Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV

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3/14 | 3,50 EUR                          PRINZIPIEN
                                          PRAXIS
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Iss was?
                   Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.
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                                                                                            JETZT BEWERBEN

                     BKM-Preis ildung
                     Kulturelle B
                      2015

                                                                                                                          ltur und
                                                                         g  ze  ic hn  et    di e   Beauftragte für Ku
                                              is Kulturelle Bildun                                  ittlung aus – Proj
                                                                                                                          ekte, die
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                         Medien beispielha                              ha lti g ve   rm   itt el
                                                 novativ und nach
                         Kunst und Kultur in                             sichtigen.
                                                 besonders berück
                         tierte Zielgruppen                                                                                   n und
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                                                                         ände
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                                                                                                                             ojekte.
                          Vorschlagsberech                                 in ie rt  ei  ne   un  ab  hä
                                                  n Vorschlägen nom                                         he von 5.000 Euro
                                                                                                                                 ver-
                          Gemeinden. Aus de                               r An   er ke   nn   un g   in Hö
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                                                                                                                             r Regel
                          Bereits die Nomin                               am   t 60   .0 00    Eu  ro  zu
                                                  eise stehen insges
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                               de  n  drei Prei se  à 20.000 Euro verg
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                                                                                          r  Ze nt  re n  w ird bis zu drei beispi
                                                                             ture    lle
                                                    reinigung Soziokul                                             mit herausragen-
                           Auch die Bundesve                             ul tu re lle   Tr  äger können sich
                                                  rschlagen. So    zi ok
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                                                                                                    aten bewerben.
                                                   tz w er ke n od er
                            den Projekten, Ne                                                                            igung Sozio­
                                                                          Ge sc  hä  ft  ss te lle   der Bundesverein
                                                    können bei de      r                                                 ober 2014.
                             Projektvorschläge                          er de  n.  Ei  nr ei  ch frist ist der 31. Okt
                                                   n eingereicht     w
                             kul­tur­eller Zentre                                                                           ibungen
                                                                            oz  io ku   ltu  r.d e  >  Service > Ausschre
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                     Me  l-
  Theater Lindenhof,
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 chingen, mit de                                                                                                             n e.V.
                                                                                              So     ziokultureller Zentre
„Ein Dorf im Widerst
                     and“.                                                  Bundesvereinigung
       Siehe Beitrag S. 23.
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
SOZIOkultur 3 |2014                     | E D I TO R I A L |                                                 1

                      Dieses Heft zeigt einmal mehr:
                      Gegenwarten finden als Folge der Dinge statt, die man vorher erlebte.
                      Das Thema „Iss was?“ ruft je nach Biographie und LEBENSMITTELpunkt
                      unterschiedliche Assoziationen auf.

                      Für jemanden, der den Osten vor der Wende erlebte, besitzt es besondere Facet­
                      ten. So weiß ich von einer jungen Frau, die Mitte der 1980er-Jahre mit Jugend­
                      tourist in den Westen reisen durfte. Sie hatte zwei Kinder. Als sie nach ihrer Reise
                      und in Erinnerung an all das bunte Obst und Gemüse der Supermärkte zwischen
                      Kartoffeln, Kohl und Äpfeln in der Kaufhalle stand, brach sie in Tränen aus. All­
                      jährlich bis in den März hinein war ihr Land ausgehungert nach bescheidenen
                      Dingen wie Gurken, Salat oder ein paar frischen Kräutern. Unter der Überschrift
                      „Selbstversorgung“ hatte man in ihrer Stadt zwei drei Jahre später eine große
                      Gewächshausanlage gebaut. Die Wende kam vor der ersten Saat. Reno zog in
                      die Glashallen ein und Aldi auch. Da verkaufte man viel mehr und viel Farbigeres,
                      als man dem eigentlichen Zweck nach hätte erzeugen können. Die junge Frau
                      schluckte schwer. Denn es war nicht zu entscheiden, ob sie lachen sollte über
                      die Wahl die sie jetzt hatte, oder weinen über den Preis, den diese Wahl kostete.

                      Auf den folgenden Seiten lesen wir: Es geht nicht um Entweder-oder, sondern
                      es geht um unendlich viel, wenn Menschen sich vor Ort zusammen finden. Wenn
                      sie ihren Elan und ihre Intelligenz gemeinsam auf ihre konkreten Möglichkeiten
                      anwenden. Wenn sie nicht nur für erfreuliche essbare Angebote sorgen, sondern
                      gleichzeitig wirkliche Mahlzeiten schaffen, die man eigentlich Hochzeiten nennen
                      müsste, weil hier genau die Gemeinschaft entsteht, die verhindert, dass jemand
                      einsam in Fress- oder Magersucht fällt.

                      Lassen Sie sich inspirieren, seien Sie ansteckend, denn es verhält sich beim
                      Essen wie bei der Energiewende: Global Player werden es nicht richten. Ohne
                      die dezentral, eigenmächtig eingesetzte Intelligenz vor Ort ist weder den Hun­
                      gernden noch den Übersättigten zu helfen.

                      Ellen Ahbe, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V.
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
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SOZIOkultur 3 |2014                                                        | I N H A LT |                                                                       3

                  THEMA                                                                            KO N T I N E N T K U LT U R
                Iss was? Essen und Trinken in der Soziokultur                              4   Lost in Athen
                                                                                                E L E O N O R E H E F N E R                                   18
                The Politics and Pleasures of Food
                Die Ausstellungsmacher der ACC Galerie Weimar über                                 B U N D E S K U LT U R P O L I T I K
                die Politiken und Freuden des Essens im 21. Jahrhundert
                                                                                                Landlebensgestaltung
                FRANK M OT Z                                                               5
                                                                                                Ländliche Kulturarbeit zwischen Breiten- und Soziokultur
                Mehr als nur weniger                                                            B E AT E K E G L E R                                          20
                Suffizienz als Leitidee für eine ökologisch verträgliche Ernährungskultur
                                                                                                Tief im Norden ist die Breite zu entdecken –
                CORINNA VO S S E                                                           6
                                                                                                mit all ihrer Schönheit und all ihren Schrecken
                Die Essbare Stadt                                                              G E O R G H A L U P C Z O K                                   22
                Social Arts und das Gläserne Restaurant
                                                                                                BKM-Preis für Theater Lindenhof
                KARSTEN W I N N E M U T H / M A R C E L K L E I N                          7
                                                                                                C H R I S T I N E H E I N Z                                    23
                Foodsharing Deutschlandtour 2014
                Besuch bei freiwilligen Lebensmittelrettern                                        PROJEKT „JUGEND INS ZENTRUM!”
                BARBARA M E R H A RT VO N B E R N E G G                                    8   Neue Jury
                                                                                                K R I S T I N A R A H E                                        24
                Politisch gedachte Empathie | DemoZ e.V., Ludwigsburg
                BETTINA G Ö P F E R I C H                                                  8   Eine Parkbank macht Theater
                                                                                                Das Projekt „Wir machen Theater“ der GEMS, Singen
                Es gibt immer was zu schnippeln!
                                                                                                S A B I N E M Ü L L E R                                        25
                Die Fahrende Gerüchte Küche Zappel Komitee
                TOBIAS S C H U M A N N                                                     9      VERBAND AKTUELL
                Iss oder stirb! | „MusikTanzTheater“, TTW e.V., Wolfsburg                       35 Jahre Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. 26
                JENNIFER Z W E R N E R                                                10       E L L E N A H B E
                Interkulturelle Dialoge in der Küche | Mosaik e.V., Düsseldorf
                                                                                                   AUS DEN LÄNDERN
                MONIKA L E N T- Ö Z T Ü R K                                           10
                                                                                                R E I H E K U LT U R E N T W I C K L U N G S P L A N U N G :
                Mit Essen spielen | Projekt „Nährwert“, TPZ, Hildesheim                         SCHLESWIG-HOLSTEIN
                JOHANNA G R OT E                                                      11       Das Projekt Kulturdialog
                Gemeinsam die Vielfalt feiern | Buffet der Kulturen, Hamburg                    Perspektiven für die Kultur in Schleswig-Holstein
                                                                                                M A RT I N L ÄT Z E L                                          28
                CORDULA DA S T M A L C H I A N                                        11
                                                                                                KO M M E N TA R
                Gerüchte-Küche in der Mannheimer Neckarstadt-West
                                                                                                Will das Land Soziokultur oder nicht?
                Eine Küchen-Performance. Auf dem Speiseplan: Gerüchte
                                                                                                G Ü N T E R S C H I E M A N N                                  29
                LEA HOFF M A N N                                                      12

