K Behinderung und Sprache - Februar 2019 | Nr. 2 - Sozialinfo
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Inhalt Daniel Stalder Editorial 1 Rundschau 2 SCHWERPUNKT Dorothea Lage Grundlegende Aspekte zur Unterstützten Kommunikation 6 Sara Gschwend-Sennhauser und Michaela Cappello Müller Qualitätsmerkmale zu Unterstützter Kommunikation in Organisationen Eine Checkliste für Leitungspersonen 13 Christina Arn und Rita Baumann Fachwissen in Leichter Sprache Leichte Sprache in der Aus- und Weiterbildung von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sowie Logopädinnen und Logopäden 21 Bettina Ledergerber Leichte Sprache Ein Praxiskonzept verbreitet sich in der Schweiz 26 Sarah Guidi und Patricia Hermann-Shores Warum es für Barrierefreiheit auch «Leichte Gebärdensprache» braucht Beobachtungen aus der Praxis und Überlegungen für die Forschung 33 Sandra Trevissoi, Simone Berner-Nayer und Lilo Eglin-Puschmann Die Begleitung von Lernenden mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen 39 Erich Hartmann, Christoph Till und Julia Winkes Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen in der Regelschule Gelingensbedingungen für erfolgreiche (Sprach-)Förderung und Kooperation zwischen beteiligten Fachpersonen 46 Dokumentation zum Schwerpunkt 53 Impressum 19 Rezension / Bücher / Behinderung im Film / Forschung / Agenda 54 Inserate 62 Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
EDITORIAL 1 Daniel Stalder Sprache als Schlüssel zur Partizipation Wenn wir davon ausgehen, dass Sprache beiden Beiträgen wird deutlich, dass UK die der Ausgangspunkt ist, um unsere Lebens- Grundlage schafft, damit Menschen mit welt zu begreifen, dann ist sie auch ein In- eingeschränkten Kommunikationsmöglich- strument, um diese zu gestalten – oder um keiten selbstbestimmt entscheiden können. sich überhaupt Zugang zu den Lebensberei- Dies wiederum ist ausschlaggebend für ih- chen unserer Gesellschaft zu verschaffen. re gesellschaftliche Teilhabe. Beherrschen Menschen eine Sprache, fällt Auch der Leichten Sprache wird oft ei- ist es ihnen leichter, soziale Beziehungen zu ne Partizipationsfunktion zugeschrieben. gestalten und in der Gesellschaft zu partizi- Arn und Baumann sehen sie als eine «Form Daniel Stalder pieren. Eingeschränkte sprachliche Fähig- gelebter Inklusion» und plädieren dafür, Wissenschaftlicher keiten führen oft zu Abhängigkeiten oder heilpädagogische Fachpersonen entspre- Mitarbeiter beeinträchtigen die gesellschaftliche Teil- chend aus- und weiterzubilden. Lederger- SZH / CSPS habe. ber nimmt eine kritische Perspektive ein Haus der Kantone In der UN-BRK wird gefordert, dass al- und zeigt Schwierigkeiten rund um die Speichergasse 6 le Menschen Zugang zu einer selbstbe- Leichte Sprache auf. Inwiefern die Leichte 3001 Bern stimmten Kommunikation haben sollen. Deutschschweizerische Gebärdensprache daniel.stalder @ Dies gilt als eine Bedingung, um sämtliche zur Barrierefreiheit beiträgt, umschreiben szh.ch Menschenrechte und Grundfreiheiten bean- Guidi und Hermann-Shores in ihrem Artikel. spruchen zu können. Dazu gehört auch die Auf die Partizipation wirken sich auch Partizipation in der Gesellschaft. Um diese Sprachentwicklungsstörungen aus. Im Bei- zu gewährleisten, müssen vielfältige Kom- trag von Trevissoi, Berner-Nayer und Eglin- munikationsformen und -mittel sowie Zei- Puschmann geht es um die Begleitung und chensysteme über alle Lebensbereiche hin- Förderung von Lernenden mit einer starken weg und lebenslang verfügbar sein. Beeinträchtigung der Sprache und des Spre- Es liegt also auf der Hand: Teilhabe chens. Hartmann, Till und Winkes beschrei- hängt massgeblich von den kommunikati- ben Fördermassnahmen und Rahmenbedin- ven Möglichkeiten ab, die ein Mensch hat. gungen hinsichtlich der inklusiven Schulung In der Unterstützten Kommunikation (UK) von Kindern mit Sprachstörungen im Regel- liegt ein grosses Potenzial für Menschen mit unterricht. Behinderungen, wie Dorothea Lage in ih- In dieser Ausgabe wird deutlich, wie rem differenzierten Beitrag aufzeigt. Damit grundlegend die Partizipation von Men- der Zugang zu UK lebenslang gewährleistet schen mit Behinderungen auf einer funktio- wird, fordern Gschwend-Sennhauser und nierenden Kommunikation beruht. Die Cappello Müller von den Organisationen Möglichkeiten dazu gilt es für alle Men- der Behindertenhilfe die Schaffung von ent- schen zu sichern und zu fördern. Ich wün- sprechenden Rahmenbedingungen. Aus sche eine anregende Lektüre. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019 www.szh-csps.ch/z2019-02-00
2 RUNDSCHAU Rundschau INTERNATIONAL hen, sei eine Kernbotschaft der Jahresta- gung. Diesmal steht die Tagung in Davos DE: Lehre barrierefrei gestalten unter dem Motto «Globalisierung 4.0: Auf Das Projekt «Inklusive Hochschullehre» der der Suche nach einer globalen Architektur Universität Rostock zielt auf die Entwick- im Zeitalter der Vierten Industriellen Revo- lung und Implementierung barrierefreier lution». Studienstrukturen sowie barrierefreier Quelle: www.rollingplanet.net Lehrangebote in den Hochschulen des Lan- ¬ News vom 14.12.2018 des; dies vor dem Hintergrund des Überein- kommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) der Vereinten NATIONAL Nationen sowie der Strategie des Landes zur Umsetzung der Inklusion im Bildungs- Inklusion in der Arbeitswelt system in Mecklenburg-Vorpommern bis Um die Vorbehalte der Unternehmen aufzu- zum Jahr 2023. Ein im Jahr 2018 entwickel- heben, fördert das Projekt iPunkt+ ein in- ter Leitfaden gibt Tipps, wie Lehrveranstal- klusives Arbeitsumfeld mit einem Label. Der tungen barrierefrei gestaltet und individu- Verein Impulse hat mit dem Label iPunkt vor elle Bedürfnisse von Studierenden mit Be- vier Jahren die Förderung eines inklusiven einträchtigungen berücksichtigt werden Arbeitsumfelds gestartet, um das Ziel einer können. Für barrierefreie Lehre und Didak- bestmöglichen Integration von Menschen tik sind selten enorme Umstellungen und mit Behinderungen in den regulären Ar- Veränderungen notwendig. Vieles ist Be- beitsmarkt anzustreben. Das Label zeichnet standteil «guter Lehre» und kommt allen Unternehmen aus, die Menschen mit Behin- Studierenden zugute. derungen oder einer dauerhaften Erkran- Weitere Informationen: www.uni-rostock.de kung einstellen oder wiederbeschäftigen. ¬ Inklusive Hochschule Dabei wird das Bewusstsein der Unterneh- men gefördert, Menschen mit Behinderun- CH: Weltwirtschaftsforum gen zu engagieren, Barrieren systematisch und Behinderung abzubauen und Vielfalt wertzuschätzen. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) stellt bei Die Sensibilisierung fördert das gegenseiti- seiner Jahrestagung vom 22. bis 25. Januar ge Verständnis sowie nachhaltige Bezie- in Davos die stärkere Einbeziehung von hungen und verstärkt Wirkungen durch ko- Menschen mit einer Behinderung in den ordiniertes Vorgehen. Das Projekt wird nun Mittelpunkt. «Gemeinsam müssen wir eine ausgeweitet, indem interdisziplinäre Ar- integrativere Welt entwickeln, die sich um beitsgruppen Kriterien ausarbeiten, die wir- die aktuellen und künftigen Bedürfnisse je- kungsvolle und praxistaugliche Prozesse des Einzelnen kümmert», sagte Nico Das- definieren. Es wird daraus eine modellhafte wani, Leiter des Bereichs Kunst und Kultur Darstellung von Schnittstellen, Prozessen beim WEF. Die Notwendigkeit, stärker auf und Akteuren erarbeitet, die als Organisati- die Belange der weltweit etwa eine Milliar- onsvorlage für ein inklusives Arbeitsumfeld de Menschen mit Behinderung einzuge- dienen wird. Die Vorlage wird in das Label Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
