Ökologie und Anarchie - Positionen für das Überleben der Menschheit Band 2: Historische Texte - Gustav Landauer Initiative
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Ökologie und Anarchie Positionen für das Überleben der Menschheit Band 2: Historische Texte Gustav Landauer Initiative
Impressum 1. Auflage Januar 2021 Gustav Landauer Initiative (Berlin) https://gustavlandauer.org Nachdruck mit Quellenangabe erbeten. Abbildungen, sofern nicht anders angegeben, stammen aus dem Archiv der Initiative. Titelbild: Ruinen des ehemaligen Torfstecherhofs Grünhorst.
Inhalt Einführung 4 Cordelia, Grundsätzliches über den radikaler Naturschutz und die Robienschen Naturwarten (1923) 8 Paul Robien, Arbeitsfreude (1921) 13 Rolf Cantzen, Gustav Landauer und Peter Kropotkin (1987) 35 John Clark, Elisée Reclus - Die Menschheit, die Natur und das anarchistische Idea (2004) 47 Elisée Reclus, Die große Familie (1896/1914) 58 Zum Weiterlesen 65 3
Einführung Im zweiten Teils des Readers über An‐ Anarchist*innen darauf, zur Selbstor‐ archismus und Ökologie werden Bei‐ ganisation aufzurufen und politische träge von und über Vorläufer der heu‐ und soziale Missstände anzuprangern. tigen Ökologiebewegung zugänglich Besondere Schwerpunkte bildeten gemacht, die es verdienen, eingehen‐ stets die Kritik an religiöser Bevor‐ der betrachtet zu werden. Sie zeigen mundung, an unterschiedlichen For‐ deutlich auf, dass die enge Verbindung men von Ausbeutung, an kapitalisti‐ der libertären Bewegung zu Fragen schen Strukturen sowie der repres- des Umwelt- und Naturschutzes sich siven staatlichen Ordnung. aus der Frage nach einem dem Men‐ schen gemäßen Leben sachlogisch er‐ Um den Herrschaftssystemen ihrer gibt und nicht unbeantwortet bleiben Zeit Alternativen entgegenzustellen, kann. studierten die beiden – zu ihrer Zeit allgemein hochgeschätzten – Geogra‐ Michael Bakunin (1814-1876) formu‐ phen Elisée Reclus (1830-1905) und lierte ab 1864 in seinen verschiedenen Peter Kropotkin (1842-1921) das Le‐ Programmentwürfen die Kernsätze des anarchistischen Denkens: Statt staatli‐ cher Institutionen soll eine neue Ge‐ sellschaft entstehen, die sich von un‐ ten aufbaut, aus der lebendigen Selbstorganisation der Bevölkerung. Die Verwaltung soll durch Delegier‐ ten-Komitees erfolgen, unabhängige Gemeinden und Kreise gebildet wer‐ den. Föderale Strukturen sollen nicht die Beteiligung an bestehenden Herr‐ schaftsverhältnissen sichern, sondern generell Herrschaftsbeziehungen durch freiwillige und solidarische Bünde überwinden. Die Herrschaft des Men‐ schen über den Menschen soll so auf allen Ebenen ein Ende finden. Ausge‐ Elisée Reclus (1830-1905) hend von diesen Grundsätzen bezog Quelle: http://dadaweb.de/wiki/ sich die politische Tätigkeit der frühen Datei:Reclus_Elisée.png 4
ben indigener Bevölkerungen und de‐ grat einer erfolgreichen Ökonomie bil‐ ren naturräumliche und biologische det und mehr Spielraum für Flexibili‐ Voraussetzungen. Von diesen Beob‐ tät, Kreativität und Individualität der achtungen ausgehend, lieferten sie Beschäftigten ermöglichen kann. Gu‐ auch heute noch relevante Beiträge für stav Landauer (1870-1919) trat für die die gegenwärtigen Debatten. Für Re‐ Gründung autonomer Gehöfte und clus war ein wertschätzendes Verhält‐ Siedlungen ein, um neue Lebens- und nis des Menschen zu seiner Umwelt Produktionsmethoden zu erproben und und den mitlebenden Tieren ebenso ei‐ einen solidarischen Umgang unterein‐ ne unabdingbare Voraussetzung für ei‐ ander einzuüben, der auf freiwillige ne freie Gesellschaft, wie der völlige Übereinkommen statt auf Zwang und Abbau ideologisch bedingter Un‐ Hierarchien beruht. Für ihn war je‐ gleichheitsvorstellungen im Umgang doch der waltende „Geist“ der Betei‐ der Menschen untereinander. Kropot‐ ligten unabdingbare Voraussetzung, kin ergänzte die – auch heute noch – d. h. es gilt eine notwendige – die Be‐ meist einseitig als Erfolg des Stärke‐ teiligten verbindende – gemeinsame ren gedeutete Evolutionstheorie Dar‐ ideelle Grundlage zu schaffen, die in wins mit seiner Lehre von der gegen‐ Diskussionen und Diskursen auf seitigen Hilfe. Mit seinen umfang- gleichberechtigter Basis erarbeitet reichen statistischen Erhebungen werden muss, bevor es zur Verwirkli‐ konnte er nachweisen, dass die Pro‐ chung kommen kann. duktion von Gütern in kleinen und mittelständischen Betrieben das Rück‐ Diese Ansätze beruhen durchweg auf der Ablehnung kapitalistischer Wirt‐ schaftsformen, die sowohl die menschliche Arbeitskraft, als auch die natürlichen Ressourcen als vernutzba‐ re Kostenfaktoren betrachten, aus de‐ nen es höchstmögliche Gewinne zu erzielen gilt. Aus dieser Perspektive sind auch heute noch sämtlich Ansät‐ ze eines irgendwie gearteten „Green Deals“ zum Scheitern verurteilt, denn sie tasten die ungerechte Verteilung der Verfügungsrechte und des gesell‐ schaftlichen Reichtums nicht an, son‐ dern garantieren die Gewinne der Ka‐ pitalseite und zementieren ihre Herrschaft über die menschliche Ar‐ Peter Kropotkin (1842-1921) beitskraft und die natürlichen Res‐ Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/ sourcen zugleich. File:Kropotkin_Nadar.jpg 5
Zu den originellen Beiträgen, um tat‐ In seinen zahlreichen Artikeln im kräftigen Naturschutz mit selbstbe‐ „Freien Arbeiter“ nahm Robien zwi‐ stimmten, solidarischen Lebensver‐ schen 1920 und 1925 Stellung gegen hältnissen zu verbinden, gehört die die Folgen ungehemmten Profitstre‐ konkrete Utopie der Naturschutzwar‐ bens und unkritischen Fortschritts‐ ten von Paul Robien (Pseudonym von wahns, gegen die Verschmutzung der Paul Ruthke, 1882-1945), die er in Meere sowie aufkommende Utopien seiner Broschüre „Arbeitsfreude“ der Kernkraftnutzung. So hellsichtig 1921 veröffentlichte. Robien war zu‐ und seiner Zeit weit voraus seine ori‐ dem Initiator einer der ersten deut‐ ginellen Beiträge auch heute noch an‐ schen Naturschutzkongresse am Neu‐ muten, so bestürzend wirkte sich die jahrs- und Folgetag 1922 im Berliner von ihm durch seinen Artikel „Der jü‐ Gewerkschaftshaus am Engelufer, auf dische Nimbus“ in Nr. 35 des „Freien dem er seine Idee der Naturschutzwar‐ Arbeiters“ vom Ende August 1925 ten vorstellte, aber nur wenig Reso‐ ausgelöste Antisemitismuskontrover‐ nanz fand. Es gelang ihm und wenigen se aus. Robien äußerte Vorurteile, wie Unterstützer*innen unter erheblichen sie die aufkommende NSDAP vertrat persönlichen Entbehrungen die Natur‐ und in der Bevökerung weit verbreitet schutzwarte „Mönne“ bei Stettin auf‐ wurden. In der sich anschließenden zubauen und hier eine bis heute bei‐ Kontroverse stellte sich auch die Re‐ spiellose praktische Naturschutz-, daktion des „Freien Arbeiters“ unter Bildungs- und Forschungstätigkeit zu Rudolf Oestreich auf die Seite Ro‐ betreiben, die erst 1945 durch seinen biens. Allerdings erntete Robien hefti‐ gewaltsamen Tod ein Ende fand.1 gen Gegenwind. Die meisten beteilig‐ Die Naturschutzwarte „Mönne“ im Jahre 1926. Quelle: Paul Robien, Unter gefiederten Freunden, Stettin 1926, S. 52. 6
