MAGAZIN FÜR L ANGEN UND EGELSBACH - Nr. 91 Ausgabe 2/2022
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MAGAZIN FÜR L ANGEN UND EGEL SBACH Nr. 91 Ausgabe 2/2022
MAI – AUGUST
V O RW O RT
Liebe ZEITLOS Leserin,
lieber ZEITLOS Leser!
Die Pandemie hat uns deutlich vor Ob Goethe bei seinem Besuch in
Augen geführt, dass wir Menschen Langen Wein trank, ist unklar. Klar ist,
aufeinander angewiesen sind und es dass Langener Wein im 18. Jahrhun-
zusammen einfach besser geht. Seit dert von besonderer Güte war. Der
dem ersten Erscheinen vor 27 Jahren Weintrinker Goethe wird auf seinen
will ZEITLOS Möglichkeiten zu Begeg- Reisen sicherlich einen guten Tropfen
nungen und Kontakten schaffen. nicht verschmäht haben. Ob es aber
nun Langener- oder Rheinwein war,
Das aktuelle Heft sollte ganz unter
dem Schwerpunkthema Partner-
schaft in all seinen Facetten stehen,
beschreibt Gerd Grein neben Goe-
thes Liebe zu Gretchen und vielem
anderen.
Inhalt
doch dann kam der Krieg in der Partnerschaft
Ukraine. Dass der Ruhestand auf keinen Fall … nur für treulose Tomaten? Seite 4
Bei unserer Gastautorin Annelie Keil langweilig sein muss, zeigt Heinz Goethe und Langen
brachen die Wunden und Traumata Klenk, der seit 2013 Mitglied der Gerd Grein über Goethe, Gretchen,
des Kriegskindes von 1945 wieder Seniorenhilfe ist. In einem Interview Merck und die Arkadier Seite 10
auf. Statt über Partnerschaft schrieb schildert er seine vielfältigen Akti- 70 Jahre Kiosk an der Post
sie nun ganz persönlich über die alten vitäten für den Verein und dass er Ein Interview Seite 16
Narben, Ängste und Hoffnungen. immer noch neue Ziele hat. Machen
Neben aller Verzweiflung über den Sie es ihm doch einfach nach. Die
(Fast) immer Alternativen
Seniorenhilfe berichtet Seite 22
Krieg lässt sie in ihrem Text aber nicht Seniorenhilfe freut sich auf Sie.
die Hoffnung auf Frieden sterben. ÖPNV und der Hopper
„Ich will die Hoffnung auf Frieden „Zusammen geht’s besser“, meint Demnächst in Langen und Egelsbach Seite 26
nicht aufgeben! Wollte es nicht als Claudia Pulwer, das neue Gesicht Zusammen geht es besser
Kind und nicht gegen Ende meines der Egelsbacher Seniorenarbeit und Neues aus Egelsbach Seite 28
Lebens“, schreibt sie und zeigt Wege beschreibt so den positiven Start der
Terminkalender
auf, wie Frieden gelingen kann. Kooperation mit der Haltestelle der Viele Angebote Seite 32
Stadt Langen. Über ihren Einstieg
Ist Treue nur ein leerer Wahn, wie und was sie alles vorhat, berichtet sie Was hat er gerade gesagt?
Über gutes Hören und Fernsehen Seite 46
Schiller meint? ZEITLOS geht dieser in ZEITLOS.
Frage intensiv nach und nebenbei Erinnern Sie sich noch?
erfahren Sie noch, welches das belieb- Wir freuen uns, dass Sie ZEITLOS Nostalgisches vom Röhrenfernseher Seite 54
teste Gemüse der Welt ist. lesen. Bleiben Sie uns treu. Anders gedacht
Herzlichst Als Kriegskind unterwegs zum Frieden Seite 58
Hilfe auch uterwegs
Der AWO Hausnotruf mobil Seite 66
Rätselhaftes Langen & Egelsbach
Martin Salomon
Einkaufs-Gutscheine zu gewinnen Seite 70
Haltestelle der Stadt Langen Seniorenhilfe Langen e. V. Arbeiterwohlfahrt Langen e. V. Gemeinde Egelsbach
eine Bürgerinitiative Amt für soziale und öffentliche
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E-Mail: haltestelle@langen.de E-Mail: info@awo-langen.de
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www.haltestelle-langen.de www.awo-langen.de
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www.seniorenhilfe-langen.de www.egelsbach.de
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T H E M A PA RT N E R S C H A F T
Ein Gespenst geht um in Europa der Pont des Arts in Paris unter der bis sechs Monate Gefängnis bringen
und keiner weiß mehr, wie wirklich Last von über 93 Tonnen ‚Liebes- konnte. Aber in der Praxis blieb der
es ist. Einerseits geistern Treueprä- schlössern‘ in den Fluss. Ist dies Seitensprung für die Männer ein
mien und Rabattaktionen durch Massenphänomen in fast jeder ‚Kavaliersdelikt‘, für die Frauen
die Welt, andererseits signalisieren Stadt, sich als Liebespaar eine konnte es „die Vernichtung ihrer
die Zahlen bei Seitensprüngen und Schließanlage zu kaufen, sie anzu- Existenz“ (Kuß) bedeuten. Wie sich
Scheidungen das Ende einer alten malen, an ein Geländer zu ketten das im Detail abspielte, kann man in
Tugend: Die Treue – ist das doch und die Schlüssel ins Wasser zu den literarischen Verarbeitungen
nur noch ein „leerer Wahn“ (Schil- werfen, nicht gerade ein eiserner (ab)lesen, bei Fontanes ‚Effi Briest‘
ler) in dieser Welt? Beweis für den Glauben an die oder Flauberts ‚Madame Bovary‘.
ewige Treue? So verbreitet ist Selbst in einem neuen Roman von
Traurige Aktualität hat zum zehnjäh- inzwischen die Mode, dass in vielen Heinz Strunk (‚Mit dir ist es immer so
rigen Gedenktag der Kapitän Städten wie Berlin oder Venedig schön‘) von 2021 charakterisiert sich
Schettino, der sein sinkendes Kreuz- Verbote ausgesprochen wurden die weibliche Hauptfigur ganz
fahrtschiff Costa Concordia als einer (siehe das Essay von Stephan Kuß: unironisch, sie sei „naturtreu“. In der
der ersten verließ und inzwischen als Die Tugend der Treue. Ein leerer heutigen Handy-Generation bewei-
Symbol der Untreue gegenüber den Wahn? 19.1. 2015 in SWR2). sen sich Frischverliebte ihre Treue
ihm anvertrauten Passagiere leben Stephan Kuß entwickelt, wie histo- angeblich sogar, indem sie gemein-
muss. So heißt es auf italienisch risch in Preußen die Treue zum
neuerdings „Fare lo Schettino“, staatlich anerkannten Wert
wenn sich jemand verdrückt, „den wurde, zum quasi Naturgesetz,
Schettino machen“. Aber wird nicht hinter dem aber vor allem die
hier nur der kritisiert, der die Abwei- Angst vor zu niedrigen Geburten-
chung von der Norm ist, die betrübli- raten und der drohenden Entvöl-
che Ausnahme? Schließlich stürzte kerung stand. So kam es 1871 ins
im Juni 2014 das Brückengeländer Reichsstrafgesetz, dass Ehebruch
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T H E M A PA RT N E R S C H A F T
überführt.“ nach ein oder zwei Jahren und man
zahlt danach oft drauf, der Bil-
Treulos ist, wer ligstrom wird zum „Teuerstrom“. Die
Deutschen waren schon immer „ein
Lebewohl sagt, wenn Land von Rabattmarken-Sammlern
die Straße dunkel und von Treuepunkte-Anhäufern“
wird. (Tolkin, Herr der Ringe) (Süddeut-
sche
Diese Zwiespältigkeiten in der Zeitung,
sam ihre Dating-App löschen. Bedeutung des Treuebegriffs zeigen 21.6. 2019)
Die Untreue hat heute an Bedeu- sich besonders deutlich im ökonomi- Die Rabatt-
tung verloren. Bereits Ende der 60er schen Bereich. Früher waren vertrau- marke gibt
Jahre wollte ein Düsseldorfer Pfarrer ensvolle Beziehungen zu Handwer- es seit 1901,
vergeblich die Trauformel ändern. kern, Geschäften des Alltags und Payback
Statt Treue in guten und in schlech- Dienstleistungen das Normale. und Co seit
ten Zeiten schlug er vor: „Solange es Freundschaftlichkeit zwischen 2000. Der
gut geht.“ Dass das immer weniger Stammkunden und Geschäftsbetrie- Marktführer beim Punktesammeln,
der Fall ist, zeigen die Fakten: ben war für beide ein Gewinn: sie Ableger von American Express, hat
„25 Prozent aller Frauen und 40 sicherte dem einen den verlässlichen inzwischen über 31 Millionen Nutzer
Prozent aller Männer sind ihren Umsatz und dem anderen günstige in Deutschland (FAZ, 7.3.2020) „Für
Partnern schon mal untreu gewesen. Preise. „Je kleiner und lokaler ein die Menschen ist das Punktesam-
Tendenz steigend. Vor allem der Unternehmen, desto mehr ist es meln ein Erlebnis. (…) Es ist ein
Anteil der Frauen, die untreu sind, darauf angewiesen, dass ihm die wahrer Spieltrieb.“ (Arnd Engeln,
nimmt zu.“ (Deutschlandfunkkultur, Kunden die Treue halten.“ (Sächsi- Markt- u. Werbeforschung Stuttgart)
14.2. 2019) Als häufigster Grund für sche Zeitung, 1.10. 2019) Nicht nur Wer Punkte hat, will sie nicht mehr
Scheidungen (2019: 149 000) wurde als Stammkunde darf man seit 2001 verlieren und kauft deshalb dort
Untreue genannt. Allerdings: Seit sogar um den Preis feilschen. Doch mehr – und finanziert so das System.
