Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
Zeitschrift der      Hessen
 für Erziehung, Bildung, Forschung

74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
IN DIESER HLZ                                                                                                                                 HLZ 9–10/2021         2

                                                                                                                          Zeitschrift der GEW Hessen
                      Tarif- und Besoldungsrunde                                                                          für Erziehung, Bildung, Forschung
                       beginnt in Hessen: Jetzt!                                                                          ISSN 0935-0489

                    Die Tarifrunde 2019 endete für die Be-                                               I    M       P      R     E      S      S    U       M
                    schäftigten des Landes Hessen mit ei-
                                                                                                         Herausgeber:
                    ner respektablen Gehaltssteigerung                                                   Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                    von durchschnittlich 8 Prozent in drei                                               Landesverband Hessen
                    Schritten, die letzte Gehaltserhöhung                                                Zimmerweg 12
                                                                                                         60325 Frankfurt/Main
                    gab es im Januar 2021. Mit diesem Er-                                                Telefon (0 69) 971 2930
                    gebnis wurde die bundesweite Tarifrun-                                               Fax (0 69) 97 12 93 93
                    de im Bereich der anderen Bundeslän-                                                 E-Mail: info@gew-hessen.de
                                                                                                         Homepage: www.gew-hessen.de
                    der in der Tarifgemeinschaft der Länder
                    auch in Hessen nachvollzogen. Die Ta-                                                Verantwortlicher Redakteur:
                                                                                                         Harald Freiling
                    rifeinigung wurde für die Beamtinnen                                                 Klingenberger Str. 13
                    und Beamten weitgehend zeit- und in-                                                 60599 Frankfurt am Main
                    haltsgleich übernommen, auch hier gab                                                Telefon (0 69) 636269
                                                                                                         E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
                    es die letzte Besoldungserhöhung am       den Tarifvertrag der Länder (TVL), son-
                    1.1.2021 – auch das ein Erfolg der Ge-    dern sie stehen an der Spitze. Über die    Mitarbeit:
                                                                                                         Christoph Baumann (Bildung), Tobias Cepok (Hoch-
                    werkschaften.                             Schwierigkeiten und Herausforderun-        schule), Holger Giebel, Angela Scheffels (Mitbestim-
                        Die neue Tarifrunde in Hessen be-     gen, die durch einen engen Zeitplan und    mung), Michael Köditz (Sozialpädagogik), Annette
                    ginnt Anfang September unter ver-         die Pandemie weiter gesteigert werden,     Loycke (Recht), Andrea Gergen (Aus- und Fortbildung),
                                                                                                         Karola Stötzel (Weiterbildung), Gerd Turk (Tarifpolitik
                    änderten Vorzeichen: Erstmals fahren      berichten Maike Wiedwald und Thi-          und Gewerkschaften), Simone Claar (Hochschule)
                    die Gewerkschaften des öffentlichen       lo Hartmann in dieser HLZ auf Seite 6.
                                                                                                         Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert †
                    Dienstes in Hessen nicht im Geleitzug     • Alle weiteren aktuellen Informationen:
                    der bundesweiten Verhandlungen über       www.gew-hessen.de                          Schwerpunktthema:
                                                                                                         Dr. Kai Eicker-Wolf und Harald Freiling

                                 Privatisierung: Schwerpunktthema dieser HLZ                             Illustrationen:
                                                                                                         Ballhaus West | Agentur für Kampagnen GmbH (Titel),
                    Der Landesdelegiertenversammlung          reinigung (S. 8) und Mensaverpflegung      Dieter Tonn (S. 25, 33), Ruth Ullenboom (S. 4)
                    der GEW Hessen, die am 23. und 24.        (S.10) in hessischen Schulen, mit den      Fotos, soweit nicht angegeben:
                    September 2021 in Fulda stattfinden       millionenschweren Verlusten aus den        Harald Freiling (S. 12, 13), Helga Roth (S. 30), Herbert
                                                                                                         Storn (S. 16), GEW (S. 8, 9, 36, 37)
                    wird, liegt unter anderem ein Grund-      Immobilienverkäufen in der Amtszeit
                    satzantrag zu Fragen der Privatisie-      von Ministerpräsident Roland Koch          Verlag:
                                                                                                         Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                    rung und zur notwendigen Rückfüh-         (S.12), mit dem „Mietenwahnsinn als        Niederstedter Weg 5
                    rung öffentlicher Aufgaben in die         Folge von Privatisierung und Staats-       61348 Bad Homburg
                    staatliche Verantwortung vor. Die vor-    versagen“ (S. 14) und den Folgen der       Anzeigenverwaltung:
                    liegende Ausgabe der HLZ befasst sich     Privatisierung der Unikliniken in Gie-     Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                    unter anderem mit der Forderung nach      ßen und Marburg (S. 16).                   Peter Vollrath-Kühne
                                                                                                         Postfach 19 44
                    einer Rekommunalisierung von Schul-       • Mehr zur LDV auf Seite 5                 61289 Bad Homburg
                                                                                                         Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
                    Die HLZ-Redaktion wünscht allen GEW-Mitgliedern einen guten Start ins neue           E-Mail: mlverlag@wsth.de
                    Schuljahr und Semester. Dieser Start ist auch eine gute Gelegenheit, neue Kolle-     Erfüllungsort und Gerichtsstand:
                    ginnen und Kollegen auf eine Mitgliedschaft in der GEW anzusprechen. Informa-        Bad Homburg
                    tionen über die neuen Werbeprämien findet man auf der Rückseite dieser HLZ.          Bezugspreis:
                                                                                                         Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein-
                    Rubriken                                   Einzelbeiträge
   Aus dem Inhalt

                                                                                                         schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten
                                                                                                         sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag
                     4 Spot(t)light                             6 Tarif- und Besoldungsrunde 2021        enthalten.
                     5 Meldungen                                  beginnt in Hessen                      Zuschriften:
                    23 Briefe                                  18 Schuljahr beginnt - Corona bleibt      Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder
                    30 Aus der Personalratsarbeit              24 Entwurf zur Novellierung des           wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver-
                                                                                                         öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen
                    36 Recht: Haftung für dienstliche             Hessischen Lehrerbildungsgesetzes:     vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen
                       Endgeräte                                  Die Stellungnahme der GEW              nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion
                    36 Nachrufe | Jubiläen                     26 Harmonie im Landtag? SPD legt          übereinstimmen.
                                                                  Entwurf für Musikschulgesetz vor
                    Titelthema: Privatisierung
                                                               28 Entwurf zur Novellierung des
                                                                                                         Redaktionsschluss:
                     8 Schulreinigung rekommunalisieren!          Hessischen Hochschulgesetzes
                                                                                                         Jeweils am 5. des Vormonats
                    10 Mensaessen in Kitas und Schulen         31 Warum misstraut der Kultusminis-       Nachdruck:
                    12 Die Immobiliengeschäfte von Ro-            ter den Grundschullehrkräften?         Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
                       land Koch: Millonenfache Verluste       32 Bernd Käpplinger: Digital wird         gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei-
                                                                                                         genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
                    14 Die Privatisierung des Wohnungs-           bleiben. Was machen wir daraus?        Genehmigung der Redaktion und des Verlages.
                       baus und die Folgen                     34 Kollege Becker schreibt...
                                                                                                         Druck:
                    16 Gießen-Marburg: Eine Uniklinik als                                                Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH
                       Objekt privater Spekulation             19-22 lea-Fortbildungsprogramm            Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
3     HLZ 9–10/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                          KOMMENTAR

