Mode Mehr als nur Kleidung

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Global Investor 1.16, Mai 2016
                                                  Expertenwissen für Anlagekunden der Credit Suisse
                                                         INVESTMENT SOLUTIONS & PRODUCTS

Mode
Mehr als nur Kleidung

Julie Saussier Modeunternehmen können eine attraktive Anlage sein –
wenn die nötige V­ orsicht waltet. Kurt Zihlmann Wie beeinflusst Technologie
die Mode? Claudia Banz Nicht nur Glanz und Glamour: Fast Fashion hat
ihren Preis. Christian Schindler Wie E-Commerce die Lieferkette verändert.
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 CS steht im geschäftlichen Kontakt mit Unternehmen, die in diesen Research-Berichten behandelt werden,
        oder strebt geschäftliche Beziehungen mit diesen an. Anleger sollten sich daher bewusst sein, dass
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 könnte. Anleger sollten bei ihrer Investmententscheidung diesen Bericht daher nur als einen von mehreren
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verbundenen Risiken finden Sie unter folgender Adresse: https://research.credit-suisse.com/riskdisclosure
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GLOBAL INVESTOR 1.16   —03

Verantwortlich für die Koordination
der Schwerpunktthemen dieser Ausgabe

     PATRICIA FEUBLI stiess 2013 zur
­ redit Suisse. Sie ist Senior E
C                                ­ conomist im
 International Wealth Management für
Schweizer Branchenana­lysen. Davor war
sie Research Associate an der Universität
Zürich und R  ­ e­s earch Fellow an der
­Stanford University. Sie hat einen Doktor­
 titel in Wirtschafts­wissenschaften der
Universität Zürich.

     JONATHAN HORLACHER ist Financial
Analyst im International Wealth Manage­
 ment der Credit Suisse. Er ist auf gesamt­
 wirtschaftliche Themen, Mega­t rends und
 nachhaltige Investitionen ­s pezialisiert
 und hat zahlreiche Publika­t ionen zu die­
                                                 Giles Keating
 sen Bereichen verfasst. Er ist Chartered
                                                 Vice Chairman of Investment Solutions & Products
 Financial Analyst (CFA) und hat einen
                                                 and Deputy Global CIO
 Master of Science der B  ­ arcelona Gradu­
 ate School of Economics. Bevor er zur
­C redit Suisse stiess, war er Volkswirt bei
 der Schweizerischen N  ­ ationalbank.

         ULRICH KAISER ist als Senior
                                                 Die typischen Errungenschaften kapitalistischer Produktion sind billige
   ­F inancial Analyst im International Wealth   Kleidung, billige Baumwolle und Kunstseide – keine Verbesserun­g en,
    Management der Credit Suisse                 die Reichen viel bedeuten würden. Königin Elisabeth I. hatte schon
    für die Analyse des Technologiesektors
­zuständig. Er stiess 1993 zur Credit            Seidenstrümpfe. Die Leistung des Kapitalismus ist nicht, noch mehr
  ­S uisse und verfügt über 28 Jahre Erfah­      Seidenstrümpfe für Königinnen zu erzeugen, sondern sie für Fabrik­
     rung im Wertpapier- und Bankengeschäft.
                                                 arbeiterinnen erschwinglich zu machen. (Frei nach Joseph Schumpe­
    Er hat einen Master of Economics der
 ­U niversität Konstanz und ist Certified        ter: «Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie», 1942)
    ­E uropean Financial Analyst (CEFA).             Schumpeter verwendet bei seiner Beschreibung von Innovation im
     JULIE SAUSSIER ist als Senior               kapi­talistischen Entwicklungsprozess nicht zufällig ein Beispiel aus
 ­ esearch Analyst im Global Equity Team
 R                                               der Modeindustrie. Es veranschaulicht, wie sich die globalen Kon-
 für die Analyse des Nicht-Basiskonsum­
gütersektors zuständig. Sie arbeitet seit
                                                 sumtrends entwickeln: Bei steigenden Einkommen werden Luxus­güter,
13 Jahren als Research-Analystin und             die der Oberklasse vorbehalten waren, für alle er­schwinglich. Die
 stiess 2015 zur Credit Suisse. Sie hat
                                                 Vermarktung bringt Mode überallhin, wobei die Labels heute oft mit
­e inen Master in Business and Manage­
 ment der Université Paris-Dauphine und          Prominenten werben. In einer nächsten Phase, in der wir uns offenbar
einen Master in Corporate Finance der EM         gerade befinden, geht der Trend wieder zurück zu mehr Individualität.
 Lyon Business School, Frankreich, und
 sie ist Chartered Financial Analyst (CFA).      Ein Beweis dafür sind die jungen, innova­tiven Designer, die wir in
                                                 dieser Ausgabe vorstellen. Die Mode­industrie ist auch Inbegriff der
                                                 globalisierten Produktion: Manchesters Textilin­dustrie war im 18. Jahr-
                                                 hundert die Wiege der industriellen Revolution. Heute erinnern Stand-
                                                 orte wie Sabhar in Bangladesch an William Blakes «satanische Fab-
                                                 riken». Zum Glück treten Wissenschaftler, Unternehmer und Politiker
                                                 den Schattenseiten der Globalisierung nun entgegen: Sie sind dabei,
                                                 die Umwelt- und Arbeitsstan­dards zu verbessern. Der Global Investor
                                                 lässt wichtige Akteure dieses Transformationsprozesses zu Wort kom-
                                                 men. Zudem präsentiert er richtungsweisende Innovationen wie den
                                                 3D -Druck, die ganz neue Mög­lich­keiten für die individuelle Gestaltung
                                                 und Produktion von Mode eröffnen, sowie den E-Commerce, der
                                                 Lieferketten und Vertriebs­wege von Grund auf verändert. Schliesslich
                                                 bietet Mode eine einzigartige Plattform für neue und innovative Firmen.
                                                 Einige entwickeln sich schrittweise und selbstfinanziert zu globalen
                                                 Players, andere beschaffen sich am Kapital­markt die Mittel für eine
                                                 schnelle Expansion. Deshalb sind – ob in Italien oder in Nigeria – vie-
                                                 le namhafte Labels an der Börse notiert, andere dagegen in Privat-
                                                 besitz. Das schnelllebige Modegeschäft hält nicht nur die Models auf
                                                 den Laufstegen, sondern auch die Anleger auf Trab.
                                                     Nach 30 Jahren, in denen ich das Privileg und die Freude hatte,
                                                 bei der Credit Suisse zu arbeiten, und nach 12 Jahren als Herausge-
                                                 ber des Global Investor verabschiede ich mich und hoffe, dass Ihnen
                                                 auch dieser Global Investor auf unterhaltsame Weise interessante
                                                 Anlageideen vermittelt.
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GLOBAL INVESTOR 1.16   —04

                                               TEXT: REBECCA ARNOLD Historikerin, The Courtauld Institute of Art

                                                         S
                                                                   cheinbar zusammenhangslose               wurden aber erst in den 1770er-Jahren regel­
                                                                   Entwicklungen standen am Anfang           mässig publiziert. Sie enthielten handgezeich­
                                                                   der modernen Modebranche im               nete Modebilder und Kolumnen, die das Out­
                                                         17.  Jahrhundert. Louis XIV förderte einerseits     fit von Prominenten an gesellschaftlichen
                                                         den Handel mit französischen Luxusgütern           Anlässen beschrieben. Publikationen wie
                                       Rebecca           und machte Paris damit zur Drehscheibe für         «The Ladies Magazine» trugen zur Verbrei­
                                        Arnold           auserlesene, handgemachte Designprodukte,           tung detaillierter Modeinformationen bei und
                               ist Oak-Foundation-­      die in der Oberschicht sehr gesucht waren.          inspirierten Frauen dazu, modebewusst auf­
                                         Dozentin in     Andererseits setzten die Erfindungen zur Ver­       zutreten und bei ihren Schneidern Kleider zu
                              History of Dress and       besserung der britischen Textilproduktion           bestellen, die sich an die gesehenen Designs
                             Textiles am Courtauld
                                                         die industrielle Revolution in Gang. Dadurch        anlehnten. Damals schickten die einfluss­
                                   Institute of Art in
                             London. Sie lehrt zum       beschleunigte und steigerte sich die Mode­          reichsten Pariser Designer jede Saison zwei
                                    Thema Mode im        herstellung in den folgenden Jahrhunderten          Puppen in die kleineren Städte Europas, um
                               20. und 21. Jahrhun-      stark. Zwei Kräfte waren also im Spiel – eine,      ihre jüngsten Arbeiten vorzustellen. Eines
                               dert und hat diverse      die sich auf den indivi­duellen Stil konzent­       dieser sogenannten Mannequins trug extrava­
                              Bücher und Beiträge
                                                         rierte; die andere, die kollektive durch Kleider    gante Kreationen für den Abend, das andere
                                 verfasst, darunter
                                                         von der Stange gemachte Identitäten schuf.          Kleider in einem einfacheren Stil für den Tag.
                              «The American Look:
                              Fashion, Sportswear                                                            Die Damen der Gesellschaft pflegten ihren
                                   and the Image of      EINZUG DES M A RK ETINGS                            Familien und Freunden auch in Briefen die
                              Women in 1930s and         Diese Veränderungen reichten indes nicht aus,       Kleider zu beschreiben, die sie auf ihren Reisen
                                   1940s New York»       um ein vollumfänglich funktionsfähiges              gesehen hatten, was zur Verbreitung neuer
                                              (2009).
                                                         Modesystem zu generieren – es sind nicht nur        Modetrends beitrug. Textilproduzenten, und
                                                         die Kleider allein, die eine Branche entstehen      im 19.  Jahr­hundert zunehmend auch Hersteller
                                                         lassen, sondern auch ihre Präsentation und         von Konfektionswaren, bedienten ein erwar­
                                                         ihr Vertrieb. Im 17.  Jahrhundert gab es zwar       tungsvolles Publikum. Die frühesten Konfek­
                                                         Mode­illustrationen, die ersten Modemagazine        tionskleider waren einfach und funk­tional –
Mode Mehr als nur Kleidung
GLOBAL INVESTOR 1.16   —05

