp (Seite 28) und die Sammelrezension Zur Multimedia-Karte: von Ernst-Jürgen Walberg (Seite 42). ■ http://www.3plusx.de/leo-site/ 8 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
SCHWERPUNKTTHEMA Corinna Koselleck Die Arbeiterstadt Solingen: 360-Grad-Rundgang des Max-Leven-Zentrums Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich mir die Ausstellung des Max-Leven-Zentrums in Solingen angesehen habe: Denn direkt aus den Wolken geht es in dem digitalen Rundgang zur ersten Station in die Birkerstraße. Der 360-Grad- Rundgang durch die „Arbeiterstadt Solingen“ ist Anfang Dezember 2020 online gegangen – als erste Ausstellung des Max-Leven-Zentrums. Solingen als sozialdemokratische Hochburg vor dem Ersten Weltkrieg und kommunistische in der Weimarer Zeit sowie Heimat vieler durch die Nationalsozialisten verfolgter Oppositioneller bietet zahlreiche Geschich- ten, von denen ich in der Ausstellung einen Teil entdecken konnte. Screenshot: Excit3D GmbH Nach dem Fall wurde ich anhand der zen- tralen Gebäude der Arbeiterbewegung di- rekt auf einen Rundgang durch die Stadt Solingen mitgenommen. Begleitet durch Stimmen von Schülern und Schülerinnen des Humboldtgymnasiums Solingen stand ich direkt vor dem Gebäude des Spar- und Bauvereins Solingen und des Sozialdemo- kratischen Vereins. Oder eher vor dessen Umrissen. Denn einige Häuser, die in der roten Stadt eine Rolle gespielt haben, exis- tieren schon nicht mehr. Aber auch das hat in die Erstellung dieses Rundganges hineingespielt, denn er dient unter an- derem zur Erhaltung von Gebäuden, die einst Funktionen in der Arbeiterbewegung hatten, Redaktionen beherbergten oder unter den Nationalsozialisten Treffpunkt politisch Verfolgter waren. Es wird ein gro- 360-Grad-Rundgang des Max-Leven-Zentrums. Zu sehen ist die ehemalige Wohnung der Familie von Max Leven. ßes Sparkassengebäude entstehen, das Der Kaufmann und Kulturkritiker wurde in der Reichspogromnacht 1939 in seiner Wohnung erschossen. ab 2023 auch dem Max-Leven-Zentrum Räumlichkeiten geben wird, damit die geszeitung über Politik, Kunst und Kultur, Die kombinierte Struktur aus 360-Grad- Stadt, die noch 1929 einen kommunis- wurde virtuell rekonstruiert. Technik, Bildern, Texten, Stimmen und der tischen Bürgermeister wählte, eine Bil- Rekonstruktion der Redaktion machen dungs- und Gedenkstätte bekommt. Wer war Max Leven? das Kennenlernen der Solinger Arbeiter- stadt deutlich aufregender, als wenn man Anhand einiger historischer Gebäude Aber wer war eigentlich Max Leven, nach sich nur eine Website durchlesen würde. und der Umrisse von weiteren konnte ich dem die Gedenkstätte benannt ist? Max im Rundgang einen Einblick in die bunte Levy, genannt Leven, war ein jüdischer Daniela Tobias ist Vorsitzende des aus Hochburg der Kommunisten, Sozialisten Einwohner der Stadt Solingen, der für die dem Arbeitskreis „Verfolgung und Wi- und Sozialdemokraten erhalten, in der „Bergische Arbeiterstimme“ Rezensionen derstand in Solingen 1933 – 1945“ her- die verschiedenen Lager auch miteinan- schrieb. Er war verheiratet und hatte drei vorgegangenen Vereins „Max-Leven-Zen- der konkurrierten. An jeder Station wird Kinder. In der Pogromnacht 1938 wurde trum Solingen e. V.“. Sie freut sich: „Die etwas erzählt, außerdem kann man sich er von NSDAP-Mitgliedern erschossen. unkomplizierte Zusammenarbeit mit der kleine Beschreibungen durchlesen und Neben seiner Tätigkeit als Kulturkritiker Firma Excit3D hat uns sehr geholfen, das historische Ansichten des Ortes anschau- war der gelernte Kaufmann für verschie- Projekt so schnell zu entwickeln.