RUNDSCHAU 3 integriert, was so zu einer besseren Förde- wenn sie die Urteilsfähigkeit abklären müs- rung der Inklusion von Menschen mit Be- sen. Als Hilfestellung für die Praxis hat die hinderungen im Arbeitsmarkt führt. Schweizerische Akademie der Medizini- Weitere Informationen: www.impulse.swiss schen Wissenschaften (SAMW) medizin- ethische Richtlinien ausgearbeitet. In den Berufliche Eingliederung Richtlinien enthalten ist ein Subkapitel zur von Jugendlichen Evaluation der Urteilsfähigkeit bei Men- Jährlich schaffen 2 000 Jugendliche in der schen mit einer kognitiven Beeinträchti- Schweiz wegen physischer oder psychischer gung. Beeinträchtigungen den Eintritt ins Er- Weitere Informationen: www.samw.ch ¬ werbsleben nicht. Stattdessen sind sie auf News vom 11.12.2018 eine IV-Rente angewiesen. Das Informati- onsportal Compasso, das für Arbeitgeben- Bewegung und Sport de mit dem Fokus auf Früherkennung und in Institutionen Intervention sowie berufliche Wiederein- In einem Kooperationsprojekts von Special gliederung an den Schnittstellen zwischen Olympics Switzerland, INSOS Schweiz und Unternehmen, Betroffenen, IV, Suva, Pensi- dem Institut für Sportwissenschaft der Uni- onskassen und Privatversicherern tätig ist, versität Bern wurde untersucht, welche An- hat die Situation analysiert und vier Hand- gebote zu Bewegung und Sport es heute in lungsfelder und acht konkrete Massnahmen Institutionen für Menschen mit Behinde- erarbeitet, um junge Erwachsene mit Beein- rung gibt und welche Rahmenbedingungen trächtigung besser ins Berufsleben zu inte- dafür förderlich oder hinderlich sind. Im grieren. Die wichtigsten Resultate und Schlussbericht «Bewegung und Sport in In- Handlungsansätze der Studie «Jung und be- stitutionen für Menschen mit einer Behin- einträchtigt – ein erfolgreicher Weg in die derung» werden folgende Empfehlungen Arbeitswelt» sind: 1) Prozessbegleitung für die Praxis formuliert: Es soll ein Ausbau erstmalige Eingliederung optimieren, 2) Po- neuer Sport- und Bewegungsangebote tenzial niederschwelliger Ausbildungen stattfinden und die Personalstrukturen und besser nutzen, 3) Statistik verbessern, 4) ge- das Management sowie Kooperationen mit zielte Informationen verstärken und 5) Rah- externen Sportorganisationen sollen ge- menbedingungen verbessern. stärkt werden. Weitere Informationen: www.compasso.ch Zum Bericht: www.insos.ch ¬ Aktuelles ¬ Newsmeldung vom 30.11.2018 vom 13.12.2018 Urteilsfähigkeit in Beschwerde gegen Doppelstockzüge der medizinischen Praxis FV-Dosto der SBB Urteilsfähigkeit ist eine Grundvorausset- Der Dachverband Inclusion Handicap hatte zung, damit Patientinnen und Patienten in im Januar 2018 Beschwerde gegen die be- eine medizinische Behandlung einwilligen fristete Betriebsbewilligung der Dosto-Züge können. Die Entscheidung, ob jemand ur- eingereicht, weil diese von Menschen mit teilsfähig ist oder nicht, hat somit weitrei- Behinderungen nicht selbstständig genützt chende Auswirkungen. Gesundheitsfach- werden könnten. Im November 2018 einig- personen fühlen sich jedoch oft unsicher, ten sich Inclusion Handicap und die SBB Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
4 RUNDSCHAU aussergerichtlich zu vier Punkten: Die SBB einbarung mit sieben Verbänden für Men- verpflichteten sich, grössere Piktogramme schen mit einer Sinnesbehinderung. Diese zur Kennzeichnung der Vorrangsitze für regelt, welche Sendungen untertitelt, wel- Menschen mit Behinderung zu verwenden, che Inhalte audiodeskribiert oder gebärdet ein durchgängiges taktiles Leitsystem zu in- werden. stallieren, Monitore zu entspiegeln und Quelle: www.sgb-fss.ch ¬ Medienmitteilung kontrastreiche Bodenleisten anzubringen. vom 13.12.2018 Kurz danach entschied das Bundesverwal- tungsgericht, zehn von den elf verbleiben- Inklusives Gaming den Rechtsbegehren abzuweisen. Der Ent- Gamerinnen und Gamer mit eingeschränk- scheid wurde weitgehend damit begründet, ter Mobilität haben grosse Mühe, die kom- dass die Ausstattung der Züge den durch plexen Eingabegeräte zu bedienen. Ein heu- die EU-Kommission ausgearbeiteten Nor- tiger Controller hat über 14 Knöpfe und er- men «Technische Spezifikation für Interope- fordert eine gute Feinmotorik und Hand- rabilität – Zugänglichkeit für Menschen mit Augen-Koordination. Seit September 2018 Behinderung und Menschen mit einge- ist der «Xbox Adaptive Controller» von schränkter Mobilität» (TSI PRM) entsprä- Microsoft auf dem Markt. Der «Xbox Adap- chen. Der Argumentation von Inclusion tive Controller» verspricht, Games für alle Handicap, diese Normen würden den An- zugänglicher zu machen. Er ist einfach er- forderungen des Behindertengleichstel- weiterbar und die Bedienung passt sich an lungsgesetzes nicht genügen, leistete das die Spielerinnen und Spieler an, nicht umge- Gericht keine Folge. Einzig im Punkt der zu kehrt, wie es sonst der Fall ist. Damit er- steilen Rampe gab das Gericht der Be- schliesst Microsoft ein Kundensegment, das schwerdeführerin teilweise Recht. bislang stark von der Game-Industrie ver- Weitere Informationen: www.humanrights.ch nachlässigt wurde. ¬ Medienmitteilung vom 11.12.2018 Quelle: www.srf.ch ¬ Digital ¬ News vom 10.12.2018 VARIA «Easy dressing» für Kinder mit einer Behinderung Gebärdensprache im SRF Das Modelabel Marks & Spencer hat eine Ab 2019 wird die Gesundheitssendung Kleiderlinie für Kinder mit Behinderung ent- «Puls» die vierte Sendung, die SRF neben worfen. Die aktuelle Herbst-Winter-Kollek- «Kassensturz», «Tagesschau» und «Signes» tion enthält rund 100 Modelle von Alltags- regelmässig in Gebärdensprache zeigt. Die kleidern, die leicht anzuziehen sind, auch «Puls»-Sendung vom Montag wird jeweils von Kindern, die Unterstützung brauchen. am darauffolgenden Sonntag auf SRF 1 ge- Diese spezielle Linie wurde in Zusammenar- bärdet ausgestrahlt. Die SRG baut das An- beit mit Eltern von Kindern mit Behinderung gebot von Sendungen in Gebärdensprache, realisiert und unterscheidet sich äusserlich Audiodeskription und Untertitelungen jähr- nicht von der Hauptkollektion. lich aus. Seit diesem Jahr gilt eine neue Ver- Quelle: insieme Magazin, 4, 7. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
