Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum

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Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
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        Fachzeitschrift für Prävention, Rehabilitation und Entschädigung

        Forum

        Vision Zero
        Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung

        Digitaler Wandel –
        Arbeitswelt der Zukunft
        Risikobeobachtungsstelle –
        Quo vadis Prävention?
Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
Editorial

                      Liebe Leserinnen,
                      liebe Leser,
                    das Konzept der Vision Zero – einer Welt ohne
                    schwerwiegende oder tödliche Arbeitsunfälle – be-
                    gleitet unsere Arbeit seit vielen Jahren. Bereits 2008
                    haben wir in unserer Präventionsstrategie das Ziel
                    verankert, Arbeits- und Lebenswelten so zu gestal-

                                                                                                                Foto: DGUV/Stephan Floss Fotografie
                    ten, dass möglichst niemand mehr getötet oder so
                    schwer verletzt wird, dass ein lebenslanger Scha-
                    den entsteht. Damit die Vision Zero aber eines
                    Tages Wirklichkeit wird, müssen wir unsere Präven-
                    tionsarbeit immer wieder neu auf dieses Ziel aus-
                    richten. Wie das gelingen kann, zeigt zum Beispiel
                    die neue Präventionsstrategie der Berufsgenossen-
                    schaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI)
                                           „Vision Zero. Null Unfälle –
                                           gesund arbeiten!“ (S. 10). Sie will die traditionelle Präventions-
            „Seit dem XX. Welt-
                                           arbeit überprüfen und sie so zukunftsfähig machen.
            kongress für Sicherheit
            und Gesundheit bei              Die Strategie der Vision Zero hat in den letzten Jahren aber
            der Arbeit in Frankfurt         nicht nur national an Dynamik gewonnen. Seit dem XX. Welt-
            im letzten Jahr ist die         kongress für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in
            Vision Zero auch inter-         Frankfurt im letzten Jahr ist die Vision Zero auch international
                                            zu einem Topthema geworden. Bestes Beispiel dafür ist der
            national zu einem
                                            jüngste Beschluss der G7-Staaten, einen „Vision Zero Fund“ zu
            Topthema geworden.“             schaffen – einen Fonds für mehr Sicherheit und Gesundheits-
                                            schutz bei der Arbeit weltweit. An diesem Fonds haben wir
                      maßgeblich mitgewirkt und ich freue mich, dass unsere Idee der Vision Zero zu kon-
                      kreten politischen Beschlüssen führt. Damit wird uns auch von Seiten der Politik
                      bestätigt, dass unser Ansatz richtig ist und dass wir auch international dazu beitra-
                      gen können, Arbeit sicherer und gesünder zu machen.

                      Die gesetzliche Unfallversicherung setzt sich bereits seit Jahrzehnten für bessere Ar-
                      beitsbedingungen weltweit ein. Wir beraten Länder wie China, Indien und seit
                      kurzem auch Bangladesch beim Aufbau von Institutionen, die Menschen gegen die
                      Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichern und die Unterneh-
                      men im Arbeitsschutz unterstützen. Denn nur wenn wir es schaffen, Maßnahmen
                      zur Unfallverhütung überall auf der Welt zu etablieren, können wir aus unserer Vi-
                      sion Realität werden lassen.

                      Mit den besten Grüßen
                      Ihr

                      Dr. Joachim Breuer
                      Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

2   DGUV Forum 6/2015
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Inhalt

> Editorial/Inhalt >>>                                2–3

> Aktuelles >>>                                      4–7

> Titelthema >>>                                     8–21
Interview mit Dr. Walter Eichendorf
Die Vision Zero ist national und international
angekommen8
Null Unfälle – gesund arbeiten!
Vision Zero als Strategie der Prävention               10
Miriam Becker
Kampagne in Saskatchewan
„Mission: Zero“ – Aufruf zum Handeln                   14   22
Peter Federko
Vision Zero in New York
„Die sicherste Großstadt der Welt“                     18
Franz Roiderer

> Prävention >>>                                    22–39
Gespräch mit Jochen Lau, Welf Stankowitz,
Christian Kellner
„Der Mensch muss in der Verantwortung bleiben.“        22
Autonomes Fahren
Sind die juristischen Herausforderungen
größer als die technischen? 26
Lennart S. Lutz
Digitaler Wandel
Arbeitswelt der Zukunft                                31
                                                             26
Kai Schweppe
Veränderungen der Arbeitswelt
Industrie 4.0 und ihre Bedeutung für den
betrieblichen Gesundheitsschutz                        34
Detlef Gerst
Aus der Forschung
Risikobeobachtungsstelle – Quo vadis Prävention?       37
Ruth Klüser, Ina Neitzner

> Aus der Rechtsprechung >>>                          40

> Personalia >>>                                       41

> Medien/Impressum >>>                                 42   34

                                                                  DGUV Forum 6/2015   3
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Aktuelles

                                                                                                      ▸
                                                                                                      Beim „Tag ohne Grenzen“ eine der vielen

                                                          Foto: MSSP – michael schwartz sportphoto
                                                                                                      Sportarten: Rollstuhlfechten

                                                                                                      ▸
                                                                                                      Andrea Naumann und Jean-Marc Clement beim Rollstuhltanz,
                                                                                                      in dem die beiden zehnfache Deutsche Meister sind.

                                                                                                                                                                 Foto: MSSP – michael schwartz sportphoto
                                                           Foto: MSSP – michael schwartz sportphoto

                                                                                                                                                                  Foto: MSSP – michael schwartz sportphoto

     Wheelchair-Skater David Lebuser gab einen Workshop für
        alle abenteuerlustigen Besucherinnen und Besucher.

                                                                                       ▸
                  Der DGUV Vorstandvorsitzende Dr. Rainhardt
                Freiherr von Leoprechting sprach beim Senats-
                              empfang im Hamburger Rathaus.

4   DGUV Forum 6/2015
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Aktuelles

                                                                                                                                    Foto: MSSP – michael schwartz sportphoto
Die Zeltlandschaft auf dem Hamburger Rathausmarkt war gut besucht.

Viel Spaß und Inklusion beim „Tag ohne Grenzen“
Energiegeladene Wettkämpfe, waghalsige       Besuch ab. Er begrüßte die Läufer und          de, was wir
Skatedemonstrationen, anmutiger Roll-        Läuferinnen der Inklusionsfackel und ver-      gemeinsam
stuhltanz, überraschende Mitmach-Erleb-      sprach, die Barrierefreiheit in seiner Stadt   erlebt haben.“,
nisse – der „Tag ohne Grenzen“ präsentier-   weiter voranzutreiben. Fest im Blick hat       erklärte der DGUV-Vorstandsvorsitzende
te sich bunt und vielfältig. Sportler und    er dabei die Hamburger Bewerbung um            Dr. Rainhardt Freiherr von Leoprechting.
Sportlerinnen mit und ohne Behinderung       die Olympischen und Paralympischen             „Der ‚Tag ohne Grenzen‘ ist Teil einer Ket-
begeisterten am 5. und 6. Juni auf dem       Spiele 2024.                                   te von Aktivitäten, mit der wir Rehabili-
Hamburger Rathausmarkt das Publikum.                                                        tation und Inklusion unterstützen. In die-
Bei strahlendem Sonnenschein kamen an        „Toll“, „überwältigend“- die Resonanz der      ser Kette ist der ‚Tag ohne Grenzen‘ ein
beiden Tagen viele Tausende Interessierte.   Sportlerinnen und Sportler auf den „Tag        besonders leuchtendes Stück“, sagte Dr.
Die Besucherinnen und Besucher schauten      ohne Grenzen“ spiegelte die gute Stim-         Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer
zu, kamen ins Gespräch mit den Aktiven       mung auf dem Rathausmarkt. Auch die            der Deutschen Gesetzlichen Unfallversi-
und nutzten die Gelegenheit, sich selbst     erste Bilanz der Veranstalter fiel positiv     cherung (DGUV). Zusammen mit den Be-
auszuprobieren. Inklusion braucht Begeg-     aus: „Beim ‚Tag ohne Grenzen‘ ist es in        rufsgenossenschaften, Unfallkassen und
nung und dazu bot der „Tag ohne Grenzen“     hervorragender Weise gelungen, deutlich        dem Klinikverbund der gesetzlichen Un-
eine Vielzahl von Möglichkeiten.             zu machen, dass Sport Gemeinschaft für         fall-versicherung (KUV) hat die DGUV den
                                             Menschen mit und ohne Behinderung              „Tag ohne Grenzen“ initiiert. Organisiert
Auch Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf      schafft. Viele sind heute neugierig gewor-     wurde er vom Deutschen Rollstuhl-Sport-
Scholz stattete der Veranstaltung einen      den durch das, was hier alles gezeigt wur-     verband.                                Foto: MSSP – michael schwartz sportphoto

Paralympics-Sieger Heinrich Popow durfte natürlich nicht fehlen.