“ Darü- en. Wer noch mehr lesen will, findet in der dene Unternehmen tätig, um seinen Le- ber hinaus berichtet sie über den Prozess Ausstellung auch ausführlichere Texte des bensunterhalt zu verdienen. Die jüdische des Entstehens: „Etwas länger hat die Max-Leven-Zentrums. Besonders schön ist Gemeinde verließ er 1919 aufgrund sei- inhaltliche Recherche gebraucht. Obwohl eine Station am Ende: Die Redaktion der ner religionskritischen, kommunistischen wir auf verschiedene Veröffentlichungen „Bergischen Arbeiterstimme“, das „Organ Haltung, trat ihr aber wieder bei, als 1933 aufbauen konnten, haben mein Kolle- für das arbeitende Volk Solingen“, eine Ta- die Judenverfolgung begann. ge Armin Schulte und ich gemerkt, dass » Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021 9
ie Gesellschaft in Vielfalt SCHWERPUNKTTHEMA Gesellschaft in Vielfalt Screenshot: Excit3D GmbH s c h ic h te ist überall! ge Demokratie , an welche d emo- h t d ie F ra g e Im Fokus ste nregungen ra ti e g e sc h ic hte vor Ort. n n e n. E s w e rden Ideen, A r Demok hließen kö er lokalen Workshop zu ir vor Ort ansc Grundlage d INHALT Ein und Tra d itio n e n w schichte ve rm itte lt. A u f rinnerungen emokratiege en werden. kratischen E k a le n S u ch e n a ch D D e m o k ra tie angestoß te zur lo r d!ie heuti g e und Konzep uissstioünb eneürbaell ktische g e skcö hn ic n e nh Dt e is k o d ische und pra DemoSkpruatie n su ch e + m eth re ichte vor Ort e dem o- be vor Ort n g fü r D e m okratiegesch ge, ao nkwraetilcehund Teilha A si b il en„Bergischenis ie ru sest t ehhic d ie Foran D e m hte v haben. Die RäumeAn envon Fotos INund en undrekonstruiert. So könnte dieIE LE Sder Z Redaktion Arbeiterstimme“ rt . Im g Fdoeinu kr G sc Solingen ausgesehen n , re wurdeng u n g anhand HAanderen LT E R 4 W – 7 Z e itstvirtuell Archivalien lluhnicghzutervEork r uOndun en Idee enFachkräfteWelche pä DAU ie zeigen sich zu r D e m o kraH ti il egsteesc fe h li e ß e n k ö nnen. Es werd e ; p ä d a gr giskch olo a le d a antisemitis che E rksho p » noch einige Wissenslücken wir v o r O rt a zu n sc füllen wa- Die Pte erste a b 0 . K „normale“ 1 E lt. Auf Gru la ss n d la ge d e Ausstellung des Max- N Z A H L der 1 – 2 Präsenzausstellung g Die Fortbiln und die Meth o g is c überh e die n Had oWebsite nednlungsstr T ra d itio n e n o p Z IE L Gv R e UPit rm E F E R E N T *I NNECo- ff e d erungen und eschichte L mind. 6 –omßaex.n 2w5erd R en. fgegri ung unters a tegi ren, die bisher FhODReM wenig Work egsh Aufmerksamkeit mAoTkratihaben.“ in Hratie rona Leven-Zentrums e st musste leider wegen ichtehier hauch können A des Zentrums auntisemitis anmelden. tützt Sie u S der u c h e n a c Forschung erfahren R *I N N E N Zo Ak a n g digital stattfinden. e r L o k a lg e Aber sc m u s n d Ih r Koll ur lokalen üTbEeILrNdEieHhMeEutige Dem E IS K o n rete Asich khatte kte d spedas Zentrum eine h e Alternative Corona zwingt uns zu im pädago Behelfslösungen,gischen RaINHA ion e n HIN DERERAnknüpfungs- W sc n. d prakti lebendiger zu aber um. L nnen Diskuss Bislang hatte BESich ONwenige u frta u+sgm thte ch erieüberlegt, wceh odt is rdeeunAusstellung die ZIEgenau LE Sdas ensib istilisder Rundgang des unte ie p shicohte s d vaora r O ru n g rsc etiseW h rkZusammenhalt geosc haberNichtvor auf Ort einmal,e e.V.,sondern Antisemitis Berlin je- Max-Leven-Zentrums Solingenfünicht.r AntisEr emitnis punkte ozu r D e m k lisierung füKonflikten inheinem dLeben, ra okranwie und ti e u n d gestalten: T e il D e m o k ra ti – Fü wurde ein weiterer Teil der m u sA bne itJiusgeeEinblick mdliicthiesund icmh tuasls+ e sc ic h te so n DemMilieu voengen G e g e Vergeden ssenSamstag IN H A L T – 7 Z e it st u n den bietet einen faszinierenden n nmu P s ot g der G N TIO Zeit. Deshalb im Mai 2021 AUER 4WieAusstellung zeigen sich istFOauch e ur Erkundunder Arbeiterschaft INSTITUdieser c h e„… FachkräfteWD fertiggestellten e RMAals aGenerationen n ti ortbildung für kommendeDa nzial T FBewahrung ä d a g o g is lc h e p ä dagogisch T E s e m ILNEHis it Z IE L G RUPPE b e war es spannend fürKmich, sse; p mir den Rund- und laut zu 1D–2 sagen: Nein!