THEMENSCHWERPUNKTE 2019 5 Themenschwerpunkte der Schweizerischen Zeitschrift für Heilpädagogik 2019 Heft Schwerpunkt Ankündigung Einsendeschluss 1 / 2019 Zusammenarbeit mit Eltern 10.09.2018 10.10.2018 2 / 2019 Behinderung und Sprache 10.09.2018 01.11.2018 3 / 2019 Beziehungsgestaltung 10.10.2018 10.12.2018 4 / 2019 Behinderung und Sexualität 10.11.2018 10.01.2019 5 – 6 / 2019 Inklusive Freizeitangebote 10.12.2018 10.02.2019 7 – 8 / 2019 Übergänge Schule – Berufsausbildung – Arbeitswelt 10.02.2019 10.04.2019 9 / 2019 Neue Wohnformen, innovative Lebensformen 10.04.2019 10.06.2019 10 / 2019 Schule von morgen 10.05.2019 10.07.2019 11 –12 / 2019 Digitale Transformation 10.06.2019 10.08.2019 Autorinnen und Autoren werden gebeten, so früh wie möglich einen Artikel per Mail anzukündigen. Die Redaktion entscheidet erst nach der Sichtung eines Beitrages über dessen Veröffentlichung. Bitte beachten Sie vor dem Einreichen Ihres Artikels unsere Redaktionsrichtlinien unter www.szh.ch/zeitschrift. Thèmes 2019 de la Revue suisse de pédagogie spécialisée Numéro Dossier 1 (mars, avril, mai 2019) De l’employabilité à l’intégration professionnelle 2 (juin, juillet, août 2019) Littératie et numératie 3 (septembre, octobre, novembre 2019) Nouvelles façons d’habiter 4 (décembre 2019, janvier, février 2020) Transformation numérique : aubaine ou écueil pour la pédagogie spécialisée ? Une description des thèmes 2019 est disponible sur le site Internet du CSPS : www.csps.ch/revue ¬ Thèmes 2019 Informations auteurs : merci de prendre contact avec la rédaction avant l’envoi d’une contribution sur l’un de ces thèmes ou sur un sujet de votre choix : redaction@csps.ch Lignes directrices rédactionnelles : www.csps.ch/revue Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
6 BEHINDERUNG UND SPRACHE Dorothea Lage Grundlegende Aspekte zur Unterstützten Kommunikation Zusammenfassung Die UN-BRK fordert, dass für alle Menschen – ganz gleich wie schwer und umfassend deren Beeinträchtigung ist – der Zugang zur autonomen Kommunikation mit individuell angepassten Mitteln gewährleistet ist. In diesem Beitrag wird einerseits aufgezeigt, wie die Kommunikation mit Teilhabe und Inklusion in Zusammenhang steht und welche professionellen Grundhaltungen dem pädagogischen und arbeitsagogischen Handeln dienlich sind. Andererseits wird die Bedeutung der Unterstützten Kommunikation (UK) für die Umsetzung der UN-BRK erörtert und mögliche Hand- lungsmaximen dafür werden vorgestellt. Résumé La CDPH de l’ONU exige que toute personne, quelle que soit la gravité ou l’étendue de son handicap, ait un accès garanti à la communication autonome par le biais de moyens adaptés individuellement. Le présent article montre d’une part où se situe la communication par rapport à la participation et à l’inclusion, et quelles attitudes profession- nelles fondamentales sont bénéfiques dans la prise en charge pédagogique et l’accompagnement socioprofessionnel. Il se penche par ailleurs sur l’importance de la communication améliorée et alternative (CAA) dans la mise en œuvre de la CDPH et présente de possibles principes d’action dans ce contexte. Permalink: www.szh-csps.ch/z2019-02-01 UK und die Sache mit den profes- gänglich gemachte sowie ergänzende und sionellen Grundhaltungen alternative Formen, Mittel und Formate In der UN-Behindertenrechtskonvention der Kommunikation (Hervorhebung D. L.), (UN-BRK) wird gefordert, dass für alle Men- einschliesslich leicht zugänglicher Infor- schen die gleichberechtigte Teilhabe an al- mations- und Kommunikationstechnologie len Lebensbereichen der Gesellschaft zu ge- ein» (UN-BRK, Art. 2). Menschen mit währleisten ist und somit die Grundlage für schweren Kommunikationsbeeinträchti- die Inklusion geschaffen wird. In den Be- gungen sollen diese Formen, Mittel und Zei- griffsbestimmungen der UN-BRK (Art. 2) chensysteme zur Verfügung stehen, um am wird die Kommunikation ins Zentrum ge- gesellschaftlichen Leben teilhaben zu kön- stellt, um Menschen mit Behinderungen die nen. Dazu gehören unter anderem Metho- «volle und wirksame Teilhabe an der Gesell- den und Mittel der UK, welche die gespro- schaft und Einbeziehung in die Gesell- chene und geschriebene Sprache ergänzen schaft» (UN-BRK, Art. 3c) zu garantieren. bzw. ersetzen. Die UK ist somit ein zentra- Kommunikation «schliesst Sprachen, Dar- ler Bereich der Behindertenhilfe. Organisa- stellung, Brailleschrift, taktile Kommunika- tionen in diesem Bereich müssen sich nun tion, Grossdruck, leicht zugängliches Multi- der Aufgabe stellen, Voraussetzungen zu media sowie schriftliche, auditive, in einfa- schaffen, dass der Zugang zur UK in ihrem che Sprache übersetzte, durch Vorleser zu- umfassenden Verständnis ermöglicht, UK Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
BEHINDERUNG UND SPRACHE 7 implementiert und als UK-Kultur gelebt Begleitung in der UK. Konzepte wie TripleC werden kann (Lage, 2006).1 (Bloomberg & West, 1999) und InterAACtion Menschen mit schweren Kommunikati- (Bloomberg, Johnson & West, 2004), Co- onsbeeinträchtigungen stehen auch nach Creating Communication, Intensive Inter- 30 Jahren UK in der Schweiz noch vor Barri- action, TEACCHTM und / oder PECS, bieten eren: sowohl im direkten Kontakt mit ande- handlungsleitende Methoden für die UK, ren Menschen als auch beim Zugang zu den wie Lebenswelten gemeinsam, kommuni- Lebensbereichen unserer Gesellschaft. kativ und teilhabeorientiert gestaltet wer- Nach wie vor kann entweder der Wechsel den können. Methodenvielfalt in der UK einer Lehrperson oder in einen anderen Le- wird unabdingbar. benskontext dazu führen, dass ein unter- stützt kommunizierender Mensch keine Be- Menschen mit schweren Kommunikations- gleitung oder keine UK-Kultur (mehr) um beeinträchtigungen stehen auch nach sich hat, da die Angebote der UK in vielen Einrichtungen je nach Lebensbereich oder 30 Jahren UK in der Schweiz vor Barrieren. Schulklasse qualitativ sehr unterschiedlich sind. Mit UK zu kommunizieren, wird zum UK und die Sache mit der Teilhabe Exklusionsrisiko. Das der ICF zugrundeliegende Konzept der Zeitgleich entwickelt sich das Fachge- Funktionalen Gesundheit (FG) besagt: «Das biet der UK weiter und Erkenntnisse aus an- Ziel FG ist dann erreicht, wenn ein Mensch, grenzenden Fachgebieten, wie Linguistik möglichst kompetent und gesund, an den und frühkindliche Kommunikationsent- Lebensbereichen