                                                                                                                DGUV Forum 6/2015                                              5
Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
Aktuelles

Fusion: BG Kliniken gründen Holding
Nach vier Jahren intensiver Planung hat         mehr als 12.500 Mitarbeitern, jährlich         per, Geschäftsführer der neuen Dachge-
die komplexeste Krankenhausfusion               über 550.000 Patienten und einem Jah-          sellschaft. „Mit der gestrigen Entschei-
Deutschlands einen Meilenstein erreicht:        resumsatz von rund 1,21 Milliarden Euro        dung unserer Träger steht nun in der
13 bislang rechtlich unabhängige Klini-         wird über eine im deutschen Gesund-            zweiten Jahreshälfte ein Fusionsprozess
ken, darunter die neun größten Unfall-          heitswesen einzigartige strategische Aus-      vor seiner Vollendung, den viele nicht für
krankenhäuser der Bundesrepublik,               richtung verfügen: Die enge Verzahnung         möglich gehalten hätten und der in dieser
haben am 11. Juni 2015 ihre zukünftige          von Akutversorgung und Rehabilitation          Dimension einmalig ist.“ Die Kernkompe-
Dachgesellschaft gegründet. Mit der             in sämtlichen Behandlungsphasen.               tenz des neuen Konzerns liegt vor allem
einstimmigen Entscheidung durch die                                                            in chirurgischen Fachbereichen wie der
Verantwortungsträger soll damit bis 2016        „Die BG-Kliniken begleiten ihre Patienten      Therapie von schwersten Hand-, Brand-
eines der größten Gesundheitsunterneh-          mit allen geeigneten Mitteln und über die      und Rückenmarksverletzungen, der Ver-
men im Bundesgebiet entstehen.                  Entlassung hinaus zurück in den Lebens-        sorgung von Schädel-Hirn- und Mehrfach-
                                                alltag. Das unterscheidet uns von jeder        Verletzungen sowie der Behandlung von
Der neue Klinikkonzern mit insgesamt            anderen Klinikgruppe“, so Reinhard Nie-        Berufskrankheiten.

Nach Arbeitsunfällen mit Blutkontakt: Analysebogen ausfüllen
Wer bei einem Unfall mit Fremdblut in           in Berührung kommen: durch Stich-,             Instrument, Schutzausrüstung, Ursache
Kontakt kommt, kann sich schwerwiegen-          Schnitt- oder Kratzverletzungen der Haut       und Umgang mit der Verletzung. Sie kön-
de Infektionen zuziehen. Die Berufsgenos-       (NSV) oder wenn Fremdblut ins Auge, auf        nen die Daten ausdrucken und archivie-
senschaft für Gesundheitsdienst und             Schleimhäute oder in offene Wunden ge-         ren. Entsprechend angepasst lässt sich
Wohlfahrtspflege (BGW) bittet deshalb Be-       langt. Selbst beim Einsatz sogenannter si-     der ausgefüllte Fragebogen zusätzlich im
schäftigte im Gesundheitsdienst und in          cherer Instrumente bleibt immer ein Rest-      Betrieb für die interne Dokumentation
Kosmetikstudios, jegliche Arbeitsunfälle        risiko, sich zu verletzen.                     von Stich- und Schnittverletzungen nach
mit Blutkontakt in einem Online-Analyse-                                                       der TRBA 250 nutzen. Die BGW wiederum
bogen zu erfassen. Sie benötigt die anony-      Die BGW untersucht deshalb in einem            verwendet die anonymen, digital übermit-
men Daten für die Ursachenforschung und         Forschungsprojekt die Umstände entspre-        telten Daten für ihre Forschungsarbeit.
Präventionsarbeit. Für die verletzte Person     chender Arbeitsunfälle, um die Präventi-
und den Betrieb lässt sich der ausgefüllte
Fragebogen zur Dokumentation nutzen.
                                                onsmöglichkeiten weiter zu verbessern. In
                                                ihrem Online-Analysebogen zum Thema             !    Zu finden ist der Bogen unter:
Viele Beschäftigte im Gesundheitsdienst         können Betroffene ihren eigenen Vorfall              www.bgw-online.de/goto/
und in Kosmetikstudios können bei ihrer         anonym beschreiben: Tätigkeit und Ar-                blutkontakt
Arbeit mit infektiösen Körperflüssigkeiten      beitsdauer vor der Verletzung, genutztes

Zahl des Monats:                  30 Millionen
Zwei Jahre nach dem Fabrikeinsturz in           Berufsgenossenschaften und Unfallkassen
Bangladesch hat der Entschädigungsfonds         begrüßten den Beschluss der G7, einen Visi-
für die Opfer von Rana Plaza die erforder-      on Zero Fund aufzubauen. „Auf dem Welt-
lichen 30 Millionen US-Dollar (rund 27          kongress für Sicherheit und Gesundheit bei
Millionen Euro) erreicht. Die fehlenden 2,5     der Arbeit im vergangenen Jahr haben wir
Millionen US-Dollar wurden durch eine an-       zusammen mit der Internationalen Arbeits-
onyme Einzahlung in den letzten Tagen           organisation und der Internationalen Verei-
des G7-Gipfels bereitgestellt, berichtete die   nigung für Soziale Sicherheit die Vision ei-
Bundesregierung am Rande des Gipfeltref-        ner Welt ohne tödliche Arbeitsunfälle vor-
fens. Während des Gipfeltreffens haben die      gestellt“, sagt Dr. Joachim Breuer, Hauptge-
Regierungschefs der G7-Staaten auch be-         schäftsführer der Deutschen Gesetzlichen
schlossen, einen Fonds für mehr Sicherheit      Unfallversicherung (DGUV). „Es freut uns
und Gesundheitsschutz bei der Arbeit welt-      sehr, dass diese Vision Zero nun zu konkre-
weit zu schaffen. Der Vision Zero Fund soll     ten politischen Maßnahmen führt.“ An der
dazu beitragen, Arbeitsbedingungen welt-        Entwicklung des Vision Zero Fund habe sich
weit zu verbessern und Menschen gegen           die gesetzliche Unfallversicherung mit kon-
Arbeitsunfälle abzusichern.                     kreten Vorschlägen und Ideen beteiligt.

6   DGUV Forum 6/2015
Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
EU-Kommission sucht Wege zur Stärkung der EU-Sozialpolitik
Wie jedes Jahr wird die EU-Kommissi-       die gesetzliche Unfall-
on auch in diesem Herbst ihr Arbeits-      versicherung wachsam
programm für das kommende Jahr             sein. Während im Be-
vorlegen. Darin verständigen sich die      reich des Arbeitsschut-
Kommissare auf konkrete Maßnahm-           zes europäische Vor-
en, mit denen sie die vorrangigen poli-    schriften harmonisiert
tischen Ziele auf europäischer Ebene       sind und diese Harmo-
verwirk-lichen möchten. Die amtieren-      nisierung auf Mindest-
de Kommissarin für Beschäftigung und       standards basiert, kann
Soziales, Marianne Thyssen, hat schon      im Bereich der sozialen
jetzt ihre Prioritäten deutlich gemacht.   Sicherheit jeder Mit-
So sollen unter anderem die Sozial-        gliedstaat selbst darü-
schutzsysteme der Mitgliedstaaten          ber entscheiden, wie
auch in der Zukunft tragfähig bleiben      er sein System der sozi-

                                                                                                                         Foto: Europäische Kommission
und sich im Sinne einer „nach oben ge-     alen Sicherung ausge-
richteten Konvergenz“ weiterentwi-         staltet. Bei der Einfüh-
ckeln. Ein Schlüssel könnte nach Auf-      rung von Mindeststand-
fassung von Thyssen das Aufstel len        ards könnte dieser Ge-
von Mindeststandards durch die             staltungsspielraum in
EU-Kommission sein, die in einer Art       Frage stehen. Darüber
„benchmark“ ausgedrückt werden             hinaus sollte es weiter-
könnten. Diese könnten dann die            hin den Mitgliedstaat-     Marianne Thyssen, EU-Kommissarin für Beschäftigung,
Mindesthöhe von Arbeitslosenleist-         en vorbehalten bleiben,    soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit
ungen oder auch von Mindesteinkom-         zu entscheiden, welche
men festlegen.                             Sozialversicherungsleistungen zu wel-     und welche Beiträge zu zahlen sind.
                                           chen Bedingungen gezahlt werden,          Dieses Recht sollte auch in Zukunft un-
In diesem Zusammenhang sollte auch         wie diese Leistungen berechnet werden     angetastet bleiben.

