Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz

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Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
Mitgliederzeitung der SP Schweiz
                                                                                      176 · Ausgabe CH · Juli 2018
                                                                                      AZB 3001 Bern

Im Gespräch mit dem
Bundespräsidenten
Alain Berset befindet sich mitten in seinem Amtsjahr als Bundespräsident. Im Interview erzählt er von                                     Lucien Grandjean

seinen Erfahrungen, spricht über aktuell relevante Themen, Ideen, Visionen und plaudert aus dem
(nicht ausschliesslich politischen) Nähkästchen. Seiten 4 und 5

FRAUENJAHR                                                              COMMONS
Lohnungleichheit, Gewalt gegen Frauen und die fehlende Anerken-         «Ein Gespenst geht um die Welt – das Gespenst der Commons.»
nung von Care-Arbeit – bis zur vollständigen Gleichstellung der Ge-     Alle reden über sie, doch was macht diese «Commons» genau aus?
schlechter ist es noch ein weiter Weg. Die SP Schweiz, die SP Frauen*   Diese Frage beantwortet der politische Philosoph Lukas Peter in
und die JUSO Schweiz gehen in diesem Bereich in die Offensive.          dieser Ausgabe. Seiten 14 – 16
Seiten 6 und 7
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
2     LINKS
      176 ∙ 2018   Aktuell

Liebe Genoss*innen                                                                                                                        INHALT
Liebe Sympathisant*innen

                                                                                                                                          2–3         Aktuell
                       «Wenn Frau will, steht alles still.» Unter diesem Motto legten
                       am 14. Juni 1991 eine halbe Million Frauen in der Schweiz ihre                                                     4–5         Gespräch
                       Arbeit nieder – also doppelt so viele Menschen wie beim Ge-                                                                    Der amtierende Bundespräsident
                       neralstreik 1918. Der Grund dafür: Zehn Jahre nach der Ver-                                                                    Alain Berset im Interview
                                                                                                                                                      von Gaël Bourgeois
                       ankerung des Gleichstellungsartikels in der Verfassung war
                                                                                                                                                      und Vincent von Siebenthal
                       ebendiese Gleichstellung nicht annähernd erreicht. Damals
                       trieb vor allem die immense Lohnungleichheit die Frauen auf                                                        6–7         Gleichstellung
                       die Strasse. Und wo stehen wir heute? SP und JUSO lancierten                                                                   Das Frauenjahr der SP Schweiz,
                                                                                                                                                      der SP Frauen* und der JUSO
                       am 14. Juni 2018 das Frauenjahr, um drei Hauptforderungen
                                                                                                                                                      Schweiz ist lanciert
                       Gewicht zu verleihen: Keine Gewalt an Frauen, Anerkennung                                                                      von Martine Docourt, Tamara
aller Arbeit und eben auch Lohngleichheit. «Damit endlich selbstverständlich wird,                                                                    Funiciello, Nina Hüsser, Natascha
was selbstverständlich sein sollte», heisst es im dazugehörigen feministischen Ma-                                                                    Wey und Rebekka Wyler
nifest. Ja, für diese Anliegen sollten wir eigentlich schon lange nicht mehr kämpfen
                                                                                                                                          8           Positionen
müssen. Nicht mehr für dieselben Forderungen auf die Strasse gehen wie 1991. Hat                                                                      Die Verbindung zwischen
sich also nichts getan? Sind wir keinen Schritt weiter?                                                                                               Steuervorlage 17 und AHV:
                                                                                                                                                      eine Begründung
Alain Berset spricht im Interview in dieser Ausgabe davon, dass man sich im Be-                                                                       von Anita Fetz
reich der Lohngleichheit «allzu lange beklagt» habe, «ohne wirklich etwas zu un-
ternehmen». Aber bei allem Respekt für unseren Bundespräsidenten: Unternom-                                                               9 – 12      Kantone
men wurde vieles. Der Frauenstreik markiert dabei nur die Spitze des Eisbergs.                                                                        Die Seiten der Kantonalparteien
Frauen in der ganzen Schweiz haben immer und immer wieder demonstriert,                                                                   13          Landesstreik
sich konstant engagiert. Wie Tamara Funiciello weiter hinten in dieser Ausgabe                                                                        Historikerin Katharina Hermann
schreibt, stehen wir auf den Schultern der Frauen, die vor uns da waren. Wir bauen                                                                    über die Rolle der Frauen im
auf ihren Errungenschaften auf und führen ihre Kämpfe weiter. Wir profitieren                                                                         Landesstreik 1918
                                                                                                                                                      von Gisela Nyfeler
davon, dass die Arbeiterinnen 1918 nicht nur gestreikt, sondern auch für die Kin-
derbetreuung und die Lebensmittelversorgung gesorgt haben, wie die Historikerin                                                           14 – 16     Debatte
Katharina Hermann im Interview auf Seite 13 anschaulich erläutert. Ansonsten                                                                          Commons und die Demokratisie-
wäre der Landesstreik wohl kaum möglich gewesen. Ansonsten wären die diversen                                                                         rung der Gesellschaft
                                                                                                                                                      von Lukas Peter
sozialen Errungenschaften nicht Realität geworden. Von diesen – etwa der AHV –
profitieren wir heute noch. Genauso wie von der 68er-Bewegung, die uns sexuell                                                            17          Nachruf
und gesellschaftlich freier gemacht hat. Wir profitieren vom Engagement der Fe-                                                                       Merci, lieber Alex
ministinnen, die das Frauenstimmrecht erkämpften und eine Änderung im Ehe-                                                                            von Flavia Wasserfallen
recht erstritten, die uns erlaubt, verheiratet zu sein, ohne unterjocht zu werden.
                                                                                                                                          18 – 19     Diverses/Agenda
All diese Kämpfe haben Frauen geführt und all diesen Frauen gilt mein tiefster
Respekt. Weil sie nicht akzeptierten, was inakzeptabel ist, und nicht schwiegen.
Eben weil sie sich beklagten, und zwar so lange, bis der Druck auf die Männer gross
genug wurde, bis sie nicht mehr anders konnten, als einen Teil ihrer Privilegien
abzugeben.

Lasst uns also laut sein. Lasst uns diskutieren, streiten und gemeinsam kämpfen
für das, was eigentlich längst selbstverständlich sein sollte. Denn das Patriarchat
stürzt sich nicht von allein.

Muriel Günther
Vertretung von Andrea Bauer, Chefredaktorin «links»

IMPRESSUM Herausgeberin: SP Schweiz, Theaterplatz 4, 3011 Bern, Telefon 031 329 69 69, Fax 031 329 69 70 Erscheint 6 Mal pro Jahr, Auflage 36 796 (Wemf) Abonnements­preise: Für
­Mitglieder der SP Schweiz gratis Adressänderungen/Abo: abo@spschweiz.ch Redaktion: Andrea Bauer (Chefredaktion), Niklaus Wepfer (SO), Livia Diem (BS), Ruedi B               ­ rassel (BL), Hannes
Rettenmund (BE), Katha­rina Kerr (AG), Yannick Gauch (LU), Julian Fitze (TG), Michael Sutter (Region Bern), Urs Geiser (­ Korrektor) E-Mail Redaktion: ­links@spschweiz.ch Gestaltung/Produktion:
Atelier Bläuer, Bern Druck: Ringier Print Adligenswil AG, Postfach 3739, 6002 Luzern Anzeigen: Kilian Gasser, Medienvermarktung GmbH, G         ­ itschenstrasse 4, 6460 Altdorf, Tel. 041 871 24 46,
Fax 041 871 24 47, ­kg@kiliangasser.ch Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 11.6.2018. Redaktionsschluss nächste Ausgabe: 6.8.2018.
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
Aktuell           LINKS
                                                                                                                                                        176 ∙ 2018     3
                                                                                                                       schaftlichen Vereinbarungen bezüglich einer
Kriegsgeschäfteinitiative                                             Das Frauenjahr ist lanciert                      Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Für die SP
ist eingereicht                                                                                                        ist dieser Entscheid absolut inakzeptabel und
                                                                      Die SP Schweiz, die SP Frauen* und die JUSO      auch die Gewerkschaften wehren sich vehe-
Am 21. Juni hat die Gruppe für eine Schweiz                           Schweiz haben am 14. Juni – am Jubiläumstag
ohne Armee (GSoA) ihre nationale Kriegs-                              des Frauenstreiks von 1991 – nach luther-
geschäfteinitiative mit mehr als 100 000                              scher Manier ein feministisches Manifest
Unterschriften eingereicht. Die Initiative