ten Autoren sprachen sich gegen seine beschimpft und damit entmenschlicht. antisemitischen Äußerungen aus, dar‐ Die Unterdrückung der libertären Be‐ unter Berthold Cahn und Rudolf Ro‐ wegung durch die Nationalsozia‐ cker, der deshalb konsequent mit der list*innen ab 1933 verzögerte indes „Föderation kommunistischer Anar‐ die notwendigen Diskussionen über chisten“ brach. In der Folgezeit publi‐ die Veränderung der sozialen Realitä‐ zierte Robien kaum noch im „Freien ten und der eigenen blinden Flecken. Arbeiter“ und es finden sich auch kei‐ ne weiteren antisemitischen Stellung‐ Erst seit den achtziger Jahren des 20. nahmen. Robien soll später geflüchte‐ Jahrhunderts lässt sich in Deutschland te Juden auf „Mönne“ versteckt haben, wieder von einer libertären Bewegung was sich aber nicht faktensicher bele‐ sprechen, die Freiheit und Selbstbe‐ gen lässt. stimmung in das Zentrum ihrer politi‐ schen Aktivitäten rückt. Nun gilt es, Dennoch zeigt die Antisemitismus‐ sich den historischen Erfahrungen kri‐ kontroverse, dass die anarchistische tisch zu stellen und zugleich die noch Bewegung imstande war, derartige – verbleibende Zeit zu nutzen, um die weit verbreitete – Vorurteile zu thema‐ drohende ökologische Katastrophe ab‐ tisieren und zu diskutieren. Ken‐ zuwenden. Doch dies kann nur gelin‐ ner*innen der Arbeiter*innenbewe‐ gen, wenn auch die Grundlagen für gung jener Zeit weisen darauf hin, hierarchiefreies, vorurteilsloses und dass sich andere Strömungen zwar mit solidarisches Zusammenleben der der NSDAP als politischem Gegner Menschen untereinander geschaffen auseinandersetzten und in diesem Zu‐ werden, schließlich zerstört rück‐ sammenhang den Antisemitismus be‐ sichtsloses Konsumverhalten und Pro‐ kämpften, es aber kaum zu einer in‐ fitstreben nicht nur die natürlichen haltlichen Auseinandersetzung über Grundlagen des Planeten, sondern Ursachen und soziale Hintergründe verwüstet auch den sozialen Zusam‐ kam. An diesem Beispiel lässt sich er‐ menhalt. Die ökologische Perspektive kennen, dass die konsequente Durch‐ für den Erhalt der Erde ist nur mit dem setzung des Gleichheitsgedankens und Projekt einer sozialen Utopie erfolg‐ der Hierarchiefreiheit in der anarchis‐ versprechend. tischen Bewegung jener Tage erst noch zu erkämpfen war. In Robiens Anmerkung Broschüre „Arbeitsfreude“ spielen auch die später ankommenden Frauen 1 Der 1998 erschienene Sammelband über Paul nur eine untergeordnete Rolle, ihnen Robien blendete die Antisemitismuskontroverse wird verwehrt, die Lebensverhältnisse und ihre Bedeutung weitgehend aus: Ornithologi‐ von Anfang an gleichberechtigt mitzu‐ sche Arbeitsgemeinschaft Mecklenburg-Vorpom‐ gestalten und sie bleiben auf traditio‐ mern e. V. (Hrsg.), Paul Robien (1882-1945), ein nellen Rollenbilder beschränkt. Politi‐ pommerscher Naturschützer und Ornithologe, sche Gegner werden als „Parasiten“ Friedland 1998. 7
Cordelia Grundsätzliches über den radikaler Naturschutz und die Robienschen Naturwarten aus: „Der Freie Arbeiter“ Nr. 8, S. 2, 3 und Nr. 9/1923, S. 3. ... Dass der Staat, der wohl die Macht Mittelbar und unmittelbar, für den und die Mittel hätte, ein großzügiges oberflächlichen Beschauer kaum Naturschutzprogramm in die Tat um‐ sichtbar, und in schamloser Offenheit zusetzen, für alles andere als ideale arbeiten die Ursachen am Verfall uns‐ Werte Sinn hat, braucht wohl nicht res Planeten, ständig erregt vom Men‐ weiter ausgeführt zu werden. – So schen und seinem Verbündeten: der kann es uns nicht wundern, dass es bis Zivilisation. – In sträflicher Gedan‐ auf Teilerfolge nicht gelungen ist, den kenlosigkeit oder auch mit zynischer Untergang unwiederbringlich in Bewusstheit sieht der Mensch tagtäg‐ Nichts hinübergehender Naturformen lich zu, wie die Auswirkungen seiner aufzuhalten. Kultureinrichtungen die Natur schädi‐ gen. Die Gase und Abwässer der Die Anhänger des radikalen Natur‐ Großindustrie, der Großstädte vergif‐ schutzes, als dessen Begründer Paul ten die Luft, die Gewässer und veran‐ Robien zu bezeichnen ist, nehmen sich lassen dadurch das Absterben der die Freiheit, rücksichtslos und konse‐ Wälder, die Abnahme der Vegetation, quent bis zum äußersten den ganzen das Sterben der Fische. Melioration Umfang der Naturverwüstung darzu‐ und Urbarmachung der Sümpfe – der stellen, – wobei der Mensch als Art letzten Zufluchtstätten ursprünglichen unter Arten zum ersten Male in die‐ Lebens – ständige Zunahme des Lei‐ sem Zusammenhang berücksichtigt tungs- und Schienennetzes entziehen wird – ihren wahren Ursachen aufzu‐ ganzen Tier- und Pflanzengattungen decken und danach neue Ziele und die Lebensbedingungen, zwingen sie Wege einzustellen. – Für den wahrhaf‐ zum Abwandern und Aussterben, zer‐ ten Naturschützer gibt es keine Rück‐ stören frevlerisch geologische Urfor‐ sichten an persönliche Bindungen zu men. Und anstatt die Kräfte der er‐ Staat und Gesellschaft. Aufopferung schöpften Muttererde mit den persönlichen Wohllebens, der Sicher‐ natürlichen Stoffen, die nun als ekler heit der Existenz bedeutet ihm nichts Abgang die Flüsse trüben, aufzufüllen, im Gegensatz zum Schmerz um das peitscht man sie mit ätzenden chemi‐ Erlöschen herrlicher Lebensformen schen Verbindungen auf. Der Groß‐ oder der Möglichkeit des Versuchs, grundbesitz mit seiner auf Quantität dem allgemeinen Niedergang Einhalt eingestellten Extensivwirtschaft, die zu tun. Industrie entziehen den besten Kräften des Volkes den Nährboden, um sie in den Großstädten verenden zu lassen. 8
