MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan

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MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
2.19

    MOBILITY
    WORLD

AUTONOM AUF KURS?
DIE GROSSE HERAUSFORDERUNG DES FAHRERLOSEN FAHRENS:
INTERVIEW MIT DR. AXEL HEINRICH, LEITER VOLKSWAGEN KONZERNFORSCHUNG
ZUM ERSTEN PILOTPROJEKT IM HAMBURGER STADTVERKEHR
SEITE 10

SEITE 4                     SEITE 8              SEITE 14
ACHTUNG, GEHEIM!            DIE FABRIK           ZULIEFERER APTIV:
M PLAN BAUT PROTOTYPEN      DER ZUKUNFT          VIVA LAS VEGAS
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
INHALT
                                                                                                            AUFTRAG U06
                                                                                                4           Der Aufbau von Testfahrzeugen und Prototypen ist eine
                                                                                                            entscheidende Disziplin – M Plan bietet Know-how und
                                                                                              M INSIDE
                                                                                                            Infrastruktur für komplexe Fahrzeugbauprojekte.

                                                                                                            30.000 EURO FÜR EIN BOBBYCAR
                                                                                                7           bzw. für den „Bébé Bugatti II“, ein Kinderauto mit
                                                                                                            Elektromotor; 85 Prozent Plus beim Elektroautoverkauf
                                                                                             M NUMBERS
                                                                                                            in China – und noch mehr Zahlen ...

                                                                                                            DIE FABRIK DER ZUKUNFT
                                                                                                8           Fließband, Produktionsinseln, Werkstattfertigung –
                                                                                                            Autofabriken wandeln sich derzeit ähnlich rasch wie die
                                                                                              M REPORT
                                                                                                            Fahrzeuge, die dort hergestellt werden.

                                                                                                            „AUS DEM ECHTEN LEBEN LERNEN“
                                                                                              10            Interview mit Axel Heinrich, Leiter der Volkswagen
                                                                                                            Konzernforschung, zum Wettbewerb beim autonomen
                                                                                            M INTERVIEW     Fahren – und zur Macht der Algorithmen.

           08 PRODUKTION 4.0
                    M Report – Digitalisierung, E-Mobilität – so werden
                    kommende Automobilgenerationen gefertigt.                                               LONDON CALLING
                                                                                              13            Robin Nedellas Leidenschaft gehört einem Wasserstoff-
                                                                                                            fahrzeug. Der Student und Stipendiat von M Plan ist
                                                                                                            Rennleiter des Hydro2Motion-Teams.
                                                                                              M PEOPLE

                                                                                                            DIE WÜSTE RUFT
                                                                                              14            Aptiv gehört zu den führenden Unternehmen für die
                                                                                                            Entwicklung von Technologien für das autonome Fahren.
                                                                                               M VIEW
M INHALT

                                                                                                            UNTERM HIMMEL WEISS UND GRAU
                                                                                              16            In seiner Freizeit schraubt Edgar Heinrich, Designchef
                                                                                                            bei BMW Motorrad, an besonderen Zweiradprojekten in
                                                                                             M PASSION
                                                                                                            einer Garage am Ammersee.

                                                                                                            DER PFADFINDER
                                                                                              18            Thilo Schindele ist Akustikexperte bei M Plan.
                                                                                                            Für einen Premiumhersteller untersucht – und
                                                                                             M AT WORK
                                                                                                            eliminiert – er störende Geräusche im Fahrzeug.

           14       VIVA LAS VEGAS                                                                          NEUES AUS DER WELT VON M PLAN
                    M View – Aptiv hat ein neues Forschungszentrum
                    in der Wüste Nevadas eröffnet.
                                                                                              19            Neue Leitung der Niederlassung München; neuer
                                                                                                            Teamleiter Applikation in Wolfsburg; Glückwunsch zum
                                                                                              M NEWS
                                                                                                            Master! Und ein Weber-Grill wird verlost.
                                                                                              M GAME

               IMPRESSUM                 Verantwortlich für den Inhalt:   Realisierung und Gestaltung:             Mitglied im

                                         Bernd Gilgen, Geschäftsführer    Yellow Tree – Digital.Branding.
               Mobility World                                             www.yellowtree.de
               Ausgabe 02.2019           Redaktion extern:
               Auflage 17.500            Büro 504, www.buero504.de        Fotografie:
               9. Jahrgang                                                Peter Hildebrandt
                                         Redaktionsleitung:               www.working-image.de
               Herausgeber:              Katrin Reiners
               M Plan GmbH                                                Covermotiv:
               Steinmüllerallee 2        Druck:                           © Gettyimages: Westend61
               51643 Gummersbach         Gronenberg Druck & Medien
               www.m-plan.com            www.gronenberg.de

           2   MOBILITY WORLD / 2.19
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
HÄRTETEST RUSHHOUR
LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER,
man hört immer wieder: Das autonome Fahren wird kommen. Das ist aber nicht            Ich muss aber sagen: Ich bleibe skeptisch, was den mittelfristigen Erfolg des au-
ganz richtig – denn es ist ja schon da. In zwei Dutzend Bundesstaaten in den          tonomen Fahrens in Städten anbelangt. Warum überhaupt sollte ich in der Stadt
USA fahren bereits Testautos der Google-Tochter Waymo über die Straßen, in Palo       autonom fahren? Wäre es nicht grundsätzlich besser, den öffentlichen Nahverkehr
Alto im kalifornischen Silicon Valley zum Beispiel. Ford hat einen fahrerlosen Piz-   interessanter und komfortabler zu gestalten oder auf alternative Konzepte wie
zalieferservice in Florida erprobt. Und auf deutschen Autobahnen testeten und         Pedelecs zu setzen, die man dann an jeder Straßenecke ausleihen kann? Das mag
testen die unterschiedlichsten Unternehmen Varianten des autonomen Fahrens.           seltsam klingen, wenn das der Geschäftsführer eines Automotive-Unternehmens

                                                                                                                                                                           M EDITORIAL
Was jetzt aber neu ist: Auch in der Innenstadt einer deutschen Metropole fahren       schreibt. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass ich mir gerade selbst ein Pe-
autonom vom Bordcomputer gelenkte Pkw. Volkswagen und Hamburg sind für                delec zulegen will, um die 30 Kilometer zum Arbeitsplatz zu fahren. Allerdings
ein aktuelles Projekt zusammengerückt und lassen eine autonome VW-Golf-Flotte         muss ich mich selbst korrigieren. Es gibt doch eine Lösung, bei der ich einen ech-
mitten durch die Hamburger City rollen. Der Gang ins urbane Verkehrsgetümmel          ten Mehrwert für autonom fahrende Autos in Innenstädten sehe: beim Car- und
macht Sinn: Nur in Alltagssituationen können belastbare Erfahrungen mit auto-         Ridesharing. Wenn ich von einem fahrerlosen Shuttlefahrzeug zu Hause abgeholt
nomen Fahrtechnologien gesammelt werden. Auf dem Werksgelände oder auf                und zum gewünschten Zielort gefahren werde, dann entlastet dieses Fahrzeug
schnurgeraden Autobahnen kann man vielleicht zu schnell von der reibungslosen         den Verkehr und macht das urbane Leben lebenswerter, auch weil es keinen Park-
Funktionalität innovativer Bordelektroniksysteme überzeugt sein. In der Hambur-       platz mehr benötigt und wir mehr Platz für Grünflächen haben. Ja, dann darf das
ger Rushhour sieht das doch anders aus. Dazu haben wir für diese Ausgabe der          autonome Fahren gern schnell kommen. Allerdings müssen bis dahin sicher noch
Mobility World ein interessantes Interview mit Axel Heinrich geführt, Leiter Kon-     einige Algorithmen neu geschrieben werden. Das wird eine der Erfahrungen sein,
zernforschung bei Volkswagen. Schauen Sie mal auf Seite 10.                           die Volkswagen in Hamburg sammelt.