      Liebe Kolleginnen und Kollegen!
    Willkommen im Schuljahr 2021/2022! Das vergan-         brauchen eine Schule für alle und wir brauchen für
    gene Schuljahr war von chaotischem Handeln und         alle Beschäftigten in Kita, Schule und Hochschule
    schlechtem Management des Hessischen Kultusmi-         gute Arbeitsbedingungen. Wir benötigen eine solide
    nisteriums (HKM) geprägt, und ich fürchte, dass es     und bedarfsgerechte Bildungsfinanzierung, denn nur
    auch für den Schulbeginn am 30. August 2021 keine      so können wir Bildungsgerechtigkeit und Chancen-
    strukturierte und planvolle Vorbereitung geben wird.   gleichheit für alle Kinder, Jugendlichen und Studie-
    Es wird kein datenschutzsicheres Videokonferenz-       renden durchsetzen. Angemessene Fachkraft-Kind-
    system geben und in den allermeisten Klassenräu-       Relationen in den Kitas, kleine Lerngruppen an den
    men werden uns keine Lüftungsanlagen oder mobi-        Schulen und die Beendigung des Befristungsunwesen
    len Lüftungsgeräte erwarten. Die Maskenpflicht und     an den Hochschulen sind die zentralen politischen
    das dreimalige Testen in den ersten beiden Wochen      Themenfelder. Dies gelingt nur, wenn mehr qualifi-
    nach den Sommerferien werden neben den AHA-L           ziertes Personal in alle Bildungseinrichtungen kommt
    Regeln nicht ausreichen, um für alle in der Schu-      und die Kolleginnen und Kollegen gut und gerecht
    le Lernenden und Arbeitenden einen guten Arbeits-      bezahlt werden. Grundschullehrkräfte verdienen A13
    und Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Auch das       auch in Hessen und auch Erzieherinnen und Erzieher
    „Aufholprogramm“ mit dem lächerlichen Namen            müssen endlich angemessen vergütet werden.
    „Löwenstark – der BildungsKICK“ wird den Schüle-          Aus persönlichen Gründen werde ich nach zehn
    rinnen und Schülern wenig nutzen. Nötig wären klei-    Jahren im Vorsitz der GEW nicht erneut zur Wahl
    ne Lerngruppen mit ausgebildeten Lehrkräften sowie     der Vorsitzenden antreten. Von 2011 bis 2014 war
    ein gutes freizeitpädagogisches Angebot, das von Pä-   ich stellvertretende Landesvorsitzende, von 2014 bis
    dagoginnen und Pädagogen angeleitet wird.              2017 Vorsitzende im Team mit Jochen Nagel und seit
        Die Tarif- und Besoldungsrunde 2021 wird uns       2017 mit einem „Cornonaverlängerungsjahr“ Vorsit-
    in den nächsten Wochen besonders herausfordern.        zende im Team mit Maike Wiedwald. Es war mir eine
    Nicht nur, weil bei möglichen Streikversammlungen      große Freude und Ehre, Landesvorsitzende der GEW
    und Straßenprotesten die pandemische Lage bedacht      Hessen gewesen zu sein. Der GEW Hessen und ih-
    werden muss, sondern auch wegen der Terminierung:      ren Mitgliedern wünsche ich das Allerbeste! Die GEW
    Der Streit um höhere Gehälter startet im Geltungs-     kämpft beharrlich für gute Tarifabschlüsse und gute
    bereich des Tarifvertrags Hessen (TV-H) diesmal vor    Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, für mehr
    der Tarifauseinandersetzung mit den anderen Bun-       Bildungsgerechtigkeit, für eine Schule für alle, für
    desländern und liegt dadurch ungünstig zwischen den    eine inklusive Beschulung, die diesen Namen auch
    Sommer- und Herbstferien. Ich bin mir aber sicher,     verdient, und für eine vielfältige demokratische Ge-
    dass wir diese Herausforderung gemeinsam und so-       sellschaft ohne Hass, Hetze und Ausgrenzung. Dafür
    lidarisch und mit einem guten Ergebnis bewältigen      habe auch ich immer sehr gerne gekämpft.
    werden. Neben der Verbesserung bei den Einkommen          In diesem Sinne: Tschüss, Kurs halten, immer lie-
    und den Arbeitsbedingungen der Landesbediensteten      kut und herzliche GEWerkschaftliche Grüße
    wollen wir in diesem Jahr auch ein gute Lösung bei
    der tariflichen Eingruppierung der Lehrkräfte errei-
    chen. Weitere Informationen findet man in dieser
    HLZ auf den Seiten 6 und 7 und immer aktuell auf
    der Internetseite www.gew-hessen.de.
        Am 23. und 24. September findet die nächste Lan-
    desdelegiertenversammlung der GEW Hessen statt.
    Das wichtigste Entscheidungsgremium der GEW wird
    grundsätzliche bildungs- und beschäftigungspoli-
    tische Anträge debattieren und beschließen; auch
    werden die politischen Ämter neu gewählt. Die po-
    litische Leitlinie der GEW Hessen war und ist: Wir
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
SPOT(T)LIGHT                                                                                   zum Inhaltsverzeichnis     HLZ 9–10/2021      4

Aus dem Kindergefängnis ...
      Der geniale Schriftsteller Friedrich Dür-   Geister“ werden ja eher Journalisten               „Lehrer jammern auf hohem Ni-
      renmatt ist gerade 100 geworden. Lei-       und Politiker. „Ich bin kein Schulmeis-        veau“, verrät mir eine junge Frau, die
      der hat der Mann das Pech, dass seine       terlein mehr!“, höhnt ein früherer Kol-        von der Krankenschwester zur Grund-
      Werke landesweit gern im Deutschun-         lege, der dem Hamsterrad entronnen ist,        schullehrerin umgestiegen ist. Ich
      terricht behandelt werden. Und natür-       indem er Ohrensausen entwickelte. Er           wundere mich, dass sie ihren Alltag
      lich so grottenschlecht, dass die ju-       widmet sich jetzt gesellschaftlich weit-       als Lehrerin so locker wegsteckt. Wun-
      gendlichen Opfer nie wieder etwas           aus relevanteren Aufgaben. Er managt           dere mich allerdings nicht mehr, als
      von Dürrenmatt hören, lesen oder se-        ein paar unbekannte Musiker, was sei-          ich höre, dass sie nur halbtags arbeitet,
      hen wollen. Erst ein prominenter Lite-      nen Ohren komischerweise überhaupt             meist doppelt gesteckt ist und nur ein-
      raturkritiker entreißt den großen Dür-      nichts ausmacht.                               zelne Stunden eigenständig vorberei-
      renmatt im SPIEGEL dem Nebel, den                                                          ten und halten muss. Ich finde es nett
      unfähige Lehrer mit ihrer zähen Text-       Mein kleiner Pressespiegel                     von ihren Kolleginnen, dass sie der jun-
      analyse über ihn gelegt haben. Tief be-     In den Zeitungen häufen sich die Re-           gen Frau beim Einstieg helfen. Ich bin
      friedigt merkt der Literaturkritiker an,    portagen über Quereinsteiger im Leh-           gespannt, was sie mir in fünf Jahren
      dass Schule in Dürrenmatts Augen ein        rerberuf. Ohne all die Fachnahen und           erzählt, wenn sie ganztags durch die
      „Kindergefängnis“ gewesen sei. Genau        Fachfremden wäre die bundesdeutsche            Schule wirbelt, auch mal in der 9. Stun-
      so isses. Und alles, was an Klischees       Schule längst zusammengebrochen.               de Unterricht hat und viele erfreuliche
      über Schule und Lehrer gebetsmühlen-        Und es ist bestimmt kein Zuckerschle-          Erfahrungen mit Vertretungsunterricht
      artig wiederholt wird, gilt irgendwann      cken, sofort ganztags als Lehrer ein-          gesammelt hat.
      als schiere Wahrheit.                       gesetzt zu werden und nebenbei sei-                Ein Comedian, als Reporter getarnt,
          Eine Nachbarin wird gefragt, wie        ne Ausbildung nachzuholen. Auch der            befragt Passanten: „Überall fehlen Leh-
      es ihrer pubertierenden Tochter in der      Reporter hält das für eine bewunderns-         rer. Wollen Sie nicht als Quereinsteiger
      Schule geht. Die betretene Antwort:         werte Leistung. Und er lobt den Quer-          starten? Sie werden mit Handkuss ge-
      „Naja, was soll sein. Ein wacher Geist      einsteiger, der durch „frische Ideen“          nommen!“ Alle Befragten reagieren mit
      kann sich in der Schule einfach nicht       und seine eindrucksvolle Persönlichkeit        geringer Begeisterung. Drei junge Män-
      wohlfühlen!“ Ja, es ist wirklich ein Di-    überzeugt, während regulär ausgebilde-         ner lachen sich kaputt: „Lehrer? Ich bin
      lemma, wenn all die hochbegabten Kin-       te Lehrkörper sich nur mit starrer Rou-        doch kein Opfer!“ (Na gut, sie haben
      der in den Schulen nur auf pädagogi-        tine durchs Leben hangeln und natür-           nicht „Opfer“, sondern „Hurensohn“ ge-
      sches Mittelmaß stoßen. Die „wachen         lich nie einen Blick über den Tellerrand       sagt.) Der Comedian schlägt Abwrack-
                                                  werfen. Wie wir alle wissen, ergreift der      prämien für altgediente Lehrer vor.
                                                    Lehrer seinen Beruf, weil er entweder            Bei all diesen kompetenten Ur-
                                                     das wahre Leben scheut, viele Ferien        teilen fällt anscheinend niemandem
                                                     haben will, seinen Sadismus wahl-           der irrsinnige Widerspruch dazu auf,
                                                      weise Masochismus ausleben möch-           dass Schule und Lehrerschaft alle ge-
                                                      te oder im besten Fall ein Helfersyn-      sellschaftlichen Probleme lösen sol-
                                                       drom hat. Journalisten wissen auch,       len. Wann immer eine journalistische
                                                       dass Lehrer sich von bloßen Vorna-        Fachkraft einen lustigen „Gedanken-
                                                       men leiten lassen und sich genüss-        bonbon“ hat, fordert sie die Einführung
                                                       lich an allen Kevins, Chantalles,         eines neuen Schulfachs, z.B. „Trauer“
                                                        Alis und Fatmas abarbeiten. Kinder       oder „Klöppeln“. Die mittelmäßig be-
                                                         mit solchen oder ähnlichen Vor-         gabten, faulen und jammernden Leh-
                                                          namen haben so gut wie keine           rer sollen mal eben Antisemitismus be-
                                                          Chance, in Harvard zu studieren.       seitigen, gegen religiöse Intoleranz und
                                                           Hätten die Eltern sie mal lieber      Rassismus kämpfen, für sexuelle Viel-
                                                           Charlotte und Paul-Wilhelm ge-        falt und Gleichberechtigung eintreten,
                                                            nannt! Eine weitere journalis-       den Klassenraum streichen und Medi-
                                                            tische Edelfeder beklagt, dass       enkompetenz erwerben, um sie dann
                                                             Kinder in der Schule nur still-     vermitteln zu können. Wie soll das al-
                                                             sitzen und zuhören dürfen.          les gehen? Das wissen kritische Jour-
                                                               Niemand bringt ihnen Dis-         nalisten und abgehobene Schulpoliti-
                                                                  kutieren bei. Niemand be-      ker genau: durch Fortbildungen. An
                                                                    spricht mit ihnen exis-      Universitäten, in Schulbuchverlagen
                                                                     tenzielle Fragen. Die       und Coaching-Zentren lauern nämlich
                                                                     Kinder würden in der        die Spitzenkräfte der Republik (viel-
                                                                    Schule nur verunsi-          fach heilfroh, nicht im Schuldienst zu
                                                                   chert. Wo und wann hat        sein) darauf, ihr enormes Praxiswissen
                                                                  diese Frau hospitiert? In      an dumpfbackige Lehrer weiterzugeben.
                                                                einem Bergdorf um 1900?                               Gabriele Frydrych
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
5     HLZ 9–10/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                             MELDUNGEN

