Gemeinde Ein Tag in der - Ungewöhnliche Einblicke in den Alltag von Kirchengemeinden - Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck
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Februar 2019 Ein Tag in der Gemeinde IN DER STADT UND AUF DEM LAND Ungewöhnliche Einblicke in den Alltag von Kirchengemeinden Foto: medio.tv/Schauderna
THEMA Was ist für Sie eine Inhalt gute Kirchengemeinde? Foto: M. Siegk THEMA Begegnungen mit ande- ren, auch abseits der ei- 4 er hätte das gedacht? W Wie es in evangelischen Kirchenge- meinden zugeht genen Milieus, sollten in Kirchengemeinden vor- behaltlos möglich sein. 6 Matthäuskirche Kassel: Wir sind keine geschlos- Von gelangweilten Eseln und einer sene Gesellschaft, das Königin im Vorstand erleben wir täglich aufs Neue. Von der Kirchen- 9 Kirchengemeinde Wallroth: gemeinde erwarte ich einen Beitrag für ein Umfrage: Matthias Siegk, Sontra Puppentaufe, Gnadenhochzeit gelingendes Miteinander – Solidarität im hu- und Konfibasteln manitären wie im christlichen Sinn. Vielleicht braucht es beim Blick auf die Gemeinschaft 12 Interview mit Prof. Bude: Eine Art von Aufgehobenheitsgefühl und die Frage, was diese für jeden Einzelnen bedeutet, gelegentlich ein Update. 14 CROSS Jugendkulturkirche Bernd Helbach (67), Rentner und Filmemacher in Waldkappel-Kirchhosbach 15 Gebärdensprachgemeinde Fulda Foto: M. Siegk 16 Das kann doch nicht wahr sein ... Auf dem Dorf verbindet das Engagement in der Kirchengemeinde über 24 Kirchenglocken: „Wenn es bimmelt, kommt ihr rein!” Generationen hinweg. Das erlebe ich in meiner Familie: Meine Frau Hei- LANDESKIRCHE drun war im Kirchenvor- stand aktiv und leitete 18 Mitmachen im Kirchenvorstand 15 Jahre den Kindergot- tesdienst. Unsere Töchter Kathrin und Kirsten führen diese Familientradition fort. Ich erwarte von meiner Gemeinde, dass sie in Zeiten gro- RATGEBER ßer Sparzwänge an Traditionen und christli- chen Werten festhält und dafür sorgt, dass 19 Im Miteinander liegt die Kraft es bei kirchlichen Anlässen wie Trauung oder Konfirmation auch zukünftig festlich zugeht. UNTERWEGS Erhard Franke (60), Betriebsschlosser aus Weißenborn-Rambach 20 Langeoog lockt: Ab auf die Insel! IMPRESSUM RÄTSEL Herausgeber: Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck 22 Wilhelmshöher Allee 330, 34131 Kassel Die Basis der Kirche Redaktion: Lothar Simmank (Ltg.), Olaf Dellit Heinrich-Wimmer-Straße 4, 34131 Kassel Beirat: Dr. Anja Berens, Christian Fischer, 23 Telefon 0561 9307–152, Fax –155 Carmen Jelinek, Eckhard Lieberknecht, Zu gewinnen: Petra Schwermann, Detlev Wolf redaktion@blick-in-die-kirche.de Ausflug nach Langeoog www.blick-in-die-kirche.de Gestaltung: Lothar Simmank, Olaf Dellit 2 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
EDITORIAL Liebe Leserinnen, Foto: M. Siegk Meine Kirchengemeinde sollte mich aufnehmen – egal, wie ich mein Leben liebe Leser, führe. Sie sollte offen sein für Neues und an Martin Luther hätte das Wort „Kir- Modernität wachsen. che“ am liebsten abgeschafft und Gleichzeitig freue ich stattdessen das Wort „Gemeinde“ Foto: medio.tv/Schauderna mich, wenn sich aus der benutzt. Auch Dietrich Bonhoeffer Gemeinde heraus Neu- lenkte den Blick von der „Kirche“ es entwickelt – ein Gospel-Chor, Akteure für‘s weg auf die Gemeinde, wenn er Krippenspiel, Zusammenschluss mit anderen sagt: „Christus existiert als Gemein- Gemeinden, wenn die eigenen Ressourcen de.“ In der biblischen Tradition ist für attraktive Angebote nicht reichen. Ich bin es vor allem der Apostel Paulus, der dankbar, dass ich eine Kirchengemeinde habe, diesen Gedanken stark macht: Die in der ich mich gut aufgehoben fühle. Gemeinde ist der Leib Christi, zusammengesetzt aus vielen verschiedenen Gliedmaßen. Katja Strohschein (29), selbstständige Fotografin in Sontra Das Gemeindeleben ist vielfältig – so vielfältig, wie wir Menschen eben sind. Es ergibt keinen Sinn, alles über ei- nen Kamm scheren zu wollen. Immer war es eine Stärke der evangelischen Kirche, so wenig „Kirche“ wie nötig zu sein Foto: M. Siegk Johannes: „Bunt und und so viel „Gemeinde“ wie möglich. lebendig soll es sein in einer Kirchengemeinde. Ich glaube, wir müssen neu lernen, den Blick darauf zu Ich freue mich, wenn richten, was „vor Ort“ geschieht: Welche Menschen bilden alles, was in der Kirche die Gemeinde – und wie leben, arbeiten und beten sie mit- passiert, viel lebendiger einander? Als evangelische Kirche wissen wir, dass Vielfalt wird. Wenn ich dort ei- Ausdruck des Glaubens ist und nicht von allzu viel Organi- nen Freund treffe, möch- sation erdrückt werden darf. te ich den begrüßen können und nicht immer nur still sitzen und to- Dieses Heft will den Blick auf zwei exemplarische Kirchen- tal ruhig sein müssen. Mehr Farbe, mehr Licht gemeinden lenken – als Ermutigung und Anregung. Es in der Kirche wären gut. Wenn Gott die Welt stimmt: In der Gemeinde begegnen wir nicht nur anderen so gewollt hätte, wie unsere Pfarrer immer an- Menschen, sondern Christus selbst. gezogen sind, hätte er sie ja gleich in nur die- ser einen Farbe erschaffen können.“ Herzlichst Hanna: „Ich wünsche mir, dass man in der Ihr Kirche Spaß hat!“ Johannes (9) und Hanna-Marie Volz (5) besuchen die Wiesenschule und den Kindergarten Wiesenwichtel Prof. Dr. Martin Hein in Sontra-Ulfen Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck Herstellung: Dierichs Druck + Media GmbH & Co KG, Kassel Vertrieb: HNA, Kassel u. a. Mehr Informationen über die vielfältigen Angebote der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck finden Sie im Internet: www.ekkw.de blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 3
THEMA Wer hätte das Foto: pixabay Wie geht es wirklich zu in Pfarrer arbeiten nur sonntag- Mit dem Geld aus dem Klingelbeutel morgens und können sich ihre werden die Pfarrer bezahlt. Zeit sonst frei einteilen. Foto: Fotolia Schön wär‘s für die Betroffenen – aber Gemeindepfarre- Wenn dem so wäre, müssten rinnen und -pfarrer sind die ganze Woche über im Einsatz. viele Pfarrer und ihre Famili- Auf dem Land halten viele sonntags sogar zwei oder drei en weit unter dem Gottesdienste hintereinander weg. Auch sonst ist der Termin- Sozialhilfeniveau leben. kalender voll: Beerdigungen, Trauungen, Besuche, Predigtvor- Nein, die Verwendung der bereitung, Konfistunden, Sitzungen – und immer mehr Ver- Kollektengelder ist für viele di- waltungsarbeit. Montags ist Pfarrersonntag, da haben akonische Zwecke eingeplant oder für Gemeindeangebote wie sie (theoretisch) frei. zum Beispiel Kirchenmusik vorgesehen. Pfarrer werden in etwa so bezahlt wie Lehrer und erhalten ihr tarifliches Gehalt, das aus Mitteln der Kirchensteuer stammt, unabhängig von der