Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV

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Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
28. Jahrgang · Ausgabe Oktober 2021 · www.strassenkreuzer.info   2,20€   davon 1,10 € für den/die Verkäufer/in

               First
               Housing
von der Straße
Wir holen Obdachlose
Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
wbg_LebensRäume2021_92x132 mit Outline_RZ.qxp_92x132 11.01.21 08:59

                                                                                                                                                                         Wohl und
                                                                                                                                                                         geborgen fühlen
                                                                                                      LebensRäume
                                                                                                       Als kommunal-verbundenes, wirtschaftlich stabiles
                                                                                                       Unternehmen mit einer über 100-jährigen Tradition
                                                                                                       ist die wbg ein Garant für Kompetenz und Sicherheit

          Vorankommen
                                                                                                       bei Immobilien. In Sachen Miete oder Kauf ist Ihre
                                                                                                       Lebensentscheidung bei uns in guten Händen.
                                                                                                       Die WBG KOMMUNAL realisiert im Auftrag der Stadt
                                                                                                       Schulen, Horte, Kindergärten und -krippen.

          ist einfach.                                                                                                                                                    Liebe Leserinnen, liebe Leser,                                  Das finden wir vom Netzwerk Anlauf, zu dem der Stra-
                                                                                                       wbg Mietwohnungen         WBG KOMMUNAL                                                                                             ßenkreuzer, die mudra und Lilith gehören, so entsetzlich,
                                                                                                                                                                          als kleine Kinder haben wir uns oft Häuser gebaut: Zwei         dass wir nun handeln werden. Unser Projekt lässt sich kurz
                                                                                                                                                                          Stühle in gut einem Meter Abstand mit den Lehnen zuei-          so beschreiben: Erst braucht der Mensch eine Wohnung,
                                                                                                                                                                          nander gestellt, möglichst große Decken darüber, die fast       dann bieten wir bei Bedarf weitere Hilfen und sind An-
                                                    Auch wenn’s um
                                                    Bildung und Soziales
                                                                                                       wbg Bauträger                                                      bis zum Boden reichten – fertig war unser Heim, wir fühlten     sprechpartner für alle Beteiligten. Das Ganze nennt sich
                                                    geht, sind wir mit                                                                                                    uns wohl und geborgen darin. Als Erwachsene haben wir           schlicht Housing First, weil die Idee in New York entstan-
                                                    dem Herzen dabei.                                                                                                     einen Schlüssel zu einer richtigen Wohnung, hoffen oder         den ist. Wir hoffen fünf, zehn, gern mehr Wohnungen zu
                                                                                                                                                                          gehen davon aus, dass wir immer ein gutes, bezahlbares          finden für Menschen, die draußen oder unter schlechten
                                                                                                                   www.wbg.nuernberg.de                                   Zuhause haben werden. Wohnen ist elementar wichtig.             Bedingungen leben.
                                                             Wenn’s um Geld geht                                                                                          Schon Menschen der Urzeit suchten sich eine Höhle, woll-        Wir sind nicht allein. Housing First funktioniert nachweis-

                                                         s Sparkasse
                                                                                                                                                                          ten nicht schutzlos draußen leben und vor allem nicht           lich an vielen Orten der Welt, die Stadt Nürnberg ist offen
                                                                                                                                                                          schlafen.                                                       für unser Projekt, erste Unternehmen signalisieren Un-
              sparkasse-nuernberg.de                       Nürnberg                          Wir gestalten LebensRäume.
                                                                                                                                                                          Und heute? Es regt kaum jemanden auf, dass allein in            terstützung. Und das Wichtigste: Es gibt sie, die Vermie-
                                                                                                                                                                          Nürnberg weit über 2000 Frauen, Männer und Kinder               terinnen und Vermieter, die Wohnungen an Obdachlose
                                                                                                                                                                          keine eigene Wohnung haben, in ganz Deutschland sind            vermieten.
05578_A_strassenkreuzer_Vorankommen_92x132.indd 1                          06.06.16 12:11
                                                                                                                                                                          es 680.000. Mehr als 40.000 Menschen leben sogar ohne
                                                                                                                                                                          jede Unterkunft auf der Straße. Viele Obdachlose werden         Viel Freude beim Lesen dieser Ausgabe wünschen
                              verBiNduNG
                                             iNNiG                                                                                                           BETREUUNG    körperlich und seelisch krank, trinken, verwahrlosen, ver-      Ilse Weiß und das Straßenkreuzer-Team
                                                                                                                                                                          lieren sich.

                                                                                                                                                             VORSORGE
                                                                                                                                                                           Titelthema   Seite 4—23                                                        SCHREIBWERKSTATT
                                                                                            Sie möchten Ihre Vorsorge regeln?

         CURT*in
                                                                                                                                                                                                                                                          24—Der Meister erscheint nicht mehr

                                                                                            Wir beraten Sie persönlich und
                                                                                            kostenfrei bei Erstellung von                                                  Housing First                                                                  Die Schreibwerkstatt nimmt Abschied von
                                                                                                                                                                                                                                                          ihrem Kollegen Waldemar Graser

                                                                                                                                                             BERATUNG                                                                                     WAS UNS BEWEGT

         yoUR
                                                                                            › (Vorsorge-) Vollmacht                                                                                                                                       27—Wir trauern um Waldemar Graser
                                                                                            › Patientenverfügung                                                           4—Acht Mal ein erfreulicher Start   14—Was sind das nur für Leute?!            und Helmut Nill • Unterstützung durch die
                                                                                                                                                                           Schon mittendrin, bevor es          Das Ehepaar Preuß vermietet                Sparda-Bank · ­Spenden • Willkommen an
                                                                                            › Betreuungsverfügung                                                          ­eigentlich losgeht                 ­bewusst auch an Obdachlose                der Kreuzerbude • Leserpost

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                                                                                                                                                             VORTRÄGE
                                                                                                                                                                           6—Nicht mehr auf dem Holzweg        16—Wissen, wo man abends                   30—Straßenkreuzer Uni
                                                                                                      BERATUNGSTELEFON                                                     Schlafen unter Bäumen kann schön    schlafen kann
                                                                                                            0911 59 05 88 08                                               sein – wenn man nicht muss          Volker Wolfrum von der Stadt geht          31—Kulturgut

                                                                                                         [                                  ]
                                                                                                                                                                                                               neue Wege
                                                                                                            Mo bis Fr 9 – 12 Uhr                                           10—Glück auf 25 Quadratmetern                                                  MOMENTAUFNAHME
                                                                                                            Di 13 – 16 Uhr                                   SCHULUNG      Eigenes Bett, eigene Wohnung –      20—„ Es stimmt, dass ­                     33—Mir gefallen die Kontrollen
                                                                                                                                                                           ein großes Geschenk                 Verdrängung stattfindet“                   der Polizei hier
                                                                                                                                                                                                               Wie ein Wohnbau-Unternehmen zu
          c u r t # 251                                                                     Die Betreuungsvereine von AWO, Caritas, LiV,
                                                                                                                                                                           12—„ So wie jeder irgendwie“        sozialem Wohnungsbau steht
                                                                                                                                                                                                                                                          Straßenkreuzer-Verkäufer László Filipszki

          e r h ä lt l i c h d o r t ,                       curt                           Lebenshilfe, SKF und Stadtmission in Zusammen­                                 Ein Ort ohne Angst und Gewalt –                                                KOPF UND TOPF
                                                             your                           arbeit mit der Betreuungsstelle der Stadt Nürnberg.              MAGAZIN       kein ungewöhnlicher Wunsch          21—Weg von der Straße                      34—Unser Rätsel und Kirschkuchen
          wo e s s c h ö n i s t.                            locals                                                                                                                                            Wie sich Housing First auf der Welt
                                                                                                                                                                                                               seit 30 Jahren entwickelt hat              32—Impressum
                                                        www.curt.de / N B G
                                                                                                    www.gesetzliche-betreuung-nbg.de
Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
Max Hopperdietzel war bis zu seiner Pensi-                              Mut macht uns besonders die ­bewunderungswürdige
                                                                                                     onierung im Frühjahr 2021 Leiter der beruf-                             Bereitschaft von privaten Vermietern, sich auf das
                                                                                                     lichen Integration bei mudra e.V. Schon seit
                                                                                                     2017 engagiert sich der Sozialpädagoge beim                             ­Abenteuer Housing First einzulassen.
                                                                                                     Verein Straßenkreuzer, kümmert sich um
                                                                                                     Verkäufer mit besonders herausfordernden
                                                                                                     und komplexen Anliegen und ­Problemen.
                                                                                                     Die enge Vernetzung auch mit Lilith e.V.
                                                                                                     kommt über Anlauf, das Netzwerk für
                                                                                                     ­Qualifizierung und Beschäftigung, zustande.
                                                                                                      Sobald die ­Finanzierung für die gemeinsame
                                                                                                      ­Organisation eines Housing-First-Projekts in
                                                                                                       Nürnberg geklärt ist, wird Max Hopperdietzel
                                                                                                       dessen Koordinator.