“ veröffent- Mche Ein wichtig. is PE ab 10. la ■ p Z IE L G RUPanzuschauen. gang Allerdings F E R E N birgt T * ein ENZund INNlicht AHLgab ie FEinblicke so o rt b il e n d u in n died d ie Meenth Strategi- Hoad nednlungsstr ER*INNsEteNllZuAnHgLenmbei Jruungpgäsdagpoige ksh o R E egri ff ung unters a tegien gib in d e ne A Hvirtueller . 6 – max. 25 auch die eMög- L mindStadtrundgang sc hichte nnen A en,köFormen ufgBedingungen aund ntisemitis des Solin- tütztIN SieSTuITnU T t es? Was is. 10 – mdrafliaxch.h2r * IN N E N Z r L o k a lg m u d IO Ih r NK B Z t in k IELE onkre lichkeit, n k re te Azu sich ekte de wie ich :einmal ger Widerstandes. spverlaufen, Aktuell kann s im man päsich dagogisch ollegiliu dum ngbsestäi dtteer A E IS K o e e n n kein E n twe FranWka, Fr R HINW ch an ni ck Raum. te icklu Si e si W un feststellen musste. wtteerd t Bi wenende. n r Demokratie V. I Ru e. für th ZIE Themenführungen)30L26 E3 97 83jeden Sonntag in n+ nghrv sgerichte Sensibilisie DEMOKRATIE IST WICHTIG. PUN sen – Fü l.: +49 (0 ps darauf au Gegen Verges aß e 13-14 I 10., 785 Berlin I Te B e rl in A ergenti ss en se .de m rung für An stru ktur mp tisemVergessen E Corinna Koselleck nb e er m gs Stauffe studiert o tr k ra e.V tierges sen.de I ww Rechtswissenschaft w.geg en an -v der itismusBochum Ruhr-Universität b ei und Gegen itismus + e n n – Fü r D n-ve J Entwicklun ugen d FÜR DEMOKRATIE erg e ss e ni cke@ ge ge hen lic g von Han N Gegen Vwar vorher Freiwillige im FSJ Kultur an der Villa ten Hompel w un F in Münster. FORMAT F O R MAT dlung ortbildung T TEILNEHM ZIELGRUP E ILNE Works Informationen für Mitglieder, Freunde und Förderer von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. ER*INNEN Bitte weP E p äd a g gische F HME h ZAHLGeg Bildungsangebote ndfür meninVedrg en Sie sichoaGesellschaft eine a c h in Vielfalt R * I www.gegen-vergessen.de . 1es0se–n m n : INkräfte NN INSTITUT ION Bild Stauffenb – Fü 24okrRatEieFe.ER STITUDTAUER 7 Ze arxD.em ergstraße V. E I RN T*WINunN ION ungsstä nicEkeNZAHL wutt 13-14 I 1078 uth nneicke@ge Al AnnegeFra 5 Berlin I Te ie sich an: 0 263 97 83te ni cke n-vner l.: +49 (0)3 tie e. V. I Ru th W un k, Fra.dnekIfu ge ss en ww ok ra 3 97 83 rtw a .g.M. ergessen.de DEMOKRATIE IST WICHTIG. PUNKT! r D em 0 26 ege n n – Fü +49 (0)3 -v 1078 5 Berlin I Tel.: en.de B itte raße 13-14 I egen-vergess wen n-ve rges se n.de I www.g Geg en den S ge Stau Verges ie sich a ffen sen n: wun be –F nick rgstraß ür Dem e@g e o egen 13-14 I krat te wenden Bit -ver 1078 gess 5B Bildungsangebote Gegen fürSieeine sich aGesellschaft n: in Vielfalt en.d eIw Vergessen Stauffenb – Für Dem ergstraße okratie e. 13-14 I 107 V. I Ruth W wunnicke 85 Berlin I unnicke @gegen-v Tel.: +49 (0 ergessen.d )30 263 97 e I www.g 83 egen-verg essen.de www.gegen-vergessen.de 10 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