Gemein- degröße monatlich aufs Konto. Foto: medio.tv/Schauderna Heutzutage gibt es mehr Pfarrer oder Pfarrerinnen Pfarrerin sind Foto: Fotolia als Pfarrer. die Chefs der Kirchen- Die Frauen werden mehr, aber die Männer in der Pfar- gemeinden. rerschaft der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Wadeck sind immer noch in der Überzahl. Die aktuelle Statistik der Manchmal ja, manchmal nein. Denn evangelische Kirchenge- Landeskirche weist 524 Männer und 411 Frauen aus. Es gibt meinden werden von Kirchenvorständen (KV) geleitet. Vorsitzen- auch eine ganze Reihe von Pfarrerehepaaren, die sich eine der eines KV ist in der Regel der Gemeindepfarrer, es kann aber Gemeindepfarrstelle teilen. auch ein anderes gewähltes oder berufenes KV-Mitglied sein, wie dies bei etwa einem Drittel der Gemeinden in Kurhessen-Waldeck der Fall ist. Die landeskirchliche Grundordnung legt fest: Wenn ein Pfarrer Vorsitzender ist, muss sein Stellvertreter ein Laie sein – und umgekehrt. Übrigens: 2019 sind KV-Wahlen (s. Seite 18). Die meisten Foto: medio.tv/Simmank Kirchentüren sind Veranstaltungen die Woche über in Kirchengemeinden verschlossen. sind nur für Mitglieder. Offene Kirchen findet man immer häufiger: Nicht wenige Geschlossene Gesellschaft? Das gibt es eigent- Gemeinden in den Innenstädten, auf Dörfern oder oft auch an lich nicht in evangelischen Kirchengemeinden. Grundsätz- Wander- oder Radwegen gelegen öffnen ihre Türen tagsüber für lich sind alle Veranstaltungen öffentlich – und selbstverständ- Besucher. Sie laden zu Besinnung und Begegnung ein. Etwa 130 lich können nicht nur Kirchensteuerzahler am Gottesdienst Gebäude in Kurhessen-Waldeck tragen das Signet für „Offene teilnehmen. Natürlich gibt es Veranstaltungen, die Eintritts- Kirchen”. An den blauen Schildern erkennen Gäste: Hier ist eine geld kosten – Konzerte, Aufführungen oder Vorträge. Und weil Kirche verlässlich geöffnet. Hier sind Gäste willkommen. es in Kirchenvorstandssitzungen oft um Personalfragen geht, sind diese nicht öffentlich. 4 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
THEMA gedacht? Vorurteil trif ft auf Realität evangelischen Kirchengemeinden? Diese Kirchenglocken Man kann Foto: medio.tv/Socher sind echt nervig! in der Kirche nur Beschwerden sind Babys taufen äußerst selten, lassen. Foto: medio.tv/Schauderna berichten die vier Glockensachverstän- Durch die Taufe wird ein Kind in die Gemeinschaft der Chris- digen in Kurhessen- ten aufgenommen und es wird deutlich, dass das Leben ein Waldeck. Meist findet Geschenk Gottes ist. Für viele Eltern und Paten ist es wichtig, man einvernehmliche dass sie mit der Verantwortung für ein Neugeborenes nicht al- Lösungen. Das Glo- leine sind. Aber natürlich können nicht nur Säuglinge getauft ckengeläut ist gesell- werden. In den vergangenen Jahren ist das durchschnittliche schaftlich erwünscht. Alter der Täuflinge gestiegen, viele lassen sich während der Es wirkt wie ein „Geländer durch das Leben“, sagt Landes- Konfirmandenzeit taufen oder als Erwachsene. Es gibt sogar die kirchenmusikdirektor Uwe Maibaum. Glocken können nach Möglichkeit, ein Kind taufen zu lassen, dessen Eltern gar nicht Heimat klingen. Sie sind für Kirchengemeinden identitäts- in der Kirche sind. Die Bandbreite bei der Taufe zeigt sich auch stiftend und verleiten zum Innehalten. Das tägliche Glocken- in neuen Formen wie Taufen in Flüssen oder einem Tauffest wie geläut um 12 Uhr beispielsweise ruft zum Frieden auf. Klang 2012 in Kassel, als 72 Taufen mit mehr als 1.000 Besuchern und Impuls – unabhängig von der religiösen Prägung. gemeinsam im Bergpark Wilhelmshöhe gefeiert wurden. Jugendliche heißen in der Kirche Foto: medio.tv/Schauderna Für eine Hochzeit Konfirmanden. muss ich die Kirche mieten. Konfirmanden sind Jugendli- che, aber Jugendliche nicht unbe- Eine Hochzeit in der Kirche ist ein dingt Konfirmanden. Mit dem Fest besonders festlicher Gottesdienst, in der Konfirmation werden junge dem das Paar seine Verbindung unter Christen vollwertige Mitglieder der Gottes Segen stellt. Und selbstverständlich können Christen in ih- Gemeinde. Davor steht der Konfir- Foto: medio.tv/Schauderna rer Kirche heiraten, sie müssen nur den Termin rechtzeitig abstim- mandenunterricht, in dem sie sich mit Fragen des Lebens und men. Allerdings ist eine Kirche auch keine Event-Location, die für des Glaubens befassen. Die Konfirmation wurde im 16. Jahr- jeglichen Anlass gemietet werden kann. Für eine kirchliche Trau- hundert in Kurhessen-Waldeck erfunden. Im Streit, ob man Kin- ung muss mindestens ein Ehepartner Mitglied der evangelischen der oder Erwachsene taufen sollte, fand der Reformator Martin Kirche sein. Mehr Antworten auf Fragen zur Trauung: Bucer einen Kompromiss: Mit der Konfirmation („Bestätigung“) www.ekkw.de/ratgeber/trauung.html entschieden sich getaufte Christen bewusst für den Glauben, in den sie als unmündige Kinder hineingetauft worden waren. Niemand weiß, was mit den Kirchensteuern passiert. In der Kirchengemeinde geht es noch genauso zu wie vor 50 Jahren. Die Haushalte – also Ein- und Ausgaben der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck werden von der Synode (dem Wenn Sie das glauben, sollten Sie zunächst einmal dieses Kirchenparlament) in öffentlicher Sitzung beraten und be- Heft ganz genau lesen. Sie werden sich wundern, was Kirchen- schlossen, sie sind kein Geheimnis. Auch im Internet gibt es gemeinden alles zu bieten haben und auf welche Ideen Haupt- viele Informationen: www.ekkw.de/unsere_kirche/zahlen.html und Ehrenamtliche in der Kirche so kommen. Und das ist nur Übrigens: Nur rund ein Drittel der Mitglieder zahlt Kirchensteu- ein kleiner Ausschnitt vom großen Ganzen. Noch viel besser als er, weil Menschen mit geringem oder ohne Einkommen davon lesen ist aber: Gehen Sie doch – ganz unverbindlich – einfach ausgenommen sind. mal hin und überzeugen Sie sich. Vom Gegenteil. Texte: Lothar Simmank, Olaf Dellit blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 5