                                                                                                          S
                                                                                                                  eit einigen Jahren laufen Planungen, auch in Nürnberg       Genossenschaften bieten weitere Möglichkeiten, die Präsenz
                                                                                                                  ein Housing-First-Projekt zu beginnen. Im Oktober           in sozialen Medien muss kontinuierlich aktualisiert werden,
                                                                                                                  2019 fand ein vielbeachtetes Fachgespräch statt, unter      die Kommunikation mit Jobcentern und Sozialämtern ist er-
                                                                                                          anderem mit Vorträgen aus bereits existierenden Initiativen,        forderlich. Nicht zuletzt benötigen nicht nur die Bewohner
                                                                                                          an dem zahlreiche interessierte Menschen aus sozialen Ins-          Betreuung, auch der persönliche Kontakt zu Vermietern hilft
                                                                                                          titutionen, Wohnungswirtschaft und Politik teilnahmen und           zur Beilegung etwaiger auftretender Konflikte und anderen
                                                                                                          über das auch in der lokalen Presse ausführlich berichtet           Problemen. Hier ist eine zuverlässige, schnelle Erreichbar-
                                                                                                          wurde. Während die weitere Planung, vor allem durch die             keit und Reaktionszeit ein wichtiges Kriterium. Und natürlich
                                                                                                          Corona-bedingten Einschränkungen, eher schleppend vor-              fungiert ein eigenständiges Housing-First-Projekt als An-
                                                                                                          ankam, zeigte sich ein unerwarteter Effekt: Vermieterinnen          sprechstation für Interessenten, die nicht an die beteiligten
                                                                                                          und Vermieter aus dem privaten Sektor boten von sich aus            Institutionen angebunden sind.

Acht Mal ein
                                                                                                          geeignete Wohnungen für die Zielgruppe von Housing First                Die bisherigen Erfolge spornen uns an, die Entwicklung
                                                                                                          an. Zwei Vermittlungen waren auf Artikel im Straßenkreuzer          von Housing First in Nürnberg weiter voranzutreiben. Mut
                                                                                                          zurückzuführen, in denen Betroffene vorgestellt wurden. Zu-         macht uns besonders die bewunderungswürdige Bereitschaft
                                                                                                          dem führten gute Kontakte des Tagesjobs-Projekts der mudra          von privaten Vermietern, sich auf das Abenteuer Housing
                                                                                                          Drogenhilfe (Wohnungsauflösungen, Entrümpelungen und                First einzulassen und durchaus nicht immer einfachen Men-
                                                                                                          Umzüge) zu Wohnungsbesitzern dazu, dass diese einige ihrer          schen eine Chance für eine Wohnung zu geben. Die Auswer-

erfreulicher Start
                                                                                                          Objekte zur Verfügung stellten. So konnten mittlerweile acht        tung schon länger bestehender Initiativen ergab, dass in der
                                                                                                          Mietverhältnisse abgeschlossen werden, von denen keines             Folge der Projektteilnahme oft auch ein Wiedereinstieg in
                                                                                                          außerordentlich beendet werden musste. Ein Bewohner ist             den Arbeitsmarkt erfolgte. Wir werden daher die bestehen-
                                                                                                          leider nach langer Krankheit verstorben, der Vermieter bot          den Arbeitsangebote von Lilith, Straßenkreuzer und mudra
                                                                                                          uns die Wohnung sofort wieder an, was sicher kein schlechtes        als natürlich unverbindliche Ergänzung von Housing First
                                                                                                          Zeichen für die bisherigen Erfahrungen darstellt.                   anbieten („Housing First – Job second“) und freuen uns auf
                                                                                                              Wie bei Housing First üblich, werden die Mietkosten durch       die Weiterführung dieser spannenden Initiative.
Lilith, mudra und der Straßenkreuzer wollen Menschen von der Straße holen. Seit mehreren Jahren           Jobcenter oder Sozialamt gesichert. Die Mietverträge werden         Max Hopperdietzel | Koordinator Housing First Nürnberg
laufen Planungen für ein Nürnberger Housing-First-Projekt. Parallel dazu zeigen ehemals Wohnungs-         mit den Bewohnerinnen und Bewohnern geschlossen, nicht              Foto: Sebastian Lock | sebastianlock.de
                                                                                                          mit den sozialen Trägern. Die Betreuung, soweit gewünscht
lose längst, wie gut Wohnen ganz praktisch wirkt. Nun gehen die beteiligten Vereine den nächsten          und notwendig, ist Bestandteil einer Anbindung an mudra,
Schritt: Sozialpädagoge Max Hopperdietzel wird Ansprechpartner für Vermieter und Mieter, spätes-          Straßenkreuzer oder Lilith.

tens im Frühjahr 2022 soll das Projekt dann ganz offiziell starten. Hier schildert Max, was bisher        Wir können uns nicht zur ück lehnen
erreicht wurde und wie es gut weitergehen kann.                                                           Hier zeigen sich auch die Grenzen der ansonsten sehr erfreuli-
                                                                                                          chen Entwicklung: Menschen ohne Kontakt zu den beteiligten
                                                                                                          Trägern bleiben erstmal außen vor. Die Betreuung, die sich
                                                                                                          im Einzelfall als sehr zeitintensiv gezeigt hat, ist sonst nicht
                                                                                                          gewährleistet. Insofern können wir uns nicht zurücklehnen
                                                                                                          und erleichtert feststellen, dass Housing First ja ganz von
                                                                                                          alleine läuft. Für eine Fortführung und Verstetigung der er-
                                                                                                          freulichen Anfänge bleibt ein Mindestmaß an fester Struk-
                                                                                                          tur unerlässlich. Die Akquise weiteren Wohnraums erfordert
                                                                                                          nicht unerheblichen Zeitaufwand, Kontakte auch zu institu-
                                                                                                          tionellen Vermietern wie Wohnungsbaugesellschaften und

4   HOUSING FIRST                                                                                                                                                                                                                      HOUSING FIRST   5
Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
Nicht mehr auf
                    dem Holzweg
                    Im Wald gewohnt hat Stefan Rosenzweig nie, darauf legt er Wert – alle paar Tage mal zu duschen, das
                    sei schließlich schon nötig. Im Wald übernachtet hat er dagegen schon oft. 15 Jahre lang hatte der gebür-
                    tige Nürnberger keine eigene Wohnung, und wenn er abends nirgendwo anders unterkam, ging er in den
                    Wald. Doch seit einem Jahr kann Rosenzweig jetzt wieder in seinem eigenen Bett schlafen.

                       S
                               tefan Rosenzweig sitzt auf seinem Bett. Das blau-weiß
                               gestreifte Stoffsofa bleibt für die Gäste. „Das kommt
                               eigentlich von einer Firma am Spittlertor, die hätten
                       das entsorgt“, weiß er. Auch die anderen Möbel, die in der Ein-
                       Zimmer-Wohnung stehen, hat Stefan gebraucht übernom-
                       men: den Kleiderschrank von seiner Chefin bei der mudra,
                       die Kommode von seinem Nachbarn, ein Schränkchen von
                       seinem Arbeitgeber. Die mudra war es auch, die dem hageren
                       Mann das Zuhause über den langjährigen Kontakt zu einem
                       aufgeschlossenen Vermieter vermittelte. Und obwohl Stefan
                       alle Möbel einfach übernommen hat, passt alles zusammen:
                       Die gesamte Einrichtung ist aus naturbelassenem Holz.
                           Denn mit Holz hat Rosenzweig sich immer schon gern
                       umgeben. Als er in verschiedene handwerkliche Ausbildun-
                       gen hineinschnuppern durfte, entschied er sich für Schreiner,
                       begann mit 15 Jahren eine Ausbildung beim SOS-Kinderdorf.         für ein paar Wochen oder sogar Jahre. Immer mal wieder war
                       Und auch heute arbeitet der 53-Jährige täglich mit dem Roh-       er inhaftiert – immer nur wenige Monate, immer für Kleinig-
                       stoff. Seit 2014 ist er bei der mudra im Projekt „Wald & Holz“    keiten: Wiederholtes Schwarzfahren, Trunkenheit im Verkehr
                       und stellt Brennholz her. Kürzlich erst wurde sein Vertrag        mit dem Rad, Sachbeschädigung an der Haustür. „Entweder
                       wieder verlängert, jetzt läuft er über drei Jahre.                500 Euro zahlen oder zwei Monate Haft“ seien es zum Beispiel
                                                                                         für die Tür gewesen. Er nahm die zwei Monate Haft.
                       Die Fichte kennt er seit Ja hr zehnten                                Und immer, wenn es dunkel wurde und er nicht wusste,
                       Er hat eine Arbeit und eine Wohnung: Damit sei er eigent-         wo er unterkommen sollte, ging er wieder in den Wald. Den
                       lich wieder in die Gesellschaft integriert, erzählt Rosenzweig.   Abschnitt am Nürnberger Stadtrand kennt er seit seiner Kind-
                       „Denn man muss ja mitspielen, irgendwie.“ Doch bis er zu die-     heit, und noch heute ist er fast jedes Wochenende da. Der
                       ser Erkenntnis kam, machte er einige Umwege. In den 90ern         Wald habe ihn schon vor vielen Dummheiten bewahrt. Gleich
                       arbeitete er ein paar Jahre als DJ und Barkeeper, wohnte über     am Sonntag will er gerne zeigen, wo sein Platz zwischen den
                       der Kneipe. Später erfuhr er bei einem Gelegenheitsjob von        Bäumen ist, wo er seine Ruhe findet.
                       einer freien Wohnung, in der er bis 2005 wohnte. Doch dann            Am Wochenende ist man hier nicht alleine, Spaziergänger,
                       seien sich Vermieter und Jobcenter einig gewesen, dass er         Jogger und Mountainbiker nutzen das Naherholungsgebiet.
                       gehen solle, berichtet Rosenzweig, das war’s.                     Rosenzweig grüßt alle freundlich, alle grüßen zurück. An ei-
                           Daraufhin kam er unter, wo es gerade ging: Er schlief bei     ner Stelle verlässt er den Weg, tritt über das dichte Moos,
                       Freunden oder in verschiedenen Pensionen. Oft in Mehrbett-        hebt einige tiefhängende Äste an, „wie eine Pforte ist das
                       zimmern mit unterschiedlichen Mitbewohnern, später in WGs,        hier“, meint er. Auf einer wenige Quadratmeter großen, leicht