wie etwa ab dem 17. Jahrhundert jene für See-
leute und Sklaven. Im späteren 19. Jahrhundert
hielten aber auch elegantere Designs Einzug
in die immer populäreren Kaufhäuser.             Inhalt
E I N F LÜ S S E Ü B E R D E N AT L A N T I K
Erneut waren es zwei voneinander unabhän­
gige Entwicklungen, die dem Modegeschäft
                                                 Global Investor 1.16
ab den 1850er-Jahren Auftrieb gaben. In
Frankreich verschmolz der Engländer Charles
Frederick Worth Kunst und Kommerz in sei­
                                                 28                                           46
                                                 Mode verkauft Träume                         «Kleider müssen
nem einflussreichen Modehaus, das auch die
                                                 Mode kann faszinierend sein, aber auch –     eine Seele ­haben»
Kaiserin Eugénie zu seinen Kundinnen zählte.     je nach Standpunkt – für Nervosität          Handwerkskunst trifft auf digitale
So etablierte sich die Pariser Haute Couture     sorgen. Roger Tredre gibt Einblick ­in die   Technologie: Kurt Zihlmann spricht über
als Zentrum für neue Stile und Luxus. In         Mode­industrie.                              das Zusammenspiel von Technologie,
Amerika benötigten derweil unzählige Solda­                                                   Materialien, Herstellungsverfahren und
ten wegen des Bürgerkriegs Uniformen. Somit      30                                           Emotionen.
waren dort standardisierte Grössen und           Aufstieg und Fall von Modefirmen
Know-how für die Konzeption und Herstel­          Der Draht­­seilakt «Lieferkette»: Julie     48
lung in grossem Stil gefragt.                    ­S aussier erklärt, warum diese ent­         Ein Exempel der digitalen Ära
                                                  scheidend ist, um in der Modebranche        Die Globalisierung und die digitale
                                                  ­langfristig E
                                                               ­ rfolg zu haben.              Revolution haben Christian Schindler
M O D E F Ü R DI E M A S S E N
                                                                                              zufolge die weltweite Lieferkette
Wie schon im 17.  Jahrhundert waren erneut
Impulse seitens des Luxusgüterhandels und        34                                           komplett verändert.
                                                 Die Evolution ist im Gange
der Industrie nötig, um das globale, viel­
                                                 China tut sich mit dem Aufbau eines
schichtige Modegeschäft des 20.  Jahrhunderts                                                         NACHHALTIGKEIT
                                                 ­eigenen Modesektors schwer. Selina Sia              06  Milch
entstehen zu lassen. Als um 1920 zunehmend       untersucht die Faktoren, die dem Land                08  Digitaldruck
Kaufhausketten aufkamen, konnte die               dabei im Wege stehen.                               59  Design ohne Abfall
Modebranche das Potenzial von Kleidern ab                                                             61  Färben ohne Wasser
der Stange vollumfänglich ausschöpfen. Von       36                                                   NEUE MÄRKTE
Holly­wood beeinflusste Trends sowie Mode­       Der globale Bekleidungsmarkt                         07   Kinder
zeichnungen von Georges Lepape und Foto­         Der Einzelhandelsmarkt war im letzten                11  Männer
                                                                                                      14  Indien
grafien von Edward Steichen verbreiteten im      Jahr 1.378 Billionen US -Dollar wert. Die            15  Sport
Windschatten des Booms der visuellen und         Infografik gibt Antworten auf die grossen            22  50+
populären Kultur die neusten Stilrichtungen      ­Fragen zum Markt.                                   24  Lieferkette
                                                                                                      26  Werbung
rund um den Erdball. Modeschöpfer wie
Coco Chanel verliehen der Branche Glamour        38                                                   STANDPUNKTE ZU MODETRENDS

mit ihren vom Sport inspirierten, einfachen      Weniger ist mehr                                     10  Vassilis Zidianakis
                                                                                                      17  Ali Ansari
                                                  Claudia Banz beschäftigt sich mit dem
und chicen Kreationen. Diese Couturiers                                                               27  Mason Jung
                                                 Teil der Modeindustrie, der meist im                 33  Ellen Sideri
bewirkten, dass ihr Stil international kopiert
                                                 ­Verborgenen bleibt – die dunkle und                 53  Forrest Jessee
wurde. Die Entwicklungen wurden von einer         ­unschöne Seite, wo Fabrikarbeiter und              58  Valérie Lamontagne
immer professionelleren In­frastruktur von        Umwelt das Nachsehen haben.
                                                                                                      REVOLUTION
der Produktion bis zur Werbung unterstützt.                                                           12  Bluejeans
Auf diesen Fundamenten entstand die globali­     41                                                   JUNGE DESIGNER
sierte Modebranche, die wir heute kennen. In     Handschlag der Hoffnung                              13  Avenue 32
den letzten 30 Jahren hat sich dieser Prozess    Die Bekleidungs- und Textilindustrie folgt           52   Vfiles
beschleunigt und auf zahlreiche Zentren          dem Ruf nach Nachhaltigkeit. Wir haben
                                                                                                      TECHNOLOGIE
ausgebreitet. Die Produktion wird heute ausge­   mit Emanuel Büchlin über die jüngsten                16  Virtuelle Models
lagert, Städte von Rio bis Mumbai veranstal­     Entwicklungen gesprochen.                            23  Selbstreparierende Stoffe
                                                                                                      51  3D-Druck
ten Fa­shion Weeks, um ihren einheimischen
Talenten ein Schaufens­                          44                                                   60
                                                                                                      62
                                                                                                          Wearables
                                                                                                          Farbverändernde Stoffe
ter zu bieten. Soziale                           Digitalisierung beeinflusst
                                                 die Mode und wie wir einkaufen                       DIE HÖHENFLÜGE UND DURST­
Medien und                                                                                            STRECKEN VON MODEIMPERIEN
                                                 Ulrich Kaiser untersucht die Auswirkungen
E-Commerce er­                                                                                        18   Teil I: Lanvin
                                                 der allgegenwärtigen Digitalisierung auf             54   Teil II: Prada
öffnen zudem neue                                die Modeindustrie.
Möglichkeiten,                                                                                        64   Disclaimer
um Mode zu erfah­
ren und zu verkaufen.
Mode Mehr als nur Kleidung
GLOBAL INVESTOR 1.16   —06

 NACHHALTIGKEIT

TRAGBARE
ROHSTOFFE
 Auf der Suche nach
 nachhaltiger Kleidung
 könnten sogar Nah-
 rungsmittel eine Rolle
 spielen. Das von der
 Mikrobiologin und
­Designerin Anke
­Domaske gegrün-
 dete deutsche
 Unternehmen QMilk
 gewinnt aus saurer
 Kuhmilch seiden-
 ähnliche Fasern,
 die herkömmlichen
 Fasern beigemischt
 werden können und
 die Qualität verbes-
 sern. Essi Johanna
 Glomb und Rasa
 Weber vom Berliner
 Design-Studio Blond
 & Bieber produzieren
 mithilfe von Mikro-
 algen eine «biolo-
 gische Farbpalette»
 zum Einfärben von
 Kleidern. Sie haben
 ihren eigenen Dru-
 cker gebaut, um die
 Farben auf die Texti-
 lien zu bringen (siehe
 QR-Code unten).
 Algenfarben verän-
 dern sich, wenn sie
 dem Licht ausgesetzt
 sind. Aber das ist
 ja auch Teil ihres
 Charmes. Das S   ­ tartup
 Modern Meadow geht
 noch ­einen Schritt
 weiter und entwickelt
 eine natürliche Alter-
 native zu Leder, die
 auf t­ ierischen Zellen
 und Gewebe basiert
 und ohne Schlachten
 auskommt.
✖  MEHR ZUM THEMA
NACHHALTIGKEIT AUF
DEN SEITEN 38 UND 41