teilnimmt und teilhat, an wicklung, verändern das UK-Fachwissen. denen nicht beeinträchtigte Menschen nor- Sei es das Erlernen von Zeichensystemen, malerweise auch teilnehmen und teilha- die Sprachentwicklung im Kontext der ben» (INSOS, 2009, S. 38). Im sozialen Han- Mehrsprachigkeit sowie der Blick auf die deln entwickelt ein Mensch kommunikative Pragmatik und die Wirkung des kommuni- Kompetenzen Im Sinne des Empowerments kativen Handelns. Schliesslich stellt die UK – aber nur, wenn entsprechende Teilhabe- für Menschen mit schwersten mehrfachen möglichkeiten vorhanden sind. So wird Beeinträchtigungen ein wichtiges Mittel Kommunizieren ein Mittel zum Zweck im der Kooperation und Verständigung dar. Sinne der UN-BRK und Inklusion: ohne Auch wenn oft noch die Meinung vor- Kommunikation keine Teilhabe und ohne herrscht, dass viele dieser Menschen so- Teilhabe keine Kommunikation (Lage, 2006, wohl für die UK als auch für die Inklusion zu S. 186). Es ist Aufgabe des sozialen Um- beeinträchtigt seien. Mit Blick auf diese felds, die Handlungsspielräume und Ange- Menschen wird deutlich, welchen Heraus- bote zur Teilhabe bereitzustellen bzw. zu- forderungen wir gegenüberstehen: den Ein- gänglich zu machen (Knobel & Lage, 2013). stellungsbarrieren, das heisst den Barrieren in unseren Köpfen, und den Wissensbarrie- UK und die Sache mit der Sprache ren bzgl. einer entwicklungsangemessenen UK ist primär Kommunikation und somit mehr als Sprache. Gesprochene und ge- 1 siehe auch Artikel in dieser Ausgabe von schriebene Sprache ist ein symbolisch ge- Gschwend-Sennhauser und Cappello Müller nutztes System von Zeichen. Dieses System Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
8 BEHINDERUNG UND SPRACHE funktioniert nach bestimmten komplexen nen und ein Zeichensystem noch nicht sym- Regeln, die es ermöglichen, aus einer be- bolisch verwenden, sind folgende Aspekte grenzten Anzahl Zeichen, zum Beispiel den entscheidend: die Urheberschaft des eige- Buchstaben, Begriffe zu bilden. Mit diesen nen Tuns empfinden, den Zusammenhang Begriffen lassen sich wiederum nach be- von Ursache-Wirkung erleben, Aufmerk- stimmten Regeln Aussagen kombinieren samkeit auf sich lenken sowie Ablehnung und Inhalte formulieren. Das Geniale eines und später auch Zustimmung zeigen. Diese Zeichensystems ist das Symbolische: Losge- präintentionalen Handlungsweisen führen löst vom Hier und Jetzt können Inhalte dar- dazu, dass sich Bezugspersonen auf die Ko- gestellt werden. Und zwar ist es möglich, operation und Kommunikation einlassen. sich mit einem symbolischen Zeichensystem Sie trauen der Person ohne Vorbehalt etwas nicht nur über Befindlichkeiten oder Infor- zu und führen sogenannte Pseudo-Dialoge: mationen auszutauschen, sondern auch Jedes Zeichen, auch die leisen, feinen und Vergangenes, Zukünftiges oder Fiktives zu undeutlichen, werden konsequent und übermitteln. Um mit den vorgegebenen Zei- prompt als kommunikative Zeichen ange- chen, den Wörtern und den Sätzen inner- nommen und als solche strukturiert über- halb des sprachlichen Systems handeln und interpretiert (Nonn, 2011). Ebenso ist aus variieren zu können, benötigt man sprachli- der Säuglingsforschung bekannt, dass sich che und kognitive Kompetenzen. Sprache ist aus dieser zutrauenden Haltung der Bezugs- notwendig für eine differenzierte Kommuni- personen heraus erste Zeichen für die vor- kation. Sie ist zudem identitätsbildend und sprachliche, intentionale und kommunikati- ein kulturelles Phänomen (Lage, 2006, ve Kompetenz entwickeln. Diese Methoden S. 25ff.). Und schliesslich ist UK für diejeni- der strukturierten Überinterpretation, das gen, die mit UK-Mitteln kommunizieren (ler- Scaffolding und das Modelling (Castañeda, nen), nichts anderes als Kommunikation. Fröhlich & Waigand, 2017), sind derzeit viel Neben der linguistischen Kompetenz gehö- diskutierte UK-Themen, um Gelingensbe- ren zur Kommunikation auch die operatio- dingungen für die kommunikative Entwick- nale, soziale und strategische Kompetenz lung zu schaffen. Die Methoden aus der (Antener, 2014; Light & McNaughton, 2014). frühkindlichen Interaktion in den Kontext der UK zu übertragen, ist Ausgangspunkt, um die UK bei Menschen mit schweren UK ist primär Kommunikation und Kommunikationsbeeinträchtigungen anzu- somit mehr als Sprache. bahnen: Dies wird auch kompetente Ge- sprächsführung in UK genannt. Hier steht Bei jedem noch nicht sprechenden Kind ste- das kommunikative Handeln der Bezugsper- hen Erleben und Erfahrungen mit präinten- sonen im Zentrum – die UK fängt bei uns an. tionalen und vorsprachlichen körpereigenen Zeichen im Mittelpunkt. Dies können das so- UK und die Sache mit ziale Lächeln bei Zuwendung, das Schreien dem Lernen und Lehren bei Hunger, Durst und Schmerzen oder das Die Ausgestaltung einer entwicklungsange- Zappeln bei Freude sein. All diese Zeichen messenen Interaktion unterstützt kommuni- erzeugen eine Wirkung im sozialen Umfeld. kative Kompetenz und fördert entwicklungs- Für alle Menschen, die kommunizieren ler- freundliche Angebote für die Teilhabe. Die ei- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
BEHINDERUNG UND SPRACHE 9 gene Rolle und das eigene kommunikative zeichnet Tomasello (2009) als Ursprung der Handeln sind in der Entwicklungsbegleitung menschlichen Kommunikation. Vor dem ge- entscheidend. Mit der Checkliste Triple-C für meinsamen Hintergrund, der durch lebens- kommunikative Kompetenz (Bloomberg & weltliche Erfahrungen entsteht, können Ge- West, 1999) existiert ein Instrument, um die danken und Gefühle mitgeteilt werden. Denn frühen kommunikativen Handlungsweisen erst dieser macht Verständigung möglich, eines Menschen mit schweren mehrfachen weil die alltägliche Kommunikation mit Aus- Entwicklungsbeeinträchtigungen zu erfas- drücken gefüllt ist, die nur aufgrund eines ge- sen. In der Zusammenarbeit mit Kommunika- meinsamen Weltwissens erschlossen werden tionsanfängerinnen und -anfängern sind wir können (Lage, 2006). Weiter beschreibt To- diejenigen, die die Teilhabeorte kommunika- masello (2009), dass Kommunikation durch tiv und entwicklungslogisch gestalten. Des- Zeigegesten oder Blickrichtung und Gebär- halb ist umfassendes Wissen zu den Grundla- denspiel auf dem Interesse des Anderen ba- gen der frühen Kommunikationsentwicklung siert, der Zeige- und Blickrichtung zu folgen. hilfreich, um die kleinen und feinen Verände- Tomasello (2009) definiert als sozial-kogniti- rungen in der Entwicklung des Anderen er- ve Revolution (mit etwa neun Monaten), kennen sowie die Begleitung mit UK planen wenn die kommunikative Absicht eindeutig und reflektieren zu können (Lage, 2009). Un- durch die Zeigegeste erkennbar ist. Aufbau- sere Rolle definiert sich über die