                Das LindenBier | Lindenbrauerei, Unna                                           NIEDERSACHSEN
                ERIKA EX T E R N B R I N K                                            13       Futter für Leib und Seele
                                                                                                Fünf Jahre „TafelTheater“, Bruchhausen-Vilsen
                Ohne Futter keine Kultur                                                        P E T E R H E N Z E                                            30
                Gastronomie in der Soziokultur – gestern, heute, morgen
                PETER WI E D E M A N N                                                13       R H E I N L A N D - P FA L Z
                Suppe&Mucke                                                                     Ein-Blick in fremde Töpfe
                Das unkommerzielle Suppen-Straßenfest in Berlin                                 „Internationale Suppenküche“ im Haus am Westbahnhof, Landau
                                                                                                P E T R A B E E Z - P FA F F / S I G R I D W E Y E R S         31
                JANINA H E N K E S                                                    14

                PORTRÄT                                                                         BADEN-WÜRTTEMBERG
                Mit Hand, Herz und Kopf Platz schaffen für das Neue:                            Thesen zur Soziokultur
                Der Garten Steinhöfel                                                           A N D R E A S K Ä M P F                                        32
                CHRISTIN E H O F F M A N N                                            16
                                                                                                   TIPPS                                                       34
                R E DA K T I O N D E S T H E M E N T E I L S                                       IMPRESSUM                                                   36
                                                                                                   ADRESSEN DER LANDESVERBÄNDE                                 36

                                                      KRISTINE SCHÜTT
                                                                                                Titel: landkunstleben e.V. | Siehe S. 16
                                                      Musikerin und Musikpädagogin
                                                      und Mitglied des Vorstands                Themenschwerpunkt der nächsten Ausgabe:
                                                      des RAW tempel e.V., Berlin               NACHHALTIGKEIT
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
4                     THEMA      SOZIOkultur 3|2014
                      ISS WAS?

Iss
was?

Mehr als alles
andere bestimmt die
Nahrungsaufnahme
unser Leben.
Als unumgängliches
Grundbedürfnis
wirft sie den
Menschen tagtäglich
auf seine nackte
Existenz zurück.
Doch Sättigung
und Genuss haben
nicht nur eine
physiologische,
sondern auch eine
psychologische
und sozial-
gesellschaftliche
Dimension.
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
SOZIOkultur 3 |2014                                                      THEMA                                                                             5
                                                                         ISS WAS?

                                                   THE POLITICS AND                                      In privilegierten Weltregionen führt die „Mo-
                                                                                                         bilmachung” von lokalen Nahrungsgütern aus
                                                   PLEASURES OF                                          aller Welt zu einem noch nie da gewesenen kuli-

                                                   FOOD                                                  narischen Aktionsradius, einem globalen Speise-
                                                                                                         plan, der die Wahl von Haute Cuisine oder Slow
                                                                                                         Food, Veganismus, Vegetarismus und teilweise
                                                   Die Ausstellungsmacher der ACC Galerie
                                                                                                         sogar einen Öko- und Biofetischismus erlaubt
                                                   Weimar über die Politiken und Freuden
                                                                                                         und der sich in bewussterer und gesünderer
                                                   des Essens im 21. Jahrhundert                         Ernährung niederschlagen mag. In den Entwick-
                                                                                                         lungs- und Schwellenländern Asiens, Afrikas
                                                Die Schere der modernen „Esskultur“, ambi-               und Lateinamerikas hingegen hungern eine Mil-
                                                valent und absurd wie sie ist, klafft auf: Ein neu       liarde Menschen, jeder Siebte. Jährlich sterben
                                                aufflammendes Bewusstsein für den Umgang                 8,8 Millionen, hauptsächlich Kinder, an Hunger
                                                mit Nahrungsgütern changiert mit der wach-               – ein Todesfall alle drei Sekunden. Selbst im
                                                senden Missachtung ihnen gegenüber. Dauer­               Wirtschaftsland Nummer 1, den USA, hungern
                                                präsent koexistieren Verschwendungssucht und             zehn Millionen, Menschen mit „sehr geringer
                                                Hungersnot, Übersättigung und Unterernährung.            Nahrungssicherheit“, wie es offiziell heißt.
                                                Während die einen mit dem Essen spielen, wür-
                                                den die anderen alles vertilgen – wenn es nur            Dabei mangelt es der Erde nicht an Nahrung:
                                                endlich auf den Tisch käme. Man „containert“             Sie gelangt einfach nicht zu denen, die sie brau-
                                                oder kippt Containerladungen in die Weltmee-             chen. Globale Erwärmung, Klimaschwankun-
                                                re, man isst schnell oder langsam, gern oder nie,        gen, Dürre, Überschwemmungen, bewaffnete
                                                von Plastik- oder Porzellantellern, aus anonymen         Konflikte, Korruption, schlechte Regierungsfüh-
                                                Chemielaboren oder von befreundeten Bio­                 rung, wachsende Weltbevölkerung, Biosprit-
                                                höfen. Längst ist die Idee zerrüttet, dass „Essen        Boom, verändertes Ernährungsverhalten der
                                                eben Essen ist“, wie wir es immer kannten.               neuen Mittelklasse in China und Indien und die
                                                                                                         Subventionspolitik z.B. der EU verschärfen die
                                                   F R A N K M OT Z                                      Situation. Im Zuge der Monopolisierung von
                                                                                                         Ressourcen durch multinationale Konzerne setzt

                                                   M
                                                                 ehr als alles andere bestimmt die       sich das geopolitische Tauziehen um Rohstoffre-
                                                                 Nahrungsaufnahme unser Leben.           gionen weiter fort. Grundnahrungsmittel wer-
                                                                 Als unumgängliches Grundbedürf-         den Spekulationsgut, Allmenden mit überliefer-
                                                                 nis wirft sie den Menschen tag-         ter Agrarkultur zu patentiertem Privateigentum.
                                                   täglich auf seine nackte Existenz zurück. Doch        Essensskandale, Biopiraterie, genmodifizierte
                                                   neben der bloßen Aufrechterhaltung unserer            Lebensmittel treten auf den (Speise-) Plan. Die
                                                   Lebensfunktionen trägt das Essen entscheidend         Kriege des 21. Jahrhunderts werden um Wasser
                                                   zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Sättigung           und Reis, Mais oder Soja, um die Fischgründe
                                                   und Genuss haben nicht nur eine physiologi-           der Weltmeere, die Weizenfelder Afrikas geführt.
                                                   sche, sondern auch eine psychologische und
                                                   sozial-gesellschaftliche Dimension. Ob Gesund-        Angesichts der Allgegenwärtigkeit jenes weltwei-
                                                   heitswahn oder Essstörungen, Fast oder Slow           ten Grundbedürfnisses und -problems stellt sich
                                                   Food, Askese oder „Frustfressen“, Take-away           uns die Frage: Wie fühlen und denken Konsumen-
                                                   oder Home Delivery, bloße Notwendigkeit oder          ten des 21. Jahrhunderts darüber, was sie essen
                                                   purer Genuss bis hin zum Exzess – das Spektrum        und trinken? Die folgenden Artikel dieser Aus-
                                                   ist grenzenlos, wenn es um die freie Gestaltung       gabe stellen einen kleinen Ausschnitt der mögli-
                                                   wie auch um innere und äußere Zwänge dieses           chen Antworten und Handlungsspektren dar, wie
                                                   elementaren Daseinsaspekts geht.                      sie insbesondere in soziokulturellen Projekten in
                                                                                                         Deutschland gesucht und umgesetzt werden.
                                                   „Politiken und Freuden des Essens” sind als Teil
                                                                                                         „The Politics and Pleasures of Food“, kuratiert
                                                   jeder menschlichen Kultur (und Religion) Ausdruck     von Frank Motz, war vom 16. Juni bis 21. Sep-
                                                   der Ideologien und Gesellschaftsverhältnisse, des     tember 2014 in der ACC Galerie Weimar zu
                                                   Entwicklungsstandes oder Verfalls einer Zivilisati-   sehen und wurde bereits im Vorjahr in HALLE 14
                                                   on. Sie sind mit ihrem Potenzial zu Gemeinschafts-    der Leipziger Baumwollspinnerei gezeigt.
                                                   bildung und Kollektivereignis wie auch mit ihrer
                                                   Fähigkeit zu sozialer Distinktion (der König isst
                                                   anders als der Bettelmann) Teil der Evolution. Man                      F R A N K M OT Z ist Kurator der
                Abb.: Jani Leinonen (FI)
                                                   ist, was man isst, und so hängt, wovon und wie wir                      Ausstellung „The Politics and
                „Food Liberation Army“ , 2011
                                                   uns ernähren, nicht nur von den vorherrschenden                         Pleasures of Food“ und Leiter der
                Fotos: Claus Bach
                                                                                                                           ACC Galerie Weimar.
                                                   Bedingungen ab, sondern wirkt auf sie ein.
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
6                                                                       THEMA                                                       SOZIOkultur 3|2014
                                                                        ISS WAS?