THEMA Von gelangweilten Eseln und einer Königin im Vorstand Ein ganz normaler Mittwoch: Was passiert in einer evange- lischen Kirchengemeinde in der Großstadt – in diesem Fall in der Matthäuskirchengemeinde im Kasseler Stadtteil Nieder- zwehren? 09:15 Uhr Im Gemeinderaum müssen schienen. Der Anrufbeantworter gibt Aus- noch Stühle gestellt werden, gut 30 Frau- kunft: Röder ist krank. Hering ruft ihn an 8:30 Uhr Der Computer im Gemeinde- en sind zum Stadtteilfrühstück gekommen. und sichert Unterstützung zu, falls der Kol- büro springt nicht an, der Monitor hat Für vier Euro dürfen sie das Büffet, das von lege auch an den Weihnachtstagen noch keinen Strom. Tatsächlich ist nur ein Ste- Ehrenamtlichen liebevoll angerichtet wird, krank sein sollte; dann, wenn ein Gottes- cker lose: Der Arbeitstag kann beginnen. genießen – und vor allem Gemeinschaft dienst den nächsten jagt. Pfarrer Dietrich Hering sitzt mit Sekretärin finden. Das Frühstück gehört zum Projekt Es hätte einiges zu besprechen gege- Gabriele Günther zu einer Besprechung FÄN (Fachkoordination Älterwerden in Nie- ben, denn die beiden Gemeinden haben im Büro. Küsterin Claudia Meyer ist auch derzwehren), an dem sich die Kirchenge- ihre Fusion im Jahr 2020 beschlossen schon da. Pfarrer Hering hat den kompak- meinde intensiv beteiligt. und wollen bis dahin langsam zusam- ten Pfarramtskalender, dunkelgrün, in der Armut und Einsamkeit im Alter seien menwachsen. Pfarrer Hering verspricht Hand. Ein Blick über seine Schulter zeigt: Probleme, sagt Pfarrer Hering, daher sei sich viele Vorteile von einer gemeinsamen Da steht viel drin. Im Gespräch mit Gabri- diese Gemeinwesenarbeit so wichtig. Das Gemeinde: mehr zeitliche Flexibilität und ele Günther geht es jetzt um Termine, um Frühstücksangebot spreche sich herum, neue Formen bei den Gottesdiensten, aber Absprachen und um die Prüfung von ein- auch diesmal sind neue Gesichter im Ge- auch die Entlastung eines der beiden Pfar- gereichten Rechnungen. meindehaus dabei. Und für Hering ist es rer von der Geschäftsführung. ein Segen, dass die Ehrenamtlichen sich Jetzt nutzen Hering, Sekretärin Gün- DIE FAKTEN um das Frühstück kümmern und er einfach ther und Küsterin Meyer die gewonnene da sein kann: als Pfarrer und Seelsorger. Zu Zeit, um große und kleine Dinge zu bespre- Dietrich Hering (55) ist seit 19 Jahren Beginn hält er, mit Blick auf den 24-Ker- chen: Wann wird der Weihnachtsbaum – Pfarrer der Matthäuskirchengemeinde zen-Adventskranz, eine kurze Andacht. in diesem Jahr „nur“ vier statt wie sonst in Kassel. Hering hat in Göttingen und Für das Frühstück wie für viele Angebo- sieben Meter hoch – aufgestellt und ge- München Theologie studiert, später zusätzlich Diakonie-Management. Unter te in der Gemeinde gilt: „Begegnung und schmückt? Welcher Mitwirkende bekommt anderem ist er Vorsitzender des Diakonie- Gemeinschaft sind unser Anliegen.“ Blumen nach dem Heiligabend-Gottes- ausschusses im Stadtkirchenkreis Kassel dienst? Und die Sekretärin organisiert per und sitzt im Aufsichtsrat der Baunataler 10:00 Uhr Wo ist Pfarrer-Kollege Winfried Telefon gleich schon mal die Organistin Diakonie Kassel. Hering ist geschieden Röder von der Lukaskirche? Zur gemeinsa- für den Ostersonntag. Unterdessen schiebt und hat zwei erwachsene Kinder. Zu men Dienstbesprechung ist er nicht er- Küsterin Meyer Tische für den Nachmittag. seiner Gemeinde gehören mehr als 2.000 Christen. 2020 will sich die Matthäus- mit der benachbarten Lukaskirchengemeinde zusammenschließen, die neue Gemeinde wird mehr als 5.000 Mitglieder haben. Zu den zahlreichen Angeboten der Mat- thäus- und Lukaskirche gehören neben Gottesdiensten, Gottesdiensten für Kinder und Andachten diverse Gruppen, darunter Kleinkindergruppen, Männer- sowie Frau- entreff, Flöten- und Kirchenchor, Stadtteil- Fotos: medio.tv/Dellit frühstück, Mittagstisch, Salongespräche, Flüchtlingscafé, Tanzgruppen, Senioren- kreis, Computerkurse für Ältere, Besuchs- dienst, Gedächtnistraining, Konfirmanden- unterricht. Neben den Hauptamtlichen arbeiten 150 Menschen ehrenamtlich mit. www.matthaeuskirche-kassel.de Im Gemeindebüro: Sekretärin Gabriele Günther im Gespräch mit Pfarrer Dietrich Hering 6 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
THEMA Probe für das Krippenspiel: von links Leonard, Mia, Frieda, Anton, Sarah, Dalia, Filip, Luisa und Henry, hinten Erzieherin Friederike Helmbold Fotos: medio.tv/Dellit 12:00 Uhr Es gibt Nudeln. Direkt neben 14:00 Uhr Pfarrer Hering führt ein Beer- Spaß macht, vermutlich. Chaos also – aber der Matthäuskirche liegt die größte evan- digungs-Nachgespräch. Wenn möglich, so das muss bei Krippenspielproben eigent- gelische Kindertagesstätte Kassels, wo erzählt er, besucht er Angehörige einige lich so sein. „Irgendwie“, sagt Helmbold, jetzt das Essen auf den Tisch kommt. Sie- Wochen nach der Beerdigung noch einmal „wird es schon.“ ben Gruppen – eine für Krippenkinder, drei und spricht mit ihnen über ihre Trauer. im Kindergarten und drei im Hort – finden 15:00 Uhr Im Gemeinderaum ist schon dort Platz, insgesamt fast 150 Kinder. „Wir 14:00 Uhr Zeitgleich ist dem Esel ein wieder Leben – das „Café Matthäus Inter- sind über die Jahre gewachsen“, erzählt Ki- wenig langweilig, jedenfalls schaut er – national“ öffnet. Seit gut drei Jahren fin- ta-Leiterin Gudrun Okulla. dargestellt von einem Kind – gelangweilt den Flüchtlinge, die in einer Unterkunft Nicht nur räumlich liegen Kita und in die Luft und ignoriert das Getöse. Frie- auf dem Gemeindegebiet wohnen, hier Kirche dicht beieinander. Für die Kinder derike Helmbold und ihre Mitstreiterinnen einen Raum für Beratung und Geselligkeit. ist die Kirche auch, wie Okulla sagt, ein haben Kinder aus Kita und Gemeinde zur „Mittlerweile sind Freundschaften Erlebnisraum: Begrüßungen neuer Kinder ersten Krippenspielprobe in der Kirche zu- entstanden“, sagt Barbara König, die von und Feiern zu christlichen Festen werden sammengetrommelt. Anfang an dabei war. Renate Müller freut dort begangen. Und die Hortkinder dürfen Das mit dem Trommeln ist dabei wört- sich, als drei ältere afghanische Frauen das relativ kleine Gelände direkt an der lich zu nehmen, denn das Krippenspiel hat hereinkommen, die sie lange nicht gese- Kita auch verlassen und rund um die Kir- viele musikalische Elemente. Xylophon, hen hat. Die Begrüßung ist herzlich. Mül- che spielen, etwa an der Tischtennisplatte. Flöte, Schlagwerk, Pauke – und dann sin- ler berät und vermittelt in einem Neben- Elf Kinder in der Einrichtung hätten gen die Kinder aus vollem Hals: „Ein Kind raum – es geht um Jobs und Wohnungen. Erfahrungen mit Flucht machen müssen, kam heute auf die Welt und hat die dunk- Das, sagt sie, sei besonders schwierig, weil sagt die Kita-Leiterin. Nach drei Jahren le Nacht erhellt.“ Es ist laut und trubelig. bis zu 400 Menschen sich auf eine kleine hätten sie sich gut eingelebt und integ- Wer gibt wem wann das Mikrofon? Warum Wohnung bewürben. Rundfunkgebühren, riert, sodass viele für ihre Eltern dolmet- liegt ein Engel unter dem Xylophon? Und Wassergeld – alles Dinge, die in vielen schen könnten. wieso erklingt jetzt die Trommel? Weil's Ländern unbekannt sind und hier plötz- Gesichter der Gemeinde: von links Kindertagesstättenleiterin Gudrun Okulla, Pfarrer Dietrich Hering und Küsterin Claudia Meyer – am Fair-Trade-Stand blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 7