          23./24. 9.: Landesdelegier-
          tenversammlung der GEW
    Am 23. und 24. September findet die
    2020 verschobene ordentliche Lan-
    desdelegiertenversammlung (LDV)
    in Fulda statt. Pandemiebedingt fin-
    det sie mit der Möglichkeit zur digi-
    talen Zuschaltung und in verkürzter
    Form statt, so dass vor allem die sat-
    zungsmäßigen Vorgaben für die Wah-                                                                                               Foto:
    len zum geschäftsführenden Vorstand                                                                                              Junge GEW
    und zur Haushaltsführung erfüllt wer-                                                                                            Hessen
    den können. Die inhaltliche Debatte
    wird sich auf wenige Grundsatzanträ-
    ge beschränken und soll 2022 auf ei-
                                                     Junge GEW Hessen wählt neues Sprecher:innenteam
    ner außerordentlichen LDV fortgesetzt
    werden. Im Vorsitzendenteam wird           Die Mitgliederversammlung der Jun-         mien als Möglichkeit des Einmischens
    es durch die Entscheidung von Birgit       gen GEW Hessen am 3. Juli in Frank-        und Mitmischens zu präsentieren“
    Koch, nicht erneut als Landesvorsitzen-    furt fand erstmals seit langem wieder in   und so „vom Meckern ins Handeln“
    de zu kandidieren (HLZ S.3), und den       Präsenz statt. Berichte, Wahlen und in-    zu kommen. In einer Zukunftswerk-
    Wechsel von Karola Stötzel in die Ge-      haltliche Diskussionen wurde von den       statt entwickelten die jungen Mitglieder
    schäftsführung zu Veränderungen kom-       Dreharbeiten für einen Imagefilm der       „Utopien für den Bildungsbereich und
    men. Bei Redaktionsschluss der HLZ         Jungen GEW begleitet (siehe Foto). Die     Ideen für die konkrete Arbeit der Jun-
    Mitte August lag für den Landesvor-        Junge GEW will sich verstärkt in die       gen GEW“, die in die Arbeit des neu-
    sitz die Tandem-Kandidatur von Mai-        Debatten einmischen, zumal die GEW –       en Sprecher:innenteams eingehen sol-
    ke Wiedwald und Thilo Hartmann vor.        so die Wahrnehmung vieler Mitglieder       len. Einstimmig gewählt wurden Anne
    Tony C. Schwarz bewirbt sich erneut als    - in der öffentlichen Debatte während      Wernet aus Darmstadt, David Redelber-
    stellvertretender Vorsitzender, Simone     der Pandemie in Anbetracht der Größe       ger aus Kassel und Madlen Krawatzek
    Claar kandidiert als zweite Stellvertre-   und Bedeutung der GEW oft „unterre-        aus Friedberg.
    terin. Für die weiteren Funktionen im      präsentiert“ war. Die Junge GEW wolle      • Kontakt zur Jungen GEW: Tobias Ce-
    geschäftsführenden Vorstand stehen die     dazu beitragen, „eine Mitgliedschaft in    pok, Referent der GEW Hessen für Jugend
    Zeichen auf Kontinuität, neue Kandida-     der GEW und die Mitarbeit in den Gre-      und Hochschule (tcepok@gew-hessen.de)
    tinnen und Kandidaten in den amtie-
    renden Teams sind unter anderen Jens             Landesschülervertretung:
    Zeiler (Landesrechtsstelle), Nina Heidt-                                                    Bildungssprache Deutsch:
                                                     Neues Vorsitzendenteam
    Sommer (Schule und Bildung), Andrea                                                         Maßnahmenpaket des HKM
    Meierl und Vera Weingardt (Hochschu-       Nach dem abiturbedingten Ausschei-
                                                                                          Das von Kultusminister Alexander Lorz
    le und Forschung) sowie Peter Zeichner     den des Landesschulsprechers Dennis
                                                                                          am 24. Juni vorgestellte Maßnahmen-
    und Dana Lüddemann (Mitbestimmung          Eric Lipowski (Groß-Gerau) führte der
                                                                                          paket zur Förderung der Bildungsspra-
    und gewerkschaftliche Bildungsarbeit).     Landesschüler*innenrat am 13. Juni
    • Alle weitere Informationen und Wahl-                                                che Deutsch weist aus Sicht der GEW
                                               2021 in Gießen Nachwahlen für den
    ergebnisse: www.gew-hessen.de                                                         teilweise „in die falsche Richtung“, da
                                               Vorstand der LSV durch. Als gleichbe-
                                                                                          einige Punkte den Spracherwerb eher
                                               rechtigtes Team wurden Jessica Jolene
                                                                                          erschweren. Die Hauptprobleme, der
          DGB Hessen und Hand-                 Pilz (Hanau), Mika Schatz (Lahn-Dill-
                                                                                          Lehrkräftemangel und die zu großen
          werkskammern im Gespräch             Kreis) und Julian Moritz Damm (Main-
                                                                                          Gruppen, blieben weiter ungelöst.
                                               Kinzig-Kreis) gewählt. Das Team möch-
                                                                                              Susanne Hoeth, Vorsitzende der
    Michael Rudolph, Vorsitzender des          te sich „auch abseits von Corona“ dafür
                                                                                          Landesfachgruppe Grundschulen in der
    DGB-Bezirks Hessen-Thüringen, ver-         einsetzen, dass alle Schülerinnen und
                                                                                          GEW Hessen, attestierte dem Kultusmi-
    wies nach einem Gespräch mit der           Schüler „vollumfänglich berücksich-
                                                                                          nister „Desinteresse an pädagogischen
    Arbeitsgemeinschaft der Hessischen         tigt“ werden und die Bildungsqualität
                                                                                          Fachdiskussionen und Misstrauen ge-
    Handwerkskammern auf die corona-           in Hessen gesteigert wird. Für Jessi-
                                                                                          genüber der Professionalität der Grund-
    bedingten Schwierigkeiten für Ausbil-      ca Pilz haben die Rechte und die psy-
                                                                                          schullehrkräfte“ (HLZ S. 31).
    dungsbetriebe und interessierte Schul-     chische Gesundheit von Kindern und
                                                                                          Stellungnahmen der GEW zu weiteren ak-
    abgänger und Schulabgängerinnen, bei       Jugendlichen in der Pandemie „auf          tuellen Themen findet man in dieser HLZ
    der Besetzung von Ausbildungsstellen       dramatische Weise an Aktualität ge-        auf den folgenden Seiten:
    zusammenzufinden. Rudolph und die          wonnen“ und es bestehe „akuter Hand-       • S. 15: Halbzeitbilanz der schwarz-grü-
    neu gewählte Handwerkskammerprä-           lungsbedarf“. Julian Damm spricht von      nen Landesregierung
    sidentin Susanne Haus forderten zu-        einer „gesteigerten Partizipationsfreu-    • S. 24 f.: Novellierung des Hessischen
    sätzliche „Praktikumsfenster“ zu Be-       digkeit der Schülerinnen und Schüler“,     Lehrerbildungsgesetzes
    ginn des neuen Schuljahres, um den         die es jetzt aufrechtzuerhalten gelte,     • S. 28 f.: Novellierung des Hessischen
    Schülerinnen und Schülern Einblick in      „um die Probleme von der Basis her         Hochschulgesetzes
    das praktische Berufsleben zu geben.       aufzuarbeiten“.                            • S. 30: Förderprogramm „Löwenstark“
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
TARIF UND BESOLDUNG                                                                     zum Inhaltsverzeichnis     HLZ 9–10/2021       6