MEHR ALS NUR                                          Suffizienz als Leitidee für

WENIGER
                                                      eine ökologisch verträgliche
                                                      Ernährungskultur                                        Dumme rennen,
                                                                                                              Kluge warten,
                                                                                                              Weise gehen
                                                                                                              in den Garten.
                                                                                                              Rabindranath Tagore
COR INNA VOSSE

D
          ie Notwendigkeit für Menschen zu es-        der Versorgung mit Lebensmitteln. Das können
          sen bleibt konstant. Jedoch – wie sehr      dezentrale Produktions- und Vertriebsstrukturen
          hat sich unser Verhältnis zu Lebensmit-     sein, die nicht Gewinnmaximierung zum Ziel ha-
          teln verändert! Die Ansprüche an Ver-       ben, sondern die Versorgung mit Lebens-Mitteln.
fügbarkeit sind gestiegen, Produkte aus der gan-      Das können Strukturen für die Selbstversorgung
zen Welt sind selbstverständlicher Bestandteil, ein   sein und Mischformen wie die Solidarische
ständiges Überangebot ist Normalität geworden.        Landwirtschaft. Drittens erscheint es angesichts
Immens ist das Angebot an Produkten, für alle er-     von Überproduktion und Vergeudung geboten,
schwinglich, das ganze Jahr über.                     die herrschenden Leitbilder – Wachstum und ma-
                                                      terieller Überfluss – in Frage zu stellen. Unsere
Gleichzeitig basiert die Welternährung zu 90 %        Bilder vom „Guten Essen“ brauchen eine nach-
auf 15 Pflanzenarten und acht Nutztierrassen.         haltige Basis.
Das breite Warenangebot ist also eine schein-
bare Vielfalt. Real hingegen ist der enorme           Ein Beitrag dazu kann das Prinzip der Suffizienz
Ressourcenverbrauch der globalisierten Lebens-        sein: Suffizienz schaut auf das, was da ist und
mittelindustrie. 30 % aller menschengemachten         was sich aus dem eigenen Zutun herstellen lässt.
Umweltbelastungen gelten als dadurch verur-           Dann gibt es nicht immer alles, was auf lange
sacht.                                                Sicht wahrlich keine Vielfalt ist. Bezogen auf das
                                                      Essen bedeutet Suffizienz eine Präferenz für re-      Abb.: Kartoffelernte im
Als Programm steht die durchindustrialisierte         gionale und saisonale Produkte. Vielfalt und Raf-     ForstFeld-Garten, einem
                                                                                                            7.000 qm großen Gemein-
Lebensmittelproduktion angesichts von Peak            finesse kommen durch eigenes Zutun ins Spiel.         schaftsgarten im Kasse-
Oil, erodierenden Böden und schwindender Ar-          Suffizienz ist somit auch Kompetenzentwicklung        ler Osten (große Abb.) |
tenvielfalt infrage. Trotzdem zeichnet sich keine     statt Auslagerung von Verantwortung für die ei-       Kochworkshop mit Gunter
Trendwende ab. Die Idee eines Veggie-Days bei-        gene Versorgung.                                      Hampel beim Gläsernen
                                                                                                            Restaurant (kleine Abb.)
spielsweise bleibt umstritten und schwer um-
                                                                                                            © Karsten Winnemuth
setzbar. Offenbar wird Essen in hohem Maße als        Die Idee der Suffizienz will die neu gegründete       (gr. Foto und kl. Foto unten),
private Angelegenheit erlebt, die außerhalb von       Akademie für Suffizienz verbreiten helfen. Hier       Marcel Klein (kl. Foto re.)
Politik stattfindet.                                  entsteht ein offener Raum, um sich auszupro-
                                                      bieren in der Selbstversorgung und Techniken zu
Vielleicht rührt dieses Verständnis von Essen als     entwickeln, die aus dem vorhandenen Angebot
Privatangelegenheit noch aus Zeiten, in denen         an erneuerbaren Ressourcen schöpfen. Die Pra-
Menschen den Großteil ihrer Nahrung selbst            xis legt nahe: Aus solchen Erfahrungen heraus
erzeugt haben. Heute, wo wir Lebensmittel aus         fangen Menschen an, ihre bisher geglaubten Be-
aller Welt für uns beanspruchen, in Mengen, die       dürfnisse nach „Viel“ und „Immer“ in Frage zu
wir nicht mal verwerten können, ist Essen immer       stellen. Und darin, dass wir selbst etwas anderes
auch politisch – denn was wir essen und wie viel      wollen, liegt der Anfang einer nachhaltigeren,
davon, hat in der Summe einen wesentlichen            umweltverträglichen Ernährungskultur.
Einfluss auf die gesamte Biosphäre.
                                                      www.akademie-suffizienz.de
Dreierlei scheint erforderlich, damit Menschen
diese Tatsache anerkennen und im Handeln be-
rücksichtigen. Erstens muss erkennbar sein, wel-
                                                                       Dr. C O R I N N A VO S S E ist
che Lebensmittel wo herkommen, wie sie erzeugt                         Geschäftsführerin der Klima­
werden und welche ökologischen Konsequenzen                            werkstatt Spandau. Gemeinsam
das hat. Erst dann kann verständlich werden, war-                      mit Matthias Finck hat sie am
um Essen nicht einfach eine private Entscheidung                       27.7.2011 in der Prignitz die
ist. Zweitens braucht es alternative Möglichkeiten                     Akademie für Suffizienz gegründet.
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
SOZIOkultur 3 |2014                                                         THEMA                                                                                 7
                                                                            ISS WAS?

                                                                                                           Die Essbare Stadt – seit 2009 als gemein-
                                                                                                           nütziger Verein organisiert – arbeitet an
                                                                                                           der Entwicklung einer lebendigen und

DIE ESSBARE STADT
                                                                                                           produktiven Stadtlandschaft im Kontext
                                                                                                           von urban gardening. Bundesweit war die
                                                                                                           Essbare Stadt in Kassel die erste Initiative
                                                                                                           unter diesem Namen und hat mit ihrem
Social Arts und das Gläserne Restaurant                                                                    Konzept eine mittlerweile wachsende
                                                                                                           Anzahl „essbarer Städte“ inspiriert.

KARSTEN WINNEMUTH / M A R C E L K L E I N             Nutzpflanzen im öffentlichen Raum der Innen-         mann oder beim „FreeFlowFestival für Improvi-
                                                      stadt, eine künstlerische Arbeit zur „Transforma-    sation“ die Kasseler Soziokultur-Szene verköstigt.