                                                                                      Herzlichst
                                                                                      Ihr

                                                                                      Bernd Gilgen
                                                                                      Geschäftsführer

                                                                                         „Der Gang ins urbane Verkehrsgetümmel
                                                                                      macht Sinn: Nur in Alltagssituationen können
                                                                                           belastbare Erfahrungen mit autonomen
                                                                                           Fahrtechnologien gesammelt werden.“

                                                                                                              Bernd Gilgen, Geschäftsführer M Plan

                                                                                                                                        MOBILITY WORLD / 2.19          3
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
U06
                    AUFTRAG

                         Der Fahrzeugbau ist eine entscheidende Disziplin im Entwicklungsprozess eines
                       neuen Automobils oder bei einer Modellpflege – vor allem in Zeiten von E-Mobilität
                           und Digitalisierung. M Plan bietet das Know-how und die Infrastruktur auch für
                                                 komplexe Fahrzeugbauaufträge.
M INSIDE

           4   MOBILITY WORLD / 2.19
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
FAHRZEUGBAU
                                                                                                                  ist ein wichtiges Geschäftsfeld bei M Plan. Insbeson-
                                                                                                                  dere an den Niederlassungen Weissach und Wolfsburg
                                                                                                                  mit dem Standort Haldensleben wird mit insgesamt
                                                                                                                  rund 35 Mitarbeitern dem zunehmenden Bedarf nach
                                                                                                                  Übernahme komplexer Fahrzeugbauprojekte Rechnung
                                                                                                                  getragen. In Weissach wurde dafür eine 1.500 Quad-
                                                                                                                  ratmeter große Werkstatt mit zwölf Hebebühnen, einer
                                                                                                                  3D-Achsmessbühne, einem Bremsenprüfstand und
                                                                                                                  einer Sonderinfrastruktur für die Arbeit an Hochvolt-
                                            „Wir integrieren neu entwickelte                                      fahrzeugen errichtet. In Haldensleben stehen auf 1.000
                                     Prototypenteile, die wir vorher noch nie                                     Quadratmetern rund zwölf Hebebühnen, elektronische
                                                                                                                  Achsvermessungsstände, Klimafüllgeräte und Brem-
                                        gesehen haben, in einen Bauraum, in                                       senfüllgeräte für Neufahrzeuge zur Verfügung. Durch
                                      dem sie zuvor noch nie verbaut waren.                                       alle erforderlichen Anbindungen an die OEM-Systeme
                                         Da ist kreative Intelligenz gefragt.“                                    können die Fahrzeuge auch im Hinblick auf Softwarebe-
                                                                                                                  datung und Softwareaktualisierung auf Stand gebracht
                                                                                                                  werden.

                                                                                                                                                                                              M INSIDE
                   // Haldensleben ist ein recht verträumtes Städtchen. Die Kopfsteinpflasterstraßen      verbirgt sich „nahezu das komplette Know-how des Standorts Haldensleben“, so
                   in der Altstadt sind gesäumt von prachtvollen Fachwerkhäusern, rundherum ver-          Thomas Scholz, Fachteamleiter Fahrzeugbau bei M Plan. „Ausbau, Umbau, Einbau –
                   läuft eine mittelalterliche Stadtmauer mit imposanten Wachtürmen. In der jünge-        und dann Inbetriebnahme.“
                   ren Vergangenheit hat man die begehrte Goldmedaille im Wettbewerb „Unsere
                   Stadt blüht auf“ gewonnen. Und schon zweimal wurde Haldensleben, zwischen              ÜBRIG BLEIBT DIE LEERE HÜLLE
                   Wolfsburg und Magdeburg in einer der größten Heidelandschaften Mitteleuropas           Ausführlicher beschrieben bedeutet das: Wenn zum Beispiel eine neue Generation
                   gelegen, zur familienfreundlichsten Gemeinde Sachsen-Anhalts gewählt. Touris-          eines Fahrzeugmodells künftig statt mit einem 1-Liter-Benzinmotor auch mit einem
                   ten kommen gern, besuchen das Schloss Hundisburg mit seinen romantischen               2-Liter-Dieselmotor angeboten werden soll, dann werden die Vertreter der „alten“
                   Barockgärten und die Märchenausstellung zu den Gebrüdern Grimm im kleinen              Modellgeneration bei M Plan nach und nach auf eine der elf Hebebühnen in der
                   Kreismuseum. Ja, wer durch Haldensleben spaziert, ist umweht vom Atem der Ge-          Werkstatt gefahren, wo ihnen alles entnommen wird, was ein Fahrzeug ausmacht:
                   schichte. Dass hier, nur rund zwei Kilometer vom mittelalterlichen Altstadtkern ent-   Motor, Getriebe, Abgasanlage, Bremsen, Sensorik, Kabelstrang, Armaturenbrett …
                   fernt, die Mobilität von morgen mitgestaltet wird, ist dann doch überraschend. Vor     Übrig bleibt die Karosserie, eine leere Hülle letztlich, die in den folgenden Ta-
                   drei Jahren hat der Mobility-Engineering-Spezialist M Plan am Rande der Kreis-         gen bis Wochen mit neuem Leben erfüllt wird. Motor und Getriebe werden, je
                   stadt einen neuen Standort eingeweiht, eine Dependance der nur 60 Kilometer            nach Auftragsspezifikation, meist zunächst zurück zum Kunden geschickt und dort
                   entfernten Niederlassung Wolfsburg. In einer mehr als 1.000 Quadratmeter großen        von den entsprechenden Fachabteilungen mit neu entwickelten Bauteilen zu ers-
                   Werkstatt werden jetzt Versuchsfahrzeuge und Prototypen kommender Automobil-
                   generationen namhafter Autohersteller aufgebaut. Fahrzeugbau nennt sich dieses
                   Gewerk lapidar – doch dahinter verbirgt sich eine äußerst wichtige Industriedis-
                   ziplin. Einer der letzten und mitentscheidenden Schritte im Entwicklungsprozess
                   eines neuen Automobils oder einer überarbeiteten Modellgeneration.

                   Erst vor wenigen Wochen fuhren in den frühen Morgenstunden gleich mehrere
                   große Automobiltransporter vor der großen Werkstatthalle von M Plan vor. Die
                   Ladung: insgesamt 25 sogenannte Spenderfahrzeuge, abgeklebt und gut verpackt
                   gegen neugierige Blicke. Autos, die zwar aus der Serienproduktion des Herstellers
                   stammen, die bei M Plan allerdings komplett entkernt, umgebaut und mit neuen
© iStock: vladru

                   Komponenten versehen wurden, so dass sie am Ende erste Versuchsträger einer
                   neuen Modellgeneration geworden sind. Der Anlass für die Lieferung der 25 Fahr-
                   zeuge war ein neuer Großauftrag der Kategorie „U06“. Hinter dem internen Kürzel