einem Höhepunkt 2005 mit 51,9 die Treue hat ihre Grenzen: wenn Der Psychologe Hans-Georg Hänsel
Prozent ist die Scheidungsrate auf die Treue nicht mehr gewürdigt wird geht noch weiter: „Bei dem Wort
einen stabilen Wert gesunken, sie durch fehlende Treue-Boni, unper- Rabatt setzt unser Verstand aus.
lag 2020 bei 38,5 Prozent. Im Durch- sönliche Behandlung, schlechtere Verweigert man sich dem Rabatt,
schnitt hält eine Ehe auch wieder Angebote. „Das große Ladensterben wird das (…) als Verlust wahrgenom-
länger, genau 14,7 Jahre; 2006 (…) ist hauptsächlich auf mangelnde men.“ (FR, 5.6. 2017) Dabei sind sich
waren es nur 13,7 Jahre. Ehebruch Kundentreue zurückzuführen.“ die meisten Kunden (86,5 Prozent)
wurde erst 1969 aus dem Gesetz (Sächsische Zeitung, s.o.) im Klaren, dass sie die minimalen
gestrichen und ist seitdem straffrei. Vergünstigungen bezahlen müssen
Doch der Treuebruch wird auch auf – mit ihren Daten! Wer im Super-
In der Frauenzeitschrift ‚Brigitte‘ hält der anderen Seite von Firmen neuen markt mit Karte bezahlt, hinterlässt
der Begriff „Außenbeziehung“ Formats vorangetrieben. zum Beispiel ein detailliertes Profil
(2015) Einzug, aber gleichzeitig Stromanbieter, digitale Dienste, über seinen Alkoholkonsum oder
haben weiter Detekteien Konjunk- Versicherungen, Autoverleihe und wie oft er in der Apotheke oder im
tur, denn nach einer Elite-Partner- viele andere bevorzugen Neukun- Sexshop war. Die Unternehmensbe-
schaft-Studie von 2020 beginnt für den, bieten als Ein- oder Umstieg ratung Bain u. Co schreibt, dass
65 Prozent der Frauen die Untreue Rabatte und Prämien. Die agilsten Unternehmen mit erfolgreicher
mit einer Affäre. So kann eine große Sparfüchse unter den Kunden Kundenbindung vier bis acht Pro-
Detektivfirma mit 28 Filialen stolz verraten ganz offen ihren besonde- zent höhere Erträge erzielen (clocko-
vermelden: „Dank unserer Ermittlun- ren Trick: Neue Verträge direkt beim do.de). Zumal viele treue Punkte-
gen wurden bei der Treueüberprü- Abschluss wieder kündigen, denn sammler nicht die anderen Nachteile
fung auch schon Heiratsschwindler die günstigen Einstiegstarife enden realisieren: Die gesammelten Punkte
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verfallen nach drei Jahren, die Meisterbrand ein „treuer Reisebe-
Sachprämien dafür sind oft überteu- gleiter“.
ert, z. B. für ein kostenloses Navi-
Gerät muss man vorher Waren im Auch die Treue der Beschäftigten zu
Wert von fast 10 000 Euro gekauft ihrem Betrieb sei ein wichtiger
haben (FR, s.o.). Tipp der Finanzrat- Kostenfaktor. Ob jemand gerne
geber: lieber bei Produkten, die man arbeite, sich identifiziere oder eben
wirklich haben will, feilschen. Dieser nicht, sei überlebenswichtig. „Fach-
Rabatt ist in der Regel höher. Georg leute schätzen die Verluste deutscher
Tryla von der Verbraucherzentrale Unternehmen infolge innerer
NRW weiß aber, dass letztlich auch Kündigungen ihrer Mitarbeiter auf
die Kunden, die das Bonuspro- 105 Milliarden jährlich.“ Der Haupt-
gramm nicht nutzen, es finanzieren. grund für diese kaum glaubliche
Denn die Preise im Geschäft werden Zahl: „Diese Treue hängt maßgeblich
Revierförster Hopp erhandelt im
so angehoben, dass die Rabattpunk- vom Führungsverhalten ab, ver-
Wirtshausdunst einen Welpen, der
te sich rechnen. Und die Gebühren, gleichsweise weniger von Faktoren
ihn erst akzeptiert, nachdem Hopp
die den Händlern berechnen wer- wie Gehalt, Sozialleistungen oder
ihn „halb totgeprügelt“, „mit dem
den, sind happig – drei bis vier der Zahl der Urlaubstage.“ In der
Stachelhalsband an die Kette
Prozent des Umsatzes. Deshalb Arbeitswelt und in der Liebe gibt es
gelegt“ hat. Jahre später ertappt
scheuen kleine Geschäfte die Karten- also sehr gegensätzliche Signale,
Hopp einen Wilddieb auf frischer
möglichkeit, um mithalten zu aber in anderen Lebensbereichen, so
Tat, eben den Vorbesitzer seines
können. glaubt man, wird die Treue noch
Hundes. Krambambuli ist im Seelen-
uneingeschränkt (vor-)gelebt.
schmerz zwischen beiden Alpha-
Ein Vorbild sei durch die ganze Männern gefangen: „Bellend,
Treue besteht zu Menschheitsgeschichte hindurch der heulend, den Bauch auf dem Bo-
genau 80 % aus Reue Hund, der treueste aller Freunde. den“ kriecht er zwischen den
(Erhard Blanck) Schon bei Homer ist es Argos, der schießbereiten Gegnern hin und her
Jagdhund, der zwanzig Jahre auf – bis er sich für den Wilddieb ent-
So sind auch die Firmen hin- und sein Herrchen, den hyperaktiven scheidet. Der wird in dem Moment
hergerissen. In einem ihrer Foren Odysseus, gewartet hat. Bei dessen von Hopp erschossen; aber anschlie-
sagt Dietmar Feigenspan ganz offen: Rückkehr „lag er verachtet auf dem ßend verstößt der tugendfeste
„Wer Rabatte gibt, betrügt seine großen Haufen von Miste“, „von Förster seinen ihm so treulos erschei-
normale Kundschaft.“ Im Magazin Ungeziefer zerfressen“. Er „wedelte nenden Hund. Der irrt umher, „sein
für Kommunikation vom 9.2.2018 zwar mit dem Schwanze (…) Aber er mark- und beinerschütterndes
wird dagegen der Widerspruch war zu schwach, sich seinem Herrn Wehklagen durchdrang den Wald.“
erkannt: Zum einen habe Firmen- zu nähern.“ Erst viel später wird
treue leider ein schlechtes Image : Odysseus auch von seiner Fußwä-
„Passiv treu sein, dass hieße im scherin und seiner Ehefrau erkannt. Der Hund ist das
Grunde treudoof sein.“ Zum ande- Der 1228 heilig gesprochene Franz
ren bringe Treue im Alltagsgeschäft von Assisi konnte diese Reihenfolge
Symbol der Treue,
positive Ergebnisse, wenn man sehe, nur bestätigen: „Dass mir mein Hund aber wir halten ihn
wie stark Kunden z.B. an alten das Liebste sei,/ sagst du, oh Mensch, lieber an der Leine.