M
              it viel ehrenamtlichem Engage-          tion von einem Feld der Knappheit in ein Feld           „Das „Gläserne Restaurant“ ist offenes Me-
              ment und Freude am Gärtnern             der Fülle“ von Karsten Winnemuth.                    ta-Netzwerk und ein Schritt zur transparenten
              und Vernetzen betreiben wir die            Aus dieser Keimzelle hat sich mittlerweile eine   Erde durch das ‚Sinnvolles Tun ist Kunst’-Prinzip.
              Gründung und Pflege von Gemein-         wachsende Bewegung entwickelt, deren Vision          Die Prozesse vom Ursprung unserer LEBENS-
schaftsgärten, bieten Teilhabemöglichkeiten           einer neuen Qualität der urbanen Raumnutzung         MITTEL aus Erde, Wasser, Wald, Feld, Wiesen,
beim biologischen Gemüseanbau in der Stadt            zunehmend wichtiger wird. „Alles gärtnert“,          Gärten und Städten werden bis hin auf unsere
(Gemüse-Selbst-Ernte-Projekte), pflanzen – in         lautet ein Grundprinzip der Permakultur. Mit der     Teller sichtbar gemacht, optimiert, und dabei
Abstimmung mit Ortsbeiräten und Gartenamt –           Essbaren Stadt pflanzen wir Gemüse, Kräuter,         wachsen auch Synergien unter den Menschen
gemeinsam mit Menschen jeden Alters in den            Sträucher und Bäume für gesunde, öffentliche         und interne Austauschbeziehungen in Stadt
Stadtteilen Nuss- und Obstgehölze, pflegen            Lebensräume. Beim gemeinsamen Kochen und             und Region. Social Arts - eine soziale (essbare)
alte Obstbaumbestände, vermitteln Baumpa-             Essen genießen die Menschen der Stadt die            Skulptur bedeutet für mich, ein ‚commonisches
tenschaften, organisieren gemeinsame Ernte-,          Qualität, Vielfalt, Schönheit, Frische und Energie   Bewusstsein’ und Methoden für unsere Umwelt-
Saft- und Einmachaktionen, kochen und speisen         der sozialen unvergESSBARen Skulptur.                gesundheit sowie soziale, kreative und ‚selbst-
wöchentlich gemeinsam, bieten einen monatli-                                                               verwaldete’ Orte zu schaffen, zu erhalten und
chen Stammtisch sowie Filmabende, Workshops                 Von einem Feld der Knapp-                      an die nächsten Generationen weiterzugeben“,
und Vorträge zum Thema an.                                                                                 betont der Filmemacher und Mitgründer des
                                                            heit in ein Feld der Fülle.
   „Direkt und satt“ ist das Motto des seit Juli                                                           „Gläsernen Restaurants“ Marcel Klein.
2013 bestehenden Projektes „Das Gläserne Res-                                                                 In der Beuys-Stadt Kassel ist somit die Soziale
taurant“, das mit seinen Koch-Events konsequent       Das Essen wird zum LEBENSMITTELpunkt, wo             Plastik vielfältig lebendig geblieben, was auch
„commonische Kost“ auftischt: Obst und Ge-            Menschen gerne zusammenkommen, weil sie              die aktuelle Zusammenarbeit von Transition
müse aus gemeinwohlorientiertem Anbau, von            wissen: hier wird frischeste Vielfalt gezupft, ge-   Town Kassel und der Essbaren Stadt mit dem
Gemeingutflächen, also direkt vom „urbanen            waschen, geschnippelt, komponiert, angefeuert,       Social Sculpture Research Unit an der Brookes
Acker“, oder auch Produkte der hiesigen solida-       gewürzt und abgeschmeckt bis es duftet – eine        University Oxford und der mobilen, alternativen
rischen Landwirtschaft (z.B. aus den Gärtnereien      ästhetische, sinnliche „FreeFlowKüche“. Die          University of the Trees (initiiert von Beuys-Schü-
Rote Rübe und Wurzelwerk), die als Modell zu-         kreative Zubereitung der verschiedenen Köche         lerin Shelley Sacks) zeigen.
künftiger food belts um unsere Städte angesehen       vereint sich auf jedem Teller als überraschendes
werden sollte. Denn wovon wollen wir in Zukunft       Gesamtkunstwerk, ein Augen- und Gaumen-              1
                                                                                                               „FachBeschäft für Interaktion“, ein neuer
leben, wenn wir nicht jetzt angesichts der fragilen   schmaus für alle.                                        Kasseler Ort in der Frankfurter Straße 60
globalisierten Infrastruktur die lokale Resilienz        Dies wird seit 2010 wöchentlich in Kassel zele-   www.essbare-stadt.de
fördern, also die Fähigkeit des lebendigen Stadt-     briert, zunächst in den Solidarischen Küchen der     www.dasglaesernerestaurant.wordpress.com
Organismus, auf absehbare einschneidende Ver-         mittlerweile verlorenen Treffpunkte Salon und        www.universityofthetrees.org
änderungen elastisch reagieren zu können?             Karoshi, dann mit den documenta13-Künstlern
   Ein Pionierprojekt des urban gardenings in         von ANDANDAND und jetzt weiterhin im FBI1 und        K A R S T E N W I N N E M U T H ist Vorsitzender des
Kassel begann bereits 2005 mit der lebendigen         eben im „Gläsernen Restaurant“, welches auch         Essbare Stadt e.V.
Skulptur „plant t : there is plenty for all of us“,   mobil unterwegs ist und z.B. bei Solidaritätsver-    M A R C E L K L E I N ist Filmemacher und Mitgründer
ein Nicht-Tun-Garten mit zukunftsträchtigen           anstaltungen zum Erhalt der Kulturfabrik Salz-       des „Gläsernen Restaurants“.
Iss was? - 3/14 | 3,50 EUR - Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V - Bundesverband Soziokultur eV
8                                                                       THEMA                                                                   SOZIOkultur 3|2014
                                                                        ISS WAS?

       FOODSHARING-
    DEUTSCHLANDTOUR 2014
             Besuch bei freiwilligen Lebensmittelrettern

F
       oodsharing e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich die Aufgabe
       gestellt hat, Lebensmittelverschwendung zu verringern. Gegrün-
       det wurde er 2012 in Köln. Mittlerweile sind auf der Homepage
www.foodsharing.de um die 50.000 Nutzer angemeldet. Über 5.000 frei-
willige Foodsaver kooperieren bei der Lebensmittelrettung mit Betrieben
des Einzelhandels. Zu vereinbarten Abholzeiten finden sie sich dort ein
und sortieren die abgeschriebene Waren nach Aschenputtelart in: „Kann
man noch verwenden.“ Und: „Gehört in den Biomüll.“ Außerdem nehmen
sie die Lebensmittel mit, deren Mindesthaltbarkeit überschritten ist.
                           Um diese Freiwilligen näher kennenzulernen,          Ein Highlight war der Besuch auf einem Bauernhof einer solidarischen
                           Fragen zu beantworten und nebenbei ein we-           Landwirtschaft bei Dortmund: Die BUNDjugend NRW feierte dort ihr 30-
                            nig von Deutschland zu sehen, ging es im Juni       jähriges Bestehen und hatte uns eingeladen, ihnen die Themen Lebens-
                            2014 für 16 Tage auf Deutschlandtour. Mit Auto,     mittelverschwendung und Foodsharing näherzubringen. Das Schlafen im
                            Schlafsack, Flyern und – ganz wichtig – einem       Auto war zwar weniger komfortabel, dafür gab es aber tagsüber Kuschel-
                            Navigationssystem besuchten wir u.a. Bonn,          einheiten mit Pferden, Ziegen, Schafen (sogar mit Schweinen!) und erste
                            Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Dortmund, Bay-         Begegnungen mit Solar-Dusche und Kompost-Klo!
                             reuth. Einige Termine hatten wir so gelegt, dass      Auch offizielle Termine lagen auf der Route: In Köln stand die Mitglie-
                             wir die Freiwilligen vor Ort bei Events wie dem    derversammlung des Vereins an, und in Berlin rauchten Köpfe und Laptops
                             Ökofest in Leipzig oder dem Markt der Mög-         mehr als zehn Stunden, als es um die Erstellung eines Quiz ging.
                              lichkeiten in Heidelberg unterstützen konnten.       Alle Mühen mit Staus, kurzen Schlafpausen im Auto und teilweise sehr
                              Neben Gesprächen mit den Freiwilligen haben       eingeschränkten Internetverbindungen waren die Reise dennoch wert:
                               wir hier unseren Teil zur Aufklärung der Ge-     Insgesamt waren es am Schluss 3.800 gefahrene Kilometer und die Ge-
                               sellschaft beigetragen. Bei anderen Treffen      wissheit, dass es in ganz Deutschland viele unglaublich engagierte und
                               saßen wir gemeinsam in der Sonne oder bei        motivierte Freiwillige gibt, welche mit Idealismus und Herzblut gegen die
                               einem geretteten Essen zusammen, so in           Lebensmittelverschwendung arbeiten.
Braunschweig, wo wir in den Genuss libanesischer Limonade und eines
                                                                                www.lebensmittelretten.de | Fotos: Barbara Merhart von Bernegg
aus geretteten Lebensmitteln hergestellten Buffets kamen. Generell sei
erwähnt, dass es uns an Essen und Verpflegung nie gemangelt hat, die            BA R BA R A M E R H A RT VO N B E R N E G G, Vorstandsmitglied des
Freiwilligen haben uns immer reichlich versorgt.                                Foodsharing e.V. und Foodsharing-Botschafterin von München.

          POLITISCH GEDACHTE                                                    vegane Lebensweise unter dem Aspekt der Herrschafts- und Kapitalismus-
                                                                                kritik, der Ablehnung von Diskriminierung und der Solidarität mit dem Tier
               EMPATHIE                                                         sieht. Zu Beginn der 2000er-Jahre war es zunächst die im DemoZ aktive
                                                                                Tierrechtsgruppe Verdura – la lotta continua, die in der wöchentlichen
                  Das vegane Angebot im DemoZ e.V.
                                                                                DemoZ-Kneipe zum ersten Mal eine „vegane Vokü“ anbot. Seitdem sind
                                                                                Vorträge, Filmabende oder Lesungen zum Thema Tierethik und Tierbefrei-
                                                                                ung immer wieder Bestandteil des DemoZ-Programms. Seit geraumer Zeit
                                                                                ist der vier Mal im Jahr stattfindende vegane Brunch ein Anziehungspunkt
                                                                                im DemoZ, der unser Zentrum auch ökonomisch unterstützt. In unregelmä-
                                                                                ßigen Abständen werden weitere kulinarische Veranstaltungen angeboten,
                                                                                wie kürzlich ein veganer Schokoladenabend oder ein veganer Flammku-
                                                                                chenabend. Auch im Kneipenbetrieb achten wir darauf, dass stets Bio-Säf-
                                                                                te, -Sekt und -Wein sowie eine Alternative zu Kuhmilch angeboten werden.