                       Tarif- und Besoldungsrunde 2021
                   Besondere Tarifverhandlungen unter besonderen Bedingungen
     Dass es eine besondere Herausforde-      gen zum Tarifvertrag der Länder (TV-        alle Ebenen des Eingruppierungserlas-
     rung darstellt, Tarifverhandlungen in    L) statt, den alle anderen Bundesländer     ses. Da muss sich etwas ändern.
     Zeiten von Corona zu bestreiten, haben   gemeinsam für ihre Beschäftigten mit            Aufgrund des Lehrkräftemangels
     die Verhandlungen zum Tarifvertrag       den Gewerkschaften abschließen. Statt       vergibt das Land Hessen wieder zu-
     für den öffentlichen Dienst (TVöD) für   also für die hessischen Verhandlun-         nehmend befristete Verträge. Diese Be-
     die Beschäftigten des Bundes und der     gen mit dem Ergebnis bei der Tarifge-       schäftigten werden aufgrund ihrer Qua-
     Kommunen im vergangenen Jahr ge-         meinschaft deutscher Länder (TdL) eine      lifikation oftmals in die Entgeltgruppe
     zeigt. Die Arbeit im Homeoffice, Kon-    gewisse Orientierung zu haben, wer-         5 oder 6 eingruppiert – und das ohne
     taktbeschränkungen und Versamm-          den wir in Hessen diesmal aller Wahr-       Möglichkeit, sich weiter zu qualifizieren
     lungsauflagen haben Warnstreiks und      scheinlichkeit nach zu einem Abschluss      oder anderweitig in eine höhere Ent-
     Protestversammlungen erschwert. Ta-      kommen, bevor die Verhandlungen in          geltgruppe aufzusteigen. Sie arbeiten
     rifkommissionen können bis heute         den anderen Länder richtig Fahrt auf-       dabei wie voll ausgebildete Lehrkräfte –
     nicht in Präsenz tagen und die Ver-      genommen haben werden. Der hessi-           mit allen Aufgaben. Für diese Beschäf-
     handlungen mit den Arbeitgebern müs-     sche Abschluss wird also seinerseits        tigtengruppen müssen sich in einem
     sen digital stattfinden.                 Signalwirkung für alle anderen Bun-         Tarifvertrag deutliche Verbesserungen
                                              desländer haben.                            wiederfinden. Auch für den sozialpä-
     Tarifverhandlungen in der Pandemie           Die Arbeitskampfmaßnahmen und           dagogischen Bereich muss eine tarif-
     Die Gewerkschaften sind neue und kre-    mögliche Streikaktionen werden dies-        vertraglich vereinbarte Entgeltordnung
     ative Wege gegangen, um den Kampf        mal nicht zeitgleich oder in zeitlicher     bessere Eingruppierungen festlegen. So
     für bessere Gehälter und Einkommen       Nähe mit den Arbeitskämpfen der Kol-        finden sich im Eingruppierungserlass
     zu führen. Dass Tarifverhandlungen       leginnen und Kollegen in den anderen        keine Regelungen für UBUS-Beschäf-
     auch unter diesen Bedingungen er-        Ländern stattfinden. Für die mediale        tigte. Das Land Hessen hat mit seiner
     folgreich geführt werden können, zei-    Aufmerksamkeit für unsere Aktionen          Ausschreibungspraxis, die UBUS-Stel-
     gen die Tarifverhandlungen bei ver-      müssen wir selbst sorgen, denn von          len für Sozialpädagoginnen und -päd-
     schiedenen freien Trägern und der in     den Bildern und Berichten zum Gesche-       agogen von EG 9 bis EG11 auszuschrei-
     allem achtbare Abschluss im Bereich      hen in Rheinland-Pfalz oder Sachsen in      ben, große Erwartungen geweckt, die
     des TVöD: Dort konnten im Novem-         derselben Woche werden wir nicht pro-       in der Praxis bitter enttäuscht wurden.
     ber 2020 in Potsdam für die Beschäf-     fitieren können.                            Auch hier wollen wir, dass sich etwas
     tigten bei Bund und Kommunen bei                                                     ändert und Perspektiven für die Be-
     einer Laufzeit von 28 Monaten Lohn-      Lehrkräfteentgeltordnung                    schäftigten geschaffen werden.
     steigerungen von 1,4 % (mindestens 50    Die Tarifrunde 2021, bei der es vor
     Euro) und 1,8 % ausgehandelt werden.     allem um die Entgelttabellen gehen          Beschäftigte an den Hochschulen
     Zusätzlich wurde eine steuerfreie Son-   wird, steht in Hessen zudem im Kon-         Der TV-H gilt auch für die Beschäftigen
     derzahlung von bis zu 600 Euro verein-   text mit den Verhandlungen über eine        an den hessischen Hochschulen. Aus-
     bart, von der besonders untere Einkom-   Lehrkräfteentgeltordnung, über die die      nahmen bilden die Goethe-Universität
     mensgruppen profitierten. Allerdings     GEW Hessen seit Monaten mit dem             Frankfurt und die TU Darmstadt, die
     mussten im Gegenzug sieben Nullmo-       Land streitet und die als Bestandteil       formal eigene Tarifverträge abschlie-
     nate hingenommen werden.                 der diesjährigen Tarifeinigung unter-       ßen können. Für die Hochschulen fallen
                                              zeichnet werden soll. Eine solche ta-       mögliche Warnstreiks Anfang Oktober
     Verhandlungsbeginn im September          rifliche Regelung für die Eingruppie-       wie bereits in den vergangenen Jahren
     Anfang September beginnen die Ver-       rung von Lehrkräften würde den zuletzt      in die vorlesungsfreie Zeit. Bei den
     handlungen zur Einkommensentwick-        2008 substantiell geänderten Eingrup-       drängendsten Problemen, der Befris-
     lung für die Beschäftigten im hessi-     pierungserlass ersetzen und aus ge-         tungspraxis und der Nichteinbezie-
     schen Landesdienst (TV-Hessen). Trotz    werkschaftlicher Sicht dringend not-        hung großer Beschäftigtengruppen in
     der im Sommer nur auf niedrigem Ni-      wendige Korrekturen vornehmen. Und          den Tarifvertrag, ist es schwer, in Tarif-
     veau ansteigenden Inzidenzwerte und      drängenden Änderungsbedarf gibt es          verhandlungen etwas zu bewegen. Das
     einer deutlich wachsenden Impfquote      an etlichen Stellen! So erhalten nach       haben in den letzten Tarifrunden die
     müssen wir davon ausgehen, dass die      Eingruppierungserlass die angestellten      zähen Auseinandersetzungen mit dem
     Bedingungen für die Tarifrunde 2021      Lehrkräfte mit zwei Staatsexamina an        Land und mit den beiden unabhängi-
     pamdemiebedingt erneut nicht einfach     Grundschulen immer noch eine Ent-           gen Universitäten gezeigt. Schließlich
     sein werden.                             geltgruppe weniger als die verbeamte-       sind an den Hochschulen fast 90 % der
        Erstmals seit dem Austritt Hessen     ten. Eine strenge Zuordnung und Hi-         wissenschaftlichen und 18 % der ad-
     aus dem Arbeitgeberverband der Län-      erarchisierung nach Schulformen mit         ministrativ-technischen Mitarbeiterin-
     der 2004 finden die Verhandlungen in     einer durchgängig besseren Bezahlung        nen und Mitarbeiter mit Zeitverträgen
     Hessen zeitlich vor den Verhandlun-      für den gymnasialen Bereich durchzieht      angestellt. Trotzdem ist es für die Be-
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7      HLZ 9–10/2021   zum Inhaltsverzeichnis