Zwei Jahre Gespräche zu TTIP
Die Verhandlungen über eine transat-       Nachdem der Handelsausschuss des           einem Kursschwenk haben sie jedoch
lantische Handelspartnerschaft zwi-        EU-Parlaments Forderungen zum Frei-        deutlich gemacht, dass sie keinerlei
schen der EU und den USA (TTIP) kön-       handelspakt zwischen der EU und den        private Schiedsgerichte akzeptieren
nen im Juni bereits ein kleines Jubiläum   USA formuliert hatte, schien zunächst      werden. Es bleibt abzuwarten, welche
feiern. Denn vor zwei Jahren wurden        eine Entscheidung des Plenums in           Entscheidung das Plenum des Europä-
die Gespräche zu TTIP aufgenommen.         Form einer Resolution wahrscheinlich       ischen Parlaments trifft. Auch die ge-
Die Europäische Kommission hat insbe-      zu sein. Die Abstimmung wurde jedoch       setzliche Unfallversicherung hat sich
sondere in den vergangenen Monaten         kurzfristig verschoben, da die Sozialde-   positioniert und ihre Befürchtungen zu
versucht, Aufklärungsarbeit zu leisten,    mokraten aus dem zuvor ausgehandel-        Schiedsverfahren deutlich gemacht.
um der Zivilgesellschaft „die Angst“       ten Kompromiss ausgestiegen sind.          Demnach dürften unter anderem Vorga-
und die „Befürchtungen“ vor TTIP zu        Streitpunkt sind die Schiedsverfahren.     ben zum Investitionsschutz nicht die
nehmen. Bislang scheint ihr das jedoch     Im Handelsausschuss konnten sie sich       Freiheit einschränken, neue Regelungen
nicht gelungen zu sein, denn die Debat-    noch mit der Einführung eines „refor-      zu Sicherheit und Gesundheit bei der
te wird keinesfalls ruhiger.               mierten Konzepts“ anfreunden, nach         Arbeit zu treffen.
Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
Interview mit Dr. Walter Eichendorf

                                                               Die Vision Zero ist
                                                               national und international
                                                               angekommen
                                                               Über die Vision Zero als weltweite Strategie zur Vermeidung tödlicher
                                                               und schwerer Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten wurde im DGUV
                                                               Forum schon häufiger berichtet. Dr. Walter Eichendorf, stv. Hauptge-
                                                               schäftsführer der DGUV, spricht im Interview über die weltweite
                                                               Adaption und aktuelle Entwicklungen der Strategie.

                                                               Herr Dr. Eichendorf, warum brauchen           le und Maßnahmen zur Umsetzung fest-
                                                               wir eine Vision Zero? Warum machen            gelegt. Beide haben die Messlatte noch
                                                               wir nicht weiter wie bisher? Wir sind         höher gelegt und nutzen den Claim „Null
                                                               doch erfolgreich!                             Unfälle und gesund arbeiten“.
                                                               Die Strategie der Vision Zero startet mit
                                                               einem fundamentalen Statement: Wir ak-        Sehr hilfreich dafür ist die Schaffung ei-
                                                               zeptieren keine schweren oder gar tödli-      ner Kultur der Prävention. Wenn Präven-
                                                               chen Arbeitsunfälle und Berufskrankhei-       tion ein wichtiger Bestandteil unserer
                                                               ten. Arbeitsplätze und Straßen müssen         Kultur, unseres Alltagshandelns wird,
                                                               so weiterentwickelt werden, dass sie Le-      kommen wir dem Ziel der Vision Zero nä-
                                                               ben und Gesundheit schützen und nicht         her. Das ist nur gemeinsam mit allen Be-
                                                               gefährden.                                    teiligten und Betroffenen zu erreichen.

                                                               Bei der Arbeit und im Straßenverkehr          Das klingt ambitioniert.
                                                               werden Menschen unvermeidlich immer           Ist die Vision Zero nur etwas für
                                                               mal wieder Fehler machen – aber die dür-      hochentwickelte Länder?
                                                               fen nicht mit dem Tod oder schweren Ver-      Die Vision Zero beschreibt ein Menschen-
                                                               letzungen bestraft werden. Wir reden mit-     recht und gilt für alle Menschen auf der
                                                               hin nicht darüber, wie wir in zehn Jahren     Welt. Gleichwohl ist der Standard von Si-
                                                               die Zahlen der Todesfälle um zwanzig          cherheit und Gesundheit bei der Arbeit
                                                               Prozent senken können, sondern wir ori-       ebenso wie im Straßenverkehr unter-
                                                               entieren unsere Präventionsstrategien         schiedlich. Während wir uns in hochent-
                                                               klar an der Vision Zero. Viele Unterneh-      wickelten Ländern oft stärker um unsere
                                                               men haben das erfolgreich umgesetzt und       psychische Gesundheit sorgen, geht es in
                                                               viele weitere werden folgen. Gute Vorbil-     manchen Ländern um die nackte Exis-
                                                               der erzeugen Nachfolger.                      tenz. Denken Sie an den Einsturz des Ra-
                                                                                                             na Plaza-Gebäudekomplexes in Bangla-
                                                               Was tut die DGUV, um diesem Ziel              desch, ein mit Textilfabriken überfülltes
                                                               näher zu kommen?                              Gebäude, in dem im April 2013 1.138 Men-
                                                               Ein entscheidender Schritt war die ein-       schen in den Trümmern umkamen und
DGUV/Frank Homann

                                                               stimmige Verabschiedung des Positions-        2.400 Menschen mit teilweise schweren
                                                               papiers „Prävention lohnt sich“ mit der       Verletzungen die Tragödie knapp über-
                                                               Integration der Vision Zero als Paradig-      lebten.
                                                               menwechsel in der Prävention durch die
                                                               Mitgliederversammlung der DGUV. Und           Wer möchte den Überlebenden sagen,
                    Dr. Walter Eichendorf, stellvertretender   die Fortentwicklung der Strategie läuft. So   dass die Vision Zero auch zukünftig für
                    Hauptgeschäftsführer der DGUV und          haben beispielsweise die BG RCI und die       sie keine Gültigkeit hat? Nein, wir enga-
                    Präsident des Deutschen Verkehrssicher-    BGHW die Vision Zero als Präventions-         gieren uns für die weltweite Etablierung
                    heitsrats e. V. (DVR)                      strategie verabschiedet und messbare Zie-     der Vision Zero. Und gerade auch in Asien

                    8   DGUV Forum 6/2015
Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
Interview

gibt es jetzt erste Länder wie Singapur,       heit in Betrieben und Bildungseinrich-      wenn wir uns global stärker vernetzen,
die offiziell die Vision Zero zur Leitschnur   tungen zu besseren Betriebsabläufen,        werden wir unserem Ziel der Vision Zero
ihres Handelns gemacht haben.                  verbesserten Arbeitsbedingungen und         weltweit näher kommen. Das von der
                                               größerer Motivation führt. Wir stehen am    Internationalen Vereinigung für Soziale
Was haben die Menschen in                      Anfang eines langen Weges, in dem Un-       Sicherheit (IVSS) am 3. Juni 2015 in Seoul
Bangladesch davon?                             ternehmen, Unfallversicherungsträger,       beschlossene Flaggschiffprogramm zur
Die Tragödie von Bangladesch hat die           Sozialpartner und alle Beteiligten zusam-   Vision Zero ist ein wichtiger Schritt in
Verantwortung für die Arbeitsbedingung-        menarbeiten müssen.                         diese Richtung.                             •
en von Menschen in globalen Lieferket-
ten schmerzhaft ins Bewusstsein ge-            Doch nicht nur auf nationaler Ebene ist     Das Interview führte Sabine Herbst, Stabs-
bracht. Zum ersten Mal war der Arbeits-        die Zusammenarbeit erforderlich. Nur        bereich Prävention der DGUV.
schutz Gegenstand des Treffens der
G7-Staaten im Juni 2015 auf Schloss El-
mau. Als konkretes Ziel wurde die Ein-
richtung eines „Vision-Zero-Fonds“ in
Zusammenarbeit mit der Internationalen
Arbeitsorganisation (IAO) beschlossen.
Er soll dazu beizutragen, Todesfälle und
schwere Arbeitsunfälle zu vermeiden
und die dafür erforderlichen Arbeits-
schutzstrukturen zu schaffen.

Das ist wirklich ein großer Schritt vor-
wärts. Wie sieht es denn darüber hin-
aus mit der Verbreitung der Vision Zero
weltweit aus?
Wer den Weltkongress für Sicherheit und
Gesundheit bei der Arbeit 2014 in Frank-
furt besuchte, erlebte wie stark die Stra-
tegie der Vision Zero die aktuelle Diskus-
sion weltweit bestimmt. Nicht nur wid-
mete sich eines der Hauptthemen der
Strategie der Vision Zero, es gab kaum ei-
ne Rednerin oder einen Redner, der sich
nicht darauf bezog.