I
    n Zeiten, in denen die vegane Ernährung – erfreulicherweise! – im           Darüber hinaus ist es uns wichtig, dass unser Angebot fair gehandelt ist.
    Mainstream angekommen ist, vegane Restaurants und Kochshows                 Ein weiterer regelmäßiger Termin ist das monatliche Antifa-Cafe Ludwigs-
    keine Seltenheit mehr sind und in den Schaufenstern großer Buch-            burg, das Anka L., mit seiner veganen Volksküche. Hier werden vegane
handelsketten vegane Kochbücher stapelweise ausliegen, ist es uns vom           Lebensweise und antifaschistische Politik miteinander verbunden. 
Demokratischen Zentrum Ludwigsburg, dem DemoZ, wichtig, dass unser              www.demoz-lb.de
veganes Angebot nicht nur als ein Aufspringen auf den Trend verstanden          B E T T I N A G Ö P F E R I C H , Vorstandsmitglied des DemoZ e.V., Verein für politische
wird. Es ist eine Konsequenz unseres politischen Bewusstseins, das eine         und kulturelle Bildung
SOZIOkultur 3 |2014                                              THEMA                                                                              9
                                                                 ISS WAS?

TOBIAS SCHUMANN

                                                      ES GIBT IMMER
                                                                                                                    Große Abb.: LKW der FGK, Foto: Tobias
                                                                                                                      Schumann | kleine Abb.: Sommerfest

                                                      WAS ZU
Wir sind ein mobiles Kochkollektiv, sind                                                                               2012 im RAW-tempel, Berlin, unter-
eine Bratpfannen-Bande, sind die Salat-                                                                                   stützt und bekocht von der FGK,
                                                                                                                                   Fotos: Hermann Krönke

                                                      SCHNIPPELN!
Subkultur – wir sind die Fahrende Ge-
rüchte Küche Zappel Komitee. Wir unter-
stützen mit unserem Essen und unserer
Lautsprechertechnik das Gelingen von an-
deren Projekten wie Demos, selbstorga-     Die Fahrende Gerüchte Küche Zappel Komitee
nisierten Kongressen oder Camps. Dabei
wollen wir nicht als Catering verstanden
werden: Wir sind keine Firma und haben
auch keineN ChefIn. Wir entscheiden ge-
meinsam, wo wir hinfahren, wie viel wir
wann kochen und wo wir unsere Boxen-
türme aufstellen. Auch verkaufen wir
nichts, wir geben Essen und Sound gegen
Spende heraus. Alle Überschüsse finan-
zieren den Erhalt und den Ausbau der

                                           V
Gruppe. Lohn erhält niemand. Wir kochen
gemeinsam mit den hungrigen Menschen                  or uns am Zaun wälzt sich der De-         ZK aus Berlin. „United we cook, divided we
und ausschließlich mit Lebensmitteln aus              monstrationszug schon seit zehn Mi-       starve!“ schreibe ich auf ein großes Stück Holz.
biologischer Produktion. Dabei nutzen                 nuten entlang. Rote Fahnen, Schwar-       „Bio“, „regional“, „vegan“ und „Mitmachkü-
wir möglichst regionale und saisonale                 zer Block, Familien mit Kinderwägen       che“ steht dabei. Immer wieder werden wir an-
Produkte und halten tierische Produkte     – diesmal sind alle dabei. Es ist Sommer 2012,       gesprochen: „Ja, wir machen das öfter.“ „Nein,
aus unseren Töpfen fern – all unse-                wir sind in Frankfurt am Main. „Und,         kein Fleisch drin, auch keine Milch, wir kochen
re Mahlzeiten sind total vegan.                        was schätzt du?“ werde ich gefragt.      vegan.“ „Ja, das ist gesund und schmeckt trotz-
                                                         Morgens ging ich von vielleicht        dem.“ „Doch, wirklich, alles ist bio.“ Ich zeige
                                                          3.000 Teilnehmenden aus, muss         gern die Reste der zwei Tonnen Spenden-Kartof-
                                                          aber eingestehen: „Das sind mehr      feln aus dem Wendland und lade zum Waschen
                                                          als 10.000.“ Wir haben uns wohl       ein. Niemand von uns wird hier bezahlt, Kochen
                                                         bei der Planung verschätzt. Der        ist unser Beitrag zum Gelingen eines politischen
                                                       Kollege aus Liechtenstein hüpft vom      Projektes. Wir verkaufen nichts, wir bitten um
                                                    Pfeiler: „Dann sollten wir wohl noch eine   Spenden nach Selbsteinschätzung. Wir machen
                                           Schnippelrunde einlegen, oder?“ Ich nicke. Wir       die Ausgaben transparent, rechnen aus, was
                                           sind hier, um die Demo am Ende mit Essen zu          eine Portion in etwa kostet. „Iss dich satt und
                                           versorgen. 10.000 Portionen werden es heute          gib, wenn du hast, zwei Euro. Dann kommen wir
                                           nicht mehr, aber wir beschließen in schneller        mit unserem LKW wieder nach Hause.“
                                           Absprache noch 1.000 Portionen zusätzlich zu             Es kommt ein Anruf von der Gruppe, die in der
                                           kochen. Hinter uns brodelt es in Töpfen von Ba-      Stadt das Essen ausgibt. Lautes Gelächter bricht
                                           dewannengröße vor sich hin. 2.000 Portionen          aus. Was ist passiert? Die Polizei hat soeben
                                           gesundes Demofutter. 300 Liter mit Kartoffeln,       unsere Löffel beschlagnahmt. Daraus könnten
                                           noch einmal soviel an Gemüsesauce. In den            Wurfgeschosse werden. Das hatten wir noch nie
                                           kleinen 100-Liter-Töpfen werden Hülsenfrüchte        ... Aber es gibt keine Probleme, es gibt nur He-
                                           eingeweicht oder wird Wasser vorgewärmt. Im          rausforderungen, wie einer von uns gern sagt.
                                           Schatten putzen Menschen frischen Salat. Ich         Nun gut, entgegen unseren Prinzi­pien werden
                                           stelle ihnen noch fünf weitere Kisten hinzu und      Einweglöffel in einer Drogerie gekauft. Mahlzeit!
                                           ernte wehleidige Blicke, während sich andere             Die Brenner sind aus, wir sitzen zusammen und
                                           fleißige Hände mit 50 Kilo Karotten näher be-        planen das Essen für morgen. Wieder werden wir
                                           schäftigen. Eine Stunde später fährt das erste       angesprochen. „Nein, wirklich nicht, keineR von
                                           Auto mit Essen und Geschirr für 2.000 Men-           ist gelernteR Köchin/Koch. Wir sind an unseren
                                           schen ins Bankenviertel der Innenstadt, wo die       Erfahrungen gewachsen – von 30 zu 3.000 Por-
                                           große Abschlussdemo von Blockupy 2012 endet.         tionen. Wir hoffen, es schmeckt trotzdem!“
                                           Der Rest geht mit der nächsten Fuhre raus.           www.fahrende-geruechte-kueche.de
                                              Leute von vier Volxküchen stehen hier gemein-
                                           sam an den Töpfen, die Versorger aus Stuttgart,
                                           die Fläming Kitchen aus dem Fläming südlich                           TO B I A S S C H U M A N N ist
                                           von Potsdam, das Kochkollektiv aus Liechten-                          Mitglied des Kollektivs Fahrende
                                           stein und ich für die Fahrende Gerüchte Küche                         Gerüchteküche ZK, Berlin.
10                                                                     THEMA                                                                    SOZIOkultur 3|2014
                                                                       ISS WAS?