6   HOUSING FIRST                                                                                                                           HOUSING FIRST   7
Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
Der Unterschlupf ist nicht getarnt, er soll allen dienen
                                                                 können, die im Wald von einem Unwetter überrascht
                                                                 werden.

         abschüssigen Lichtung bleibt er stehen. Vom Weg aus ist sie         lächelt: Die hätten auch gedacht, dass er im Wald wohne.
         nicht zu sehen, ein großer, moosbewachsener Stein steht an          Er steckt sich eine dünne Zigarre an. „Früher habe ich drei
         ihrem oberen Rand – der einzige in der Umgebung, weiß der           Sixpacks Bier am Tag getrunken, auch beim Arbeiten“, be-
         Waldkenner.                                                         ginnt er zu erzählen. „Ich bin einer der wenigen, der wegen
             „Die Fichte dahinten, deren Stamm sich direkt an der Erd-       Alkoholismus bei der mudra ist.“ Doch dort gilt bei der Arbeit
         oberfläche spaltet, kenne ich seit ihrer Kindheit“, erzählt er      an den schweren Maschinen, die das Brennholz sägen und
         und deutet mit der flachen Hand auf Kniehöhe, als würde er          transportieren, eine strikte 0,0-Promille-Politik. „Und ich bin
         die Größe eines Kindes zeigen. 21 Jahre alt ist sie mittlerweile,   imstande, das Trinken sein zu lassen. Aber ich freue mich
         kann er nach kurzem Nachdenken erzählen. „Und da“, deutet           dann schon auf mein Bier am Abend.“
         er auf eine andere Stelle, „schläft man optimal, auf dem Moos,          Ob er, seit er die Wohnung habe, nochmal im Wald über-
         mit dem Kopf zwischen den zwei Steinen.“                            nachtet hat? „Ja“, gibt Rosenzweig unumwunden zu. Aber
                                                                             eben dann, wenn er Lust darauf hatte und nicht dann, wenn
         „Geregeltes Le b e n du rc h L i e b e z u m W a l d“               er etwas getrunken hatte und in dem Zustand nicht mehr bei
         Meistens jedoch ging er zum Übernachten noch etwa einen Ki-         Freunden um eine Übernachtungsmöglichkeit bitten wollte.
         lometer weiter. Nur wenige Meter entfernt von einem schma-          „Eine Wohnung ist eine Wohnung. Ich bin froh, dass ich sie
         len Pfad, der vor einigen Jahrzehnten ein bloßer Wildwechsel        habe.“ Und er glaubt nicht, dass er die nochmal verlieren
         war und von Mountainbike-Reifen in einen sandigen Tram-             wird. „Das, was ich früher so gemacht hab, Schwarzfahren,
         pelpfad verwandelt wurde, hat er in einer Sandkuhle einen           einfach einsteigen, wird schon gut gehen und wenn nicht,
         Unterschlupf gebaut. „Aber nur so mit Holz, das rumlag. Das         ist wurst, das mach’ ich nicht mehr. Das ist ein Gschmarri. Im
         habe ich in den Sand gesteckt und eine Plane drüber. Man            schlimmsten Fall würde ich die Wohnung verlieren.“
         darf das ja im Wald eigentlich gar nicht, aber wenn man es              Ein paar Tage später kommt Stefan Rosenzweig nochmal
         so macht, dass man es nicht fest baut, sagt der Förster ja          in die Redaktion des Straßenkreuzers. Er möchte die Bilder
         nix.“ In der Stadt auf einer Bank oder unter einer Brücke zu        anschauen, die im Wald entstanden sind. Die Überschrift für
         schlafen, kam für ihn nie in Frage. Zu groß war für ihn die         seinen Artikel fehlt da noch. Rosenzweig überlegt mit und
         Gefahr, beklaut zu werden.                                          schlägt schließlich vor: „Geregeltes Leben durch Liebe zum        Ein Jahr schon wohnt Stefan Rosenzweig jetzt
             Der Unterschlupf ist nicht getarnt, er soll allen dienen        Wald.“ Ein bisschen zu lange ist das leider – aber es trifft      in der Ein-Zimmer-Wohnung, die zentral in
         können, die im Wald von einem Unwetter überrascht werden.           den Kern.                                                         der Nähe der Fürther Straße liegt. Er hat sie
         Unter der großen Zeltplane, die das Dach bildet, hat Rosen-                                                                           mit gebrauchten Holzmöbeln eingerichtet.
                                                                             Text: Alisa Müller | strassenkreuzer.info
         zweig eine Bank aus Holzbrettern gebaut. In einer Ecke unter        Fotos: Anika Maaß | anikamaass.de, Kilian Reil | kilianreil.com
         der Plane hängt ein Mobile aus Holz. „Das hat eine Frau mit
         ihren Kindern für mich gebastelt“, erklärt Rosenzweig und

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Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
Glück auf
25 Quadrat-
metern
Nur ein großer, zerschlissener Koffer hinter der Tür seines Wohn- und Schlafzimmers erinnert heute
noch daran, dass Andreas S. im Winter einmal drei Monate lang in einem Dachbodenabteil lebte.
Dass er diese Geschichte heute erzählen kann, während er in seiner eigenen Wohnung sitzt, ist für den
58-Jährigen ein großes Geschenk.

                                                                              für ihn frei, in einem Einzelzimmer. In ein Mehrbettzimmer      eine gebrauchen könnte. Die Wohnung gehört einem Ver-                   Im größeren Kontext betrachtet, ist sein eigenes Schicksal
                                                                              wollte Andreas S. nicht dauerhaft einziehen, dafür war und      mieter, für den die mudra lange regelmäßig Wohnungsent-             für S. nicht relevant: Natürlich hat er Glück gehabt, so sieht
                                                                              ist ihm seine Privatsphäre zu wichtig.                          rümpelungen übernahm und der daraufhin angeboten hatte,             er es, doch viel wichtiger ist ihm, dass viele Obdachlose in
                                                                                   Sechs Jahre lebte er in dem Acht-Quadratmeter-Zimmer       dass Klienten der mudra in einige seiner Wohnungen ziehen           Deutschland nie die Chance bekommen, die sich ihm geboten
                                                                              der Pension und verdiente sich in dieser Zeit mit dem Verkauf   könnten.                                                            hat. „Ich habe früher auch neue Autos gefahren, zweimal im
                                                                              des Straßenkreuzers ein wenig hinzu. Dann kam auch noch             Für Andreas S. ging dann alles ganz schnell: Nach einer         Jahr Urlaub gemacht, viel Geld verdient, aber das Leben ist
                                                                              die Pandemie. Doch die erwies sich für Andreas S. unverhofft    Wohnungsbesichtigung sagte er zu, die kleine Ein-Zimmer-            halt nicht so“, sagt der 58-Jährige und meint damit: Es kann
                                                                              als Glücksfall: Denn im Frühling 2020 bildete das Team des      Wohnung in Bahnhofsnähe nehmen zu wollen. Nur zwei Tage             jeden treffen. Er hat am eigenen Leib erfahren, dass Wohnen
                                                                              Straßenkreuzers Telefonketten zwischen den Verkäuferin-         später unterschrieb er den Mietvertrag und reichte ihn zur          „genauso ein Grundbedürfnis ist wie essen, schlafen und ge-
                                                                              nen und Verkäufern und dem Ehrenamtlichen-Team, um im           Genehmigung beim Jobcenter ein, das die Miete seitdem               liebt oder gebraucht zu werden. Man braucht nicht viel Geld
                                                                              Lockdown in Kontakt zu bleiben. Der Gesprächspartner von        direkt dem Vermieter überweist. Noch am selben Tag hol-             zum Glücklich sein, aber ’ne Wohnung brauchst du schon.“
                                                                              Andreas S. hörte bei den Telefonaten schnell heraus, dass S.    te An­dreas S. den Schlüssel zu seiner Wohnung ab und nur           Sein Traumjob wäre es, mit einer kleinen Agentur Wohnungen
                                                                              sich nichts mehr wünschte als eine eigene Wohnung. Nament-                                   acht Tage nach der Besichtigung        auf dem Land, wo sie leer stehen, an Obdachlose in der Stadt
                                                                                                                                              „Du brauchst