    schäftigten wichtig, dass ihre Gewerk-
    schaften diese Probleme auch tarifpo-
    litisch immer wieder auf die Agenda
    heben und für eine Verbesserung ihrer
    Arbeitsbedingungen eintreten.
        Die tarifrechtlich unabhängigen
    Universitäten in Frankfurt und Darm-
    stadt bleiben auch in diesem Jahr in
    die hessische Tarifrunde einbezogen.
    Die dort erzielten Abschlüsse weichen
    allenfalls marginal vom TV-Hessen ab.
    Die Chance, dort speziell auf den eige-
    nen Wissenschaftsbetrieb zugeschnitte-
    ne tarifrechtliche Lösungen zu finden,
    wurde in den vergangenen zehn Jah-
    ren vertan. Dies zu bewerten und da-
    raus möglicherweise Konsequenzen zu
    ziehen, ist die Aufgabe für die betrieb-
    lichen Tarifkommissionen.

    Was fordern die Gewerkschaften?
    Die bundesweite Forderungsdiskussi-
    on in den Gewerkschaften startete be-
    reits geraume Zeit vor den hessischen
    Sommerferien und wurde Ende August
    abgeschlossen. Bei Redaktionsschluss
    dieser Ausgabe der HLZ war abseh-
    bar, dass es in diesem Jahr keinen allzu
    umfänglichen Strauß an Forderungen
    und Wünschen zur Tarifrunde geben
    wird. Im Zentrum der Tarifauseinan-          se im Prinzip richtige Vorgehensweise       dings in vielen Schulamtsbezirken mit
    dersetzung mit den Bundesländern und         würde durch den Versuch konterkariert,      einem beweglichen Ferientag beginnt.
    mit Hessen stehen die Entgelttabellen.       nach einem postpandemischen Kassen-         Die möglicherweise die Tarifrunde in
    Es geht darum zu verhindern, den Ta-         sturz im Herbst den Einbußen bei den        Hessen besiegelnde Verhandlungsrunde
    rifbeschäftigten und den Beamtinnen          Steuereinnahmen mit einer schwachen         ist bereits für Mitte Oktober festgelegt.
    und Beamten im Landesdienst die Kos-         Einkommensentwicklung für die Be-           Erfahrungsgemäß kann es daher schon
    ten der wirtschaftlichen Krise aufzubür-     schäftigten hinterher sparen zu wol-        Anfang Oktober zu Arbeitskampfmaß-
    den. Der öffentliche Dienst hat während      len. Ein unzureichendes Tarifergebnis       nahmen kommen.
    der vergangenen eineinhalb Jahre seine       würde nicht nur der gesamtwirtschaftli-         Wenn wir ein gutes Tarifergebnis
    Leistungsfähigkeit in der Gesundheits-       chen Nachfrage schaden, sondern auch        aushandeln wollen, wenn wir eine voll-
    krise sehr deutlich unter Beweis gestellt.   zeigen, dass die Landesregierung hin-       ständige Übertragung des Tarifergeb-
    Auch in den Schulen und Hochschu-            sichtlich der richtigen finanzpolitischen   nisses auf die Beamtinnen und Beamten
    len haben die Beschäftigten mit hohem        Strategie zur Krisenbekämpfung unent-       und auf die Versorgungsempfängerin-
    persönlichem Engagement dazu beige-          schlossen und ratlos ist.                   nen und Versorgungsempfänger wollen
    tragen, dass die staatliche Daseinsvor-                                                  und wenn wir eine spürbare Verbesse-
    sorge in qualitativ hochwertiger Weise       Angestellte und Beamte gemeinsam            rung unserer Arbeitsbedingungen errei-
    aufrechterhalten blieb. Die Landesbe-        Eine erfolgreiche Tarifrunde ist ohne       chen wollen, müssen wir bereits früh-
    diensteten verdienen daher Anerken-          das solidarische Miteinander der in der     zeitig aktiv werden und auch schon in
    nung für ihre Arbeit und ihren Einsatz.      Gewerkschaft organisierten Beschäf-         der Zeit der Friedenspflicht bis zum 30.
    Und die muss sich auch in der Einkom-        tigten nicht zu bestehen. Es wird auf       September mit deutlichen Statements in
    mensentwicklung niederschlagen.              alle Beschäftigten im Schul- und Hoch-      der Öffentlichkeit präsent sein.
        Ein gutes Ergebnis für Tarifbeschäf-     schulbereich – angestellt oder verbeam-         Es geht darum, deutlich zu machen,
    tigte, für Beamtinnen und Beamte so-         tet – ankommen. Das Prinzip, dass die       dass gute Bildung gute Arbeitsbedin-
    wie für Versorgungsempfängerinnen            Besoldung dem Tarif folgt, wird auch        gungen erfordert und umgekehrt. Da-
    und Versorgungsempfänger ergibt zu-          nach diesem Tarifabschluss wieder um-       her sind alle Beschäftigten, auch die
    dem ökonomisch Sinn. Das Land Hessen         kämpft sein. Daher ist es zentral, dass     verbeamteten Lehrkräfte, aufgerufen,
    hat ein umfängliches Sondervermögen          verbeamtete Lehrkräfte die Aktionen         die Tarifbeschäftigten zu unterstützen
    beschlossen, um die direkten Folgen          der Tarifbeschäftigten schon jetzt ak-      und sich an Aktionen während der Ver-
    der Pandemie bewältigen zu können,           tiv unterstützen: Nur gemeinsam sind        handlungen zu beteiligen!
    aber auch um finanzpolitische Impul-         wir stark. Das Zeitfenster für große,       Maike Wiedwald, Landesvorsitzende
    se zur Wiederbelebung der Konjunk-           wirkmächtige Aktionen ist sehr eng.         der GEW Hessen
    tur zu setzen, um damit wieder bessere       Die Friedenspflicht endet in der letzten    Thilo Hartmann, Referat Tarif, Besol-
    Steuereinnahmen zu generieren. Die-          Woche vor den Herbstferien, die aller-      dung und Beamtenrecht
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
SCHWERPUNKTTHEMA: PRIVATISIERUNG                                                           zum Inhaltsverzeichnis      HLZ 9–10/2021      8