                                           Jonas Zürcher

                                                                      ans Bundeshaus geschlagen. Mit dieser
                                                                      Aktion wurde das Frauenjahr 2018/2019            ment gegen die Pläne der Kommission. Das
                                                                      eingeläutet, das im Zeichen der Gleichstel-      Schweizer Arbeitsrecht ist heute schon eines
                                                                      lung stehen wird. Mehr Informationen unter       der liberalsten in Europa, Studien belegen
                                                                      www.frauenjahr.ch und auf den Seiten 6           den dramatischen Anstieg von Burn-out-
                                                                      und 7 dieser Ausgabe.                            Fällen und Stresserkrankungen am Ar-
fordert, dass die Schweizerische National-                                                                             beitsplatz. Eine weitere Aufweichung des
bank und Schweizer Pensionskassen keine                                                                                Arbeitnehmendenschutzes mutet in diesem
Investitionen mehr in die Rüstungsindustrie                           Flavia Wasserfallen                              Kontext geradezu zynisch an – gleichzeitig
tätigen. Damit sollen unter anderem ein Bei-                          und Adrian Wüthrich                              ist sie aus Sicht der Arbeitgeber natürlich der
trag zu einer friedlicheren Welt geleistet und                                                                         nächste logische Schritt im Zuge der Aus­
die Mitsprache der Bevölkerung gefördert                              neu im Nationalrat                               beutung der Arbeitnehmenden.
werden, was die Verwendung des Volks­                                 In der Sommersession konnte die SP-Fraktion
vermögens betrifft.                                                   zwei neue Gesichter in ihren Reihen begrüs­
                                                                      sen. Flavia Wasserfallen, ehemalige Co-          So werden die CO2-Ziele
                                                                      Generalsekretärin der SP Schweiz, ersetzt        nicht erreicht
Der Bundesrat macht
den Bückling vor der                                                                                                   Die Auswirkungen der Klimaerhitzung ge-
                                                                                                                       hören zu den grössten mittelbaren Bedro-
Waffenlobby                                                                                                            hungen der Menschheit. Der Bundesrat und
Geht es nach dem rechtsbürgerlichen                                                                                    die Mehrheit der Umweltkommission des
Bundesrat – allen voran Johann Schneider-                                                                              Nationalrats aber nehmen die Emissions-
Ammann und Ignazio Cassis – wird die
Kriegsmaterialverordnung gelockert. Damit

                                                                                                                                                                     Fotolia
                                           Robert Whitlock – Flickr

                                                                      die neu gewählte Berner Regierungsrätin Evi
                                                                      Allemann. Adrian Wüthrich, Berner Grossrat
                                                                      aus dem Oberaargau, rückte für den kürzlich
                                                                      verstorbenen Alexander Tschäppät nach.

                                                                      Der 12-Stunden-                                  reduktionsziele, zu denen sich die Schweiz
                                                                      Arbeitstag droht                                 mit dem Pariser Abkommen verpflichtet hat,
                                                                                                                       nicht ernst. Nachdem die Kommission die
würden beispielsweise Kriegsmaterialex-                               Die ständerätliche Wirtschaftskommission         Inlandziele viel zu tief ansetzte, strich sie
porte nach Saudi-Arabien möglich, Konflikte                           (WAK-S) hat bekannt gegeben, den Arbeit-         nun auch noch die Massnahmen betreffend
würden weiter befeuert zum Schaden der                                nehmendenschutz massiv aufweichen zu             Gebäudesanierung. Der Verkehrbereich wird
Zivil­gesellschaft in den betroffenen Ländern.                        wollen. Sie folgt damit zwei parlamenta-         ungenügend thematisiert und das gros­se
Wer profitiert, ist die Rüstungsindustrie, die                        rischen Initiativen von Karin Keller-Sutter      Potenzial eines sauberen Finanzplatzes
ihren Absatzmarkt auf Kosten von Men-                                 (FDP) und Konrad Graber (CVP). Für Arbeit-       Schweiz wird verkannt: Momentan fliessen
schenleben erweitern kann. Die SP verurteilt                          nehmende mit «Vorgesetztenfunktion» oder         viel zu viele Investitionen in die Förderung
dieses Vorgehen aufs Schärfste und fordert,                           «Fachpersonen mit wesentlichen Entschei-         von Öl- und Gasvorkommen. Damit wird die
die aktuelle Fassung der Kriegsmaterial-                              dungsbefugnissen in ihrem Fachgebiet» soll       Chance vergeben, in erneuerbare Energie-
verordnung zu respektieren und sofort alle                            die Arbeitszeit weitgehend flexibilisiert wer-   quellen zu investieren und damit grosse
Bewilligungen für Kriegsmaterialausfuhren in                          den. Für diese Personen ist Sonntagsarbeit       Mengen an Treibhausgasen einzusparen.
Länder zu stoppen, die in innere oder inter-                          nicht mehr bewilligungspflichtig. Mit diesen     Ausserdem kann so das Platzen der Kohlen-
nationale Konflikte verwickelt sind.                                  Regelungen soll den Arbeitnehmenden jeg-         stoffblase nicht verhindert werden, zu dem
                                                                      liches Recht genommen werden, sich gegen         es zwangsläufig kommt, sobald auf die För-
                                                                      die Leistung von Überstunden zu wehren.          derung von nichterneuerbaren Ressourcen
                                                                      Sie widersprechen klar den sozialpartner-        verzichtet wird.
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
4   LINKS
    176 ∙ 2018   Gespräch                                                                                                   Interview von Gaël
                                                                                                                            Bourgeois und Vincent
                                                                                                                            von Siebenthal am
                                                                                                                            23. April 2018 in Bern

«Wir brauchen weiterhin
einen langen Atem»
Alain Berset ist seit Anfang Jahr Bundespräsident – der jüngste seit 80 Jahren. Das französischsprachige
Mitgliedermagazin der SP «Socialistes» traf ihn zum Gespräch. Dabei ging es um Schlüsselfragen seines
Departements des Innern (EDI), aber auch um das Präsidialjahr sowie um die Umbrüche in der Medienwelt und
der politischen Landschaft.
Socialistes – Nach unserem letzten Ge-            Das Jahr 2017 war innenpolitisch sehr be-        in Würde im Alter leben können. Klar scheint
spräch im Mai 2014 titelten wir: «Ein fan-        wegt, denken wir nur schon an die Renten-        auch, dass es zurzeit weder eine Mehrheit für
tastisches Departement». Gefällt dir die          reform. Nun muss das Ganze neu überdacht         ein höheres Rentenalter als 65 gibt noch eine
Arbeit im EDI immer noch so gut?                  werden. Wie gedenkst du vorzugehen?              Mehrheit für Rentensenkungen.
Absolut! Auch wenn es ein anspruchsvolles,        Durch den demografischen Wandel und
komplexes Departement ist, bleibt es äusserst     die hartnäckig tiefen Zinsen haben wir ein       Heisst das nicht einfach, das Rentenniveau
faszinierend. Denn hier fühlt man den Puls        echtes Finanzierungsproblem: Es gibt eine        muss erhalten bleiben?
der Gesellschaft am besten. Viele wichtige        grosse Generation, die heute noch arbeitet       Das scheint mir eine unbestrittene Forde-
und für die Bevölkerung konkrete Themen           und einzahlt, aber bald schon in Rente gehen     rung. Der Bundesrat hat schon mehrmals
kommen aus dem EDI.                               wird: Die sogenannten Babyboomer. Auch           bestätigt, dass er das Rentenniveau halten
                                                  sie haben Anrecht auf eine anständige Ren-       will. Das gilt für beide Säulen, wobei bei der
Hast du ein paar Beispiele?                       te, eine sichere Altersvorsorge. Es kann nicht   2. Säule, der Pensionskasse, zuerst die Sozial-
Was passiert, wenn wir krank werden oder          sein, dass wir plötzlich die Renten senken,      partner am Zug sind. Sie diskutieren zurzeit
das Pensionsalter erreichen? Wenn wir einen       nur weil viele gleichzeitig in Pension gehen.    über eine Reform der 2. Säule.
Unfall haben? Wenn man den Beruf wechseln
muss? Wenn Kinder mit Beeinträchtigungen          Was heisst das ganz konkret?                     Themenwechsel: Die SDA und die Pres-
geboren werden und Unterstützung brauchen?        Wir werden die 1. und die 2. Säule nicht mehr    se sind in grossen Schwierigkeiten. Wie
Das EDI ist das Departement der Solidarität,      miteinander, sondern getrennt reformieren        siehst du die Zukunft der Information und
hier geht es darum, wie wir es in der Schweiz     – aber mit gleichen Parametern wie etwa          der Medienlandschaft?
auch künftig schaffen, alle mitzunehmen.          jenem des Rentenalters. Die Diskussionen         Zuerst möchte ich festhalten, wie froh ich bin
                                                  laufen jetzt. Auf jeden Fall muss die Alters-    über die überaus klare Ablehnung der No-
Hast du aus deinem Präsidialjahr schon            vorsorge modernisiert und den Bedürfnissen       Billag-Initiative. Damit hat die Bevölkerung
eine hübsche Anekdote auf Lager?                  angepasst werden, die andere sind als vor 20,    bestätigt, dass gute Information und Quali-
Oh, da gäbe es viele! Ich muss mal kurz durch     30 oder 40 Jahren. Lebensstil, Arbeit und Or-    tätsmedien nicht gratis zu haben sind. Klar,
meine Fotos scrollen … (lacht) Voilà, der Brief   ganisation der Familien haben sich ja stark      man kann sich heute durch Gratiszeitungen
eines kleinen, vielleicht 6- oder 7-jährigen      verändert.                                       oder in sozialen Netzwerken «informieren»,
Mädchens, das mir geschrieben und eine                                                             aber das reicht meiner Ansicht nach nicht
Zeichnung beigelegt hat: «Wir müssen uns          Gibt es für dich rote Linien, die nicht über-    aus, um umfassend informiert zu sein. Unse-
besser um die Umwelt kümmern», steht dar-         schritten werden dürfen, damit die zu-           re direkte Demokratie ist auf qualitativ gute
unter. Das Mädchen möchte weniger Abfälle,        künftige Reform mehrheitsfähig ist?              und umfassende Information angewiesen,
keine Autos und keine Strassen, dafür mehr        Die roten Linien werden letztlich von den        auf eine Vielfalt von Meinungen und eine
Platz für die Natur. Und es findet, dass wir      Stimmbürgerinnen und -bürgern gezogen.           breite Debatte. Die momentane Entwicklung
auch auf den Bäumen leben könnten. Ich habe       Sie beurteilen, ob die Reform die konkrete       der Presselandschaft ist rasant. Natürlich
diesem Mädchen selbstverständlich geant-          Situation der Leute, nicht zuletzt auch die      gilt es überall, mit der Zeit zu gehen und sich
wortet – ganz offiziell, mit Briefkopf des Bun-   Realitäten auf dem Arbeitsmarkt, berück-         anzupassen. Der finanzielle Druck ist hoch.
des – und ebenfalls eine Zeichnung gemacht.       sichtigt. Sie brauchen eine Rente, mit der sie   Gleichzeitig ändern sich die Konsumgewohn-
                                                                                                   heiten. Die Abo-Zahlen gehen zurück, die
                                                                                                   Werbung ebenso, die zudem zu den neuen
                                                                                                   Medien abwandert, vor allem zu den Inter-
                                                                                                   net-Giganten Google und Facebook. Unge-
                                                                                                   achtet all dessen: Wir haben immer noch eine
                                                                                                   Qualitätspresse, und neue Medien kompen-
                                                                                                   sieren teilweise den Konzentrationsprozess.