Verantwor- end auf der geteilten Aufmerksamkeit betei- tung, diese Menschen mit ihren individuellen ligt sich das Kind aktiv steuernd an der Kom- Fähigkeiten und Ressourcen angemessen zu munikation und teilt seine Wünsche und Be- unterstützen, damit sie ihre Entwicklungswe- dürfnisse nonverbal mit. Wenn beide Betei- ge in ihrem Tempo, mit ihren Zielen, Wün- ligten kooperieren, um das Gelingen des schen und Bedürfnissen gehen können. To- kommunikativen Handelns sicherzustellen, masello (2009) hat mit seiner Theorie zur so- wird die kommunikative Absicht deutlich. Die zial-pragmatischen Entwicklung der mensch- Kooperation hängt dabei entscheidend von lichen Kommunikation einen wesentlichen der Fähigkeit der geteilten Intentionalität ab. Beitrag für die UK geleistet. Er stellt eine an- Schliesslich gelingt so der Übergang zur Spra- geborene Fähigkeit und intrinsische Motiva- che, bei dem die ikonischen und Zeige-Ges- tion des Menschen zur Kooperation fest. Dies ten an die inhaltlichen Grenzen der Kommu- sei der Ursprung für die geteilte Aufmerksam- nikation stossen. Gemeinsame Handlungen, keit, die sich in drei Phasen entwickelt: 1) In- in denen jeder Mensch und seine Bezugsper- teresse zeigen, 2) sich interessieren und 3) son kommunikative Absichten einbringen, das Interesse, geteilte Aufmerksamkeit zu sind die Basis der frühen Kommunikations- wiederholen.2 Die Basis der Entwicklung in- entwicklung (Tomasello, 2009). tentionaler Kommunikation sind die drei Mo- Für die Kommunikationsentwicklung mit tive Auffordern/Bitten, Informieren und Tei- UK bedeutet dies (Nonn, 2011): len. Diese sozial-kognitiven Prozesse be- • viele Kommunikationsgelegenheiten schaffen, • einen umfangreichen Wortschatz zur 2 Diese Drei-Dimensionalität im Begriff «Interesse» Verfügung haben mit vielen kurzen Wör- entstammt den Theorien zur Intentionalitäts- entwicklung (Joint Attention, Joint Goal, Joint tern, die grosse kommunikative Wirkung Acting; Tomasello, 2009). aufweisen, sowie Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
10 BEHINDERUNG UND SPRACHE • lernen, die Aufmerksamkeit in sozial er- … wie der Perspektivenwechsel zur Teilha- kennbarer (auch anerkannter) verständ- beorientierung möglich wird und da- licher Form auf sich richten zu können durch entwicklungsfreundliche Teilha- und zu wollen. beorte entstehen. … wie die Haltung der Begleitpersonen UK und die Sache mit teilhabesensibilisiert ist. dem Anwenden in der Praxis … wie mit kleinen Schritten viel möglich ist. Immer noch geistert der Mythos herum, dass ein Mensch erst bestimmte Fähig- Mit dem Partizipationsmodell gibt es ein keiten erlangt haben muss, damit mit UK Handlungsplanungsmodell in der UK, das begonnen werden kann. Beukelman und für alle Menschen alltagstauglich ist. Mirenda (2013), nennen eine einzige Vor- aussetzung: die Teilhabe. Ohne diese gibt es Fazit niemandem, mit dem man sprechen kann, Was wäre, wenn alle der Überzeugung wä- nichts, worüber man reden könnte und kei- ren, dass jeder Mensch kommuniziert oder nen Anlass zur Kommunikation. das Kommunizieren lernen kann? Dann wird UK selbstverständlich im Alltag eingesetzt. Davison-Hoult und Ward (2017, S. 14f.) kon- Nach wie vor geistert der Mythos statieren: Normalerweise hören Kinder un- herum, dass ein Mensch erst bestimmte gefähr 18 Monate lang rund um die Uhr ge- Fähigkeiten erlangt haben muss, sprochene Sprache, bis sie das erste Wort damit mit UK begonnen werden kann. sprechen. Menschen, die UK lernen sollen, haben vielleicht eine, manchmal sogar zwei Stunden in der Woche Zugang zur UK. Das Mit dem Partizipationsmodell gelang es heisst, dass sie hochgerechnet wohl nahezu Beukelman und Mirenda (2013), die funk- 20 Jahre benötigen, bis sie mit UK sprechen tionale Teilhabe ins Zentrum der Handlungs- können – und wir professionell Handelnde planung mit UK zu stellen. Es ist ein syste- hören nicht schon vorher mit der UK auf … matisches Vorgehen, bei dem auch die so- Was wäre, wenn alle Menschen mit zio-kulturellen Bedingungen der Lebenswel- Kommunikationsbeeinträchtigungen ihr ten von Menschen mit schweren mehrfachen Recht auf Kommunikation einfordern könn- Beeinträchtigungen auf Teilhabebarrieren ten? Dann wird der konsequente Blick auf untersucht werden und der Partizipations- Kommunikations- und Teilhabebarrieren im grad einer Person als Schlüsselkriterium für gesellschaftlichen Leben notwendig, um die Kommunikationsentwicklung angese- den Menschen mit schweren Kommunikati- hen wird (Lage, 2006). Das Partizipations- onsbeeinträchtigungen den Zugang zu all modell integriert zudem das Wechselwir- unseren gesellschaftlichen Bereichen zu si- kungsgefüge im Konzept der Funktionalen chern. Individuelle Fähigkeiten und Bedürf- Gesundheit in den Kontext der UK (Lage & nisse werden sorgfältig analysiert und Knobel, 2017; Knobel & Lage, 2013). Er- durch die Diagnostik erfasst man auch mög- fahrungen in der Begleitung und Schulung liche Übungsfelder für das Kommunizieren von Fachpersonen zum Partizipationsmodell sowie deren Teilhabeorte. Diese Entwick- zeigen, … lungen im Kontext der UK wie auch die Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
BEHINDERUNG UND SPRACHE 11 menschenrechtspolitischen Vorgaben füh- Literatur ren zur Forderung, dass die Begleitperso- Antener, G. (2014). Unterstützte Kommuni- nen teilhabeorientierte Handlungsmodelle kation. Entwicklung und Perspektiven ei- in der UK anwenden sollen. nes Fachgebietes. Schweizerische Zeit- Was wäre, wenn für alle Menschen mit schrift für Heilpädagogik, 20 (11–12), Kommunikationsbeeinträchtigungen ein Le- 6–12. ben lang der Zugang zur UK gewährleistet Beukelman, D. & Mirenda, P. (2013). Aug- wäre? Dann ist ein Übergang in einen ande- mentative and Alternative Communica- ren Lebensbereich nicht mit einem mögli- tion. Management of Severe Communica- chen Risiko behaftet, die gelernten kommu- tion Disorders in Children and Adults (5th nikativen Kompetenzen nicht mehr nutzen rev. ed.) Baltimore: Brookes Publishers. zu dürfen oder zu können. Das BSV (2016, S. Bloomberg, K., Johnson, H. & West, D. V–VII) hält in seiner Analyse zur Abgabe von (2004). InterAACtion (DVD). SCOPE Spas- Kommunikationshilfen fest, dass … tic Society of Victoria, Australia. … die Unterstützung in Erwachsenen- Bloomberg, K. & West, D. (1999). The Triple einrichtungen aufgrund knapperer Res- C – Checklist of Communication Compe- sourcen und weniger geschultem Perso- tencies (DVD). SCOPE Spastic Society of nal schwächer ist. Victoria, Australia. … Fachpersonen nicht über die nötigen Bundesamt für Sozialversicherungen BSV Ressourcen (zeitlich und fachlich) verfü- (2016). Analyse der Abgabe von Kommu- gen. nikationsgeräten an Versicherte der Inva- … UK-Kompetenzen