THEMA lich erledigt werden müssen. Gut, dass ten, danach soll es Suppe und Glühwein Fotos: medio.tv/Dellit Mohammed Diab mit am Tisch sitzt, der geben – als Dank für die ehrenamtliche vor Jahren aus dem Libanon kam und Arbeit. Doch wie man so sagt: Erst die als Dolmetscher bei den Gesprächen Arbeit, dann das Vergnügen. Pfarrer hilft. Auch beim Flüchtlingscafé kann Hering glaubte vor der Sitzung noch, die Kirchengemeinde auf das Engage- man könne nach 20 Minuten fertig ment ihrer Ehrenamtlichen setzen, die sein. Das klappt nicht ganz, denn es sichtlich mit Herz und Spaß bei der Sa- gibt doch einige Themen abzuarbeiten. che sind. Pfarrer Hering formuliert den Ein Hängesessel für die Kita und neue Anspruch so: „Christlicher Glaube muss Stühle für das Kirchenfoyer werden bewil- sich in den Taten widerspiegeln.“ ligt, es wird Bilanz des Weihnachtsmarktes Als die afghanischen Frauen, das Ehe- und -konzerts gezogen, Vikar Björn Henkel paar mit dem Baby, die Kinder und die stellt sein Konzept für ein Wintergrillen für anderen gegangen sind, wird abgedeckt werden gesungen und Pfarrer Hering lei- Neubürger vor. Wer bekommt Spenden aus und aufgeräumt, Tische werden gestellt tet eine Meditation an. Jeder kann eine dem Klingelbeutel? Wer hilft beim Küche- und Kartons verstaut. Hering trägt noch Kerze entzünden für einen Menschen, an Ausräumen für die Renovierung? Und der Becher, Gläser und Teller rüber ins Pfarr- den er denkt, oder für ein Anliegen, das nächste Sitzungstermin muss auch festge- haus, dann kann er eine Pause einlegen. ihn bewegt. In der Andacht ist viel Raum legt werden. für Stille. „In der Stille begegnen wir uns 17:50 Uhr Küsterin Meyer und Kita- selber und wo wir uns begegnen, begeg- 21:10 Uhr Die Königin von Niederzweh- Leiterin Okulla zünden Kerzen an, die in nen wir Gott.“ ren legt ihre Unterlagen beiseite, der offi- Gläsern stehen und den Weg zum Kir- zielle Teil der Sitzung endet, jetzt kann es chenraum beleuchten. Jeden Abend im »Jeder Mensch ist von Gott vorweihnachtlich gemütlich werden. Advent steht die Matthäuskirche von 18 geliebt und ist es wert, dass bis 20 Uhr Menschen offen, die Stille und 23:30 Uhr Es ist spät geworden im Pfarr- vielleicht ein Gebet suchen. Eine große man sich um ihn kümmert.« haus. Draußen ist es seit Stunden dunkel, Laterne mit Kerze und ein Schild an der als sich die letzten Kirchenvorsteher auf Eingangstür weisen darauf hin. 20:00 Uhr Barbara König, augenzwin- den Heimweg machen und ein langer, er- kernd auch „Königin von Niederzwehren“ eignisreicher Tag im Leben der Matthäus- 19:00 Uhr In den Turmraum der Kirche genannt, hat im Kreis der heute 13 Män- Kirchengemeinde zu Ende geht. Wenn müssen noch Stühle geholt werden. Es ist ner und Frauen das Sagen. Sie ist Vorsit- man einen roten Faden für den Tag und voll geworden für die wöchentliche Ad- zende des Kirchenvorstands, dem wichtigs- die Arbeit der Gemeinde suchen will, könn- ventsandacht. Der Kranz mit den 24 Ker- ten Gremium einer Kirchengemeinde. Zu te es der Satz sein, den Pfarrer Hering ge- zen – die ursprüngliche, vom Theologen Beginn fordert sie den Protokollanten der sagt hat: „Jeder Mensch ist von Gott ge- und Erzieher Johann Hinrich Wichern in voherigen Sitzung auf, sein Werk vorzutra- liebt und ist es wert, dass man sich um den 1830er-Jahren erfundene Variante gen. „Nu’ lass ma’ hören, was du da so zu- ihn kümmert.“ Hering sagt das allerdings – steht jetzt hier. 25 Besucher sitzen auf sammengekritzelt hast!“ Der Ton ist locker. nicht, ohne hinzuzufügen, wie viel man den Hockern, die im Rund stehen. Es er- Die letzte Sitzung des Jahres wird in von den Menschen zurückbekomme. l klingt Musik von Cello und Violine, Lieder gemütlicher Runde im Pfarrhaus abgehal- Olaf Dellit Menschen im Mittelpunkt: Barbara König leitet die Kirchenvorstandssitzung (linkes Bild) und Renate Müller berät geflüchtete Menschen zum Beispiel bei der Job- und Wohnungssuche (rechtes Bild) 8 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
THEMA Puppentaufe, Gnadenhochzeit und Konf ibasteln Ein ganz normaler Dienstag: Was passiert in einer evangelischen Kirchengemeinde auf dem flachen Land – in diesem Fall in Wall- roth, Breitenbach und Kressenbach im Kirchenkreis Schlüchtern? DIE FAKTEN 8:30 Uhr Pfarrer Eisenbach liefert seinen und Eigenleistungen Die Pfarrstelle in der evangelischen kleinen Sohn Erik im Evangelischen Kin- haben geholfen. Jetzt Kirchengemeinde Wallroth – Breitenbach – dergarten „Unterm Regenbogen” ab. Und sollen die Handwerker Die Kirche im Zentrum Kressenbach (kurz WBK) teilen sich Stefan weil er schon mal da ist, führt er gleich ein ihr Geld bekommen. des 1.000-Einwohner- und Marie Eisenbach. Beide sind 33 Jahre Stadtteils Wallroth Dienstgespräch mit der Kita-Leiterin. Der alt, sie haben zwei kleine Söhne. Seit 2013 Pfarrer ist nämlich auch Geschäftsführer 11:00 Uhr Im Gänsemarsch kommen 14 ist das Pfarrerehepaar in seiner ersten der Einrichtung und als solcher zum Bei- Kinder von der Kita über die Straße zur Stelle tätig. Sie teilen sich ein Gehalt. In Kirche hinüber. Vorneweg wird die Puppe jedem der drei Dörfer findet sonntagsmor- Anna im langen Taufkleid von ihrer Pup- gens ein Gottesdienst statt: um 9 Uhr, um penmutti getragen. Ein feierlicher Anlass, 10 und um 11 Uhr. Wochenweise wechseln »Der Platz vor der Kirche denn Anna soll heute probegetauft wer- sich die beiden Pfarrer in diesem Dienst ab. Andere Gemeindeaufgaben haben sie wurde umgestaltet: Eine neue den, damit die Kinder erleben, was das nach Neigung unter sich aufgeteilt. Dorfmitte ist entstanden.« bedeutet. Alles ist stilecht wie bei einer Zur WBK-Gemeinde, die im Kirchenkreis richtigen Taufe: Die Kinder dürfen vorge- Schlüchtern liegt und 2005 fusioniert wärmtes Wasser in die Taufschale gießen, wurde, gehören rund 1.300 Mitglieder. spiel für Personalfragen zuständig. 50 Kin- Paten stehen bereit. Höhepunkt für den 110 von ihnen sind in irgendeiner Weise der werden hier in zwei Gruppen betreut kleinen Oskar: Er drückt auf die Fernbe- ehrenamtlich aktiv für ihre Kirchenge- – ein kleines Sozialunternehmen, getragen dienung, und die Glocken beginnen im meinde. Außerdem gibt es neun haupt- von der Kirchengemeinde. richtigen Moment zu läuten. amtlich Beschäftigte (Erzieherinnen Pfarrer Eisenbach erklärt geduldig je- und Reinigungspersonal in der Kita) und 9:30 Uhr Der Besuch im Kirchenkreisamt de Frage: Wozu das Wasser? Warum wird 15 nebenamtlich Tätige (Organisten, Küster, Reinigungskräfte, Hausmeister, Schlüchtern gehört zu den Standard-Ver- überhaupt getauft? „Damit wir wissen, Friedhofsgärtner, Hauswirtschaftskräfte). waltungsaufgaben. Pfarrer Eisenbach muss dass das Kind zu Gott gehört.” Am Schluss Ein besonderes Angebot in Wallroth ist Baumaßnahmen abrechnen – gerade wur- gibt es noch ein Geschenk für jedes Kind: das Kirchenkino, zu dem im Jahr 550 de der Platz vor der Kirche neu gestaltet Ein kleiner Fisch, der so ausieht wie der Besucher kommen. und eine gelungene Dorfmitte ist entstan- große Holzfisch in der Kirche, an dem die www.kirche-wbk.de den. Spenden, Fördergelder, Rücklagen Bilder der getauften Kinder hängen. Der Arbeitstag beginnt mit einem Dienstgespräch im Ev. Kindergarten Wie geht das mit der Taufe? Pfarrer Eisenbach erklärt‘s der Kita-Gruppe Fotos: medio.tv/Simmank blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 9