                                                                                                                                                           MOBILITY WORLD / 2.19          5
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
ten Prototypen einer neuen Aggregategeneration umgebaut. Je nach Lastenheft              Matthias Fritzsche, Bereichsleiter Absicherung bei M Plan und zuständig für das
           des Auftrags können bestimmte Modifikationen – etwa der Einbau eines neuen               wachsende Geschäft Fahrzeugbau. „Die Hersteller lagern immer mehr an immer
           Kompressors – auch von den Spezialisten in den hochmodernen Werkstätten von              komplexeren Fahrzeugbauprojekten aus, weil sie bei einer immer größeren Zahl
           M Plan vorgenommen werden. In der Zwischenzeit sorgen die Fahrzeugbauexper-              an Antriebsvarianten sowie Modellen und immer kürzeren Entwicklungszyklen das
           ten des Entwicklungsdienstleisters für „umfangreichste elektrische Anpassungen“ an       Limit ihrer eigenen Kapazitäten erreicht haben.“ Deshalb hat M Plan das Fahrzeug-
           den Fahrzeugen auf den Hebebühnen, erklärt Scholz. „Der komplette Kabelstrang            baugeschäft in den vergangenen Jahren kontinuierlich und deutlich ausgebaut. Der
           muss auf seine neuen Aufgaben vorbereitet werden, inklusive aller Sensoren und           Standort in Haldensleben wurde 2016 eingeweiht und auch in der recht jungen
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           Steuergeräte. Kabel müssen verlängert oder ganz neu eingezogen werden und am             Niederlassung Weissach ist die Disziplin Fahrzeugbau inzwischen zu einem wich-
           Ende genau so verlegt sein, dass wir die neuen Komponenten installieren können.“         tigen Geschäftsfeld geworden. Hier leitet Stephan Hey als Fachteamleiter ein Team
                                                                                                    von 16 Werkstattexperten, das sich in drei Fachteams aufteilt, die die Bereiche
           ALLTAGSGESCHÄFT HOCHVOLT-E-AUTOS                                                         Elektrik/Elektronik, Messtechnik und gesamtheitliche Umbauten bedienen. Insbe-
           Schließlich wird der neue Triebsatz mit allen weiteren neuen Bauteilen in die zuvor      sondere in den komplexen Disziplinen Kabelbaumanpassung, Umprogrammieren
           entkernten Fahrzeugkarosserien eingebaut. Damit beim Hantieren mit Hunderten             von Steuergeräten und dem Verbau von Sensoren hat sich die Niederlassung einen
           von alten und neuen Komponenten alles genau dort landet, wo es hinsoll, liefert          exzellenten Ruf bei ihren Kunden erarbeitet. „Wir arbeiten nur an Prototypen“,
           der Kunde bei jedem Auftrag meist exakt bestückte Warenkörbe mit. Das sind über-         berichtet Stephan Hey. „Das erfordert ein hohes Maß an Know-how und gegen-
           dimensionierte Kartons, in denen sich alle zu verbauenden Komponenten befinden           seitigem Vertrauen zwischen Hersteller und Entwicklungsdienstleister.“ Die Elek-
           – jede einzelne mit einem Barcode versehen. Diese Lieferungen werden bei Wa-             trifizierung des Antriebsstrangs, die zunehmende Digitalisierung, der Zuwachs an
           reneingang innerhalb von 24 Stunden in einem Kundenportal auf Vollständigkeit            Sensorik und Elektrik im Fahrzeug – der Fahrzeugbau ist eine echte Hightechdiszi-
           zurückgemeldet und dann täglich beim Verbau gescannt. Damit können Kunde und             plin geworden, in der viele verschiedene Qualifikationen gefragt sind.
           Auftragnehmer M Plan zu jeder Zeit nachvollziehen, wo sich jedes Exemplar einer
           oftmals neu entwickelten Komponentengeneration gerade befindet und wie weit              ENTSCHEIDEND: DIE INBETRIEBNAHME
           der Umbau fortgeschritten ist. Für Thomas Scholz und sein Team von 18 Kfz-Ex-            Vor allem bei der am Ende entscheidenden Teildisziplin des Fahrzeugbaus, der
           perten in Haldensleben ist das jedes Mal eine neue Herausforderung. Deshalb ist          Inbetriebnahme. Jedes von M Plan umgebaute Fahrzeug wird noch in der Werk-
           man froh, wenn es im Zuge eines Großauftrags zum Beispiel der Kategorie U06              statt statisch in Betrieb genommen. Das heißt, alle Steuergeräte werden mit der
           gleich 25 Exemplare desselben Modells umzubauen gilt. Je wichtiger ein Auftrag           vorgeschriebenen Software versehen, so dass sämtliche Funktionen am Fahrzeug
           für den Kunden ist, desto mehr gleiche Fahrzeuge desselben Modelltyps werden M           nach dem Umbau nahezu fehlerfrei funktionieren. Danach erfolgt die dynamische
           Plan anvertraut: „Das verschafft uns eine vertrauenswürdige Lernkurve und somit          Inbetriebnahme bei Testfahrten, die meist auf der Teststrecke beim Kunden absol-
           Planungssicherheit“, erläutert Scholz. „Eine größere Zahl gleicher Umbauten hilft        viert werden. Eine anspruchsvolle, aber auch spannende Aufgabe. „Es ist immer
           uns, besser aus Fehlern zu lernen.“ Und ohne anfängliche Fehler geht es nicht –          ein besonderer Moment, ein komplett mit neuer Elektrik und Software versehenes
           schließlich leisten die Fahrzeugbauexperten von M Plan Pionierarbeit. „Das kann          Automobil das erste Mal zum Leben zu erwecken“, erklärt Scholz. Zumal oft bereits
           man nicht mit der Arbeit in einer normalen Kfz-Werkstatt vergleichen“, erklärt           andere Abteilungen von M Plan in früheren Stadien des Produktentstehungspro-
           Fachteamleiter Scholz, selbst gelernter Kfz-Elektrikermeister. „Wir integrieren neu      zesses entscheidend mitgewirkt haben, in der Vorentwicklung zum Beispiel neue
           entwickelte Prototypenteile, die wir vorher noch nie gesehen haben, in einen Bau-        Komponenten erst virtuell und dann auch physisch mitgestaltet haben, die nun
           raum, in dem sie zuvor noch nie verbaut waren. Da ist kreative Intelligenz gefragt.“     unter Aufsicht der Kollegen des Fahrzeugbaus zum ersten Mal im Automobil ihre
           Und echtes Experten-Know-how. Bei M Plan werden eben nicht nur Benziner- auf             volle Funktion entfalten dürfen.
           Dieselmodelle oder umgekehrt umgerüstet, auch die Arbeit mit Hochvoltelektro-
           fahrzeugen oder Hybridmodellen ist für die Kfz-Spezialisten Alltagsgeschäft. Dazu        Mitunter aber erfährt die Freude über eine gelungene Erweckung einen eher ba-
           können die Experten Software flashen, also Steuergeräte mit neuen Daten und Pro-         nalen Dämpfer. Nicht immer werden Projekte, an denen M Plan in Sachen Fahr-
           grammen versehen.                                                                        zeugbau mitgewirkt hat, auch wirklich zur Serienreife getrieben. „Manche Ent-
                                                                                                    wicklungsprojekte werden plötzlich eingestellt, manche Fahrzeuge werden nur
           Gerade solche Arbeitsschritte, die tief ins Innenleben einer oft digitalisierten Fahr-   aufgebaut, um die Funktionen einzelner Bauteile zu testen, andere sind von vorn-
           zeugarchitektur eingreifen, werden von den Auftraggebern immer mehr gefragt.             herein als Crashtestmodelle konzipiert“, erklärt Matthias Fritzsche, Bereichsleiter
           „Wir folgen im Prinzip den Mobilitätsstrategien der großen Autohersteller“, erklärt      Absicherung. Was das bedeutet? „Die kommen dann in die Presse.“ //

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MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
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                                             Prozent betrug das Plus beim Elektroautoverkauf im vergangenen Jahr in China. Da-
                                             mit wurde in China zugleich mehr als die Hälfte aller E-Autos weltweit abgesetzt, wie
                                             die Unternehmensberatung McKinsey in ihrem „Electric Vehicle Index“ (EVI) aufführt.
                                             Insgesamt wurden global 2018 erstmals mehr als zwei Millionen Elektroautos (E- und
                                             Plug-in-Hybridmodelle) verkauft. In Deutschland lag die Anzahl der Neuwagen mit
                                             Elektro- oder Plug-in-Hybridantrieb im vergangenen Jahr bei knapp über 70.000 Fahr-
                                             zeugen, was einem Marktanteil von 1,9 Prozent entsprach. Damit liegt Deutschland im
                                             internationalen Vergleich auf Rang 11, was den E-Auto-Anteil unter den Gesamt-Neu-

                                                                                                                                          917
                                             zulassungen betrifft (siehe Grafik linke Spalte). Was das industrielle Potenzial in Sachen
                                             Elektromobilität betrifft, bewertet McKinsey die Entwicklung in Deutschland durchaus
                                             positiv und sieht das Land derzeit hinter China und Japan an dritter Stelle im E-Mobili-
                                             täts-Industrieranking (siehe Grafik rechte Spalte).

                                             Markt-EVI                           Industrie-EVI
                                             Rang		    Land                      Rang		     Land
                                             1 		 Norwegen                       1 		 China                                               ist eine besondere Zahl für Motorsportfans – und für Porsche-Enthusiasten
                                             2 		 Niederlande                    2 		 Japan                                               umso mehr. Denn der Porsche 917, der 1969 und damit vor 50 Jahren debü-
                                             3 		 China                          3 		 Deutschland                                         tierte, gilt als einer der berühmtesten und erfolgreichsten Rennwagen über-
                                             4 		 Schweden                       4 		 USA                                                 haupt. 1970 und 1971 wurden die Zuffenhausener mit dem Auto Gesamtsie-
                                             5 		 Großbritannien                 5 		 Südkorea                                            ger beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans, dazu kamen etliche Triumphe bei
                                             6 		 Schweiz                        6 		 Frankreich                                          Langstreckenrennen, in der nordamerikanischen CanAm-Serie und bei der
                                             7		USA                              7		Indien                                                Interserie in Europa. Noch bis zum 15. September ist im Porsche-Museum in
                                             8 		 Kanada                         8 		 Italien                                             Stuttgart die Sonderausstellung „50 Jahre Porsche 917 – Colours of Speed“ zu
                                             9 		 Portugal                                                                                sehen, in der auch zehn 917-Exemplare mit zusammen 7.795 PS gezeigt wer-
                                             10 		 Frankreich                                                                             den, darunter das erste Modell 917-001, das in mehr als einjähriger Arbeit in
                                             11 		 Deutschland                                                                            seinen Originalzustand (u. a. grün-weiße Lackierung) aus dem Frühjahr 1969
                                             12 		 Südkorea                                                                               zurückversetzt wurde.
                                             13 		 Japan
                                             14 		 Italien