                             Über den oben stehen-
                             den QR-Code sehen Sie
                             im Video, wie Designer
                             zum Bedrucken von
                             Modetextilien umwelt-
                             freundliche Algen-
                             pigmente einsetzen.
Mode Mehr als nur Kleidung
GLOBAL INVESTOR 1.16   —07

 NEUE MÄRKTE

KINDER
 Kürzlich hat Karl             «Couture»-Kollektion.
 Lagerfeld eine Kids-          Bereits seit acht
 Linie gestartet.             ­Jahren veranstaltet
 Labels wie Dior,              das Unternehmen
 Burberry und Ralph            Modeshows. Es ver-
 Lauren führen schon           fügt über ein Team,
 länger Kollek­t ionen         das unter der Leitung
 für Kinder. Mit Promi-        der Kreativ­direktorin
 nenten, die ihre Kin-         Musterteile für vier
 der wie Miniversionen         Kollektionen pro Jahr
 von sich selbst klei-         anfertigt. Bonpoint
 den, sorgen sie für           hat nun auch nach
 Aufmerksamkeit in             Asien expandiert und
 den Medien. Burberry          vertreibt Kollektionen
 zeigt auch oft Kinder         weltweit. Michelle
 in ­s einer Werbung.          Obama wurde in Paris
 Wir sehen darin eher          fotografiert, wie sie
 eine Marketingmass-           mit ­ihren Töchtern ein
 nahme, die auf sämt-          Bonpoint-Geschäft
 liche Bedürfnisse             besucht. Kate Moss
 der exklusiven Kund-          liess für ihre Hochzeit
 schaft zielt und auch         2011 alle Brautjung-
 von Medien aufge-             fern in Bonpoint
 nommen wird. Die              ­k leiden. Das Label
 Looks von Harper               wurde 2007 von
 Beckham, der vier­             ­Européenne de Parti-
 jährigen Tochter von            cipations Industri­
 David und Victoria              elles (EPI) übernom-
 Beckham, ist bereits            men und kam damals
 Thema eines Blogs.              auf einen Umsatz
 Harper hat zudem                von rund 40 Millionen
 mehrere ­Millionen           ­Euro. Fashion-Anbie-
 Fans auf ­Instagram.            ter wie Zara verwan-
 Es gibt auch reine              deln ebenfalls Kinder-
 Kindermarken, wie               kleidung in trendige
 das französische                Modeartikel und
 ­L abel Bonpoint, das        ­kopieren Luxus­
  weltweit zu den                marken wie Bonpoint
­beliebtesten Marken             oder erwachsenere
  für Kinder zählt.              Looks – ein lohnen-
  ­B onpoint feierte 2015        des Geschäft.
   sein 40-jähriges
   ­B estehen und präsen-     ✖  MEHR ZU MARKEN
                              UND MÄRKTEN AUF
    tierte seine erste        SEITE 30
Mode Mehr als nur Kleidung
GLOBAL INVESTOR 1.16       —08

Über diesen QR-Code
können Sie ein Interview
mit Mary K­ atrantzou
zu den Auswirkungen
des Digitaldrucks
anschauen.
Mode Mehr als nur Kleidung
GLOBAL INVESTOR 1.16   —09

   NACHHALTIGKEIT

  BITTE
  ­DRUCKEN!
   Vergessen Sie Pünkt-
   chen, Streifen und
   Blättermotive. Nun
   kommen die digitalen
   Stoffdrucke, die eher
   Kunstwerken glei-
   chen. Mit dem in den
   1980er-Jahren ent­
   wickel­­ten digitalen
   Druck­verfahren
   ­werden ähnlich wie
    beim ­B edrucken von
    Papier ganze B  ­ ilder
    auf ein Stück Stoff
    gebracht. Einige
  ­Designer ­verwenden
    urbane Motive, die
    sie mit der iPhone-­
    Kamera eingefangen
    haben. Die Druck-
    technik ist nachhal­
    tiger (wasser­spa­ren­
    der) und nicht so
    arbeitsaufwändig
    wie der traditionelle
    Siebdruck. Die digi­
    talen Drucke sind
    zwar noch nicht lange
    ­fester Bestandteil der
     Modeshows, ­haben
     aber die Begeisterung
     für Drucke neu ent-
     facht. Zu den Pionie-
     ren gehören der ver-
     storbene Alexander
     McQueen, dessen
     Kollektion Plato’s
     ­Atlantis mit den
      schuppig-schlangen-
      haften Druckmotiven
      2010 für Furore sorg-
      te, Mary Katrantzou
      mit ihren «hyper­
      realen» Prints sowie
      Bruno Basso und
      Christopher Brooke
      mit wegweisenden
      schrillen Drucken.
  ✖  MEHR ZUM THEMA
  NACHHALTIGKEIT AUF DEN
  SEITEN 38 UND 41
Mode Mehr als nur Kleidung
GLOBAL INVESTOR 1.16   —10

                                                              STANDPUNKTE
                                                             ZU MODETRENDS
                                                                    1/6

                                                 V. A . S . S . I . L . I . S
                                              Z .I.D.I. A . N. A .K .I. S
                                  ist ein griechischer Künstler, Kurator und Artistic Director von Atopos cvc.
                             Er hat Ethnologie und Anthropologie sowie Geschichte und Zivilisation an der École
                                            des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris studiert.

Welche globalen Trends (etwa                      Inwiefern verändern diese Trends           Woher schöpfen Sie die Inspiration
Digitalisierung) beeinflussen Ihrer               die Mode und den Modemarkt?                für Ihre Designs und Kollektionen?
Meinung nach zurzeit die Mode und
                                                  In vielen Fällen entwerfen Designer        Ich bin in erster Linie Künstler und
den Modemarkt?                                    ausschliesslich Männermode, die aber       Kurator, nicht Modeschöpfer. Ich
Meines Erachtens ist das Thema                    oftmals auch von mode- und selbst­         überlasse die Inspiration für Kollek­
­Geschlecht und Sexualität einer der              bewussten Frauen getragen wird. Ein        tionen daher anderen.
 wichtigsten Trends. Der androgyne                Beispiel hierfür ist der britische
 Look ist mehr als nur eine kurzlebige            ­Modeschöpfer Craig Green, einer der
 Modeerscheinung, zumal die ge­                    Favoriten von Atopos. Unser Prakti­
 schlechtliche Zweideutigkeit, entwe­              kant Jonny Seven hat mich zudem
 der als Identität oder Lifestyle, die             auf Vetements und Hood By Air
 Mode enorm stark beeinflusst hat.                 ­h ingewiesen, zwei Labels, welche die
                                                    Grenzen zwischen Weiblichkeit und
                                                    Männlichkeit verwischen. Das bedeu­
                                                    tet natürlich nicht, dass Kollektionen
                                                    oder Labels für Frauen überflüssig
                                                    werden, die Trends und der Mode­
                                                    markt haben sich jedoch sicherlich in
                                                    vielerlei Hinsicht verändert.
GLOBAL INVESTOR 1.16    —11

  NEUE MÄRKTE

 MÄNNER
    Modemarken haben
    üblicherweise Frauen
    im Visier. Doch es
    gibt durchaus erfolg­
    reiche Konzepte, bei
    denen die Männer­
    kollektion den An­
    fangspunkt markiert –
    Hugo Boss etwa,
    der erst 1998 eine
    Kollektion für Damen
 ­herausbrachte. Das
    Frauen­modegeschäft
    des Unternehmens
    macht bis heute nur
    zehn Prozent des
    ­Umsatzes aus. Auch
     Tom Ford, ehemals
     Designer bei Gucci,
     präsentierte 2006
     zuerst eine ­eigene
     Kollektion für Männer,
     die Linie für Frauen
     kam später dazu.
     ­B erluti, der zu LVMH
   gehörende ­H ersteller
   hochwer­t iger Herren­
   schuhe, lancierte vor
   einigen Jahren eine
   Konfek­t ionslinie. Das
   Label erwirtschaftete
   2011 einen Umsatz
   von 30 Millionen Euro.
   Nach dem Ausbau des
   Angebots und des
   globalen Ladennetz­
   werks kamen mehr
   als 100 Millionen Euro
   hinzu. Die London
   Collections Men, ein
   halbjährlicher Event
   mit exklusivem Fokus
   auf britische Herren­
   mode, existiert seit
   2012. Die Show zieht
   Journalisten und
   ­Käufer aus 50 Län­
    dern an. New York
    widmet den Männern
    seit Juli 2015 eine
  ­M odewoche. Laut
    dem CEO des British
   Fashion Council, dem
      Männermode-Pendant
      der London Fashion
      Week, ist der globale
      Markt für Herren mitt­
      lerweile 440 Milliarden
      US -Dollar schwer.
 ✖  MEHR ZU MARKEN
 UND MÄRKTEN AUF
 SEITE 30
GLOBAL INVESTOR 1.16                  —12