                              Schulreinigung in Hessen
            Mangelhafte Hygiene und prekäre Beschäftigung des Personals
     Ob in Berlin, Krefeld, Lüdenscheid, Pinneberg, Witten oder vie-   chenleistung verringert wird. Die Arbeit wird dadurch mas-
     len anderen Orten: Die unzureichende Schulreinigung war in        siv verdichtet, der Zeitdruck für die Reinigungskräfte nimmt
     den vergangenen Jahren immer wieder Thema in den lokalen          zu und letztlich leidet so die Qualität der Leistung. Verbreitet
     und zum Teil auch in den überregionalen Medien. Wesentlicher      sind zudem Vergütungen nach gereinigten Objekten, Räumen
     Grund dafür ist die Privatisierung von Reinigungsleistungen       oder Flächen, für deren Reinigung zu wenig Zeit einkalku-
     durch die Kommunen. Anstatt die entsprechenden Dienstleis-        liert wird (sogenannte „Objektlöhne“). Dies führt unter Um-
     tungen durch öffentlich Beschäftigte erbringen zu lassen, wer-    ständen dazu, dass sogar der Mindestlohn unterlaufen wird,
     den damit meist private Reinigungsunternehmen beauftragt.         was einen Gesetzesverstoß darstellt.
        Die Gebäudereinigung ist mit gut 680.000 Beschäftigten
     (2019) das beschäftigungsstärkste Handwerk in Deutschland.
                                                                          Qualitätsmängel in Folge von Privatisierungen
     Seit den 1970er Jahren ist hier ein großer Beschäftigungszu-
     wachs erfolgt, und zwar wesentlich aufgrund der wachsen-          Mit dem Ausbruch der Corona-Krise ist die hygienische Situ-
     den Auslagerung der Reinigung und der Vergabe an private          ation in den Schulen auch in Hessen in den Mittelpunkt der
     Dienstleistungsunternehmen durch öffentliche Einrichtungen        medialen Aufmerksamkeit gerückt. Die meisten Schul­träger
     und Kommunen.                                                     haben darauf reagiert – so etwa mit Desinfektionsmittel, zu-
        Diese Privatisierungen haben – was die Motive angeht –         sätzlichem Geld für Reparaturen der Sanitäranlagen und Prä-
     zwei Seiten. Durch die öffentliche Hand wurde und wird die        senz-Reinigungskräften für Schultoiletten. Dies hat in der Re-
     Privatisierung der Gebäudereinigung damit begründet, dass         gel zu spürbaren Verbesserungen geführt.
     private Unternehmen wirtschaftlicher arbeiten würden, wes-            Das Problem von unsauberen Schulen ist allerdings schon
     wegen die Reinigung der Schulgebäude unter dem Strich kos-        vor Ausbruch der Corona-Pandemie in der öffentlichen Be-
     tengünstiger sei. Und das Reinigungshandwerk hat ein Inte-        richterstattung präsent gewesen. Dieses Problem verlangt
     resse daran, öffentliche Aufgaben zu übernehmen, weil es          langfristig angelegte Lösungen. So wurde in den vergan-
     sich hiervon Gewinne verspricht, zumal die öffentliche Hand       genen Jahren immer wieder darüber berichtet, dass Kinder
     verlässliche und kaum risikobehaftete Einnahmen garantiert.       aufgrund von Hygienemängeln den Gang auf die Schultoi-
        Tatsächlich treten nach der Privatisierung meist erhebli-      lette scheuen. Bauliche und hygienische Unzulänglichkeiten
     che Qualitätsmängel bei der Reinigung auf, und außerdem           gehen hier häufig Hand in Hand. Dabei sind verdreckte und
     verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen und die Bezah-         stinkende Schultoiletten nur die Spitze des Eisbergs, denn
     lung. Dies hängt im Wesentlichen mit der sehr hohen Wett-         Klagen über eine unzureichende Reinigung waren und sind
     bewerbsintensität in der Reinigungsbranche zusammen. Der          auch mit Blick auf Klassen- und Lehrerzimmer oder Sport-
     Wettbewerb erfolgt vor allem über die Personalkosten, die         hallen zu hören. Wie groß das Problem ist, zeigt eine bun-
     bei über 70 Prozent liegen. Die überwiegende Mehrheit der         desweite und repräsentative Umfrage im Auftrag der GEW
     Arbeitskräfte arbeitet trotz allgemeinverbindlicher Mindest-      aus dem vergangenen Jahr, die auch Ergebnisse für die ein-
     löhne im Niedriglohnsektor.                                       zelnen Bundesländer enthält. Gut 70 Prozent der Befragten in
        Im Wettbewerb um Aufträge versuchen Unternehmen der            Hessen teilten die Einschätzung, dass die hygienische Grund-
     Reinigungsbranche in der Regel mit dem niedrigsten Preis er-      ausstattung an Schulen vor der Corona-Pandemie durch die
     folgreich zu sein. Über die sogenannte Flächenleistungsver-       Politik vernachlässigt wurde. Und 80 Prozent sind der Auf-
     dichtung werden die Angebotspreise gesenkt. Die kalkulierte       fassung, dass die hessischen Schulen auch über die Pande-
     Arbeitszeit wird verkürzt, indem der Preis bezüglich der Flä-     mie hinaus stärker auf die hygienischen Grundvoraussetzun-
                                                                       gen achten sollten.
                                                                           Auch für Hessen gilt, dass die Qualität der Schulreini-
                                                                       gung mit der Frage zusammenhängt, ob Privatfirmen be-
                           Laura Preusker,                             auftragt werden oder ob kommunal Beschäftigte diese Ar-
                           Grundschule                                 beit übernehmen. Die meisten Schulträger greifen auf private
                                                                       Firmen zurück, aber es gibt Ausnahmen wie den Schwalm-
                           in Frankfurt:                               Eder-Kreis oder den Landkreis Kassel, die auf eine Privati-
                                                                       sierung verzichten.
                                                                           Ein besonders negatives Beispiel für die Folgen der Pri-
                           „Nach der Razzia                            vatisierung der Schulreinigung ist die Stadt Frankfurt. Hier
                           fiel die Reinigung                          taucht das Problem dreckiger Schulen immer wieder in der
                                                                       Presse auf. So meldete sich im April des vergangenen Jahres
                           bei uns für rund 14                         der Personalrat der Paul-Hindemith-Schule zu Wort: Hand-
                                                                       tücher, Seife und Toilettenpapier fehlten in den Sanitäran-
                           Tage fast ganz aus.“                        lagen, Lehrkräfte müssten ihr eigenes Klopapier mitbringen,
                                                                       ein Schüler habe sich wegen einer toten Maus in der Toilet-
                                                                       te übergeben müssen – und generell würden die verdreckten
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
9      HLZ 9–10/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                 SCHWERPUNKTTHEMA

    Sanitäranlagen von den meisten Schülerinnen und Schülern
    sowieso gemieden.
       Ende April dieses Jahres geriet die Schulreinigung der
                                                                                       Sigrid Krause,
    Stadt Frankfurt dann wieder in die Schlagzeilen. Im Rahmen                         Gesamtschule
    einer Großrazzia im Rhein-Main-Gebiet hatten Zoll und Steu-
    erfahndung Ende April einen Schwarzarbeitsring zerschla-
                                                                                  im Vogelsbergkreis:
    gen. Involviert in diesen Ring war die Firma APEG Gebäu-
    de-Service GmbH, deren Geschäftsbetrieb infolge der Razzia
    zum Erliegen kam. Die Firma hatte ausschließlich Aufträge
    der Stadt Frankfurt erfüllt, dabei wurden mehr als 50 und
                                                                           „Durch kommunales
    damit rund ein Drittel der Schulen im Frankfurter Stadtge-              Personal gereinigte
    biet gereinigt. Zwar nicht an allen, aber doch an einigen die-
    ser Schulen kam es zu Problemen mit der Schulreinigung.                     Schulen stehen
    An der Münzenberger Schule, an der Laura Preusker, mit
    Sebastian Guttman Vorsitzende des GEW-Bezirksverbands                       klar besser da.“
    Frankfurt, arbeitet, fiel die Reinigung für rund 14 Tage fast
    vollkommen aus:
    „Nur unsere Corona-Präsenzreinigungskraft war noch da. Die
    Toiletten haben so sehr gestunken, dass die Kinder nicht mehr
    aufs Klo gehen wollten. So etwas ist in Anbetracht von Covid-19
                                                                                            Katja Groh,
    eigentlich kaum zu glauben. Ich frage mich, ob meine Schule                            Grundschule
    nicht eigentlich aufgrund hygienischer Mängel hätte geschlos-
    sen werden müssen.“                                                             im Landkreis Kassel:

     Frankfurt, Kassel, Vogelsbergkreis und anderswo
    Das in Frankfurt zuständige Dezernat für Bauen und Im-
                                                                                  „Wir schreiben
    mobilien, das derzeit noch vom CDU-Kreisvorsitzenden Jan
    Schneider geleitet wird, hat die Öffentlichkeit über diesen
                                                                                 regelmäßig ein
    Sachverhalt nicht aufgeklärt. Erst Recherchen und eine ent-
    sprechende Pressemitteilung der GEW Hessen haben diesen
                                                                              Dankeschön an die
    Skandal, der jetzt auch die Stadtverordnetenversammlung                   Reinigungskräfte.“
    beschäftigt, öffentlich gemacht.
        Der Vogelsbergkreis ist Träger von 38 Schulen. Die Schul-
    reinigung erfolgt hier zum Teil durch private Firmen und zum         reinigung privatisiert hat. Der hygienische Zustand der Schu-
    Teil durch direkt beim Kreis beschäftigte Personen. Sigrid           len dort ist in der Regel miserabel.“
    Krause hat viele Jahre an der Gesamtschule in Mücke unter-           Auch nach dem Verzicht auf die Privatisierung läuft für Kat-
    richtet und kann als langjähriges Kreisvorstandsmitglied die         ja Groh längst nicht alles optimal:
    Situation in ihrem Landkreis gut einschätzen:                        „Die Vorgaben für das beim Kreis beschäftigte Reinigungsperso-
    „Es ist ganz klar so, dass durch kommunales Personal gereinigte      nal sind nach meiner Auffassung viel zu streng. Den Reinigungs-
    Schulen besser dastehen. Das ist auch der Schulverwaltung und        kräften fehlt bei den bestehenden Vorgaben natürlich auch die
    den politisch Verantwortlichen bekannt. Die private Reinigung        Zeit für eine gründliche Reinigung. Und wenn eine Reinigungs-
    ist zum Teil katastrophal. An meiner früheren Schule war das         kraft ausfällt, dann bleibt es dreckig. Oder die anderen Reini-
    nach der Privatisierung der Reinigungsleistungen auch so, der        gungskräfte an der Schule müssen im gleichen Zeitrahmen die
    Wechsel von kommunal zu privat hat die hygienischen Zustän-          Räume ‚mitübernehmen‘. Entsprechend weniger Zeit bleibt für
    de deutlich verschlechtert. Es ist zu anhaltenden Protesten ge-      alles. Was dann liegenbleibt, muss ich übernehmen. Das ist kei-
    kommen. Der Kreis hatte schließlich ein Einsehen, so dass seit       ne Lösung! Der Landkreis muss Personalreserven für Krank-
    August des vergangenen Jahres wieder kreiseigenes Personal an        heitsfälle und andere Ausfälle vorhalten. Ich bin mir für solche
    der Gesamtschule Mücke arbeitet.“                                    Arbeiten grundsätzlich nicht zu schade. Aber das gehört ein-
    Der Landkreis Kassel reinigt alle seine Schulen mit eigenen          fach nicht zu meinen Aufgaben. Ich werde dafür bezahlt, Kin-
    und nach dem TVöD bezahlten Arbeitskräften. Allerdings               der zu unterrichten!“
    stand der Landkreis zwischenzeitlich unter Druck, dies zu            Für die Kinder sei es auch aus erzieherischen Gründen sinn-
    ändern: Der Hessische Rechnungshof hatte dem Kreis emp-              voll, „ihre“ Reinigungskraft zu kennen:
    fohlen, seine Schulreinigung zu privatisieren, da dies güns-         „Dann steht hinter dem produzierten Dreck eine konkrete Per-
    tiger sei. Der politische Druck war so groß, dass ein Pilotpro-      son, die das Ganze nachher beseitigen muss. Das hebt die Hemm-
    jekt durchgeführt wurde, über das die Vorsitzende der GEW            schwelle für destruktives ‚Einsauen‘, z.B. auf den Toiletten.
    im Landkreis Kassel Katja Groh, die an einer Grundschule             Ich schreibe mit meinen Schülerinnen und Schülern regelmä-
    im Landkreis unterrichtet, berichtet:                                ßig Dankeschön-Karten und Grüße an die Reinigungskraft, da-
    „Die Qualität der Schulreinigung im Rahmen des Pilotprojekts         mit klar ist, dass der Dreck, den wir hinterlassen, nicht auto-
    war allerdings so schlecht, dass der Landkreis zum Glück von         matisch verschwindet, sondern eine Person dahinter steht. Das
    der Idee der Privatisierung Abstand genommen hat. Wäre unser         geht nur, wenn die Reinigung in kommunaler Hand bleibt! Und
    Schulträger der Empfehlung des Hessischen Rechnungshofs ge-          es ist auch klar, dass eine gewissenhaft gepflegte Schule ihren
    folgt, dann hätten wir hier jetzt die gleichen Probleme wie in der   Immobilienwert länger erhalten kann!“
    Stadt Kassel, die als eigenständiger Schulträger ja seine Schul-                                                   Kai Eicker-Wolf
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 74. Jahr Heft 9/10 Sept./Okt. 2021 - GEW Hessen
SCHWERPUNKTTHEMA                                                                          zum Inhaltsverzeichnis      HLZ 9–10/2021      10

                         Privatisierung ist ungesund
                             Die Essensversorgung in Schulen und Kitas
    Mitte Juli veröffentlichte der Paritätische Wohlfahrtsver-        die Preisgestaltung muss stimmen. Nach der Bewertung al-
    band eine Studie, nach der die Armutsquote unter Min-             ler Kriterien wird dann eine Liste mit einer Reihenfolge er-
    derjährigen erheblich gestiegen ist (1). Auch in Hessen gilt      stellt. Der Betrieb, der die Kriterien am besten erfüllt, erhält
    inzwischen jedes 5. Kind als arm. Den Zuwachs der Armuts-         den Zuschlag.
    quote bei Kindern und Jugendlichen in Hessen von 15,3 %               Die erläuterten Vergabeverfahren sind immer wieder in
    im Jahr 2010 auf 21,9 % im Jahr 2019 bezeichnet die Stu-          der Kritik. So verursachte die Vergabe des Mittagessens an
    die als „dramatisch“. Mit einem Zuwachs von 6,6 Prozent-          den Großcaterer Sodexo schon vor rund fünfzehn Jahren
    punkten liegt Hessen an der Spitze aller Bundesländer. Das        in Frankfurt größere Aufregung. Damals schloss die Stadt
    (möglichst) kostenlose Mittagessen an den Schulen wird da-        Frankfurt im Zusammenhang mit der Privatisierung der städ-
    her immer wichtiger. Für viele Kinder und Jugendliche wird        tischen Küchenbetriebe einen Zehnjahresvertrag mit dem
    das über das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) finanzierte        Großcaterer Sodexo ab, der städtische Kitas beliefern sollte.
    Mittagessen in den Schulen zu einem zentralen Bestandteil
    der täglichen Ernährung.
                                                                       IGS Nordend: Eine Schule kämpft um ihre Mensa
        Verändert hat sich aber auch die Situation in den Fami-
    lien: Es wird weniger gekocht, es kommen immer mehr Fer-          Wie schwierig dieses Vergabeverfahren sich heute noch dar-
    tiggerichte auf den Tisch, und die Kinder wissen oft nicht        stellt, zeigt das Beispiel der IGS Nordend in Frankfurt. 2018
    mehr, wo das Essen herkommt. Kenntnisse über die Herkunft         hatte sich Sodexo um das Catering an der IGS Nordend be-
    und Produktion der einzelnen Nahrungsmittel, über Arbeits-        worben und bei der Ausschreibung durch die Stadt Frank-
    schritte bei der Herstellung der einzelnen Speisen oder über      furt als Schulträger den Zuschlag erhalten. Das brachte die
    die Arbeitsbedingungen, unter denen die Lebensmittel und          gesamte Schulgemeinde auf die Barrikaden, die ihren bis-
    Speisen hergestellt werden, lassen zu wünschen übrig.             herigen Caterer, einen kleinen regionalen Betrieb, behalten
        Hier hat die Schule nicht nur eine wichtige Aufgabe bei       wollte (HLZ 9/2018). Ein Ergebnis des Protestes der Schüle-
    der Vermittlung von Kenntnissen, sondern auch bei der Ge-         rinnen und Schüler und der Eltern an der IGS Nordend war,
    währleistung eines gesunden Mittagessens. Damit Schülerin-        dass die Stadt Frankfurt gemeinsam mit dem örtlichen Er-
    nen und Schüler das Mittagessen in einer Schule aber auch         nährungsrat, Eltern, Schulvertretungen und zuständigen Äm-
    annehmen, bedarf es eines guten Schulklimas. Das ist aber         tern eine Diskussion über neue Vergabekriterien für das Mit-
    wiederum abhängig von guten Rahmenbedingungen und                 tagessen in städtischen Schulen initiierte.
    guten Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen in              Im November 2020 betonte die Frankfurter Bildungs-
    den Schulküchen und bei den Caterern.                             dezernentin Sylvia Weber (SPD) im Rahmen eines digitalen
        Wird das Essen nicht direkt durch den Schulträger bereit-     Vernetzungsworkshops der bundesweiten Initiative BioBitte
    gestellt, dann sind diese verpflichtet, zur Vergabe des Mit-      – Mehr Bio in öffentlichen Küchen, dass die erarbeiteten Kri-
    tagessens ein Ausschreibungsverfahren durchzuführen, das          terien dazu beitragen sollen, dass sich bei Ausschreibungen
    in Abstimmung mit der jeweiligen Schulgemeinde erfolgt.           auch für die „kleineren, flexibel agierenden Cateringunter-
    Die angebotenen Speisen müssen eine gesunde, ausgewo-             nehmen aus der Region die Chance bietet, sich passgenau zu
    gene und altersgerechte Ernährung gewährleisten, und auch         den Anforderungen von Schulen und Eltern zu bewerben.“
                                                                      Doch auch die veränderten Ausschreibungskriterien führ-
                                  Die Vernetzungsstelle Schul-
                                                                      ten bei der erneuten Ausschreibung nach drei Jahren an der
                                  verpflegung bei der Hessischen      IGS Nordend nicht dazu, dass ein lokales, kleines Catering-
                                  Lehrkräfteakademie bietet Un-       unternehmen die Ausschreibung gewonnen hätte. Der Auf-
                                  terstützung bei der Umsetzung       trag ging an den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB). Damit ge-
                                  der Qualitätsstandards der DGE      wann zum zweiten Mal hintereinander ein Großcaterer die
                                  für die Schulverpflegung und        Ausschreibung an der IGS Nordend für den Betrieb der Men-
                                  ist die zentrale Anlaufstelle bei   sa, sehr zum Ärger der Schulgemeinde.
                                  Fragen rund um die Schulver-            Der organisatorische Aufwand, der Zeitaufwand bei der
                                  pflegung. Informationsmaterial,     Essensausgabe und die Kosten für Schutzausrüstungen und
                                  einen regelmäßigen Newsletter
                                  und Hinweise auf Fachtagungen
                                                                      Tests sind bei allen Caterern während der Corona-Zeit gra-
                                  und Austauschforen in Hessen        vierend gestiegen. Gleichzeitig nehmen viel weniger Kinder
                                  findet man auf der Internetseite    das Mittagsangebot wahr. Auch in hessischen Schulen war
                                  der Vernetzungsstelle:              die Herstellung und Ausgabe eines warmen Mittagessens teil-
                                  • Tel. 069-38989-367                weise untersagt. So wurde zum Beispiel an den Frankfurter
                                  • E-Mail: Vernetzungsstelle.        Schulen von den Caterern bis zu den Sommerferien 2020 nur
                                  Schulverpflegung.LA@kultus.         ein Lunchpaket oder ein Imbiss ausgegeben.
                                  hessen.de                               Eine Befragung des Verbandes deutscher Schul- und Ki-
                                  • Internet: http://vernetzungs-     tacaterer bei den Mitgliedsunternehmen ergab, dass im Mai
                                  stelle-schulverpflegung.hessen.de
                                                                      2021 die Betriebe im Durchschnitt nur etwa die Hälfte ih-
11      HLZ 9–10/2021   zum Inhaltsverzeichnis                                                                            PRIVATISIERUNG