THEMA 11:45 Uhr Hausbesuch im Nachbardorf ren frisch sanierten Pfarrhaus nun weiter- feiern Gnadenhochzeit. Vor genau 70 Jah- Breitenbach: Persönlich möchte sich der geht, weiß niemand. Für Eisenbachs ist ren, am 4. Dezember 1948, fand die Trau- Pfarrer bei einem Spender bedanken, der klar: Sie wollen so bald wie möglich an ung in Wallroth statt. sich in besonders großzügiger Weise an den angestammten Platz zurück. Allein die Das Jubelpaar sitzt heute etwas auf- der „Aktion Klingelbeutel” beteiligt hat. zusätzlichen Wege zwischen ihren Einsatz- geregt in der Wohnstube und wartet auf Bis sich die Haustür öffnet, dauert es ein orten und der Wohnung summieren sich den Pfarrer. Tische und Stühle sind beisei- Weilchen, denn Familie Lotz sitzt bereits auf viele Kilometer und viel Zeit. te geschoben, so dass ein Dut- beim Mittagessen. zend Gäste Platz findet. Der Pfarrer, der seinen Dankesbrief 13:00 Uhr Mittagspause. Marie Eisen- „Ein seltenes Fest”, übergeben will, wird aber trotzdem ins bach empfängt mit Söhnchen Arne Mann betont der Pfar- Wohnzimmer gebeten. Dort freut sich und Kindergartenkind im ersten Stock in r e r, n i m m t der 90-jährige Spender, dass er mit sei- der Dreibrüderstraße in Schlüchtern. Sie in seiner nem Geld Gutes für die Kirche bewirken Andacht konnte. „Die Kirche ist für mich wie ein den Trau- Magnet”, lächelt er. 125 Gemeindemitglie- »Fliegender Wechsel vorm spruch der haben sich an der Aktion beteiligt. In auf und Gemeindehaus: Marie Eisen- der Nachbarschaft werden noch ein paar feiert Briefe eingeworfen, auch im nächsten Ort bach unterrichtet die Konfis.« mit der Kressenbach wird Pfarrer Eisenbach seine kleinen Dankespost in verschiedenen Häusern los. Hausge- hat eine leckere Pizza gemacht, und es ist meinde das 12:30 Uhr Nachdem der Pfarrer seinen Zeit für eine gute halbe Stunde am Famili- Abendmahl. kleinen Sohn Erik im Kindergarten von enesstisch. Die Gespräche drehen sich um Johannes Müller Wallroth wieder eingesammelt hat, geht‘s Organisatorisches, um die Gemeinde und (95) ist ein treues Kir- mit dem Auto nach Schlüchtern, denn dort natürlich um die Kinder. Mit dem Küchen- chenmitglied, das Derzeit unbewohnbar: wohnt Familie Eisenbach seit einigen Wo- dienst wechselt sich das Ehepaar ab – ei- seit Jahr zehnten das Pfarrhaus in Wallroth chen. Dabei steht eigentlich in Wallroth nen Tag ist sie mit dem Kochen dran, am alle Kollekten und direkt neben Kita, Gemeindehaus und nächsten er. Das sorgt für einen abwechs- Friedhofsgebühren akkurat auflistet und Kirche ein schmuckes Pfarrhaus. Doch zur- lungsreichen Speiseplan, denn er liebt es abrechnet. Anschließend ist noch Zeit für zeit ist das Gebäude unbewohnbar – der süß und sie eher herzhaft. Kaffee und Kuchen – das muss an einem Hausschwamm hat sich breitgemacht, solch besonderen Dienstag sein! die vierköpfige Familie musste wegen Ge- 14:00 Uhr Im schwarzen Anzug setzt sich sundheitsgefährdung ziemlich überstürzt Stefan Eisenbach gleich nach dem Esssen 16:00 Uhr Fliegender Wechsel vorm Ge- ausziehen und fand vorübergehend ei- ins Auto und parkt zehn Minuten später meindehaus in Wallroth: Marie Eisenbach ne Pfarrwohnung, die im benachbarten in Breitenbach. Dort läuten bei seiner An- fährt mit den Kindern vor. Ihr Mann Ste- Schlüchtern freigemacht werden konnte. kunft schon die Kirchenglocken – unge- fan übernimmt Auto und Kinder, während Dazu setzte noch eine Krankheit Ste- wöhnlich um diese Zeit, aber der Pfarrer die Pfarrerin jede Menge Material für den fan Eisenbach für mehrere Monate außer hat das Läuten für ein besonderes Ereignis Konfirmandenunterricht ins Haus trägt. Gefecht. Wie es mit dem erst vor fünf Jah- inszeniert: Elisabeth und Johannes Müller Heute sollen die Konfis, die aus den ver- Hausandacht zur Gnadenhochzeit von Ehepaar Müller Konfirmandenstunde: Ein Nachmittag mit kreativer Arbeit, Lachen und gemeinsamem Beten Fotos: medio.tv/Simmank 10 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
THEMA schiedenen Orten pünktlich im Ge- 18:00 Uhr Auf dem Nachhauseweg Fotos: medio.tv/Simmank meindehaus eintreffen, nämlich nicht hält Pfarrerin Eisenbach noch zwei- nur über ein Thema reden, sondern mal an: kurze Geburtstagsbesuche auch kreativ tätig werden – Bastel- bei Gemeindemitgliedern – einer stunde steht auf dem Programm. Da wird 18, eine andere 40. „Beides sind hilft es nichts, wenn Lasse schon gleich Einschnitte im Leben, an denen wir als zu Beginn jammert: „Ich kann aber nicht Kirche signalisieren wollen: Die Gemein- basteln!” Pfarrerin Eisenbach hat ihre de ist für euch da”, erklärt die Pfarrerin Gruppe im Griff: Unterhaltungen am Ran- den Sinn ihres Besuchs, bei dem sie an de werden nicht geduldet, Konfipass und der Haustür gratuliert und ein kleines Ge- Gottesdienstbesuchskarten kontrolliert. schenk überreicht. Als Pfarrerin auch eine gute Pädagogin: Die Regeln sind klar: 33 Mal muss man Marie Eisenbach hat ihre Konfis im Griff sich während der Konfirmadenzeit in der 20:00 Uhr Um Geschenke geht es auch Kirche sehen lassen, sonst wird es nichts am Abend noch mal, denn Feierabend ist mit dem Fest. gemeinde persönlich alten einsamen Men- für das Pfarrerehepaar noch nicht. Stefan Heute Nachmittag rücken die 14 Ju- schen. „Hingehen, klingeln, abgeben!”, Eisenbach macht sich auf zu einem kurzen gendlichen zunächst im Stuhlkreis zu- lautet die klare Anweisung. „Die Emp- Besuch der Chöre: Der Gospelchor „New sammen. „Diakonie – was bedeutet das fänger sollen merken: Da denkt jemand Spirit” probt am Dienstagabend in Wall- eigentlich?”, fragt die Pfarrerin in die Run- an mich.” Nun wird gesägt, geklebt, ge- roth, der „Liederkranz 1842” in Breiten- de und übersetzt aus dem Griechischen: schrieben. Glocken, Sterne aus Sperrholz bach. Insgesamt singen und spielen über „Das kommt von ‚dienen‘”. Verschiedene entstehen, bunte Karten aus Papier. Für 100 Menschen in diesen und drei weiteren Antworten tragen diakonische Dienste aus viele ist das Formulieren gar nicht einfach, Musikgruppen. Ihnen will der Pfarrer ein- der Gemeinde zusammen. denn schließlich ist das Briefeschreiben bei mal im Jahr Dank sagen für die gute Zu- „Besuchsdienst” ist ein Stichwort, das 14-Jährigen aus der Mode gekommen. Die sammenarbeit. Sein Weihnachtsgruß ent- Marie Eisenbach aufgreift. Denn darum Zeit wird knapp. Aber bis 17:30 Uhr ist al- hält eine Wachskerze zum Selbermachen. soll es heute gehen: Die Konfirmanden les geschafft: Aufräumen, fegen, Stühle Wenn er nach Hause kommt, schlafen die basteln eine weihnachtliche Karte und und Tische wegstellen, der Raum muss für Kinder wahrscheinlich längst. l überbringen sie als Vertreter der Kirchen- die nächsten Nutzer frei werden. Lothar Simmank Mittagspause in der Pfarrwohnung, die sich vorübergehend in Schlüchtern befindet: Pfarrerehepaar Stefan und Marie Eisenbach mit Arne (1) und Erik (3) blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 11