 REVOLUTION

BLUEJEANS
Heute zahlen wir
locker mehr als
200 US -Dollar für eine
Jeans. Ursprünglich
wurde Denim für
Arbeiterkleidung be-
nutzt. 1873 verstärkte
Levi Strauss & Co.
diese mit Nieten. Im
20. Jahrhundert wurde
die Jeans zum Inbe-
griff gesellschaftlicher
Rebellion: In den
50ern wurde sie von
Motorrad-Gangs, in
den 60ern von Hip-
pies getragen. In den
70er-Jahren eroberte
sie die Massen. Zum
Statussymbol wurde
sie durch das Logo
von Calvin Klein
auf der Gesässtasche.
Anna Wintour,
«Vogue»- Chefredak-
torin, bildete 1988
ein Model in einer
Stonewashed Jeans
auf dem Cover ab,
der Aufstieg in die
Haute Couture war
geschafft. Die
Vielseitigkeit hat die
Jeans zum Mode-
klassiker gemacht.
Weltweit, so Euro-
monitor International,
wurden 2015 über
drei Milliarden Jeans
verkauft. Die fünf
grössten Märkte sind
die USA , China,
Brasilien, Russland
und Indien.
✖   MEHR ZU DIESEM
THEMA FINDEN
SIE AUF SEITE 34

Denim – Modeklassiker mit
grosser Preisspanne in USD
Quelle: fitnyc.edu, levistrauss.com
Zara Zigaretten-
Jeans mit
mittel­hohem         49.90
Bund 
Levi’s 711
Röhrenjeans
(Modell                        78
Lone Wolf) 
J Brand 23110
Maria in
After Dark 
                            188
Victoria Beckham
Super Skinny
Jeans 
                            313
Chimala

                           435
Cropped Jeans
mit japanischer
Webkante
in Light Wash 
GLOBAL INVESTOR 1.16     —13

   JUNGE DESIGNER

  AVENUE FÜR
  AUFSTEIGER
   Avenue 32 ist eine
   Onlineplattform für
   Luxusmode. Sie bietet
   etablierten Desi­gnern
   und jungen Talenten
   die Möglichkeit, ihre
   Kollektionen unter
   ­einem «Dach» zu
    ­verkaufen, und ver­
     eint das Renommee
  ­bekannter Labels
     mit der Frische auf­
     strebender Künstler.
     Das Unternehmen
  ­besorgt Logistik
     und Fotografie,
     die Modeschöpfer
     ­behalten jedoch die
      Kontrolle über ihre
      Verkäufe. Statt Teile
      ihrer Kollektion an
      Avenue 32 zu veräus­
      sern, bezahlen die
      Designer eine Kom­
      mission für jedes
      Stück, das über die
      Plattform Absatz
      ­findet. Dies reduziert
       das Risiko, dass
       Avenue 32 auf unver­
       kauften Kollektionen
       sitzen bleibt, und
       ­erlaubt es dem Unter­
        nehmen, Mode von
        noch unbekannten
        Künstlern zu präsen­
        tieren. «Viele Maga­
        zine wie ‹Vogue›
        ­s tellen nur Designer
         vor, deren Teile bei
         ­einem Händler für den
          Verkauf an die Kun­
          den verfügbar sind»,
          erläutert Roberta
          Benteler, die Gründe­
          rin von Avenue 32.
  ✖   AVENUE32.COM

  Anzahl mit dieser Website
  verlinkter Sites
  Quelle: alexa.com
  Avenue32.com971
  net-a-porter.com 12 772
  chanel.com       10 937
GLOBAL INVESTOR 1.16   —14

 NEUE MÄRKTE

INDIENS
MODE­
INDUSTRIE
FLORIERT
Eine günstige Demo-
grafie und steigende
Einkommen erhöhen
die Nachfrage nach
Bekleidung im High-
End-Segment. Das
dürfte die indische
Modeindustrie be­
flügeln. Die Branche
­orientiert sich an
 westlichen Trends.
 Viele erfolgreiche
 ­einheimische Labels
  wie Franco Leone und
  American Swan kopie­
  ren daher ausländi-
  sche Brands und Stile
  oder erwerben Lizen-
  zen für ausländische
  Marken. Indien profi-
  tiert von qualifizierten
  Niedriglohnarbeitern
  und einer Fülle an Roh­
  stoffen. Die Branche
  ist stark fragmentiert
  und der Einzelhandel
  wenig organisiert.
  Aditya Birla Fashion,
  eine schnell wach­
  sende Markenkleider­
  firma, stärkte die
  Markt­führerschaft
  über e ­ ine Konsolidie-
  rung bei ihren Brands
  im unteren Preis­
  segment und nahm
  später ­erstklassige
  interna­t ionale Labels
  ins ­Angebot auf. Ray-
  mond hat als grösster
  Produzent von Marken-
  textilien und A ­ nzügen
  ein weitreichendes
  Vertriebs­­netz auf­
  gebaut und Brands
  übernommen. Das
  Unterwäscheunter-
  nehmen Page Indus­
  tries konnte dank
  ­s einer Lizenznahmen
   stark wachsen. Meh-
   rere internationale
   Unternehmen wie
   Marks & Spencer, ­Zara,
   Benetton und Tommy
   Hilfiger sind in Indien
   bereits gut etabliert.
✖    MEHR ZUM THEMA
GLOBALISIERUNG
DER MODE AUF DEN
­S EITEN 30 UND 34
GLOBAL INVESTOR 1.16   —15

   NEUE MÄRKTE

  SPORT
    Viele beliebte Mode­
    marken wie Ralph
    Lauren und Hugo Boss
    hatten eigene Sport­
    bekleidungs­linien.
    Uniqlo hat e  ­ inen
    ­Tennisspieler als welt­
     weiten Markenbot­
     schafter engagiert,
     um sich als ultimative
     Marke für Funktions­
     bekleidung zu positio­
     nieren. Dieser Trend
     ist selbst im Luxus­
     segment zu beobach­
     ten, wo Tom Ford
     eine ­eigene Sportlinie
 ­entwickelt, damit
     er mit seiner Marke
     ein noch ­grös­s eres
     Publikum erreicht.
     Auf den Laufstegen
     tragen derzeit viele
     Models Turnschuhe
     und die Nachfrage
     nach Designer-­Snea­
     kers steigt. Sport
     als Lifestyle ist ein
     anhaltender Trend,
     den Modelabels ge­
     winnbringend nut­­­-
     zen dürften. ­M arken
     wie Adidas setzen
     bei der ­E ntwicklung
     ihrer sport­lichen
     Kollek­t ionen auch auf
  ­Desi­gner wie Yohji
     Yamamoto oder Stella
     McCartney. Der Luxus­
     konzern ­Kering über­
     nahm P ­ uma 2007
     und wollte die Marke
     im Sport-Life­s tyle-­
   Bereich etablieren.
   Für Puma begann
   ­jedoch eine schwie­
    rige Phase, weil ihre
    Turnschuhe in der
  ­Modewelt übermässig
    präsent waren.
  ✖  MEHR ZU MARKEN
  UND MÄRKTEN AUF
  SEITE 30
GLOBAL INVESTOR 1.16          —16

 TECHNOLOGIE

VIRTUELLE
MODELS FÜR
KLEIDER, DIE
GARANTIERT
PASSEN
         Vielleicht werden Sie
         nie zum Mond fliegen
         oder im Meer mit
         ­Delfinen schwimmen.
          Aber wenn die virtu­
          elle Realität ( VR) hält,
            was sie verspricht,
            werden Sie bald
            ­ande­re Dinge tun, die
          Sie nie für möglich
          ­gehalten hätten: etwa
           der Mittelpunkt einer
           Modeschau sein,
           ­bequem von zu Hause
            aus. In der VR-Fashion-­
             Demo (siehe QR Code
         unten) k   ­ ön­nen Sie
­vir­tuell Kleider an
 ­Models auf dem Lauf­
  steg ­betrachten. Die
  Idee ist, dass Nutzer
  3D-­S cans von sich
  ­importieren und so
   ­s ehen können, wie
    ­K leidungsstücke an
     ihrem Körper wirken.
     Weiter wäre denkbar,
     den Nutzer-­Avatar
     mit Heatmaps zu ver­
     sehen. Diese würden
     anzeigen, wo ein
     ­K leidungsstück zu eng
      ist oder zu ­locker
      sitzt. Wenn ­Ihnen nicht
      gefällt, was Sie sehen,
      oder das Kleidungs­
      stück nicht passt,
      ­kor­rigieren Sie es
       oder wählen einen
       ­anderen Schnitt. Zum
        Schluss brauchen Sie
        nur noch auf «Kaufen»
        zu klicken und schon
        wird das passgenaue
        Kleidungsstück
        ­produziert und per
         Post verschickt.
✖  MEHR ZUR VIRTUELLEN
UMKLEIDEKABINE
AUF SEITE 44

Ein garantierter Logen-
platz bei der VR-Mode-
schau mit dem oben
stehenden QR-Code.
GLOBAL INVESTOR 1.16   —17

                                                        STANDPUNKTE
                                                       ZU MODETRENDS
                                                              2/6

                                                    A.L.I
                                                 A.N.S.A.R.I
                         ist ein deutsch-persischer Modedesigner, Produktmanager und Trendscout.
                   Sein Ziel: Er möchte sein Wissen, seine Erfahrung und sein Know-how teilen und so das
                      kreative Bewusstsein in Unternehmen und akademischen Institutionen fördern.

