Musik hilft Musik-Landesmusikrat Rheinland-Pfalz

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Musik hilft Musik-Landesmusikrat Rheinland-Pfalz
=Mitteilungen 03/2021

Musik hilft Musik –
                         Solidarität der Musik für Flutopfer
Die Flutkatastrophe entlang der Ahr und in der Region hat eine unbeschreibliche Zerstörung
angerichtet und viele Todesopfer gefordert. Während in einem ersten Schritt Soforthilfen für den
Wiederaufbau von Wohnungen und der notwendigen Infrastruktur eingesetzt werden, richtet die vom
Landesmusikrat Rheinland-Pfalz entwickelte Spenden-Sammelaktion „Musik hilft Musik – Fluthilfe
Rheinland-Pfalz“ den Fokus auf betroffene Musikschulen, Musikvereinigungen und -initiativen, Akteure
der freien Szene sowie Spielstätten. Denn sobald die essentiellen Lebensgrundlagen wiederhergestellt
sind, ist es genauso wichtig, auch die musikkulturelle Infrastruktur wiederherzustellen und damit
Möglichkeiten des Zusammenmusizierens und Zusammenlebens zu ermöglichen.

D
       er Landesmusikrat rief bereits Ende
       Juli gemeinsam mit seinen Mit-
       gliedsverbänden alle Musikvereini-
gungen und -initiativen, Veranstaltende,
Musikschulen und viele mehr dazu auf,
Benefizkonzerte oder andere Aktionen
durchzuführen und für die Sammelaktion
„Musik hilft Musik“ an den Landesmusik-
                                                                                                               Foto © picture alliance / SZ Photo / Rainer Unkel

rat als Koordinationsstelle zu überweisen.
Und dieser Aufruf fiel auf fruchtbaren Bo-
den. Zahlreiche Benefizkonzerte und -akti-
onen in Rheinland-Pfalz fanden statt. Bei
Konzerten der LandesJugendEnsembles
wurden weitere Spendengelder eingesam-
melt und auch viele Vereine und private
Spenderinnen und Spender unterstützen
die Aktion.            Fortsetzung auf Seite 3

                                                  S. 32                           S. 16
                                                  LandesJugendEnsembles           Das aktuelle Interview
                                                  musizieren gemeinsam für        mit dem Mainzer
                                                  den Frieden                     Bischof Peter Kohlgraf

                                                                                                           1
Musik hilft Musik-Landesmusikrat Rheinland-Pfalz
Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,                                                        nem Alleinstellungsmerkmal sprechen. Nicht nur
                                                                                    die hochkarätigen Konzertreihen in Ludwigshafen
                                                                                    zeugen davon, die ganze Rhein-Neckar-Region pro-
  Corona ist noch immer ein zentrales Thema in der                                  fitiert von der großzügigen kulturellen Förderung
Gesellschaft und natürlich auch in der Kultur. Aber                                 durch die BASF. Dafür gebührt dem Unternehmen
wir durften im Sommer durch erhebliche Locke-                                       Dank und Anerkennung.
rungen in den Corona-Bekämpfungsverordnungen                                           Das Instrument des Jahres, die Orgel, ist auch in
erleben, wie das Musikleben wieder zu blühen be-                                    diesem Heft mehrfach Thema. Mit der Vorstellung
ginnt. Ein großes Glück, eine Freude, die hoffentlich                               von exponierten Instrumenten im Land, diesmal in
auch durch eine mögliche vierte Welle im nahen-                                     Koblenz und Niederehe, setzen wir unseren Zyklus
den Winter bestehen bleiben. Deshalb noch mal ein                                   fort. Die Orgelstreiflichter sind ein buntes Kaleido-
leidenschaftliches Plädoyer für die Impfung; nur                                    skop zum Thema und unser obligatorisches Inter-
bei einer hohen Impfquote kann sich das gesell-                                     view führten wir diesmal mit dem Mainzer Bischof
schaftliche Leben wieder völlig normalisieren.                                      Peter Kohlgraf, einem leidenschaftlichen und sehr
  „Musik hilft Musik“ – das ist die Botschaft, die der Landesmu-      begabten Orgelspieler und -fachmann.
sikrat seit Ende Juli aussendet, um durch Spenden den Musik-            Und auch in diesem Heft Nachrichten und Meldungen aus dem
vereinen, Chören, Musikschulen und freien Musikerinnen und            LMR: Über personelle Veränderungen in der Geschäftsstelle, über
Musikern im Ahrtal zu helfen. Die Flutkatastrophe im Juli hat gi-     das Bundespreisträgerkonzert „Jugend musiziert“ und natürlich
gantische Zerstörung und unvorstellbares Leid über die Bevölke-       ausführliche Berichte über die Sommerarbeitsphasen und Kon-
rung in dieser wunderschönen Region gebracht. Mehr als hundert        zerte unserer fünf LandesJugendEnsembles. Es waren großartige
Menschen mussten ihr Leben lassen und Tausende Häuser wur-            Ergebnisse zu bestaunen nach eineinhalb Jahren erzwungener
den beschädigt oder zerstört. Wir wollen durch unsere Spenden-        Pause quasi ein Neubeginn. Überall Freude pur und ein überwäl-
aktion bei der Wiederherstellung der musikalischen Infrastruktur      tigendes Engagement.
mit Zuschüssen behilflich sein, z.B. bei der Reparatur oder Wieder-     Der musikpolitische Kommentar, ein Verbandsportrait und ein
beschaffung von beschädigten oder zerstörten Instrumenten, bei        Orchesterportrait runden das breite inhaltliche Spektrum dieses
überschwemmten Notenarchiven oder der Instandsetzung von              Hefts ab.
Vereinsheimen. Bislang konnten wir mehr als 80.000 Euro ein-            Wir hoffen auf Ihr Interesse und Freude beim Lesen
sammeln und danken für die große solidarische Hilfsbereitschaft.
Mehr dazu in unserem Titelthema.                                        Ihr
  Wir blicken auf das hundertjährige Bestehen des BASF-Kultur-
managements. Hinter dem eher technokratischen Titel verbirgt
sich ein einzigartiges Kulturfördersystem, das seit 100 Jahren
besteht. Es kommt nicht sehr häufig vor, dass große Industrie-
konzerne die Kultur substanziell jährlich mit Millionensummen
fördern – aber wenn dies der Fall ist, darf man zu Recht von ei-        Peter Stieber