                                                                                                   Nach der Ankündigung des Kaufs von 30
                                                                                                   Titeln, vor allem Gratiszeitungen in der
                                                                                                   Deutschschweiz, dürfte Christoph Blocher
                                                                                                   auch in der Suisse romande entsprechende
                                                                                                   Käufe tätigen. Steuert die Schweiz da auf
                                                                                                   italienische Verhältnisse zu?
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
SP Schweiz / Lucien Grandjean

                                Das ist eine äusserst spannende Debatte! Ich     sende Informations-Grundversorgung durch            Ich bin glücklich, wie sich die Diskussion in
                                habe vor einiger Zeit mit dem ehemaligen         eine Presseagentur wichtig. Deshalb hat der         den letzten Jahren entwickelt hat. Denn all-
                                Chefredaktor einer grossen welschen Tages-       Bundesrat bereits zwei Millionen Franken            zu lange hat man diesen Missstand beklagt,
                                zeitung über politisch positionierte Zeitun-     für die Unterstützung der SDA aus der Radio-        ohne wirklich etwas zu unternehmen. Wohl
                                gen gesprochen. Er sagte mir, das Modell der     und Fernsehabgabe reserviert. Mit der recht-        noch nie gab es so viel Bemühungen für mehr
                                politischen Tagespresse werde in der Schweiz     lichen Grundlage in der Radio- und Fernseh-         Lohngleichheit wie jetzt. Das Projekt, das der
                                nicht funktionieren und die Basler Zeitung       verordnung für den Einsatz dieser Mittel wird       Bundesrat ins Parlament gebracht hat, be-
                                den Besitzer wieder wechseln. Er erinnerte       sich der Bundesrat nach der Sommerpause             trifft grössere Unternehmen. Für den öffent-
                                auch daran, dass die politische Ausrichtung      befassen. Ende April hat die Kommission für         lichen Bereich hat das EDI eine Lohngleich-
                                der Tagespresse einst viel weiter ging, aus      Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerats           heits-Charta lanciert. Mit dieser sichern die
                                wirtschaftlichen Gründen aber zurückge-          diesen Vorschlag klar befürwortet.                  Unterzeichner zu, dass sie in ihrem Bereich
                                stutzt wurde. Deshalb könne das italienische                                                         die Lohngleichheit einhalten. Bis heute sind
                                Modell in unserem Land nicht funktionieren.      Ohne dem «diplomatischen Tweet» à la                der Charta 14 Kantone beigetreten, ebenso
                                                                                 Trump zu verfallen, bist du ein grosser             um die 40 Städte und Gemeinden. Ein nächs-
                                Welche Rolle kann die öffentliche Hand in        Fan der sozialen Netzwerke. Was bringen             ter Schritt könnte die Ausdehnung auf die
                                dieser Hinsicht spielen? Wie weiter mit der      dir Instagram und Co. im politischen Ge-            halböffentlichen Institutionen sein, etwa auf
                                SDA?                                             schäft?                                             Spitäler oder soziale Einrichtungen. Schon
                                Mit dem neuen Gesetz über elektronische Me-      Ich war bereits vor meiner Wahl in den Bun-         seit zwei, drei Jahren müssen Unternehmen,
                                dien, das in Vorbereitung ist, wird deren Ge-    desrat auf Facebook und Twitter aktiv. Für          die Aufträge des Bundes ausführen wollen,
                                setzesrahmen modernisiert und die staatli-       mich ist Twitter ein Instrument der direkten        belegen, dass sie die Lohngleichheit einhal-
                                che Unterstützung definiert. Der SRG kommt       politischen Kommunikation. Facebook wird            ten. Das mag nach wenig aussehen, aber es
                                in unserer Medienlandschaft eine wichtige        von meinem Team bewirtschaftet und ist eher         handelt sich hier um mehr als 30 000 Firmen.
                                Rolle zu. Und auch die Unterstützung von pri-    dazu da, die verschiedenen Facetten des Bun-        Aber klar, es braucht weiterhin Anstrengun-
                                vaten Regionalradios und TV-Sendern durch        desratsberufs zu zeigen. Instagram hingegen         gen und einen langen Atem.
                                Gebührengelder ist von grosser Relevanz. Bei     verwalte ich selber. Dieser Kanal ist viel per-
                                der SDA präsentiert sich die Lage heute so: In   sönlicher. Eine Art privater Garten, der öffent-
                                einem mehrsprachigen Land mit einem ziem-        lich einsehbar ist, wo ich nach Lust und Laune       ALAIN BERSET
                                lich komplexen Politsystem wie dem unsern        poste, was mir ins Auge sticht. Das Foto mit
                                                                                                                                      ist seit 2012 Vorsteher des Eidgenössi-
                                ist eine qualitativ hochstehende und umfas-      den Sumo-Ringern zum Beispiel entstand so,
                                                                                                                                      schen Departements des Innern und seit
                                                                                 ganz spontan. Ich habe mit meinem Team vor
                                                                                                                                      2018 Bundespräsident. Er wurde 1972 in
                                                                                 dem Posten nicht darüber gesprochen; viel-
                                «Auf Instagram poste                             leicht hätten sie mir ja davon abgeraten (lacht).
                                                                                                                                      Freiburg geboren, ist verheiratet und hat
                                                                                                                                      drei Kinder.
                                ich eher nach Lust und                           Ein grosses Thema dieses Jahr ist die Lohn-          Instagram: @alain.berset – Twitter:
                                                                                 gleichheit. Denkst du, dass es bald so weit          @alain_berset – Facebook: @BersetAlain
                                Laune.»                                          sein wird?
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
6   LINKS
    176 ∙ 2018   Gleichstellung

Das nächste Jahr
wird feministisch!

                                                                                                                                          Lucien Grandjean
Ein feministisches Manifest, ein Nagel, ein Hammer und zahl-                  Auf dieser Doppelseite schreiben nun sechs dieser Ak-
reiche Engagierte – das sind die Hauptkomponenten, die es für                 tivistinnen über das Manifest und dessen Forderungen.
die gelungene Lancierungsaktion des Frauenjahrs vom 14. Juni                  Sie stellen klar, warum der feministische Kampf bis heute
brauchte. In Bern und an vielen weiteren Orten in der ganzen                  kein bisschen an Wichtigkeit verloren hat und weshalb
Schweiz haben Aktivistinnen das Manifest an Wänden und                        sich die SP Schweiz, die SP Frauen* und die JUSO Schweiz
Türen befestigt und damit gesagt: Wir haben genug! Genug von                  dieses Themas im nächsten Jahr besonders intensiv an-
Lohnungleichheit, genug davon, dass unsere Arbeit nicht aner-                 nehmen werden.
kannt wird und, genug von Gewalt.