         A
                                                                              lich genannt werden will der langjährige ehrenamtliche Helfer                                zog er ein.                            zu vermitteln, wo günstiger Wohnraum dringend gebraucht
                   ndreas S. hatte seine letzte Arbeitsstelle verloren – er   beim Straßenkreuzer in diesem Artikel nicht. Die Sache und                                        Von dem Ehrenamtlichen und        wird und selten vorhanden ist.
                                                                                                                                              doch minimale
                   arbeitete unter anderem im Callcenter, als Selbst-         nicht seine Person solle im Vordergrund stehen, betont er. Er                                dem Sozialarbeiter sagt Andreas            In dem Zimmer seiner neuen Wohnung hat Andreas S.
                   ständiger und bei einer Unternehmensberatung, bis          beschreibt sich selbst als absolut positiv denkenden Mensch,    Sicherheit.“                 S.: „Die haben mich gerettet.“ Die     gemeinsam mit Bekannten einen Schrank aufgebaut, der sich
         er die geforderte Leistung nicht mehr erbringen konnte. Die          der es liebt, Probleme zu lösen. Und die Wohnsituation von                                   Wohnung ist für ihn wie ein Ge-        über die ganze Längsseite erstreckt und fast bis zur Zimmer-
         Miete für seine damalige Wohnung war so teuer, dass das              Andreas S. war für ihn eben das: ein Problem, das mit genug     schenk. „Das sind 25 Quadratmeter, da kann ich wunderbar            decke reicht. „Der ist absichtlich groß, weil ich viele Sachen
         Jobcenter sie nicht übernahm, und er musste sie räumen.              Anstrengung und Geduld gelöst werden könnte.                    glücklich leben.“ Ausschlaggebend sei nicht die Größe, son-         unterbringen will. Ich brauche jetzt die Hälfte, mehr nicht,
         Andreas S. fand keinen Ersatz und ein Platz in einer Obdach-                                                                         dern die Sicherheit, dass ihm diese kleine Wohnung so leicht        die andere ist frei für das, was in Zukunft noch kommt. Lieber
         losenpension war auch nicht frei. Deshalb zog er mit dem             „ D ie habe n mich ge re tte t “                                niemand mehr wegnehmen kann. Pensionsplätze und Not-                zu groß als zu klein.“ Der große schwarze Koffer, der hinter
         großen schwarzen Koffer vor sechs Jahren auf dem Dachbo-             Ein dreiviertel Jahr lang klapperte er vergeblich sozialpäda-   unterkünfte, aus denen man bei Fehlverhalten herausfliegt,          der Tür steht, kommt dagegen bald zu den anderen Sachen
         den eines Freundes ein.                                              gogische Fachdienste, die Wohnungsvermittlungsstelle des        könnten das nicht bieten. „Das ist das gleiche, wie wenn du         seiner alten Wohnung in ein Lager. Andreas S. hat sich schon
             Drei Monate lang entsorgte der gelernte Elektroingenieur         Sozialamts und eine Pfarrgemeinde ab und begann trotz aller     einen befristeten Arbeitsvertrag mit einer Klausel hättest,         einen kleinen Trolley-Reisekoffer bestellt. Der reicht jetzt aus.
         damals seinen Urin über die Dachrinne, ging in Fastfood-             positiver Gedanken schon fast, daran zu zweifeln, dass er       dass du gleich rausgeschmissen wirst, wenn du einmal zu spät        Text: Alisa Müller | strassenkreuzer.info
         Restaurants oder Bibliotheken auf die Toilette und zum Du-           Erfolg haben könnte. Doch dann meldete sich im Mai diesen       kommst. Das heißt, du musst immer Angst haben: Hoffent-             Foto: Kilian Reil | kilianreil.com
         schen ins Schwimmbad. Das Geld für einen guten Schlafsack            Jahres Sozialarbeiter Max Hopperdietzel, damals noch Leiter     lich bin ich rechtzeitig in der Arbeit, hoffentlich bin ich nicht
         fehlte ihm. Nachts, wenn es richtig kalt wurde, packte er sich       der Arbeitsprojekte bei der mudra, inzwischen in Rente und      krank. Aber das ist unmenschlich, du brauchst doch minimale
         mit allen Sachen ein, die ihm zur Verfügung standen, erinnert        nun erster Ansprechpartner für das geplante Housing-First-      Sicherheit. Wenn du von heute auf morgen deine Arbeit ver-
         er sich. „Es ging trotzdem, irgendwie geht’s immer. Aber was         Projekt in Nürnberg. Ein möglicher Kandidat für eine freie      lieren kannst, dann ist das eine extreme Stresssituation, und
         ist das für ein Leben?“ Dann wurde ein Platz in einer Pension        Wohnung hätte ihm abgesagt, ob jemand vom Straßenkreuzer        bei einem Pensionsplatz ist das im Prinzip ebenso.“

10   HOUSING FIRST                                                                                                                                                                                                                                                     HOUSING FIRST   11
Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
„Aber habe ich wirklich eine Chance, eine Wohnung zu finden?
                                                                                                                            Die potentiellen Vermieter lesen meine Adresse und wissen schon Bescheid.“

                                                        E
                                                                 ine Knastzelle ist größer“, glaubt Dijane M. Zwar war             Dijane M. mag es sauber. Sie mag es aber auch ruhig und       was vor, mache mich dann selber klein und lege mir Steine
                                                                 sie noch nie in einem Gefängnis, aber sie stellt es sich      sicher. Die Wände sind hellhörig. Zwar kann man die Zim-          in den Weg“, sagt sie, während sie ihre Hände in den Ärmeln
                                                                 dort weniger beengend vor. Das mag kaum verwun-               mertüren aus Holz im Gegensatz zu den Duschen absperren,          ihres Hoodies versteckt. „Es scheitert schon daran, dass ich
                                                        dern: Ihr Zimmer ist winzig. So richtig winzig. Links ein Tisch,       dennoch ebenso leicht eintreten. „Wer sich Zutritt verschaffen    nichts Schönes, Elegantes für eine Besichtigung anzuziehen
                                                        daneben das Bett, rechts ein Regal, ein Minikühlschrank und            will, macht das“, meint sie. Und das passiere öfter, als ihr      habe.“ Nach dem Feuer im Frühjahr hatte sie kaum noch Kla-
                                                        ein ausrangierter Polizeispind. Alles dicht aneinandergereiht.         lieb ist. Vorwiegend von Männern, die in der Etage darunter       motten und sich die paar wenigen bei der Kleiderkammer
                                                        Damit ist der Raum gefüllt.                                            residieren, von Ex-Partnern der Bewohnerinnen oder auch           besorgt.
                                                            Dijane M. wohnt in einer Obdachlosenpension in der                 von Wildfremden. Die kaputte Haustür zur Straße sei immer              Dijane M. versucht, ihr Leben zu ordnen. „Wenn ich nur
                                                        Nürnberger Weststadt. Etwas, das sie nie wollte, wie sie sagt.         offen. Geschrei, Schlägereien, Messerangriffe – auch unter        eine eigene Wohnung hätte, dann würde vieles besser wer-
                                                        „Besser als kein Dach überm Kopf, dachte ich.“ Tatsächlich             den Bewohnerinnen – davor flüchtet Dijane M. Die meiste           den“, ist sie überzeugt. Sie redet überlegt, teilt ihre klugen
                                                        wäre gar kein Dach vielleicht besser, das kennt sie bereits.           Zeit verbringt sie draußen. „Die Unterkunft erinnert mich an      Gedanken, kennt sich auf dem schwierigen Wohnungsmarkt
                                                        Dazu später mehr. Die Pension soll eine der besseren in der            diese Psychofilme aus den 70ern.“ Der Polizei sei die Pension     aus, weiß um ihre Rechte als Bezieherin von Arbeitslosengeld
                                                        Stadt sein. Flur, Gemeinschaftsküche und -sanitäranlagen               bekannt. Manchmal isst Dijane M. tagelang nicht, weil auch        II. „Aber habe ich wirklich eine Chance, eine Wohnung zu
                                                        wirken noch recht neu. Doch das trügt. Der Flur riecht muffig.         in der Küche manchmal fremde, betrunkene Männer sitzen.           finden? Die potentiellen Vermieter lesen meine Adresse und
                                                        Dusche, Toilette und Küche versucht Dijane M. so oft es geht           Nein, sicher fühlt sie sich nicht – trotz Hausmeister und So-     wissen schon Bescheid.“ Da sind sie wieder, die Selbstzweifel.
                                                        zu meiden, so sehr ekelt sie sich davor.                               zialarbeiter vom Krisendienst.
                                                            „Bei den Duschen haben sie den schwarzen Schimmel an                   Bei der Stadt hat sie nach einer anderen Pension gefragt.     Keine illega len Drogen m ehr
                                                        der Decke einfach überstrichen. Als Toilette wurden sie auch           Hat man allerdings einen Platz, sei ein Wechsel fast unmög-       Dabei war sie nur in Berlin obdachlos, in Nürnberg hat sie
                                                        schon missbraucht und damit meine ich nicht Pipi“, erzählt             lich. Die Betten sind rar, Einzelzimmer begehrt. Ein Brand in     zunächst bei den Eltern gelebt, einen Entzug und eine Sozio-
                                                        die 38-Jährige. „Auch in den Zimmern gibt es Schimmel.“                ihrem Zimmer im März dieses Jahres war wohl kein triftiger        therapie gemacht und seither keine illegalen Drogen mehr zu
                                                        Ihre schwarzbraunen Haare und dunklen Augen bilden einen               Grund. Während der „Sanierung“ zog sie in ein anderes Zim-        sich genommen. Bei Lilith e.V. bekommt sie Unterstützung.
                                                        schönen Kontrast zu ihrem hellen Teint. Sie ist sportlich und          mer. Der Boden wurde neu gemacht, die Wände überstrichen.         Der Verein betreut Frauen, die illegale Substanzen konsumie-
                                                        dunkel gekleidet, wirkt sehr gepflegt. „Wirklich sauber fühlt          Der Ruß hinter dem Heizkörper erinnert sie noch an das Feuer,     ren oder in der Vergangenheit konsumiert haben. Dijane M.
                                                        man sich nach dem Duschen nicht.“ Die Küche sei ständig                das vermutlich von einem Kabelkurzschluss ausgelöst wurde.        trifft sich regelmäßig mit ihrer Betreuerin. Diese würde auch
                                                        schmutzig. Bei 22 Frauen auf einer Etage passiert das schnell,         Dreht sie die Heizung an, stinkt es verbrannt.                    zu möglichen Wohnungsbesichtigungen mitkommen. Über
                                                        vor allem wenn sich nur wenige an den Putzplan halten.                     „Stellen Sie sich mal vor: Ich bin 38 und habe noch nie in    das Jobcenter nimmt sie die Hilfe einer Sozialarbeiterin in
                                                                                                                               einer eigenen Wohnung gewohnt“, sagt Dijane M. sichtlich          Anspruch. Dijane M. agiert, soweit sie kann.
                                                                                                                               frustriert. „Andere ziehen nach der Schule aus, das Leben              Ihre Eltern waren zwischenzeitlich in eine kleinere Woh-
                                                                                                                               beginnt.“ So war einst auch ihr Plan. Oder besser ihr Traum:      nung und Dijane M. zu ihrem Lebensgefährten gezogen. Nach
                                                                                                                               raus aus Nürnberg, weg aus Bayern.                                dessen Tod drohte sie erneut, obdachlos zu werden. Auch
                                                                                                                                   Als 19-Jährige ging sie mit ihrem damaligen Freund nach       hier kümmerte sie sich und lebt seither in besagter Pension.
                                                                                                                               Berlin, wollte dort ihr Abitur machen. Es kam anders. Ihr Part-   Seit genau zwei Jahren. Der nächste Schritt wäre eine eigene