In dieser Ausgabe
     Landesmusikrat                                  Chor                                            Jazz/Rock/Pop
1    Musik hilft Musik                         23    Bundesjugendchor begeistert               36    Ländernetzwerk musicRLPwomen*
4    Großartiges Finale von „Jugend
     musiziert“                                      Orchester                                       Spezial
6    Orgeln in Rheinland-Pfalz                 24    Das Kreisorchester – ein Plädoyer         38    100& – Jubiläumssaison des
10   Streiflichter zum Instrument des                                                                BASF-Kulturengagements
     Jahres 2021                                     JugendEnsembles
                                                                                                     Zum Schluss
12   Nachrichten von der                       26    LJC: Ein Chorprojekt im Zeichen der
     Landesmusikakademie                             Hoffnung                                  40    Bündnis für Gemeinnützigkeit
14   Der musikpolitische Kommentar             28    LJO: Jugendliche Spielfreude und
     von Peter Stieber                               musikalische Reife                              Rubriken
16   Das aktuelle Interview mit Bischof        30    JENM: Festival Neue Musik in              2     Editorial
     Kohlgraf                                        Rockenhausen                              35    Termine
20   Porträt Mitgliedsverbände:                32    Phoenix Foundation/LJC:
                                                                                               40    Impressum
     Landesverband Ev. Posaunenchöre                 „Verley uns Frieden”
     in der Pfalz
                                               34    LJBO: Begegnung im Zeichen von
22   Personalwechsel in der LMR-                     Vielseitigkeit und Hoffnung
     Geschäftsstelle

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Musik hilft Musik-Landesmusikrat Rheinland-Pfalz
Landesmusikrat

                                                                                                                Blick in den zerstörten
                                                                                                          Proberaum des Fördervereins
                                                                                                        Kirchenmusik in Bad Neuanahr

 Fortsetzung von Seite 1 Auch außerhalb nen stellen einen Antrag beim Landesmu-           um alle Schäden auffangen zu können.
der rheinland-pfälzischen Landesgren- sikrat, verbunden mit einer Begründung               Deshalb begrüßt der Landesmusikrat die
zen ist ein großer solidarischer Gedanke der Notwendigkeit der Unterstützung.              Aussicht, dass geschädigte Musikvereini-
spürbar. So fand beispielsweise ein ge-           In einer ersten Ausschüttungsrunde       gungen nach Möglichkeit aus dem Fluthil-
meinsames Konzert unterschiedlicher wurden mehr als 30.000 Euro an die An-                 fefonds des Bundes Hilfen erhalten sollen.
Amateurorchester auf dem Gelände des tragstellerinnen und Antragsteller aus-               EE 
saarländischen Weltkulturerbes „Völklin- geschüttet. Dabei wurde in einem kom-
ger Hütte“ statt. Mehr als 7.000 Euro konn- plizierten Bewertungsverfahren eine
ten alleine bei diesem Konzert gesammelt größtmögliche Gerechtigkeit erzielt, in der
werden. Auch das von                                            vorrangig Maßnahmen          Spenden-Sammelaktion
der Jahrhundertflut im                                          der Jugendförderung,         Der Landesmusikrat und seine ihm ange-
Jahr 2002 stark betrof-        Spendenbereitschaft              mit zweiter Priorität        schlossenen Verbände rufen weiterhin zu
fene Sachsen solidari-         Eingenommene Spenden zum         Maßnahmen in direk-          Spendenaktionen in Form von Benefiz-
sierte sich mit den not-       Redaktionsschluss:               tem     Zusammenhang         konzerten und anderen Sammelaktionen
leidenden Regionen in          80.834,83 Euro                   der musikalischen Aus-       auf.
Rheinland-Pfalz. Neben         Vorliegende Schadenssummen       übung stehen und mit         Spenden können auf folgendes Konto
einer      Unterstützung       aus eingegangenen Anträgen:      nachgeordneter Priori-       überwiesen werden, die Ausstellung einer
durch den Sächsischen                                           tät alle weiteren Maß-       Spendenquittung ist möglich:
                               453.926,88 Euro
Musikrat        sammelte                                        nahmen      bezuschusst      Kontoinhaber:
auch die Chursächsische                                         wurden.      Außerdem        Landesmusikrat Rheinland-Pfalz
Veranstaltungs-GmbH                                             wurde eine maxima-           IBAN:
in Bad Elster Gelder für                                        le Zuschuss-Summe in         DE73 5505 0120 0100 0453 76
die Aktion. Ebenfalls im                                        Höhe von 5.000 Euro          Verwendungszweck:
Nachbarland         Baden-                                      festgelegt, um mög-          Flutopfer Soforthilfe
Württemberg wurden                                              lichst    breitgefächert
                                                                                             www.paypal.me/landesmusikrat
Spenden eingereicht.                                            helfen zu können.
  Diese eingesammel-                                               Die zweite Ausschüt-      oder diesen QR-Code:
ten Gelder werden an                                            tungsrunde steht bevor
geschädigte Musikvereinigungen und und hier wird neuen Antragsstellenden
-initiativen, Musikschulen, Akteurinnen auf gleiche Weise geholfen, wie den bereits
und Akteure der freien Szene und weitere Begünstigten geholfen werden konnte.
Bereiche der musikalischen Infrastruktur Dennoch steht schon jetzt fest, dass die
weitergeleitet. Die von der Flut Betroffe- große Solidarität nicht ausreichen wird,

                                                                                                                                          3
Musik hilft Musik-Landesmusikrat Rheinland-Pfalz
Landesmusikrat

         Die Teilnehmenden des ersten Preisträgerkonzerts im
         SWR Sendesaal Kaiserslautern – allesamt mit einem
         ersten Bundespreis ausgezeichnet.

    Großartiges Finale
                                                         von „Jugend musiziert“
    Als Abschluss des „Jugend musiziert“-Wettbewerbsjahres kamen in der zweiten Jahreshälfte die
    größeren Ensembles sowie die neue Kategorie „Jumu open“ zum Zug. Am Samstag, den 31. Juli 2021,
    fand der rheinland-pfälzische Landesentscheid in den Kategorien „Schlagzeug-Ensemble“, „Besondere
    Ensembles mit Werken der Klassik, Romantik, Spätromantik und Klassischen Moderne“ sowie „Jumu
    open“ als Videowettbewerb statt.

                      D
                             rei Ensembles aus Rheinland-Pfalz wurden         Mühlnickel, Catharina Hente, Clara Wirth, Marlene Ju,
                             beim Bundeswettbewerb, der als Präsenzwett-      Constantin Sold, Johannes Gimm und Björn Gard und
                             bewerb vom 9. bis 12. September 2021 in der      sicherten sich so mit 24 Punkten sogar einen 1. Bun-
                       Hansestadt Bremen ausgetragen wurde, Preise verlie-    despreis.
                       hen. Das Schlagzeug-Ensemble mit Maximilian Irle,        Die Ausschreibung definiert die neu ins Leben ge-
                       Fabian Kurtz und Constantin Glombeck erhielt einen     rufene Kategorie „Jumu open“ wie folgt: „In dieser
                       3. Bundespreis. In der ungewöhnlichen Besetzung ei-    neuen freien Kategorie sind alle Instrumente und
                       nes Holzbläsernonetts erreichten Silke Becker, Clara   Performances möglich, die durch bisherige „Jugend
                       Wagner, Lena Terhorst, Viola Weiskopf, Timon           musiziert“-Kategorien nicht abgedeckt sind.“ Carina
                       Stemberg, Karlsson Schick, Louisa                                         Zimmert verstand es, die Möglich-
                       Sieveke, Noah Plum und Leonie                                             keiten und Potenziale der Wer-
                       Fischer einen hervorragenden                                              tungskategorie auf eindrucksvolle
                       2. Bundespreis. Mit dem be-                                               Weise auszuloten. Mit der Darbie-
                       rühmten und höchst anspruchs-                                             tung zweier Eigenkompositionen,
                       vollen Streichoktett von Felix                                            „Grooving Loops“ und „Rhythms of
                       Mendelssohn Bartholdy brillierten                                         Fascination“ zeigte sie ihr instru-
                       Kim-Chi Vanessa Stutzinger, Emma                                          mentales Können am Schlagzeug