Allen voran Bundesarbeitsministerin An-
drea Nahles, die die Vision Zero als Stra-
tegie für eine Welt ohne schwere oder gar
tödliche Arbeitsunfälle und Berufskrank-
heiten ausdrücklich begrüßte. Sie wies
nachdrücklich auf die notwendige Ko-
operation von Wissenschaft, Politik, So-
zialpartnern und Unternehmen hin, um
dieses Ziel zu erreichen. Die Schaffung
einer Präventionskultur, in der Sicher-
heits- und Gesundheitsaspekte mitge-
dacht werden, sah sie als notwendigen
Bestandteil. ILO Generaldirektor Guy Ry-
der argumentierte fast wortgleich, eben-
so der Präsident der IVSS.
                                                                                                                                  DGUV/Frank Homann

Hier sind wir mit dem einstimmigen Be-
schluss des DGUV-Vorstandes von An-
fang Juni 2015 zur Durchführung einer
zehnjährigen Präventionskampagne zur
„Kultur der Prävention“ ab 2017 weiter
gekommen. Wir wollen zeigen, dass die          „Die Tragödie von Bangladesch hat die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen
Etablierung von Sicherheit und Gesund-         in globalen Lieferketten schmerzhaft ins Bewusstsein gebracht.“

                                                                                                              DGUV Forum 6/2015                       9
Forum - Vision Zero Beispiele der gesetzlichen Unfallversicherung - DGUV forum
Titelthema

                         Null Unfälle – gesund arbeiten!

                         Vision Zero als Strategie der Prävention
                         Die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) hat die Vision Zero zur Grundlage
                         ihrer Präventionsarbeit erklärt und sieben ambitionierte Ziele und zehn Maßnahmenpakete definiert,
                         um ihre neue Präventionsstrategie umzusetzen.

                         Die neue Strategie, die mittelfristig über    ist davon überzeugt, dass durch geeignete     Verantwortung und senden die zentrale
                         einen Zeitraum von zehn Jahren verfolgt       präventive Maßnahmen alle Unfälle und         Botschaft, dass wir uns nicht mit einem
                         werden soll, startet zeitgleich mit einer     arbeitsbedingten Erkrankungen verhin-         scheinbar niedrigen Unfallstand zufrie-
                         Restrukturierung der organisatorischen        dert werden können.                           dengeben wollen. Wir sind davon über-
                         Aufstellung der gesamten BG RCI, die ih-                                                    zeugt, dass sich im Ergebnis jeder Unfall
                         ren Ursprung in der Fusion von ursprüng-      Die BG RCI kann in ihren Mitgliedsbetrie-     verhindern lässt, und das sagen wir jetzt
                         lich sechs eigenständigen Berufsge-           ben auf rückläufige Unfallquoten blicken      auch laut. Dabei werden wir die Präventi-
                         nossenschaften zur BG RCI hat und als         und belegt unter den Berufsgenossen-          on nicht komplett neu erfinden, aber al-
                         Zielmodell bezeichnet wird. In diesem         schaften den dritten Rang – obgleich bei      les, was wir traditionell tun, auf den Prüf-
                         Zusammenhang stand auch auf der Agen-         ihr einige Branchen mit hohem Gefähr-         stand stellen. Bewährtes werden wir bei-
                         da, das Organisationsmodell der Präven-       dungspotenzial versichert sind. Aber kann     behalten, aber sicher auch einiges über
                         tion anzupassen. Die beiden Hauptsäulen       man sich damit zufriedengeben? Dagegen        Bord werfen“, sagt er mit Verweis auf den
                         zur Erbringung der Präventionsdienst-         steht das Credo der Prävention: Jeder Un-     demografischen Wandel, die Informa-
                         leistungen bei der BG RCI sind zum einen      fall ist einer zu viel. Nachdem Erfolge im    tions- und Arbeitsverdichtung sowie die
                         die Betriebsbetreuung in jetzt drei Spar-     Arbeitsschutz vor allem durch technische      neuen Gefährdungen, die durch moderne
                         ten statt bisher sechs Branchen, mit wel-     und später durch organisatorische Maß-        Technologien aufkommen.
                         chen die unterschiedlichen fachlichen         nahmen erzielt worden sind, steht jetzt der
                         Schwerpunkte der Mitgliedsunternehm-          Mensch im Fokus, wobei Verhaltensprä-         Vision von null Unfällen bereits
                         en berücksichtigt werden sollen, und          vention für Führungskräfte und Beschäf-       gelebte Realität
                         zweitens die Fachexpertise, die in den        tigte bereits seit Längerem der Hebel ist,    Was Vision Zero so faszinierend macht,
                         neu strukturierten Kompetenzzentren zu        an dem die BG RCI strategisch ansetzt.        sind die damit verbundenen Ambitionen.
                         finden ist.                                                                                 Den Anspruch, dass in seinem Betrieb
                                                                       „Null Unfälle – gesund arbeiten!“:            niemand zu Tode kommen oder so schwer
                         Die BG RCI hat diese organisatorische         die neue Präventionsstrategie                 verletzt werden solle, dass er sein Leben
                         Neuaufstellung genutzt, um auch inhalt-       Auf die Frage, wie vor diesem Hintergrund     lang gehandicapt wäre, hatte sich schon
                         lich mit den Selbstverwaltungsgremien         die Präventionsarbeit der Zukunft ausse-      Eleuthère Irénée DuPont auf die Fahnen
                         und den hauptamtlichen Präventions-           hen sollte, fand die BG RCI die passende
                         fachleuten eine intensive Diskussion zu       Antwort in einer neuen Präventionsstra-
                         führen, wie die zukünftige Präventionsar-     tegie, die auf der Vision Zero gründet. BG    „Die sieben Erfolgsfaktoren sind
                         beit ausgerichtet werden soll. Letztendlich   RCI-Präventionsleiter Helmut Ehnes er-        unabdingbar, um das Ziel Vision
                         hat man sich jetzt durch Vorstandsbe-         klärt, warum die Berufsgenossenschaft         Zero im Betrieb zu erreichen.“
                         schluss dafür entschieden, die Vision Ze-     das Ziel „Null Unfälle – gesund arbeiten!“
                         ro-Strategie als Grundlage für alle Maß-      ins Visier genommen hat. „Erstmals be-
                         nahmen für verbindlich zu erklären, und       kennen wir uns zu unserem Anteil der          geschrieben. Der Industrielle setzte nach
                                                                                                                     einem großen Unfall in einer seiner
                                                                                                                     Schwarzpulverfabriken 1818 einen über-
                         Autorin                                                                                     aus konsequenten Arbeitsschutz durch.
                                                                                                                     Das war die Geburtsstunde der Vision
                                                    Miriam Becker                                                    Zero. Einer Vision, die seither vielfach zur
                                                    Verlagsleiterin, Universum Verlag,                               Realität wurde. „Immer wieder gibt es Be-
                                                    Wiesbaden                                                        triebe, die im Unternehmen oder in einzel-
                                                    E-Mail: miriam.becker@universum.de                               nen Produktionseinheiten lange Zeit un-
Foto: Universum Verlag

                                                                                                                     fallfrei arbeiten“, macht Ehnes deutlich
                                                                                                                     und verweist auf eine Vielzahl von solch
                                                                                                                     erfolgreichen Mitgliedsbetrieben. „Überall
                                                                                                                     dort, wo unfallfrei gearbeitet wird, kön-
                                                                                                                     nen wir im Sinne der Vision Zero lernen.“

                  10                      6/2015
Vision Zero der BG RCI

                 1. Halbjahr 2013                               Anfang 2015
                 Überlegungen mit                               Jahrestagung
                 der Selbstverwaltung                           der Prävention
                                           2014
                 Strategietagung der
                 Prävention                Abschließende
                                           Beratung und
                                           Beschluss-
                            Oktober 2013   fassung der                       Februar 2015
                                           Selbstverwaltung
                            Gernsbacher                                      protecT „Vision Zero“
                            Workshop der                                     700 Teilnehmende aus
                            Präventions-                                     Mitgliedsunternehmen
                            ausschüsse

                                                                                                                        2024
                                                                         5
                                                                   201
Quelle: BG RCI

                   Laufzeit 10 Jahre

 Abbildung 1: Bis zum Jahr 2024 will die BG RCI die Ziele ihrer Präventionsstrategie Vision Zero umsetzen.