E
        ssstörungen sind unter TänzerInnen weit                                                          und Mitleiden, Identifikation und Selbsterkennt-
        verbreitet, auch hier gilt das Ideal des                                                         nis macht „Iss oder stirb“ so faszinierend. Die Ak-
        schlanken Körpers. Das Tanzende Thea­
ter Wolfsburg e.V. erforschte bereits 2008 mit
                                                                      ISS                                tiven auf der Bühne zeigen in bester Hiphop-Ma-
                                                                                                         nier, was einen gut gebauten Körper ausmacht,
40 Männern und Frauen zwischen elf und                               ODER                                Männer sinnieren lästernd über die zu dünnen
50 Jahren das Thema mal ernst, mal mit einem
Augenzwinkern – tänzerisch, darstellerisch und
                                                                     STIRB                               Frauen. Im Wartezimmer werden absurde Diät-
                                                                                                         tipps ausgetauscht, worauf eine Frau über den
gesanglich. Dabei wurden Jugendliche aus dem                   Ein „MusikTanzTheater“                    täglichen Perfektionsdruck singt. Gelächter, doch
präventiven Schulprojekt „Leben hat Gewicht                 um Perfektion und Schönheit                  im nächsten Moment bleibt es einem im Halse
– gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“                                                                  stecken. Dabei behält das Ensemble immer seine
eingebunden. Im kreativen Prozess stellte das                                                            fein und fesselnd ausbalancierte vielseitige Dar-
Produktionsteam Cinzia Rizzo, Britta Rollar und                                                          stellungsweise bei.
Sabine Thanner fest, dass viele in der Gruppe                                                                Besonders Heranwachsende sind gefährdet,
persönliche Erfahrungen mit Nahrungsverwei-                                                              durch äußere Einflüsse oder psychische Belas-
gerung oder unkontrollierter Nahrungsaufnah-                                                             tungen in eine Essstörung zu geraten. „Jedes
me unter besonderen psychischen Belastungen                                                              fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche zeigt
hatten oder haben. Im Prozess wurden auch                                                                Zeichen von Essstörungen. Tendenz steigend“,
Vorurteile und Unkenntnis aufgedeckt: „Ma-                                                               schreibt die Deutsche BKK. Darum wurden nach
gersucht? Das ist doch keine Krankheit, da                                                               vielen Nachfragen von Lehrern im Jahr 2010
muss man doch einfach nur wieder was es-                                                                 mit dem Profi-Ensemble TTW#ZWEI spezielle
sen!“ Aus eigenen Texten und Zitaten Betroffe-                                                           Vorstellungen für Schulklassen angeboten. In
ner, aus Improvisationen zur Bewegungs- und                                                              den Jahren darauf ging das MusikTanzTheater
Darstellungsfindung entstand ein „MusikTanz-                                                             in kleiner Besetzung weiter auf Tour – 2011 gab
Theater“, in dem auf künstlerische Weise die                                                             es ein Gastspiel im Theater Nienburg, zuletzt
Problematik der Essstörungen thematisiert wird. An vielen Stellen ist der wurden im Juni 2014 Auszüge beim Gesundheitsforum in Wolfsburg dar-
Zuschauer berührt, an anderen Stellen informiert oder konfrontiert, aber geboten. Das Tanzende Theater Wolfsburg möchte immer wieder die Frage
immer bleibt genügend Platz für Überraschungen und Humor.                  aufwerfen: „Warum finden wir uns nicht schön und richtig, genau so wie
   Seit 2009 sahen ca. 6.000 Menschen „Iss oder stirb“. Andrea Jakob von wir sind?“
der Beratungsstelle Dialog: „Es gab einige, die durch das Stück zum ersten www.tanzendestheater.de | Foto: Janina Snatzke
Mal Kontakt zu uns aufgenommen haben. Betroffene, aber auch Angehörige J E N N I F E R Z W E R N E R , Leiterin des Bereichs
Betroffener fühlten sich ermutigt.“ Das Wechselspiel zwischen Mitlachen Kommunikation und Öffentlichkeits­arbeit des Tanzenden Theaters Wolfsburg e.V.

                                                                               S
                                                                                      eit Beginn organisieren insbesondere Frauen mit Migrationshinter-
                                                                                      grund einmal im Monat Kochkurse für Mitglieder und Interessierte
                                                                                      im Evangelischen Gemeindezentrum Düsseldorf-Eller. Zur Organi-
                                                                               sation gehören auch das Erstellen von Einkaufslisten, das Aufschreiben
                                                                               der Rezepte und eine kurze Einführung in die Besonderheiten der Tisch-
                                                                               und Essenskultur der beteiligten Länder. Diese Vorbereitung ist für alle
                                                                               noch Deutsch Lernenden eine Herausforderung und praktische Sprach-
                                                                               übung. Beim Kochen lernen die Menschen voneinander und kommen so
                       INTER-                                                  ins Gespräch. Die fertigen Speisen können Teilnehmende und Interessierte

                    KULTURELLE                                                 gleich anschließend im interkulturellen Treffpunkt Café Mosaik probieren.
                                                                               Es entstehen oft private Kontakte, Informationen über andere Aktivitäten
                     DIALOGE                                                   des Mosaik e.V. fließen hier ein.

                      IN DER                                                                                 Die Teilnehmenden entdecken nun zuneh-
                                                                                                             mend Gemeinsamkeiten in den Küchen der
                       KÜCHE                                                                                 Welt. Dies aufgreifend, wurden in letzter Zeit
                                                                                                             verstärkt Cross-over-Kochworkshops angebo-
                                                                                                             ten: „Kieler Sprotte trifft Schwarzmeer-Sardi-
Internationale Kochworkshops gehören zu den beliebtesten                                                     ne“ mit Rezepten aus Norddeutschland und
Veranstaltungen des Mosaik e.V. Der Düsseldorfer Verein, der                   der türkischen Schwarzmeerküste, „Pizza trifft Lahmacun“ – ein italienisch-
seit fünf Jahren den Dialog der Kulturen und integrative Initia-               türkisches Treffen rund um belegten Hefeteig, „Köttbullar trifft Köfte“ – ein
tiven seiner Mitglieder fördert, ist in Düsseldorf gut vernetzt.               schwedisch-türkischer Vergleich von Hackfleischbällchen-Variationen. Ein
Die Mitglieder sind Deutsche, Bosnier, Franzosen, Finnen, Grie-                Kochbuch mit all diesen interessanten Rezepten ist in Planung.
chen, Italiener, Kameruner, Marokkaner, Polen, Russen, Tunesier,               www.mosaikev.de
Türken und Schweizer aller Generationen mit Lebensmittelpunkt
in Düsseldorf, Frauen und Männer etwa gleichen Anteils.                        M O N I K A L E N T- Ö Z T Ü R K , Vorsitzende des Mosaik e.V.
SOZIOkultur 3 |2014                                                    THEMA                                                                                   11
                                                                       ISS WAS?

                            MIT
                           ESSEN
                          SPIELEN
        Das Projekt „Nährwert“ provoziert Verschwendung

R
         egional, bio, preiswert und lecker? Die persönliche Auseinander-   Gewürzt mit erlebten Geschichten, wie der vom ghanaischen Essen im
         setzung mit dem Thema „Was kann ich eigentlich noch kaufen?“       Lehrlingswohnheim und dem Schlachtefest in der Lüneburger Heide, prä-
         brachte die Theaterpädagogin Johanna Grote auf die Idee zum        sentieren die PerformerInnen ihre Inszenierung im Uni-Bistro und im dörf-
Projekt „Nährwert“: Psychiatrie-PatientInnen und -Erfahrene, Langzeit-Er-   lichen „Kulturbrunnen“. Dem Publikum werden nahrhafte Bissen mit den
werbslose und andere theaterbegeisterte Laien tauschen sich über eigene     passenden Anekdoten gereicht, zum Abschluss containerte Lebensmittel
Essgewohnheiten und aktuelle gesellschaftliche Themen wie Unverträg-        verteilt.
lichkeiten und nachhaltigen Anbau aus.                                         Ein Herr aus der Nachkriegsgeneration platzt im Publikumsgespräch
   Getragen vom Theaterpädagogisches Zentrum Hildesheim akquiriert sie      heraus: „Ich sehe das kritisch, dieses Spielen mit Essen!“ Es wird disku-
gemeinsam mit dem Sozial- und Theaterpädagogen Karu Grunwald eine           tiert: Ist die inszenierte Tortenschlacht legitim, weil sie auf die weltweite
Gruppe von 13 erwachsenen LaienspielerInnen. In wöchentlichen Proben        Verschwendung von Nahrungsmitteln hinweisen will?
von März bis Juli 2014 erarbeiten sie die performative Szenencollage           Eine Zuschauerin kritisiert unsere Fast-Food-Gesellschaft: „Wie viele
„Mahlzeit!“. Kein Schauspiel wird auf die Bühne gebracht, sondern die       Kinder kommen ohne Frühstück zur Schule! Es sollte zu Hause wieder
Teilnehmenden experimentieren mit Spielaufgaben: „Sprecht chorisch den      mehr gemeinsam gekocht und gegessen werden, auch mit Freunden und
Satz, ‚Ich esse meine Suppe nicht‘, und füllt dazu die Suppe in verschie-   Nachbarn. Da können wir uns bei den türkischen Familien was abgucken.“
dene Behälter.“                                                             – „Es muss ja gar nichts Aufwendiges sein“, ergänzt die Spielerin Inge,
   Schon zu Beginn der Proben wird deutlich: Essen ist etwas sehr In-       Rentnerin, „Pellkartoffeln und Quark tun‘s auch.“
times, sich dabei zuschauen zu lassen erfordert Mut und Vertrauen.
                                                                            *Name geändert. | Fotos: Clemens Heidrich
Es schafft aber auch Interesse am anderen, wie Teilnehmerin Daniela,
                                                                            Der Artikel ist in leicht geänderter Form auch im Kulturmagazin
Psychiatrie-Krankenschwester, beschreibt: „Das Spannendste waren so
                                                                            des Studentenwerks OstNiedersachsen „KulturPur“ erschienen.
spezielle Ess-Weisen, beispielsweise Alexanders ‚Osterei nach Art des
Hauses’, das mit Essig und Öl befüllt wird, oder wie Steffi* sich vor dem   J O H A N N A G R OT E , Theaterpädagogin und Leiterin des Projekts
Apfelessen den Mund mit einem Brillenputztuch abtupft.“                     „Nährwert“ des Theaterpädagogischen Zentrums in Hildesheim.