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Musik hilft Musik-Landesmusikrat Rheinland-Pfalz
Landesmusikrat

                                                                    Die Blockflötistin
                                                                       Louisa Sieveke
   Der Tubist                                                                                   Die SWR 2-Musikredak
                                                                                                                      teurin Sabine
   Frederick                                                                                   Fallenstein führte gew
                                                                                                                     ohnt souverän
   Punstein                                                                                            durch das Konzertprogr
                                                                                                                              amm.

sowie ihre Kreativität bei der Konzeption von Perfor-   (Klarinette), Louisa Sieveke (Blockflöte), Stephan Kö-
mances. Sie erhielt eine Nominierung zur Teilnahme      nig (Gitarre), Leo Bosch (Trompete), Jette Just (Fagott),
am Wochenende der Sonderpreise (WESPE), welches         Cosima Pietraß (Querflöte) und Frederick Punstein
am 18. und 19. September 2021 in Regensburg statt-      (Tuba), die allesamt mit ersten Preisen beim Bun-
fand, und erspielte sich einen Sonderpreis.             deswettbewerb Teil 1 im Mai ausgezeichnet wurden,
  Wie in jedem Jahr bot und bietet sich den             war ein abwechslungsreiches Programm garantiert,
Bundespreisträger*innen auch in diesem Jahr die Ge-     das die ganze Bandbreite musikalischer Begabung in
legenheit, Auszüge aus dem Wettbewerbsprogramm          Rheinland-Pfalz abbildete.
im Rahmen der Bundespreisträgerkonzerte öffentlich        Die Ensemble- und „Jumu open“-Teilnehmenden
zu präsentieren. Das erste Bundespreisträgerkonzert     der September-Bundesentscheide konzertieren am
fand am 12.09.2021 in Kooperation mit SWR 2 und dem     Sonntag, den 31.10.2021, um 11.00 Uhr beim 2. Bun-
Sparkassenverband Rheinland-Pfalz erstmals im SWR       despreisträgerkonzert. Das Konzert findet im Gesell-
Sendesaal Kaiserslautern statt. Mit Charlotte Dohr      schaftshaus der BASF Ludwigshafen statt. CK 

Online-Musical für Kinder – neue kreative Formate

D
       ie Konzertorganistin Ca-   shop „Bastel-Atelier“ mit Hilfe
       rolin Kaiser hat in die-   von Anleitungsvideos selbst
       sem Jahr im Rahmen         angefertigt. Die eigens für das
ihres     Arbeitsschwerpunktes    Musical komponierten Lieder
Musikvermittlung ein Online-      werden inklusive kleiner Spiele
Musical für Kinder aus Mainz      und Bewegungen gemeinsam
ins Leben gerufen.                eingeübt; Kinder mit solisti-
   Beteiligt sind mehr als 20     schen Rollen bekommen Ein-
Kinder im Kindergarten- und       zelcoachings.
Grundschulalter, die spiele-        Der Inhalt der Geschichte
risch ihre musikalische Erleb-    möchte Kindern die Instru-
nis- und Ausdrucksfähigkeit       mentengruppen näherbringen.
entwickeln, gezielte Förderung    Celina, die kleine Maus, kommt
auf ihrem Instrument bekom-       zum ersten Mal in ihrem Leben
men und kreativ angeleitet        aus ihrem Bau heraus und trifft
werden zu Improvisationen. Je-    einen Specht, der Blockflöte
des Kind kann auf seine Weise     spielt. Gemeinsam verteilen
teilhaben – manche beteiligen     sie ein Einladungsschreiben
sich mit ihrem Instrument,        für das große Waldkonzert am
andere mit Body-Percussion,       Abend von Ulla, der Eule. Auf        Neben der puren Freude          Zusammenschnitt aus allen
Sprecherrollen oder mit krea-     ihrer Tour treffen sie Frösche,    an der gemeinsamen kreati-        eingereichten Ton- und Video-
tiven Hintergrundgeräuschen.      die Gitarre spielen, eine Brat-    ven Entstehungsprozess wird       aufnahmen, den gebastelten
Auch die Requisiten und In-       sche, Klavier-Mäuse und viele      auch ganz konkret auf ein Ziel    Requisiten, Tänzen, und vielem
strumente werden im Work-         mehr.                              hingearbeitet: ein Film bzw.      mehr. 

                                                                                                                                      5
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„Auf anmuthigen Klangreisen“ – die
 kleine Königin in                      als                  St. Leodegar
älteste spielbare Orgel in Rheinland-Pfalz
                                               Ein Gastbeitrag von Dr. Kai Becker, organisatorischer Leiter
                                               der Niedereher Konzertreihe

                                                  Die Orgel wurde 1715 als Erstlingswerk        Anhand der originalen Prospektpfeifen
                                               des berühmten „Orglmachers“ gebaut. Sie        konnten die ursprüngliche „König-Tempe-
                                               ist auch das einzige durch Inschrift am Ge-    ratur“ und die Stimmtonhöhe a’ mit 421
          Orgeln                               häuse belegte Werk dieses Meisters. Das
                                               Werk verfügte ursprünglich über neun
                                                                                              Herz bei 15,3°C rekonstruiert werden. Die
                                                                                              Windanlage mit zwei übereinander lie-
         in Rheinland-                         Register auf einem Manual mit 49 Tasten        genden Keilbälgen kann in historischer
                 Pfalz                         sowie über ein angehängtes Pedal von 13                                   Manier mecha-
                                               Tasten. Balthasar König verstand es, die                                  nisch betätigt
                                               verschiedenen Stilrichtungen zu vereinen.      ursprüngliche              werden;      zu-
                                               Süddeutsche, französische, rheinische und      „König-Temperatur“ sätzlich besitzt
                                               niederländische Traditionen wusste er          rekonstruiert              die Orgel heute
                                               geschickt zu einem erstaunlichen Klang-                                   auch ein elekt-
                                               reichtum zu verbinden. Vor allem die Terz-                                risches Geblä-
    Orgeln in Rheinland-Pfalz                  register Solcena und Cornet sowie Trompet      se. In der Orgel erklingen insgesamt 702
    Auch in dieser Novelletto-Ausgabe          und Mixtur geben dem Instrument ihre           Pfeifen (566 Metallpfeifen, 74 Holzpfeifen,
    stellen wir zwei besondere Orgeln          besondere Note.                                62 Zungenpfeifen).
    des Landes vor, die unterschiedlicher         Wie kein anderes der späteren König-          Nach zahlreichen Umbauten, Erwei-
    kaum sein könnten: zum einen die           Werke hat diese Orgel die Wirren und Mo-       terungen und Entfernen vieler Original-
    älteste spielbare (Barock-)Orgel in        dernisierungen der Jahrhunderte überdau-       register im Laufe der Jahre litt die Orgel
    St. Leodegar (Niederehe/Eifel) von         ert. Gehäuse, Windlade, Registertraktur        schließlich immer mehr an Altersschwä-
    1715; zum anderen die bis vor Kurzem       und Spieltraktur (bis auf die Klaviatur) ge-   che. Die Erkenntnis, welch ungehobenen
    größte Konzertorgel des Landes, die        hören zum Originalbestand.                     Schatz man hier vor sich hatte, machten
    in der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz
    steht.
                                                                                                           St. Leodegar in Niederehe (Eifel)