Und alle diese Frevel, aus Geldgier Übermut den Prozess kosmischen Ge‐ und Machtsucht geboren, geschehen schehens gehemmt: er hat seinen von unter dem Titel: zum Wohle der materieller Gier Eigenwillen zum Menschheit, zum Besten des Volkes, maßgebenden Faktor der Erde ge‐ zur Sicherstellung der Volksernährung. macht, mit einem Wort: Er hat das Wer glaubt noch an diese Märchen? harmonische Spiel der Kräfte, das Doppelt aber trifft jene der Fluch, die Gleichgewicht in der Natur gestört. offen und frech die Hand anlegen, um – Doch die Natur nimmt diesen bruta‐ unmittelbar der Natur ihre Kräfte zu len Eingriff in das Gesetz des Lebens entreißen, nur um ihre Sattheit damit nicht ungestraft hin. Schon spüren wir zu behändigen und zu unterhalten – allenthalben seine verheerenden Wir‐ um ihre Machtlust zu fröhnen. Feder- kungen (Verkarstung einst fruchtbarer und Pelzmode, die Sammelwut gewis‐ Länder, Missernten, Hungersnöte, ser ruhmsüchtiger Forscher, nicht zu‐ Seuchen, Zunahme von Schädlingen, letzt der Museen, das Fällen der Wäl‐ allgemeine Degeneration des Kultur‐ der – dieser Lebensspender! – zur menschen, die in der Überproduktion Herstellung von Lügenpapier, vor al‐ meist minderwertiger Geister und Lei‐ lem der Lustmord an edelsten Ge‐ ber, in Hospitälern und Irrenanstalten schöpfen, tagtäglich durch eine an ihren augenscheinlichen Ausdruck fin‐ Millionen zählender Jägerarmee (in det). Welche furchtbaren Katastrophen Deutschland eine Million, in Amerika mögen sich erst im geheimen vorbe‐ fünf Millionen); und – dies bedeutet reiten? Werden Berge über uns fallen, den Gipfel des Zerstörungswahns und Hügel uns decken? Wird das Meer der Entartung! – die Ausrottung, De‐ rauschend über den verödeten Festlän‐ zemierung, absichtliche Versklavung dern und entarteten Menschheit zu‐ von Volksgenossen durch Volksgenos‐ sammenschlagen? Wir wissen es sen, die Entrechtung ganzer Bevölke‐ nicht! Wir wissen nur, dass der rungsschichten und die bewusste Mensch sich in rasender Eile sich dem Selbstschändung des Kulturmenschen Abgrund nähert und auf seinem Stur‐ durch Stimulanzen verwerflichster na‐ ze alles mit sich reißt. türlicher Art: dies ist das Merkzeichen der Zivilisation. Was kann aber das Verhängnis aufhal‐ ten? Nichts, als dass wir versuchen, Ziehen wir die Summe dieser Betrach‐ das gestörte Gleichgewicht der Natur tungen, so kommen wir zu dem Er‐ wiederherzustellen! Darum formuliert gebnis: Der Mensch hat in seinem sich das erste und vornehmste Ziel des Zerstörungswahn, seinem Machtkol‐ radikalen Naturschutzes, das alle an‐ ler die Natur in sich und in allen Krea‐ deren wie konzentrische Kreise einbe‐ turen geschändet, ihre Gesetze durch‐ greift, also: Wiederherstellung des brochen, er hat aus der Kette der gestörten Gleichgewichts in der Na‐ Daseinsformen naturnotwendige Glie‐ tur. der gerissen; er hat in frevlerischem 9
Dies ist der erste und wichtigste Weg Fällen zur Einsicht, dass es sich hätte zum Ziel: Anerkennung des natürli‐ vermeiden lassen einzig allein schon chen Lebensgesetzes und Unterwer‐ darum, weil das Raubgut nicht dazu fung aller menschlichen Handlungen dient, eine Blöße zu decken, einen und Unternehmungen unter dassel‐ Mangel zu stillen, sondern als Luxus, be. Das heißt: Jede Lebensform, mag als Tand, als Spekulationsobjekt über sie sich darstellen in geologischen den Markt getrieben wird und nur von Formationen, Stein, Pflanze, Tier oder denen zu erkaufen ist, die an sich Mensch, ist daseinsberechtigt. Wir fre‐ schon in keiner Weise Not leiden und veln gegen dieses Gesetz, wenn wir die auf die urteilslose Masse nur eine ohne wirkliche Notwendigkeit ihre zur Nachahmung aufreizende Wirkung Existenz auslöschen oder ihnen durch ausüben, die wiederum weitere ver‐ Entziehung der vollen Lebensbedin‐ derbliche Kreise zieht. Warum gungen das Dasein verkürzten und schmückt man sich mit Federn edels‐ verschandeln. – Wir wissen, und das ter Vögel? Warum wärmt man sich mit wird bestehen bleiben, dass das Leben den Pelzen seltener und aussterbender nicht kampflos ist, täglich neu errun‐ Tierarten? Tun Wolle und Fell ge‐ gen werden muss. Wo aber in der Na‐ schlachteter Haustiere, Gewebe aus tur, wird der „Kampf ums Dasein“ mit Gespinstfasern nicht dasselbe? Warum so viel List, Tücke, Lüge und Gewalt setzt man Brotfrucht, nährendes Obst geführt, wie beim Menschen? Ist es u. a. in gesundheitsschädliche Genuss‐ nicht vielmehr ein Kampf um Besitz, mittel um, indes tausende Hungers um Macht, der mit der Stillung wirk‐ sterben? Warum schießt und verzehrt licher Lebensbedürfnisse gar nichts zu man die letzte Reste eines schrump‐ tun hat? Es muss wohl an der vollstän‐ fenden Wildbestandes, die für die digen Verkennung der Naturgesetze Volksernährung überhaupt nicht ins gelegen haben, dass es dem Men‐ Gewicht fallen? schen, trotz der ungeheuren Arbeit, die [...] Denker und Künstler, Apostel und Es würde zu weit führen, die Unnötig‐ Heilande seit Jahrhunderten leisteten, keit, ja Schädlichkeit des weitaus bis heute nicht das gelungen ist: den größten Teiles unsres heutigen indus‐ zweckwidrigen, sinnlosen Kampf al‐ triellen Unternehmungen darzustellen. ler gegen alle auf die einfache Form Man erinnere sich nur an die Waf‐ des wirklichen Kampfes „ums Dasein“ fen-, Munitions-, Luxus-, Genussmit‐ zu reduzieren, noch ganz zu schwei‐ telfabrikation, die Bleibergwerke, der gen von der bewussten Ausübung je‐ Diamantgruben, der physischen wie nes höheren Egoismus: der gegen- moralischen Wirkungen ihrer Erzeug‐ seitigen Hilfe, die wohl erst der Zu‐ nisse auf die Menschheit, nicht zuletzt kunft vorbehalten sein ist. – Betrach‐ der furchtbaren Tatsache, dass wissen ten wir den oben geschilderten Raub- und sehenden Auges, der Mensch den bau der Zivilisation an der Natur nä‐ Menschen in diesen Betrieben seinem her, so kommen wir in den meisten Golddurst, seiner Machtgier opfert. 10
– Der natürlich denkende Mensch Artgenossen, ihre Leiber zerfetzen kann zwischen diesen Tatsachen und lassen, brauchen nicht mehr bei ent‐ dem Kampf ums Dasein unmöglich nervender Danaidenarbeit in Farbrik‐ einen Zusammenhang finden! hölen, in dumpfen Stuben ihr Leben dahin zu quälen, ohne Fühlung mit Kehren wir zurück zum Leitsatz: An‐ den Naturkräften. Frei steht der erkennung des natürlichen Lebensge‐ Mensch auf freier Scholle; die einför‐ setzes und Unterwerfung aller mige, lebensarme Kulturfläche ist ge‐ menschlichen Handlungen und Unter‐ wichen; Garten reiht sich an Garten, nehmungen unter dasselbe. – Versu‐ von dichten beerenreichen Hecken chen wir ernstlich, ihn in die Praxis umgeben, den natürlichen Nistplätzen umzusetzen, so kommen wir von sel‐ vieler Singvögel. Was sonst einigen ber von der heutigen sinnlosen und wenigen übermäßig anstrengende, auf komplizierten Konjunktur- und Aus‐ Verdienst eingestellte Berufsarbeit beutungswirtschaft … zur einfachen war, ist nun allen gleichsam, vom und natürlichen Form der Bedarfswirt‐ Kinde bis zum Greise, Lebensnotwen‐ schaft. Der wahrhaftige und natürliche digkeit, Quelle der Kraft und innigste Mensch wird der Natur nicht mehr Freude: der Gartenbau. Eine neue, lie‐ Kräfte entziehen, als er wirklich deren bevolle Wissenschaft sammelt spar‐ bedarf, er wird den Kreislauf der na‐ sam alle natürlichen Abfallstoffe, um türlichen Energien nur umschalten, sie als Erde der Erde wiederzugeben. seine unentbehrlichsten Maschinen in Auf mehrere hundert Quadratmeter ihn einschalten; er wird aber wie vor gedeiht der Jahresunterhalt einer gan‐ einem Frevel davor zurückschrecken, zen Familie. Nicht Sümpfe