                                                                                                                                                                                   60
                                             15 		 Indien

                                                                                                                                                                                                                             M NUMBERS
                                                                                   30.000
                                            Euro netto wird der Bébé Bugatti II kosten, den der Luxusautohersteller Bugatti kürz-
                                                                                                                                          Millionen Kunden erreichen BMW und Daimler nach eigener Auskunft bereits
                                                                                                                                          heute mit ihren unterschiedlichen digitalen Mobilitätsangeboten. Ab sofort bün-
                                            lich vorstellte. Damit greift die VW-Konzernmarke aus dem elsässischen Molsheim               deln beide Konzerne diese Aktivitäten, investieren mehr als eine Milliarde Euro
                                            eine Idee von 1926 auf, als Ettore Bugatti seinen jüngsten Sohn Roland zu dessen vier-        und wollen so einen „weltweit führenden Gamechanger“ für die Mobilität der
                                            ten Geburtstag ein selbstgebautes Kinderauto (Bébé Bugatti) nach dem Vorbild des              Zukunft schaffen, wie BMW-Vorstandschef Harald Krüger sagt. „Wir bündeln die
                                            Bugatti Type 35 schenkte. Jetzt, zum 110. Jubiläum der Marke, gibt es ein neues „Mini-        Kräfte und das Know-how von 14 erfolgreichen Marken“, erklärt Daimler-Vor-
                                            aturmodell“, diesmal jedoch dreiviertel so groß wie ein originaler Type 35 und damit          standschef Dieter Zetsche. Die Kooperation umfasst die Bereiche „Reach Now“
                                            für Kinder und Erwachsene geeignet. Der kleine Flitzer mit Ledereinzelsitz verfügt            (Mobilitätsdienste), „Charge Now“ (Ladedienste), „Free Now“ (Mitfahrdienste),
                                            über einen elektrischen Hinterradantrieb mit zwei Lithium-Ionen-Akkus, ein Sperr-             „Park Now“ (Parkplatzdienste) und „Share Now“ (Carsharingdienste).
                                            differential und ein regeneratives Bremssystem. Zwei Fahrmodi sind wählbar: „Kind“
                                            mit 1 kW Leistung und maximal 20 km/h sowie „Erwachsener“ mit 10 kW Leistung und
                                            bis zu 45 km/h. Zur Ausstattung gehört unter anderem das klassische Bugatti-Emblem
                                            auf der Fronthaube aus 50 Gramm reinem Silber.

                                                                                                                         0,3                        Sekunden dauert es, nur einen Wimpernschlag, dann ist der automa-
                                                                                                                                                    tische Überrollbügel ausgefahren und fixiert – und schützt die Insas-
                                                                                                                                                    sen eines Cabriolets im Falle eines Überschlags. Vor 30 Jahren feierte
                                                                                                                                                    diese Innovation Weltpremiere im Mercedes-Benz SL der Baureihe R
© Daimler AG; BMW Group; Bugatti; Porsche

                                                                                                                                                    129. Zentrale Figur bei der Entwicklung des neuen Sicherheitssystems
                                                                                                                                                    für offene Autos war der Mercedes-Ingenieur Karl-Heinz Baumann.
                                                                                                                                                    Seine Idee: Eine vorgespannte Federdämpfereinheit richtet im Ernst-
                                                                                                                                                    fall den in der Karosserie hinter den Sitzen verborgenen Überroll-
                                                                                                                                                    bügel blitzartig auf. Im Normalfall ist die Sicherheitsvorrichtung un-
                                                                                                                                                    sichtbar – was der schlanken, sportlichen Silhouette des Fahrzeugs
                                                                                                                                                    zugute kommt. Vom 1989 vorgestellten SL wurden bis zum Produkti-
                                                                                                                                                    onsende im Jahr 2001 insgesamt 204.940 Exemplare gebaut.

                                                                                                                                                                                       MOBILITYWORLD
                                                                                                                                                                                       MOBILITY WORLD//2.19
                                                                                                                                                                                                       2.19             77
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
DIE FABRIK
                                    DER ZUKUNFT
                    Fließband, Produktionsinseln, Werkstattfertigung – Autofabriken wandeln sich derzeit
                        ähnlich rasch wie die Fahrzeuge, die dort hergestellt werden. Der Umbruch in der
                     Fertigung hat gerade erst begonnen, genau wie der Aufschwung der Elektromobilität.
                                                    Ein Blick in die Zukunft der Automobilproduktion
M REPORT

           // Wie morgen Autos gebaut werden, lässt sich schon heute absehen. In Sindel-      Nachfrage nach Elektroautos entwickeln wird. Fachleute sprechen salopp vom
           fingen errichtet Mercedes derzeit auf einer Fläche von 220.000 Quadratmetern       Ketchupproblem: Man weiß zwar, dass die rote Soße aus der Flasche kommt,
           die „Factory 56“, die „modernste Automobilproduktion der Welt“, wie Markus         man weiß aber nie, wann genau und in welcher Menge.
           Schäfer sagt, im Bereichsvorstand Mercedes-Benz Cars verantwortlich für Pro-
           duktion und Lieferkette. „Zu Beginn der nächsten Dekade“, teilt Mercedes mit,      Das ist gegenwärtig die Situation, in der viele Autohersteller stecken. Die Reakti-
           solle die neue Fabrik ihre Arbeit aufnehmen. Komplett digitalisiert, erstmals      onen auf diese Veränderungen und Ungewissheiten sind unterschiedlich. BMW,
           in der Montage mit einem 5G-Mobilfunknetz ausgestattet, mit 300 fahrerlosen        Mercedes und andere Autobauer favorisieren die Flexibilisierung der bestehenden
           Transportsystemen und sogenannten „TecLines“, die das entstehende Auto takt-       Fabriken, um dort – zum Teil auf ein und derselben Montagelinie – sowohl klas-
           genau dorthin bringen, wo der nächste Montageschritt erfolgen soll. Ein klassi-    sisch als auch elektrisch angetriebene Fahrzeuge bauen zu können. VW hingegen
           sches Fließband wird es in der „Factory 56“ nicht mehr geben.                      setzt auf klare Abgrenzung und wird in einem ersten Schritt weltweit acht Werke
                                                                                              auf die ausschließliche Produktion von Elektroautos umrüsten. In Deutschland sind
           Nicht nur Mercedes plant die Zukunft des Autobaus neu – die ganze Industrie        davon die VW-Fabriken in Zwickau, Emden und Hannover betroffen. In den nächs-
           packt diese Mammutaufgabe gerade an. „In den Produktionsnetzwerken der Au-         ten fünf Jahren plant der Wolfsburger Konzern, insgesamt 30 Milliarden Euro in den
           tomobilhersteller stehen massive Verwerfungen bevor“, sagt Dr. Rolf Janssen,       Ausbau der Elektromobilität zu investieren. Konzernchef Herbert Diess sagt: „Wir
           Experte für Automobilproduktion bei der Unternehmensberatung Roland Berger.        nehmen uns vor, VW zur globalen Nummer eins in der E-Mobilität zu machen.“
           Seine Begründung: „Die großen Umwälzungen in der Branche, ausgelöst durch
           neue Mobilitätstrends, autonomes Fahren, Digitalisierung und Elektrifizierung,     Welcher Weg ist der bessere? Für Produktionsexperte Janssen bergen aufgrund
           werden natürlich erheblichen Einfluss darauf haben, wie neue Fahrzeugkonzep-       der Volumenunsicherheit sowohl die gemischte als auch die reine E-Auto-Ferti-
           te parallel zu traditionellen hergestellt werden.“                                 gung Risiken. Reine Elektroautofabriken sind viel stärker von der Nachfrage nach
                                                                                              den E-Autos abhängig und sie erfordern deutlich höhere Investitionen. Ande-
           PLANUNG MIT VIELEN UNBEKANNTEN                                                     rerseits erfordern Werke, in denen Autos beider Antriebsarten gefertigt werden,
           Die große Frage lautet: Wie können Verbrenner und Elektrofahrzeuge – denn          eine weitaus höhere Flexibilität in der Arbeitsorganisation sowie bei den Materi-
           beide Fahrzeugkonzepte werden noch über Jahre parallel produziert werden –         alströmen, und zudem könnten sie rasch an Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn die
           möglichst effizient und vor allem flexibel gebaut werden? Denn die Produkte, von   Nachfrage nach Elektroautos sprunghaft ansteigt.
           Fahrzeugen mit herkömmlichen Motoren und Lenkrad sowie Gas- und Bremspe-
           dal hin zu Fahrzeugen mit Elektroantrieb und immer weiter automatisierten          Je nachdem, welche Produktionsstrategie ein Hersteller verfolgt, hat das auch
           Funktionen, ändern sich. Parallel dazu wandelt sich auch deren Produktion: Fab-    Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation. Das gute alte Fließband, von Henry
           riken werden digitalisiert, automatisiert und in riesige Netzwerke eingebunden,    Ford im Jahr 1914 erstmals in der Automobilindustrie eingesetzt, wurde zwar
           in denen vom Setzen der ersten Schweißnaht bis zum fertigen Fahrzeug alle Pro-     schon mehrmals totgesagt, doch zumindest in Werken, in denen ausschließlich
           zesse miteinander verknüpft sind. Als wären das noch nicht genug Variable, ist     Elektroautos gebaut werden – wie etwa künftig bei VW in Zwickau – könnte es
           auch noch völlig unklar, wann und in welchem Umfang sich beispielsweise die        nach wie vor weiterlaufen.