D
       ie Orgel von Sankt Leodegar ist nicht
       nur die älteste erhaltene und spiel-
       bare Orgel in Rheinland-Pfalz, son-
dern sie ist auch das erste Werk des später
weltberühmten Balthasar König aus Müns-
tereifel (1684-1756). Mit seinem Bau vor gut
dreihundert Jahren vollzog der gebürtige
Ingolstädter im Eifeldorf Niederehe die
Verknüpfung süddeutscher Orgeltradition
mit der des Rheinlandes, in dem achthun-
dert Jahre zuvor, im Aachener Münster, die
erste aller Orgeln auf deutschem Boden
aufgestellt worden war.
  Seitdem hat die Kirche Sankt Leodegar
mitten in der Eifel eine kleine, einmalige
Kostbarkeit und Pflegestätte von Orgel-
und Kirchenmusik. Die Konzerte ziehen
seit Jahren Musikbegeisterte aus einem
weiten Umkreis an.

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eine Restauration und Rekonstruierung         drei vorhandenen Originalregistern lie-       besonders die Darstellung französischer
im Sinne der Denkmalpflege erforderlich.      ßen sich die ursprünglichen Mensuren          und süddeutscher Barockliteratur in au-
Diese ist im Wesentlichen der Initiative      herleiten. Aufgrund der Bohrungen auf         thentischer Weise. Die Vervollständigung
des Heilpraktikers und Organisten Klaus       der Windlade konnte die ursprüngliche         und Vergoldung des schönen Schnitzwer-
Kemp zu verdanken, der die Kosten ermit-                           Disposition ermittelt    kes am Orgelprospekt hat der Bildhauer
telte, Patenschaften für die Orgelpfeifen                          werden. Reste der        Christoph Fischbach mit großem künstle-
initiierte, ein Fest unter dem Motto „Hast    Großteil des         Registerschildchen       rischen Können ausgeführt.
du Töne?!“ organisierte und so die Orgel      Pfeifenwerkes stützten den Befund.               Die Balthasar-König-Orgel ist nun wie-
zum Thema Nummer eins im Dorf und in          musste               Ein Großteil des Pfei-   der klingendes und sichtbares Zeugnis
der Umgebung machte.                          rekonstruiert        fenwerkes musste an-     einer Kulturlandschaft, die lange Zeit zu
  In einer beispiellosen Kraftanstrengung                          hand der erhaltenen      Unrecht als preußisches Sibirien angese-
gelang es ihm und engagierten Niedereher
                                              werden               Pfeifen rekonstruiert    hen wurde. Diese sowie die ebenfalls von
Bürgern, die Orgel vollständig in den Ori-                         werden. Die Pedalla-     Hubert Fasen restaurierte und rekonstru-
ginalzustand von 1714 zurückzuversetzen.      de von 1868 wurde als historisch gewach-      ierte König-Orgel von 1738 in Beilstein an
Gutachten von Orgelsachverständigen           sene Substanz betrachtet und beibehalten.     der Mosel sind die einzigen Instrumente
und Denkmalpflegern gaben die Richtli-          Besonders arbeitsintensiv war die Into-     dieses berühmten Orgelbauers, die heute
nien, nach denen der Auftrag an den Or-       nation der über siebenhundert Pfeifen, die    wieder mit der originalen – mitteltönigen
gelbaumeister Hubert Fasen aus Oberbet-       – anders als bei modernen Orgeln – eine       – Temperatur und Stimmung der Erbau-
tingen vergeben wurde, der in den Jahren      eigene „Temperatur“ (also eine modifiziert    ungszeit zu hören sind.
1997/98 die Orgel vollständig restaurierte    mitteltönige Stimmung) mit besonders             Viermal im Jahr finden die „Niedereher
und rekonstruierte.                           wohlklingenden Quinten und Terzen er-         Orgelkonzerte“ mit namhaften Organisten
  Dazu wurde die Orgel komplett zerlegt,      hielten, sodass Tonarten mit wenigen Vor-     und Organistinnen aus dem In- und Aus-
inventarisiert und in der Werkstatt Schritt   zeichen besonders rein klingen. Die Dis-      land statt, die Musikbegeisterte aus einem
für Schritt wieder aufgebaut. Anhand von      position und die Temperatur ermöglichen       weiten Umkreis nach Niederehe führen. 

                                                                                                                                     7
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                      Die         Saalorgel der Rhein-
                      Eine der größten Profanorgeln Deutschlands

                      D
                             ie 1963 von der Firma Kemper aus        „in die Jahre gekommen“. Zusätzlich kam
    Orgeln                   Lübeck errichtete Orgel war bis vor
                             wenigen Jahren die größte Profanor-
                                                                     es in der Vergangenheit durch die Auslö-
                                                                     sung der Sprinkleranlage zu erheblichen
    in Rheinland-     gel – also nicht-kirchliche Orgel – Deutsch-   Schäden mit Wassereinbruch in der Orgel,
            Pfalz     lands und stellt somit ein oft unterschätz-    was in den Jahren 2010 bis 2014 eine um-
                      tes Highlight der Rhein-Mosel-Halle dar.       fängliche Sanierung notwendig machte.
                      Ihr damaliger Anschaffungswert lag bei         Zahlreiche Einzelteile, die noch aus den
                      etwa 350.000 D-Mark – ein gleicher Bau         60er Jahren stammten, mussten demon-
                      wäre heutzutage sicherlich ein Millionen-      tiert, gereinigt und restauriert werden
                      Euro-Projekt. Aber auch dieses Instrument      – angesichts der Größe der Orgel und der
                      hat seine Geschichte und ist inzwischen        notwendigen präzisen Handfertigkeit mit

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                                                                                                                                          Fotos © Koblenz Touristik GmbH
                               Foto © T. Frey

                                                der Dichtungsleisten sowie die Erneue-        ein BUS-System – also über ein Netzwerk-