und Wäl‐ ihn jemals zu unterbrechen, seine der brauchen geopfert werden. Die Kräfte sinnlos zu vergeuden. Lieber Kopfzahl der Menschen, die durch ein wird er auf Errungenschaften moder‐ natürliches, von Kulturgiften freies ner Technik und Wissenschaft verzich‐ Leben sich mehr und mehr den Natur‐ ten, als irgend eine natürliche Lebens‐ gesetzen wieder angleicht, schwankt form, ganz gleich welcher Art, nur um ein geringes. Der Mensch ist dadurch zu schädigen. Dadurch wer‐ wieder Art unter Arten. Und dies ist den Technik und Chemie – beide bis‐ die Basis, die erst zu erreichen ist, ehe her im Dienste der Ausbeutung und der Aufbau einer neuen, einer wahr‐ Zerstörung – eine völlig neue Einstel‐ haften Kultur beginnen mag, wo der lung erfahren und vor bisher ungeahn‐ Mensch im harmonischen Spiel der ten Zielen stehen. Kräfte alle Fähigkeiten entwickeln […] kann, als Bebauer seiner Scholle, als Verschwunden ist die aufpeitschende Förderer gemeinnütziger Technik und Helligkeit der Nächte, sind die ohren‐ Wissenschaft, als Pfleger der Kunst, zerreißenden Kulturgeräusche, Men‐ stets aber in Unterordnung unter das schen brauchen nicht mehr in sinnlo‐ Lebensgesetz. Und wo er, der zwin‐ sem Kampf gegen Brüder, gegen genden Lebenswirklichkeit gehor‐ 11
chend, sich dem Lauf natürlichen Ge‐ Wärter kein Gehalt beziehen, sondern schehens entgegenstellt, wird er scho‐ ihren Unterhalt durch ihre Hände Ar‐ nend, nach sorgfältiger Prüfung zu beit einem Stückchen Gartenland ab‐ Werke zu gehen. Die Natur aber – sich gewinnen und die Warten weder durch selber … zurückgegeben, wird ihn Kauf und Pacht erworben, sondern letzten Endes dieser Verantwortung vom Staat als Volkseigentum – als ers‐ ganz überheben; Gewicht und Gegen‐ te Etappe sozusagen auf dem Wege gewicht, stets schwankend wie das der Wiederherstellung des natürlichen Zünglein an der Wage, regulieren sich Rechtszustands, der in der Rückgabe selber: Das Gleichgewicht, die Har‐ des Grund und Bodens an das Volk monie ist wieder hergestellt. gipfelt – zur Verfügung gestellt wer‐ […] den sollen. Wir, die wir uns der Verantwortung für [….] die Zukunft bewusst sind, können Vielleicht werden dereinst die Natur‐ nicht warten, bis durch geistige Propa‐ warten die erste und einzige gemein‐ ganda die gesamte Menschheit von der same Basis sein, auf der sich – nach‐ Notwendigkeit des radikalen Natur‐ dem Kunst, Wissenschaft, Religion schutzes überzeugt ist. Unterdessen versagten – die Völker die Hand zum wird – zum mindesten in Europa – der Frieden reichen, sich dem einfachen letzte Rest natürlichen Lebens ver‐ Vernunftgrunde beugend, das das schwunden sein. Darum ist es nötig, Prinzip aller Entwicklung, alles Auf‐ schon heute zu einer Tat zu schreiten, strebens auch in der Natur nicht nur die sich innerhalb dieser Zeitzustände der Kampf, sondern der Zusam‐ verwirklichen lässt … und das ist der menschluss zu gegenseitiger Hilfe von Paul Robien geschaffene Plan der ist. Nicht mehr „Mensch und Natur“ Naturwarten, der in der Naturwarte in trennender Gegenüberstellung, son‐ Mönne bei Stettin im Mai 1922 be‐ dern „der Mensch mit der Natur“ geis‐ reits eine erste Verwirklichung fand. tig, seelisch, physisch verwoben. Die Naturwarten ähneln den Natur‐ schutzgebieten insofern, als auch sie Über die Verfasserin des Artikels ist rettende Inseln inmitten des Ausbeu‐ leider nichts bekannt. tertums und Nivellierung wissen‐ schaftliche Beobachtungsstationen sein sollen. Sie unterscheiden sich je‐ doch merklich von ihnen dadurch, dass der Leiter jeder Warte selbst Wis‐ senschaftler sein muss, und von eini‐ gen Schülern umgeben ist, die er zur gleichen Aufgabe heran bildet; ferner dadurch, dass das kapitalistische Sys‐ tem insofern ausgeschaltet ist, als die 12
Paul Robien Arbeitsfreude Der Text erschien 1921 als Broschüre im Verlag Rudolf Cerny in Wien. I. zumutet. Man lasse sie wählen – und sie werden immer noch irgendwie ein „Ja, wenn die Menschheit nicht so faul Mitglied der sozialen Klasse werden. wäre!“ schimpfte er die Faust ballend. Einige haben verborgene Eigenschaf‐ Er, der feudale Oberstleutnant, jetzt als ten, die nur geweckt zu werden brau‐ Vertreter der Landwirtschaft, ist so an chen. Also von Seiten der Faulenzer eine fronende und schwitzende, beim besteht keine Gefahr. Die Gefahr be‐ Anblick des Herrn und Treibers zu‐ steht nur darin, daß die Menschheit sammenzuckende Masse gewöhnt, immer wieder in Ihr Laster verfallen dass er sich einen freien Menschen, könnte, zu viel zu arbeiten. Man be‐ wie wir ihn haben wollen, gar nicht rechne doch einmal die gewaltige vorstellen kann. „Glauben Sie“, sagte Summe überflüssiger Arbeit. Unge‐ er, „Sie arbeiten nur, wenn einer mit heure Zahlen würden entstehen. Arbeit der Knute hinter Ihnen steht, oder – geleistet für die Drohnen1, geleistet wenn die Not Sie zwingt, zu arbeiten!“ für Werke des Mordens, des Zerstö‐ – und er erwähnte ein grausiges Bei‐ rens! . . . Mein Partner schweigt be‐ spiel aus dem Schützengrabenkrieg, schämt „Ja“, – sagt er, „diese Idealis‐ wo er seine Leute immer anspornen ten! Aber wenn keiner da ist, der eine musste, damit sie ja die Grabenarbeit Sache leitet, geht alles zum Teufel.“ gut ausführten. Ich hielt ihm den gan‐ Gut, Leiter mag es geben, aber keine zen verrückten und verbrecherischen Parasiten, intellektuelle Schmarotzer, Arbeitsprozess während des Krieges die da glauben, etwas Besonderes zu vor, rechnete ihm vor, daß gerade die‐ sein, die da auf Autorität pochen, die se Arbeitswut, die im Menschen steckt, die Arbeit auf der Scholle, die Be‐ dieser Ameisenfleiß, sie ins Verderben schäftigung mit den Haustieren als geführt, das Leben der Nichtstuer er‐ entwürdigend ansehen – diese Men‐ möglicht hat. Nur wenn die Not sie schen können wir nicht gebrauchen. zwingt! . . . Ja, vielleicht ist das das Es fehlt an guten Beispielen. Wohlan, Richtigste, nur dann zu arbeiten, wenn wir geben das Beispiel. Wir, wissen‐ es notwendig ist. Nein, werter Herr – schaftlich erfahrene, künstlerisch ver‐ eine Faulheit der Menschheit gibt es anlagte Menschen, gehen mit gutem nicht, es gibt nur Faulheit notorischer Beispiel voran. Für uns ist die Arbeit Nichtstuer – und mit diesen darf nicht auf der Scholle so interessant, dass wir glimpflich verfahren werden. Manche gar nicht die Zeit abwarten können, sie dieser Faulenzer leiden an irgend einer in Angriff zu nehmen. Wir wollen ar‐ Abneigung gegen das, was man ihnen beiten, Muskelarbeit verrichten – aber 13