           8   MOBILITY WORLD / 2.19
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
MEHR FLEXIBILITÄT DURCH WERKSTATTFERTIGUNG
                              In der „Factory 56“ hingegen wäre das undenkbar, denn in dieser Anlage sollen
                              parallel das Luxusmodell Mercedes S-Klasse, Elektrofahrzeuge der Submarke EQ
                              und Robotaxis gefertigt werden. Damit das gelingt, werden nicht nur alle Pro-
                              zesse durchgängig digitalisiert, sondern es wird zudem eine sogenannte „Werk-
                              stattfertigung“ etabliert – manche sprechen auch vom „Ballroom-Konzept“.

                              Manuel Fechter, Leiter des Geschäftsfelds Automotive beim Fraunhofer-Institut                                         Manuel Fechter (links), Leiter des Geschäftsfelds
                              für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart, erklärt diese neue                                       Automotive beim Fraunhofer-Institut für Produktions-
                              Produktionsorganisation so: „Bei der Werkstattfertigung gibt es unterschiedliche                                      technik und Automatisierung IPA in Stuttgart, und
                              Montagestationen, die je nach Bedarf von fahrerlosen Transportsystemen ange-                                          Dr. Rolf Janssen (oben), Experte für Automobil-
                              fahren werden. Dabei lassen sich die einzelnen Stationen flexibel miteinander                                         produktion bei der Unternehmensberatung Roland
                              verketten – abhängig davon, welches Fahrzeug jeweils zusammengefügt werden                                            Berger.
                              soll.“ Die Komplexität einer solchen Fertigung ist enorm. „Vor allem die Logistik
                              muss passen“, sagt Fechter. Denn wenn irgendwo ein Bauteil fehlt, gerät wo-         loren gehen. Schon allein aus diesem Grund – von Beschaffungsengpässen bei
                              möglich das ganze System ins Stocken.                                               Akkus einmal abgesehen – wäre ein rasches, sprunghaftes Ansteigen der E-Au-
                                                                                                                  to-Nachfrage durchaus problematisch.
                              Für Mercedes soll die „Factory 56“ eine Blaupause für weitere Werke im globa-
                              len Produktionsnetzwerk werden. Eine solche Umstellung der Automobilferti-          NICHT ALLES KANN EIN ROBOTER BESSER
                              gung verheißt einerseits eine noch größere Effizienz und eine noch lückenloser      Generell gilt, dass die Automatisierung in der Fahrzeugproduktion bereits jetzt
                              kontrollierbare Qualität. Das gilt jedoch nur, solange alle Systeme reibungslos     auf einem sehr hohen Niveau ist. Bei Logistik und Teileversorgung gibt es noch
                              funktionieren. Produktionswissenschaftler Fechter sagt: „Eine Grundproblematik      Potential durch fahrerlose Transportsysteme. Doch bei der Montage der Fahr-
                              dieses Fertigungssystems ist, dass im Grunde nur noch der Algorithmus über die      zeuge, ganz gleich ob es sich um konventionell oder elektrisch angetriebene
                              genauen Abläufe Bescheid weiß.“                                                     Modelle handelt, dürfte die menschliche Arbeit auch langfristig nicht zu ersetzen
                                                                                                                  sein. Denn hier geht es um immer größere Flexibilität einerseits und anderer-
                              Eine generelle Veränderung in der Automobilproduktion, die mit der Elektrifi-       seits sehr oft um Arbeiten mit Kabelbäumen, Dichtungen oder anderen flexiblen
                              zierung des Antriebsstrangs einhergeht, ist die schwindende Wertschöpfungs-         Bauteilen, für die Roboter aktuell noch ungeeignet sind. „Ein gut geschulter und
                              tiefe der Hersteller. Im Durchschnitt dürfte diese, sagt Roland-Berger-Experte      erfahrener Mitarbeiter“, sagt Janssen, „ist für bestimmte Tätigkeiten in der Regel
                              Janssen, um rund 30 Prozent zurückgehen. Das bedeutet: Je mehr Elektroautos         reaktionsfähiger und muss nicht für jede neue Modellvariante neu programmiert
                              gebaut werden, desto mehr Arbeitsplätze in der Automobilfertigung werden ver-       werden.“ //

                                                                                                                                                                                                               M REPORT

                              VW rüstet das Werk in Zwickau komplett um, dort sollen
                              ausschließlich Elektroautos gefertigt werden (oben).
                              Rechts oben: maximale Digitalisierung in der „Factory
                              56“ von Mercedes. Rechts: ein Foto aus der Frühzeit der
                              Fließbandproduktion bei Ford.
© Volkswagen AG; Daimler AG

                                                                                                                                                                      MOBILITY WORLD / 2.19                9
MOBILITY WORLD - AUTONOM AUF KURS? - M Plan
„AUS DEM ECHTEN
               LEBEN LERNEN“
              Volkswagen testet erstmals im realen Verkehr einer deutschen Großstadt autonom
              fahrende Autos. Dr. Axel Heinrich, Leiter der Volkswagen Konzernforschung,
              erklärt in der Mobility World die großen Herausforderungen des Pionierprojekts,
              die Macht der Algorithmen – und warum sein Unternehmen vorerst nicht mit Google
              kooperiert.
M INTERVIEW

              10   MOBILITY WORLD / 2.19
DR. AXEL HEINRICH
                                                                                                        ist als Leiter der Volkswagen-Konzernforschung ver-
                                                                                                        antwortlich für die Entwicklung von Innovationen über
                                                                                                        alle Markengrenzen im Unternehmen hinweg. In einem
                                                                                                        gemeinsamen Projekt der Marke Volkswagen und der
                                                                                                        Stadt Hamburg wird nun erstmals eine autonom
                                                                                                        steuernde Fahrzeugtestflotte in die Innenstadt einer
                                                                                                        deutschen Metropole entsandt. Fünf eGolfs sammeln
                                                                                                        derzeit mit jeweils elf Laserscannern, sieben Radar-
                                                                                                        geräten und 14 Kameras Erfahrungen in der Großstadt-
                                                                                                        rushhour – auch an der Elbphilharmonie (Foto links).