Markennamen hingen. Auch wenn sei Sünde,/ doch mein Hund bleibt (Madame Tussaud)
es ums Geld geht, geht es immer mir im Sturme treu,/ der Mensch
auch um Gefühle, um Loyalität, „der nicht mal im Winde.“ Noch dramati- „Der Treueste der Treuen, herren-
Treue im Smoking“ (Karl Heinz scher wird die lebenslängliche los!“ Schließlich findet Hopp den
Karius). Die Werbung belege es: Die Ergebenheit 1883 in der Erzählung Hund tot vor seinem Haus, verhun-
Singer Nähmaschine ist „eine treue ‚Krambambuli‘ von Marie von gert und erfroren, „den Kopf an die
Lebensgefährtin“, der Scharlachberg Ebner-Eschenbach zelebriert. Der Schwelle (…) gepresst.“ Zwei Verfil-
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mungen, 1940 mit schen Gründen unbewusst zu lügen, das lebenslänglich und mit voller
Rudolf Prack, 1998 von sagen Schweizer Verhaltensforscher Kraft, dafür bietet der ihm Schutz
Xaver Schwarzenberger, (wamiz.de). Letztlich bleibe uns der und einen angemessenen Lebensun-
sind trotz ihrer Unter- Hund nur wegen des Futters treu. terhalt. Und so entstand die Konst-
schiedlichkeit für Der Satiriker Karl Kraus verneint ruktion des treuen Staatsdieners mit
Hundefreunde nur deshalb, den Hund als Vorbild zu Beihilfeanspruch. Im Gegenzug
schwer erträglich. sehen. „Er ist doch dem Menschen musste der Beamte eine gewisse
Da sei doch lieber noch treu und nicht dem Hund.“ Treuepflicht erfüllen, hat bis heute
auf den amerikanischen Wer stattdessen auf die Treue kein Streikrecht. „Die Treuepflicht
Familienfilm ‚Hachiko anderer Tierarten setzt, wird noch findet im Diensteid ihre Bekräfti-
– Eine wunderbare enttäuschter sein. Dass Marienkäfer gung.“ Diese gesteigerte Loyalitäts-
Freundschaft‘ mit alle zwei Tage ihre Geschlechtspart- pflicht führt zu ganz kuriosen
Richard Gere von 2009 ner wechseln, mag man noch gerichtlichen Auseinandersetzungen
hingewiesen. Der achselzuckend hinnehmen, auch um Tatoos. Bei zwei jüngeren
Streifen erzählt eine Geschichte aus dass beim Fuchs 92 Prozent der Urteilen stand im Hintergrund, dass
dem Tokio der zwanziger Jahre. Der Nachkommen baufremd sind. „Doch der Spruch „Meine Ehre heißt Treue“
Hund Hachiko holt seinen Herrn ein Faible für Zweisamkeit haben nicht nur altdeutsche Herkunft hat,
regelmäßig vom Bahnhof ab. Als nur etwa drei bis fünf Prozent der sondern bei der SS auf dem Koppel-
letzterer nicht mehr kommt, macht Arten entwickelt.“ (Stuttgarter schloss der Soldaten stand. 2019
das Tier dies zehn Jahre weiter, bis Zeitung, 22.12.2012) Zwar haben die urteilte das Landesarbeitsgericht
zu seinem Tod. 1934 wurde ihm zu oft beschworenen Schwäne lebens- Berlin-Brandenburg: „Ein laxer
Ehren auf dem Bahnhofsvorplatz lang feste Partner, doch leider oft Umgang mit dem zweimaligen
von Tokio eine Bronzestatue aufge- nebenbei ‚was schwimmen‘: „… Zeigen von Tätowierungen (des
stellt. Noch bis heute gehört Hachiko jedes sechste Schwanenbaby wird SS-Spruches) durch einen Lehrer
mit seiner unbedingten Treue zum seinem Vater (…) als Kuckuckskind rechtfertigt für sich noch keine
japanischen Wertekanon. untergejubelt.“ (Welt der Wunder. Kündigung, wenn dem keine
Diese Vermenschlichung, dieses de, 6.1.2022) Untreue ist Alltag, nationalsozialistische Gesinnung zu
Vorbildliche von Tieren („ … mein selbst die vorbildlichen Pinguine sind Grunde liegt.“ (11.12.2019) Einein-
Mann empfängt mich nicht jeden nur für eine Saison treu. Löwen halb Jahre später ist man beim
Tag, als ob ich ein Jahr weggewesen haben durchweg mehrere Partnerin- gleichen Gericht strenger: „Dagegen
wäre …“) ist bis heute wiederkeh- nen und die uns so nahen Men- ist die Kündigung eines Lehrers, der
rende Erzählung, vor allem in den schenaffen, die lange als „Vorzeige- auf dem Oberkörper die Tätowie-
Unterhaltungsmedien. Als „treue monogamisten“ galten, haben rung `Meine Ehre heißt Treue´ in
Seele“ (Bunte.de) warten immer neben einer festen Beziehung Frakturschrift trägt, wirksam. Aus
wieder Hunde auf ihren meist regelmäßig heimliche Seitensprünge der Tätowierung lassen sich auf die
verstorbenen Besitzer oder „tingeln im dichten Regenwald. fehlende Verfassungstreue und
auch zwei Jahre nach dem Tod ihres damit fehlende Eignung als Lehrer
Herrchens jeden Tag zum alten schließen.“ (LarbBB, 12.5.2021)
Bauernhof“ (Neue Westfälische.de). Nur wer sich Treue ist also ein Rechtsbegriff mit
Aber die Biologie sieht das gefühllos ändert, bleibt sich treu großer Wirkungsmöglichkeit. Das
anders. Die Domestizierung des (Wolf Biermann) Amt des Treuhänders ist vor allem
Hundes macht ihn noch nicht zum bei Vermögensumschichtungen
treuesten Gesellen des Menschen. Halten wir fest: Es gibt sie, die Treue, bedeutend, bei Privatinsolvenzen,
„Hunde können Menschen manipu- sie ist keine Erfindung, aber oft nur bei Abwesenheit oder Nichtge-
lieren, wenn sie dafür ihr Lieblings- Wunschtraum oder eben Illusion. Da schäftsfähigkeit eines Eigentümers.