SCHWERPUNKTTHEMA Interview „Schulbücher sind ein Spiegel der Gesellschaft“ Riem Spielhaus ist Professorin für Islamwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen und leitet die Abteilung „Wissen im Umbruch“ des Georg-Eckert-Instituts (GEI). Steffen Sammler ist promovierter Historiker und forscht in der Abteilung „Wissen im Umbruch“ zur Geschichte der internationalen Schulbuchgespräche. Im Interview geben sie uns Auskunft über ihre Forschungen. Foto: GEI Foto: GEI schulbücher im Mittelpunkt, später ka- men Geografie, politische Bildung und Werteerziehung/Religion hinzu. Die In- haltsanalyse wurde erweitert und wird heute mit dem Anspruch betrieben, parti- zipativ zu arbeiten. Ein Beispiel dafür sind das deutsch-polnische Geschichtsbuch „Europa – unsere Geschichte“ und das europaweite Projekt zur Analyse der Dar- stellung von Roma in Schulbüchern und Lehrplänen aus 22 Staaten. Dabei konn- ten die unterschiedlichen Wahrnehmun- gen nur gemeinsam mit Forschenden der Roma-Communities in die Betrachtung einbezogen werden. Viele junge Menschen kommen in erster Linie im Unterricht mit Geschichte in Berührung. Was bietet die Untersuchung von Schulbüchern? Riem Spielhaus: Schulbücher sind Mani- Steffen Sammler festationen der Geschichtsschreibung – Riem Spielhaus und zwar von einer sehr massenwirksa- Herr Sammler, Sie untersuchen die men. Ein gutes Geschichtsbuch kann an derer wichtiger Punkt ist, dass auch die Geschichte des GEI. Welche Aufga- die Generationen wirklich hautnah heran- zugrundeliegenden Weltanschauungen, ben hat das Institut? Haben sie sich kommen und Millionen von Schüler:innen Denkmuster und Ideologien behandelt seit der Gründung geändert? erreichen. Deshalb sind Geschichtsbücher werden. Das lässt sich an der Behandlung Steffen Sammler: Das GEI wurde 1975 auch so interessant für die Forschung. Wir des Nationalsozialismus verdeutlichen. als eigenständiges Forschungsinstitut mit untersuchen Bildungsmedien nicht nur im Themen wie der Holocaust können heute der Aufgabenstellung gegründet, durch Hinblick auf ihre didaktische Wirksamkeit, in guten Schulbüchern auch in ihrem pro- anwendungsbezogene Forschung zur sondern als Reflexion gesellschaftlicher zesshaften Charakter der systematischen Erarbeitung von Schulbüchern für eine Diskurse. Schulbücher sind daher so etwas Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung friedens- und kooperationsfähige Ge- wie ein Spiegel der Gesellschaft. und Vernichtung behandelt werden. Das sellschaft der Zukunft beizutragen. Da- war nicht immer so. Die Aufgabe, die für sollten Schulbücher auf Feindbilder Schauen wir in diesen Spiegel. genannten Phänomene nicht nur als Ein- und Stereotype hin analysiert werden. Es Was zeichnet Geschichtsbücher in zelphänomene zu behandeln, bleibt eine standen also Inhaltsanalysen im Mittel- der Behandlung von Nationalsozia- Herausforderung. Wie kann man sehr un- punkt der Arbeit. Dieser Auftrag wurde lismus, Kolonialismus und DDR- terschiedliche Diktaturen behandeln so- um Forschungen zu Aneignung und Pro- Geschichte aus? Haben sie sich wie deren Opfergruppen und Widerstand duktion der Schulbuchinhalte erweitert. gewandelt? Was kommt zu kurz? würdigen? Und das in einem Lehrplan, in Darüber hinaus hat sich das GEI sowohl Steffen Sammler: Geändert hat sich das dem zwar der Stoff, aber nicht die Stun- institutionell, durch die Mitgliedschaft in Selbstverständnis, dass Geschichte aus denzahl zunimmt? der Leibniz-Gemeinschaft seit 2011, als Quellen (multiperspektivisch) rekonstruiert auch methodisch stark verändert. Es ist wird. Es werden nicht länger einfache, sta- Riem Spielhaus: Aus Sicht von Ostdeut- in vielfacher Hinsicht diverser geworden, tische „Wahrheiten“ vermittelt und stur schen mag die DDR-Geschichte immer was Geschlecht, Herkunft und den diszip- auswendig gelernt, sondern es wird deut- noch zu kurz kommen. Ich würde mir linären Hintergrund seiner Forscher:innen lich gemacht, dass Geschichte einen Re- wünschen, dass sie als Querschnitts- angeht. Zunächst standen Geschichts- konstruktionsprozess beinhaltet. Ein an- thema aufgegriffen und nicht nur als » Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021 11