ausbaufähig sind. lidenversicherung. Bern. www.bsvlive. … für Institutionen Anreize zu schaffen admin.ch/praxis/forschung/00106/01326/ sind, um die UK stärker zu implementie- index.html?lang=de [Zugriff am 07.12.2018] ren und die entsprechenden Ressourcen Castañeda, C., Fröhlich, N. & Waigand, M. einzuräumen. (2017). Modelling in der Unterstützten Statt Spardruck braucht es also Investitio- Kommunikation. Heigenbrücken: Wai- nen im Bereich UK. gand Selbstverlag. Davison-Hoult, A. & Ward, C. (2017). An Int- Was wäre, wenn alle Fachpersonen im Rah- roduction to AAC for People with Syndro- men ihrer Ausbildung umfassende Kennt- me and other Complex Communication nisse zur UK vermittelt bekämen? Dann kä- Needs. United Kingdom. www.rettuk. men die Fachpersonen mit einem Basiswis- org/wp-content /uploads/woocommer- sen in die Praxisfelder und müssen sich zu ce_uploads/2018/08/An-Introduction-to- UK nicht erst noch weiterbilden. A AC-for-People-with-Rett-Syndrome- Was wäre, wenn wir Fachpersonen un- and- other- Complex- Communication- sere letzten Barrieren in den Köpfen abbau- Needs-Email.pdf [Zugriff am 07.12.2018]. en würden und UK als ein selbstverständli- Gschwend-Sennhauser, S. & Cappello Müller, ches Handlungsfeld im professionellen Han- M. (2019). Qualitätsmerkmale zu Unter- deln betrachten könnten? Dann bieten wir stützter Kommunikation in Organisatio- allen Menschen immer UK an, ohne gleich nen. Eine Checkliste für Leitungsperso- zu erwarten, dass sie auch sofort damit nen. Schweizerische Zeitschrift für Heilpä- kommunizieren können. dagogik, 2, 13–19. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
12 BEHINDERUNG UND SPRACHE INSOS Schweiz (2009). Das Konzept der Funk- Lage, D. & Knobel Furrer, C. (2017). Das Ko- tionalen Gesundheit. Grundlagen, Bedeu- operative Partizipationsmodell – ein not- tung und Einsatzmöglichkeiten am Beispiel wendiger Relaunch. In D. Lage & K. Ling der Behindertenhilfe. Bern. www.insos.ch/ (Hrsg.), UK spricht viele Sprachen. Zusam- assets/Downloads/Broschuere-Konzept- menhänge zwischen Vielfalt der Sprachen Funktionale-Gesundheit.pdf [Zugriff am und Teilhabe (S. 125–138). Karlsruhe: Von 07.12.2018]. Loeper. Knobel Furrer, C. & Lage, D. (2013). Das Kon- Light, J. & McNaughton, D. (2014). Commu- zept der Funktionalen Gesundheit (FG). nicative Competence for Individuals who Kompetente Teilhabe mit dem Partizipa- require Augmentative and Alternative tionsmodell erreichen. In A. Hallbauer, T. Communication. Augmentative and Al- Hallbauer & M. Hüning-Meier (Hrsg.), UK ternative Communication, 30 (1), 1–18. kreativ! Wege in der Unterstützten Kom- Nonn, K. (2011). Unterstützte Kommunikati- munikation (S. 429–443). Karlsruhe: Von on in der Logopädie. Heidelberg: Thieme. Loeper. Tomasello, M. (2009). Die Ursprünge der Lage, D. (2006). Unterstützte Kommunikati- menschlichen Entwicklung. Frankfurt a. on und Lebenswelt. Eine kommunikati- Main: Suhrkamp. onstheoretische Grundlegung für eine be- Übereinkommen über die Rechte von Men- hindertenpädagogische Konzeption. Bad schen mit Behinderungen (UN-Behin- Heilbrunn: Klinkhardt. dertenrechtskonvention, UN-BRK), vom Lage, D. (2009). Unterstützte Kommunikation 13. Dezember 2006, durch die Schweiz ra- – Möglichkeiten der Prävention und Inter- tifiziert am 15. April 2014, in Kraft seit vention. In K. Bundschuh & J. Bach (Hrsg.), dem 15. Mai 2014, SR 0.109. Prävention und Intervention über die Le- bensspanne. Schulische und ausserschuli- sche Handlungsfelder (S. 153–187). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Prof. Dr. Dorothea Lage Dozentin und Sonderpädagogin Leiterin des MAS Behinderung und Partizipation Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Soziale Arbeit Institut Integration und Partizipation Riggenbachstrasse 16 4600 Olten dorothea.lage @fhnw.ch Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
BEHINDERUNG UND SPRACHE 13 Sara Gschwend-Sennhauser und Michaela Cappello Müller Qualitätsmerkmale zu Unterstützter Kommunikation in Organisationen Eine Checkliste für Leitungspersonen Zusammenfassung Durch den Einsatz von Unterstützter Kommunikation (UK) können Mittel und Methoden angeboten werden, mit de- nen Menschen mit Kommunikationsbeeinträchtigungen kommunizieren und aktiv partizipieren können. Damit für Be- troffene der Zugang zur UK lebenslang gewährleistet ist, sind Organisationen der Behindertenhilfe aufgefordert, ent- sprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Das UK-Netzwerk Schweiz hat die Checkliste «Qualitätsmerkmale zu UK in Organisationen» erarbeitet, um Leitungspersonen bei diesem Prozess zu unterstützen. Résumé L’utilisation de la communication améliorée et alternative (CAA) permet d’offrir à des personnes ayant des difficultés de communication des outils et méthodes leur permettant de communiquer et de participer activement. Afin que les per- sonnes concernées puissent bénéficier tout au long de leur vie de la CAA, les organisations d’aide aux personnes en si- tuation de handicap sont appelées à créer des conditions-cadre adaptées. Le réseau CAA Suisse a établi une checklist des « critères de qualité relatifs à la CAA dans les organisations » pour épauler les responsables dans ce processus. Permalink: www.szh-csps.ch/z2019-02-02 Ausgangslage schiedener regionaler Netzwerke und diver- Kommunikation ist ein menschliches Grund- ser Gremien zu UK in der deutschsprachigen bedürfnis und beeinflusst die Lebensquali- Schweiz, hat sich über längere Zeit mit der tät. Jeder Mensch hat das Recht, Wege und Ausarbeitung zentraler Qualitätsmerkmale Mittel kennenzulernen, mit welchen er an- für eine organisationsinterne Implementie- deren die eigenen Bedürfnisse, Wünsche rung von UK beschäftigt. Es hat die Check- und Interessen so effektiv wie möglich mit- liste «Qualitätsmerkmale zu UK in Organi- teilen kann. In den letzten Jahren konnte sationen»1 für Leitungspersonen in Organi- beobachtet werden, dass sich immer mehr sationen der Behindertenhilfe erarbeitet, Organisationen der Behindertenhilfe die welche anhand verschiedener Qualitäts- Etablierung und strukturelle Verankerung merkmale eine Einschätzung des aktuellen von UK zum Ziel gesetzt haben. Noch kann Standes der UK-Implementierung innerhalb aber nicht davon ausgegangen werden, der Organisation ermöglicht. Das Instru- dass UK in der Arbeit mit Menschen mit ment ist als Ergänzung zu bestehenden Kommunikationsbeeinträchtigungen eine Qualitätssicherungssystemen gedacht und Selbstverständlichkeit ist. Nach wie vor soll neben dem Istzustand auch einen allfäl- bleiben viele Betroffene ohne angemessene ligen Entwicklungsbedarf im Bereich der UK Beratung, Förderung und Versorgung. Das UK-Netzwerk Schweiz (www.uk- 1 Die Checkliste kann unter www.buk.ch/downloads netzwerk.ch), ein Zusammenschluss ver- heruntergeladen werden. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