würstchen bekommen.“ (Tierwelt ist es schön, wenn man sich auf das Großes politisches Aufsehen erlang-
Magazin, 27.7.2020) Es geht dem Gesetz, das geschriebene Wort te diese „volle Rechtsmacht“ bei der
Hund nur um den Erfolg. Der Hund berufen kann. Eine Abmachung Auflösung der DDR. Die ‚Treuhand-
sei sogar in der Lage, aus strategi- heißt: Wer für den Staat arbeitet, tut anstalt‘ hatte die Aufgabe, volksei-
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T H E M A PA RT N E R S C H A F T
gene Betriebe nach den Grundsät- lebende Beweis ewiger Treue ganz ist es irgendwie abnorm.“ Jemand,
zen der sozialen Marktwirtschaft zu nah. Vom ehemaligen Bundesligas- der von Schalke zu Dortmund
privatisieren. Dafür schaffte sich die pieler Karl-Heinz Körbel gibt es ein wechselt, wird gnadenlos abgeur-
letzte Volkskammer der DDR 1990 Buch mit dem Titel „Der treue teilt. Er sei „ein Verräter“. Die
mit dem ‚Treuhandgesetz‘ sozusagen Charly“ (1988). Er wird darin gefeiert Humorlosigkeit und Strenge der
selber ab. Aber statt Gewinne zu als einer, der nie den Verein gewech- Einträge ist auffällig: „Seinen Verein,
erwirtschaften, kam es zur Krise. selt hat, „der 602-Spiele-Mann“ den man ins Herz geschlossen hat
Nach vier Jahren blieben von rund (Südd. Zeitung) der Eintracht. Mit und liebt, dem bleibt man bis in den
4,1 Millionen Arbeitsplätzen nur Widmung gibt es das Buch noch Tod treu.“ (Transfermarkt.de)
knapp 1,5 Millionen übrig. „Die heute, für 49,43 Euro. Entsprechend Da ist sie wieder, die altdeutsche
Kosten der Privatisierung überstei- gilt aus Zuschauersicht: „Fantreue ist Nibelungentreue. Gemeint waren
gen die Einnahmen (…) um ein alternativlos.“ (Dieter Jandt, damit historisch die Burgunder-Köni-
Vielfaches.“ (Bundeszentrale f. pol. Deutschlandfunkkultur, 22.10.2017) ge, die mit dem Mörder Hagen ein
Bildung, Juni 2020) „Die DDR gilt in Die Anhänger vor allem im Fußball- Bündnis geschlossen hatten und ihn
diesen Jahren als ein riesiger bereich haben eine Kultur entwickelt nicht ausliefern wollten. Doch die
Schnäppchenmarkt.“ (mdr.de) Die mit eigenem Sprach- und Wertesys- gegenseitige Treuepflicht führte zu
überhastete Abwicklung wird im tem. Der englische Bestseller-Autor einer der schlimmsten Massaker und
Osten oft als ‚Ausverkauf‘ wahrge- Nick Hornby hat 1992 in dem Roman Metzeleien, die in ihrer literarischen
nommen. Erst seit 2019 werden vom ‚Fever Pitch‘ (Ballfieber) seine Darstellung den brutalen Gewalt-
Bundesarchiv nach und nach 45 km lebenslange Treue zu ‚seinem‘ Videospielen der heutigen Zeit in
(!!) Aktenmaterial geöffnet und Arsenal London zu beschreiben nichts nachstehen. Und diese Nibe-
freigegeben. Da wird sich noch versucht, „meine Besessenheit lungen-Geschichten waren sogar mal
lange über Treue und Treuebruch irgendwie in den Griff zu bekom- Schullektüre …
forschen und streiten lassen. men“. Entsprechendes formuliert ein Selbst die originelle Beschimpfung „
deutscher (Köln-)Fan etwas ungelen- du treulose Tomate“ ist nicht so
ker: „Es gibt ein paar Dinge im harmlos, wie sie scheint. Als im
Der Germane ist Leben, die man sich nicht aussuchen ersten Weltkrieg die Italiener neutral
kann, und das ist nun mal der blieben, sich nicht an das Bündnis
hartnäckig. Auch im Fußballverein.“ Manche bezeichnen mit Deutschland hielten und 1915
Schlechten. Er selbst es selbstkritisch als „Hörigkeit“. offen als Gegner auftraten, verstand
nennt es Treue. „Wenn ich mich lossage, gibt’s man das hierzulande als Treuebruch
(Tacitus, Germania) Phantomschmerzen.“ (Jandt, s.o.) und die südländischen Freunde
Diese leidenschaftliche Zuneigung wurde als Wortbrüchige gebrand-
Aber einen Bereich gibt es, da ist die kann zum „wahnhaften Verhalten“ markt – als treulose Tomaten eben.
Welt noch in Ordnung, da hat der werden (spox.com). In endlosen Dabei kommt das Nachtschattenge-
alte Treuebegriff noch seinen Wert. Chats wird darüber diskutiert, ob wächs wohl aus Mexiko und ist das
Umgekehrt zum Treueverlust in man als Fan seinen Verein wechseln mit Abstand beliebteste Gemüse der
Liebe und Familie steigt die Treue darf. Die scheinliberale Antwort: Welt. Wolfgang Tschorn
zum Verein. Und in Frankfurt ist der „Man kann und man darf. Allerdings
Hachiko – Japans berühmtester Hund
Denkmal für eine treue Hundeseele
Jeder Tokyo-Besucher dürfte ihn schaft“ mit Richard Gere aus dem ge Akita, eine alte japanische Hunde-
kennen, Hachiko, den berühmtesten Jahr 2009 bekannt sein. rasse, im Alter von 2 Monaten zu
Hund Japans. Und selbst Menschen, Die Geschichte von Hachiko offenbart seinem neuen Herrn, Hidesaburo
die noch nie in Japans Hauptstadt die sprichwörtliche Hundetreue. Ueno, einem Professor für Agrarwis-
waren dürfte er durch den Film Geboren 1923 auf einem Bauernhof senschaft an der Universität Tokyo.
„Hachiko - Eine wunderbare Freund- im Norden Japans, kam der reinrassi- Nach allgemeiner Überzeugung
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T H E M A PA RT N E R S C H A F T
musste ein Akita innerhalb von zwei Vorlesung getötet.
Monaten mit seinem neuen Herrn 10 Jahre lang mussten sich die
vereint sein - so würde die Bindung Fahrgäste am Bahnhof Shibuya an
stärker. Der kinderlose Akademiker einen ungewöhnlichen Anblick
kümmerte sich ausgiebig um Hachi, gewöhnen – so oft er konnte, kam
sprach mit ihm, spielte mit ihm und Hachi zum Bahnhof, um auf seinen
fütterte ihn. Hachi wuchs zu einem toten Herrn zu warten. Einige Zeit
kräftigen Akita heran, über 60 nach dem Tod des Professors war das
Der echte
Zentimeter groß, mehr als 40 Kilo- Tier bei dessen ehemaligem Hachiko mit
seinen Fans
gramm schwer, mit dichtem cremefar- Gärtner untergekommen, zu dem
benen, leicht gelbem Fell, einem er abends zurückkehrte.
Ringelschwanz und hochstehenden 1934, noch zu Lebzeiten wurde in
Ohren. Jeden Morgen ließ sich Ueno seinem Beisein am Bahnhof
von Hachi Richtung Arbeit begleiten, Shibuya ein Bronzedenkmal
meist zum nicht weit entfernten eingeweiht, das aber bereits im
Bahnhof Shibuya. Dort holte der zweiten Weltkrieg eingeschmol-
Hund ihn abends auch wieder ab - zen wurde. 1935 starb Hachiko
egal ob bei Sturm oder Sonnenschein. und löste landesweite Trauer aus. Das Hachiko-Denkmal am
Tokyoter Bahnhof Shibuya
Auch am 21. Mai 1925, einem wol- Am 15. August 1948, exakt drei Jahre
Richard Gere mit „seinem“
kenverhangenen, düsteren Tag, nach Kriegsende, enthüllte man die Akita-Welpen
wartete Hachi auf Uenos Rückkehr. neue Statue von Skulpteur Takeshi
Doch an diesem Abend stieg der Ando. Seither ist sie ein fester punkte und Wahrzei
Professor nicht aus dem Zug. Eine Bestandteil von Shibuya und hat sich chen von Tokyo
Hirnblutung hatte ihn während einer zu einem der bekanntesten Treff entwickelt. ws
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GOETHE UND LANGEN
Goethe, Gretchen und die
Gesellschaft der Arkadier
Bei den Feierlichkeiten anlässlich der ging schuldlos aus der Affäre hervor. Johann Philipp von Isenburg-Offen-
Kaiserkrönung Joseph II lernte Dennoch wurde sie des Landes bach (1655- 1718) den Wiederauf-
Johann Wolfgang Goethe seine erste verwiesen und kam bei Verwandten bau des herrschaftlichen Gutes. Er
große Liebe kennen, jenes legendä- in Offenbach am Main unter. Aber machte nicht nur den Neuhof zur
re Gretchen, eine „Schankmagd“ im der junge Goethe fühlte sich arg Musterdomäne, sondern machte
„Bobbeschänkelchen“ (Puppen- mitgenommen; er flüchtete sich in den Neuhof, ähnlich wie das Schloss
schränkchen) in der Weißadlergasse, die Krankheit und hütete für einige Philippseich, zum Versuchsgarten
die dem jungen Goethe und seinen Tage das Haus, bis zu erwarten war, für den Anbau von Obst- und
Freunden den Wein servierte, denn dass die Angelegenheit verraucht Weinsorten, sowie Gewürzkräutern.