SCHWERPUNKTTHEMA Screeshot:zwischentöne.info Die Website zwischentöne.info bietet zahlreiche Unterrichtsmodule zum Download an. »Vorgeschichte der Wiedervereinigung be- Es scheint also noch Leerstellen zu Was leisten diese Konzepte? Wie handelt wird. Da geht Potenzial verloren. geben. In Ihrem Projekt „Geschichten versuchen Sie auf die gemeinsam Die Kolonialgeschichte ist in den vergange- in Bewegung“ bieten Sie digitale identifizierten Leerstellen in nen Jahren verstärkt in den Blickpunkt der Materialien „für Vielfalt im Klassen- Schulbüchern einzugehen? Schulbuchforschung geraten. Lars Müller zimmer“ an. Wie kam das Projekt Riem Spielhaus: Wir versuchen Antwor- hat beispielsweise afrikabezogenes Schul- zustande? ten auf die formulierten Bedarfe zu ge- buchwissen der Jahre 1945 bis 1995 im Riem Spielhaus: Das Projekt hat seinen ben. Wobei Antworten vielleicht das Ost-West-Vergleich untersucht und Patrick Ursprung in der Debatte, die nach dem falsche Wort ist. Die Konzepte regen zur Mielke hat beobachtet, inwiefern koloni- Sommer 2015 angestoßen wurde. Da- Reflexion des gesellschaftlichen Wandels alrassistische Imaginationen im aktuellen mals war die Frage: Inwiefern wandelt an. Das Einstiegsmodul „Geschichte(n) Geschichtsunterricht eine Rolle spielen. Hier sich unsere Gesellschaft im Kontext von der deutschen Migrationsgesellschaft“ ist herausgekommen, dass sich sowohl Migration? Und inwieweit betrifft dieser eröffnet das Thema Einwanderung, er- bezüglich der Bilder und Vorstellungen Wandel das Sprechen über Geschichte? möglicht einen Zugang zu aktuellen und „Afrikas“ als auch in der Darstellung von Wir fragten in diesem Projekt danach, vergangenen Kontroversen und fördert Kolonialismus allmählich etwas verändert. welche Herausforderungen und Bedar- die eigene Positionierung. Den beim fe die Praktiker:innen sehen. Welche Thema Kolonialherrschaft identifizier- Reichen diese Veränderungen aus, um Veränderungen stellen sie fest? Welche ten Leerstellen widmet sich das Modul die Gesellschaft adäquat abzubilden? Impulse kommen aus non-formalen Ge- „Postkolonial Erinnern“. Den Blick der Riem Spielhaus: Es zeigt sich, dass Kolo- schichtsinitiativen und von Menschen, Schüler:innen auf den Ersten Weltkrieg nialismus im Kontext von Imperialismus die sich in unterschiedlichen Kontexten um eine globale Perspektive zu erwei- behandelt und auch Rassismus als Struk- historischen Lernens wie Schule, Muse- tern, hilft das Modul „Dschihad made turelement und Legitimationsmuster von en und Gedenkstätten verankert fühlen? in Germany“. Wie hat die deutsche Re- Kolonialismus in seiner Funktion themati- Uns ging es dann darum, gemeinsam mit gierung versucht, muslimische Kriegsge- siert wird. Das ist übrigens einer der we- Praktiker:innen didaktische Ansätze und fangene für die Strategie des „Heiligen nigen Orte innerhalb von Schulbüchern, Materialien zu entwickeln. Die Koopera- Kriegs“ gegen die gegnerischen Kolo- wo Rassismus überhaupt Thema ist! Ko- tionspartner des Projekts an der FU Berlin nialmächte zu aktivieren? – Die erste lonialismus wird aber nach wie vor selten und der Universitäten in Hildesheim und Form deutscher Islampolitik, wenn man eigenständig, sondern als Vorgeschichte Paderborn haben dafür bundesweit Lehr- so möchte. Das