„So wie jeder
                                                                                                                               ner zahlte die Miete nicht – auf ihn lief der Vertrag, Dijane     Wohnung: „Ein Rückzugsort, wo mir nichts passieren kann,
                                                                                                                               M. stand plötzlich auf der Straße. Mit nichts. Sie sei dann       wo ich mich wohlfühle“ sagt sie. Am liebsten eine 1,5- oder
                                                                                                                               auf die schiefe Bahn geraten, sagt sie. Zog in den Berliner       Zweizimmerwohnung, Hauptsache ein separater Raum zum
                                                                                                                               Szenevierteln von Café zu Café, verkaufte Straßenzeitungen,       Schlafen. „Ich wünsche mir Ruhe, ich will Sicherheit.“ Den
                                                                                                                               schnorrte, bettelte. Fürs Überleben, für Drogen.                  Kopf freibekommen für die nächsten Schritte, nämlich eine

  irgendwie“
                                                                                                                                                                                                 Traumatherapie, um ihre Ängste in den Griff zu bekommen,
                                                                                                                               Sie leg t sich selbst Steine in den Weg                           um stabil für einen Job zu werden. „Ich möchte raus aus der
                                                                                                                               Bei ihren Eltern meldete sie sich nicht mehr. Aus Scham, aus      Abhängigkeit vom Arbeitsamt“, erklärt sie. „ Sobald Vermieter
                                                                                                                               Angst. Ihre Mutter war herzkrank. Nein, Sorgen sollte diese       hören, dass ich arbeitslos bin, kriegen sie Angst, dass sie ihre
                                                                                                                               sich keine machen. Machte sie sich schließlich irgendwann         Miete nicht bekommen.“ Dabei würde Dijane die Möglichkeit
                                                                                                                               doch. „Vielleicht ist es der mütterliche Instinkt“, mutmaßt       einer Abtretungserklärung nutzen. Heißt: Das Jobcenter über-
                                                                                                                               Dijane M. im Nachhinein. „Meine Eltern versuchten, mich           weist die Miete direkt an den Vermieter.
                                                                                                                               ausfindig zu machen.“ Ihrem Vater gelang es letztendlich,              „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ein normales Le-
     Dijane M. lebt in einer Obdachlosenpension – für sie ein Ort der Angst und Gewalt. Ihr Albtraum.                          er holte seine erwachsene Tochter zurück nach Nürnberg.           ben zu führen“, betont Dijane M. nochmals. „Ich will ganz
     Ihr größter Traum ist eine eigene Wohnung – ein Ort der Sicherheit und Ruhe. Der Weg dahin scheint                        Dahin, wo sie nicht mehr hinwollte. Sie wohnte erst einmal        normal mich selbst versorgen können, eine eigene Wohnung
                                                                                                                               wieder bei ihren Eltern. Aus der Traum vom eigenständigen         haben und darauf halt aufbauen. So wie jeder irgendwie.“
     kompliziert.                                                                                                              Leben in der Metropole.                                           Text: Severine Sand | freie Journalistin
                                                                                                                                   Das Leben von Dijane M. scheint nicht einfach: obdachlos,     Fotos: Maria Bayer | mariabayer.de
                                                                                                                               arbeitslos, einst drogenabhängig. Sie macht es sich aber auch
                                                                                                                               nicht einfach. Ihre größte Hürde scheint sie selbst zu sein:
                                                                                                                               ihre Selbstzweifel, Unsicherheit, Ängste. Das meiste rührt aus
                                                                                                                               einer posttraumatischen Belastungsstörung. „Ich nehme mir

12   HOUSING FIRST                                                                                                                                                                                                                                   HOUSING FIRST   13
Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
„Als Vermieter ist man „Bittsteller“ bei den Ämtern,
                                                                                                      obwohl man die Lösung des Problems Obdachlosigkeit ist.“

                                                                                                      Warum haben Sie keine Bedenken, Wohnungen an Men-                 weniger auf der Straße zu haben und etwas flexibler sein.
                                                                                                      schen zu vermieten, die in Notunterkünften oder auf der           Es wäre gut, wenn schon beim Zustandekommen des Miet-
                                                                                                      Straße leben?                                                     verhältnisses eine Vereinbarung zwischen allen betroffenen
                                                                                                        Jeder hat eine Chance verdient, ob er sie nutzt, liegt an       Parteien vorhanden wäre, um unendliche Diskussionen den
                                                                                                        ihm selbst. Wir bieten den Versuch. Manchmal gelingt er,        Datenschutz betreffend zu lösen. Als Vermieter ist man
                                                                                                        manchmal nicht. Darauf muss man sich als Vermieter ein-         „Bittsteller“ bei den Ämtern, obwohl man die Lösung des
                                                                                                        lassen. Auch bei „normalen“ Mietern kann man reinfallen.        Problems Obdachlosigkeit ist.
                                                                                                        Das hat nichts mit der Herkunft zu tun.                       Ihre schönste und Ihre schlechteste Erfahrung mit Mietern
                                                                                                      Sind ehemals Wohnungslose andere Mieter als solche, die         bisher, egal woher sie kamen?
                                                                                                      einfach umziehen – und wenn ja, inwiefern?                        Ein Mieter, langzeitarbeitslos, lebte in einer total „versiff-
                                                                                                        Nein! Was Mieter angeht, macht der soziale Hintergrund          ten“ Schimmelbude, die auch noch unverschämt viel Miete
                                                                                                        nicht unbedingt den Ausschlag, wie sie sich letztendlich        kostete. Diesem Mann haben wir eine kleine Wohnung zur
                                                                                                        verhalten. Es gibt sozial schwache Mieter, die ohne Pro-        Verfügung gestellt. Die hat er sich jetzt sehr schön herge-
                                                                                                        bleme zum Beispiel die Mülltrennung ernst nehmen. Und           richtet und er ist absolut stolz darauf. Das freut uns natür-
                                                                                                        es gibt sogenannte gebildete Leute, denen einfach alles         lich besonders.
                                                                                                        egal ist.                                                       Das Gegenteil: Ein junges Pärchen, supernett, solange bis
                                                                                                      Der Straßenkreuzer, die mudra und Lilith starten ein              sie eingezogen waren. Er entpuppte sich als drogenabhän-

Was sind das nur
                                                                                                      Housing-First-Projekt, mit dem Obdachlose zu Mietern              giger und extrem aggressiver Mann, der auch mal seine
                                                                                                      werden. Wie könnten wir Vermieter ermutigen, eine freie           Partnerin schlägt, sie nachts im Keller oder auf dem Dach-
                                                                                                      Wohnung auch mal an jemanden zu vergeben, der schon               boden übernachten lässt. Der in seiner Wut alles Mögliche
                                                                                                      lange keine eigene mehr hat?                                      in der Wohnung kaputt macht und alle paar Wochen einen
                                                                                                        Die Vermieter haben immer Angst, dass ihnen die Woh-            Polizeieinsatz produziert. Lärm, Grasgeruch, die armen