der Vater des jungen Mädchens war war und auch das Stadtgespräch in Als der Graf starb, scheint das
Gasthalter des Gasthauses „Zur Frankfurt am Main anderen Neuig- Interesse an einem weiteren Ausbau
Rose“. keiten Platz machte. der fürstlichen Domäne erloschen zu
sein. Seine zweite Gemahlin, Gräfin
In diese Zeit fiel auch eine Episode, Louise Charlotte von Sayn-Wittgen-
Der Umgang mit die sich auf dem nahegelegenen stein-Berleburg (1684- 1731), über-
Neuhof abspielte. Der Neuhof in der ließ den Hof dem isenburgischen
Frauen ist das Element Gemarkung der heutigen Stadt Rat Friedrich Carl von Buri. Unter der
guter Sitten Dreieich gelegen, war eine herr- Ägide der Familie Buri wird der
(Johann Wolfgang schaftliche Domäne, deren Ursprün- Neuhof zum Sitz einer literarischen
Goethe) ge sich erstmals im Jahre 1497 Vereinigung nach den Regularien
urkundlich belegen lassen und die in einer Loge, die für die Goethefor-
Aber bald fiel ein alter Zeit „Sprendlinger Hof‘ schung sehr wichtig und für unsere
Wermutstropfen in genannt wurde. Nach wechselhaf- Betrachtung interessant sein dürfte.
den Freudentaumel tem Geschick übernahm Graf Der älteste Sohn von Friedrich Carl
des jungen Glücks: Buri (1753
von den Freunden geadelt) war
und Verwandten des Ernst Carl Ludwig
jungen Mädchens Ysenburg von
Portrait des jungen Goethe erwiesen sich einige Buri (1747
als Taugenichtse mit krimineller - 1806), der als
Veranlagung. So wurde Goethe in deutscher
eine peinliche Untersuchung verwi- Schriftsteller in
ckelt und er wusste nicht, wie ihm der Zeit der
geschah! Schließlich wurde die Sache Aufklärung
durch Vermittlung eines väterlichen gehandelt wird.
Freundes beigelegt, und Gretchen Mit gerade
Der Neuhof, Zeichnung von Heinz Lenhardt
10GOETHE UND LANGEN
einmal 13 Jahren führte er die 1759 sich weiter nicht melden wird. Sollte und in seiner literarischen Schaffens-
gegründete „Arkadische Gesellschaft er aber doch so unverschämt seyn kraft gestärkt verlebte er seine
Philandria“ an. In der Epoche des sich noch einmal zu melden, so habe Straßburger Zeit. Als selbstbewusster
Rokoko, die zwischen aristokratisch- ich mir bereits vorgenommen ihn junger Dichter kam er von dort
höfischer Tändelei und aufgeklärter nicht einmal einer Antwort zu zurück, von den Ideen Herders
Hinwendung zur Natur und freiem würdigen.“ Im Wesentlichen war die (1776- 1838) erfüllt. Freundschaft
Leben ihr Ideal sah, in der Moliere, hochnäsige Abfuhr an den jungen und Beistand fand er in Darmstadt
Voltaire und Rousseau gleicherma- Goethe auf seine durchgestandene bei „Mephisto-
ßen die Gemüter bewegte, erfreuten Affäre mit Gretchen zurückzufüh- pheles Merck“.
sich süßlich-schwärmerische Schäfer- ren, an der die „Arkadier“ Anstoß
spiele als gesellschaftliche Unterhal- nahmen. Später, als Goethes Stern Die für Goethes
tung großer Beliebtheit. Zum schon am Leuchten war, hat Ysen- literarische
Aufnahmeritual in diese Gesell- burg von Buri gemerkt, was er falsch Entwicklung so
schaft gehörte auch folgerichtig die gemacht hatte und er versuchte bedeutsame
Übergabe von Schäferhut, Schäferta- Goethe um Wiederaufnahme des Freundschaft mit
sche und Schäferschippe an den Aufnahmegesuches zu bewegen. dem Darmstädter
Aufnahmebewerber. Die Mitglieder Aber dieses Mal war es Goethe, der Kriegsrat Johann
gaben sich griechische Schäferna- auf das Ansinnen nicht reagierte! Heinrich Merck
men und nannten gar den Sitz ihrer (1741 - 1791)
Vereinigung, den Neuhof, „Phyland- beginnt im Jahre Johann Heinrich Merck (1741 - 1791)
ria“, was so viel heißt, wie „tapfere Das war freilich 1771. Johann Wolfgang Goethe war
Schar“. Vermutlich lässt sich der damals zweiundzwanzigjährig, am
Name von „Phylander“, dem Sohn
ein wunderlicher be- Anfang seiner juristischen Laufbahn
von Apollo und Vater der Phyllis deutender Mensch und hatte bereits den „Werther“
herleiten. geschrieben, der „Götz“ begann an
Diese Gesellschaft erreichte eine Goethe, Merck und Gestalt zu gewinnen. Johann
Heinrich Merck war dreißig Jahre alt
historische Bedeutung, als am Langen und stand auf der Höhe seiner beruf-
23.5.1764 sich Johann Wolfgang
lichen Karriere. Merck entstammte
Goethe in einem Brief an Ysenburg Johann Wolfgang Goethe war (fast)
der Familie, die seit 1668 die Darm-
von Buri wandte und um Aufnahme überall. Einer nicht verbrieften
städter Engel-Apotheke innehatte
in die Vereinigung bat. Es ist der Zählung zu Folge gibt es in Deutsch-
und aus welcher nachmals der
erste erhaltene Brief des jungen land, Böhmen, in der Schweiz und
Gründer der chemischen Fabrik E.
Goethe. In diesem Schreiben bat er Italien 735 Goetheorte und zwar in
Merck hervorgegangen ist. „Mercks
„um nichts als Bekanntschaft“ und Ansiedlungen, wo er mehrere Tage
Lebensgeschichte führt in das
beschrieb sich selbst: „Einer meiner und Monate anwesend war oder
Darmstadt der zweiten Hälfte des
haupt Mängel, ist, dass ich etwas aber nur für eine Übernachtung
18. Jahrhunderts, in die kleine
heftig bin.“ Ysenburg von Buri anzutreffen gewesen ist. Sie alle
verträumte Residenz der hessischen
antwortete recht schroff: „Nach dem sind durch die Anwesenheit des
Landgrafen, die im Guten wie im
Bild welches mir ihr Freund (Karl Dichterfürsten geadelt. Witzbolde
Schlimmen durchaus von der Hofhal-
Schweitzer) von Ihnen gemacht hat und Spaßmacher haben deshalb ein
tung geprägt war.“
kann ich nicht anderß als sie würdig Blechschild geschaffen, auf dem zu
halten in unsere Gesellschaft mit lesen ist „Hier war Goethe – nicht!“
aufgenommen zu werden ... Die Merck hat jahrzehntelang glänzen-
Zeit kann ich noch nicht bestim- Seine erste größere Reise war der de Buchkritiken für Wielands
men.“ Im Übrigen hat er ihn hinhal- Studienaufenthalt in Leipzig. Auf „Teutschen Merkur“ geschrieben, er
ten lassen. Zum Schluss hatte Buri in die Leipziger Zeit folgte bei Goethe zählte zu den namhaftesten Kunst-
einem Schreiben an Karl Schweitzer ein Rückfall in die Krankheit, dem kennern seiner Zeit, er hat sich auf
vermeldet: „Herr Goethe schweigt sich eine Zeit der Genesung in mehreren naturwissenschaftlichen
ganz still und ich hoffe auch, daß er Frankfurt anschloss. Gesundheitlich Gebieten in denkwürdiger Weise
11GOETHE UND LANGEN
ausgezeichnet, aber auch verlege- men“ einführte, der sich im Umkreis in mir so wenig Schlaf, dass ich eine
risch und industriell hat er sich von Landgräfin Karoline Henriette frische Spazierwanderung anzutre-
betätigt. Amtlich aber war und blieb von Hessen-Darmstadt, geb. Prinzes- ten nicht säumte. Ich ging die
er im ganzen Ablauf dieses reichen sin von Pfalz-Zweibrücken (1721 - Landstraße nach Frankfurt zu, mich
und farbigen Lebens ein Glied des 1774), von Goethe als die „Große meinen Gedanken und Hoffnungen
landgräflich hessischen „Kriegsde- Landgräfin“ tituliert, gebildet hatte. zu überlassen; ich setzte mich auf
partements“ mit dem Titel eines Zur Gesellschaft zählte u.a. auch eine Bank, in der reinsten Nachtstil-
Kriegsrates, beladen mit den Dienst- Karoline Flachsland, die „Psyche“ in le, unter dem blendenden Sternen-
pflichten, in denen sich keine seiner Goethes Dichtung. Noch zwei himmel mit und ihr anzugehören ...