-Mosel-Halle
                                                rung der Relaisbälgchen.                      kabel – digital an die Orgel. Durch den
                                                  Nun erstrahlt die Kemper-Orgel also in      Einbau einer Setzerkombination können
                                                neuem Glanz und garantiert in Verbin-         Vorregistrierungen übernommen werden;
                                                dung mit der überragenden Akustik des         hierdurch können 40.000 Kombinationen
                                                Großen Saals einen ganz besonderen Hör-       vorkonfiguriert werden.
                                                genuss. Die insgesamt 5676 Pfeifen, ver-        Die Kemper-Orgel wird nun regelmäßig
                                                teilt auf vier Klaviaturen und Pedal bei 71   in Konzerten zu hören sein, um den ko-
  den vielen nur zentimetergroßen Bestand-      Registern, sind links und rechts der Bühne    lossalen Raumklang dieses speziellen Ins-
  teilen eine Mammutaufgabe, die die Firma      verteilt und erstrecken sich ohne Gehäu-      truments in den Ohren der Musikfreunde
  Hugo Meyer Orgel GmbH aus dem saarlän-        se bis sechs Meter in die Höhe. Die Holz-     zu etablieren. Dabei werden in exklusiven
  dischen Heusweiler zu bewältigen hatte.       pfeifen sind aus Mahagoniholz gefertigt,      Konzertformaten die Sitzplätze teilwei-
  In den Jahren 2013 und 2014 folgte dann       ansonsten besteht das Pfeifenmaterial         se um den mobilen Spieltisch gruppiert,
  der Wiedereinbau und die Intonation mit       überwiegend aus Zinn-Blei-Legierungen         was die Besucher auf eine ganz neue Art
  anschließendem Orgelfest und -konzert         und insbesondere die Prospektpfeifen aus      und Weise in ihren Bann zieht. So kommt
  zusammen mit der Rheinischen Philhar-         Kupferlegierungen. Sie werden von einem       das Publikum in den Genuss, hautnah die
  monie. Weitere notwendige Arbeiten fie-       mobilen Spieltisch aus bespielt, der eben-    Bedienung dieser mächtigen Orgel mitzu-
  len in die Corona-Zwangspause im Jahr         falls grundlegend überarbeitet wurde. Die     erleben, und wird in eine Klangfülle ent-
  2020, z.B. der Ausbau und Neubelederung       Anbindung des Spieltisches erfolgt über       führt, die direkter nicht sein kann. SM 

                                                                                                                                      9
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Streiflichter zum
                        Instrument des Jahres 2021

Mit einer „Tastenbrise“ durch den Sommer
   Die Medienabteilungen des Bistums Mainz präsentierten ei-
nen sommerlichen Schwerpunkt rund um die Königin der Inst-
rumente; u.a. ein Orgel-Quiz, bei dem in wöchentlichem Abstand
Orgelstücke aus den Bereichen Rock, Pop und Jazz auf der Face-
book-Seite des Bistums veröffentlicht wurden und zwei Stunden
später die Lösung. Außerdem ein Beitrag über „Orgel-Recycling“
anhand des Beispiels der „neuen“ Orgel in St. Petrus Canisius in
Mainz-Gonsenheim, die ursprünglich aus Fulda stammt. Virtuelle
Besichtigungen waren ebenfalls Teil des Programms: Die ehema-
lige ZDF-Nachrichtenredakteurin Petra Gerster gab eine Führung
zur Orgel im Wormser Dom, und die Orgel St. Bonifatius in Gießen
konnte via Google Street-View besichtigt werden. Auch die Main-
zer Domorgel durfte natürlich nicht fehlen: Ein Video demonst-

                                                                                                                             Foto © A. Sell
rierte anschaulich, wie die neuen Orgelpfeifen klanglich an den
Kirchenraum angepasst werden.

                                                                   Orgelmusik in Zeiten von Corona
       Mainzer Orgelspaziergang
                                                                      Der Deutsche Musikrat führt in Zusammenarbeit mit der
         Am 14. November 2021 ab 13 Uhr veranstaltet der Landes-   Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche
       musikrat in Kooperation mit den Mainzer Innenstadt-Ge-      das Projekt „Orgelmusik in Zeiten von Corona“ durch.
       meinden einen gemeinsamen Orgeltag. Dieser beinhaltet          Dafür haben 17 Komponistinnen und Komponisten jeweils
       Kurzkonzerte der Hausorganisten in den jeweiligen Kirchen   ein Orgelwerk komponiert, welches sich mit der Corona-Zeit
       und gemeinsame „Wanderungen“ von einem Konzertort           auseinandersetzt. Diese Werke sollen im Oktober und No-
       zum nächsten. Sobald das genaue Konzertprogramm fest-       vember 2021 deutschlandweit an möglichst vielen Orgelorten
       steht, werden wir Sie auf unserer Homepage www.lmr-rp.de    im Rahmen von Konzerten und Gottesdiensten aufgeführt
       informieren.                                                werden. Der Deutsche Musikrat veröffentlicht die 17 Kompo-
                                                                   sitionen in einem Sammelband beim Carus-Verlag und stellt
                                                                   sie allen in Deutschland tätigen Organistinnen und Organis-
                                                                   ten kostenfrei zur Verfügung, wenn sie innerhalb des Projekts
                                                                   „Orgelmusik in Zeiten von Corona“ im Herbst 2021 in einem
                                                                   Konzert oder Gottesdienst Stücke aus dem Orgelbuch auffüh-
                                                                   ren.
                                                                      So wird das Musikleben aktiv befördert und die Zuhörer-
                                                                   schaft zu einer Auseinandersetzung mit den Pandemie-Er-
                                                                   fahrungen angeregt. Den Abschluss des Projekts bildet ein
                                                                   Finissage-Konzert am 21. November 2021, bei dem alle 17 Kom-
                                                                   positionen gemeinsam zur Aufführung kommen. Das Projekt
     Foto © A. Sell

                                                                   wird durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien
                                                                   gefördert; Aufführungstermine in Rheinland-Pfalz und ganz
                                                                   Deutschland finden Sie unter www.orgel-corona.de

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Landesmusikrat

                                                                                                      „Klangliche Dreifaltigkeit“
                                                                                                      im Mainzer Dom nimmt
                                                                                                      Form an
                                                                                                        Die erste Orgel der dreiteiligen
                                                                                                      Orgelanlage, die gerade im Main-
                                                                                                      zer Dom entsteht, wurde am 19.
                                                                                                      September 2021 an der Marien-
                                                                                                      kapelle gesegnet und durch Do-
                                                                                                      morganist Prof. Daniel Beckmann
                                                                                                      erstmals öffentlich zum Klingen
                                                                                                      gebracht. Mit dem Standort und
                                                                                                      dem transparenten Klang der
                                                                                                      neuen Orgel soll vor allem der
                                                                                                      Gemeindegesang profitieren, der
                                                                                                      aufgrund des sehr langen Nach-
                                                                                                      halls im Dom akustisch nicht ganz
                                                                                                      einfach zu begleiten war.
                                                                                                        Zur Finanzierung des Gesamt-
                                                                                                      projekts wirbt der Dombauverein
 Foto © D. Beckmann

                                                                                                      nach wie vor für Patenschaften
                                                                        Der Spieltisch der neuen      für einzelne der insgesamt 14.625
                                                                       Mainzer Domorgelanlage         Orgelpfeifen.
                                                                                                        www.domorgel-mainz.de