auch unseren Geist wirken lassen, um den Drohnen geschüttelt werden soll. Freizeit zu gewinnen für unsere wis‐ Nein – schlimmer als die Drohnen senschaftlichen oder künstlerischen sind die typischen Erbsklaven, die im‐ Interessen. Wir wollen, arbeiten – aber mer noch die Peitsche küssen, die sich wir fordern gebieterisch eine Möglich‐ eine Freiheit gar nicht vorstellen kön‐ keit der freien Arbeit, der Arbeit für nen, die bisher alle Erhebungen der uns, nicht für die Drohnen, für die Menschheit vereitelten, die Erbskla‐ Herrscher, die Geldteufel, die Massen‐ ven; die, mitten im Volke lebend, je‐ mörder, die Weltlügner und die Mus‐ derzeit Verrat üben – unbewusst, Ihren kelarbeit hassenden Bürokraten. Punk‐ verkümmerten Instinkten folgend. tum! Das ist unser Weg, den wir Dieses Erbsklaventum schafft der gehen, unbeirrt. Wir wollen unser Ide‐ Drohnenwelt all die Annehmlichkei‐ al verwirklichen, wir wollen und wer‐ ten, und der Staat, den die parasitären den! Das Forträumen der Hindernisse, Elemente in Händen haben, hat ein In‐ die Abwehr der Parasiten – auch das teresse daran, sich diese Erbsklaven zu ist Arbeit, auch sie soll uns Freude ma‐ erhalten. Die typischen Erbsklaven chen. Der soziale Kampf soll mit allen sind arbeitsam, sie sind produktiv, sie Listen und Kniffen geführt werden, wirken dadurch, dass sie willig mehr Arbeitsfreude auf allen Gebieten! Kei‐ leisten, als sie eigentlich leisten müs‐ ne Arbeitsunlust mehr! sen, so lähmend auf die Erhebung der Menschheit. Nun weiß das Parasiten‐ Also zunächst die Schaffung des Neu‐ geschlecht kein anderes Mittel, als ei‐ lands, die Eroberung des Bodens, den ne andere Kaste, verräterische, ar‐ eine gewisse Kaste uns geraubt, der beitsscheue Elemente über diese notwendigen Luft, die eine andere Erbsklaven zu stellen – um sie und ih‐ Kaste uns vergiftet, der Sonne, die re Tätigkeit zu schützen. Wir haben dieselbe Kaste uns verwehrt. Auf zur den gewaltigen Polizei- und Wehrap‐ Arbeit! Gewaltige Hindernisse sind parat vor uns. Nur die Leiter dieser In‐ weg zu räumen, und zwar sind es nicht stitution sind eigentliche Drohnen, die parasitären Elemente, die uns 9/10 sind Volkssöhne, und sie sind es, schrecken. Das sind schwammige, die den grässlichsten Verrat, das wurzellose Gestalten, die ohne die schaurigste Verbrechen begehen: die Hilfe anderer verrecken würden. Die Erbsklaven, diese tiefste Volksschicht eigentlichen Drohnen der Gesellschaft, im Interesse der Nichtstuer zu schüt‐ die Despoten, Geldmänner, Berufs‐ zen – und die edlen Elemente, die Re‐ mörder, Pfaffen und Bürokraten – sie bellen, die noch Menschenblut in ih‐ sind zwar die Feinde der Menschheit, ren Adern fühlen, durch Mord- aber sie erfüllen jene Mission, das ei‐ waffengewalt niederzuhalten. Erleich‐ gentliche Volk immer wachsam zu tert wird ihnen diese Arbeit durch ein halten, die Sinne zu schärfen, das Volk Parasitengeschmeiß fünften Grades, immer daran zu ermahnen, sie abzu‐ Bureaukraten, die sich selbst am Kör‐ schütteln, wenn es nicht selber von per der zur Abwehr organisierten Ar‐ 14
beiterschaft festsaugen und diesen im‐ und parlamentarischen Wahlmanöver, merfort lähmen, da nur ein gelähmter die zwischendurch noch mehrmals Körper stille hält. Diesen Feind, viel‐ versucht werden, bringen nur Ab‐ leicht den heimtückischsten scheinen wechslung in den Kreuzzugsplan. Sie die Massen nun allmählich kennen zu können unserer Sache nicht schaden. lernen. Sie sind zum Tode verurteilt, weil sich immer wieder intellektuelle Schma‐ Diese Arbeit – die Abwehr der Volks‐ rotzer einnisten, weil immer wieder feinde – harrt unser. Nun ans Werk. Verräter mitwirken. Bei unserer Arbeit Sie waren es, die von einer Sozialisie‐ gibt es keine Verräter. Sie werden rung industrieller Betriebe – natürlich vielleicht einen Tag bei uns verweilen, im Interesse des Staatskapitalismus wenn wir sie aber, einen Balken he‐ faselten, um das Volk in den Hunger‐ bend, auffordern, anzupacken oder ih‐ tod zu hetzen, um die Vergiftung nen zumuten, den kostbaren Stoff ei‐ durch das großstädtische, industrielle ner Kloake zu verarbeiten, werden sie Gift zu vollenden. Es ist keine leichte fahnenflüchtig werden, ganz von Arbeit, einem vergifteten Körper die selbst sich aus der Gemeinschaft lö‐ schädlichen Stoffe zu entziehen. Aber sen, sich irgend wohin begeben, wo es sie muß begonnen werden. Die kleins‐ noch möglich ist, als Parasit und Ver‐ ten Erfolge spornen unsere Arbeitslust räter zu leben. Und wenn ihnen auch an. Hei – wie sie beschämt schweigen, dort zugemutet wird, am gleichen wenn sie in die Enge getrieben wer‐ Strang zu ziehen, werden sie unstet den! Weiter, vorwärts! Keine Stunde und flüchtig irren, bis das Verhängnis Rast. Sie dürfen nicht zur Besinnung sie erreicht. Wenn diese Armee der kommen! Die Massen horchen auf. Produktiven fest gestaffelt dasteht, Was wird da gesprochen: Brot, Wohl‐ entschlossen, nicht wieder dem Ruf stand? Bald werden sie begreifen, und der Verräter zu folgen, entschlossen, wenn die neuen Organisatoren sich die zaghaften und all zu arg versklav‐ vor Fehlern hüten, können sie bald die ten Elemente dauernd zu bewachen, – Massen auf ihrer Seite haben, die dann wird die Prätorianergarde der breiten Scharen als folgende Herde, Kronen-, Geld-, Mord- und Lügen‐ die Fähigsten als aktive Truppe, die menschen, die famose Sicherheits‐ geistig Regeren als freiwillige Hilfs‐ truppe ins Wanken geraten. Und wenn mannschaft bei der Vorbereitung zum ihnen gar zugemutet wird, sich ihre Kreuzzug. Arbeitsfreude bei allen, eigenen Produkte zu schaffen, dann wenn sie wissen, dass sie endlich das wird ihnen bange zumute werden, sie Land ihrer Sehnsucht erobern werden, werden keine Zeit mehr finden, das sonnigherbe Vaterland Erde, das Volksgenossen zu füsilieren. Sie wer‐ vor den Toren ausgebreitet liegt. Bald den ihre Stunde nahen fühlen, eine steht das Millionenheer bereit. Die Massendesertion wird stattfinden. Sie parteipolitischen Narrheiten und Ak‐ haben keine Bundesgenossen mehr, tionen, die romantischen Schachzüge denn Wahrheit und Gerechtigkeit sind 15