für Leute?!
                                                                                                        nung ruiniert wird oder sie auf den Kosten sitzenbleiben.       anderen Mieter! Und man kriegt sie nicht los.
                                                                                                        Da müsste man ansetzen und ihnen diese Sorge nehmen. Es       Interview: Ilse Weiß |strassenkreuzer.info
                                                                                                        muss immer, also wirklich zuverlässig immer, ein Ansprech-    Fotos: Giorgos Agelakis | giorgosagelakis.com
                                                                                                        partner da sein, der sich dann um die Probleme kümmert.
                                                                                                        Denn das können die ehemals Wohnungslosen oder andere
                                                                                                        Menschen in prekären Lagen meist nicht selbst. Da verlieren
                                                                                                        Vermieter dann auch schnell die Geduld, wenn was nicht
Vor zehn Jahren hat Johanna Narius ein Mietshaus in Fürth gekauft. Seitdem kümmern sich ihre            gleich klappt.
                                                                                                      Wenn mal was schiefläuft im Mietverhältnis: Wie gehen
Tochter Martina Narius-Preuß (60) und deren gleichaltriger Mann Ralf Preuß um alles, was damit zu     Sie damit um?
tun hat. „Beim Kauf waren von 13 Mieteinheiten neun aus prekärem Umfeld. Die mussten wir natürlich      Wir kontaktieren den jeweiligen Ansprechpartner und
                                                                                                        finden fast immer eine Lösung. Ganz ohne eigenes Enga-
übernehmen. Das hat uns so manchen Nerv gekostet. Aber es hat sich gelohnt. Jetzt haben wir bewusst
                                                                                                        gement von uns, also von den Vermietern, geht so etwas
gemischte Mieter“, sagen beide. Im Interview äußern sie sich deutlich, warum sie keine Angst vor        natürlich nicht. Irgendwelche Immobilienverwalter mögen
Armen und Obdachlosen haben. Und sie antworten knapp und präzise: Beide sind berufstätig – und im       und machen so etwas bestimmt auch nicht, denn das ist
                                                                                                        manchmal etwas zeitintensiv.
Haus an der Schwabacher Straße wollen sie auch noch vorbeischauen.                                    Welchen Rückhalt, welche Sicherheiten würden Sie sich
                                                                                                      im Rahmen eines Housing-First-Projektes von den vermit-
                                                                                                      telnden Vereinen bzw. auch von Sozialamt oder Jobcenter
                                                                                                      wünschen?
                                                                                                        An sich ist es schon ziemlich gut, was die Leistung und das
                                                                                                        Engagement der Vereine anbelangt. Nur Jobcenter und Be-
                                                                                                        hörden verzögern manchmal und sind nicht sehr koopera-
                                                                                                        tiv, und da wird man auch mal als Vermieter blöd angeredet,
                                                                                                        wenn man sich kümmert. Das können wir nicht nachvoll-
                                                                                                        ziehen. Sollten sie doch lieber froh sein, einen Menschen

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Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
Volker Wolfrum (43) hatte nach seinem Amtsantritt am 1. März 2020 genau „zwei normale Wochen“.
                     Dann mussten der Leiter des Nürnberger Sozialamts und sein Team im Zuge der Pandemie weit über
                     100 wohnungslose Männer und Frauen in eigens angemieteten Häusern unterbringen. Ein Projekt,
                     das sich in der Dianastraße inzwischen verstetigt hat, ausgebaut wurde und bundesweit ziemlich
                     einzigartig sein dürfte. Der Blick auf die Ausgegrenzten ist damit für den Juristen nicht abgehakt. Im
                     Interview spricht Volker Wolfrum über die Vorbehalte gegen Obdachlose und seine Vorstellungen von
                     menschenwürdiger Unterbringung – Housing First eingeschlossen.

                        Straßenkreuzer: Obdachlose werden ja meist gemieden                 haben im Jahr 2021 den bisherigen Höchststand mit 2400
                        wie die Pest. Wie erklären Sie sich diese Abwehrhaltung?            Menschen erreicht. Vielfach steckt ja hinter dem Verlust
                           Volker Wolfrum: Ich glaube, es gibt ein weit verbreitetes        des Wohnraums eine Erkrankung, ein familiäres oder be-
                           Bild von Obdachlosen als Personen, die zum Beispiel in           rufliches Problem. In Nürnberg haben wir, wie in anderen
                           Fußgängerzonen sitzen, Alkohol trinken, nicht gepflegt aus-      Städten, zusätzlich das Problem, dass der Wohnungsmarkt
                           sehen. Häufig wird nicht der Mensch oder seine Geschichte        sehr angespannt ist. Es ist eine starke Konkurrenz da, Ver-
                           wahrgenommen, sondern eine Situation, die so weit weg            mieter können sich ihre Mieter aussuchen. Wenn da jemand
                           ist von der eigenen Lebensrealität, dass Berührungsängste        mal eine oder zwei Monatsmieten schuldig bleibt, wird nicht
                           entstehen. Das macht vielleicht auch unsicher, wie man           mehr unbedingt das Gespräch, ein Weg gesucht. Es geht
                           auf so jemanden zugehen, ihn ansprechen könnte. Daher            natürlich nicht nur um den Wohnungsmarkt, aber er ver-
                           glaube ich, dass es bei diesem Vermeidungsverhalten im           schärft die Situation. Wobei auch erwähnt werden muss,
                           Wesentlichen um eigene Unsicherheiten und Ängste geht.           dass es natürlich auch sehr viele verantwortungsbewusste

Wissen,
                        Und dann gibt es Organisationen, die Essen und Klei-                Vermieter gibt. Das hat sich auch im Rahmen der Corona-
                        dung sammeln und genau an diese Armen verteilen. Sie                Pandemie gezeigt. Vielfach wurden hier in Notsituationen
                        er­sticken oft in milden Gaben. Inwieweit manifestiert die-         etwa Stundungslösungen zwischen Mietern und Vermietern
                        ses Handeln die Degradierung Obdachloser zu hilflosen               gefunden.
                        Objekten, für die es keinen Ausweg gibt?                           Wie sieht die Strategie der Stadt Nürnberg im Umgang mit

wo man abends
                           Vielleicht ist das auch eine Art Ersatzhandlung. Man kann       Wohnungs- und Obdachlosigkeit aus?
                           sich seines eigenen schlechten Gewissens entledigen, in-         Wir haben bereits ein breit aufgestelltes Portfolio an Hilfen.
                           dem man ja etwas tut, spendet, verteilt. Ich persönlich hab      Prävention ist dabei die beste Hilfe, die gar nicht früh genug
                           dann ein Problem, wenn das Bild von Armenspeisungen              ansetzen kann. So bietet etwa die städtische Wohnungs-
                           entsteht. Das wird den Menschen nicht gerecht. Aber bit-         baugesellschaft eine Mieterberatung mit eigener Sozial-

schlafen kann
                           te nicht falsch verstehen: Ich finde es toll und unbedingt       arbeit an. Wir beim Sozialamt haben das Instrument der
                           nötig, dass sich Menschen hier engagieren. Wichtig wäre,         präventiven Mietschuldenübernahme, das ist immer noch
                           dass dieses Engagement in eine langfristige Hilfe münden         besser, als den Wohnraum zu verlieren und dann einen oft
                           würde, die die Menschen stabilisieren kann und ihnen er-         langen Prozess der Unterbringung und Reintegration zu
                           möglicht, wieder den Anschluss ans gesellschaftliche Le-         starten. Es gibt aber auch Fälle, in denen wir zu spät von
                           ben zu finden. Die Beseitigung der unmittelbaren Not ist         einer Kündigung erfahren. Wenn erstmal eine Zwangsräu-
                           natürlich unerlässlich, sie sollte und wird aber auch durch      mung angesetzt ist, ist vorher schon viel passiert und nicht
                           ein staatliches Hilfesystem erfolgen. Die Langfristigkeit des    jeder Vermieter bereit, noch einzulenken. Wir übernehmen
                           Engagements hin zu einer möglichen qualitativen Verän-           Schulden ja nicht, um den Vermieter zu entlasten, sondern
                           derung, das wäre wichtig.                                        nur, um Wohnraum zu sichern. Dann haben wir natürlich die
                        Dabei scheint die Entwicklung genau in die andere Rich-             bekannten Unterbringungsformen, von Pensionen, statio-
                        tung zu gehen. Der EU-Kommissar für Beschäftigung,                  nären Einrichtungen von Stadt und Wohlfahrtsorganisatio-
                        Soziales und Integration sagt, Obdachlosigkeit habe sich            nen bis hin zu Verfügungswohnungen, Sozialimmobilien mit
                        zu einem großen europäischen Problem entwickelt. Wie                Belegungsrecht und ambulant betreuten Wohnprojekten
                        konnte es so weit kommen?                                           (siehe Kasten). All diese Formen sind Ersatzunterbringun-
                           Ich kann schwer etwas zu gesamteuropäischen Entwick-             gen und unsere Strategie muss sein, eine Reintegration
                           lungen sagen, dazu fehlt mir das Gesamtbild. Aber auch           in den Wohnungsmarkt hinzubekommen. Die Kollegin-
                           in Nürnberg haben wir seit Jahren steigende Zahlen von           nen und Kollegen in der Fachstelle für Wohnungsfragen
                           Menschen in der ordnungsrechtlichen Unterbringung, wir           und Obdachlosigkeit gehen sicher manchmal mit einem

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Housing First Wir holen Obdachlose von der Straße - Straßenkreuzer eV
„Solange das Gegenüber nur die Projektionsfläche für die eigenen Vorstellungen und Ängste ist, ist eine
                                                                                                                                 Distanz da, dann sieht man nur den Obdachlosen, den Geflüchteten, wie auch immer.“