14 BEHINDERUNG UND SPRACHE aufzeigen. Die Qualitätsmerkmale basieren Verfügbarkeit grundlegender auf fundierten wissenschaftlichen Erkennt- Wissensinhalte zu UK (QM1) nissen und auf praxisbezogenen Erfah- Organisationen der Behindertenhilfe erheben rungen verschiedener Organisationen (Bau- den Bestand, die Ressourcen und den Bedarf nach et al., 2007; Lage, 2006; Sennhauser, zu UK. Sie legen ihre grundlegenden Wissens- 2009). inhalte und individuellen Wissensstandards Nebst den Grundsätzen der UK müssen in Bezug auf UK fest und stellen diese allen auch Elemente aus der Organisationsent- Mitarbeitenden zur Verfügung. Kontinuierli- wicklung in den Verankerungsprozess ein- che Weiterbildungsveranstaltungen ermögli- bezogen werden, da sich insbesondere Fak- chen es allen Mitarbeitenden, ein allgemei- toren des organisationalen Lernens, des nes UK-Wissen aufzubauen. Interne und ex- Wissens- und des Qualitätsmanagements terne Weiterbildungen zu verschiedenen UK- entscheidend auf eine nachhaltige UK-Im- Themen tragen dazu bei, das Fachwissen aller plementierung auswirken. Vor diesem Hin- Mitarbeitenden nachhaltig zu erweitern. Da- tergrund entstand die Checkliste, welche im neben soll einzelnen Mitarbeitenden der Zu- Folgenden vorgestellt wird. gang zu individueller UK-spezifischer Weiter- bildung ermöglicht werden, um sich dadurch Expertise anzueignen. Die Qualitätsmerkmale zeigen Mithilfe von Wissensmanagement wird Rahmenbedingungen auf, damit sich UK das individuelle (UK-)Fachwissen für die ge- wirkungsvoll in Organisationen samte Organisation nutzbar und zugänglich der Behindertenhilfe etablieren kann. gemacht. Dazu eignet sich beispielsweise das Modell von Probst, Raub und Romhardt (2012) mit den Bausteinen «Wissen identifi- Qualitätsmerkmale zu UK zieren, erwerben, entwickeln, verteilen, in Organisationen nutzen, bewahren, bewerten und Wis- Die nachfolgenden Qualitätsmerkmale sensziele definieren» (vgl. dazu auch Lage (QM1–7) zeigen auf, welche Rahmenbe- & Knobel Furrer, 2014). Um sich der eigenen dingungen berücksichtigt werden müssen, Ressourcen bewusst zu werden, kann in damit sich UK wirkungsvoll in Organisatio- Form einer Wissenslandkarte (Gerhards & nen der Behindertenhilfe etablieren kann. Trauner, 2010) eine Übersicht über das in Gleichzeitig kann anhand dieser Qualitäts- der Organisation vorhandene Wissen ge- merkmale überprüft werden, inwieweit UK schaffen werden. Zur erfolgreichen Bewäl- bereits in einer Organisation implemen- tigung aktueller sowie zukünftiger Aufga- tiert ist und welche Teilbereiche noch zu ben muss gleichzeitig aber auch immer wie- optimieren sind. Jede Organisation funk- der neues Wissen generiert werden. tioniert aufgrund ihrer Strukturen und Neue Mitarbeitende werden in regel- Prozesse anders und hat einen individuel- mässigen Abständen in die Thematik einge- len Bedarf. Deshalb sind die ausgearbei- führt, um die Möglichkeiten von UK ken- teten Inhalte der Qualitätsmerkmale als nenzulernen und über die organisationsin- Empfehlungen zu verstehen, die sich den ternen Vereinbarungen (Standards) infor- Bedingungen und Bedürfnissen anpassen miert zu werden. Die Mitarbeitenden lassen. müssen wissen, wo und bei wem sie sich in- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
BEHINDERUNG UND SPRACHE 15 formieren können. Weiter geht es auch da- aktualisiert. Vorgänge des Implementierens rum, dass sie sich Methoden und Strategien (nicht nur der UK) gehören immer in die Zu- aneignen, um das Theoriewissen in alltägli- ständigkeit des Managements (Lage & Stei- che Handlungskompetenzen integrieren zu ner, 2018): Leitungspersonen treffen Ent- können. Ausgangspunkt ist das spezifische scheidungen für das Anpassen bestehender Wissen (das Was) und das Know-how (das Strukturen, Abläufe und Konzepte und füh- Wie) im umfassenden Konzept der UK (Lage ren die Prozesse, deren Planung, Umset- & Knobel Furrer, 2014). zung und Überprüfung in der Organisation. Sie unterstützen UK, tragen sie mit und ver- Verankerung der UK treten sie intern sowie gegen aussen. in der Organisation (QM2) Wird in Organisationen der Behindertenhil- UK ist in die Strukturen, Prozesse fe eine nachhaltige Implementierung von UK und Konzepte der Organisation angestrebt, müssen entsprechende struktu- relle Rahmenbedingungen vorliegen und or- zu integrieren und muss Bestandteil ganisationale wie auch qualitätssichernde des Qualitätsmanagements sein. Massnahmen getroffen werden. UK ist in die Strukturen, Prozesse und Konzepte der Or- Finanzielle, zeitliche und personelle ganisation zu integrieren und muss Bestand- Ressourcen für UK (QM3) teil des Qualitätsmanagements sein: UK Die Organisationen der Behindertenhilfe ver- muss beispielsweise in Aufnahme- und fügen über zeitgemässe materielle Ressour- Standortgesprächen zu einer Selbstver- cen (z. B. UK-Materialien, Hilfsmittel, Fach- ständlichkeit werden sowie in verschiedens- literatur) oder ermöglichen den einfachen ten Dokumenten und (päd-)agogischen Kon- Zugang zu diesen. Ebenso sind finanzielle zepten (z. B. Leitbild, Rahmenkonzept, Ent- Ressourcen notwendig, welche eine langfris- wicklungsplanung) verankert sein. tige und flächendeckende Verankerung in Die Organisationen verfügen über ein der Organisation gewährleis-ten (z. B. Aus- entsprechendes Konzept oder einen Leitfa- und Weiterbildung, Fachberatung). den zu UK. Dort sind wichtige Grundlagen Die Organisationen stellen in angemes- des Fachbereichs sowie organisationsinter- senem Umfang Arbeitszeit für UK zur Verfü- ne Vereinbarungen (Standards) festgehal- gung. Die Arbeit mit UK braucht Zeit und ten, die für alle Mitarbeitenden verbindlich benötigt klar definierte Zeitgefässe für den sind. Sie sollen als Instrument zur Umset- interdisziplinären Austausch, für Praxisrefle- zung im Alltag dienen und damit zu einem xionen sowie zur Methoden- und Material- Stück gelebter Kultur in der Praxis werden. entwicklung. Fixe Traktanden in Sitzungs- Die Entwicklung gemeinsamer Vereinba- und Austauschgefässen sind nötig, damit rungen schafft Klarheit, Kontinuität und Si- UK aktuell gehalten werden kann. cherheit. Die angewandten UK-Mittel und Da es letztlich nicht nur um Strukturen Methoden werden koordiniert und eine ei- und Prozesse, sondern vor allem auch um gene, organisationsinterne «alternative Inhalte geht, sind personelle Ressourcen Kommunikationskultur» wird festgelegt. nötig, um in jeder Organisation qualifizier- Die Umsetzung und Verankerung der te Fachpersonen mit vertieften UK-Kennt- UK wird zudem regelmässig überprüft und nissen zur Verfügung zu haben. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