                      Forderung 1 des Manifests                                          Forderung 2 des Manifests
                      LOHNGLEICHHEIT JETZT                                               ANERKENNUNG ALL UNSERER ARBEIT
                      Auch im Jahr 2018 verdienen Frauen noch                            Frauen verdienen im Schnitt immer noch
                      fast 20 Prozent weniger als Männer. Frauen                         weniger als Männer. Dies, obwohl sie mehr
                      arbeiten also einen Tag pro Arbeitswoche                           arbeiten, wenn man auch die unbezahlte Ar-
                      umsonst für Wirtschaft und Gesellschaft.                           beit mitzählt. Dieser Zustand ist inakzepta-
                      Das ist ein Tag pro Woche, während dem sie                         bel – vor allem, da die Frauen in der Schweiz
                      nicht für ihre Altersrenten vorsorgen kön-                         nicht einmal einen Zehntel des Vermögens
                      nen. Auch wenn man die erklärbaren (wenn                           besitzen und weniger als einen Viertel aller
auch nicht zwingend zu rechtfertigenden) Faktoren miteinbezieht                          Einkommen erhalten. Durch den immensen
(Teilzeitarbeit, «gläserne Decke», Karriereunterbrüche aufgrund                          Anteil an unbezahlter Arbeit, die Frauen leis-
von Mutterschaft), bleibt eine Lohndiskriminierung von sechs bis                         ten, erhalten sie im Alter tiefere Renten. Um
neun Prozent. Diese erklärt sich einzig und alleine aus der Tatsa-                       diesem Missstand entgegenzuwirken, brau-
che, dass eine Frau eine Frau ist und kein Mann.                                         chen Frauen dringend höhere AHV-Renten,
Das ist inakzeptabel. Fast vierzig Jahre nach der Inkraftsetzung                         einen Ausbau der Pflegegutschriften in der
des Gleichberechtigungs-Artikels ist die Gleichstellung immer                            AHV, und die Diskriminierungen in der Pen-
noch nicht erreicht. Simonetta Sommaruga hat ein Gesetz durchs                           sionskasse müssen beseitigt werden.
Parlament gebracht, das Unternehmen zwingt, ihre Lohnstruktu-                            Zusätzlich braucht es zur Förderung der
ren zu kontrollieren. Nur zwei Prozent der Unternehmen, aber 54      Vereinbarkeit von Beruf und Familie staatliche Investitionen in
Prozent der Angestellten sind davon betroffen. Das ist zwar bloss    die Kinderbetreuung, um die ökonomische Unabhängigkeit für
ein erster Schritt – den es aber unbedingt zu machen gilt! Im nun    Frauen zu erreichen. Und natürlich eine Arbeitszeitreduktion bei
lancierten Frauenjahr werden wir keine Zurückweisung der Vor-        gleichbleibendem Lohn – damit wäre Care-Arbeit nicht mehr Frau-
lage an die Kommission mehr akzeptieren, keine Ablehnung und         ensache, sondern die Sache aller.
keine Hinhaltetaktik. Gleichstellung! Und zwar jetzt!
                                                                        Martine Docourt und Natascha Wey,
    Géraldine Savary, Vize-Präsidentin SP Schweiz                       Co-Präsidentinnen SP Frauen* Schweiz
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
SP Schweiz / Lucien Grandjean
                                                                                                                                                       STAND
                                                                                                                                                       PUNKT

                                                                                                                                                       Rebekka Wyler,
                                                                                                                                                       Co-General­
                                                                                                                                                       sekretärin der
                                                                                                                                                       SP Schweiz

  Frauen, erhebt euch –                                                                                       ­ s geht los! Das
                                                                                                              E
                                                                                                              Frauenjahr 2018/2019
  und die Welt erlebt euch!                                                                                   «Die SP-Frauen geben den Luther», hiess es Ende Mai
                                                                                                              in der NZZ. Die Journalistin hatte vernommen, dass
«Was selbstverständlich sein sollte, muss endlich selbstverständlich werden»,                                 die Sozialdemokrat*innen am 14. Juni ein Frauenjahr
heisst es im Frauenmanifest, das wir am 14. Juni ans Bundeshaus genagelt haben.                               lancieren würden: Ein Jahr, das die Gleichstellung ins
Dieser Satz fasst den Kampf zusammen, der die Frauenbewegung von Beginn                                       Zentrum stellt. Dabei hatten wir uns am Reformations-
an prägt – den Kampf um das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Das                               Jubiläum orientiert: Fast wie Luther damals nagelte
Recht über den eigenen Körper bestimmen zu können, die Anerkennung aller ge-                                  Tamara Funiciello am Jahrestag des Frauenstreiks von
leisteten Arbeit, das Recht zu wählen, Recht auf körperliche Integrität – einfach                             1991 das Manifest der Frauen ans Bundeshaus. Hand-
Mensch zu sein.                                                                                               werklich begabte Jungsozialist*innen hatten die ganze
Vieles wurde schon erreicht. Dass wir heute wählen und politisieren können, wie                               Sache so vorbereitet, dass medienwirksam gehämmert
wir es tun, dass wir Bundesrätinnen und Regierungsrätinnen, Vize-Präsidentin-                                 werden konnte, ohne den geringsten Schaden am
nen und Aktivistinnen haben, dass wir Mutterschaftsversicherung, AHV und Er-                                  Gebäude anzurichten. Auch an zahlreichen anderen
ziehungsgutschriften erhalten, ist dem Kampf der Frauen inner- und ausserhalb                                 Orten in der Deutschschweiz, in der Romandie und im
dieser Partei zu verdanken.                                                                                   Tessin wurde unser Manifest öffentlich angeschlagen.
Auf ihren Schultern stehen wir. Und auf unseren Schultern werden weitere Frau-                                Die Aktion fand breites Echo und zeigte: Frauenthemen
en stehen. Denn der Kampf ist noch lange nicht zu Ende: Die Geschichte zeigt,                                 sind keineswegs von gestern. Gleicher Lohn für gleiche

                                                                                                                                                                    Jonas Zürcher
dass wir zurückfallen, sobald wir nachlassen. Damit das nicht passiert, müssen                                Arbeit sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
wir Frauen* uns organisieren, neue Ideen diskutieren, auch mal gemeinsam strei-                               beschäftigen Frauen und Männer jeden Alters. Und
ten und dann gemeinsam kämpfen. Mutig, aufmüpfig und laut.                                                    wie die #metoo-Debatte gezeigt hat, sind viele Frauen
Wir, die hier schreiben, sind überzeugt: Die Revolution wird feministisch – oder                              Gewalt und Belästigungen ausgesetzt. Das kann und
sie wird unbedeutend.                                                                                         darf nicht sein. Oder wie es im Manifest zum Frauen-
«As we go marching, marching, we’re standing proud and tall. The rising of the wo-                            jahr heisst: «Was selbstverständlich sein sollte, muss
men means the rising of us all!» In diesem Sinne, Genossinnen*: Auf die Strassen                              endlich selbstverständlich werden.»
und nieder mit dem Patriarchat!                                                                               Der 14. Juni 2018 war aber nur ein Anfang. Natürlich ist
                                                                                                              jedes Jahr für uns ein Frauenjahr, denn Frauenthemen
Tamara Funiciello, Präsidentin JUSO Schweiz                                                                   sind für die SP schon lange ein Thema. Doch in diesem
                                                                                                              Jahr haben wir mehr vor! Wir wollen zusammenstellen,
                                                                                                              was die SP-Politik in Sachen Gleichstellung der Ge-
                       Forderung 3 des Manifests                                                              schlechter bereits erreicht hat. Dazu gehört auch eine
                       KEINE GEWALT GEGEN FRAUEN                                                              (lange) Liste, was es noch zu tun gibt. Und wir lancieren
                       «There is one universal truth: violence                                                einen Katalog mit Aktionsideen: Was kann jeder und
                       against women is never acceptable, never                                               jede von uns am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der
                       excusable, never tolerable.» In die Tradi-                                             Freizeit für die Gleichstellung tun? Denn die Diskussion
                       tion dieses Zitats des ehemaligen UNO-                                                 über wichtige Themen wie Lohngleichheit, Kinderbe-
                       Generalsekretärs Ban Ki-Moon reiht                                                       treuung oder Altersvorsorge muss im Alltag geführt
                       sich auch die dritte Forderung des                                                          werden. Dabei gilt es, den 20. Oktober 2019 nicht
                       Frauenmanifests ein: «Keine                                                                    aus den Augen zu verlieren. Denn auch für
Gewalt gegen Frauen. Niemand darf uns ohne un-                                                                          Frauenthemen gilt: Wahltag ist Zahltag. Für
ser Einverständnis berühren, uns bedrängen oder                                                                          die Gleichstellung der Geschlechter hat die
belästigen.» Gewalt gegen Frauen ist Tatsache. Sie                                                                       rechtsbürgerliche Mehrheit im Parlament
existiert in verschiedenen Formen, Ländern und                                                                         nicht viel unternommen. Die SP stellt deshalb
Gesellschaftsschichten. Gemeinsam ist ihr vor allem                                                                 auch 2019 wieder gleich viele Frauen wie Männer
eines: Sie ist Ausdruck eines strukturellen Machtungleich-                                                       zu den Wahlen auf. So wollen wir die Gleichstellung
gewichts zwischen Männern und Frauen. Unterstrichen wird                                                      in der Politik wie auch im Alltag voranbringen.
das durch den Fakt, dass 95 Prozent der Gewalt gegen Frauen
durch Männer verübt wird. Der gefährlichste Ort für Frauen                                                    Wer eine Idee hat für eine Gleichstellungsaktion:
sind dabei die eigenen vier Wände. Dort finden die meisten                                                    Bitte meldet euch unter frauen@spschweiz.ch!
Übergriffe statt, oft in Wechselwirkung mit ökonomischer
Ungleichheit: Wie oft können Frauen ihren gewalttätigen Part-
ner nicht verlassen, weil sie finanziell von ihm abhängig sind?                                                Hast du das Manifest schon unterschrieben?
Es ist an der Zeit, dass sich all das endlich ändert.                                                          Falls nicht, kannst du das unter www.frauenjahr.ch
                                                                                                                jetzt gleich nachholen! Dort kannst du das Manifest
   Nina Hüsser, Verantwortliche Lancierungsaktion                                                                auch in gedruckter Form bestellen, es aufhängen und
   vom 14. Juni                                                                                                   damit Flagge zeigen.
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
8   LINKS
    176 ∙ 2018   Positionen