                                                                 schlechten Bauchgefühl nach Hause, wenn nachmittags                  Reinform ist oder nicht, sondern ob es hilft. Wie das Ganze      nen Mietvertrag in einem geförderten Objekt erhalten. Nun
                                                                 nur wenige Freimeldungen von Schlafplätzen gekommen                  dann heißt, ist mir persönlich relativ egal.                     gleich den Sprung zu machen mit einem eigenen Vertrag,
                                                                 sind und keiner weiß, wie groß die Nachfrage am nächsten           Vor allem ist kaum Wohnraum da, egal wie man das Ganze             mit entsprechender Begleitung bei Bedarf, wäre ein wei-
                                                                 Tag sein wird. Es ist uns aber bislang immer gelungen, alle        nennt. Sind wir damit schon am Ende der Diskussion?                terer Schritt. Ich denke, dass es auch viele Vermieter gibt,
                                                                 Menschen unterzubringen.                                             Die Angebotsmenge und vor allem der preisgünstige                die die Problemlage sehen und sich engagieren würden. Es
                                                               Obdachlosigkeit soll EU-weit bis 2030 abgeschafft wer-                 Wohnraum sind nur eine Seite des Themas. Es wird im-             ist von daher richtig, hier auch gezielt den privaten Woh-
                                                               den, so lautet eine Deklaration der 27 Mitgliedsländer.                mer auch Personengruppen mit erschwertem Zugang zum              nungsmarkt anzusprechen.
                                                               Wie utopisch ist das denn?                                             Wohnungsmarkt geben. Etwa aufgrund einer psychischen           Welche politische und gesellschaftliche Unterstützung
                                                                 Man setzt sich da ein ehrgeiziges Ziel, was ja prinzipiell           Erkrankungen, wegen Zuschreibungen, die andere machen.         wünschen Sie sich beim Thema Obdachlosigkeit?
                                                                 gut ist. Aber das Thema muss man in einem größeren Zu-               Aber die Stadt Nürnberg tut natürlich gut daran, am ge-          Dass man die Menschen wahrnimmt und ihre Schicksale.
                                                                 sammenhang sehen. Das Armutsgefälle innerhalb Euro-                  förderten Wohnungsbau festzuhalten und diesen auszu-             Dass man dann die angstgeprägte Distanz abbaut. Dann
                                                                 pas, unterschiedliche Lebensstandards, kombiniert mit der            weiten. Das Thema betrifft ja sehr viele Menschen, die auf       glaub ich schon, dass wir einen großen Schritt nach vorne
                                                                 Möglichkeit der Freizügigkeit ist ein Problem, das sich nicht        günstigen Wohnraum angewiesen sind, bis in die Mitte der         machen können. Vielleicht bin ich da auch naiv, aber wir
                                                                 so einfach lösen lässt. Wir als Stadt Nürnberg können uns            Gesellschaft hinein.                                             haben auch im Rahmen der Pandemie erlebt, dass die Hilfs-
                                                                 um die Situation hier vor Ort gut kümmern, das kriegen             An welche Zuschreibungen in Bezug auf Obdachlosigkeit              bereitschaft da ist. Nun müssen wir sie auch beim Thema
                                                                 wir hin und machen Schritte nach vorne. Auf europäischer           denken Sie?                                                        Wohnen wecken und in die richtigen Bahnen lenken, dann
                                                                 Ebene bin ich nicht so zuversichtlich. Aber ich täusche mich         Das Merkmal, obdachlos zu sein, betrifft ja Urängste: nicht      kann etwas Gutes geschehen. Ich würde mich freuen, wenn
                                                                 hier gerne.                                                          zu wissen, wo man abends schlafen kann. Von daher wird           das Modellprojekt gut funktioniert und wir uns dann über
                                                               Im deutschen Hilfssystem, sagen Kritiker, würden viele                 in der Wahrnehmung dieses Merkmal dominant. Wenn ein             die nächsten Schritte unterhalten. Ich bin überzeugt, dass
                                                               Betroffene an den Hürden der sogenannten Wohnfähigkeit                 Mensch seine Wohnung verliert, tritt oft die ganze Biografie     es auch weitere Instrumente braucht, auch da wollen wir
                                                               scheitern. Was bedeutet das konkret?                                   dahinter zurück. Die gesamte Wahrnehmung des Menschen            vorankommen. Mit Einzelzimmern als Standardunterbrin-
                                                                 Ich möchte den Begriff nicht in dem Sinn verstanden wissen,          verengt sich dann allein auf das Merkmal Obdachlosigkeit.        gung zum Beispiel. Das wären starke Signale.
                                                                 dass es dabei um die Fähigkeit einer Person geht, überhaupt          Dabei ist es spannend, die Geschichte hinter den Menschen      Wann wird es keine Schlafsäcke mehr unter Nürnberger
                                                                 wohnen zu können, also eine Art Zugangsbarriere. Wir su-             kennenzulernen. Mir ging es so in der Wärmestube, als ich      Brücken geben?
                                                                 chen vielmehr pragmatische Lösungen. Es geht darum, ein              mit Besuchern ins Gespräch kam und feststellte, dass da          Wenn’s nach uns geht, am liebsten natürlich sofort. Wir
                                                                 momentan bestehendes Defizit auszugleichen, damit man                jemand sitzt, der Schreiner war, oder Elektriker, und dann       machen Angebote und hoffen, dass sie ausreichend sind,
                                                                 sich dann wieder um einen Haushalt kümmern, sich stabi-              ist das Leben irgendwann falsch abgebogen. Es wäre gut,          dass sie wahrgenommen und angenommen werden. Wir
         Alles belegt: Das jüngste Projekt des Sozialamts in
                                                                 lisieren kann. Das kann ein entsprechendes Hilfsangebot              miteinander zu reden. Das ist wie immer im Leben. Solange        werden aber vermutlich nicht jeden erreichen.
         ­Zusammenarbeit mit der wbg bietet Einzelapartments
                                                                 sein, etwa Coaching, um die Selbsthilfekräfte zu fördern. Da         das Gegenüber nur die Projektionsfläche für die eigenen          Sie kennen sicher die Kritik vieler Obdachloser, die lieber
          mi­t Dusche und Kochgelegenheit.
                                                                 fehlt oft nur ein kleines Stück, und wir wollen das passende         Vorstellungen und Ängste ist, ist eine Distanz da, dann          draußen als in einer heruntergekommenen Pension, dazu
                                                                 Angebot machen. Die materielle Sicherheit, die Mietüber-             sieht man nur den Obdachlosen, den Geflüchteten, wie             noch mit Fremden in einem Zimmer, schlafen wollen.
                                                                 nahme vor allem, lässt sich ja mit am einfachsten herstellen,        auch immer.                                                      Deshalb brauchen wir eben durchgehend einen Standard,
                                                                 auch wenn dies für den kommunalen Haushalt natürlich               Kurz zur Dianastraße. Was hat die Unterkunft beim                  der akzeptiert wird. Wir wollen in Nürnberg hier qualita-
                                                                 eine Belastung darstellt. Auf jeden Fall sollte man nicht          Thema Obdachlosigkeit bislang verändert?                           tiv weiterkommen und noch eine Schippe drauflegen. Und
                                                                 unterschiedliche Unterbringungsformen durchlebt haben                Die eigene Wahrnehmung und die Rückmeldung der Street-           nicht mehr wie jetzt über 1000 Personen allein in Pensio-
                                                                 müssen, um erst dann wieder in der Lage zu sein, über ei-            work-Teams und der Polizei zeigen: Obdachlosigkeit im            nen mit teils Mehrbettzimmern unterbringen. Lieber zum
                                                                 genen Wohnraum zu verfügen. Wichtig ist, das man nach                öffentlichen Raum hat abgenommen. Das ist ein großer             Beispiel in Mikroapartments wie etwa in unserem Objekt
                                                                 dem Verlust einer Wohnung schnell wieder eine bekommt,               Gewinn. Nun muss es gelingen, Kontakt zu den Menschen            „Hinterm Bahnhof 28“, das durch die städtische Wohnungs-
                                                                 ansonsten entfernt man sich vielleicht auch ein Stück weit           im Haus aufzubauen, über Perspektiven zu sprechen, zu            baugesellschaft errichtet wurde und Einzelapartments mit
         Obdachlosigkeit in Nürnberg                             von dieser Lebensform. Und rein fiskalisch gedacht: Eine             intervenieren. Was zuerst als reine Nothilfe gedacht war,        eigener Dusch- und Kochgelegenheit bietet. Alle sind be-
         1201 Personen in Obdachlosenpensionen                   längerfristige ordnungsrechtliche Unterbringung ist immer            hat sich nun verstetigt. Mit Tagesaufenthalt, Beratung, Not-     legt, und es funktioniert richtig gut.
         583 	Personen in (209) Obdachlosen­                    die teuerste Form.                                                   schlafstelle. Die Grundbedürfnisse sind befriedigt, jetzt      Interview: Ilse Weiß | strassenkreuzer.info
               wohnungen                                       Finnland ist das einzige Land in Europa, das Housing                   geht es um individuellen Hilfebedarf.                          Fotos: Anika Maaß | anikamaass.de

         700 	Plätze in Obdachlosenheimen/­                   First konsequent umsetzt, und dort sinken die Obdachlo-              Lilith, mudra und der Straßenkreuzer wollen ein Housing-
               Betreutes Wohnen                                senzahlen tatsächlich. Warum lässt sich diese Methode                First-Projekt anschieben – am liebsten in Zusammen-
         206 	Plätze in Notschlafstellen ­(Auslastung         nicht übertragen?                                                    arbeit mit der Stadt. Denn wir sind sicher, zusammen
               bei ca. 70% im Sommer)                            Finnland wählt einen nationalstaatlichen Ansatz, die Bun-          stärker und überzeugender zu sein. Wie stehen Sie diesem
                                                                 desebene. Das würde es hier auch erleichtern. Denn rein            Vorhaben gegenüber?
         (Stand 30. Juni 2021)
                                                                 kommunale Angebote sind natürlich singulär, schwieriger              Wir alle, da kann ich fürs gesamte Team sprechen, waren
                                                                 umzusetzen und zu tragen. Ein nationaler Ansatz wäre                 schnell überzeugt, dass das eine gute und wichtige Ini-
                                                                 wünschenswert. Ich glaube aber auch, dass es eine Kom-               tiative ist. Wir haben ja mit den Verfügungswohnungen
                                                                 bination braucht: ambulante Hilfe, individuelle Betreuung,           und den Sozialimmobilien einen leicht anderen Ansatz,
                                                                 ohne ideologische Diskussion. Für mich und unser Team                indem wir Wohnraum zur Verfügung stellen ohne eigenen
                                                                 hier ist nicht entscheidend, ob etwas nun Housing First in           Mietvertrag bzw. von uns vorgeschlagene Haushalte ei-

18   HOUSING FIRST                                                                                                                                                                                                                                      HOUSING FIRST   19
„Es stimmt, dass                                                                                                                            Weg von
  Verdrängung stattfindet“                                                                                                                   der Straße
     Seit mehreren Jahren unterstützen Bernd Hahn und Marc Riedl, Geschäftsführer des Nürnberger                                             Seit fast 30 Jahren engagieren sich weltweit verschiedenste Organisationen für das Menschenrecht
     Wohnbau-Unternehmens Hahn & Riedl, die Arbeit des Straßenkreuzers mit Spenden. Weil sie es                                              auf Wohnen. Festgeschrieben ist es in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche,
     „richtig finden, Menschen zu ermutigen, ihr Leben möglichst selbst in die Hand zu nehmen“. Beim                                         soziale und kulturelle Rechte. Wenn eine geeignete Unterkunft fehlt, dann sind auch viele andere
     Wohnen hört die Selbstbestimmung aufgrund des Mangels an bezahlbaren vier Wänden schnell auf.                                           Menschenrechte bedroht, zum Beispiel das Recht auf Gesundheit und Leben, das Recht auf Teil-
     Wie die Firmenchefs zu sozialem Wohnungsbau stehen, sagt Marc Riedl im Interview.                                                       habe und das Recht auf Familie.