auf Seiten der Fleißigen. Dann wird Geschehen, das so gewaltig wirkt, daß sich zeigen, wie fluchwürdig es ist, Eigengelüste zunächst gar nicht auf‐ auf Brüder zu schießen, auf arbeiten‐ kommen. Wo ist die prophezeite Ar‐ de Volksgenossen, die nichts wollen beitsscheu? Sie sind nicht zu bändigen als Gerechtigkeit. in ihrem Eifer. Wir sind unser 12. In kurzer Frist sol‐ II. len noch 8 Frauen kommen. Wir ken‐ nen uns alle. Wir bilden seit längerer Die Arbeit ist getan. Es war ein bitte‐ Zeit schon eine kleine Gemeinde auf rer Kampf. Noch wogt hie und da die naturwissenschaftlichem Interessenge‐ Empörung gegen die Zumutung, sel‐ biet. Wir sind Menschen – und hier ber schaffen zu müssen. Wir treten un‐ wollen wir es ganz sein. Bei uns zeigt ser Erbe an. Draußen, am Neuendor‐ es sich, dass es eine Volks-, keine Par‐ fer See, in dem seit Jahren leer teisache ist. Wir gehörten sowohl der stehenden Häuschen Raminshof wol‐ Bürgerklasse als auch dem Arbeiter‐ len wir uns niederlassen. Das schwebt stande an. Jetzt sind wir Eins. Bei uns uns seit Jahren vor. Seit Jahren küm‐ gibt es keine Klassen mehr. Wir wol‐ merte sich kein Mensch um dieses Ge‐ len neben unserer Arbeit den Natur‐ höft, die Türen und Fenster sind ver‐ schutz dieses Gebietes ausüben und nagelt, in der großen Scheune lagert unserer Forschung, die gerade hier äu‐ Heu für das Gut Stolzenburg. Rechts ßerst günstige Ergebnisse zeitigte, die Mauerreste einstiger Stallungen. fortsetzen. Danach hat keiner außer Wir konstatieren, dass außer uns kein uns Verlangen gezeigt, keiner wollte Mensch Verlangen nach dieser Einöde in diese Einöde außer uns. Jetzt sind gehabt hat. Kein Mensch außer uns wir da. Nachdem wir unseren Wagen weiß, was für köstliche Freuden gera‐ (aus dem Trümmerhaufen des Kriegs‐ de diese Einöde birgt. Wir wissen es. geräts) mit den Habseligkeiten und Wir haben es seit Jahren schon provi‐ Geräten, die uns von der Verteilungs‐ sorisch abgesteckt als „Naturschutzge‐ stelle des Gutes geliefert, unterge‐ biet Neuendorfer See“. Jetzt sind wir bracht, die Pferde in die Stallecke ge‐ gekommen, unser Ideal zu verwirkli‐ führt, gefüttert, machen wir uns ans chen. Sieben Güter in der Umgebung Gebäude, schlagen die Bretter ab, die sind besetzt worden von Landarbeitern die Fensterhöhlen bedecken, lüften, und Handwerkern, die alle Hände voll fegen die Spinnweben fort und schlep‐ zu tun haben, sich einzurichten. Ein pen Heu für die Nacht herbei. Immer Stab geschulter Gärtner ist gewillt, in anpassen. Immer genügsam. So lebten der Ortsnähe intensive Gartenkultur zu wir seit Jahren auf unseren naturwis‐ treiben. Alles ist rege, alles dürstet senschaftlichen Exkursionen. Wie gut, nach frischer Tätigkeit, alles atmet dass wir so lebten! Welch einen Vor‐ Luft, alles trinkt Sonne. Die Trägsten, sprung haben wir vor den Gutsleuten, die größten Zweifler beugen sich dem die sich fast närrisch und linkisch be‐ 16
nehmen. Während einige das Lager sich doch hier hauptsächlich der bereiten, spalten andere Holz. Einer Astronomie widmen. Da kein Hügel bringt den Herd in Ordnung. Welch in der Nähe ist, gedenkt er sich auf ei‐ ein Komfort! Wir wären auch glück‐ nem Baum eine Sternwarte zu bauen. lich gewesen, wenn wir ganz von vor‐ Da ist B. ein junger, blasser Techniker, ne hätten anfangen müssen. Aber ha‐ durchgeistigt von vielen Grübeleien. ben wir nicht Anrecht auf ein Dach bei Er wird uns einen Windmotor, der uns der Überfülle von Baulichkeiten? Bis mit elektrischem Strom versieht, bau‐ in die Nacht hinein sind wir tätig. Ich en. Neben ihm liegt C., ein Maler, glaube sicher, es wäre unmöglich, die‐ überhaupt ein Tausendkünstler, der se Arbeitsfreude, diesen Schaffens‐ auch in praktischen Dingen auf der drang zu dämpfen. Nach dem Mahl, Höhe ist. Als einstigem Wandervogel das wir draußen einnehmen hat noch ist ihm das Kampieren zur zweiten jeder etwas Besonderes vor. Das fri‐ Natur geworden. In jener Ecke kauern sche Grün, dass jetzt überall hervor die Gebrüder D., E., äußerst geweck‐ sprosst, das diese liebliche Wüstenei te Jungen, der eine ein Käfer-, der an‐ überzieht, wird bald unseren Geräten dere Schmetterlingsforscher, beide weichen müssen. Wir sind gekommen, aber auch in der Vogelkunde bewan‐ um zu leben, um das Leben, die Natur dert. Sie sind 17, 18 Jahre alt, leisten zu lieben. Bald liegen wir, immer noch aber Arbeit wie ein Mann, so dass wir plaudernd, auf der weichen Streu. Fie‐ sie mit Freuden in unsere Gemein‐ ber haben sie alle. Ja, das Arbeitsfie‐ schaft aufnahmen. Da ist F., ein geis‐ ber! Sie können den Tag nicht erwar‐ tig etwas schwerfälliger, aber gutmü‐ ten. Und da sage einer: die Menschheit tiger und zu Scherzen aufgelegter geht an Faulheit zugrunde. Auch der Arbeiter, der auch in der Vogelkunde Fünfstundentag – in unserer Grün‐ einige Erfahrung besitzt. G. ist Inge‐ dungszeit hat er keine Aussicht, be‐ nieuranwärter. Er ist‘s, der an unserer folgt zu werden. Sache so lange zweifelte und die Menschheit für derart verdorben hielt, Schließlich siegt aber doch die Natur dass sie nur noch 100 Jahre existieren im Menschen. Einer nach dem ande‐ könnte. Er würde, wenn ihm die Wahl ren verfällt in süßen Schlummer. Ich gelassen würde, mutterseelenallein auf wache noch. Ich weiß, in dieser Nacht eigener Scholle hausen. Nun hat er werde ich kaum schlafen. Was liegt sich uns doch mit Freuden ange‐ hinter uns? Welch ein Titanenkampf! schlossen. Ja, sie wollen erst Zeichen Ich blicke in die friedlichen Gesichter und Wunder sehen. H. ist Botaniker, er meiner Genossen, in denen sich der geht gewöhnlich, die Flora in der Ta‐ Mond spiegelt. Ich will sie einzeln sche, still einher, immer neues entde‐ vorstellen. Da schlummert rechts ne‐ ckend. Hat er eine seltene Pflanze ent‐ ben mir A., ein junger Lehrer; obwohl deckt, ist er wie aus dem Häuschen, I. er die Hauptfächer der Naturwissen‐ ist Fischer und Seemann. Er wird un‐ schaft so leidlich beherrscht, will er ser Kapitän werden. J. ist Holzarbei‐ 17
ter, sowohl Tischler wie Zimmermann. ser in seinen Gewohnheiten beobach‐ Außerdem hat er Erfahrungen im Gar‐ ten zu können. tenbau. K. endlich ist geborener Land‐ wirt und Gärtner. Er hat sich die Pfle‐ Da bricht der Frühlingsmorgen an. ge der Pferde ausbedungen, sowie alle Der Drossel Jauchzen schallt durch Funktionen, die mit den Pferden aus‐ den Wald. Ich erhebe mich und schrei‐ geführt werden sollen. Das sind außer te in dem taufrischen Grase vor dem mir die Mitglieder unserer Arbeitsge‐ Hause hin und her. Welch ein Konzert, meinschaft. Da wir uns zumeist ge‐ ein Schmettern und Klingen – und genseitig kennen, ist nicht zu erwar‐ doch sind‘s erst ein halbes Dutzend ten, dass sich große Reibungen Arten von Sängern, Wie soll es wer‐ einstellen werden. den im Mai. Ist dieser Genuss über‐ haupt zu bewältigen? Da erwachen Soeben ruft der Waldkauz seinen zwei Gedanken. Erstens, dass wir das, jauchzenden Frühlingsruf in die jetzt war wir wollen, auch schon vor der geöffneten Fensterhöhlen. Vielleicht Entscheidung hätten tun können. Viel‐ staunt er über die Veränderung. Ich leicht hätte es nur eines Bittgesuches blicke hinaus. Einen Steinwurf ent‐ bei dem Besitzer bedurft, damit er die‐ fernt liegt der dunkle Wald. Ich trete ses Plätzchen, um das sich niemand ganz ins Freie und blicke seewärts, kümmerte, uns überlasse. Die For‐ Welch ein Konzert! Bläßhühner, Tau‐ schererlaubnis hatte ich ja in der Ta‐ cher, Kraniche. Dazwischen das sche. Also keine Utopien, sondern fes‐ dumpfe Gestöhn der Rohrdommel. te herbe Erde, alles