Weshalb wir den Kompromiss
 überzeugt mittragen
Anita Fetz ist Ständerätin und Mitglied der vorberatenden Kommission WAK-S,                                  ist dringlich, weil unser zentrales
die die Verbindung zwischen Steuervorlage 17 und AHV-Finanzierung aufs Tapet                                 Sozialwerk früher als erwartet in
brachte. Nachfolgend erklärt sie, weshalb sich die SP dafür entschieden hat,                                 die roten Zahlen gerät. Nun wurde
den Kompromiss zu unterstützen.                                                                              kritisiert, dass für einen Drittel der
                                                                                                             Zusatzfinanzierung die Arbeitneh-
Nachdem wir das Referendum ge-                                      und damit nur noch für Hochsteuer-       menden aufkommen müssen. Das
gen die Unternehmenssteuerreform                                    kantone wie Zürich anwendbar.            stimmt. Dabei übersehen jedoch vie-
USR III sehr deutlich gewonnen hat-                                  Von zentraler Bedeutung ist die        le den springenden Punkt: Mehr als
ten, waren die Forderungen unserer                                  Einschränkung der steuerfreien           90 Prozent der Leute zahlen im Lau-
Partei im Hinblick auf eine Ersatz-                                 Auszahlung von zurückgestellten          fe ihrer Erwerbstätigkeit weniger
vorlage klar: mehr Gegenfinanzie-                                   Kapitaleinlagen (KEP). Diese über-       Geld in die AHV ein, als sie später
rung durch die Unternehmen und                                      fällige Korrektur der USR II konnten     als Rente erhalten. Das ist der soli-
soziale Ausgleichsmassnahmen.                                       wir neu in die Vorlage integrieren.      darische Umverteilungseffekt von
   Nach der Präsentation der «Steu-                                 Seit der Einführung dieses Kapi-         Reich zu Arm in der AHV. Die Folge
ervorlage 17» durch den Bundesrat      Anita Fetz, Ständerätin BS   taleinlageprinzips 2011 sind zwei        davon: Die sieben bis zehn Prozent
und der Ankündigung der meisten                                     Billionen Franken an Kapitalreser-       GrossverdienerInnen finanzieren
Kantone, sie wollten ihre Gewinn-                                   ven zurückgestellt worden, und           den Grossteil dieser zwei Milliarden.
steuern um etwa 40 Prozent sen-                                     es entstand ein Steuerausfall von        Damit schaffen wir den geforder-
ken, waren wir uns einig: So geht                                   durchschnittlich einer Milliarde pro     ten sozialen Ausgleich zur Steuer­
es nicht. Deshalb versuchten wir                                      Jahr. Neu soll nun gelten, dass Ka-    vorlage.
zuerst, die Bundesmilliarde                                               pitalreserven nur in dem Aus-         Wir verbinden hier also zwei
für die Kantone an Auflagen                                                  mass steuerfrei ausgeschüt-     gros­se Themen, wo wir dringlich
bezüglich der kantonalen                                                       tet werden dürfen, wie        Lösungen brauchen: ein vernünf-
Gewinnsteuern zu bin-                                                            auch steuerbarer Gewinn     tiges Vorgehen – auch wenn ich bei
den. Doch damit bissen                                                            ausgeschüttet wird.        der Steuervorlage einiges lieber an-
wir bei der Gegenseite                                                                                       ders geregelt sähe.
auf Granit. Aus die-                                                              Insgesamt reduziert all       Übrigens geht es in beiden Dossi-
sem Grund entstand                                                                 dies die Steuerausfäl-    ers nur um Zwischenstationen:
die Kompromiss-Idee                                                                le auf etwa zwei Mia.      Die AHV wird finanziell für ein
mit der Verbindung                                                                Franken, bei der USR       paar Jahre stabilisiert. Das ver-
von Steuerreform und                                                             III waren es drei Mil-      schafft Zeit für die geplante AHV-
AHV-Finanzierung als                                                            liarden. Das ist immer       Reform. Die Rentenalterfrage hat im
sozialem Ausgleich.                                                            noch gewaltig viel, jedoch    vorliegenden Kompromiss keinen
   Die Gegenfinanzierung                                                     vorwiegend auf die massi-       Platz, weil er sonst platzt.
ist jetzt gegenüber der abge-                                             ve Reduktion der kantonalen         Auch die Steuervorlage wird so
lehnten USR III und dem Status                                        Gewinnsteuern zurückzuführen.          nur ein paar Jahre halten. Interna-
quo klar besser:                                                    Die Kantone haben diese um ca.           tional laufen die Arbeiten bereits,
 Da ist erstens die Erhöhung der                                   40 Prozent gesenkt oder sind im          um die Steuervermeidungsstrategi-
Dividendenteilbesteuerung       beim                                Begriff, dies zu tun. Womit sich         en globaler Konzerne weiter einzu-
Bund auf 70 Prozent für qualifizier-                                endgültig die Frage stellt, welche       schränken.
te Beteiligungen. Die Begrenzung                                    Standortpolitik die Schweiz be-
der kantonalen Dividenden auf                                       treiben will. Wir haben nun die          Butterbrot für Topstandort
mindestens 50 Prozent ist wenig                                     international tiefsten Unterneh-         Kommt der Kompromiss auch im
befriedigend, aber immerhin eine                                    menssteuern – ein klares Signal,         Nationalrat durch, wäre es dann an
klare Verbesserung gegenüber heute                                  dass man noch mehr internationale        den Kantonalparteien, die massive
(bisher keine Vorgaben und tiefere                                  Konzerne in die Schweiz holen will.      Reduktion der Gewinnsteuern vor
Besteuerungssätze).                                                 Gleichzeitig wurde eine Massen­          Ort zu bekämpfen. Dafür gibt es gute
 Die Entlastungsbegrenzung –                                       einwanderungsinitiative         ange-    Argumente: Die meisten Kantone
das heisst die maximale steuerliche                                 nommen, weil viele Leute finden,         haben mit 10 bis 13 Prozent die tiefs-
Entlastung der Unternehmen – wird                                   wir hätten zu viele ausländische         ten Gewinnsteuern im OECD-Raum.
enger gefasst, das ist positiv, wenn                                Arbeitskräfte. Was für ein Wider-        Wir sollten unseren Topstandort
auch immer noch sehr grosszügig                                     spruch!                                  nicht länger für ein Butterbrot an
für die Unternehmen.                                                                                         ausländische Firmen verkaufen. Das
 Der NID, also der Zinsabzug auf                                   Die AHV verteilt wirksam um              Geschäftsmodell des Steuerdum-
Eigenkapital, der im Abstimmungs-                                   Nun zur AHV-Seite des Kompromis-         pings wird in Zukunft international
kampf zur USR III ein grosser Stein                                 ses. Sie wird zusätzlich zwei Milliar-   noch mehr unter Druck geraten.
des Anstosses war, ist an einen ho-                                 den Franken jährlich erhalten. Die-
hen Mindeststeuersatz gebunden                                      se Stabilisierung der Finanzierung
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
LINKS LU
WAHLEN 2019