THEMA Eine Art von Aufgehobenheitsgefühl Was bewirkt eine Kirchengemeinde aus Sicht des Soziologen? Prof. Heinz Bude im Interview ? Eine Kirchengemeinde – was ist das aus Sicht des Soziologen? Prof. Dr. Heinz Bude: Die Gemeinde ? In der „Gesellschaft der Angst“, die Sie in einem Ihrer Bücher beschrei- ben, könnten Kirchengemeinden ei- auch für die Frage der Migration. Viele Leute haben Angst vor Migranten. Aber wenn sie alleine damit bleiben, führt das als eine Art wechselseitiger Kontrolle und gentlich Orte des angstfreien Umgangs zu nichts Gutem. Man kann sich zum Bei- Sozialisation ist eigentlich ein protestan- miteinander, Orte der Rettung sein. spiel in einer Kirchengemeinde darüber tisches Modell. Sie können das an den Haben evangelische oder katholische verständigen, dass es auch legitime Ängs- evangelikalen Gemeinden sehen, die ja Kirchengemeinden dieses Potenzial? te gibt und im Gespräch einen Weg dazu weltweit eine ungeheure Bedeutung ge- Prof. Bude: Das Potenzial auf jeden finden. Ich glaube, das ist die große Chan- wonnen haben. Dort kann man Formen Fall. Denn die Angst zermürbt einen, ce der Kirchengemeinden: Sie haben durch des sich wechselseitigen Fitmachens für wenn man das Gefühl hat, nur man sel- die Sprache der Bibel und der Art, sich zu den sozialen Aufstieg beobachten. Wo es ber habe Angst. Sie wird dann ertragbar, verständigen, eine Angst-Thematisierungs- darum geht, aus dem unteren Mittelklasse- wenn man merkt, die anderen haben auch Semantik. teil der Gesellschaft in die mittlere Mittel- Angst. Man kann sich gemeinsam darüber klasse zu kommen, sind diese Gemeinden sehr wichtig, weil sie sowohl eine lebens- praktische wie eine spirituelle Disziplinie- verständigen, dass Angst nicht abzuschaf- fen ist. Die Angst, die man bekämpfen und überwinden will, ist das Schlimmste, denn ? In der Gemeinschaft lässt sich Angst in etwas Produktives umwandeln? Prof. Bude: Die christliche Botschaft, rung mit sich bringen. die produziert hinterrücks noch viel mehr das habe ich in meinem Buch mit Paul Das alles kann man für deutsche Ver- Angst. Die Gemeinde kann eine Art Solida- Tillich versucht zu sagen, ist Hoffnung, hältnisse nicht so sagen – wir suchen in rität der Angst hervorbringen, indem man nicht Angstfreiheit. Angstfreiheit ist Be- der Gemeinde eher eine zwischenmensch- sich sagt: Du bist nicht alleine mit deiner trug. Hoffnung meint, dass wir der Angst liche Resonanz. Das heißt, die Gemeinde Angst, ich habe sie auch. Und das ist die nicht entkommen können, indem wir uns selbst ist letztlich eine Art von Aufgeho- große Chance der Gemeinde. der Resignation hingeben, sondern indem benheitsgefühl für katholische oder protes- wir sagen, es ist das letzte Wort noch nicht tantische Christen vor Ort, die aber auch sozial praktischen Charakter haben kann. ? Der Anspruch der christlichen Ge- meinde, ein angstfreier Ort zu sein, ist zumindest da. Denn Jesus sagt sei- gesprochen. Die Angst ermöglicht mir wei- terzugehen und nicht stehenbleiben zu müssen. ? Worin zeigt sich das? Prof. Bude: Das hat die Flüchtlings- bewegung deutlich gezeigt. Auch Leute, nen Anhängern: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16,33). Wenn ? Sie sind Katholik. Wie muss eine Kirchengemeinde aussehen, in der die den Kirchen gar nicht sonderlich na- man das ernst nimmt, hat es doch ei- Sie sich – zumindest ein bisschen – hestehen, müssen im Nachhinein zugeste- nen therapeutischen Effekt, oder? wohlfühlen? hen, dass es mit der Bewältigung der Pro- Prof. Bude: Der christliche Glaube hat Prof. Bude: Also, ich bin ein sehr kul- bleme nicht so gut geklappt hätte, wenn einen therapeutischen Affekt. Keinen the- tisch veranlagter Mensch. Ich habe eine man die kirchlichen Unterstützungsstruk- rapeutischen Anspruch. Und wenn man gewisse Neigung zu Wiederholungen. Neh- turen nicht gehabt hätte. Kirchengemein- an das andere große Wort denkt – „Fürch- men wir mal das reiche Liederrepertoire, den sollten sich nicht als sozialtherapeu- tet euch nicht” – das ist natürlich extrem das ja vor allen Dingen protestantisch ist: tische Reservate verstehen, dann würden angstlindernd. Wenn ich einmal in der Woche „Ein feste sie ihren eigenen Charakter verlieren. Burg ist unser Gott” singen kann, bin ich ? ... und der wäre? Prof. Bude: Die Gemeinde ist eine ? Ihre Analyse zeigt den Verlust von Sicherheit, Selbstwertgefühl und Orientierung auf vielen Ebenen. Welche schon zufrieden. Ich habe keine große therapeutische Erwartung an die Kirche. Ihre Existenz ist Lebenswelt für Christen. Die Kirchen ins- Rolle kann die Kirche in einer solchen für mich Therapie genug. Es ist einfach die gesamt sollten sich selbst sehr viel mehr „Alles-ist-möglich-nichts-ist-sicher-Ge- Bekräftigung einer langen Linie, die mir aus den Gemeinden heraus verstehen, sellschaft” spielen? das Gefühl vermittelt, ich bin nicht allein mehr als das vielleicht von den Kirchenlei- Prof. Bude: Die Kirchen müssten erken- auf der Welt. Die Menschen haben sich tungen gesehen wird. Nach meinem Ein- nen, dass die Zeit, in der man glaubte, ei- schon ewig zum Beispiel mit dem Flucht- druck hat die Kirche als Institution mehr ne gute Gesellschaft sei eine Gesellschaft thema beschäftigt: Auszug aus Ägypten, noch als vor zehn Jahren einen gewissen starker Einzelner, vorbei ist. Denken Sie Auszug von Flüchtlingen und Vertriebe- Legitimitätsgewinn zu verzeichnen. Es gibt an den Klimawandel: Man kann es nicht nen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die lan- jetzt mehr Leute, die ein Verständnis für als Einzelner schaffen, das Überleben von ge Geschichte des Christentums ist immer die Institutionalität der Kirchen haben. Gesellschaften hinzukriegen. Und das gilt auch eine Thematisierung der Ängste ge- 12 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