                                                                                                                                                                                                M INTERVIEW
                  // Herr Heinrich, in Hamburg fährt seit kurzem eine Flotte von e-Golfs auto-         Inwieweit kann dieser Test realistische Ergebnisse liefern? Bis auf Ihre autono-
                  matisiert durch die Stadt. Das ist neu: quasi autonom fahrende Pkw in einer          men Testfahrzeuge sind alle anderen Verkehrsteilnehmer mehr oder weniger
                  deutschen Innenstadt. Müssen sich die Hamburger jetzt an Autos gewöhnen, bei         analog unterwegs …
                  denen der Fahrer hinterm Lenkrad schläft oder mit dem Handy spielt?                  Dr. Axel Heinrich: Für die Fahrsituation des Einzelfahrzeugs ist der Test sehr realis-
                  Dr. Axel Heinrich: Nein, definitiv nicht. Zum einen sitzen unsere Fahrer nicht für   tisch. Denn wenn irgendwann einmal tatsächlich vollautonom fahrende Autos in
                  Stunden hinter dem Lenkrad, schlafen wird keiner. Wir fahren überschaubare Test-     Städten unterwegs sind, werden wir eine lange Phase des Übergangs erleben, in
                  runden und danach werden die Ergebnisse ausgelesen und bewertet. Es geht             der die neuen Autos neben herkömmlichen Modellen fahren werden. Was heute
                  nicht darum, Kilometer zu schrubben, wie man so sagt. Wir fahren sogenannte          tatsächlich fehlt, ist die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen, das kooperati-
                  qualitative Tests, bei denen es darum geht, im automatisierten „Level 4“-Ein-        ve Fahren von vielen miteinander vernetzten Autos. Das müssen wir mit anderen
                  satz Erkenntnisse aus echten innerstädtischen Verkehrssituationen zu gewinnen.       Fahrzeugherstellern gemeinsam realisieren. Denn natürlich muss das Volkswa-
                  Bislang sind wir, vornehmlich mit Audi, Tests im „Level 3“-Betrieb gefahren, um      gen-Auto interagieren können mit einem BMW, Mercedes oder Peugeot vor, neben
                  hochautomatisches Fahren auf der Autobahn zu erproben. Die Tests in Ham-             oder hinter ihm. Wir testen das bereits mit einer kleinen Forschungsflotte auf un-
                  burg sind dagegen ein ganz anderes Kaliber. Zum Beispiel geht es darum, die          serem Werksgelände in Wolfsburg. Denn jede Standardisierung bringt uns weiter
                  innerstädtische Rushhour zu bewältigen. Bisher lagen unsere Teststrecken, von        in der Automobilindustrie. Das ist auch im Sinne der Kunden.
                  Zäunen begrenzt, auf unserem Werksgelände. So ein Testgelände ist nicht zu
                  vergleichen mit einem realen urbanen Umfeld. Ich kann die Hamburger aber             Die Hersteller agieren beim Thema autonomes Fahren unter Hochdruck. Daimler
                  beruhigen: Jeder Fahrer unserer Testflotte wird definitiv ausgeschlafen sein, dazu   und BMW arbeiten neuerdings zusammen – ohne Volkswagen. Spüren Sie den
                  gibt es ein Handyverbot im Fahrzeug. Der Fahrer wird die Hände immer locker          Wettbewerbsdruck?
                  am Lenkrad haben und den Fuß nahe der Bremse, um jederzeit in kürzester Zeit         Dr. Axel Heinrich: Wir kooperieren mit dem Unternehmen Autonomous Intelligent
                  eingreifen zu können.                                                                Driving, einem Tochterunternehmen der Audi AG aus München. Auch die Mar-
                                                                                                       kenvielfalt unter unserem Konzerndach ist ein Vorteil. Dazu werden noch einige
                  „Level 4“ bedeutet, dass das Fahrzeug auch komplexe innerstädtische Situa-           weitere sehr wichtige Partnerschaften kommen, über die ich jetzt im Einzelnen
                  tionen meistern kann. Haben Sie deshalb Hamburg ausgewählt, wegen seiner             noch nichts sagen möchte. Natürlich spüren wir den Wettbewerbsdruck. Aber der
                  vielen schönen Baustellen?                                                           macht uns nicht bange.
                  Dr. Axel Heinrich: Ist Hamburg bekannt für seine schönen Baustellen? Das wusste
                  ich gar nicht (lacht). Nein, im Ernst: In der Hamburger City entsteht derzeit eine   Volkswagen ist ein Unternehmen mit mehr als 600.000 Mitarbeitern weltweit,
                  neun Kilometer lange Teststrecke für das automatisierte und vernetzte Fahren, kurz   mit traditionell geprägten Entwicklungszyklen und Entscheidungsgremien. Ist es
                  TAVF, die im Jahr 2020 vollständig ausgebaut sein wird. Wir nutzen bereits einen     nicht schwer, so einen Tanker auf Kurs zu bringen für ein sich so schnell wan-
                  Teilabschnitt. Außerdem ist Hamburg Partnerstadt von Volkswagen. So wurde hier       delndes Forschungsthema wie das autonome Fahren?
                  zum Beispiel auch gerade das weltweit erste Pilotprojekt unseres Tochterunter-       Dr. Axel Heinrich: Kleine Start-ups haben in bestimmten Bereichen Vorteile. Wir
© Volkswagen AG

                  nehmens Moia gestartet, des Ridesharing-Anbieters. Hamburg wird Gastgeber des        sind daher viele Kooperationen gerade auch mit Start-ups und Forschungseinrich-
                  internationalen ITS-Kongresses im Jahr 2021 sein, des „Intelligent Transport Sys-    tungen eingegangen und profitieren dabei von der Agilität, die solche Unterneh-
                  tems“-Kongresses. Die Stadt ist besonders offen für neue Mobilitätsansätze.          men und Organisationen auszeichnen. Das unterschätzt man schnell, wenn man

                                                                                                                                                           MOBILITY WORLD / 2.19          11
Fünf VW eGolfs fahren autonom durch Hamburg. Auf der
                                                                                                             Teststrecke zwischen Alster und Elbe sitzt immer auch ein
                                                                                                             Fahrer im Cockpit.

              sich das große Unternehmen Volkswagen von außen anschaut. Wir sind aber ganz           Dr. Axel Heinrich: Nein, hier kann die Technologie durchaus eine solche Situation
              und gar nicht schwerfällig wie ein Tanker, wir arbeiten bereits in sehr frühen Ent-    adäquat einschätzen. Wenn die Sensorik auf beiden Straßenseiten Kinder erkennt,
              wicklungsphasen eng mit potenten und agilen Partnern zusammen. Aber man darf           so wird dies als potentiell gefährliche Situation bewertet. Es wird damit gerech-
              auch nichts überstürzen. Wir wollen am Ende des Tages ein rundum ausgereiftes          net, dass ein Kind plötzlich zu seinen Freunden auf die andere Seite der Straße
              Produkt auf den Markt bringen.                                                         möchte. Die Geschwindigkeit wird reduziert, um einen eventuellen Bremsvorgang
                                                                                                     vorzubereiten. Wir sind durchaus schon in der Lage, menschliche Verhaltens- oder
              Dennoch liegt über der Automobilindustrie immer der Schatten neuer Wettbe-             Entscheidungsmuster technisch abzubilden. Ich gebe aber auch zu: Nicht jede
M INTERVIEW

              werber. Sollten Sie nicht mit Google zusammenarbeiten?                                 mögliche Situation können wir heute erkennen und meistern. Ich habe neulich das
              Dr. Axel Heinrich: Google ist ein Unternehmen mit eigenen Plänen. Zu einem Schul-      Bild einer Rollstuhlfahrerin gesehen, die auf einer Straße eine Ente jagte. Auch
              terschluss wird es voraussichtlich erst einmal nicht kommen. Aber: Auch Google         das ist eine mögliche, wenngleich sehr unwahrscheinliche Straßensituation. Ich
              wird vor den gleichen Herausforderungen stehen wie wir, wie man eben Hard-             will damit sagen: Wir können heute noch nicht jedes denkbare Geschehen korrekt
              und Software intelligent und sicher vereint, wie man Algorithmik und Sensorik so       identifizieren. Deshalb machen wir ja Tests wie den in Hamburg. Wir wollen aus
              vorantreibt, dass am Ende ein sicheres, marktgerechtes Produkt vom Band rollt.         dem echten Leben lernen.

                                                                                                     Eine klassische Situation im echten Leben ist die: Ein Umzugswagen blockiert
              Eigenverantwortliches Handeln ist ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft.              die Fahrbahn, die zum Gegenverkehr hin von einer durchgezogenen Linie be-
              Wo bleibt unsere persönliche Entscheidungsfreiheit im autonom fahrenden                grenzt wird. Ein autonomes Fahrzeug wird diese Linie nicht überfahren. Muss
              Auto? Werden wir nicht zu einer von Algorithmen dominierten Gesellschaft, in           man warten, bis der Umzug vorbei ist?
              der der Mensch passiv unterwegs ist und die Maschine lenkt?                            Dr. Axel Heinrich: Wenn es sich um ein „Level 4“-Fahrzeug handelt, das heißt um
              Dr. Axel Heinrich: Ein oft gehörtes Argument: Der Mensch wird entmündigt. Ich          ein Auto mit Lenkrad und Bremse, dann können Sie sagen: „Okay, ich überneh-
              kann die Bedenken ein Stück weit nachvollziehen. Dagegen aber steht der Ge-            me“ – und Sie überfahren die weiße Linie. In einem „Level 5“-Fahrzeug, ohne die
              winn an Sicherheit. Die Systeme, die wir entwickeln, werden den Straßenverkehr         sofortige Möglichkeit des Eingriffs durch den Fahrer, gibt es dann vermutlich eine
              deutlich sicherer machen und helfen, die Zahlen an Unfalltoten auf den Straßen         übergeordnete Instanz, die im Zweifelsfall eingreifen könnte. Eine Art Verkehrs-
              zu senken. Unser Ziel ist es letztlich, eine „Vision Zero“ zu realisieren, eine Welt   leitbetrieb, bei dem Sie sich als Nutzer melden können und der die Situation dann
              ohne Unfalltote im Straßenverkehr. Dafür gebe ich gern etwas von meiner Ent-           angemessen klärt, eventuell also das Auto ferngesteuert um den Umzugswagen
              scheidungsfreiheit im Autocockpit ab.                                                  herumfährt, trotz weißer Linie.