Welche globalen Trends (etwa               Inwiefern verändern diese Trends              Woher schöpfen Sie die Inspiration
Digitalisierung) beeinflussen Ihrer        die Mode und den Modemarkt?                   für Ihre Designs und Kollektionen?
Meinung nach zurzeit die Mode und
                                           Einige Trends entstehen aus diesem            Ich beobachte den Rhythmus des
den Modemarkt?                             Versuch, völlig auf das Mittelmass            urbanen Alltags, passe mich ihm
Die digitale Technologie hat sich in       verzichten zu wollen.                         an oder entfliehe ihm. Ich reise in
nur gerade zwei Jahrzehnten rasant                 Das Handwerk und die Do-it-your­      ­i nternationale Metropolen, aber auch
entwickelt. Das hat die heutige            self-Kultur sind Ausdruck unseres              aufs Land.
Mode und die weltweiten Modemärk­          Strebens, uns schöpferisch zu verwirk­              Ich ändere meinen Blickwinkel,
te sehr stark beeinflusst.                 lichen, während wir im Team eine               ­i ndem ich mich dem Puls der Zeit
      Man kommt nicht mehr d  ­ aran       Idee oder ein Produkt im vor­g ege­b e­         ­a npasse und mich ihm regelmässig
vorbei – ein «must have», ein «must            nen Zeitrahmen und Umfeld mit                wieder entziehe. Ich nehme das
do», ein «must follow». Dabei steht            ­i nnovativen Tools und digitalen Tech­      Gleich­g ewicht des Lebens, die Extre­
dies im Widerspruch zum menschli­          nologien entwickeln.                             me, alle scheinbar unwichtigen Dinge
chen Bedürfnis, innezuhalten und                   Eine Gegenbewegung gründet im            mit allen Sinnen wahr.
sich Zeit zu nehmen, um Erfahrungen        Bedürfnis nach Tiefe und Sinnhaftig­                Ich recherchiere im Internet nach
zu sammeln, daraus zu lernen und           keit. Aufmerksamkeit, Spiritualität              der Vielschichtigkeit von Kultur­
daran zu wachsen.                          und Reflexion ermöglichen eine Reise             gemeinschaften. Dabei dienen Archi­
      Den goldenen Mittelweg zu finden,    ins Ich, die Kraft und innere Einkehr            tektur, Kunst, Musik, Literatur,
wird immer schwieriger. Entweder           bietet. Menschen achten vermehrt auf             Journalis­mus und Design als mehr­
man ist in oder out, ein Dazwischen        ihren Rhythmus und erleben die                   schichtiges Abbild des Alltags.
gibt es nicht. Wir schaffen uns            ­Urkraft der Natur, sind offen für die              Ich beobachte den gesellschaft­
unsere Zukunft im Hier und Jetzt,           Elemente und lassen sich inspirieren            lichen und kulturellen Wandel bei der
wir warten nicht, bis sie sich zur          von ihrer natürlichen Vielfalt. Sie             jungen und älteren Generation. Vor
­rechten Zeit zeigt.                        ­suchen eine neue Orientierung.                 allem aber nehme ich mir Auszeiten in
      Dank dieser Beschleunigungskraft             Auch Zerstreuung und Unterhaltung        der Natur, um die Flut von Eindrü­
 können wir uns die verschiedenen            sind ein Thema. Es wird mehr Zeit              cken, die bei meiner Trendforschung
 ­Zukunftskonzepte schon heute in den        ­d amit verbracht, aus dem Hamster­            über mich hereinbricht, zu ordnen, zu
  buntesten Farben ausmalen. Die              rad auszubrechen als mit Arbeit.              verarbeiten und zu verstehen.
  ­P roduktentwicklung in der Mode­           In der Kunst verkörpert der Absurdis­
   industrie trägt diesem Trend in            mus ­d iesen Trend, der Ansatz vereint
   jeder Phase Rechnung – a­ ngefangen        ­Gegensätze in einem abstrakten
   bei der Inspiration und Konzept­            Kunst­werk. In der Mode werden
   erstellung, über die Beschaffung, die       Trends kombiniert, die keine Gemein­
   Entwicklung von Prototypen und              sam­keiten haben und auf andere
   die Präsentation bis hin zu Produk­         Mate­r ialien, Farben, Schnitte und
   tion und ­Lieferung.                        kreative Ausdrucksweisen setzen.
                                                                                                                       ✖   ALIANSARI.DE
GLOBAL INVESTOR 1.16   —18

                                  Unverwechselbar
                              ­L anvin. Das Pariser
                                     Musée des Arts
                             Décoratifs zeigt einen
                                   Nachbau der von
                                  Rateau für Jeanne
                                   Lanvin designten
                                    Privatwohnung.
GLOBAL INVESTOR 1.16   —19

DIE HÖHENFLÜGE UND DURSTSTRECKEN VON MODEIMPERIEN – TEIL I

LANVIN AUF
DER SUCHE
NACH DEM «JE
NE SAIS QUOI»
VERGANGENER
ZEITEN
Fast ein Jahrhundert lang wurde das französische Modehaus Lanvin für seine Modekreationen, Parfüms sowie I­ nterieurs
gefeiert. Seit den 1960er-Jahren hat Lanvin etwas an Prestige verloren. Das Unternehmen, das von einer Französin
aus Liebe zu ihrer Tochter gegründet wurde, befindet sich heute in den Händen einer Investorin aus Taiwan. Werden wir
eine Renaissance erleben?
GLOBAL INVESTOR 1.16   —20

                                                              Lavendelblau floss fortan in die Gestaltung von
                                                              Parfümflakons, Verpackungen, Mode und Interieur
                                                              ein – und auch in ihre eigene Pariser Wohnung.
                                                                   Lanvin entwickelte weitere markentypische
                                                              Farbtöne wie «Velazquez-Grün» und «Polignac-Ro-
                                                              sa». In Nanterre gründete sie 1923 eine eigene Fär-
                                                              berei. Auf ihren Reisen und als leidenschaftliche
                                                              Antiquitäten- und Kunstsammlerin liess sie sich von
                                                              orientalischen Stickereien, japanischen Kimonos,
                                                              luxuriösem Samt sowie paillettenbesetzten Stoffen
                                                              und Motiven inspirieren, die aus einem exotischen
                                                              Kulturerbe schöpfen. Lanvin stand der Art-Déco-Be-
                                                              wegung sehr nahe. Berühmt wurde sie für ihre zar-
                                                              ten, aber mit handgemachten Details üppig verzier-
                             Mutter-Tochter-Silhouette:
                                                              ten Kleider in hellklaren Farben, deren luftige
                                       Das kultträchtige
                               ­L anvin-­L ogo ziert dieses   Stoffe und gute Passform zum Symbol für die Be-
                                   Parfüm­flakon aus den      freiung der Frau vom Korsett wurden.
                                           1930er-Jahren.
                                                              AUFSTIEG UND FALL
                                                              Lanvin wurde 1937 Vorsitzende des Haute-Cou-
                                                              ture-Komitees der Pariser Weltausstellung. Zwei                              Obwohl Lanvin heute noch für
                                                              Jahre später vertrat sie Paris auf der Weltausstel-           seine ­Parfüms bekannt ist, geht das Label
                                                              lung in New York. Während des Zweiten Weltkriegs                     ­ursprünglich auf die herausragenden
                                                                                                                               ­Couture-Fertigkeiten seiner Gründerin
                                                              gehörte sie zu mehreren Couture-Häusern, die ihr
                                                                                                                                          Jeanne Lanvin zurück. Hier ein
                                                              Geschäft trotz strikter Materialregulierungen und                 ­romantisches, bodenlanges Brautkleid