vielen genialen Fähigkeiten auswir- weitere Hofdamen haben auf Ich war darauf weiter nach der Stadt
ken konnte. Goethe notierte später Goethe nachhaltigen Eindruck zu gegangen und an den Röderberg
in „Dichtung und Wahrheit“ über gemacht: Luise von Ziegler, das gelangt, wo ich die Stufen, welche
den Darmstädter Freund: „In seinem „warme, feurige Mädchen“, als nach den Weingärten hinaufführten,
Charakter lag ein wunderbares „Lila“ in Goethes Lyrik eingegangen an ihrem kalkweißen Scheine
Verhältnis: von Natur ein braver, und Henriette von Roussillon als erkannte. Ich stieg hinauf, setzte
edler, zuverlässiger Mann, hatte es „Urania“. Der Lieblingsaufenthalt mich nieder und schlief ein. Als ich
sich gegen die Welt verbittert und des Darmstädter Kreises der Emp- wieder aufwachte, hatte die Däm-
ließ diesem grillenhaften Zug findsamen war die freie Natur, merung sich schon verbreitet. ...
dergestalt in sich walten, dass er eine besonders die schönen Wälder um Sachsenhausen lag vor mir, leichte
unüberwindliche Neigung fühlte die Residenzstadt. Diese Vorliebe Nebel deuteten den Weg des Flusses
vorsätzlich ein Schalk, ja ein Schelm deckte sich mit Goethes Neigungen an; es war frisch, mir willkommen.“
zu sein. Verständig, ruhig, gut in besonders. Häufig führte er seine
einem Augenblick, konnte es ihm in Unternehmungen als Fußwanderun- Es ist bezeugt, dass Goethe und
dem andern einfallen, wie eine gen durch, weshalb er den Beina- Merck sich auf halbem Weg zwi-
Schnecke ihre Hörner hervorstreckt, men „Der Wanderer“ erhielt. „Mehr schen Darmstadt und Frankfurt in
irgendetwas zu tun, was einen als jemals war ich gegen offene Welt Langen mindestens dreimal getrof-
andern kränkte, verletzte, ja was und freie Natur gerichtet“, schrieb er fen haben. Langen ist explizit als
ihm schädlich ward. Doch wie man später. So auf seinen Wanderungen „Goethe-Ort“ im „Goethe-Atlas“
gern mit etwas Gefahrliehern zwischen Frankfurt und Darmstadt vermerkt. Zudem waren Goethes
umgeht, wenn man selbst davor auch sein Hymnus „Wanderers Eltern ebenfalls dreimal in Langen
sicher zu sein glaubt, so hatte ich Sturmlied“ entstanden: „Unterwegs zu Besuch, wie Dagmar von Gersdorf
eine desto größere Neigung, mit ihm sang ich mir seltsame Hymnen und berichtet.
zu leben und seiner guten Eigen- Dithyramben, wovon noch eine
schaften zu genießen, da ein zuver- unter dem Titel: , Wanderers Sturm- Merck kam zu Fuß von Darmstadt
sichtliches Gefühl mich ahnen ließ, lied‘ übrig ist. Ich sang diesen und Goethe von Frankfurt am Main
dass seine schlimme Seite nicht Halbunsinn leidenschaftlich vor mich gewandert. So ist es
gegen mich kehren werde.“ Tatsäch- hin, da mich ein schreckliches Wetter in einem Briefwechsel
lich war Merck ein guter Wegbeglei- unterwegs traf, dem ich entgehen vom 27.8.1774
ter des tatendurstigen jungen musste.“ Langen vermerkt, als
Goethe, dem Enfant terrible der er Merck nach hier
bürgerlichen und höfischen Gesell- Über seine nächtlichen Spaziergänge eingeladen hatte, um
schaft seiner Zeit. Kaum einem auf der Landstraße nach Frankfurt seinen Geburtstag zu
anderen Menschen außer Schiller, am Main erzählt Goethe in romanti- feiern. In Erwartung
hat Goethe eine solche innere scher Weise: „Wir waren beim des Freundes schrieb
Beziehung nachgerühmt. klarsten Sternenhimmel bis spät in er einen Brief an
der freien Gegend umher spaziert; Charlotte Buff, den er
Die Freundschaft zu Merck wurde im und nachdem ich sie und die Gesell- am 31.8. abschloss:
folgenden Jahre 1772 erst richtig schaft von Türe zu Türe nach Hause „Hier herein gehört,
gefestigt, als dieser ihn in den begleitet und von ihr zuletzt Ab- meine Liebe, beilie-
„Darmstädter Kreis der Empfindsa- schied genommen hatte, fühlte ich gendes
12 Historisches SchützeGOETHE UND LANGEN
Blättchen, das ich in Langen schrieb, Heimatforscher
letzten Samstag, eh Merck kam. Wir schwankt
verbrachten einen glücklichen Tag, zwischen den
der Sonntag war leider sehr tro- Gasthäusern „Zur
cken.“ Und abschließend gesteht er Sonne“ und
ihr: „... doch die Nacht träumt ich „Zum Stern“, die
von dir wie ich wäre wieder zu dir damals herausra-
gekommen und du mir einen gende Herber-
herzlichen Kuss gegeben hättest. gen in Langen
Solang ich von dir weg bin hab ich waren. Sicherlich
weder wachend noch träumend, trafen sich
dich so deutlich vor mir gesehen. Johann Wolf-
Adieu.“ gang Goethe
Goethes Eltern, Privatbesitz Gerd Grein
und sein Freunde
Wie schon erwähnt, waren Goethes Merck im Gasthaus „Zur Sonne“. Die war dann eine wahre Freude für die
Eltern ebenfalls in Langen zu „Sonne“ war unbestreitbar das ortansässigen Handwerker, die
Besuch. Ob sie sich davon überzeu- renommierteste Haus am Platze, Wagner, die Schmiede, die Sattler.