 Ist die Vision Zero trotzdem zu abgeho-          schieht unter anderem traditionell beim      Unfälle – gesund arbeiten!“ überhaupt er-
 ben, um als Präventionsstrategie zu tau-         Forum protecT, einer jährlichen Großver-     reicht werden? Viele Praktikerinnen und
 gen? Die Frage lässt sich am besten mit          anstaltung zu aktuellen Themen der Prä-      Praktiker in den Betrieben beschäftigen
 einer Gegenfrage beantworten: Wie viele          vention, die sich an Unternehmerinnen,       diese Fragen, die im Fokus der beiden
 Tote und Verletzte sind denn tolerabel?          Unternehmer, Führungskräfte, Expertin-       protecT-Veranstaltungen zum Jahreswech-
 Wie öffentliche Reaktionen auf beispiels-        nen und Experten richtet. Zur Einführung     sel 2014/2015 standen. Insgesamt 700
 weise unmenschliche Arbeitsbedingun-             der Präventionsstrategie nutzte die BG       Teilnehmende nutzten die Möglichkeit,
 gen beim Bau von Fußballstadien oder             RCI die Veranstaltungsreihe, um über die     ihre Fragen zu diskutieren und ihre per-
 folgenschwere Bergwerksunglücke der                                                           sönlichen Vorstellungen, Ideen und Er-
 jüngeren Vergangenheit zeigen, werden                                                         wartungen zur Umsetzung der Vision-Ze-
 bei Arbeitsunfällen Getötete zu oft noch         „Eine starke Vision hat die Aufga-           ro-Strategie in den Unternehmen bei den
 immer als unvermeidbar angesehen und             be, das Recht aller auf Gesundheit           Workshops einzubringen.
 in Kauf genommen. Eine klare Strategie           zu thematisieren und mit kon-
 aber hat die Aufgabe, dem entgegenzu-            kreten Beispielen zu verknüpfen.“            Einfache Empfehlungen und Hand-
 wirken, das Recht aller auf Gesundheit zu                                                     lungshilfen für Betriebe
 thematisieren und mit konkreten Beispie-                                                      Für eine strukturierte Diskussion hatten
 len zu verknüpfen. Denn eine Zukunft             neue Strategie „Vision Zero. Null Unfälle    Fachleute der BG RCI sieben Erfolgsfakto-
 ohne Arbeitsunfälle und Erkrankungen             – gesund arbeiten!“ zu diskutieren. „Das     ren vorgeschlagen, die unabdingbar sind,
 durch Arbeit ist Verpflichtung für alle          Forum protecT dient schon immer dem          um das Ziel Vision Zero im Betrieb zu er-
 Entscheidungsträger.                             Austausch mit den Mitgliedern“, erklärt      reichen. Sie luden die Teilnehmenden des
                                                  Ulrich Meesmann, Mitglied der BG RCI-        Forums protecT ein, diese sieben Erfolgs-
 Im Dialog mit den Mitgliedern                    Geschäftsführung. Ist die neue Präventi-     faktoren zu diskutieren und aus ihrem
 Regelmäßig sucht die BG RCI den Dialog           onsstrategie Vision Zero zu abgehoben für    Fundus mit eigenen Erfahrungen aus den
 mit ihren Mitgliedsbetrieben. Dies ge-           die Betriebe? Und wie soll das Ziel „Null    Betrieben zu ergänzen. Viele Mitglieder     ▸
                                                                                                                  DGUV Forum 6/2015   11
Titelthema

Ziele der „Vision Zero. Null Unfälle – gesund arbeiten!“ in der Präventionsstrategie der BG RCI

Mit der neuen Präventionsstrategie „Vision Zero. Null Unfälle – gesund arbeiten!“ werden Ziele definiert, die bis zum Jahr 2024
erreicht werden sollen. Die Festlegung quantitativer Ziele ist ein geeignetes Instrument, um alle betrieblichen Akteurinnen und
Akteure sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren von der Notwendigkeit weiterer Anstrengungen auf dem Gebiet der Prävention
zu überzeugen und um weitere Erfolge zu erreichen.

Auf dem Weg, die anspruchsvollen quantitativen und qualitativen Ziele zu erreichen, werden Meilensteine festgelegt. Mithilfe eines
regelmäßigen Reportings wird über die aktuelle Entwicklung berichtet und das Erreichen der Meilensteine überprüft.

Die Wirksamkeit aller Präventionsmaßnahmen, auch die Wahrnehmung und Akzeptanz durch die Kundinnen und Kunden, sollen
regelmäßig und systematisch hinterfragt und evaluiert werden.

     1              Senkung des Arbeitsunfallrisikos in Mitgliedsunternehmen der BG RCI
                    Durch geeignete Präventionsmaßnahmen soll das Risiko, einen meldepflichtigen Arbeitsunfall zu erleiden
                    (1.000 Vollarbeiter-Quote), bis 2024 um 30 Prozent gesenkt werden.

     2              Halbierung der Anzahl der neuen Rentenfälle durch Arbeitsunfälle
                    Durch geeignete Präventionsmaßnahmen soll insbesondere die Anzahl der schweren Arbeitsunfälle,
                    die zeitweise oder auf Dauer zu Körperschäden führen (neue Arbeitsunfall-Rentenfälle), bis 2024 um 50
                    Prozent gesenkt werden.

     3               Halbierung der Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle
                     Durch geeignete Präventionsmaßnahmen soll insbesondere die Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle bis
                     2024 um 50 Prozent gesenkt werden.

         Abbildung 2: Sieben Ziele der Präventionsstrategie der BG RCI

würdigten den vielseitigen Austausch           ‚Vision Zero-Leitfaden‘‚ damit ein gemein-    erfolgreich eingeführt. Die internationale
und die Möglichkeit, eigene Vorstellun-        sames Produkt von 1.000 Autorinnen und        Resonanz auf diese klare Strategie und
gen einzubringen. „Das ist das Salz in der     Autoren und eben nicht wie üblich von         die einfachen Regeln, die ein Unterneh-
Suppe“, betont Helmut Ehnes. „Über die-        einem kleinen Kreis von Fachleuten. Das       men beachten muss, um Erfolg zu haben,
se Veranstaltungen fließt die Meinung gu-      ist gelebte Vision Zero“, fasst Ehnes den
ter Betriebe ein, denn deren Erfahrung ist     Diskussionsprozess zusammen.
dort versammelt.“ Demzufolge sollen die                                                      „Durch geeignete Präventions-
Ergebnisse der beiden Veranstaltungen          Vision Zero auch international                maßnahmen soll das Risiko, einen
jetzt mit denen aus der Jahrestagung der       auf dem Vormarsch                             meldepflichtigen Arbeitsunfall zu
Aufsichtspersonen und Präventionsfach-         Auch im internationalen Umfeld wird seit      erleiden, bis 2024 um 30 Prozent
leuten der BG RCI zusammengeführt wer-         Langem nach klaren einfachen Botschaf-
                                                                                             gesenkt werden.“
den und die Basis für einen „Vision Zero-      ten und einer einheitlichen Strategie
Leitfaden“ für Betriebe bilden. „Mit 700       gesucht. Vor diesem Hintergrund hat die
Unternehmerinnen, Unternehmern, Füh-           Sektion Bergbau der Internationalen Ver-      sind dabei auf überaus positive Resonanz
rungskräften, betrieblichen Expertinnen        einigung für Soziale Sicherheit mit Sitz in   gestoßen. Erfreulich ist, dass jetzt alle 13
und Experten sowie 300 Präventionsfach-        Genf die Vision Zero-Strategie für einen      Sektionen der Internationalen Vereini-
leuten aus unseren eigenen Reihen ist der      sicheren weltweiten Bergbau inzwischen        gung für Soziale Sicherheit (IVSS) für die

12   DGUV Forum 6/2015
Vision Zero der BG RCI

   4              Verringerung der Anzahl der anerkannten Berufskrankheiten
                  Durch geeignete Präventionsmaßnahmen soll die Anzahl der anerkannten und erstmals entschädigten Berufs-
                  krankheiten, die nicht aufgrund langer Latenzzeiten auf frühere Expositionen am Arbeitsplatz zurückzuführen
                  sind, weiter gesenkt werden.

    5             Steigerung der Anzahl unfallfreier Betriebe
                  Die Anzahl der Betriebe, die über einen definierten Zeitraum keine meldepflichtigen Arbeitsunfälle aufweisen,
                  soll gesteigert werden.

   6              Bedarfsgerechte Präventionsangebote und Präventionsmaßnahmen
                  Alle Präventionsangebote und -maßnahmen der BG RCI, wie die Beratung der Unternehmen, Aus- und Weiter-
                  bildungsangebote, Präventionskampagnen, Veranstaltungen, Präventionsmedien, Angebote für besondere
                  Zielgruppen, sind
                  • kundenorientiert und richten sich am Bedarf der Unternehmen aus,
                  • zeitgemäß und berücksichtigen aktuelle Entwicklungen,
                  • auf Wirksamkeit geprüft und evaluiert,
                  • klar strukturiert und praxisnah,
                  • insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen umsetzbar.