Wirklichkeit. Der Lachmöwen kreischen, streichende zweite Gedanke: All diese Genüsse Enten quarren, ziehende Wasserrallen waren schon dagewesen, wir hatten sie pfeifen in der Luft. Modrig wehts vom jahraus, jahrein gekostet – jetzt genos‐ See herüber, vom See, der seinem En‐ sen wir sie nur als freie Menschen auf de, der allgemeinen Verlandung entge‐ freier Erde. Nur ein naturfreudiger gengeht. Doch wir erleben es nicht Mensch kennt diese Genüsse, die noch mehr. Also – unser See ist es noch. Es verstärkt werden durch genaue Kennt‐ gibt schönere Seen in der Nähe, aber nis der Formen, ihres Lebens. Ein na‐ keiner birgt so viel geartetes Vogel‐ turfremder Mensch wird auch fremd wild wie dieser. Die große Masse weiß sein in der Natur. Er wird sich erst an das nicht zu schätzen. Wir haben die‐ die herbe, frische Luft gewöhnen müs‐ se Perle entdeckt. Wir werden wachen, sen. dass kein Schuss eines Frevlers über seine Fläche hallt. Ruhe, Schutz dem Ich richte draußen die Herdstelle her Wild, der Natur. Eine großzügige Ge‐ und bereite den Morgentrank. Ein Ge‐ flügelfarm soll an seinen Ufern entste‐ nosse, C., der Maler ist‘s, erhebt sich. hen, ein Dorado soll es werden für al‐ Er blickt zum See, dessen Rohrgürtel les Getier, mit dem wir endlich uns den Überblick wehrt. Das muss Frieden schließen wollen, um es bes‐ anders werden. Einen Streifen Sand‐ 18
strand müssen wir haben, zum Baden, primitives Insektarium. Wird das eine zum Ausblick – und zur Beobachtung. Freude werden, wenn wieder die Fal‐ Abgemacht. Bald soll‘s geschehen. ter schlüpfen. Wie der leichte Boden Arbeit wird‘s kosten, Aber mit wel‐ sich öffnet, wie leicht dringt der Spa‐ cher Freude wollen wir ans Werk ge‐ ten ein. Und wie schön läßt es sich hen. Die Schlafenden erheben sich ei‐ mit dem Rechen arbeiten. Wir raffen ner nach dem anderen, verrichten ihre alles, was Dungkraft hat, zusammen Morgenwäsche und schlürfen den in‐ und schaffen es unter Erde, damit wir zwischen bereiteten Trank. Wir bera‐ nur ja erst den Anfang machen, denn ten, was zunächst zu tun ist. Mit dem wir müssen pflanzen, pflanzen! Gegen Lager müssen wir einige Wochen zu‐ Mittag haben wir einige Ar3 umgegra‐ frieden sein. Wir wollen noch kleine ben. Und nun Schluss für heute. An‐ Verbesserungen treffen und dann mit dere Dinge sind zu tun. Der Land‐ Eifer an die Bestellung des Bodens mann hat inzwischen ein Gebirge gehen. Bis Mittag wollen wir fleißig Kompoststoffe, wie er sie gerade ge‐ graben. Also auf ans Werk. Zwischen funden hat, aufgehäuft. Die Entomo‐ den verkümmerten Obstbäumen ist logen sind mit ihren Fangkästen bei der Boden mit Unkraut überwuchert. der Hand. Es kribbelt von Lebewesen Der Techniker entwirft einen Garten‐ Die Mittagsmahlzeit verschlingen sie plan. Und dann geht‘s ans Graben. in zehn Minuten, dann forschen sie Der Landmann wird dauernd Kom‐ weiter. Mehr Ruhe besitzen F. und J. poststoffe herbei fahren, Laub aus Sie legen sich zu einem Schläfchen in dem Walde, Morast vom Graben. Wir die Aprilsonne. Ich mache mit den an‐ anderen stürzen uns auf die Scholle. deren einen Gang zum See, vielmehr Die Kräuter, die wir ausreißen – sind zum Sumpfgürtel. Das muss anders für uns Kennende nicht einfach Un‐ werden. Wir müssen das Wasser zu kraut, wir prüfen, ob nicht irgendet‐ uns leiten. Wasser müssen wir haben. was dazwischen ist, was wir unserem Also einen Graben und ein größeres Botaniker präsentieren können. Alle Becken mit Sandgrund und Sand‐ Augenblicke hat er etwas zu erklären. strand für Bäder aller Art. Beschlos‐ Der Entomologe2 achtet auf Käfer- sen. Wir brechen Zweige und stecken und Raupenfraß, alles hat Interesse für den geplanten Binnenteich ab. Wir uns. Das ist nicht die tote, mechani‐ fiebern fast. Ach, wenn wir doch mehr sche Arbeit, wie die Alltagsmenschen Hände hätten. Es könnte keine größe‐ sie sich vorstellen. Wir bedauern, dass re Tortur für uns geben, als jetzt mü‐ kein gewiefter Geologe zwischen uns ßig hier herumzulungern – nach voll‐ ist, so müssen die schwachen Kennt‐ brachter Tagesarbeit. Arbeit, Arbeit nisse ausreichen. Da finden wir eine schreit jeder Muskel in uns. braune Schmetterlingspuppe. Welch ein Fund! Welch ein Rätsel! Liebevoll Den Nachmittag verbringt jeder mit wird der Fund geborgen, in Moos ge‐ seiner eigenen Nebenbeschäftigung. bettet. Heute noch zimmert sich E. ein A. sucht einen günstigen Überhälter 19
im Walde, wo er seine Warte errichten len, sie verwehren uns den Ausblick. will. Seine Wahl fällt schließlich auf Auch brauchen wir Holz. K. ist ins eine riesige Eckkiefer, die etwas über Dorf gezogen, um die Kuh zu holen, die anderen Bäume hinweg ragt. B. die uns von der Verteilungsstelle zu‐ schätzt die Steine ab, die die Trümmer gewiesen ist. So sind wir alle intensiv der Stallung bergen. Er will sein Ma‐ beschäftigt. Wir fluchen über die schinenhaus mit dem Windmotor bald Flüchtigkeit der Zeit. Wir wünschen in Angriff nehmen. C. geht mit mir an alle, der Tag möge hundert Stunden den See. Das Badebecken interessiert haben und die Kräfte mögen ausrei‐ ihn lebhaft. Er läuft schon heute halb‐ chen für diese Zeitspanne. Ja, das ist nackt einher. Wir nehmen gleich Spa‐ der Frieden in der Menschenseele, der ten mit. Gebrüder D., E. machen sich Frieden mit der Natur. Da wir alle Na‐ daran, am Waldrand einen Käfergra‐ turwissenschaftler sind, sind wir über‐ ben zu ziehen, eine schmale Rinne mit eingekommen, keinerlei religiöse steilen Wänden, in die kriechende In‐ Handlungen in unsere Gemeinschaft sekten aller Art stürzen und nicht wie‐ zu verpflanzen als nur einen stummen der heraus können. Den Inhalt werden Blick zur Sonne, zu den Wolken, zu sie dann alltäglich untersuchen. Auch der Erde. Wir sind eins geworden mit den Köderfang wollen sie sobald wie der Natur. möglich betreiben. F. macht sich ans Abstecken eines Platzes für sein Ei‐ Wieder schaffen wir bis in die Nacht genhaus. Er hat eine Frau und fünf hinein. Abends haben wir einen ge‐ Kinder, letztere wird er erst in einigen wissen Arbeitsplan entworfen. Dem Wochen erwarten. Die Kindes, das ha‐ Land wollen wir je nach der Witte‐ ben wir beschlossen, sollen in einem rung gemeinsam einen halben Tag besonderen Hause gemeinsam erzogen widmen, damit wir erst vorwärts werden. G. denkt nicht mehr daran, al‐ kommen. Das Gebäude hat nur sechs lein zu sein. Er betreibt auch Nackt‐ Räume, von denen wir zwei für die kultur und hat ein Interesse an be‐ Frauen reservieren. C. will sich eine schleunigter Herstellung des Bades. H. Schlafhütte am Bad errichten. K. will schnürt wie ein Fuchs auf der Wiese in der riesigen Scheune deren süd‐ umher. Hat er eine Pflanze erwischt, lichste Ecke jetzt als Stall dient, woh‐ nimmt er sie prüfend unter die Lupe. nen. Bald werden wir den Grundstock I. will mit einem Haken den Graben legen zu einem größeren Gemeins‐ regulieren, der bis nahe an die zukünf‐ haftshaus, das wir auf den Trümmern tige Badestelle führt. Mit kräftigem der Stallungen errichten werden. Mag Ruck reißt er das wuchernde Schling‐ es langsam wachsen, wir haben Zeit. kraut ans Ufer. Der Landwirt wird es Es soll unser eigen Werk sein. Und sich holen für die Kompostierung. J. helle soll es sein, ja, ausgerüstet mit arbeitet mit Axt und Säge im Erlen‐ allen technischen Errungenschaften. bruch. Ungefähr 30 Erlen müssen fal‐ Die alte Strohdachromantik liegt uns 20