«Wir wollten wissen, was den
Leuten unter den Nägeln brennt»
Liebe Barbara, in Zürich wart ihr sehr          übrigen Wahlkampfaktivitäten nicht etwa         Aber ich bin überzeugt, dass diese Methode,
erfolgreich. Die SP gewann vier Sitze im        heruntergeschraubt, im Gegenteil. Ich hatte     gerade auch in ländlicheren Gebieten, sehr
Parlament und 3,2 Prozent Wähleranteil          den Eindruck, dass sich Basiskampagne und       viel bringt. Erstens haben immer weniger
hinzu. Welchen Beitrag leistete aus deiner      andere Wahlkampfelemente sogar gegensei-        Leute einen Telefonbucheintrag. Wenn wir
Sicht die Basiskampagne zu diesem Wahl-         tig beflügelt haben, dass man einfach doppelt   also weiterhin mit möglichst vielen Men-
sieg?                                           so viel gemacht hat wie in den Wahlkämpfen      schen das Gespräch suchen wollen, müssen
Wir haben insgesamt mit über 23 000 Men-        zuvor. Sogar Sektionen, die zuerst gemault      wir auch an die Haustüren gehen. Zweitens
schen in der ganzen Stadt gesprochen, haben     haben, dass man kurz vor den Wahlen doch        hinterlässt ein Besuch von einem SP-Mitglied
sie aber nicht nur an die Wahlen erinnert wie   auf der Strasse sein müsse und deshalb keine    aus der Nachbarschaft einen bleibenderen
bei herkömmlichen Basiskampagnen, son-          Zeit zum Telefonieren habe, haben am Ende       Eindruck als ein Anruf oder ein Flyer im
dern schon einige Monate vorher bei einer       einfach beides gemacht, und zwar beides mit     Briefkasten. Ein Besuch gibt der SP ein Ge-
gross angelegten Quartierumfrage das Ge-        Vollgas.                                        sicht, ist verbindlicher.
spräch gesucht. Wir wollten wissen, was den
Leuten unter den Nägeln brennt, was sie sich    Die Quartierumfragen habt ihr «von Tür zu       Im Frühling finden hier in Luzern kantona-
für Zürich und ihr Quartier wünschen.           Tür» durchgeführt. Wie funktionierte das?       le Wahlen statt. Hast du uns einen Tipp?
                                                Im Prinzip haben wir an der Haustür ein-        Hohe Ziele setzen und gewinnen! Wenn sich
Fand auch eine Mobilisierung «nach in-          fach dieselbe Umfrage durchgeführt wie am       dank dem Engagement von vielen Mitglie-
nen» statt?                                     Telefon. Die Reaktionen waren überwiegend       dern ein guter Drive entwickelt, dann ist
Ja! 560 Leute haben mitgeholfen, darunter       ­positiv und haben alle Erwartungen übertrof-   viel mehr möglich, als man vor den Wah-
viele, die bisher kaum aktiv waren. Leute aus    fen. Gut 80 Prozent der Leute, die zu Hause    len laut zu sagen wagt. Und bitte tragt den
verschiedenen Sektionen haben sich dank         waren, wollten mit uns reden. Tür-zu-Tür-       Campaigner*innen Sorge, die machen näm-
der Basiskampagne kennen gelernt und Ideen      Touren zu organisieren, ist zwar aufwän-        lich einen Wahnsinnsjob.
ausgetauscht. Und die Sektionen haben ihre      diger, als Telefonaktionen durchzuführen.                                Interview: Priska Lorenz

                                                                                                 ZUR PERSON
                                                                                                 Barbara Spirig (45) leitete den Basiswahl-
                                                                                                 kampf zu den Wahlen in der Stadt Zürich.
                                                                                                 Ab Herbst arbeitet sie bei der SP Schweiz
                                                                                                 und wird dort unter anderem für die Be-
                                                                                                 gleitung der Wahlen im Kanton Luzern zu-
                                                                                                 ständig sein.
Mitglieder der SP Zürich bei der Quartierumfrage
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten - SP Schweiz
David Zehnder
   10     LINKS
          176 ∙ 2018        LINKS AG
                       Seitentitel

WAS LÄUFT? UND
­WARUM (NICHT)?
Zum Präsidiumswechsel eine Be­-
standesaufnahme: Was läuft poli-

                                            Gemeinsam für den
tisch im Aargau? Nichts. Die Abbau-
politik der bürgerlichen Mehrheit
hat ein Schlachtfeld hinterlassen,
und neoliberaler Psychoterror wirkt:

                                            anderen Aargau !
Wer staatliche Leistungen bean-
sprucht, fühlt sich schuldig – und
traut schon gar nicht, nach mehr
zu fragen. Die Regierung bringt
keine Geschäfte, keine grossen
Würfe – aus Angst vor den Kosten.
Der G ­ rosse Rat übt sich in seinen
­wenigen Sitzungen in Totalver­                                                     gelungen, die Partei als soziale      gemeinsam gearbeitet, gefeiert
 weigerung und Populismus.                                                          und fortschrittliche Bewegung         und gelacht wird. Die Zusam-
 Weil es nichts mehr zum Abbauen                                                    zu aktivieren. Diesen Weg möch-       menarbeit mit den Sektionen
 und Einsparen gibt, werden neue            Gabriela Suter                          ten wir von der Geschäftsleitung      und Bezirksparteien ist mir ein
 Sündenböcke gesucht: Nach den              aus Aarau ist                           weitergehen, zusammen mit             zentrales Anliegen. Wir wollen
                                            Präsidentin der
 Flüchtlingen nun von Sozialhilfe           SP Aargau und                           euch Mitgliedern, mit den Sek-        diese Kontakte auch weiterhin
 abhängige Menschen. Unverhohlen            Grossrätin.                             tionen, mit den Bezirksparteien       pflegen, regionale T
                                                                                                                                             ­ hemen in der
 wird gefordert, die Hilfe zusammen­                                                und mit der Fraktion, denn Par-       kantonalen Politik aufnehmen
 zustreichen. Der Staat soll sich                                                   teiarbeit ist Teamarbeit.             und die Sektionen in ihrer loka-
 seiner wichtigsten Aufgabe, der                                                       Wenn wir als SP in diesem          len Arbeit und bei Kampagnen
 Verantwortung für die Gesellschaft,        Liebe Genossinnen,                      Kanton mehr Einfluss haben            unterstützen.
 entledigen. Das ist ein Angriff auf        liebe Genossen                          wollen, dann müssen wir ein               Zusammen können wir den
 grundlegende Menschenrechte und                                                    deut­liches, verständliches ­Profil   anderen Aargau – den gerech-
 ein sozialrechtlicher Rückfall.            Am 9. Juni haben mich die De-           haben und uns als Bewegung            ten, solidarischen Aargau – noch
 Weil es die Medien nicht tun, muss         legierten zur Präsidentin der SP        verstehen. Wir müssen nicht nur       sichtbarer machen und noch
 es die SP anklagen. Wir müssen uns         Aargau gewählt. Für das grosse          in den Parlamenten, sondern           mehr Menschen für unsere Be-
 einmal mehr wehren. Wir dürfen             Vertrauen und die überwälti-            auch auf der Strasse (und im          wegung begeistern. Wir sind
 aber nicht in Abwehrhaltung erstar-        gende Unterstützung danke ich           Internet) mit unseren Themen          es, die für mehr soziale Gerech-
 ren. Wir müssen auch aufzeigen, wie        von Herzen. Es ist mir eine Ehre,       präsent sein und mobilisieren         tigkeit, für den Erhalt und die
 wir uns einen Kanton vorstellen, in        dieses verantwortungsvolle Amt          – mit ­  Initiativen, Referenden,     ­Weiterentwicklung des Bildungs-
 dem Bildung, Sicherheit und sozialer       zu übernehmen, und ich trete es       Demonstrationen. Die SP muss             wesens und der Chancengerech-
 Ausgleich wieder einen Wert haben.         mit viel Freude und mit vollem        die Fahnenträgerin des anderen,          tigkeit und gegen den weiteren
 Dazu braucht es eine finanzpoliti-         Engagement an. Die neue Ge-           des gemeinsam lebensfrohen               Leistungsabbau kämpfen, wir
 sche Wende. Unsere Gegensteuer-            schäftsleitung wird bis Ende Juni     ­Aargaus sein.                           sind es, die den ökologischen
 Initiative zeigt den Weg auf. Gehen        die Aufgaben in der Partei­leitung         Die SP ist eine breite Volks-       Umbau fordern, wir sind es, die
                   wir ihn mit Lust und     verteilen und das Vizepräsi­           partei, in der verschiedene             unseren Kanton zukunftsfähig
                     Weitsicht!             dium bestimmen. Danach geht            Meinungen Platz haben. Wir              machen. Wir sind der andere
                                            die Knochenarbeit los: Als erste       brauchen den innerparteilichen          Aargau, der Aargau von morgen!
                      Dieter Egli aus       grosse Aufgabe erwarten uns die        Austausch, das Engagement                  Ich bin überzeugt: Zusammen
                     ­Windisch ist
                     SP-Grossrat,           nationalen Wahlen 2019.                ­aller für inhaltliche Debatten in      schaffen wir es, bei den Wahlen
                     Co-Präsident der          Elisabeth und Cédric haben           einer lebendigen Partei. Diese         nächstes Jahr an Wähler_innen-
                     SP-Grossratsfraktion   es geschafft, die SP in den letzten     kons­truktive Diskussionskultur        anteil zuzulegen und den dritten
                    und Mitglied der
                   Geschäftsleitung der     Jahren wieder stärker und sicht-        bringt unsere Partei weiter. Die       Nationalratssitz zurückzuholen!
                      SP Aargau.            barer zu machen. Es ist ihnen           SP soll aber auch ein Ort sein, wo     Packen wir es an!
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                                                                                                    Kanton
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                                                                                                        Seitentitel
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                                                                                                                                 175
                                                                                                                                   171∙ 2018
                                                                                                                                        ∙ 2017   1111