I
    m Quartier Essener Straße im Hamburger                                                               staltet vom ella-Kulturhaus, wurde im August
    Stadtteil Langenhorn leben Menschen ver-                                                             dieses Jahres zum achten Mal das „Buffet der
    schiedenster Nationalitäten zusammen.                                                                Kulturen“ gefeiert – wie immer begleitet von ei-
Sprachliche Barrieren erschweren nicht selten                                                            nem vielfältigen Kulturprogramm, das ansässige
die Integration im direkten Wohnumfeld.                                                                  Institutionen und Künstler gestaltet haben.
   Vor diesem Hintergrund entstand 2007 bei                                                                 Unsere grenzenlose menschliche Verbundenheit
dem deutsch-iranischen Künstler Saeeid Dast-                                                             sichtbar und erfahrbar zu machen ist seit Jah-
malchian die Idee zum interkulturellen Nach-                                                             ren Trieb­feder des Schaffens von Dastmalchian.
barschaftsfest „Buffet der Kulturen“. Unter                                                              Mit seinen Projekten setzt er immer wieder neu
dem Motto „Gemeinsam die Vielfalt feiern und                                                             bewusstseinsentfaltende Impulse, aus der Über­
einander in Offenheit begegnen“ treffen sich                                                             zeugung heraus, dass der Weg zu einem friedli-
seitdem alljährlich Bewohner und Gäste von                                                               chen Miteinander nur gemeinsam möglich ist und
außerhalb auf dem Marktplatz Käkenhof. Alle                                                              dass nur, wer sich zugehörig fühlt, auch bereit ist,
sind eingeladen, eine landestypische Spezialität
mitzubringen und so zur Gestaltung einer Tafel
                                                         GEMEINSAM                                       sich für das Allgemeinwohl zu engagieren.

mit internationalen Köstlichkeiten beizutragen,          DIE VIELFALT                                    www.buffetderkulturen.de, www.dastmalchian.de
                                                                                                         Foto: Peter Siegler
die dann gemeinsam genossen werden. In un-
gezwungener Atmosphäre entstehen mit Leich-
                                                            FEIERN                                       C O R D U L A DA S T M A L C H I A N, freie Autorin
                                                                                                         und Mitwirkende in der Friedensinitiative my
tigkeit und Genuss Brücken zwischen Menschen            Das Buffet der Kulturen in Hamburg               face for peace, die sie gemeinsam mit Saeeid
und Kulturen – lebendige Integration. Veran-                                                              Dastmalchian gegründet hat.
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                                                                     ISS WAS?

                                            GER ÜCHTE-
   Eine Küchen-
    Performance
auf dem Neumarkt.
                                              K CHE                                        in der Mannheimer Neckarstadt-West

Auf dem Speiseplan:
 Gerüchte

    © Illig&Illig
                      LEA H O F F M A N N

                                                                                    D
                      Arm, schmuddelig, auf Kindergeld aus – ein Bild, das                  as Community art Center mannheim1 lud Mitte Juni drei
                      im Mannheimer Stadtteil Neckarstadt-West häufig mit                   Tage lang auf den Neumarkt ein, Geschichten oder Gerüch-
                      ­Einwanderern aus Bulgarien assoziiert wird. Doch was                 te aus dem Stadtteil zu erzählen. Die „Gerüchte­küche“ ist
                       eine Frau aus dem Stadtteil vor ein paar Wochen auf dem      eine Aktions-Installation des Künstlerpaars Illig und Illig. Die Idee:
                       Neumarkt in Neckarstadt-West erlebt und in der „Gerüch-      Menschen aus dem Stadtteil kommen in die Installation „offene
                       teküche“ erzählt hat, hinterfragt das Klischee: Symbolisch   Küche“ und berichten über das, was sie im Mitein-ander des Stadt-
                       für den „Dreck“ sind Schalen von Sonnenblumenkernen,         teils bewegt. Die Künstler hören zu, fragen nach und verwandeln
                       die an Treffpunkten von „Bulgaren“ im öffentlichen Raum      in einem ausgeklügelten Prozess das Gerücht in eine schmackhaf-
                       zurückbleiben. „Es reicht“, dachte sich offenbar an jenem    te Mahlzeit. Gemüse, Saucen, Brote und allerlei Hilfsmittel haben
                       Tag ein Bewohner des Stadtteils, auch er mit bulgarischer    verschiedene Formen, Farben, Strukturen, Gerüche, Geschmäcker,
                       Migra­tionsgeschichte. Er holte einen Besen und fegte.       Konsistenzen …, die sich dem Erzählten zuordnen lassen. Auch das
                       Er fegte sie weg, die Stereotype, die auch ihn und sein      Arrangement der Speisen sagt etwas aus: Ist alles zusammenge-
                       unmittelbares Lebensumfeld beeinflussen.                     mischt oder vereinzelt? Wie sind die Elemente gefügt?
                                                                                       Nach diesem Transformationsprozess verspeisten alle gemein-
                                                                                    sam die zubereitete Mahlzeit. Sie reflektierten über das Erlebte
                                                                                    und entwickelten Visionen eines Stadtteils, in dem Stereotype und
                                                                                    Vorurteile den Alltag nicht bestimmen. Die „Gerüchteküche“ bot
                                                                                    einen Ort der Begegnung und eine Plattform für die Menschen
                                                                                    im Stadtteil, die dadurch eine Wertschätzung ihres Lebensraumes
                                                                                    und ihrer Erfahrungen erlebten.
                                                                                    1
                                                                                        Seit 2012 holt das Community art Center mannheim internationale
                                                                                        Profikünstler in die Neckarstadt-West. Viele Bewohner leben hier in
                                                                                        prekären ökonomischen Verhältnissen. Die Künstler nehmen Themen
                                                                                        und Probleme der Bewohner in ihre Kunst auf, helfen Vorurteile ab-
                                                                                        zubauen und treten Diskriminierung aktiv entgegen. Das Community
                                                                                        art Center wird von der Stadt Mannheim, der Heinrich-Vetter-Stiftung,
                                                                                        der Freudenberg Stiftung und der BT Spickschen Stiftung unterstützt.

                                                                                    L E A H O F F M A N N ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der
                                                                                    Freudenberg Stiftung.
SOZIOkultur 3 |2014                                                         THEMA                                                                         13
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Das LindenBier
Von der Brauerei zum Kulturzentrum
und zurück