nicht. Wir sind ja Forscher und Erken‐ kurz alles mögliche. Die Kompostrei‐ nende – und bald werden wir Gäste hen sind sein ganzer Stolz, und wir haben aus allen Gebieten der Welt. fühlen instinktiv den Segen, der dieser Muttererde einst entsprießen wird. Unsere sieben Schöpfungstage sind Unser Bad ist bald fertig. Das Wasser vorüber. Halten wir Übersicht, was ist noch etwas moorig. Aber wir wer‐ wir geleistet haben. Das ursprüngliche den einen zweiten Graben ziehen, der Gartenland ist in Ordnung, leidlich einen anderen Behälter speist, dessen gedüngt, mag die erste Ernte auch Überschuss schließlich wieder in den nicht gar zu großartig ausfallen. Der See zurückfließt. Während unserer Pflug hat einige Ar, auf denen wir Ge‐ Arbeit ziehen fortwährend Kranich‐ treide und Hackfrüchte bauen wollen, heere über uns hinweg, sie waren von gestürzt. Wir sind beim Pflanzen. je Gäste hier gewesen. Wie oft hatten Nachmittags arbeiten wir an unseren wir früher hier geweilt, als die feuda‐ Verschönerungen. Ein kiesbestreuter le Macht noch über der Heimat Erde Weg, von jungen Fichten gesäumt, lastete. Jetzt sind sie alle unsere Le‐ führt, sanft absteigend, zum Wasser. bensgenossen, kein Schuss darf ihren Erlenholz mit orangefarbenen Schnitt‐ Frieden stören. Wir merken, dass sie flächen liegt überall umher. Ein Hau‐ von Tag zu Tag argloser werden. Der fen Bretter harrt der Zerkleinerung. Kanal ist gereinigt. J. ist auf seinem Wir wollen das Gebäude so ausrich‐ primitiven Kahn zum ersten Male in ten, dass es einen Winter noch unser See gestochen. Mehrere brütende En‐ alter Hort ist. Die Steine sind sorgfäl‐ ten hat er auf den Kufen und Stümp‐ tig aufgeschichtet, der Bauplatz ge‐ fen gefunden. Stockenten, die sich säubert. Auf der Wiese grast die Kuh, bald an uns gewöhnen werden. Bald unsere Milchspenderin. Die Lebens‐ soll unser Hausgeflügel sich hier tum‐ mittel die wir vom Gute erhalten, wer‐ meln. Auch die majestätischen den sorgfältig aufbewahrt, damit die Höckerschwäne, die Zierde des Sees, Mäuse und sonstige Nutznießer unse‐ können jetzt ungestört brüten, desglei‐ rer Kolonisation nicht zu ihnen gelan‐ chen die Lachmöven. In einigen Ta‐ gen. Unsere helle Freude haben wir an gen werden wir festlichen Besuch aus den Komposthaufen, die K. in langen Afrika erhalten: die herrlichen Fluss‐ Reihen angelegt hat. Ein Holzstab mit seeschwaIben, die in einigen Paaren einer Nummer und dem Tag der hier brüten. Die Wildschweine und Schichtung davor. Das ist unsere Hirsche, die hier noch zu Hause sind, ganze Kraft, sagt der Gärtner, diese haben unseren Kulturen einen Besuch werdende Erde. Das ist das Gut, das abgestattet. Wir freuen uns ihrer Spu‐ wir am treuesten hüten müssen. Was ren. Sollten sie ärgeren Schaden an‐ hat er auch alles herbeigeschleppt. richten, werden wir Nachtwachen, die Laub, den Grabenschlamm, unsere ja für uns Naturfreunde ein Genuss Abfälle, Erde, Asche, Stalldünger – sind, halten. D. und E. haben zum ers‐ 21
ten Male auf Nachtschmetterlinge ge‐ Staunen über unsere Tätigkeit in der ködert, bei dieser Gelegenheit haben einen Woche ist allgemein. Wir haben sie Wildschweine und Hirsche aus aber auch getan, was in unseren Kräf‐ dem Wald treten sehen. Die Schweine ten stand. Wie geht‘s in der Stadt? Ab‐ hatten sich einen Komposthaufen vor‐ bau, Abbau überall! In der Haustür genommen. Jedenfalls hatten sie kei‐ prangt ein „Willkommen!“ aus fri‐ mende Eicheln, die mit dem Laub dort schem Fichtengrün. Während die hingekommen waren, gewittert. Wir Frauen nun ihre Lasten niederlegen, wollen nun nicht, dass unsere Arbeit werde Ich sie vorstellen! Da ist zu‐ durch die Wühlarbeit der Borstentiere nächst L., die sich wohl am meisten korrigiert wird und werden um das hierher gesehnt. Eine tapfere Kamera‐ Ganze Stacheldraht ziehen, um sie ab‐ din, die immer an erster Stelle stand, zuwehren. Immerhin freuen wir uns, wenn es galt, unsere Ideen zu verwirk‐ dass wir diese Wildarten zu Nachbarn lichen. Da ist M. mit ihren beiden haben. Wir werden schon Mittel fin‐ Kindern, die ihren Vater kaum ge‐ den, miteinander fertig zu werden. kannt. Er fiel auf Russlands Fluren. Unser Astronom hat seine Warte fast Auch sie hat lange auf diesen Tag ge‐ vollendet. Er sinnt nur auf bessere, wartet. N. und O., die Unzertrennli‐ bequeme Ausstattung. Er gedenkt dort chen, glühen vor Begeisterung. Am oben, seinen Sternen nahe, ganze liebsten mochten sie gleich los arbei‐ Nächte zu verbringen. Nur je einer ten, pflanzen und jäten. P. die Freun‐ kann ihm in seiner schwindelnden din, und jetzige Lebensgefährtin des Höhe Gesellschaft leisten. Der Blick Technikers, der sich schon den südli‐ ist verhältnismäßig wunderbar. Wir chen Giebel eingerichtet hat, folgte werden die Warte auch als Seeblick ihm ins neue Heim. G., F's Ehefrau, benutzen. Einige störende Nachbar‐ fühlt sich etwas bedrückt in der Ge‐ bäume mussten wir fällen. sellschaft, sie hat keine naturwissen‐ schaftlichen Interessen, ist aber ein Heute treffen die acht Frauen ein. All‐ brauchbares Mitglied der Gemein‐ gemeiner Empfang. Sie kommen so, schaft. Die Pflege der Kuh, überhaupt wie sie immer kamen, wenn wir, vor‐ das lieben Viehs, will sie übernehmen. ausgeeilt, sie irgendwo erwarteten, mit Natürlich wird sie auch viel Arbeit mit gepackten Rucksäcken, einige haben ihren Kindern haben. R., von der wir wie immer ihre Ferngläser umgehängt. wissen, die unserem Astronom zuge‐ Der Wagen mit den notwendigen Hab‐ tan ist, bewundert dessen Warte. Sie seligkeiten, die ein dauernder Aufent‐ stammt vom Lande und hofft nun, ih‐ halt hier erfordert, ist noch im Walde. re ganze Fähigkeit zu entfalten. Sie Der Empfang ist ein herzlicher, wie er schwärmt ein wenig. Sie ist so recht unter Naturmenschen nicht anders sein das Gegenteil von S., die einen fast kann. Man bespricht natürlich nicht männlichen Zug hat. Auch sie hat un‐ nur das materielle Wohl, sondern auch sere Idee immer belächelt, noch vor die wissenschaftlichen Dinge. Das wenigen Monaten war sie, wie fast al‐ 22
Sie können auch lesen