Jugend musiziert meets „ToccaTag“
  Dank der Initiative der Evangelischen Kirche der Pfalz und des Bistums

                                                                                                                                      Foto © M. Pipprich
Speyer war der ToccaTag am 29. August 2021 ein voller Erfolg: Bei insgesamt
113 Veranstaltungen (Gottesdiensten, Andachten, Matineen, Konzerten, Or-
gelradtouren, -staffelläufen etc.) konnte man Johann Sebastian Bachs be-
rühmtestes Orgelwerk original und in zahlreichen Bearbeitungen überall in
der Pfalz erleben. Die Veranstaltungsorte reichten von A wie Altenkirchen bis
Z wie Zweibrücken und erstreckten sich von Kirchheimbolanden im Norden
über Frankenthal-Ludwigshafen-Speyer im Osten, Bundenthal im Süden bis
nach St. Ingbert im Westen.
  Mit dabei waren auch zwei Bundespreisträger des diesjährigen Wettbe-
werbs „Jugend musiziert“ aus Rheinland-Pfalz, Christina Nesemann und
Thorsten Grasmück, die gemeinsam ein Orgelkonzert in der Marienkirche in
Neustadt an der Weinstraße gestalteten – natürlich mit der berühmten Toc-
cata neben ihrem eigentlichen Wettbewerbsprogramm.                                       Orgel-CD mit Werken von Rinck
                                                                                         erschienen
                                                                          Foto © Lorch
                                  Foto © privat

                                                                                            Anlässlich des 250. Geburtstags des Kompo-
                                                                                         nisten und Darmstädter Hoforganisten Christi-
                                                                                         an Heinrich Rinck (1770-1846) haben Studieren-
                                                                                         de und Lehrende der Abteilung Kirchenmusik
                                                                                         der Hochschule für Musik Mainz mit einer Dop-
                                                                                         pel-CD die einzigartige Klangwelt des Kom-
                                                                                         ponisten im Spannungsfeld von liturgischer
                                                                                         Strenge und fantasievoller Empfindsamkeit
                                                                                         zum Leben erweckt. Dies geschah an der histo-
                                                                                         rischen, frisch restaurierten Dreymann-Orgel in
                                                                                         St. Ignaz, mitten in der Mainzer Altstadt (siehe
                                                                                         Orgelporträt im Novelletto 2-2021), in Koopera-
                                                                                         tion mit der Christian-Heinrich-Rinck-Gesell-
                                                                                         schaft e.V. Darmstadt. Bei zahlreichen Werken
                                                                                         handelt es sich um Ersteinspielungen. Die Dop-
          Christina Nesemann                      Thorsten Grasmück                      pel-CD erschien 2020 in Zusammenarbeit mit
                                                                                         dem Label Coviello Classics. SM 

                                                                                                                                                   11
Landesmusikrat

Nachrichten von der
        Landes­musikakademie
                          Die Bilanz eines kleinen Sommermärchens
                             35 Aufführungen, über 4.200 Zuhörende, mehr als
                          200 beteiligte Musikerinnen und Musiker und unzäh-
                          lige schöne Momente – das ist die Bilanz der diesjäh-
                          rigen Hofkonzerte des Akademiesommers des Landes-
                          musikakademie. Für jedes einzelne Konzert musste
                          der Hof vor dem Meisterhaus in eine Open-Air-Spiel-
                          stätte verwandelt werden. Die einfachste Übung dabei
                          war es, parkende Autos zu entfernen. Die leicht erhöh-
                          te Rundung vor dem Eingang zum Meisterhaus wurde
                          zur Bühne deklariert und das nötige Equipment von
                          Notenpulten über Instrumente, Verstärker, Mikrofone
                          und gegen Ende des Sommers auch Scheinwerfer und
                          Strahler zur Ausleuchtung des Platzes installiert. Eine
                          besondere Bedeutung erlangte dabei auch das 2016
                          angeschaffte Hybridklavier, das sich mit seiner Flügel-
                          mechanik im Zusammenspiel mit einer sehr robusten
                          digitalen Klangtechnik als idealer Begleiter für vie-
                          le Programme erwies. Die Aufstellung der Stühle für
                          das Publikum orientierte sich exakt an den eingegan-
                          genen Reservierungen, die von der stellvertretenden

                                                                                    Akademieleiterin Angelika Hollmann entgegenge-
                                                                                    nommen und verwaltet wurden. Vollendet wurde der
                                                                                    Aufbau durch den flankierenden Getränkeausschank.
                                                                                       Am 23. Mai fiel der Startschuss – am zweiten Tag,
                                                                                    nachdem durch die Corona-Verordnung öffentliche
                                                                                    Veranstaltungen überhaupt zugelassen waren. Zu-
                                                                                    nächst waren mit ca. 90 Besucherinnen und Besu-
                                                                                    chern die Möglichkeiten ausgereizt, im Verlauf des
                                                                                    Sommers konnten mit weiteren Lockerungen der
                                                                                    Vorgaben die Stuhlinseln verdichtet werden, sodass
                                                                                    am Ende auch 150 Personen gezählt wurden. Mit
                                                                                    „Zaungästen“ waren auch schon mal über 200 Zuhö-
                                                                                    rer dabei. Gerade diese Offenheit ist ein wichtiger Be-
                                                                                    standteil des Konzepts der Reihe: Die Nachbarschaft
                                                                                    und zufällig vorbeikommende Menschen sollten aus
                                                                                    Neugier etwas mitnehmen können. Deshalb ist auch
                                                                                    der Eintritt zu Akademiekonzerten grundsätzlich frei.
                                                                                    Auf diese Weise lernten viele Bürger die Arbeit der
                                                                                    Landesmusikakademie erst kennen, der Newsletter-
                                                                                    Verteiler wuchs um mehr als 300 Adressen und der
                                                                                    Freundeskreis der Akademie verzeichnete 22 neue Bei-
                                                                                    tritte. Dass dieser Förderverein nicht nur finanziell för-
     Freiluftkonzerte bei nahezu                                                    dert, sondern auch als nachbarschaftliches Netzwerk
     jedem Wetter begeisterten                                                      gut funktioniert, zeigte sich nach den Konzerten: Da
     das LMAK-Publikum                                                              legten viele Konzertbesuchende Hand an und halfen
                                                                                    mit, die Stühle, Decken, Kissen, Stative, Lautsprecher,