     res Vor-Corona-Umsatzes erreicht hatten. Vor allem kleine
     Schul- und Kitacaterer werden nach Einschätzung des Ver-
     bands diese Situation nicht überstehen. Fast alle Betriebe
     wünschen sich prinzipiell flexiblere Konzepte für die Mit-
     tagessensversorgung an Schulen und eine Digitalisierung der
     Prozesse von Bestellung und Bezahlung. Mehr als ein Drit-
     tel der befragten Betriebe meinte, dass künftig auch „To-Go-          Erziehung & Wissenschaft         09/2020
                                                                           Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW
     Angebote“ einen höheren Stellenwert einnehmen werden.
         Die letzten Monaten haben gezeigt, wie wichtig gute Rah-                                                     Gesunde Ernährung
     menbedingungen auch für die Mittagessenversorgung sind.                                                          in Kita, Schule
     Eine qualitativ hochwertige Schulverpflegung ist sicherlich                                                      und Hochschule
     nicht nur eine Frage des Preises. Eine gute Verpflegung muss
     nicht nur Lebensmittelauswahl, Speisenplanung und -herstel-
     lung berücksichtigen, sondern auch schulische Rahmenbe-
     dingungen und besondere Hygieneaspekte. Hierfür benötigt
     man ausreichendes, gut ausgebildetes und geschultes Perso-
     nal in den Schulmensen, das selbstverständlich auch tarif-
     lich bezahlt werden muss.
         Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie empfiehlt
     auch das Land Hessen in seinen Hygieneplänen, „gegebenen-
     falls mehr Personal einzusetzen, um das Eindecken der Ti-
     sche mit Besteck, das Stoßlüften in den Pausen und die re-
     gelmäßige Reinigung der Oberflächen zu gewährleisten“. Das
     ist richtig, aber dann muss auch die Verantwortung für die
     Finanzierung dieser Anforderungen übernommen werden.                                                                                         em
                                                                                                                                                    ie
     Dies ist leider nicht erfolgt.                                                                                                             nd
                                                                                                                                             -Pa na
                                                                                                                                        ro oro
                                                                                                                                          na
         In vielen Betrieben war Kurzarbeit bestimmend. Einige                                                                        Co
                                                                                                                                       ur e/
                                                                                                                                             c
                                                                                                                                    s z .d
     Caterer haben das Kurzarbeitergeld aufgestockt, andere nicht.                                                              Info gew
                                                                                                                             lle w.
     Frauen sind besonders betroffen, denn in den Betrieben, die                                                          tue
                                                                                                                        Ak ww
     das Schulmittagessen sicherstellen, arbeiten viele Frauen,
     häufig auf Basis eines Minijobs. Schließen die Caterer die        Gesunde Ernährung war vor einem Jahr das Titelthema der E&W,
     Kantinen, fällt ihre Einnahmequelle weg, Kurzarbeitergeld         der Bundeszeitschrift der GEW. Alle Artikel kann man noch einmal
     wird für sie nicht gezahlt. Einige Schulträger haben hier zu-     auf der Homepage der GEW nachlesen: https://www.gew.de/ak-
     mindest unterstützend eingegriffen.                               tuelles/detailseite/neuigkeiten/gesunde-ernaehrung-in-kita-schule-
                                                                       und-hochschule/

                Beschäftigte nach Tarif bezahlen                       Sie können gezielt steuern, was in ihren Räumen stattfinden
     Es gibt durchaus Vorteile für Beschäftigte bei größeren Trä-      soll und was nicht. Das betrifft auch die Gestaltung des Mit-
     gern. Größere Betriebe schließen oft einen eigenen Tarif-         tagessens und die Vergabe an Caterer. Sinnvoll wäre es, dass
     vertrag mit der zuständigen Gewerkschaft Nahrung Genuss           die Schulträger die Kinder und Jugendlichen entweder selbst
     Gaststätten (NGG), der auch die Altersvorsorge tarifvertrag-      versorgen, indem sie das Essen zum Beispiel in einer Stadt-
     lich regelt. Bei vielen kleinen Trägern, die in Schulen für die   küche kochen lassen, oder an den einzelnen Schulen Pro-
     Essensversorgung zuständig sind, gibt es solche tariflichen       duktionsküchen einrichten, die die Schülerinnen und Schü-
     Vereinbarungen nicht. Oft fehlen auch betriebliche Interes-       ler vor Ort versorgen. Pädagogische Fragestellungen ließen
     senvertretungsstrukturen – zum Nachteil der Beschäftigten.        sich so vor Ort viel leichter entwickeln. Auch Projekte wie
     Im Ergebnis wird dann gerade einmal der Mindestlohn be-           „Schüler:innen kochen für Schüler:innen“ ließen sich umset-
     zahlt und nicht der deutlich höhere Tariflohn.                    zen, Praktika wären auch in der eigenen Schulküche möglich.
         Uns als GEW muss es aber auch darum gehen, kleine Ein-        Eine kommunale Mittagessensversorgung bietet Vorteile für
     heiten, die in das schulische Leben einbezogen sind, zu unter-    alle: Die Beschäftigten wären Beschäftigte im öffentlichen
     stützen. Es geht dabei um den direkten Kontakt der Schüle-        Dienst mit tarifvertraglichen Regelungen und betrieblicher
     rinnen, Schüler, Eltern und Lehrkräfte mit den Beschäftigten      Interessensvertretung, die Arbeitsbedingungen würden sich
     aus der Cafeteria, um die gemeinsame Gestaltung der Schul-        verbessern und damit auch die Situation und das Klima in
     entwicklung und des Schulprogramms. Bei großen Caterern           den Cafeterien selbst.
     kommen wichtige Fragestellungen für die Schulentwick-                 Für Frankfurt deutet sich eine entsprechende Entwicklung
     lung oft zu kurz.                                                 an: Im Frühjahr 2021 äußerte Bildungsdezernentin Sylvia
         Eine Rekommunalisierung der Essensversorgung von Bil-         Weber, dass die Stadt Frankfurt die Essensversorgung selbst
     dungseinrichtungen ist aus Sicht der GEW deshalb der rich-        übernehmen wolle, etwa durch eine Schulküche, die sich als
     tige Weg. Ein Zwischenschritt dorthin wäre es, die Tarifbin-      kommunaler Eigenbetrieb organisieren ließe. Frankfurt könn-
     dung der Caterer – auch bei kleineren Caterern – als Kriterium    te und sollte damit zum Vorbild auch für andere Schulträ-
     bei der Auswahl zu berücksichtigen. Damit wären sicherlich        ger in Hessen werden.
     längst nicht alle angeschnittenen Probleme gelöst, aber es                                                    Maike Wiedwald
     wäre ein erster Schritt. Das Land Hessen und auch die Schul-      (1) https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publi-
     träger haben einen staatlichen Bildungsauftrag zu erfüllen.       kationen/doc/expertise-kinderarmut-2021.pdf
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