    7             Steigerung der Nutzung von Präventionsangeboten der BG RCI
                  Die Anzahl der Mitgliedsunternehmen, die Präventionsangebote der BG RCI aktiv in Anspruch nehmen und
                  für ihre betriebliche Präventionsarbeit nutzen, zum Beispiel Aus- und Weiterbildungsangebote, Demonstra-

                                                                                                                                      Quelle: BG RCI
                  tions- und Praxismodelle oder Kampagnenmodule, soll erhöht werden. Außerdem soll die Anzahl der Betriebe
                  mit Gütesiegel der BG RCI gesteigert werden.

unterschiedlichsten Branchen festgestellt     he Abbildung 2) fokussiert, die anhand
haben, dass die Vision Zero-Strategie kei-    von Kennzahlen überprüfbar sind. Mit be-
nesfalls nur im Bergbau anwendbar, son-       reits definierten Maßnahmen sollen tödli-
dern übergreifend geeignet ist, um die        che und schwere Unfälle sowie Berufs-
Präventionsarbeit erfolgreich auszurich-      krankheiten nach und nach weiter redu-
ten. Folgerichtig wurde anlässlich der        ziert werden. Ehnes verweist auf die Kräf-          „Wir werden
letzten Sitzung des Besonderen Aus-
schusses für Prävention am 3. Juni 2015 in
                                              te, die eine Vision entfalten kann: „Im Ge-
                                              gensatz zu dem Begriff Arbeitsschutz hat
                                                                                             bewährte Instrumente
Seoul einstimmig der Beschluss gefasst,       die Vorstellung von null Unfällen eine po-          beibehalten,
die Vision Zero-Strategie mit den sieben      sitive Strahlkraft. Das kommt auch bei den
Erfolgsfaktoren als gemeinsame Präven-        Menschen in den Betrieben an. Und am
                                                                                            aber sicher auch einiges
tionsstrategie für Betriebe für verbindlich   Horizont des Weges, den wir jetzt gemein-       über Bord werfen.“
zu erklären.                                  sam gehen, wollen wir mit unserer Vision
                                              Zero-Strategie dem großen Ziel einer Prä-
Vision mit Strahlkraft                        ventionskultur, bei dem es normal wird,
Wie geht es weiter? Die BG RCI hat ihre       der Sicherheit immer Vorrang einzuräu-
Präventionsstrategie auf sieben Ziele (sie-   men, ein Stück näher kommen.“          •
                                                                                                             DGUV Forum 6/2015    13
Titelthema

               Kampagne in Saskatchewan

               „Mission: Zero“ –
               Aufruf zum Handeln
               Um die Sicherheit am Arbeitsplatz zu erhöhen, wurde in der
               kanadischen Provinz Saskatchewan 2008 die „Mission: Zero“ ins
               Leben gerufen. Was hat die Kampagne mit einem markanten roten
               Knopf als Logo seitdem bewirkt?

               Hintergrund                                   Ureinwohner Kanadas (First Nations) ein.
               Saskatchewan ist eine von zehn kanadi-        Von 2007 bis 2013 hatte Saskatchewan
               schen Provinzen und befindet sich im          nach der Provinz Alberta das zweithöchs-
               Zentrum von Kanada. Die Landfläche be-        te Bevölkerungswachstum in Kanada.
               trägt 651.900 Quadratkilometer (mehr als
               eine Viertelmillion Quadratmeilen). Die       Im letzten Jahrzehnt florierte die Wirtschaft
               Hälfte der Provinz ist von Wald bedeckt,      und Saskatchewan feierte eine der höchs-

                                                                                                              Foto: iStock/CraigWWalker / Logo: WorkSafe Saskatchewan
               ein Drittel durch Ackerland und ein Ach-      ten Beschäftigungsquoten in Kanada mit
               tel durch Süßwasser – die Provinz verfügt     einer Arbeitslosenquote von 3,0 bis 5,0 Pro-
               über mehr als 100.000 Süßwasserseen.          zent. Beim gegenwärtigen Beschäftigungs-
                                                             wachstum ist Saskatchewan auf dem Weg,
               Saskatchewan hat eine auf Ressourcen ba-      noch mehr als 60.000 Arbeitnehmerinnen
               sierte Wirtschaft. Etwa 95 Prozent aller in   und Arbeitnehmern eine Erwerbsbeschäf-
               Saskatchewan produzierten Waren hängen        tigung bis 2020 zu vermitteln.

                                                             Die Geschichte der Verletzungen
               „Bis heute haben Führungskräf-                Die traurige Realität aber ist: Obwohl die
               te von 382 Organisationen die                 Provinz Saskatchewan über eine blühen-
               Health and Safety Leadership                  de Wirtschaft verfügt, weist sie in Kanada
               Charter unterzeichnet.“                       die zweithöchste Rate an Verletzungen am
                                                             Arbeitsplatz auf. Diese zweifelhafte Ehre
                                                             genießt Saskatchewan seit 2002, lange vor
               unmittelbar von den Grundressourcen ab:       dem Beginn des Aufschwungs.
               Getreide, Vieh, Öl und Gas, Kali, Uran und                                                    Die WCB in Saskatchewan ist in den ihr
               Holz sowie deren Raffinerieerzeugnisse.       2002 betrug die Time Loss Injury Rate (An-      unterstellten Wirtschaftszweigen durch
                                                             zahl der Arbeitsunfälle mit Ausfalltagen)       Gesetz bevollmächtigt, Entschädigungs-
               Die Provinz ist die Heimat von 1.132.640      in der Provinz 4,95 Prozent. Arbeitsunfäl-      leistungen und Versicherungsschutz für
               Menschen (Stand: Januar 2015), von de-        le belasteten deutlich die Beitragssätze        Beschäftigte, Arbeitgeberinnen und Ar-
               nen etwa 570.000 die erwerbstätige Bevöl-     der Worker’s Compensation Board (WCB)           beitgeber anzubieten. Sie ist nicht für Ar-
               kerung darstellen. Die Bevölkerung von        (Berufsgenossenschaft) und waren eine           beitsschutz-, Inspektions- und Durchset-
               Saskatchewan schließt 70 Nationen der         Belastung für die Wirtschaft der Provinz.       zungsbestimmungen zuständig. Dies wird
                                                                                                             durch die Occupational Health and Safety
                                                                                                             Division (OHS) (Abteilung für Sicherheit
               Autor                                                                                         und Gesundheit am Arbeitsplatz) des Mi-
                                                                                                             nistry of Labour Relations and Workplace
                                          Peter Federko                                                      Safety (LRWS) (Ministerium für Arbeitsbe-
                                          CEO „Saskatchewan Workers“ Compensation Board,                     ziehungen und Sicherheit am Arbeits-
                                          Vorsitzender des Ausschusses für Disability Management             platz) der Provinz geregelt.
                                          und Return to Work der International Association of
                                          Industrial Accident Boards and Commissions (IAIABC)                Im Jahr 2002 entwickelten das LRWS und
                                          E-Mail: pfederko@wcbsask.com                                       die WCB eine formelle Partnerschaft, ge-
                                                                                                             nannt WorkSafe Saskatchewan, um die
Foto: Privat

                                                                                                             Zahl der Arbeitsunfälle in der Provinz
                                                                                                             möglichst sofort zu verringern.

          14       DGUV Forum 6/2015
Mission Zero in Saskatchewan

Saskatchewan (hier die Hauptstadt Regina) weist eine florierende Wirtschaft auf, aber auch eine sehr hohe Zahl an Arbeitsunfällen.