gen vermochten, was ihr Sprössling Thurn und Taxische Pferdewechsel- Unverhofft kamen sie zu Verdienst
hier so trieb? Wir wissen es nicht. Im station, in seinen Stallungen fanden und Brot! Waren zudem noch
Ausgabenbuch von Johann Caspar bis zu 200 Postpferde Unterkunft. Mitreisende in der Kutsche, so
Goethe ist am 30.3.1775 verzeichnet Das Anwesen des Gastwirts Johann mussten diese aussteigen und die
„excursio langeniana“, Ausflug nach Thomas Oppermann (1706 - 1767) nahegelegenen Gasthäuser aufsu-
Langen 8 Gulden. Im Sommer 1777 war das höchstbesteuerte seiner Art chen, um den unfreiwilligen Aufent-
konnten wieder Spazierfahrten und in Langen. halt erdulden zu können. So erging
eine Exkursion für 23 Gulden nach Merck nennt die Poststation in es auch Johann Wolfgang Goethe
Langen unternommen werden. Es Langen explicit, als er den baltischen am 11.10.1814: „... Ein Schaden am
war durchaus eine stattliche Summe, Dichter von Sturm und Drang Jakob Rad hielt uns in Langen auf, doch
die da in Anschlag gebracht wurde. Michael Reinhold Lenz (1751 - 1792) kamen wir zu rechter Zeit nach
Frau Aja stellte fest: „Ich bin auch in seiner Kutsche nach Frankfurt am Frankfurt ...“
sehr oft auf dem Land bey guten Main geleitete. „Auf der Poststation Was allerdings Goethe und Merck in
Freunden.“ in Langen, etwa drei Stunden von Langen tranken, dies kann man
Frankfurt entfernt, waren dort zwei nicht mit Gewissheit sagen. Zwar
Über den Ort der Zusammenkunft Jünglinge zu Pferde und in der stand der Weinbau in Langen nach
von Goethe und Merck ist nichts bekannten Werther-Tracht erschie- den Wirren des Dreißigährigen
Genaues bekannt. Die Meinung der nen, die vor dem Wagen einherrit- Krieges im 18. Jahrhundert in voller
ten.“ Blüte. 1697 wurden sogar neue
Weingärten „angerodet“ und 1766
Die Poststation, das Gasthaus „Zur fand eine Neuabpflockung der
Sonne“, lag an der berüchtigten guten Lagen in den Langener
S-Kurve inmitten des Ortes, dem Wingerten statt. Verschiedentlich
einzigen Verkehrshindernis
zwischen Frankfurt und
Darmstadt. Wenn nämlich ein
unkundiger Kutscher mit
seinem Gefährt im scharfen
Trab von Frankfurt kommend,
sich der Kurve näherte und er
die Pferde herumriss, konnte
es passieren, dass der Wagen
oder die Kutsche umfiel. Das
enhäuschen, Langen, Tusche-Zeichnung von Marianne Heim
13
Ehemaliges Gasthaus „Zur Sonne“GOETHE UND LANGEN
wurden Weinproben an den land- Gerald Krieghafer hat diesen
gräflichen Hofnach Darmstadt Sinnspruch als „Kuckuckszitat“
expediert. Die Landgräfin Karoline entlarvt. Er bleibt jedoch schuldig, wem
Henriette, die einst davon kostete, dieser Text zuzuschreiben ist. Dessen
erkundigte sich nach der Gemar- ungeachtet: Goethe hat sich über den
kung, wo dies edle Gewächs herrüh- Wein vielfältig und ausreichend geäu-
re. Man sagte ihr, der Wein sei in ßert! Alle edierten Bereiche der Auto-
Langen gewachsen, fügte aber renschaft Goethes, einschließlich der
bedauernd hinzu, dass der Weinbau Briefe und Gespräche, ergeben zum
durch viele Obstbäume, insbesonde- Stichwort „Wein“ nebst sinnverwandter
re Nussbäume, die man zwischen die Begriffe gut 1300 Belege. Es mangelt Zur Person
Gerd Grein (* 1944 in Langen), hessischer
Rebzeilen pflanzte, beeinträchtigt somit nicht an Beschäftigung mit dem
Volkskundler, war Museumsleiter des Muse-
sei. Goethe hat sicherlich den Thema „Goethe“. ums Otzberg. Ausbildung als Verwaltungs-
Langener Wein verschmäht und dem Dass ich Langen als „Goetheort“ einer lehrling und Examen als Sozialarbeiter,
Rheinwein den Vorzug gegeben, der epischen Breite zugestanden habe, ist mei- 1972 Leiter der Jugend- und Altenpflege
der Stadt Langen. 1977 Leitung der Kul-
natürlich im renommierten Gasthaus nem überaus großen Lokalpatriotismus
turabteilung der Stadt Langen.
„Zur Sonne“ für betuchte und geschuldet: Denn ich bin Langener Kind! Engagement für die Aufarbeitung der
vornehme Gäste vorrätig gehalten Mein bester Freund Frank Oppermann Langener Stadtgeschichte und beim
wurde. stammt aus der Gasthalterfamilie Aufbau des Stadtmuseums. 1988 Wechsel
nach Groß-Umstadt als Kulturamtsleiter.
Goethe trank fast ausschließlich Oppermann im renommierten Haus
Museumsleiter im früheren Rathaus von
Wein. „Das Leben ist zu kurz, um „Zur Sonne“, der Ahnherr war einst der Lengfeld Als 1984 die Jugendherberge in
schlechten Wein zu trinken“. Dieser reichste Mann Langens, während mein der Veste Otzberg aufgegeben wurde,
vielzitierte Ausspruch wird Goethe Vorfahre mütterlicherseits Gemeinde- wurde Greins Museumskonzept dort
umgesetzt. Er veröffentlichte mehrere
zugeschrieben. Er stammt jedoch kuhhirte und Nachtwächter war. Er war
Bücher über Goethe und die Region. und
nicht von ihm! Der österreichische also an der untersten Sprosse der leitet Führungen durch die neue Frank-
Philosoph und Sprachwissenschaftler sozialen Leiter angesiedelt! furter Altstadt.
Radtour-Geheimtipp
Ganz nah und doch so fern
Unzählige Vorschläge gibt es für hocken schweigend auf dem Dach gelagert oder bearbeitet wird. Allein
Ausflüge mit dem Rad oder zu Fuß der verwaisten Bushaltestelle. Erst ein mysteriöses, knappes Namens-
– doch immer nur in schöne Land- einmal ist man überrascht, wie viel schild, meist englisch, lässt vieles
schaften mit unberührter Natur. sich gegenüber dem letzten Besuch vermuten.
Dabei gibt es Gebiete von einzigar- verändert hat, wie viele neue Firmen
tiger Faszination, oft ganz nah am sich angesiedelt haben, architekto- Auch erst am Sonntag schaut man
Wohnort, um die man normaler- nisch manchmal atemberaubend. auf die Unterschiede in der Außen-
weise einen großen Bogen macht. Gläserne Paläste, auf höchstem öko- gestaltung um die Gebäude herum:
Warum eigentlich? Wie wär’s mal logischen Standard, schwankend Manche Unternehmen haben eine
mit einer Entdeckungstour durch zwischen kühlem und kühnem aufwändige Grünanlagengestal-
die Gewerbegebiete rundherum? Design. Manchmal sind es aber auch tung, mit perfekt beschnittenem,
nur riesige, turmhohe verschlossene sehr übersichtlichem Gebüsch oder
Das geht natürlich nur an Sonnta- Lagerhallen mit der Strahlkraft eines sattgrünem Wembley-Rasen, auf
gen. Da sind dort die gut ausgebau- Schuhkartons. Daraus kann man dem kunsthandwerklich bearbeitete
ten Straßen menschenleer und vor sogar eine Rätselrallye machen: Steine, Skulpturen oder sogar
allem verkehrslos. Wie still und Denn selbst auf den zweiten Blick ist Wasserspiele stehen. Andere sind
friedlich hier alles ist – kein Laut stört oft nicht herauszubekommen, was dagegen schmucklos, bis auf den
die Idylle! Nur ein paar Krähen in diesem Betrieb wohl hergestellt, letzten Zentimeter zugepflastert,
14I N F O R M AT I O N
nur mit vielen Markierungen auf bisher noch gar
dem Asphalt. nichts wusste. Hier
Verblüffend ist, wie man seinen Blick sieht man, was die
plötzlich schweifen lassen kann über Leute so täglich
riesige Freiflächen, die werktags essen, wenn es
volle Parkplätze sind, besonders schnell gehen soll.
Supermarktabstellflächen erscheinen Aber sonntags ist
so groß wie Flugzeuglandebahnen. Ruhetag.