16 BEHINDERUNG UND SPRACHE Qualifizierte UK-Fachpersonen (QM4) über alle Lebensphasen laufende Diagnos- In Organisationen der Behindertenhilfe tik, Planung, Durchführung und Überprü- werden einzelne Mitarbeitende zu UK-Fach- fung der UK-Massnahmen verstanden. Le- personen aus- oder weitergebildet. Diese benslanges Lernen bedingt ein Erweitern wirken als Multiplikatoren und vervielfa- der kommunikativen Fähigkeiten, wofür chen das erworbene Wissen innerhalb der erst einmal die Kommunikationsbeeinträch- Organisation. Qualifizierte UK-Fachperso- tigungen in ihrer Komplexität gezielt erfasst nen verfügen über umfassende Kenntnisse werden müssen. Anhand von Handlungs- und Erfahrungen im sich ständig weiterent- modellen wie beispielsweise dem «koope- wickelnden Fachgebiet der UK, kennen des- rativen Partizipationsmodell» (Lage & Kno- sen theoretische Bezugssysteme und kön- bel Furrer, 2017) orientieren sich die UK- nen Handlungsmodelle in UK anwenden Massnahmen am Alltag, werden individuell (Lage, 2006). Zudem sind sie für die Erstel- analysiert, geplant und regelmässig über- lung des UK-Konzepts verantwortlich und prüft. UK-Interventionen werden aufgrund kümmern sich anschliessend um die Erhal- des ermittelten Handlungsbedarfs systema- tung und Verbreitung des UK-Wissens in der tisch und theoriegeleitet eingeführt, umge- Organisation. Ihre Positionierung innerhalb setzt und weiterentwickelt. des Organigramms sowie ein schriftlicher Die Kontinuität der kommunikations- Stellen- und Aufgabenbeschrieb regeln die unterstützenden Massnahmen ist über alle Zuständigkeitsbereiche, definieren Aufga- Altersstufen und auch bei Übergängen oder ben und verteilen Verantwortlichkeit sowie bei Wechseln von Bezugspersonen gewähr- Entscheidungskompetenz. leistet. UK-relevante Informationen werden bei Übertrittsgesprächen weitergegeben, damit für Menschen mit Kommunikations- Ausgebildete UK-Fachpersonen wirken als beeinträchtigungen das Kommunizieren Multiplikatoren und vervielfachen das er- weiterhin gesichert bleibt. Hierbei hat sich worbene Wissen innerhalb der Organisation. die Dokumentation der UK-Massnahmen in einem Dossier sehr bewährt. Darin wird UK-qualifizierte und professionalisierte festgehalten, über welche Kompetenzen die Fachpersonen bilden sich laufend weiter betroffene Person verfügt, mit welchen und sind (über-)regional vernetzt. Sie koor- Mitteln sie kommuniziert, welche Ziele an- dinieren, implementieren und etablieren die gestrebt werden und welche Massnahmen UK in der Organisation. Sie bieten Beratung bereits getroffen wurden. Entsprechende und Unterstützung an, koordinieren die Dokumentationsvorlagen2 sind von den UK- Massnahmen und sind Anlaufstelle für spe- Netzwerken erstellt worden. zifische Fragen und Anliegen der Mitarbei- Der Kooperation mit den Bezugsperso- tenden, der Mitglieder des sozialen Netz- nen, dem sozialen Umfeld und der UK-Per- werks und der Betroffenen selbst. son selbst kommt im Rahmen der Kommu- nikationsförderung eine erhebliche Bedeu- UK als Bestandteil der individuellen tung zu. Die Kompetenzen der Bezugsper- Entwicklungsplanung (QM5) Entwicklungsorientierung wird im Zusam- 2 siehe z. B. «Kommunikationspass» im Download- menhang mit UK als ständig begleitende, bereich von www.buk.ch Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
BEHINDERUNG UND SPRACHE 17 sonen tragen entscheidend dazu bei, ob nem zentralen Mittel, den Weg in Richtung eine unterstützende Massnahme erfolg- vermehrter Selbstbestimmung und Empow- reich ist. Das soziale Umfeld ist massgeblich erment für Menschen mit Beeinträchtigun- dafür verantwortlich, die alternativen For- gen und Behinderungen zu ebnen. UK er- men der UK zu lernen sowie UK zu lehren möglicht es, Verstehens- und Verständi- und vorzuleben (Modelling), um so gemein- gungsprozesse kooperativer und partizipati- sam eine UK-Kultur in den Lebenswelten zu ver zu gestalten, indem die betroffenen entwickeln (Lage & Knobel Furrer, 2014). Personen mitbestimmen und eine Stimme erhalten. Einbezug betroffener UK-Nutzerin- nen und -Nutzer (QM6) Beim UK-Versorgungsprozess wird Bezogen auf die Lebenslaufplanung sowie eine grösstmögliche Mitbestimmung die unterschiedlichen Mittel und Wege der UK werden personelle und materielle Unter- der Betroffenen angestrebt. stützungsmassnahmen der betreffenden Person in den einzelnen Sozialisations- und Weiterführung von UK während Lebensphasen und den damit verbundenen der gesamten Lebenszeit (QM7) Lebensbereichen gemeinsam geplant. Es Die individuelle Versorgung mit UK muss werden, wenn immer möglich, die Teilhabe über die gesamte Lebenszeit hinweg gesi- der Betroffenen am UK-Versorgungsprozess chert sein, damit die erworbenen kommuni- und eine grösstmögliche Mitbestimmung kativen Fähigkeiten beibehalten und stets angestrebt. Die unterschiedlichen Kommu- weiterentwickelt werden können. Allen nikationsbedürfnisse der Person, aber auch Menschen mit Kommunikationsbeeinträch- Erwartungen und Anforderungen an ihre tigungen soll das Erlernen, Anwenden und kommunikativen Kompetenzen im sozialen Erweitern ihrer kommunikativen Fähigkei- Umfeld müssen lebenslang berücksichtigt ten ermöglicht werden. Dazu müssen ihnen werden (Lage, 2006). Dafür soll auch das lebenslang all diejenigen Formen, Mittel Vokabular auf den individuellen Hilfsmitteln und Zeichensysteme zur Verfügung stehen, laufend den Bedürfnissen der UK-Nutzerin- die sie benötigen und lernen können, um nen und Nutzer angepasst werden. kompetent teilhaben zu können (Lage & Im Kontext der UK bedeuten Autono- Knobel Furrer, 2014). mie und Empowerment, dass den Menschen Menschen mit Kommunikationsbeein- mit eingeschränkten Kommunikationsmög- trächtigungen benötigen ein multimodales lichkeiten echte Entscheidungs- und Mitbe- Kommunikationssystem, das auf ihre indivi- stimmungsmöglichkeiten eröffnet, Strategi- duellen Bedürfnisse und Ressourcen abge- en der persönlichen Entscheidungsfindung stimmt ist. Bei der Auswahl werden insbe- vermittelt und dadurch echte Kommunikati- sondere auch motorische Fertigkeiten und onsmöglichkeiten angeboten werden. Auch kognitive Fähigkeiten einbezogen. Zu be- unterstützt kommunizierende Menschen achten ist, dass den unterstützt kommuni- haben eigene Motive und Bedürfnisse, sol- zierenden Menschen in Gesprächssituatio- len individuelle Ziele setzen und diese selbst nen ausreichend Zeit eingeräumt wird. UK planen, durchführen und vor allem mitteilen wird im Alltag der Betroffenen so geplant, können. UK wird in diesem Kontext zu ei- gestaltet und umgesetzt, dass sie gemäss Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 25, 2 / 2019
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