Modul „Schuld und Ver- des Ersten Weltkriegs und Teilaspekt der kräfte, Akteure aus Museen und Gedenk- antwortung“ bezieht sich auf vielfältige Außenpolitik des Kaiserreichs behandelt. stätten, Bildungs- und Geschichtsinitiati- Debatten zum Thema Holocaust in der Schulbücher bemühen sich hier dann ven und Bildungsmedienverlage befragt. postmigrantischen Gesellschaft. Fragen zwar, auf koloniale Sprache zu verzich- Dann wurden in drei Praxiswerkstätten nach Schuld und Verantwortung werden ten, aber das gelingt nicht durchgängig. Fragen formuliert sowie Ergebnisse und somit in einer neuen Weise aufgeworfen. Die Schulbuchforschung hat nun die Auf- Impulse diskutiert. So entstanden unter Zur Vor- und Nachbereitung von Gedenk- gabe, zu untersuchen, inwiefern Diskurse anderem die fünf mittlerweile auf zwi- stättenbesuchen eignet sich unser Modul und rassistische Stereotypen in Schulbü- schentöne.info veröffentlichten Konzepte „Bedeutung und Wirkung von NS-Ge- chern reproduziert werden. für den Unterricht. denkstätten“. Wir haben noch einige Er- 12 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
SCHWERPUNKTTHEMA weiterungen im Hinterkopf, die Lehrkräf- terrichtsstunde dauert 45 Minuten. Die würde mir wünschen, mit unseren Ma- te dabei unterstützen sollen, vielfältigere Aufmerksamkeit ist begrenzt. terialien gerade die jüngeren Jahrgän- Migrationsgeschichten für den Unterricht ge, Haupt- und Realschüler:innen, viel zugänglich zu machen. Zum Beispiel die Dass in Schulbüchern Diversität wich- besser zu adressieren. Das ist eine echte Geschichte chilenischer oder vietnamesi- tig ist, leuchtet ein. Apropos: Wer Kunst! Hier sind wir immer für Anregun- scher Geflüchteter sowie mosambikani- schreibt eigentlich Schulbücher? gen und Ideen aus der Praxis dankbar – scher Arbeitsmigrant:innen in der DDR Riem Spielhaus: Wir haben festgestellt, gerne auch von Ihren Mitgliedern. ■ und der Bundesrepublik. Diese Migrati- dass die Schulbuchverlage immer noch onsgeschichten sind kaum bekannt, ver- wenige Personen mit Migrationshinter- Die Fragen stellte Thomas Stein. deutlichen aber, dass Migration kein rein grund beschäftigen. Das erkennen auch westdeutsches Phänomen ist und immer die Verlage selbst und sagen, dass sie mehr schon ein Teil dieser Gesellschaft war. Diversität anstreben. Allerdings zeigt sich auch unter Lehrenden und in der Studie- Nützliche Links: Es geht also darum, mehr migranti- rendenschaft für Lehramtsstudiengänge, ■ http://www.gei.de/home.html sche Perspektiven aufzugreifen und also dem Rekrutierungspool der Verlage, ■ http://www.gei.de/abteilungen/wissen- zu repräsentieren? ein deutlich geringerer Anteil an Men- im-umbruch.html Riem Spielhaus: Aus meiner Sicht ist es schen mit Migrationserfahrung oder -hin- ■ https://www.zwischentoene.info/ nicht das Wichtigste, ein paar mehr mi- tergrund als in der Gesamtgesellschaft. themen.html grantische Perspektiven zu geben. Viel- Es ist also weder bei Lehrenden noch ■ https://geschichten-in-bewegung. mehr geht es darum zu reflektieren, was unter Schulbuchautor:innen mittelfristig hosting.uni-hildesheim.de Geschichtsunterricht und historisches eine automatische Angleichung abseh- ■ https://docupedia.de/zg/Schulbuecher Lernen in der pluralen Gesellschaft hei- bar. Deshalb bedarf es neben der aktiven ßen kann und soll. Wichtig ist es, unter- Suche nach vielfältigen Autor:innen ide- schiedliche Blickwinkel und Perspektiven enreicher Formen der Schulbuchgestal- anzusprechen und einzubeziehen – und tung. Möglich wäre es, vermehrt externe so den Umgang mit konkurrierenden Expert:innen mit Migrationshintergrund, Narrativen