Man muss
es wollen!
Barbara Egger-Jenzer war von 2002 bis 2018 Berner SP-Regierungsrätin und                        den Kauf von Heizöl jedes Jahr mehr als eine
engagierte Vorsteherin der kantonalen Bau-, Verkehrs- und Energiedirek-                         halbe Milliarde Franken aus dem Kanton ab-
tion. Ihr Fazit: «Man kann viel bewegen – aber es passiert nicht von selbst.»                   und in die Kassen von Diktaturen fliesst.
                                                                                                   Der Markt gibt neue Signale. Vor 16 Jahren
«Dene wos guet geit, giengs besser, giengs      häufiger im ¼-Stunden-Takt, teilweise sogar     haben sich die Stromkonzerne der Schweiz
dene besser, wos weniger guet geit.» Diese      im 7½-Minuten-Takt, sie fahren auch im Em-      darum gestritten, wer die neuen AKW bau-
Liedzeile von Mani Matter hat mich immer        mental und im Oberaargau als komfortable        en darf. Als vor anderthalb Jahren die Alpiq
geleitet – in den letzten 16 Jahren auch beim   Doppelstöcker und barrierefrei mit Nieder-      ihre AKWs für einen symbolischen Franken
Bauen, bei der Energie und beim Verkehr.        flureinstieg. Es gibt Dutzende neue Linien,     verkaufen wollte, fand sie keinen Abnehmer.
Heute schaue ich zurück und stelle fest: Äs     neue Bahnhöfe und Haltestellen.                 Und am 20. Dezember 2019 geht das Berner
geit besser!                                                                                    AKW Mühleberg vom Netz. Wir haben mit
                                                Zum Beispiel beim Bauen: Drei Viertel aller     neuen bzw. frisch sanierten Wasserkraft-
Zum Beispiel die Berner Energiepolitik: Bei     mineralischen Bauabfälle werden heute rezy-     Anlagen vorzusorgen begonnen. Es sind
meinem Amtsantritt vor 16 Jahren habe ich       kliert. Mit diesem Baustoffkreislauf ersetzen   142 Gigawattstunden Strom dazugekommen,
bei der Einweihung eines Gebäudes noch          wir fast 20 Prozent Rohstoffe wie bspw. Kies.   in der Pipeline sind mit dem Trift-Werk wei-
ganz stolz auf den Minergie-Standard hin-                                                       tere 145 Gigawattstunden.
gewiesen. Damals hatten wir im kantonalen       Eigentlich sollte ich nicht mehr «wir» sagen.      Diese Entwicklungen sind nicht einfach
Gebäudeportfolio gerade 90 Quadratmeter         Am 31. Mai bin ich nach 16 Jahren aus dem       so passiert. Man muss sie steuern. Man muss
Minergie-Fläche. Heute sind es 215 000 Qua-     Berner Regierungsrat zurückgetreten. Jetzt      wollen, dass die Luft sauber bleibt, dass mög-
dratmeter. Das ist eine Ver-2389-fachung!       ist mein Nachfolger fürs Bauen, für den Ver-    lichst wenig Bodenfläche zerstört wird, dass
   Der Wärmeverbrauch in den Gebäuden ist       kehr und für die Energiepolitik zuständig.      der Lärm nicht überhandnimmt. Nur so
in dieser Zeit um 27 Prozent, der CO2-Aus-      Seine Partei führt auch ein S und ein P im      können wir unseren Kindern und Grosskin-
stoss um 58 Prozent gesunken. Im Schnitt        Namen, aber in der Mitte noch ein V.            dern für die Zukunft eine intakte Natur und
nimmt der Kanton heute 1 Plusenergiegebäu-          Ich bin trotzdem guten Mutes. Die posi-     gleichzeitig gute, sichere Infrastrukturen
de pro Woche ins Förderprogramm auf. Vor        tiven Entwicklungen der vergangenen Jahre       mitgeben. Ich habe das 16 Jahre lang gewollt
16 Jahren förderte der Kanton pro Jahr 250      können nicht einfach rückgängig gemacht         und versucht, so viele positive Entwicklun-
Energie-Projekte. Heute sind es 3000.           werden. So hatte vor 16 Jahren noch keine       gen anzustossen wie irgend möglich. Heute
                                                einzige Berner Gemeinde einen Energie-          sage ich: Äs geit besser – aber es ist nicht von
Zum Beispiel die Berner Verkehrspolitik: Der    richtplan. Heute sind es 40. Und heute ist      selbst passiert. Bleiben wir dran!
ÖV ist seit dem Jahr 2002 unglaublich viel      die Berner Cleantech-Branche der Berner
dichter und komfortabler geworden. Sein         Uhrenindustrie ebenbürtig. Sie schafft ein-                                  Barbara Egger-Jenzer
Anteil ist im Kanton Bern von 22 Prozent auf    heimische Arbeitsplätze, die Wertschöpfung
27 Prozent gestiegen. Die S-Bahnen fahren       für den Kanton generieren. Und eine Mehr-       Mehr Vergleiche 2002 – 2018:
nicht mehr im Stundentakt, sondern immer        heit beginnt sich daran zu stören, dass durch   www.goo.gl/AnzQ9p
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PARTEITAG VOM 26. MAI 2018

Blick in die Zukunft
von «Basel 2035»                                                                                       GEDANKENSPIEL VON
Dieses Jahr war der Parteitag der                lidarisierung haben ein Ende. Die Stadt ist           KERSTIN WENK: MEIN ALLTAG
fernen Zukunft und den Visionen                  vom Individualverkehr völlig befreit. Bei             MIT 65, WENN DIE SP-VISIONEN
gewidmet. Eine grosse Anzahl                     Generationenfragen wird der Fokus auf das             UMGESETZT WÜRDEN
Mitglieder hat sich mit möglichen                Positive gelegt, alle Menschen, egal welchen
Visionen für die SP auseinanderge-               Alters, werden ernst- und wahrgenommen.               Die Region Basel ist eng zusammen-
setzt. Ein Versuch, diesen arbeits-              Anstehende Probleme werden generationen-              gerückt. Es ist normal, in St.-Louis ins
reichen Tag zu­sammenzufassen.                   übergreifend gelöst. Lebenslanges Lernen              Theater zu gehen oder nach Lörrach an
                                                 ist garantiert und finanziert. Die Lebensar-          den Fussballmatch. Basel ist grün und von
Trotz des wunderschönen und heissen Som-         beitszeit wird dank der Digitalisierung re-           Autos befreit. Neue Technologien machen
mertages haben sich 60 Ge­nossinnen und          duziert. Die Produktivitätsfortschritte durch         dies möglich. Ich stehe mit dem Natel im
Genossen im Restau­rant Rialto versammelt,       Digitalisierung werden sozialisiert. Unbüro-          Laden und kann per App meine Einkäufe
um über ­«Basel für alle 2035» zu diskutieren.   kratische Anreizsysteme für die Förderung             vom Roboter gleich nach Hause bringen
   Als Einstieg führte Pascal Zwicky, verant-    einer solidarischen Ökonomie zeigen ihre              lassen. Die Digitalisierung hat enorme
wortlicher Themenmanager der SP Schweiz,         Wirkung. Es gibt ein Label, welches für öko-          Vorteile. Und dank lebenslangem Lernen
mit einer Zeitreise durch gesellschaftliche      logische, solidarische und soziale Wirtschaft         kann ich mit den rasanten Entwicklungen
Entwicklungen. Wichtige Themen heute             steht.                                                mithalten. Meine Arbeit brauchte in den
seien: Care/Sorgearbeit, Umwelt, Migration,          Die Region ist zusammengewachsen,                 letzten Jahren auch nur noch die Hälfte
Wohnen und Digitalisierung. In der Bearbei-      es gibt eine politische Plattform «links im           meiner Anwesenheit. Mit der gewonnenen
tung der verschiedenen Themen brauche es          3-Land» und mehr als nur zwei T    ­ ramlinien       Zeit kann ich mich um meine bereits sehr
mutige Antworten. Das Ziel sei eine erfolg-      an grenzüberschreitendem ÖV. Bildung,                 alten Eltern kümmern. Auch die Gesell-
reiche, starke SP auf der Höhe der Zeit.         ­Kultur, Sport, Jugend und Tourismus wer-             schaft hat sich entwickelt, alle Menschen
   Heike Oldröp vom Stadtteil­     sekretariat    den viel stärker gefördert. Die Gleich­stellung      sind gleichberechtigt.
Kleinbasel gab einen Input zum Thema Mit-         ist ein Querschnittthema und wird überall
wirkung und Partizipation. Die informelle         mitgedacht, so auch in der
Partizipation erstrecke sich vom Informiert-      Raumplanung und Stadt-
werden über das Mitsprechen, Mitentschei-         entwicklung. Alle Bevölke-
den bis hin zur Selbstverwaltung. Zudem           rungsgruppen werden in
stellte sie gute wie auch schlechte Beispiele     wichtige Entscheidungspro-
der Mitwirkung im Kleinbasel vor.                 zesse einbezogen, die Ge-
   Am Nachmittag wurde in sieben Work-            sellschaft ist offen und das
shops konkret an verschiedenen Themen             Geschlecht spielt keine Rolle
gearbeitet, diskutiert und fantasiert. Einen      mehr. Die solidarische Ge-
Blick ins 2035 zu werfen, war sehr inspirie-      sellschaft ist wieder in Mode
rend. In den Workshops wurde sehr enthu-          gekommen und der Wert der
siastisch gearbeitet und die eine oder andere     Arbeit für die Allgemeinheit
Begleiterscheinung der heutigen Entwick-
lung in Frage gestellt.
                                                  hat an Bedeutung gewonnen.
                                                     Die Parteileitung nimmt die ausgearbeite-         ABSTIMMUNGEN:
                                                  ten Ideen nun auf und erarbeitet Vorschläge          HERZLICHEN DANK!
Visionen und Thesen aus den Workshops             zur Umsetzung der Visionen in Wirklichkeit.
Die Zweiklassengesellschaft, die schleichen-                                                           Der vergangene Abstimmungssonntag war
de Privatisierung und vor allem die Entso-       Kerstin Wenk ist Vizepräsidentin der SP Basel-Stadt   ein Freudentag. Die deutliche An­nahme
                                                                                                       der vier Wohn-Initiativen ist ein klares
                                                                                                       Zeichen dafür, dass die Stossrichtung für
 Bilder: Frantisek Matous