              Sensoren und Steuergeräten fehlen Intuition und gesunder Menschenverstand.             Im US-Bundesstaat Arizona haben Bewohner kürzlich autonom fahrende Pkw
              Braucht man das nicht auch? Der Mensch weiß zum Beispiel, dass am Vatertag             der Google-Tochter Waymo mit Steinen und Messern angegriffen. Offenbar
              viele angeheiterte Bollerwagenmänner unterwegs sind – das Auto nicht.                  wollte man nicht Teil eines Feldversuchs sein. Haben Sie nicht Angst um Ihre
              Dr. Axel Heinrich: Unser Ziel ist es, eine bessere Umfeldwahrnehmung als die des       Testflotte in Hamburg?
              Menschen zu erzeugen. Der Mensch nimmt seine Umwelt aus dem Auto heraus vor            Dr. Axel Heinrich: Ganz wichtig ist uns, die Bevölkerung mitzunehmen. Wir kom-
              allem optisch im Frequenzbereich des Lichts wahr. Wir können aber mit Laserscan-       munizieren alle Aspekte des Tests ganz transparent. Wissen Sie, ich lebe selbst in
              nern, Kameras, Ultraschallsensoren und Radaren das Wahrnehmungsspektrum                einer Stadt. Ich kann gut verstehen, wenn man sich fragt, was das denn da jetzt vor
              deutlich erweitern. Natürlich hat der Mensch seine Erfahrungswerte. Er weiß, an        der eigenen Haustür werden soll. Wir wollen die Menschen in Hamburg ganz sicher
              welcher Kreuzung eventuell Fahrradfahrer gern gefährlich auf die Straße einlenken      nicht mit irgendeiner neuen Technologie terrorisieren. Es geht um Sicherheit, es
              oder die angesprochenen Bollerwagenväter sich versammeln. Das aber wird auch           geht um Komfort, es geht um die Verbesserung des innerstädtischen Lebens. Des-
              das autonome Fahrzeug erkennen.                                                        halb sind wir mit der Stadt Hamburg im Vorfeld des Projekts auf die Anwohner an
                                                                                                     der Testroute zugegangen, sind mit ihnen ins Gespräch gekommen. Es gab Fragen,
              Wenn ein Fahrer aber Kinder auf dem Fußweg spielen sieht, wird er in der Re-           klar, aber keine Ablehnung. Wir waren sogar erstaunt, wie offen man dem Projekt
              gel vorsichtiger fahren – auch wenn zunächst kein Kind Anstalten macht, über           gegenüber war. Also nein, ich habe keine Angst um unsere Testfahrzeuge. //
              die Straße zu laufen. Das autonome Fahrzeug aber sagt dann: keine Gefahr. Und
              fährt im gleichen Tempo weiter …

              12   MOBILITY WORLD / 2.19
LONDON CALLING
                                     Robin Nedellas Leidenschaft gehört einem Wasserstofffahrzeug. Der Student und
                                     Stipendiat von M Plan ist Rennleiter des Hydro2Motion-Teams beim Effizienzrennen
                                     Shell Eco-marathon an der Themse.

                                                                                                         ROBIN NEDELLA
                                                                                                         ist Masterstudent für Luft- und Raumfahrttechnik an der Hoch-
                                                                                                         schule München und Rennleiter des von M Plan geförderten
                                                                                                         Brennstoffzellenrennstalls Hydro2Motion. Bis Ende vergangenen
                                                                                                         Jahres gehörte der 23-jährige Aerodynamikexperte zudem zum
                                                                                                         Kreis der von M Plan unterstützten Stipendiaten. Nedella stammt
                                                                                                         aus Straubing in Niederbayern, studierte nach dem Abitur in
                                                                                                         Ingolstadt Luftfahrttechnik und schreibt jetzt in München seine

                                                                                                                                                                                                               M PEOPLE
                                                                                                         Masterarbeit. Seine zweite Leidenschaft gehört neben der Arbeit
                                                                                                         am Brennstoffzellenrennwagen der Sportart Inlinehockey, fürs
                                                                                                         Training fährt er jede Woche zweimal mit dem Zug von München
                                                                                                         nach Ingolstadt.

                                     // Die größte Herausforderung hatte nichts mit Wasserstoff und Brennstoffzelle zu    sich darin, mit geringstem Energieaufwand eine vorgegebene Strecke zurück-
                                     tun. Nein, diese Hürde tat sich unvermittelt auf, und zwar in Form eines Mikrofons   zulegen. Dabei treten unterschiedliche Antriebsarten und Energiespeicherarten
                                     mit dem Schriftzug „Television Canaria“. Ein Kamerateam des öffentlich-rechtli-      gegeneinander an.
                                     chen TV-Senders der Kanarischen Inseln wollte Robin Nedella interviewen. Der
                                     Münchner Student war als Rennleiter des Studententeams Hydro2Motion nach Las         Das Hydro2Motion-Team arbeitet mit einem Wasserstoffantrieb – und wird dabei
                                     Palmas auf Gran Canaria gekommen. Hier wurde im Rahmen eines internationa-           auch von M Plan unterstützt. Unter anderem fördert der Entwicklungsdienstleister
                                     len „Green Energy“-Studentenprojekts auch der aktuelle Brennstoffzellenrennwa-       pro Jahr einen Teilnehmer mit einem monatlichen Stipendium. Robin Nedella ist
                                     gen von Hydro2Motion präsentiert. Nedella, Luft- und Raumfahrttechnikstudent         Experte für Aerodynamik und Strömungsmechanik. Der 23-jährige Masterstudent
                                     aus München und Stipendiat von M Plan, trat also vors Mikrofon. Wie sich aber        war maßgeblich an der Programmierung der Gesamtfahrzeugsimulation beteiligt
                                     herausstellte, konnte der Journalist am anderen Ende des Mikrofons kein Wort         – die auch Thema seiner Masterarbeit ist. Außerdem ist Nedella in die Rolle des
                                     Englisch – und Robin Nedella kein Spanisch. „Das muss ein lustiger Bericht ge-       Sponsoren- und Pressesprechers gerutscht, etwa bei Messen oder Präsentationen
                                     worden sein“, erinnert sich Nedella lachend.                                         wie der auf Gran Canaria. Und er ist Rennleiter seines Teams beim Eco-marathon,
                                                                                                                          stellt also sicher, dass die vorher berechnete Rennstrategie optimal umgesetzt
                                     Natürlich konnte die Situation am Ende doch noch unter Einsatz von Händen und        wird. Damit erreichte man im vergangenen Jahr einen hervorragenden vierten
                                     Füßen gemeistert werden. So wie letztlich alle Aufgaben im Vorwege des Ter-          Platz in London. Dieses Jahr peilt man nun einen Podiumsplatz an. „Dass ich über-
                                     mins unter spanischer Sonne bewältigt wurden. Ein Jahr lang hatte das Hydro-         haupt mal etwas mit Autorennen zu tun haben würde, hätte ich nie gedacht“, sagt
                                     2Motion-Team – rund 30 Studenten von der Hochschule München – am aktuellen           der gebürtige Niederbayer Nedella, der privat höchstens mal seinem Vater beim
                                     Rennwagen gearbeitet. Eine Gesamtfahrzeugsimulation war neu programmiert             Schrauben an dessen beiden alten VW Käfern hilft. Mittlerweile aber ist er faszi-
© Gruppenbild: Florian Schulenberg

                                     worden, die Räder des zigarrenförmigen Fahrzeugs waren verkleidet worden –           niert – hauptsächlich allerdings vom Wirken hinter den Kulissen der Boxengas-
                                     und nicht zuletzt hatte man die Effizienz der Brennstoffzelle unter anderem durch    se. Und warum nicht einmal selbst ein Rennen fahren mit dem extrem kompakt
                                     eine neu entwickelte Elektronik steigern können. Das war entscheidend, dar-          gebauten Brennstoffzellenflitzer? „Dazu wird es nicht kommen“, erklärt Nedella.
                                     um geht es: ein möglichst verbrauchsarmes Rennfahrzeug zu konstruieren, um           „Unsere Fahrerin wiegt 50 Kilogramm und ist knapp über 1,60 Meter groß. Damit
                                     damit Anfang Juli als eines von rund 160 Teams aus der ganzen Welt am Shell          kann ich nicht konkurrieren.“ Das ist dann aber auch die einzige Herausforderung
                                     Eco-marathon in London teilzunehmen, einem der weltweit größten Energieef-           in Sachen Brennstoffzellenantrieb, der sich der gut 1,80 Meter große Student nicht
                                     fizienzwettbewerbe. Teams verschiedener Universitäten und Nationen messen            stellen will. //

                                                                                                                                                                            MOBILITY WORLD / 2.19         13
DIE WÜSTE RUFT
                    Aptiv gehört zu den führenden Unternehmen für die Entwicklung von Technologien für das
                         autonome Fahren. Jetzt wurde ein neues Forschungszentrum in Las Vegas eröffnet.
M VIEW

                                     Der Elektronik- und Sensorikspezialist Aptiv entwickelt Technologien für
                                     das autonome Fahren – und testet diese unter anderem in Las Vegas.