L
TEXT VON JULIA REA
                                                              finanzieller Unsicherheit weiterbetrieben. Nach der                      in geripptem Voile mit passendem
          anvin ist das älteste noch aktive Modehaus          Besetzung von Paris durch die Deutschen plante                      Hut. Beide wurden von ihr entworfen.
          Frankreichs. Dem Unternehmen gelingt                sie mit Modeschöpfern wie Elsa Schiaparelli und
          der Spagat zwischen den Design-Traditio-            Cristobal Balenciaga, ihr Unternehmen in Biarritz
          nen seines einzigartigen Erbes und der              wieder aufzubauen und ihre Produkte in die USA
Notwendigkeit eines modernen Ansatzes. Die Phi-               zu exportieren. Doch dann kapitulierte Frankreich.           Squibb war aber enttäuscht, wie sich Lanvin ange-
losophie besteht darin, nicht nur auf die formellen           Es kam zu einer Exportsperre, der Plan scheiterte.           sichts der steigenden Konkurrenz anderer namhaf-
Aspekte von Mode, sondern auf sämtliche Nuancen                    Nach Lanvins Tod 1946 ging das Unternehmen              ter Kosmetikunternehmen entwickelte. 1979 kauf-
eines Lifestyles einzugehen. Dabei schöpft das                an Tochter Marguerite über, die seit vier Jahren eng         te sich Lanvin die Unabhängigkeit zurück. Das
Modehaus aus Kunst, Exotik, Farben und Kultur.                in die Geschäftsführung eingebunden war. Als sie             Unternehmen hatte weiterhin Mühe, sein zuneh-
     Die Gründerin des Unternehmens, Jeanne Lan-              1958 starb, kam ihr Cousin Yves Lanvin an die Rei-           mend angestaubtes Image wieder aufzupolieren.
vin (1867–1946), begann ihre Designer-Karriere                he. Es begann eine Phase, in der das Modehaus ein            Nach einem Verlust von 17.5 Millionen US -Dollar
1883 als Hutmacherin. Nach der Ausbildung in den              relatives Schattendasein fristete. Verschärft wurde          1988 erwarb die britische Bank Midland, die heute
Salons von Madame Félix und Suzanne Talbot grün-              dies in den 1960ern noch durch den Aufstieg von              zur HSBC gehört, einen bedeutenden Anteil. Trotz
dete sie 1889 ihren eigenen Hutsalon in der Rue du            Prêt-à-porter-Labels wie Yves Saint Laurent, die             eines Gewinns von 53 Millionen US -Dollar nach der
Faubourg Saint-Honoré in Paris. Nach ihrer Heirat             den Markt fest in der Hand hatten. Lanvins langjäh-          Umstrukturierung blieb die Marke weitgehend er-
mit dem italienischen Grafen Emilio di Pietro 1895            rige Couture-Kunden blieben dem Modehaus zwar                folglos. Die erste Kollektion, die der Designer
begann sie, Kleider für ihre Tochter Marguerite Ma-           treu, doch Lanvins Ästhetik und Geschäftsstruktur            Claude Montana für das Label entwarf, wurde von
rie-Blanche zu entwerfen und zu nähen. Voller Be-             wurden immer unzeitgemässer und reizloser.                   der Modepresse zerrissen. Ein Jahr später verkauf-
geisterung gaben Lanvins Freunde und Kunden die                                                                            te Midland seine Anteile an Orcofi, eine Invest-
schönen Kleider auch für ihre eigenen Kinder in               LANVIN ALS ÜBERNAHMEK ANDIDAT                                ment-Gruppe der Familie Vuitton. Der führende
Auftrag. Der grosse Erfolg und die riesige Nachfra-           Lanvin blieb bis 1971 ein selbstfinanziertes Fami-           Kosmetikriese L’Oréal startete 1994 die Übernahme
ge brachten Lanvin 1909 dazu, eine Damenmode-                 lienunternehmen. Dann übernahm der amerikani-                von Lanvin. Die anfängliche Beteiligung von 50 Pro-
linie zu entwerfen. Kurz darauf wurde sie in die              sche Pharmakonzern Squibb die Kosmetiksparte.                zent wurde 1995 auf 66 Prozent und 1996 schliess-
Chambre Syndicale de la Haute Couture, den pres-
tigeträchtigen Verband der Pariser Haute Couture,
aufgenommen. Damit erhielt sie formell den Status
einer Couturière und festigte Macht und Einfluss in
der Modewelt des frühen 20. Jahrhunderts.
     In den 1920ern baute Lanvin ihr Design-Impe-
rium weiter aus. Hinzu kamen Herrenmode, Sport-
bekleidung, Kosmetik, Interieur, Lingerie und eine
Pelzabteilung. Darin spiegelt sich ihre Philosophie
wider, dass Mode nicht nur reine Zierde ist, sondern
den gesamten Lifestyle umfasst. Im Jahr 1924 wur-                                                                                                       Jeanne Lanvin war berühmt für
de die erfolgreiche Parfümsparte Lanvin Parfums                                                                                                ihre K
                                                                                                                                                    ­ leider aus zarten, luftigen Stoffen
                                                                                                                                                 in hellklaren Farben und mit üppigen
gegründet. Verkaufsschlager waren unter anderem                                                                                                            handgenähten Verzierungen.
«My Sin» (1925) und der unverkennbare Duft von
«Arpège» (1927), der von der Liebe ihrer Tochter zur
Musik inspiriert wurde.
     Die innige Beziehung zwischen Lanvin und ihrer
einzigen Tochter steht im Mittelpunkt der Marke
und ihrer Identität – vor allem durch das Logo mit
der Silhouette einer Mutter und ihrer Tochter. Es
                                                                                          Jeanne Lanvin (geborene Jeanne-Marie
entstand nach einem Foto von Jeanne und Margue-
                                                                                                ­L anvin), 1867–1946. Die legendäre
rite von 1907 und ziert noch heute alle Produkte                                            ­f ranzösische Modedesignerin bei der
von Lanvin. Auch die Wahl eines intensiven Blautons                                   ­ urchsicht von Entwürfen in ihrem Atelier.
                                                                                      D
als charakteristische Markenfarbe war persönlich
motiviert. Jeanne Lanvins Inspirationsquelle war ein
Fresko von Fra Angelico in Florenz. Das kräftige
GLOBAL INVESTOR 1.16           —21

lich auf 100 Prozent erhöht. Lanvin wurde 2001 nach                                                              Laufstegmodel auf
                                                                                                                 ­L anvins Prêt-à-porter-
der Übernahme durch die Investorengruppe Har-
                                                                                                                  Show für die Herbst/­
monie S.A . wieder privatisiert.                                                                                  Winter-Saison 2013
     Unter der Leitung von Harmonie wurde 2001                                                                    auf der Pariser ­
Alber Elbaz Kreativdirektor des Labels. Er hatte
bereits für Guy Laroche und Yves Saint Laurent
                                                                        c                                         Fashion Week am
                                                                                                                  28. Februar 2013.
gearbeitet. Bei Lanvin konnte er sich selbst verwirk-
lichen. Seine Kollektionen begeisterten von Anfang
an. Elbaz verband Luxus mit Weiblichkeit und mach-
te Lanvin zu einem Label, das Tradition und Moder-
ne in sich vereint. Im Bewusstsein des einzigartigen
Erbes von Lanvin verwendete er klassische Schnit-
te für seine Damen- und Herrenkollektionen, die er
aber mit unerwarteten Stoffkombinationen und
Silhouetten aufpeppte. Übergrosser Modeschmuck,
Abendroben in federleichter Eleganz und farben-
frohe Muster brachten Elbaz das Prädikat «Liebling
aller Frauen» ein, wie ihn Suzy Menkes von «Vogue
International» betitelte, und festigten die Beliebt-
heit und den Einfluss des Labels.