Foto: Dawin Meckel THEMA Heinz Bude (64) ist Professor für Makrosoziologie an der Univer- heruntergeschluckten Wut sität Kassel. Nach dem Studium der Soziologie, Philosophie und und der stillen Verbitterung. Psychologie promovierte er und habilitierte sich an der Freien Uni- Das betrifft die Arbeitswelt versität Berlin. Bis 2014 war er am Hamburger Institut für Sozialfor- genauso wie die Intimbezie- schung tätig, im Jahr 2000 folgte er dem Ruf an die Uni Kassel. Mit hungen, das Verhältnis zur Frau und Tochter lebt er in Berlin. Politik oder den Finanzsektor. Als einer der führenden deutschen Soziologen beschäftigt er sich Kann Solidarität unsere Ge- mit Themen wie Armut und Exklusion, der Macht von Stimmungen, sellschaft vor dem Auseinan- der Rolle der Kirchen oder dem Bildungsstand. Seine Diagnosen derbrechen bewahren, fragt Heinz Bude: Heinz Bude: finden ein großes Echo in der Öffentlichkeit. Bude in seinem jüngsten Gesellschaft Solidarität. Die Zu seinen wichtigen letzten Publikationen gehören „Adorno für Buch, das im März auf den der Angst. Zukunft einer Ruinenkinder. Eine Geschichte von 1968” (2018), „Das Gefühl der Markt kommt. Er appel- Hamburger großen Idee. Welt. Über die Macht von Stimmungen” (2016) und „Gesellschaft liert an eine neue Art des Edition 2014, Hanser Verlag der Angst” (2014). Darin beschreibt Bude Angst als „Ausdruck für Zusammenlebens, das an den 16 Euro 2019, 18 Euro einen Gesellschaftszustand mit schwankendem Boden”. Die Mehr- alten Begriff der Solidarität heitsklasse fühle sich in ihrem sozialen Status bedroht und im Blick anknüpft. „Wir sollten uns nicht damit begnügen, materielle Not zu auf ihre Zukunft gefährdet. Man sei von dem Empfinden beherrscht, lindern, sondern im Anderen uns selbst als Mensch wiedererkennen. in eine Welt geworfen zu sein, die einem nicht mehr gehöre. Bude Erst durch diese freie Entscheidung zur Mitmenschlichkeit findet beschreibt eine Gesellschaft der verstörenden Ungewissheit, der eine Gesellschaft wieder zusammen.” wesen – im Blick auf eine Hoffnung, die dings ein Riesenproblem, nämlich die Zu- zu sein, Ausdruck verleihen wollen. Die auf Gott ausgerichtet ist. Das gemeinsam sammenlegung der Gemeinden, die Entste- wollen nicht einfach einen Klick im Netz zu erfahren und mit Leuten zusammenzu- hung von Großgemeinden. Damit habe ich machen, sondern sich körperlich irgendwo kommen, die mit dieser Idee etwas anfan- ganz große Probleme, wenn diese Großge- versammeln. Und dieses Gefühl des Ver- gen können, dass wir auf den Schultern meinden ihr kultisches Zentrum verlieren. sammelns und des Gewinnens von Stärke von Riesen stehen und wirklich nicht al- ist, glaube ich, auch ein ganz wesentliches leine auf der Welt sind – das ist das Aller- wichtigste. ? Es droht also in der Kirche der Verlust von Nähe? Prof. Bude: Genau – und zwar in ei- Element bei den Kirchengemeinden. Und wenn wir die Kirchengemeinden größer machen zu großen Flächengemein- ? Natürlich ist es nicht Ihr Job als Soziologe, Lösungen aus der Krise zu weisen. Aber kann die Kirche, gesell- nem körperlichen Sinn. In der politikwis- senschaftlichen und sozialphilosophischen Literatur ist „Versammlung” heute einer den, müssen wir darauf achten, dass es weiter Orte des sich Versammelns gibt – einen kultischen Bezugspunkt, um den he- schaftlich gesehen, eine Art Hoffnungs- der ganz großen Begriffe. Tahir-Platz, Gelb- rum man sich versammeln kann. Das, glau- agentur der Zukunft sein? westen – die Menschen, die sich an einem be ich, ist sehr, sehr wichtig. Sonst wird die Prof. Bude: Ich glaube schon. Ich weiß bestimmten Ort versammeln, um ihrem Kirche einfach zu einer dezentralen Glau- nicht, wie es in der evangelischen Kirche Protest, ihrem Leiden, ihrem Gefühl, aus bensunterweisung, und das macht keinen ist, in der katholischen haben wir aller- dem Gesichtsfeld der Mächtigen geraten Sinn. l Fragen: Lothar Simmank blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 13
THEMA CROSS Jugendkulturkirche – eine Gemeinde, die keine ist Kircheng mal gan Foto: medio.tv/Schauderna Konzert in der CROSS Jugendkulturkirche Kassel beim Jugendempfang der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck H ungrig im Gottesdienst zu sitzen, ist Sara Hering, die Mitglied im Vorstand ist. gab es einen Boxring in der Kirche, in dem nie gut. Umso besser, wenn hinter- Als Gemeinde würde sie ihre Kirche aber sich die Kandidaten der Stadt Kassel den her eine große Portion Nudeln auf- eigentlich nicht bezeichnen. „Wir haben schmetternden Fragen der Erstwähler stel- getischt wird. Beim Essen kann man viel schon eine Art Gemeinschaft. Aber es gibt len mussten. Bei „start up!“ gibt es die besser über Gott und die Welt diskutieren. auch Leute, die kommen nur ab und zu. Möglichkeit, sich zum Teamer oder Grup- Und deshalb schuf das Team der Jugend- Wir sind offen für alle.“ penleiter ausbilden zu lassen. „Hier hat kulturkirche CROSS in Kassel „Basta. Pas- Diese Offenheit führt dazu, dass viele ta!“. Erst gibt’s Gottesdienst, dann wird ge- Kirchenferne in die CROSS kommen. Fest Foto: Julian Lorenbeck gessen. „Wir essen gerne miteinander und ins Programm gehören Poetry-Slam-Aben- dabei haben wir oft sehr intensive Gesprä- de. Dort können junge Erwachsenen ihre che über Tod, Verlust und Freundschaft“, eigenen Texte einem Publikum vortragen, erklärt die evangelische Stadtjugendpfar- dazu gibt es Live-Musik. Kirche mal ganz rerin Uta Feußner. anders: „Hier ist es einfach lockerer und Seit Sommer 2007 gibt es die Jugend- ungezwungener. Man kann über alles dis- kulturkirche, seit 2013 hat sie ihren Stand- kutieren“, findet Sara. Pfarrerin Uta Feußner (l.) mit Sara Hering ort in der Lutherkirche. Ein zentraler Ort Gern erinnert sie sich an den gemein- in Kassel, damit er für die Jugendlichen samen Auftritt von Samuel Harfst und alles auf seine Art und Weise etwas Schö- aus den Gemeinden in Kassel und Umland Samuel Koch, der bei „Wetten, dass …?“ nes“, sagt Sara. Deshalb kommt sie gerne gut erreichbar ist. Denn die Jugendkultur- schwer verunglückte. Während Harfst den in die CROSS. Und wenn es auch nur für kirche sieht sich als geistliches, aber auch Abend musikalisch begleitete, las Koch einen Gottesdienst mit anschließendem als kulturelles Zentrum für die Kasseler Ju- aus seinem Buch vor. „Er hat über das Le- Nudelessen ist. l Julian Lorenbeck gend. Das Programm der Kirche wird von ben gesprochen und dass er seinen Glau- Jugendlichen für Jugendliche gestaltet. ben nicht verloren hat. Das war super“. Termine: Basta-Pasta-Gottesdienst 8.3.2019, „Hier kann sich jeder mit seinen Talen- Bei der Programmauswahl stehen die 19:30 Uhr; Poetry-Slam 23.2.2019, 19:30 ten einbringen und hat die Möglichkeit, Wünsche und Ideen der Jugendlichen im Uhr; Anmeldung start up! bis 30.5.2019 sich auszuprobieren“, sagt die 18-jährige Vordergrund. Zur Landtagswahl im Herbst www.jugendkulturkirche-kassel.de 14 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