                                                                                                       NEUES TECHNOLOGIEZENTRUM IN LAS VEGAS
         // Las Vegas ist für viele Menschen ein Sehnsuchtsort. Einmal über den berühm-                Pünktlich zur diesjährigen CES Anfang des Jahrs eröffnete der weltweit operierende
         ten Strip im Herzen der Glücksspielmetropole schlendern, das Glitzern der Neon-               Zulieferer ein neues Technologiezentrum in Las Vegas. Hier sollen künftig innovative
         reklamen und die spektakulären Wasserfontänen vor einem der berühmten Ca-                     Lösungen für autonom fahrende Autos entwickelt werden. Die Wahl von Las Vegas als
         sinohotels bestaunen, vielleicht eine der beeindruckenden Entertainmentshows                  Wiege neuer Technologien ist bereits der zweite große Schritt von Aptiv in Nevada.
         in den Musiktheatern besuchen … Das ist aber nur die eine Seite von Las Vegas.                Denn schon vor gut einem Jahr gründeten der Systemlieferant und der US-amerika-
         Die Stadt steht heute für weitaus mehr als nur Glücksspiel und Showbusiness. Las              nische Fahrdienstvermittler Lyft eine Partnerschaft, um gemeinsam Praxiserfahrungen
         Vegas in der Wüste des US-Bundesstaats Nevada hat sich zu einem der Hot Spots                 mit selbstfahrenden Autos zu sammeln. Seit Mai 2018 wurden bis heute mehr als
         der Welt für neue Automotive-Technologien entwickelt. Jedes Jahr überbieten sich              35.000 Fahrten mit einer Versuchsflotte von autonom fahrenden, mit Aptiv-Techno-
         bei der Consumer Electronics Show (CES) im Las Vegas Convention Center, der                   logie ausgerüsteten Autos vermittelt. Besucher und Bewohner von Las Vegas können
         weltweit größten Technologiemesse, auch die internationalen Automobilherstel-                 über Lyft ein autonomes Aptiv-Auto rufen und sich davon durch die Stadt chauffieren
         ler und wichtigen Zuliefererunternehmen bei der Präsentation neuer Entwicklun-                lassen – allerdings bisher ausschließlich auf zuvor festgelegten Routen. „Durch die
         gen für das autonome Fahren, für innovative Softwarelösungen, für smarte Apps.                Investition in unser Technologiezentrum in Las Vegas lässt sich der Betrieb noch effi-
         Kein Wunder also, dass sich das Unternehmen Aptiv ausgerechnet die bunte Welt                 zienter gestalten. Außerdem können wir wichtige Erkenntnisse beim kommerziellen
         von Las Vegas als Bühne für ein anspruchsvolles Mobilitätsprojekt ausgesucht hat.             Einsatz autonomer Fahrzeuge sammeln und die Schulung von Sicherheitsfahrern ver-
                                                                                                       bessern“, sagt Karl lagnemma, President Autonomous Mobility bei Aptiv.

         14   MOBILITY WORLD / 2.19
APTIV
                                                                                                ist ein Automobilzulieferer mit operativer Hauptzentrale in
                                                                                                Dublin. Das Unternehmen ging 2017 aus der Aufspaltung des
                                                                                                US-Zulieferers Delphi Automotive hervor. Aptiv ist heute eines
                                                                                                der führenden Unternehmen für die Entwicklung von Techno-
                                                                                                logien für das autonome Fahren, von Sensoren und Kameras
                                                                                                über Softwarelösungen bis hin zu intelligenten Steuergeräten.
                                                                                                Aptiv beschäftigt etwa 147.000 Mitarbeiter und betreibt ein gutes
                                                                                                Dutzend Entwicklungszentren sowie Produktionsstandorte und
                                                                                                Kundendienstzentren in mehr als 40 Ländern.

                                                                                                www.aptiv.com

                         Viva Las Vegas: Aptiv testet derzeit in Kooperation mit einem
                         Fahrdienstvermittler einen autonomen Shuttleservice in der
                         Glücksspielmetropole.

                                                                                                                                                                                        M VIEW
          100.000 DATEN INNERHALB EINES WIMPERNSCHLAGS
          Aptiv gilt mit seinen fast 150.000 Mitarbeitern weltweit als eines der führenden        tung erbringen, das sind eine Billion komplexe Rechenschritte pro Sekunde. Das
          Unternehmen der Branche für die Neu- und Weiterentwicklung von Technologien             klingt viel, ist aber nicht einmal die Rechenleistung eines iPhone 7. Ein autonomes
          für das autonome Fahren, für Connectivity-Lösungen und für alternative Antriebe.        Auto aber benötigt nach Einschätzung der Aptiv-Experten eine Rechenkapazität
          Dabei ist Aptiv eigentlich noch sehr jung. Erst Ende 2017 entstand das Unternehmen      von mehr als 200 Teraflops, also 200 Billionen Operationen pro Sekunde. Dafür gilt
          aus der Aufspaltung verschiedener Geschäftsbereiche des Zulieferers Delphi. Die         es, entsprechende Elektronikumgebungen, Software und Sensorikkomponenten
          Sparte Powertrain behielt den traditionellen Namen, die neu gegründete Firma            zu entwickeln. Aptiv ist dafür verschiedene Partnerschaften mit anderen Unter-
          Aptiv wiederum konzentriert sich seitdem auf die besonders innovativen Bereiche         nehmen eingegangen, unter anderem mit BMW, Systementwickler Mobileye und
          wie Vernetzung, Sensorik, Software, Fahrzeugelektronik – und übergeordnet auf           Chiphersteller Intel. „Fahrzeuge werden in Zukunft mehr und mehr durch Soft-
          das autonome Fahren. Beide Firmen sind in den USA börsennotiert, haben ihre             ware definiert. Kamera-, Radar- und Lidarsysteme und sonstige Sensoren gene-
          Zentralen aber in Großbritannien. Durch die Ausgliederung gehört das Unterneh-          rieren immer höhere Datenmengen, die verteilt werden müssen“, erklärt Markus
          men allerdings nicht mehr zu den Top Ten der größten Zuliefererunternehmen. Im          Kerkhoff, Vice President Global Engineering bei Aptiv, in einem Interview mit dem
          weltweiten Zulieferer-Ranking des Beratungsunternehmens Berryls Strategy Advi-          Fachmagazin „carIT“. „Durch eine Optimierung der Fahrzeugarchitektur können
          sors liegt Aptiv in der aktuellen Erhebung auf Platz 21, ganz vorn firmieren Größen     wir diese Themen sehr gut aufgreifen und als Alleinstellungsmerkmal entspre-
          wie Bosch und Continental. Doch hinter Aptiv gliedern sich bekannte Traditions-         chende Systemlösungen anbieten.“
          unternehmen wie Johnson Controls, Brose oder Autoliv ein. Aptiv ist dabei in zwei
          große Entwicklungs- und Produktionsbereiche aufgeteilt: „Advanced Safety and            FAHRZEUGE WERDEN ZU „SUPERCOMPUTERN“
          User Experience“ entwickelt und fertigt Komponenten und Systeme für passive und         Zu wichtigen Kunden von Aptiv zählen viele Autohersteller, darunter BMW, Ferrari
          aktive Sicherheitselektronik, Fahrzeugüberwachung, Infotainment und vor allem           oder Audi. Doch das Unternehmen entwickelt nicht nur Sensoren, Kameras und
          auch Datennetze, Displays und Systemintegration. „Signal and Power Solutions“           intelligente Motorsteuerungen für teilautomatisierte und später vollautonom fah-
          wiederum hat den Schwerpunkt auf der Datenverteilung und Stromversorgung in             rende Autos. Man hat auch „allumfassende Konnektivität“ im Fokus: „Wir blicken
          der Fahrzeugarchitektur.                                                                über vernetzte Autos und selbstfahrende Fahrzeuge hinaus in eine Welt, in der
                                                                                                  Fahrzeuge letztlich Supercomputer sind“, heißt es bei Aptiv. „Rollende Compu-
          Die Herausforderungen – und Chancen – sind groß für Aptiv. Die Softwareexperten         ter, die in der Lage sind, riesige Datenmengen zu sammeln, zu analysieren, zu
          des Unternehmens gehen davon aus, dass bereits im kommenden Jahr digital ver-           interpretieren, zu integrieren und gemeinsam zu nutzen, um die Mobilität neu
          netzte Fahrzeuge „100.000 Daten innerhalb eines Wimpernschlags austauschen“             zu gestalten. Es ist eine Welt, in der Sensoren mit Fahrzeugen kommunizieren, in
          werden, wie es bei Aptiv heißt. Die Rechenleistung, die fortschrittliche Fahrzeug-      der Fahrzeuge miteinander kommunizieren und in der sie auch nahtlos mit der
          funktionen wie das autonome Fahren erst ermöglicht, sei immens. Heute können            Umgebung und den Städten kommunizieren, durch die sie navigieren.“ Erst in Las
© Aptiv

          die Bordcomputer moderner Automobile weniger als einen Teraflop Rechenleis-             Vegas – und irgendwann überall. //

                                                                                                                                                     MOBILITY WORLD / 2.19         15
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