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Landesmusikrat

                    Schweinwerfer und Instrumente wieder zu verstauen.        annahm, zeigte sich die Akademieleitung vom Publi-
                    Eine Stunde nach Konzertende lag der Hof wieder in        kum: Rolf Ehlers und Angelika Hollmann lobten nicht
                    idyllischer Stille, als wäre nie etwas gewesen …          nur die Disziplin, mit der die Gäste die Abstandsregeln
                      Besonders erfreulich ist die enorme stilistische        einhielten, sondern auch die Großzügigkeit, mit der
                    Vielfalt der angebotenen Programme, die wieder-           die Leistungen der Musizierenden honoriert wurden.
                    um ein Spiegel der in der Akademie stattfindenden         Mit einem durchschnittlichen Spendenbetrag von ca.
                    Kurse, Workshops und Belegungen sind. Von impro-          8-10 Euro pro Besucher / Besucherin kamen deutlich
                    visatorischem Klavierspiel über Kammerorchester,          mehr Einnahmen zustande als beim Verkauf von Ein-
                    Percussion-Duo, Liederabende, Jazzquartette, Blech-       trittskarten, mit dem man nicht nur zusätzlichen Auf-
                    blas-Quintette, klassischem Streichtrio, Singer-Song-     wand durch die Verwaltung eines Ticketing-Systems
                    writer-Programmen bis hin zu zarten Duo-Klängen           gehabt hätte, sondern auch vermutlich höchstens die
                    war vieles zu finden. Durch die hohe Beteiligung von      Hälfte des Publikums zu einem Konzertbesuch hätte
                    Dozentinnen und Dozenten konnte ein durchgängig           motivieren können. Die eingesammelten Spenden ka-
                    sehr hohes künstlerisches Niveau erreicht werden.         men in voller Höhe den Musikerinnen und Musikern
                    Höhepunkte waren sicher die Auftritte der internati-      zugute. Auf diese Weise konnten sich die Konzerte des
                    onal gefeierten A-cappella-Gruppen „Singer Pur“ und       Akademiesommers selbst finanzieren.
                    „Amarcord“ sowie der Jazz-Professoren Martin Lejeu-          Einige Musizierende entschlossen sich sogar, die
                    ne und Alexander Gelhausen. Aber auch viele preis-        Einnahmen der Aktion „Musik hilft Musik“ des Lan-
                    gekrönte Nachwuchsmusiker*innen unseres Landes,           desmusikrats zur Verfügung zu stellen. Auch die
                    die in Engers wichtige Impulse erhalten, wie die Lie-     Überschüsse aus dem Getränkeausschank des Freun-
                    dermacherin Joëlle Lieser, Jazzgitarrist Jermaine Rein-   deskreises wurden der Ahrhilfe gespendet. Insgesamt
                    hardt, das Trio Davidoff oder die Jazzformation „Heli-    konnte der Präsident des Landesmusikrats Peter Stie-
                    coptopus“, um nur einige aus der großen Menge der         ber am 15. September 7.000 Euro in Empfang nehmen
                    beteiligten Musizierenden herauszuheben, begeister-       (siehe Bericht Titelseite).
                    ten das Publikum.                                            Da sich das Format auch in seinem zweiten Jahr er-
                      Seit Beginn der Corona-Krise 2020 konnten inzwi-        folgreich etabliert hat, wird es mit Sicherheit im Som-
                    schen insgesamt 55 Hofkonzerte realisiert werden,         mer 2022 eine Fortsetzung des „Akademiesommers“
                    und das in Zeiten, in denen die Angebote in Kunst und     im Hof vor dem Meisterhaus geben. Die Programme
                    Kultur nur sehr eingeschränkt möglich waren. Genau-       werden sich dann wieder aus dem Akademiegesche-
                    so begeistert, wie die Öffentlichkeit diese Angebote      hen ergeben.

                                                                                                     Akademiebetrieb normalisiert sich
                                                                                                       Durch die schrittweise Rücknahme der Einschrän-
                                                                                                     kungen und die damit einhergehende Entspannung
                                                                                                     des gesellschaftlichen Lebens können wieder viele
                                                                                                     Kurse, Workshops und Belegungen wie geplant an der
                                                                                                     Akademie stattfinden. Gästezimmer und Proberäume
                                                                                                     sind bereits langfristig wieder verplant, lediglich die
                                                                                                     Gruppengröße ist aufgrund der überwiegend recht
                                                                                                     kleinen Studios noch limitiert. Während vor Corona
                                                                                                     auch Orchester und Chöre mit bis zu 100 Mitgliedern
                                                                                                     zu Gast in Engers waren, liegt die Obergrenze aktuell
                                                                                                     noch bei ca. 50-60 Personen.
                                                                                                       Die Kursplanung nimmt auch wieder Fahrt auf. Hier
                                                                                                     zeigt sich, dass vor allem die ausgefallenen Präsenz-
                                                                                                     Fortbildungen stark nachgefragt sind. Einige Online-
                                                                                                     Formate, die die Akademieleitung während der Lock-
                                                                                                     downs angeboten hatte, bleiben aber auch weiterhin
                                                                                                     im Angebot, weil sich die Themen gut für eine digitale
                                                                                                     Vermittlung anbieten.
                                                                                                       Einen tagesaktuellen Überblick über die Kurspla-
                                                                                                     nung bis Sommer 2022 liefert die Internet-Seite der
                                                                                                     LMAK: www.landesmusikakademie.de. RE 
                                                                                                       .
Fotos © R. Ehlers

                                                                                                                                                          13
Landesmusikrat

Kultur braucht       Fürsprache
           Kultur braucht politischen Wi

     I
       n den letzten Wochen gaben neben den vielen Corona-
       Erleichterungen im Kulturleben vor allem zwei weit von-
       einander entfernt liegende musikpolitische Themen An-
     lass für Berichte und Kommentare. Das eine Thema war die
     glanzvolle Eröffnung der Isar-Philharmonie in München, ei-
     nem Interimskonzertsaal mit 1900 Plätzen; und das andere
     Thema war die beabsichtigte Kürzung des Etats des Mainzer
     Staatstheaters um rund 900.000 Euro. Nun werden Sie irri-
     tiert fragen, was denn das eine mit dem anderen zu tun hat.
     Vordergründig nichts und doch bei genauerem Hinsehen
     sehr viel.
        In der bayerischen Landeshauptstadt wurde in drei Jah-
     ren in einem leerstehenden Fabrikgebäude an der Isar ein
     veritabler, gut klingender und ästhetisch überzeugender
     Konzertsaal für 40 Millionen Euro gebaut, der maximal
     zehn Jahre Bestand haben soll und danach wieder aus-
     gebaut werden kann, weil er in den Gebäudekorpus quasi
     eingehängt wurde. Die Isar-Philharmonie ist Interimskon-
     zertort für die Freien Musikveranstalter und die Münchner
     Philharmoniker, solange das gigantische Kulturzentrum
     „Am Gasteig“ für rund 500 Millionen Euro generalsaniert
     wird. Ungeachtet dessen, dass der Bayerische Staat in Mün-
     chen einen längst fälligen und heiß ersehnten Konzertsaal
     für rund 600 Millionen Euro im sogenannten Werksviertel
     bauen wird, vorzugsweise für das Sinfonieorchester des
     Bayerischen Rundfunks.
        Ich gebe zu, viele verwirrende Zahlen und Pläne, die Sie
     eigentlich nicht zu interessieren bräuchten. Aber zusam-
     menfassend lässt sich feststellen, dass die SPD-regierte bay-
     erische Landeshauptstadt und die Landesregierung Bayerns
     der Kultur einen hohen Stellenwert einräumen, sie hegt und
     pflegt und viel Geld aufwendet, um der Bevölkerung ein
     großartiges kulturelles Angebot zu unterbreiten. Vor die-
     sem Hintergrund ist ein Vergleich mit Rheinland-Pfalz und
     der ebenfalls SPD-regierten Landeshauptstadt Mainz auf-
     schlussreich und erhellend. In Rheinland-Pfalz findet sich
     kein einziger großer Konzertsaal, der als solcher konzipiert
     wurde und damit den akustischen Anforderungen heuti-
     ger Zeit entsprechen würde. Ein Konzertsaal, wie er jetzt in
     München eingeweiht wurde, wäre für unser Bundesland
     ein Glücksfall, natürlich nicht als Provisorium, sondern als
     dauerhafte Einrichtung. Was passiert aber hierzulande:
     Man muss in Mehrzweckhallen, Stadthallen, Kongresssälen
     oder bestenfalls in Schlössern oder Theatern konzertieren.
        In Mainz wird die über 50 Jahre alte Rheingoldhalle für
     rund 40 Millionen Euro saniert, also genau jene Summe,
     die der neue Interimskonzertsaal in München gekostet