Das Ziel der Zusammenarbeit war zudem,       sichtigten Verletzungen im ganzen Land         • verletzten sich 100 Personen
einen Plan zu erstellen, wie die vorhande-   aufwiesen. Unbeabsichtigte Verletzungen          während der Arbeitszeit,
nen Ressourcen besser genutzt werden         sind alle Verletzungen – egal ob sie bei der   • mussten 26 Personen ins
können. Die Partner entwickelten Kampa-      Arbeit, zu Hause oder beim Spielen gesche-       Krankenhaus,
gnen, stellten mehr Ressourcen zur Verfü-    hen –, bei denen nicht beabsichtigt war,       • erlitten 10 Personen eine bleibende
gung und stockten ihre Unterstützung für     einen Schaden zu verursachen.                    Behinderung,
die OHS und die Sicherheitsverbände auf.                                                    • starb eine Person.
                                             Wer in Saskatchewan wohnte und arbei-
                                             tete, hatte                                    Saskatchewan hatte nicht nur ein Prob-
„An einem durchschnittlichen                 • ein doppelt so hohes Risiko,                 lem mit der Sicherheit am Arbeitsplatz,
Tag in Saskatchewan verletzten                 verletzt zu werden,                          sondern auch ein gesellschaftliches und
sich 435 Personen außerhalb                  • ein viermal höheres Risiko,                  kulturelles. Risikobereitschaft gehörte
und 100 Personen während der                   eine Behinderung infolge einer               zum Leben. Die Bürgerinnen und Bürger
                                               Verletzung zu erleiden,                      von Saskatchewan schienen es im Durch-
Arbeitszeit.“
                                             • ein fünfmal höheres Risiko,                  schnitt hinzunehmen, verletzt zu werden.
                                               an einer Verletzung zu sterben.
Ungefähr zur gleichen Zeit veröffentlichte                                                  Saskatchewan hatte (und hat immer noch)
eine nationale Organisation namens           An einem durchschnittlichen Tag in Sas-        • die höchste Anzahl an Todesopfern bei
SMARTRISK einen Forschungsbericht, aus       katchewan                                        Autounfällen im ganzen Land
dem hervorging, dass die Menschen in Sas-    • verletzten sich 435 Personen                   (bezogen auf Autofahrerinnen und
katchewan die größte Anzahl von unbeab-        außerhalb der Arbeitszeit,                     Autofahrer mit Führerschein),              ▸
                                                                                                               DGUV Forum 6/2015    15
Titelthema

• die höchste Anzahl an neuen                 der null Unfälle für die Saskatchewan          branchen oder demografische Gruppen
  HIV-Infektionen,                            WCB, dass die Öffentlichkeit und die Me-       wie junge und erfahrene Führungskräfte
• die höchste Anzahl an rauchenden            dien mehr wissen wollten. Ein Interviewer      zu erreichen.
  Teenagern.                                  fragte: „Was ist, wenn etwas vom Himmel
                                              fällt und mich am Kopf trifft? Wie ist das     Die WCB hat auch Beziehungen zwischen
Obwohl die Landschaft in Saskatchewan         vermeidbar?“ Der aufgeweckte WCB-Inter-        Führungskräften in der Wirtschaft und in
überwiegend flach ist, ist der Weg der Prä-   viewte antwortete: „Wenn etwas vom Him-        der Provinz gefördert, die zu Hunderten
vention von Verletzungen lang und holp-       mel fällt und Sie am Kopf trifft, kommt es     die „Mission: Zero“ übernommen, unter-
rig, mit vielen Wendungen.                    von einem Flugzeug. Das bedeutet, dass         stützt und gefördert haben.
                                              jemand die Vorflugkontrolle nicht korrekt
Vorhersehbar – daher vermeidbar               durchgeführt hat. Sie haben eine Schrau-       Im Jahr 2010 organisierten WorkSafe Sas-
Die WorkSafe Strategie zur Prävention von     be nicht angezogen oder ein Werkzeug auf       katchewan und Safe Saskatchewan eine
Verletzungen beruht auf der Philosophie,      einem Flügel liegengelassen. Sie hätten        Veranstaltung, die zu einem Wendepunkt
dass alle Arbeitsunfälle vorhersehbar und     das nicht vermeiden können, aber jemand        in der Provinz führte. In Anerkennung
daher vermeidbar sind und dass die ein-       anders schon.“                                 der Tatsache, dass die Sicherheitskultur
zig richtige anzustrebende Zahl im Be-                                                       mit der Menschenführung anfängt, rich-
reich der Unfallprävention die Null ist.      Heutzutage befürworten die Medien „Mis-        teten die beiden Organisationen zusam-
                                              sion: Zero“, indem sie selten das Wort         men eine Veranstaltung aus, bei der erst-
Das Hindernis war, dass die meisten Be-       „Unfall“ in Berichten verwenden, Kultur        mals die Saskatchewan Health and Safety
schäftigten im Jahr 2002 nicht glaubten,      beeinflussen, Sicherheitsberichte verfol-      Leadership Charter (Führungscharta für
dass Verletzungen vorhersehbar und ver-       gen und an den „Mission: Zero“-Aufruf          Gesundheit und Sicherheit) von Füh-
meidbar wären. Die notwendige Kultur-         zum Handeln glauben.                           rungskräften aus Wirtschaft und Gemein-
veränderung verlangte die Entwicklung                                                        de unterschrieben wurde. Zugleich ver-
eines Bewusstseins, dass Verletzungen         Im Juni 2007 gaben 57 Prozent der Öffent-      pflichteten sie sich zur Einhaltung von
vermieden werden könnten. Es war also         lichkeit an, sich zu erinnern, dass sie Wer-   sieben Gesundheits- und Sicherheits-
erforderlich, dass Arbeitgeberinnen, Ar-      bung zum Thema Sicherheit gesehen hat-         grundsätzen und dazu, Botschafter für
beitgeber und Beschäftigte ihre Überzeu-      ten. Als man im Dezember 2014 2.008            Sicherheit in ihren Unternehmen und in
gungen und Handlungen sowie ihr Ver-          Personen fragte: „Haben Sie Werbung            der Gesellschaft zu werden.
halten änderten.                              über Sicherheit am Arbeitsplatz gese-
                                              hen?“ bejahten 80 Prozent, und 36 Pro-         Zweihundert Führungskräfte als Vertrete-
Von 2002 bis 2008 fiel die Time Loss Inju-    zent davon nannten WorkSafe Saskatche-         rinnen und Vertreter von 127 Unterneh-
ry Rate in Saskatchewan von 4,95 Prozent      wan oder eine seiner Botschaften als           men nahmen an der ersten jährlichen
auf 3,70 Prozent. Dies war eine positive      diejenige, an die sie sich direkt erinner-     Veranstaltung teil. Bis heute haben Füh-
Entwicklung, aber 2008 wurden der WCB         ten. Die Sicherheitskultur wächst.             rungskräfte von 382 Organisationen die
immer noch 43.303 Versicherungsfälle ge-                                                     Charta unterzeichnet. Diese Führungs-
meldet. Mehr Menschen, als die dritt-         Partner bei der Prävention                     kräfte sprechen sich für die Sicherheit in
größte Stadt der Provinz Einwohnerinnen       Die WCB existiert gemäß den Gesetzen der       der Provinz aus.
und Einwohner hat, erlitten Verletzungen      Provinz. Sie wird vollständig von den Ar-
am Arbeitsplatz. In einer Provinz mit ei-     beitgeberinnen und Arbeitgebern finan-         „Mission: Zero“ wurde in der Provinz von
ner Million Menschen war dies nicht hin-      ziert, von denen über 90 Prozent die In-       vielen der über 380 Charta-Unterzeich-
nehmbar.                                      vestitionen der WCB in Maßnahmen zur           nenden aufgenommen. Viele haben ihre
                                              Prävention von Verletzungen unterstüt-         Geräte und Fahrzeuge mit dem roten
Bei der Jahreshauptversammlung im Mai         zen. Jedoch konnte die WCB allein die Pro-     Knopf von „Mission: Zero“ versehen, ein-
2008 verkündete die WCB ein neues Ziel:       vinz nicht verändern.                          schließlich die Regierung von Saskatche-
null Verletzungen, null Todesfälle, null                                                     wan, bundesstaatliche Gesellschaften, die
Leiden. Die neue Mission würde null sein.     Seit der Gründung von WorkSafe Saskat-         Hauptstadt Regina sowie viele andere Or-
Die WCB kündigte eine Kampagne na-            chewan im Jahr 2002 begann die WCB,            ganisationen des privaten Sektors.
mens „Mission: Zero“ (Mission: Null) an       Partnerschaften strategisch zu entwickeln
mit einem markanten roten Knopf als Lo-       und darin zu investieren. 2005 war sie ei-     Auch die Profifußballmannschaft der Pro-
go. Dieser Knopf würde bald für Arbeitge-     ne Gründungspartnerin von Safe Saskat-         vinz, die Saskatchewan Roughriders, un-
berinnen, Arbeitgeber und Beschäftigte in     chewan, einer Non-Profit-Organisation,         terstützt „Mission: Zero“. Die Mannschaft,
der ganzen Provinz ein Aufruf zum Han-        die sich die Prävention aller Verletzungen     die Spieler und der Geschäftsführer fun-
deln werden.                                  zum Ziel gesetzt hatte.                        gieren in der Gesellschaft als Fürsprecher
                                                                                             für Sicherheit.
Ähnlich wie die Erfahrung von Eleuthère       Heute hat WorkSafe Saskatchewan 37 for-
Irénée du Pont in den 1800ern und die Er-     melle Partnerschaften mit Organisatio-         Das größte Privatunternehmen der Pro-
fahrung in Deutschland mit der Einfüh-        nen, deren Ziel die Prävention von Verlet-     vinz, Brandt Industries, schreibt der WCB
rung von Vision Zero (Vision Null) bedeu-     zungen ist, oder mit solchen, die die          und dem Charta-Programm die Verringe-
tete der Vorschlag des ehrgeizigen Ziels      einzigartige Fähigkeit haben, die Ziel-        rung der verlorenen Zeit durch Ausfallta-

16   DGUV Forum 6/2015
Mission Zero in Saskatchewan

                                               Jedes Unternehmen
ge von 2,10 im Jahr 2010 auf 0,31 (ab Au-      ist einzigartig.
gust 2014) zu. Jeden Tag setzt sich das
Unternehmen null als Ziel und stellt Schil-
der von „Mission: Zero“ in den Hallen sei-
                                               Genauso wie sein Schutz!
ner vier Fabriken auf, wo landwirtschaft-
liche Geräte produziert werden.