der Vergangenheit thema- zum Beispiel aus Geschichtsinitiativen, als tisch aufzugreifen. Allein schon, um auf Gutachter:innen zu beteiligen. Ein weite- die Diversität der Schüler:innenschaft, rer Weg sind Fortbildungen und Work- deren Bedürfnisse und Neugier einzu- shops für Bildungsmacher:innen. Unserer gehen. Unabhängig von der Zusammen- Erfahrung nach sind Verlage hier generell setzung der Schüler:innenschaft muss sehr offen für Diskussionen, Reflexion Rassismus in der deutschen Geschichte und Impulse. behandelt werden. Das ist weitgehend eine große Leerstelle, die stärker aufbe- Am Schluss noch einmal zurück zu reitet gehört! Außerdem sollte deutsche „Zwischentöne“: Wer nutzt die Mo- Geschichte über Deutschland hinweg dule in der Praxis? Und wie fällt das thematisiert werden. Als Beispiel sei die erste Feedback aus? Geschichte der Sinti:zze und Rom:nja Riem Spielhaus: Die Materialien auf der im Nationalsozialismus und darüber hi- digitalen Lehr- und Lernplattform sind naus genannt, die die Kontinuitäten nicht nur für den Geschichtsunterricht, rassistischen Gedankenguts gegenüber sondern auch für den Politik-, Religions- einer konstruierten Gruppe sehr gut und Ethikunterricht gedacht. Das Spekt- Das Georg-Eckert-Institut – Leibniz- verdeutlicht. Es geht hier auch nicht rum ist generell groß und nicht nur auf die Institut für internationale Schulbuch- um Einwanderungsgeschichte! Sinti:zze innerschulische Verwendung begrenzt. forschung (GEI) ist eine außeruniver- und Rom:nja sind seit rund 500 Jahren Unser Ziel ist es, dass Menschen in allen sitäre wissenschaftliche Einrichtung zur in Europa ansässig. Stattdessen geht es erdenklichen Kontexten Impulse aus un- Erforschung schulischer Bildungsme- um Diversität und deren Normalität, die seren Materialien mitnehmen. Was das dien. Mit derzeit rund 180.000 Print- zu Deutschland vor dem Nationalsozia- Feedback angeht: Im Rahmen von Schu- und Onlinemedien verfügt es über die lismus gehörte und vernichtet wurde. lungen und Fortbildungen für Lehrkräfte weltweit größte Schulbuchsammlung Hier gäbe es viele persönliche, Empathie bekommen wir regelmäßig Rückmel- für die Fächer Geschichte, Geografie, ermöglichende Geschichten zu erzäh- dungen. Wir stellen dann auch mal das Sozialkunde / Politik und Werteerzie- len. Dafür braucht es allerdings auch Material wie im Unterricht vor. Hier zeigt hung / Religion. Das GEI berät Bildungs- Lehrkräfte, die Initiative zeigen und an- sich, dass es für uns eine Herausforde- politik und -praxis und koordiniert in gesichts dichter Lehrpläne Platz im Un- rung ist, sehr komplexe Sachverhalte internationalen Schulbuchangelegen- terricht schaffen. Hier zeigt sich die He- für alle gut verständlich zu erklären. Ich heiten. rausforderung, die übrigens sowohl für Schulbücher als auch für digitale Mate- Thomas Stein ist studentischer Mitarbeiter in der Geschäftsstelle von Gegen Verges- rialien gleichermaßen besteht: Eine Un- sen – Für Demokratie e.V. und studiert Geschichtswissenschaften in Berlin. Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021 13