                                                                              Bestandswohnungen bleiben heutzutage oft Mietwohnun-           1992
                                                                              gen, aber die Mieten werden nach einer Sanierung erhöht.       Start in New York City
                                                                              Da entsteht natürlich ebenfalls eine gewisse Verdrängung.
                                                                            Dann war Mietenstopp in Berlin doch eine gute Idee?              Der Psychologe Sam Tsemberis grün-
                                                                              Wenn’s aber keine Investitionen mehr gibt, dann ist es auch    det „Pathways to Housing, Inc.“ Die
                                                                              sehr schwierig. Aber es stimmt, dass Verdrängung stattfin-     Non-Profit-Organisation entwickelt
                                                                              det. An München sieht man das, da müssen viele Leute in        „Housing First“ für Obdachlose mit
                                                                              die Peripherie ziehen, weil sie die Mieten nicht mehr zahlen   schweren psychiatrischen Erkrankun-
                                                                              können. In Nürnberg geht die Entwicklung wohl in eine          gen – der Grundgedanke: zuerst die
                                                                              ähnliche Richtung. Schöne Wohnungen etwa in Gostenhof          Wohnung, dann unterstützende Hilfe
                                                                              sind natürlich begehrt.                                        je nach Bedarf. Nach vier Jahren waren
                                                                            Zigtausende Sozialwohnungen sind von Städten und                 88 Prozent der Teilnehmer noch in ihrer
                                                                            Ländern verkauft worden, andere fallen aus der Bindung.          Wohnung.
                                                                            Hätten Sie Ideen, wie dem Recht auf Wohnen wieder mehr
                                                                            Gerechtigkeit widerfahren könnte?                                2005
                                                                              Natürlich muss mehr gebaut werden, aber geförderter Woh-       600 Teilnehmer
                                                                              nungsbau funktioniert in Städten mit hohem Mietdruck
                                                                              nicht. Die Baukosten sind schon zu hoch, da ist man als
                                                                                                                                             jährlich in Kanada                         2007                                        2008
                                                                              Bauunternehmer oft schon raus aus den Förderkriterien.         In Toronto, Kanada, startet das Projekt
                                                                                                                                                                                        Mehr Zeit zu Hause                          Housing First für
                                                                              Die Summen sind so niedrig, das geht eigentlich gar nicht.     „Streets to Homes“: Nach einem Jahr
                                                                              Eine Stadt allein kann da meiner Ansicht nach wenig än-        sind 90% der Klienten noch in einer        Das Alex Health Center in Alberta, Ka-      Drogenabhängige
                                                                              dern, da müsste schon der Staat andere Impulse setzen          Wohnung. In den ersten drei Jahren         nada, startet ein Housing-First-Projekt.    Die Organisation „Turning Point“
         Die Grundstückspreise in Nürnberg steigen immer weiter,              oder die Lücke finanziell schließen. Auch Mietwohnungen        werden ca. 600 Personen pro Jahr in        Im Vergleich zur Zeit davor waren die       in Glasgow, Schottland, stellt ein
         Eigentumswohnungen werden immer teurer. Gleichzeitig                 sind schließlich ein Geschäft, niemand kann erwarten, dass     Wohnungen untergebracht.                   Teilnehmer 66 Prozent weniger Tage im       Housing-First-Programm vor allem für
         fehlen tausende bezahlbare Mietwohnungen. Wie positio-               nur Idealisten bauen. Wenn aber eine Sozialwohnung eine                                                   Krankenhaus, 38 Prozent weniger Tage        Drogenabhängige auf die Beine. Größtes
         nieren Sie sich in diesem Spannungsfeld?                             schlechtere Förderung hat als eine normal gebaute, wird        2006                                       in Notaufnahmen und 79 Prozent weni-        Hindernis im Vorfeld ist ein Gesetz, das
           Die Preise werden wohl weiter steigen und dafür gibt es drei       es von ersteren zu wenige geben. Was sich leider gar nicht     Zum ersten Mal in                          ger Tage im Gefängnis.                      es Vermietern verbietet, Wohnungen an
           Gründe: Es gibt fast kein Bauland, die Baupreise steigen           mehr reparieren lässt, ist das Handeln vieler Städte und
           auch wegen fehlenden oder teuren Materials. Etwa für Holz,         Länder in der Vergangenheit bis in die letzten Jahre. Da
                                                                                                                                             Europa                                     2008
                                                                                                                                                                                                                                    Menschen zu vermieten, von denen sie
                                                                                                                                                                                                                                    wissen, dass diese darin Drogen konsu-
           auch für Dämmstoffe. Ein Problem, das durch die Pande-             wurden massiv die eigenen Bestände verkauft und damit          In Amsterdam startet das Projekt           In fünf Jahren zur                          mieren werden.
           mie verstärkt wurde. Staatliche Auflagen wie die immer             die Möglichkeit der Einflussnahme vergeben.
           umfangreichere Energieeinsparverordnung machen das               Sie unterstützen seit Jahren soziale Projekte wie den Stra-
                                                                                                                                             „Discus Housing First“. Die Teilnehmer
                                                                                                                                                                                        nationalen Strategie
                                                                                                                                             zahlen einen Teil der Miete und erklären                                               2008
           Bauen noch teurer. Wir selbst bauen keinen Luxus, aber wir       ßenkreuzer. Was halten Sie vom Engagement des Vereins                                                       Beginnend mit den Olympischen Win-
           müssen diese Faktoren einkalkulieren. Man müsste mehr            für ein Housing-First-Projekt in Nürnberg?
                                                                                                                                             sich damit einverstanden, an einem
                                                                                                                                                                                        terspielen 2008 in Vancouver star-
                                                                                                                                                                                                                                    Ein Drittel weniger
                                                                                                                                             Programm zum Umgang mit Geld teil-
           Altbau sanieren, aber das ist auch sehr teuer.                     Man müsste es ausprobieren, warum nicht! Ich sehe natür-       zunehmen – die Erfolgsrate bei einer       tet die kanadische Regierung in fünf        Langzeitwohnungslose
         Genau deswegen wird Ihre Branche zunehmend kritisch                  lich den Engpass an Wohnungen, aber wenn es Vermieter          Evaluation 2013: 97 Prozent. 2014 gibt     Städten das Housing-First-Projekt „At       In Finnland startet „Paavo I“: Ob-
         gesehen. Vor allem wenn es um die Umwandlung von Alt-                gibt, die mitmachen – umso besser. Der Straßenkreuzer          es schon in 14 Städten in den Niederlan-   Home/Chez Soi“. Wissenschaftler wei-        dachlosenunterkünfte werden zu
         bestand in teures Eigentum und damit um die Verdrän-                 hilft mit seinen Arbeitsgelegenheiten beim Wiedereinglie-      den Housing-First-Angebote.                sen durch eine Kontrollgruppe nach,         Housing-First-Angeboten umgebaut.
         gung alteingesessener Mieter geht.                                   dern, das finde ich wichtig, um eine wirkliche Perspektive                                                dass Housing First bei der Bekämpfung       Das Programm hat zum Ziel, die Woh-
           Das frühere Aufteilungsgeschäft, bei dem man einen Alt-            entwickeln zu können. Wohnen allein ist erst der Beginn.                                                  von Obdachlosigkeit erfolgreicher ist als   nungslosigkeit im Land ganz zu been-
           bau gekauft, in Wohnungen aufgeteilt, saniert und verkauft                                                                                                                   traditionelle Ansätze. Fünf Jahre später    den. Bis 2011 kann die Langzeitwoh-
                                                                            Interview: Ilse Weiß | strassenkreuzer.info
           hat, ist doch mittlerweile fast zum Erliegen gekommen. Es        Fotos: Maria Bayer | mariabayer.de
                                                                                                                                                                                        wird Housing First zur nationalen Poli-     nungslosigkeit schon um 28 Prozent
           gibt fast keine Objekte mehr. Die sind schon im Ankauf so                                                                                                                    tik gegen Obdachlosigkeit in Kanada.        gesenkt werden.
           teuer, dass es sich nicht lohnt, sie noch aufzuteilen und auf-
           wendig zu sanieren. Das kann nicht mehr bezahlt werden.

20   HOUSING FIRST                                                                                                                                                                                                                                               HOUSING FIRST   21
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