THEMA Ausdrucksstark und lebendig: gemeinde Gebärdensprachgemeinde Fulda z anders H ier sind viele Hände unablässig in Bewegung. Der helle Raum vermit- telt gemütliche Wohnzimmeratmo- sphäre. Es wird oft und laut gelacht, die Stimmung ist gelöst, die Menschen sind sichtlich miteinander vertraut. 14 gehör- lose Besucher sitzen im Gebärdensprach- gottesdienst von Pfarrerin Melanie Keller- Fotos: Jens Brehl Stenzel im Haus Oranien in Fulda. Während die Pfarrerin mittels Gebär- den predigt, bewegt sie lautlos die Lippen. Die gesamte Klaviatur der Körpersprache ist im Einsatz: Augenbrauen, Mundwin- Ein Gottesdienst in lebendiger Klarheit mit gehörlosen Besuchern in Fulda kel, Schultern, ein entschlossener Blick. In welcher Höhe sie die Gebärden macht, ist bei konzentriert sie sich auf die Kernaus- ebenfalls bedeutsam. Nach wenigen Se- sagen und wie sie diese verständlich ver- kunden sprüht die Pfarrerin vor Energie. mitteln kann. Geschwurbel gibt es nicht, Einen Text herunterzuleiern, ist unmöglich. stattdessen klare Botschaften. Zudem se- „Gebärdensprache ist besonders lebendig hen sich alle an, nehmen den Menschen in und ausdrucksstark“, sagt sie. seiner Gesamtheit wahr. Es heißt, wach im Während sie auf jedes Detail ihrer Hier und Jetzt zu sein. Kommunikation achtet, bindet sie die Be- sucher aktiv mit ein. Es geht um die Jahres- Eine sprachliche Minderheit losung aus Psalm 34,15: „Suche Frieden! Nach dem Gottesdienst findet der Ge- Suche ihn mit deiner ganzen Kraft.“ Wozu meindenachmittag bei Kaffee und Kuchen brauchen die Teilnehmer Kraft? Was be- statt. Sebastian Sonntag ist aus Hanau deutet ihnen Frieden? Ganz bewusst lo- angereist, da ihm die Gemeinde in Ful- ckert die Predigerin ihren Gottesdienst auf, da besser gefällt. Hier trifft er Menschen lässt andere zu Wort kommen. Denn sich von Jung bis Alt. Ein Ehepaar aus Bayern über längere Zeit auf Gebärden zu konzen- findet regelmäßig den Weg ins Haus Ora- trieren, strengt an. Um blendendes Gegen- nien, auch Katholiken nehmen teil. Der licht zu vermeiden, rückt sie den Altar vom hörende Journalist in der Runde wird in Pfarrerin Melanie Keller-Stenzel predigt in Fenster an die Wand. Für Hörende muss es Gespräche verwickelt, ist Teil der Gruppe Fulda und in Hanau. Insgesamt gibt es acht still, für Gehörlose gut sichtbar sein. und kein Fremdkörper. „Statistisch ist etwa Gehörlosengemeinden in der Evangelischen Nun stehen alle auf und beten. Ein jeder tausendste Mensch von Gehörlosig- Kirche von Kurhessen-Waldeck sowie eine Gottesdienstbesucher spricht das Vater- keit betroffen. Sie bilden eine sprachliche Beratungsstelle in Kassel. unser laut mit und ist erstaunlich gut zu Minderheit, leben zerstreut und suchen Ge- www.gehoerlosenseelsorge-ekkw.de verstehen – ein unvermittelter Gänsehaut- meinschaft“, erklärt Keller-Stenzel. moment für Hörende inmitten der lebhaf- Aufgewachsen im Pfarrhaus in Hom- ten Stille. Andere im Raum bewegen die berg/Efze erlebte sie als Jugendliche Tref- griff „Gebärdensprachgottesdienst”. Ihre Lippen, manche geben Geräusche von sich. fen der dortigen Gemeinde. Seit 2012 ist Begründung: Die Menschen definieren sich Die Gebärdensprache bietet auch Vor- sie in der Gehörlosenseelsorge aktiv und nicht über das fehlende Gehör, sondern teile, erklärt Keller-Stenzel später. Für ihre für die Regionen Fulda und Main-Kinzig über die gemeinsame Sprache. l Predigt muss sie Bibeltexte übersetzen. Da- zuständig. Ganz bewusst nutzt sie den Be- Jens Brehl blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019 15
Das kann doch n THEMA Kurioses aus hessischen Bibelgenuss mal anders Wie man die Bibel am besten genießt? Mit einem Glas Hochprozentigem beim biblischen Whisky-Tasting in der Pfarrer als Punkrocker Klosterkirche, findet Pfarrer Mar- kus Himmelmann aus Kassel. Das Wer drei Akkorde greifen kann, Wort Whisky komme schließlich der kann auch Punkrock spielen. aus dem Gälischen und bedeute Ob deshalb Armin Beck Punkro- „Wasser des Lebens“. Passender- cker wurde, ist nicht überliefert. weise servierte der Pfarrer kleine Auf jeden Fall war der heutige Häppchen aus der Bibel – aus Pfarrer Gründungsmitglied und Psalm 23, wo es heißt: „Er führet mich Solo-Gitarrist der international zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. bekannten Eschweger Punkband (…) Du schenkest mir voll ein.“ Klingt nach einem schönen „The Bates“. Punkrock hat für den Motto für den Abend, bei dem 21 Männer und Frauen Pfarrer aber viel mit Kirche gemeinsam: vier verschiedene schottische Single Malts verkosteten. „Rockmusik geht tief in die Gefühle, das Dazwischen gab es biblische Geschichten und kulinari- hat auch was mit Religion zu tun.“ Für sche Leckereien. Ein Abendmahl, das bestimmt allen Pfarrer Beck gehören Christsein und Musik- Besuchern geschmeckt hat. machen zusammen. Deshalb steht er auch heute noch auf der Bühne. Zwar verließ er die Band vor dem großen Durchbruch 1991, bei Revival-Auftritten mit den Ex-Kollegen ist der Pfarrer aber wieder an der Gitarre im Einsatz. Auf blutiger Spur Schöner lieben Pfarrer Matthias Fischer aus Wächtersbach mag es sehr blutig. In seiner Freizeit erhöht er die Mordrate im Main-Kinzig-Kreis. Damit das Ehebett nicht zum Krisengebiet wird, hat Denn der Pfarrer schreibt nebenberuflich Krimis. Sein al- der Bielefelder Wellington Estevo „Deutschlands ersten lererstes literarisches Werk war eine Kurzgeschich- Sexshop mit christlichen Werten” gegründet. Unter te, danach hatte er Blut geleckt und ging www.schoenerlieben.de findet man online alles, um zu dickeren Büchern über. Sein Alter wieder für Frieden in den Kissen zu sorgen. Denn Sex Ego, Kriminaldirektor Dr. Christoph in der Ehe sei wichtig, so der Shop- Caspari, macht sich in Werken Gründer. Jedoch gehe es trotz wie „Die Farben des Zorns“, Sex-Spielzeug nicht ohne Liebe, Das Gift des Propheten“ und Vertrauen und offene Kom- aktuell „Die Bestie vom munikation. Der Shop verzichtet Kinzigtal“ auf die Jagd komplett auf Nacktheit, Fäkal- nach Serienmördern. sprache und billigen Humor. Sechs Krimis pflastern Okay, Bielefeld liegt nicht bereits den blutigen Pfad in Hessen, und der Shop ist des Pfarrers durchs hessi- keine Kirchengemeinde. sche Kinzigtal. Aber durchaus möglich ist, dass er dankbare Kunden auch hierzulande findet. 16 blick in die kirche | MAGAZIN | Februar 2019
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