                                                                                                       eine soziale Wohnpolitik die richtige ist.
                                                                                                       Das über­ragende Abstimmungs­resultat
                                                                                                       wäre nicht ohne die Unterstützung von
                                                                                                       vielen Menschen zustande gekommen.
                                                                                                       Die Beteililgung in der Kampagne war
                                                                                                       ausgesprochen vielfältig und sehr gut.
                                                                                                       Jeder einzelne Beitrag zum Abstimmungs-
                                                                                                       kampf war ein Baustein für den Erfolg.
                                                                                                       Das Parteipräsidium mit Pascal, Beda und
                                                                                                       Kerstin sowie das Sekretariat mit Nicole,
                                                                                                       Dariyusch und Livia danken allen ganz
                                                                                                       herzlich für die Unter­stützung.
Landesstreik                      LINKS
                                                                                                                                          176 ∙ 2018   13

Frauen auf den Geleisen
und in den Küchen                                                                                 Gisela Nyfeler,
                                                                                                  Projektleiterin
                                                                                                  Landesstreik

Über die Doppelbelastung der Frauen im Landesstreik – ein gespräch mit der Historikerin Katharina Hermann.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Le-                                                          se teil und blockierten Geleise. Sie standen

                                                   Muriel Günther
bensmittel für die Schweizer Bevölkerung                                                          Streikposten in den Wirtschaften, um sicher-
immer knapper. Der Milchpreis stieg ins Un-                                                       zustellen, dass niemand Alkohol trank. Die
ermessliche. Leidtragende waren vor allem                                                         Arbeiterinnen versuchten die Soldaten da-
die Arbeiterfrauen und ihre Kinder.                                                               von zu überzeugen, einen allfälligen Schiess-
   Für die Zürcher Arbeiterinnen war das                                                          befehl nicht auszuführen oder in die Luft zu
Mass im Frühsommer 1918 voll, der Krieg                                                           schiessen.
hatte ihnen viel abverlangt und nun fehlte es
an allen Ecken und Enden, um die hungrigen                                                        Das klingt nach einer ziemlich grossen
Mäuler zu stopfen. Unter der Führung des SP-                                                      Doppelbelastung: Care-Arbeit und dann
Mitglieds Rosa Bloch zogen im Juni über 1000                                                      noch demonstrieren gehen …
wütende Frauen vor das Zürcher Rathaus.                                                           Wenn über Streik gesprochen wird, werden
Sie forderten die «sofortige Beschlagnahme                                                        meist nur Aktivitäten wie Arbeitsniederle-
aller Lebens- und Bedarfsartikel, Enteignung                                                      gung in Fabriken, Errichten von Barrikaden,
und Verteilung derselben unter Kontrolle der                                                      Demonstrationen etc. genannt. Die Betreu-
Arbeiterschaft nach Massgabe des Bedarfes,                                                        ung der Kinder und die Lebensmittelversor-
nicht des Besitzes». Stundenlang harrten die                                                      gung werden nicht bedacht. Frauen nehmen
Frauen vor dem Rathaus aus, bis die Her-                                                          in dieser Sichtweise nur indirekt an einem
ren Kantonsräte drinnen beschlossen, Rosa                                                         Streik teil. Ich glaube, hier braucht es einen
Bloch-Bollag sprechen zu lassen. So etwas                                                         anderen Blick. In meiner Forschung zeigt sich
hatte es noch nie gegeben, die Anhörung ei-                                                       immer mehr, wie relevant die Organisation
ner Frau im Kantonsrat war eine Premiere.                                                         der Lebensmittelversorgung und Kinderbe-
Die Männer liessen sich überzeugen, zumin-                                                        treuung für den Ablauf des Landesstreiks
dest teilweise: Der Milchpreis wurde von 36                                                       und vieler anderer Streiks war.
auf 33 Rappen gesenkt.                                                                               Dasselbe liesse sich vielleicht auch für den
   Welche Rolle die Schweizer Frauen sonst                                                        Frauenstreik von 1991 feststellen, der unter
im Ersten Weltkrieg und beim Landesstreik                                                         dem Motto stand: «Wenn Frau will, steht al-
gespielt haben, weiss man bis anhin kaum.                                                         les still.» Spannend wäre herauszufinden,
Katharina Hermann füllt mit ihrer Doktorar-                                                       wie die Frauen damals die Kinderbetreuung
beit der Universität Bern diese Lücke.                                                            organisierten und ob sie vielleicht für die
                                                                                                  ganze Familie vorgekocht haben, bevor sie an
Katharina, du beschäftigst dich nun seit                                                          die Demo gingen.
anderthalb Jahren mit der Rolle der Frau-           Katharina Hermann beim Gespräch
en im Landesstreik. Was ist bis jetzt deine                                                       Katharina Hermann studierte in Basel und Berlin Ge-
                                                                                                  schichte und Deutsche Philologie. Seit Oktober 2016 pro-
wichtigste Erkenntnis?                                                                            moviert sie an der Universität Bern im SNF-Projekt «Krieg
Meine wichtigste Erkenntnis ist, dass die         Familie zu ernähren. Wenn die Männer weg        und Krise: Kultur-, geschlechter- und emotionshistorische
Frauen fast überall beim Landesstreik aktiv       waren, mussten die Frauen selber schauen,       Perspektiven auf den schweizerischen Landesstreik vom
                                                                                                  November 1918». In ihrer Dissertation erforscht sie den
dabei waren. Wenn man die Zeitungen von           wie sie die Familien durchbringen konnten.      Landesstreik unter frauen- und geschlechterhistorischen
1918 anschaut, werden in den Artikeln oft                                                         Gesichtspunkten.
auch Frauen erwähnt. Erstaunlich ist, dass        Was haben die Arbeiterinnen während des
die Frauen bis jetzt noch nicht thematisiert      Landesstreiks gemacht?                          Eine ausführlichere Version dieses Interviews
worden sind. Leider gibt es kaum Fotos von        Ganz viel! In Frauenversammlungen organi-       und zusätzliches Bildmaterial findet sich auf
Arbeiterinnen aus dieser Zeit. Auf den Fo-        sierten sie sich und verteilten Aufgaben: Sie   www.landesstreik1918.ch
tos sind hauptsächlich Soldaten zu sehen,         engagierten sich in der Lebensmittelversor-
manchmal streikende Arbeiter. Das könnte          gung. Sie richteten eine Notunterstützungs-
die Vorstellung, Frauen hätten nicht am Lan-      kommission ein, damit während dem Streik         Wie war’s 1991?
desstreik teilgenommen, geprägt haben.            die Ärmsten mit dem Nötigsten versorgt wer-      Liebe Genossinnen, liebe Leserinnen
                                                  den konnten. Sie machten es sich zur Aufga-      Wie war das eigentlich beim Frauenstreik
Was waren die zentralen Anliegen der Ar-          be, Kinder und Jugendliche vor Konflikten mit    1991? Wie habt ihr damals die Kinder­
beiterfrauen im Ersten Weltkrieg in der           dem Militär zu schützen. Die Schulen blieben     betreuung organisiert? Habt ihr für die
Schweiz?                                          im Herbst 1918 wegen der Spanischen Grippe       ganze Familie vorgekocht, bevor ihr an
Ihr zentrales Anliegen war der Kampf gegen        geschlossen. Sozialdemokratische Lehrerin-       die Demo gegangen seid?
die Teuerung und die schlechte Lebensmittel-      nen und Lehrer organisierten für die Kinder      Schickt uns eure Geschichten an:
versorgung. Ihre Männer erhielten während         Ausflüge ins Zürcher Umland.                     landesstreik@spschweiz.ch
des Aktivdienstes nur einen Sold. Erwerbs­           Die Arbeiterinnen nahmen aber auch ak-        Wir freuen uns, von euch zu lesen!
ersatz gab es keinen. Das reichte nicht, um die   tiv an den Demonstrationen auf der Stras­
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