SCHWERPUNKTTHEMA Dario Treiber Historisches Lernen im Hochbildformat? Instagram als Ort der Begegnung mit der Geschichte des Nationalsozialismus Die Geschichte des Nationalsozialismus Quelle: Instagram, @eva.stories begegnet uns in den unterschiedlichsten Räumen: im Geschichtsunterricht, in Mu- seen und Gedenkstätten, im Fernsehen und vermehrt in den sozialen Medien. Eine der neuesten Formen der histori- schen Begegnung im digitalen Raum lässt sich auf Instagram beobachten. Im Mai 2019 wurde hier mit @eva.stories erstmals ein Format veröffentlicht, das suggeriert, dass eine historische Person, in diesem Fall das jüdische Mädchen Éva Heyman, über ein Smartphone verfügt habe, um ihren Alltag und ihre Verfol- gung bis hin zu ihrer Deportation zu do- kumentieren und zu veröffentlichen. Die historische Person Éva Heymann wurde im Juni 1944 aus dem besetzten Ungarn nach Auschwitz deportiert und ermordet. Die Instagram-Storys basieren auf dem Tagebuch „Das rote Fahrrad“, das nach ihrem Tod von ihrer Mutter veröffentlicht Die Videos von @eva.stories haben teilweise mehrere Millionen Aufrufe. wurde und dessen Echtheit umstritten ist. Auf dieser Quellengrundlage haben der bei @eva.stories der Fall ist, häufig selbst Die Kritik ist facettenreich und kann an Unternehmer Mati Kochavi und seine und führt Monologe vor der Kamera, in dieser Stelle nur in Teilen skizziert wer- Tochter Maya Kochavi das Projekt um- der sie ihre Gedanken und Emotionen den: Die behandelte Thematik werde gesetzt. In einem Beitrag der Frankfurter artikuliert. Fiktionale und historische Be- durch das Medium Instagram banalisiert Allgemeinen Zeitung vom 2. Mai 2019 gebenheiten werden in den Darstellun- und der Rahmen, in dem dies stattfindet, mit dem Titel „Was, wenn ein Mädchen gen kombiniert. Damit wurde eine neue sei unangemessen. Zudem werde nicht im Holocaust Instagram gehabt hätte“, Form der Begegnung mit der Geschichte kenntlich gemacht, auf welchen Quel- wird der Initiator auf die Frage nach der des Nationalsozialismus und des Holo- len die Darstellungen beruhen und an Intention so zitiert: „Im digitalen Zeitalter, causts eingeführt, die heftige Kontrover- welchen Stellen die Inszenierung von der in dem die Aufmerksamkeitsspanne kurz sen ausgelöst hat. Beide Formate haben Quellengrundlage abweicht. und das Bedürfnis nach Nervenkitzel hoch innerhalb kürzester Zeit eine immense ist, ist es extrem wichtig, neue Modelle Reichweite entwickelt und stark polari- Die fiktionalen Bestandteile der Darstel- der Zeugenaussagen und Erinnerung zu siert. Beim Lesen der Kommentare auf In- lungen sind nicht eindeutig gekennzeich- finden – auch angesichts der sinkenden stagram lassen sich die darin ausgemach- net. Die Emotionalität, die in den Kom- Zahl von Holocaust-Überlebenden.“ ten Vorteile in etwa so zusammenfassen: mentaren häufig als nachahmenswertes Durch das Medium Instagram werde ein Spezifikum des Projekts charakterisiert Im April dieses Jahres folgte mit @ich- niedrigschwelliges Angebot geschaffen, wird, stellt aus geschichtsdidaktischer binsophiescholl ein Projekt von SWR das ansprechend gestaltet sei und somit Perspektive nicht nur eine Chance, son- und BR mit dem gleichen Schema: Eine die Beschäftigung mit dem historischen dern eine Herausforderung dar. Denn historische Person, hier Sophie Scholl, Gegenstand gerade für Jugendliche anre- Emotionen können, auch durch eine wird auf Instagram inszeniert und die ge. Außerdem stelle es eine emotionale Darstellung, die eine Unmittelbarkeit letzten Monate ihres Lebens werden von Nähe zu historischen Personen dar, die zur historischen Person ermöglicht, nie- Schauspieler*innen nachgestellt (siehe ebenfalls lernfördernd wirke und ein Hin- mals nachempfunden werden. Für das Zeitschrift 108). Dabei filmt sich die Dar- einversetzen in eine historische Situation Verständnis vergangener Lebenswelten stellerin der Sophie Scholl, wie dies auch sowie deren Verstehen ermögliche. ist nicht die Identifikation mit einer his- 14 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 109 / September 2021
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