Man bekommt ein Gefühl dafür, was Das sollte man
der Begriff Steinwüste eigentlich sich einmal
meint. Es gibt keine Bänke, keine ansehen. Das
Rad- oder Fußwege. Hier wird nicht Gewerbegebiet,
verweilt, hier wird geeilt. Einzelne ein schlafender
Bäume wirken wie Fremde, die sich Riese, ist dann zur Menschenleer und (fast)
autofrei: Gewerbegebiet
schämen, im Wege zu stehen. Buntes Besichtigung Mörfelden-Walldorf
Leben präsentiert sich nur durch freigegeben.
viele große Werbewände am Wem das alles zwischen Arheilgen
Straßenrand und an den fensterlo- und Neu-Isenburg zu wenig ist, der
sen Gebäudefassaden. Dass diese kann auch eine größere Radtour
Gebiete nur wochentags leben, zeigt planen: einmal auf dreißig Kilome-
sich an der erstaunlich hohen Zahl tern die größte Wirtschaftsfläche
an Schnellimbissen, Dönerbuden und Hessens, den Frankfurter Flughafen,
Frittenstationen, von denen man erfahren. who
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15I N T E RV I E W
70 Jahre Kiosk an der Post
„Wir würden gern
die Hundert schaffen!“
Kaum jemand, der durch die Lange- kaufsleiterin Alexandra
ner Bahnstraße kommt, hat einen Schütz den Laden. Mit
Blick für die Architektur. Dabei gibt Zeitschriften und Geträn-
es viel zu sehen, ein Sammelsurium ken – nur zum Mitneh-
von Baustilen erzählt von der über men - , Süß- und Tabak-
hundertjährigen Geschichte der waren und als
Straße. Echte und nachgemachte Lottoannahmestelle
Fachwerkhäuser, Jugendstilfassaden, schaffen es die beiden hatten wir in der Corona-Zeit mehr
die vielen „Schuhkarton-Häuser“ der Frauen bis heute, sich zu behaupten. Zulauf, weil wir nicht begehbar sind.“
1970er Jahre oder die jüngsten Ihr Alleinstellungsmerkmal gegen- Alexandra Schütz, die jetzt schon im
Glaspaläste – alles kann man direkt über der Konkurrenz sei „ein zwanzigsten Jahr im Kiosk arbeitet,
neben- und durcheinander finden. Lächeln dazu“. Freundlichkeit und wünscht sich die Bahnstraße „beleb-
Ganz besonders fällt ein flacher, Service haben ihnen eine große ter, einladender“, „mit mehr kleinen
reklameverzierter Kiosk ins Auge, Stammkundenschaft gebracht. Hier Geschäften und mehr Grün.“ Sie
der zwischen den mehrstöckigen setzt sich ein Stück der Frankfurter selbst pflegt und und gießt als Patin
Häusern einen Platz gefunden hat – Wasserhäuschen-Kultur fort, „nur das öffentliche Beet vor ihrem
der „Kiosk an der Post“! ohne Trinken“ – was früher anders Geschäft. Allerdings sieht sie die Idee
war. Heute holen sich die Älteren einer Fußgängerzone skeptisch:
Er ist Teil dieser wechselhaften ihre Zeitschrift und bekommen ein Dann fiele der Morgenverkauf an
Bahnstraßen-Tradition. Seit 1952 gibt Schwätzchen gratis dazu. Gerade die Eben-mal-halten-Autofahrer
es dieses Verkaufshäuschen – und freitags, wenn nebenan Wochen- weg, die sich Zeitung und Zigaretten
damit ist er das älteste Geschäft hier. markt ist, kommen die Kunden, vor holten. Bester Kompromiss für die
1998 renovierte der damalige dem Geschäft gebe es eine regel- Straße sei eine Einbahnregelung, die
Besitzer Klaus Hohla das angrenzen- rechte „Rollator-Parade“, lacht breite Fußwege und mehr Lust aufs
de Haus, dann übernahm Susanna Schäfer. Leider sei das Zeitungsge- Verweilen möglich macht.
Schaary 1999 den Kiosk. Bis heute schäft wegen der neuen Handy-
führt sie erfolgreich mit der Ver- Generation rückläufig. „Allerdings Die beiden Betreiberinnen versuchen
16I N T E RV I E W
auf allen Ebenen, sich ihre Nische zu – und etwas gekauft hätten. Mit zweiten Maiwoche das 70-jährige
bewahren. Ihr fünfjähriger „Olaf, ihrem Konzept des engen Kunden- Jubiläum gefeiert werden. Aber die
der freundliche Beagle“ (Offenbach kontaktes glauben die beiden Perspektive für die Zukunft geht viel
Post) hat es schon bis ins Fernsehen Kioskbetreiberinnen auch gegen die weiter: „Ich würde gerne die Hun-
bei der Hessenschau und RTL ge- zunehmende Konkurrenz der dert schaffen“, versichert Alexandra
schafft. Schütz berichtet, dass wegen Supermärkte in ihrer Nähe überle- Schütz, ehe sie den nächsten Lotto-
des Hundes sogar Leute aus Mainz ben zu können. „Hier ist für jeden schein bearbeitet. who
gekommen seien, Leckerli gespendet gesorgt.“ Erst einmal soll in der
Langens Bahnstraße – erinnern Sie sich?
Langens Bahnstraße Ende 1960, Anfang 1970 Fotos: Stadtarchiv Langen
Für Sie neu hergerichtet.
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17I N F O R M AT I O N
Das Gesicht hinter der Stimme hat sie nach einem freiwilligen
Sozialen Jahr im Rathaus ein duales
Die Neue der Haltestelle Studium absolviert. Sozialpädagogik
und Management. Im April 2018
wurde sie im Rathaus übernommen
und hat im Oktober 2018 den
Mastertitel erworben.
Als Franziska in diesem Jahr in das
Begegnungszentrum wechselte,
dann hauptsächlich wegen des
sozialen Umfeldes, wegen der viel-
fältigen Kontakte und dem
Umgang mit vielen Menschen, die
sich über ein freundliches Wort
und über Aufmerksamkeit freuen.
Dem Außenstehenden fällt auf,
dass Franzi Spaß hat an ihrer
Tätigkeit und wenn dann ihr
„Begegnungszentrum Haltestelle, schreiben, die seit März das Team Lieblingsverein, der OFC, auch
Klunker“ – so meldet sie sich am des Begenungszentrums Haltestelle noch gewinnt und ihr Hund „Simba“
Telefon – Franziska Klunker. verstärkt. sich auf das Nachhausekommen von
Frisch, sympathisch, freundlich. So Gebürtige Offenbacherin, aber seit Frauchen freut, ist die Welt in
läßt sich in Kürze die Stimme be- ihrem zweiten Lebensjahr in Langen, Ordnung. ws
Gestatten, mein Name ist Günther
Maskottchen der Haltestelle
Ich bin ein kleines Eichhörn- beschlossen, mich zu retten. In
chen und das neue Mas- Offenbach haben sie eine Adresse
kottchen der Haltestelle. gefunden, die solch hilflose Wesen
Und das kam nämlich so … wie mich aufnimmt, pflegt und
Ende März dieses Jahres lag aufpeppelt: Wildtierhilfe Schäfer
ich hilflos vor dem Begeg- e.V., Waldstraße 275, Offenbach.
nungszentrum in der Dort erhielt ich sofort meinen
Elisabethenstraße. Ganz Namen: Günther. Die Mitarbeiter
klein noch, schwach und haben es tatsächlich geschafft, mich
hilflos. Wahrscheinlich aus Winzling mit viel Geduld und Pflege
einem Kogel auf dem wieder auf die Beine zu bringen. Es
Dachbalken in der Nachbar- geht mir soweit wieder gut, so dass
schaft gefallen. Niemand ich bald in die Freiheit entlassen
weiß es. Gerettet haben werden kann. ALs Günther, Maskott-
mich ein Nachbar und chen der Haltestelle. Dafür meinen
Franziska Klunker von der herzlichen Dank mit diesem Foto.
Haltestelle. Gleich in
Handtücher eingepackt, in Wenn Sie auch einmal ein hilfloses
einen Karton verfrachtet Tier finden, bei der Wildtierhilfe
und als ich mich ein wenig erreichen Sie kompetente Menschen.
bewegt habe, haben beide Telefon: 0178 7215103 ws
18Sie können auch lesen