KOOPER ATION MIT H&M
2010 gab die Modekette H&M erneut eine Koope-
ration mit einem Luxusdesigner bekannt – dieses
Mal mit Lanvin. Kooperationen zwischen dem
Designer- und dem Massenmarkt galten als ein
wirksames und für beide Seiten einträgliches
Vertriebs- und Marketingmittel. Beispiele dafür sind
Valentinos Kollektion für Gap und die langjährige
Zusammenarbeit zwischen Stella McCartney und
Adidas. H&M s erste Kooperation – eine limitierte
Kollektion von Chanel-Designer Karl Lagerfeld
2004 – brachte ein monatliches Umsatzplus von
24 Prozent. Das durchschnittliche Budget eines
H&M -Kunden, der Massenkleider teils für unter
zehn US -Dollar bekommt, unterscheidet sich aber
erheblich von den Preisen, die eine Luxusmarke
verlangen muss, um ihre höhere Qualität und Pass-
form sicherzustellen. Deshalb blieb bei späteren
Kooperationen mit Jimmy Choo und Roberto Caval-
li ein solches Umsatzwachstum aus. Lanvins limi-
tierte Kollektion mit farbenfrohen Cocktail-Kleidern
und ausgefallenen Accessoires, die bis zu 350
US -Dollar kosteten, war dagegen erfolgreicher. Sie                             Designer Alber Elbaz
war in Grossbritannien innerhalb weniger Stunden                              auf der Haute-­Couture-
                                                                                    Show «Lanvin for
ausverkauft. Damals erzielte das Unternehmen in
                                                                                H&M» im New Yorker
einem Monat einen weltweiten Umsatzanstieg von                                       Hotel The Pierre
acht Prozent. Elbaz hatte zuvor immer eisern be-                              am 18. November 2010.
hauptet, er würde «niemals eine Kollektion für den
Massenmarkt produzieren». Nun erklärte er: « H&M
hat sich mit der Idee an mich gewandt, den Traum,
den wir bei Lanvin geschaffen haben, für ein grös-       Leidwesen von Elbaz – um zusätzliche finanzielle
seres Publikum umzusetzen und nicht nur einige           Unterstützung einer grösseren Luxusgruppe. In
Kleider zu einem günstigeren Preis anzubieten …          seiner Stellungnahme betonte Elbaz jedoch, dass
Mich reizte die Idee, H&M eine luxuriöse Note zu         er mit dem, was er in den 14 Jahren für die Marke                            ZAHLEN
verleihen, anstatt Lanvin an die breite Öffentlichkeit   erreicht habe, zufrieden sei: «Gemeinsam haben                               UND
zu bringen.» Lanvins Erfolg ebnete H&M den Weg           wir uns den kreativen Herausforderungen von Lan-
                                                                                                                                      FAKTEN
für weitere erfolgreiche Kooperationen mit Versace       vin gestellt, dem Modehaus wieder zu seinem alten
(2011), Isabel Marant (2013) und Balmain (2015).         Glanz verholfen und ihm seinen rechtmässigen                                 Lanvin erzielte 2014 einen
                                                         Platz unter Frankreichs führenden Luxus-Modehäu-                             Umsatz von EUR 206 Mio.
                                                                                                                                      Aufschlüsselung in %
EIN NEUES ZEITALTER BRICHT AN                            sern zurückgegeben.» Im März 2016 ernannte Lan-                              Quelle: reuters.com, wwd.com
Im Oktober 2015 verliess Elbaz das Modehaus Lan-         vin Bouchra Jarrar, eine französische Modedesig-                             30%
vin völlig überraschend. In einer öffentlichen Stel-     nerin, die für Balenciaga und Christian Lacroix                              Einzelhandel
lungnahme wurde bestätigt, dass ihm «auf Be-             gearbeitet hatte, zur neuen Kreativdirektorin. Jarrar
schluss der Mehrheitsaktionärin» Shaw-Lan Wang           muss nun das Team umstrukturieren und dafür sor-
von Harmonie S.A . gekündigt worden sei. Die lang-       gen, dass wieder Ruhe einkehrt. Nach Elbaz’ Aus-
jährige Tätigkeit des Designers als Kreativdirektor      stieg hatten die 330 Mitarbeiter von Lanvin zu
war zweifelsohne von Erfolg gekrönt. Er brachte          Streik- und Protestaktionen aufgerufen. Sie forder-
frischen Wind in die Ästhetik des Modehauses und         ten ein Treffen mit der in Taiwan lebenden Eigentü-
gewann hochkarätige Fans wie Michelle Obama und          merin, um über die Wiedereinstellung von Elbaz zu                                             70%
Nicole Kidman. Im Jahr 2014 schätzte das Unter-          verhandeln. Die finanzielle und designerische Zu-                                             Grosshandel
nehmen seinen Umsatz auf 321 Millionen US -Dollar.       kunft Lanvins hängt somit davon ab, ob es Jarrar
Allerdings hatte das anfänglich so schnelle Wachs-       gelingen wird, das Image des Labels wieder aufzu-
tum mittlerweile an Fahrt verloren. Spekulationen        polieren, den Umsatzrückgang aufzuhalten und den
zufolge bemühte sich Shaw-Lan Wang – sehr zum            Kunden einen frischen, neuen Stil zu präsentieren.
GLOBAL INVESTOR 1.16   —22

 NEUE MÄRKTE

50+
 Viele berühmte
 Frauen über 50 klei­
 den sich und leben,
 als wären sie immer
 noch in den Dreis­
 sigern. Gleich­wohl
 igno­riert die Mode­
 welt die Frau über
 50 nicht mehr. Es gibt
 heute Schnitte, die
 weder zu kurz noch zu
 eng sind und auch
 nicht zu viel Haut zei­
 gen. Tina Knowles,
 die Mutter von Beyon­
 cé, lancierte 2010
 bei Walmart eine
 Mode­linie für Frauen
 über 50. 2015 präsen­
 tierte die aus dem
 TV-Tagesprogramm
 bekannte, mondäne
 britische TV-Mode­ra­
 torin ­L orraine Kelly
­ihre erste laufsteg­­­­-
 ins­pirierte Kleiderlinie
 50+, die sie für
 JD Williams, ein auf
 Übergrössen aus­
 gerichtetes Modehaus,
 entworfen hat. Der
 britische Modemarkt
 für Frauen über 50
 hat einen Wert von
 2.5 Milliarden Pfund
 pro Saison und wächst
 rasch. Doch bis jetzt
 haben trend­orien­
 tierte Einzelhändler
 wie Zara und H&M
 noch keine zielgrup­
 penspez­ifischen Linien
 ent­worfen, was darauf
 hindeutet, dass 50+
 wohl ein Nischen­
 markt bleiben wird.
✖  MEHR ZU MARKEN
UND MÄRKTEN AUF
SEITE 30
GLOBAL INVESTOR 1.16   —23

                           TECHNOLOGIE

                          STOFFE, DIE
                          SICH SELBST
                          REPARIEREN
                           Sie haben keine Lust
                           mehr, Löcher in den
                           Kleidern Ihrer Kinder
                           zu stopfen? ­G eben
                           Sie nicht auf, es gibt
                           eine Lösung für Ihr
                           Problem! ­Stoffe, die
                           sich automatisch
                           selbst ­reparieren, ge­
                           hören zurzeit zu den
                           viel­versprechendsten
                           Entwicklungen der
                           gesamten Textilbran­
                           che. Smarte Stoffe
                           mit der Fähigkeit zur
                           «Selbstheilung»
                           ­können letztlich zu
                            langlebigen Produk­
                            ten führen, die prak­
                            tisch keine Pflege und
                            weniger Ressourcen
                            für Produktionsinfra­
                            struktur benötigen.
                            Sich selbst heilende
                            Textilien sind eine
                            verblüffende Erfin­
                            dung, die auf diversen
                            Ansätzen basieren.
                            So können zum Bei­
                            spiel nanotechno­
                            logische Strukturen
                            selbstheilende
                          ­Wirkstoffe abgeben
                          ­(reversible Vernetzun­
                            gen). Andere Ansätze
                            basieren auf dem
                            «Formgedächtnis­
                            effekt», der Nanopar­
                            tikelmigration, der
                            Elektrohydrodynamik,
                            der Leitfähigkeit und
                            der sogenannten
                            Co-Deposition.
                          ✖  WEITERE INFOR­
                          MATIONEN ZU E-TEXTILIEN
                          AUF SEITE 44

Über den oben stehen-
den QR-Code erfahren
Sie mehr zu selbst­
heilenden Stoffen.
GLOBAL INVESTOR 1.16   —24
GLOBAL INVESTOR 1.16   —25

  Vor dem Hintergrund
  einer Just-in-Time-
  Lagerbewirtschaftung
  ist ein effizientes
  Manage­ment der
  ­Lieferkette bei Fast
   Fashion ­un­abdingbar.
  ✖  MEHR ZUM THEMA AUF
  DEN SEITEN 30 UND 48
GLOBAL INVESTOR 1.16    —26

 NEUE MÄRKTE

VIEL MEHR
ALS NUR EIN
HÜBSCHES
GESICHT
 In den letzten Jahr­en
 waren in der Modewer­
 bung immer häu­­­­­figer
 Prominente zu s­ ehen.
 Egal ob Chanel, Louis
 Vuitton oder Burberry –
 das Image von Be­
 rühmt­­heiten repräsen­
 tiert für uns eine Marke
 besser, als es die
 ­spezifisch be­worbe­
  nen Gegenstände
  selbst können. Die
­Unternehmen be­wer­
  ben so nicht nur ihre
  neusten Pro­dukte,
  sondern vermitteln
  über den entfachten
  Medienhype auch,
  ­wofür ihre Marke steht.
   Als Michail Gorbats­
   chow für Louis Vuitton
   warb, erreichte man
   jene Art von Aufmerk­
   samkeit und Begeis­
   terung, die heute als
   Gradmesser für ­Er­­folg
   gilt. Dass Kate Moss
   oder Cara ­Delevingne
   häufig in der Mode­
   werbung eingesetzt
   werden, hat mehr mit
   der Art zu tun, wie
   sie Kun­dinnen und
   Kunden ­inspirieren.
   Die Prominenten sind
   sich des Mecha­nismus
   bewusst und nutzen
   ihn, um ­ihre eigenen
   Mode­linien voranzu­
   brin­gen. So designt
   Kate Moss für das bri­
   tische Label Topshop.
   Beyoncé hat ihre eige­
   ne Linie und ­V ic­toria
    Beck­­ham schaffte
   den Sprung von der
   ­S ängerin zur einfluss­­
    reichen Designerin.

✖   MEHR ZUM THEMA
­ ERBUNG UND MARKETING
W
AUF SEITE 30
GLOBAL INVESTOR 1.16   —27

                                                       STANDPUNKTE
                                                      ZU MODETRENDS
                                                             3 /6

                                                  M. A . S.O. N
                                                   J.U. N.G
                           ist Modedesigner in London. Seine konzeptionellen Projekte sind Teil
                        von Ausstellungen und Installationen. Kürzlich etwa wurden sie im Museum
                      Boijmans Van Beuningen und im Dover Street Market Ginza gezeigt. Er ist Dozent
                            an der Universität Brighton und Gasttutor am Royal College of Art.