D
        as Brauwesen in Unna hat eine jahr-
        hundertealte Tradition, und vor allem
        die Lindenbrauerei trug über die Gren-                                     OHNE FUTTER
zen der Stadt hinaus zum guten Ruf der Un-
naer Biere bei. Mehr als 100 Jahre produzierte
                                                                                   KEINE KULTUR
                                                                        Gastronomie in der Soziokultur – gestern, heute, morgen
sie den überaus beliebten Gerstensaft, bis sie
1979 stillgelegt wurde. Die Stadt Unna erwarb
den Gebäudekomplex mit seinem denkmalge-
schützten Schornstein. Seit 1990 betreibt der
Trägerverein Lindenbrauerei e.V. als Zusam-
menschluss von Unnaer Künstlern, kulturell en-
gagierten Einzelpersonen und Initiativen darin
ein Kultur- und Kommunikationszentrum mit
Unterstützung der Stadt.
   Das gesamte Spektrum an Kulturveranstal-         M A RT I N W I E D E M A N N                        kussion und Rezeption nach den Veranstaltun-
tungen wird geboten, auch politische Diskussi-                                                          gen – für Künstler, Publikum und Veranstalter.
onen und Lesungen bis hin zu internationalen         SO WAR DAS GESTERN                                 Kurz: eine Visitenkarte, die inzwischen aus dem
Aktionstagen in der Kulturkneipe Schalander         Im Jahr 1978 beleben elf Betriebe und Initiati-     öffentlichen Projekt FABRIK nicht mehr wegzu-
– hier trifft sich die Szene aus Unna und Umge-     ven das Gelände einer alten Möbel­fabrik neu.       denken ist.
bung, alle Generationen kommen zusammen.            Eine Küche wird eingerichtet, direkt neben ei-         Das ist die inhaltliche Seite. Auf der finan-
                                                    nem großen gemeinschaftlich genutzten Raum.         ziellen Seite helfen die Pachteinnahmen dem
                                                    Es entsteht eine kleine Kantine, gekocht wird       gemeinnützigen Verein bei der Finanzierung
                                                    mittags reihum, jeder Betrieb stellt eine Woche     seiner Kulturarbeit, ohne dass dessen wirt-
                                                    jemanden zum Kochen frei. Der Mittagstisch ist      schaftlicher Erwerbsbereich zu groß wird. Die
                                                    die tägliche Fortsetzung der wöchentlichen Mit-     Brauerei, deren Bier ausgeschenkt wird, ist
                                                    gliederversammlung.                                 auch Sponsor für die Kultur. Genauso wie der
                                                       Irgendwann in den Achtzigern kommt die           eine oder andere Winzer, dessen Weine sich auf
                                                    abendliche, ehrenamtliche Mittwochskneipe           der Karte finden, ganz selbstverständlich Mit-
                                                    dazu, damit auch die Politaktivisten zu ihrem       glied im Förderkreis Kultur geworden ist und
                                                    Genuss-Recht auf dem Gelände kommen. Ende           diesen mit Geld und guten Tropfen unterstützt.
                                                    der Achtziger arbeiten über hundert Menschen
                                                    auf dem Gelände, eine professionelle Gastro-         SO FINDET DAS GESTERN INS HEUTE
                                                    nomie muss her, so wie sich auch die bisher         Die Gastronomie funktioniert und floriert, wird
                                                    ehrenamtliche getragene Kultur als „Vorder-         geschätzt und hat sich einen guten Ruf weit
                                                    haus-Kultur in der FABRIK“ in neuen Räumen          über Freiburg hinaus erarbeitet. Auf dem Ge-
Seit 2002 wird hier wieder LindenBier gebraut,      professionalisiert.                                 lände selbst werden neue Bedürfnisse laut. Wie
eine Entwicklung, die mit großer Freude be-                                                             schön wäre es, sich ab und zu gegenseitig zu be-
grüßt wurde. Das neue LindenBier wird nach           SO IST DAS HEUTE                                   kochen! Die „Neuen“ für die „Alten“ und um-
alter Rezeptur im eigens für das Kulturzentrum      Das Vorderhaus-Restaurant ist verpachtet, der       gekehrt. Der eine Betrieb für alle anderen, dabei
hergestellten Brauaggregat in einer kleinen         Kulturbetrieb liegt weiter in den Händen des        die auf der Terrasse selbst gezogenen Tomaten
Hausbrauerei gebraut. Es wird exklusiv im           gemeinnützigen Vereins. Kultur und Gastrono-        verarbeitend. Oder: „Heute gibt es Kuchen von
Schalander ausgeschenkt, kann aber auch im          mie arbeiten Hand in Hand, manchmal gibt es         den Pflaumen, die im Hof wachsen!“
Syphon für den häuslichen Umtrunk erworben          gemeinsame Angebote, bei denen kulinarischer           In der Küche neben dem großen Raum wird
werden. Zusätzlich werden Spezialbiere zu ver-      und kultureller Genuss verbunden werden. Der        jetzt hin und wieder für alle gekocht, die kom-
schiedenen Anlässen gebraut, auch für private       tägliche Mittagstisch wird von den rund 150 Be-     men wollen. Reihum und abwechselnd, ehren-
Feste kann eigens Gebrautes bestellt werden.        schäftigten der FABRIK-Betriebe wie auch von        amtlich und lustvoll, etwa alle vier Wochen. Die
   Zum sehr bekömmlichen Kulturgebräu ge-           außerhalb rege besucht.                             Mitgliederversammlung tagt jetzt ja auch nur
sellte sich erneut der kühle Tropfen, Tradition        Das Restaurant ist einer der Dreh- und An-       noch viermal im Jahr …
und Gegenwart treffen unter dem Dach des            gelpunkte der öffentlichen Kommunikation
Kulturzentrums Lindenbrauerei zusammen.            auf dem Gelände. Es ist Erstkontakt und Erste
                                                    Hilfe, Schnuppermöglichkeit, Nachrichtenbörse,                       M A RT I N W I E D E M A NN
www.lindenbrauerei.de
                                                    Erholungsinsel, Besprechungszimmer, Paketan-                         ist Geschäftsführer der Fabrik
ERIKA EXTERNBRINK, Mitarbeiterin für Öffent-        nahmestelle, Feier-Ort und Trost-Platz. Es bietet                    für Handwerk, Kultur und
lichkeitsarbeit beim Kulturzentrum Lindenbrauerei                                                                        Ökologie e.V. in Freiburg.
                                                    einen gern genutzten Ort für Begegnung, Dis-
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                                                                        ISS WAS?

                     Das unkommerzielle Suppen-Straßenfest in Berlin

JANINA HENKES

S
         eit 2009 finden Menschen verschie-           Neben Projekten und Vereinen sind auch alle
         dener Hintergründe im Kollektiv des          AnwohnerInnen eingeladen, sich mit einer
         Suppe&Mucke e.V. zusammen. Gemein-           selbst zubereiteten Suppe aktiv an der Gestal-
         sam organisieren sie mit Hilfe zahlrei-      tung des Festes zu beteiligen. Damit will der
cher KooperationspartnerInnen und Unterstüt-          Suppe&Mucke e.V. die Identifikation der Men-
zerInnen das gleichnamige unkommerzielle              schen mit ihrem Kiez als selbst gestalteten Le-
Straßenfest. „Suppe&Mucke“ ist ein inklusives         bensraum stärken. Gleichzeitig sollen sie moti-
antikommerzielles Straßenfestival, das in den         viert werden, kreativ zu sein. Den Lebensraum
letzten fünf Jahren sehr viele Initiativen, Künst-    durch das Zusammenwirken der Gemeinschaft
lerInnen und beteiligte UnterstützerInnen mobi-       zu gestalten, darin besteht das Anliegen.
lisieren konnte. Viele Stände stellten dabei ihre
nicht-diskriminierenden und nicht-herrschaftlich-           Suppe und Musik bringen
hie­rarchisch organisierten Projekte vor und
                                                            Menschen verschiedener
teilten Suppen aus. Auf verschiedenen Bühnen
erlebten die BesucherInnen ein reiches Angebot              Hintergründe zusammen.
aus den Bereichen Musik, Theater, Kunst, Kultur
und Politik.                                          Der Verein hat dieses Kulturprojekt beständig
                                                      weiterentwickelt und dabei neue Tätigkeitsfelder
Auf dem „Suppe&Mucke“-Straßenfest präsen-             und Projekte erschlossen. Inzwischen arbeitet der
tieren sich rund 70 Stände mit kulturell, politisch   Verein kontinuierlich über das ganze Jahr hinweg.
und sozial engagierten Projekten und Initiati-        Neben neuen kulturellen Projekten stehen dabei
ven aus der Nachbarschaft und ganz Berlin. Sie        die Vernetzung und der Austausch mit anderen        kooperieren. Dabei besuchten die Orga-Teams
alle kochen am Vortag gemeinsam Suppe und             soziokulturellen AkteurInnen im Vordergrund.        sich zum Festival in den jeweiligen Städten,
schenken sie am Festtag kostenlos an die Besu-        Gemeinsam mit befreundeten Projekten versucht       unterstützten einander bei den letzten Vorbe-
cherInnen aus. Suppe und Musik sind dabei nie-        er ein Netzwerk zu bilden, das gegenseitig Struk-   reitungen wie dem Aufbau und der kreativen
derschwellige interkulturelle Medien, die Men-        turen nutzbar macht und den Austausch von Wis-      Gestaltung. Sie konzipierten gemeinsam, zeich-
schen verschiedener Hintergründe an einem Tag         sen und Qualifikationen fördert.                    neten, nähten und konstruierten. Vor allem die
gemeinsam auf der Straße zusammenbringen. So                                                              unterschiedlichen Atmosphären auf den Festen
werden Kontaktmöglichkeiten geschaffen, und           In den vergangenen zwei Jahren nutzte der           durften sie dabei kennenlernen. Den lauten,
die Initiatoren der Projekte erhalten die Möglich-    Suppe&Mucke e.V. ein Förderprogramm der             bunten Flair des italienischen Festes in Bologna
keit, die BesucherInnen zu treffen, sie über ihre     EU, das nun abgelaufen ist. Dieses Programm         und die nachbarschaftliche französische Stim-
politische, soziale und kulturelle Arbeit zu infor-   ermöglichte es, mit dem französischen Suppen-       mung in Lille, wo Gemüse zu Instrumenten ge-
mieren und sich mit ihnen auszutauschen.              fest in Lille und dem italienischen in Bologna zu   schnitzt wurde und originelle Performances auf
                                                                                                          der Straße verzückten.
 S&M Kochparty
 © Sabine Friedler                                                                                        Im letzten Jahr nahm das Suppenfestival größere
                                                                                                          Dimensionen an. Die „Suppies“ freuten sich, tolle
                                                                                                          KünstlerInnen begrüßen zu können, die wieder-
                                                                                                          um die BesucherInnen aller Generationen, Cou-
                                                                                                          leurs und Herkünfte begeisterten und in eine tolle
                                                                                                          Stimmung versetzten. In diesem Jahr konnte das
                                                                                                          Berliner Suppenfest jedoch nicht in dem Umfang
                                                                                                          stattfinden, wie es angedacht war.

                                                                                                          Die tolle Stimmung und die warme Festivalatmo-
                                                                                                          sphäre der vergangenen Jahre verstehen sich als
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