Anhand der WCB-Statistiken über Gehalts-       Wie können Sie Ihre Belegschaft und Unternehmens-
abrechnungen und der durchschnittlichen        werte umfassend vor betrieblichen Sicherheitsrisiken
Größe einer Familie in Saskatchewan kann
                                               schützen? Auf der Weltleitmesse in Düsseldorf
man davon ausgehen, dass die Charta und
die damit verbundenen „Mission: Zero“-
                                               finden Sie Konzepte, die individuell auf Ihr
Botschaften 350.000 der über eine Million      Unternehmen zugeschnitten werden können:
Einwohnerinnen und Einwohner von Sas-          von Brand- bis Schallschutz, von Elektro-
katchewan jeden Tag erreichen.                 bis Transportsicherheit und von
                                               Maschinen- bis Objektschutz. Erfahren
„Mission: Zero“ bewirkt etwas am Arbeits-
platz und in der Gesellschaft. Die Time        Sie mehr auf der A+A 2015!
Loss und Total Injury Rates (Zeitverlust-
und die gesamten Verletzungsraten) in
den Charta-Unternehmen verringern sich
schneller als der Provinzdurchschnitt.         Sicherheit erleben:
Von 2013 bis 2014 fiel die Time Loss Injury    www.aplusa.de/erleben
Rate um 5,12 Prozent. Bei den Charta-Un-
ternehmen, die zwischen 2010 und 2013
unterzeichnet hatten, sank diese Time
Loss Injury Rate um 14,78 Prozent. Von
2013 bis 2014 fiel die Total Injury Rate der
Provinz um 10,38 Prozent. Die Total Injury
Rate der Charta-Unternehmen ging um
11,18 Prozent zurück.

Die Zukunft                                                          27. – 30. Oktober 2015
Saskatchewan wird sicherer – heute und                               Düsseldorf, Germany
auch für die Beschäftigten von morgen. In
2014 lag die Time Loss Injury Rate bei 2,41
Prozent, weit entfernt von den 4,95 Pro-
zent im Jahr 2002. Die Total Injury Rate
von Saskatchewan betrug 6,99 Prozent.

Am 11. Juni 2015 fand die 6. jährliche Un-
terzeichnung der Health and Safety Lea-
                                               Persönlicher Schutz, betriebliche Sicherheit
dership Charter statt. Mehr als hundert
                                                             und Gesundheit bei der Arbeit
weitere Führungskräfte haben um Einla-
dungen gebeten, daran teilzunehmen und               Internationale Fachmesse mit Kongress
die Charta zu unterzeichnen.

„Mission: Zero“ ist nicht unmöglich. Im
Jahr 2014 ereigneten sich in 87 Prozent der                           www.AplusA.de
Unternehmen, in denen die WCB Versiche-
rungsschutz gewährt, keine Arbeitsunfälle.

Für die WorkSafe-Partner, die Führungs-
kräfte, die die Charta unterzeichnet ha-
ben, und für andere aus aller Welt, die je-
den Tag null Verletzungen anstreben, geht
es um eine kontinuierliche Verbesserung.
Spitzenleistungen erreicht man nur, wenn
man nach Perfektion strebt.             •
                                                                        DGUV Forum 6/2015   17
Titelthema

                                                         Vision Zero in New York

                                                         „Die sicherste
                                                         Großstadt der Welt“
                                                         Die Vision Zero-Strategie ist in den Vereinigten Staaten von Amerika
                                                         auf dem Vormarsch. Eine Reihe von Städten, unter anderem Boston,
                                                         Chicago und Seattle, hat bereits eigene Vision Zero-Pläne verabschie-
                                                         det. Auch New York besitzt seit Anfang 2014 einen solchen und will
                                                         „die sicherste Großstadt der Welt“ werden. Kürzlich wurde das erste
                                                         Jahr der Umsetzung evaluiert.

                                                         Bis einschließlich 2013 verletzten sich je-    New Yorker Bürgermeisterwahlen im No-
                                                         des Jahr durchschnittlich rund 4.000           vember 2013 trat der Demokrat Bill de Bla-
                                                         Menschen in New York schwer und 250            sio an, der im Wahlkampf forderte, dass
                                                         starben bei Verkehrsunfällen. Für die un-      die Stadt entschieden und nachhaltig
                                                         ter 14-Jährigen sind Verkehrsunfälle die       handeln müsse, um die Zahl der Verkehrs-
                                                         häufigste verletzungsbedingte Todesursa-       toten immer weiter zu senken, bis die Vi-
                                                         che, bei den Älteren immerhin noch die         sion Zero erreicht sei: eine Stadt ohne To-
                                                         zweithäufigste. Im Durchschnitt wurde in       te und Schwerverletzte als Folge von
                                                         New York alle zwei Stunden ein Mensch          Verkehrsunfällen.1
                                                         durch Verkehrsunfälle schwer verletzt
                                                         oder getötet.
                                                                                                        „Im Durchschnitt wird in New York
                                                         Dabei hatte sich die Situation in den ver-     alle zwei Stunden ein Mensch
                                                         gangenen 20 Jahren schon deutlich ver-         durch Verkehrsunfälle schwer
                                                         bessert. Noch 1990 verloren auf den Stra-      verletzt oder getötet.“
                                                         ßen der Stadt 701 Menschen ihr Leben, im
                                                         Jahr 2000 waren es 381. Der Rückgang be-
                                                         ruhte nicht zuletzt auf Verbesserungen         Keine drei Monate nach seinem Sieg wur-
                                                         des Straßendesigns an neuralgischen            de im Januar 2014 der „Vision Zero Action
                                                         Punkten, die vom New York City Depart-         Plan“ beschlossen, der 63 einzelne Punk-
                                                         ment of Transportation vorgenommen             te umfasst.2 Bereits die einleitenden Sätze
                                                         worden waren. Dieser Erfolg reichte den        des Planes sollen die Entschlossenheit
                                                         Verantwortlichen nicht, die Zeit für die Vi-   vermitteln: „Die grundlegende Botschaft
                                                         sion Zero war reif.                            der Vision Zero ist, dass Tod und Verlet-
                                                                                                        zungen auf den Straßen unserer Stadt in-
                                                         Der Weg zur Vision Zero                        akzeptabel sind, und dass wir schwere
                                                         Die Vision Zero nahm, aus Schweden             Unfälle nicht mehr länger als unvermeid-
                                                         kommend, in den Jahren nach 2000 in            bar betrachten. Wir werden solche Unfäl-
                                                         den USA Fahrt auf. Vorreiter waren die         le nicht mehr länger akzeptieren, das ver-
malajscy/Fotolia

                                                         Bundesstaaten Minnesota und Washing-           spreche ich Ihnen. Wir werden Leben
                                                         ton State. Als erste Großstadt verabschie-     retten. Und die Arbeit beginnt heute.“
                                                         dete Chicago im Mai 2012 einen entspre-        Auffällig ist die Wortwahl. Es geht nicht da-
                                                         chenden Plan. Weitere folgten. Zu den          rum, dass man die Ziele erreichen „wolle“,
                                                                                                        sondern man „wird“ die Ziele erreichen.
                                                                                                        Man versucht nicht, Unfälle zu vermeiden,
                   Autor                                                                                sondern man „wird“ sie vermeiden. Man
                                                                                                        „will“ nicht Leben retten, sondern man
                   Franz Roiderer                                                                       „wird“ sie retten. Im April 2015 wurde der
                   Universum Verlag, Wiesbaden                                                          erste Evaluationsbericht „Vision Zero – One
                   E-Mail: franz.roiderer@universum.de                                                  Year Report“ veröffentlicht.

                   18   DGUV Forum 6/2015
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