Welche globalen Trends (etwa               Inwiefern verändern diese Trends           Woher schöpfen Sie die Inspiration
Digitalisierung) beeinflussen Ihrer        die Mode und den Modemarkt?                für Ihre Designs und Kollektionen?
­M einung nach zurzeit die Mode und
                                           Das Streben nach Popularität hat zu        Aus meinen eigenen Erfahrungen
 den Modemarkt?                            einer Vereinheitlichung und Demo-          und den damit verbundenen Gedan-
Die Populärkultur und der Ama-             kratisierung der Werte, Meinungen          ken und Empfindungen. Hauptins­
teurismus. Durch die Entwicklung           und sogar der Ästhetik geführt.            pirationsquelle für meine Kreationen
der Onlinekultur in den letzten zehn       ­Besonders in der Mode unter­s cheiden     ist die «Selbstbeschränkung». Dabei
Jahren wurde die Welt eng vernetzt,         sich Kollektionen und D  ­ esigns kaum    habe ich mich vor allem an unserer
alles lässt sich einfach und mit            noch. Marken setzen deshalb intensiv      männlichen Bekleidungskultur
grosser Reichweite verbreiten. Alles,       auf Public Relations.                     ­orientiert, die durch massgeschnei-
was viele Follower hat, ist von kom-           Als natürliche Gegenreaktion steigt     derte Sakkos und andere Konven­
merziellem Wert. Popularität ist            die Nachfrage nach individuellem           tionen geprägt ist.
in der heutigen Gesellschaft ein            und originellem Design und echter              Ich greife gerne auf das Mittel
Gradmesser für Erfolg.                      Qualität. Hier kommen Modelabels           der Ironie zurück, um meine Vorstel­
      Um einen hohen Bekanntheits-          ins Spiel, die sich mit ihren Ideen und    lungen auf subtile und satirische
grad zu erreichen, müssen die Dinge         Ansätzen von der Masse abheben             ­Weise zu transportieren. So versuche
einfach und auch für Menschen               und – so hoffe ich – nach und nach          ich, meine Aversion gegen Unifor­
ohne Fachwissen nachvollziehbar             Einfluss auf den Massengeschmack            mität durch die Schönheit meiner
sein. Dadurch verschwimmen die              nehmen werden.                              Entwürfe zum Ausdruck zu bringen.
Grenzen zwischen «Amateurismus»
und «Professionalität». Diese Ent­
wicklung ist einerseits positiv zu
beur­t eilen, kann aber auch bedroh­
liche Züge annehmen, wenn unreife
­A nsichten oder Halbwissen von den
 Massen g   ­ eteilt werden. So gibt es
 ­v iele einflussreiche Blogger und
  Stars, die Designer g  ­ eworden sind,
  ohne ihr Metier zu b  ­ eherrschen.                                                                           ✖   MASONJUNG.COM
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                                                                                                  Einen Anzug von Dolce & Gabbana mit
                                    MODEINDUSTRIE                                                ­einem Botticelli-Motiv.
                                                                                                  Wer oder was beeinf lusst die Mode?
                                                                                                          ROGER TREDRE Es gibt viele verschie-

        MODE
                                                                                                   dene Einflussfaktoren. Das wichtigste Event
                                                                                                   der Branche, das die Trends für die nächste
                                                                                                   Saison vorgibt, ist die Messe Première
                                                                                                   Vision. Zwei Mal im Jahr strömen Mode-

      VERKAUFT
                                                                                                   schöpfer aller Art nach Paris, um die neuen
                                                                                                   Stoffe und Farben der führenden und
                                                                                                   ­einflussreichsten Hersteller in Europa und
                                                                                                    rund um den Globus kennenzulernen.
                                                                                                    Was passiert, wenn die Markteinführung

       TRÄUME
                                                                                                    eines neuen Produkts kurz bevorsteht?
                                                                                                          ROGER TREDRE Dann läuft die Marke-
                                                                                                    tingmaschinerie auf Hochtouren. Bei Mode
                                                                                                    geht es darum, Träume zu verkaufen. Des-
                                                                                                    halb investieren Modeunternehmen viel Geld
    Gespannt erwarten Branchenbeobachter das Unerwartete.                                           in Marketing und Werbung, was mittlerweile
  Dabei geht es aber nicht mehr nur um Mode. Auch bei Design-                                       ganz neue Dimensionen angenommen hat.
 und Herstellungs­verfahren gibt es immer wieder Neues. Grossen                                     Neben reichlich Süssholzraspeln muss man
                                                                                                    sich gut mit Modebloggern stellen, Stars
   Einfluss haben zurzeit E-Commerce, Modeblogger und Fast
                                                                                                    sponsern, damit diese die eigene Mode
  Fashion. Roger Tredre gibt Einblicke in ein riskantes Business.                                   ­tragen, und Designern exorbitante Summen
                                                                                                     zahlen, damit sie auf dem Laufsteg Spekta-
                                                                                                     kuläres präsentieren, das die Fantasie
INTERVIEW VON GISELLE WEISS freie Autorin                                                            ­a nregt und Träume verkauft. Die Kunden
                                                                                                      werden zwar nicht gleich am nächsten Tag in
                                                                                                      die Geschäfte rennen, um eine 2000 -Euro-­
                                                                                                  Jacke zu kaufen, die sie gerade auf dem
                                                                                                  Laufsteg gesehen haben. Aber Modefans,
                                                                                                  ob jung oder alt, die über das nötige Klein-
                                                                                                  geld verfügen, werden den dazugehörenden
                                                                                                  Duft bei der nächsten Gelegenheit im Duty-­
GISELLE WEISS Inwiefern unterscheidet sich       duktkategorien, die im weiteren Sinne mit        Free-Bereich kaufen. Oder sie leisten sich
die Modeindustrie von anderen Branchen?          Mode zu tun haben. Vor Kurzem verglich           die Tasche oder die Schuhe. Bestseller sind
        ROGER TREDRE Mode setzt sich über        Apple- CEO Tim Cook die Tätigkeit von Apple      Accessoires und Parfum.
die meisten Regeln der Geschäftswelt             mit der Arbeit eines Modeunternehmens            Wie würden Sie – mal abgesehen von dieser
­hinweg. Früher versuchten die Unternehmen,      und sprach dabei über die Wichtigkeit des        vergleichsweise betuchten Klientel – das
 beim Entwerfen der Kollektionen und beim        Designs. Technologie ist die am schnellsten      Zusammenwirken von Modemachern
 ­Verkauf der Mode einen McKinsey-Ansatz         wachsende Produktkategorie der Welt.             und Verbrauchern bei der Gestaltung von
  zu fahren. Das hat nicht funktioniert. Heute   ­D aher ist der Einfluss der Mode auf diesen     Mode beschreiben?
  ermöglichen es E-Commerce, Big Data             Bereich besonders faszinierend. Wenn man                ROGER TREDRE Verbraucher haben
  und komplizierte Algorithmen, den Verbrau-      weiss, wie Mode funktioniert, kann man          dank des Internets und der Möglichkeit,
  cher besser zu verstehen, aber eine grosse      dieses Wissen auch allgemeiner auf andere       über den «Like»- oder «Dislike»-Button ihr
  ­U nbekannte gibt es immer. Und genau           Branchen wie beispielsweise Autos, Nah-         Urteil zu fällen, mehr Macht als je zuvor.
   das macht Mode so faszinierend. Diese          rungsmittel und den Einzelhandel anwenden.      Sie nutzen die traditionellen Geschäfte nur
   ­U ngewissheit kann aber bei den Menschen,     Auch die breite Öffentlichkeit hat das          noch als Showroom, schauen sich um,
    die in dieser Branche arbeiten, auch für      Thema Mode für sich entdeckt.                   ­probieren etwas an und schiessen davon
    Nervosität sorgen.                                ROGER TREDRE Das stimmt. Ich war             Fotos, die sie dann ihren Freunden zeigen.
    Sie haben Mode einmal als treibende           gestern hier in London im Victoria & Albert      An­schliessend gehen sie nach Hause und
    Kraft der modernen Konsumkultur               Museum, wo kürzlich eine Ausstellung über        kaufen die Kleider im Internet zu einem
    bezeichnet. Warum?                            den Renaissance-Künstler Sandro Botticelli –     günstigeren Preis. Gleichzeitig ist nichts
        ROGER TREDRE Im Jahr 2000 war             «Botticelli Reimagined» – eröffnet wurde.        so spannend wie ein schöner Laden, da
ich Chefredakteur der Onlinetrendagentur          Ich erwartete, dort vor allem viele berühmte     können sich Onlineanbieter wie Net-a-­
    WGSN. Wir stellten fest, dass sich unser      Meisterwerke bewundern zu können, die            Porter oder ASOS in Grossbritannien noch
    Service nicht nur für die Modeindustrie       vor 500 Jahren entstanden sind. Aber was        so anstrengen. Deshalb rüstet der Einzel-
    selbst eignet, sondern für sämtliche Pro-     sah ich gleich im ersten Ausstellungsraum?      handel mit Cafés, einem höheren Erlebnis-
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