14
Landesmusikrat

                               Das Staatstheater in Mainz

illen
                Musikpolitisch
                                er
                  Kommentar
                von Peter Stie

                                                                                                                            Foto © H. Anschütz
                               ber

                                                            hat. Und die Rheingoldhalle ist kein Ort der Kultur, son-
                                                            dern der Tagungen, Kongresse und der Fastnacht. Dass dort
                                                            zwangsläufig auch Konzerte stattfinden, ist dem Mangel
                                                            an alternativen Spielorten geschuldet. Mehr als zehn neue
                                                            Konzerthäuser sind in den letzten Jahren in Deutschland
                                                            entstanden und weitere sind in Planung, leider kein ein-
                                                            ziges in Rheinland-Pfalz. Die Kultur wird hierzulande nur
                                                            dann wertgeschätzt, wenn sie nichts oder möglichst wenig
                                                            kostet.
                                                               Und damit kommen wir zur zweiten musikpolitischen
                                                            Meldung, die in den letzten Wochen zu Reaktionen in der
                                                            Medienwelt, aber auch in der kulturinteressierten Öffent-
                                                            lichkeit führte. Die Stadt Mainz ließ verlauten, die Zuschüs-
                                                            se für das Staatstheater Mainz um rund 900.000 Euro kür-
                                                            zen zu wollen. Ein fatales Signal in der Corona-Zeit, in der
                                                            die Politik ihr begrenztes Interesse an Kultur eindrucksvoll
                                                            bestätigte. Gerade in dieser Phase, wo sich die Kultur nach
                                                            monatelangem erzwungenen Stillstand wieder anschickt
                                                            ins Leben zu treten, diese Meldung. Entsetzen am Staats-
                                                            theater, in der Kulturszene und Proteste von vielen Seiten.
                                                            Inzwischen hat die Stadt ihre Kürzungsabsicht zurückgezo-
                                                            gen. Aber dennoch bleibt ein fahler Geschmack zurück. Die
                                                            Kultur ist in den Haushalten grundsätzlich Manövriermasse
                                                            und dies wird sich auch nicht ändern, solange Kultur als so-
                                                            genannte „Freiwillige Leistung“ in der kommunalen Selbst-
                                                            verwaltung verankert ist. Im Zweifel wird gegen die Kultur
                                                            entschieden, weil es kaum Politikerinnen und Politiker gibt,
                                                            die sich für Kultur einsetzen – so auch in Mainz. Dass das
                                                            Staatstheater Mainz mit rund 27 Millionen Euro Zuschuss
                                                            pro Jahr unter den mehr als 20 Drei-Sparten-Staatstheatern
                                                            in Deutschland von der Fördersumme her zu den Schluss-
                                                                                                                                                  Foto © T. Hase

                                                            lichtern zählt, sei nur am Rande vermerkt – analog zur roten
  Die neu gebaute „Isar-Philharmonie“                       Laterne von Rheinland-Pfalz hinsichtlich der Kulturausga-
  beim Eröffnungskonzert                                    ben der einzelnen Länder.. PS 

                                                                                                                                                 15
Landesmusikrat

                                                       Der Mensch ist mehr
                                                          als nur         Mittel
                                                                       zum Zweck
                                                                                 Das aktuelle Interview mit Prof. Dr.
                                                                                 Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz

Herr Bischof, welche Musik hören Sie ger-     auch durch meine Beziehungen zur Kirche      und Ostchor gilt als bahnbrechend und
ne und bei welchen Gelegenheiten?             und zur Pfarrei – Interesse daran bekom-     setzt auch international neue Maßstäbe.
Ich höre gerne klassische Musik, aber der     men, Orgel zu lernen. Ich habe Unterricht    Sie sind ja nun beim Entstehungsprozess
Musikstil wechselt. Meist kommt es auf        genommen, aber auch viel privat geübt. In    sozusagen hautnah dabei. Interessiert Sie
meine Stimmung an, welchen Komponis-          den Jahren bis zum Abitur und im Studium     auch die handwerklich-technische Seite
ten ich gerne höre. Und natürlich habe        habe ich viel Orgelmusik gemacht, zum        des Orgelbaus bzw. was macht für Sie den
ich einige Lieblingskomponisten: Johann       Beispiel auch Orgelvertretungen in Pfar-     Reiz dessen aus?
Sebastian Bach ist unübertroffen, auch        reien übernommen. Insgesamt ist Musik        Die Mainzer Domorgel ist seit langem ge-
Wolfgang Amadeus Mozart schätze ich           in meinem Leben sehr wichtig. Ich finde      plant. Wir haben vor einigen Jahren ent-
sehr. Doch genauso gerne höre ich Anton       immer wieder Ablenkung und Entspan-          schieden, das Orgelprojekt in die Tat um-
Bruckner und auch modernere Komponis-         nung bei der Musik.                          zusetzen. Vor kurzem ist der erste Teil der
ten, Olivier Messiaen zum Beispiel. Ich bin                                                Orgel im Hauptschiff des Mainzer Domes
da sehr breit aufgestellt.                    Finden Sie in Ihrem straff getakteten All-   fertiggestellt worden. Ich bin fasziniert,
                                              tag noch Zeit und Muße für die Orgel?        wie millimetergenau die ganze Orgel ge-
Sie sind ja selbst ein leidenschaftlicher     Natürlich ist mein Alltag straff getaktet.   plant ist. Natürlich interessiert mich zu-
und begabter Organist, wie Sie wenige         Dennoch bemühe ich mich, mit einer ge-       nächst die musikalische Seite der neuen
Monate nach Ihrer Bischofsweihe in Form       wissen Regelmäßigkeit für mich zu üben,      Orgel, und der Klang dieses Instruments
eines gemeinsamen Benefizkonzerts mit         insbesondere Klavier, und auch neue Stü-     ist faszinierend und begeisternd. Aber das
dem Mainzer Domorganisten Prof. Daniel        cke einzuüben. Und es macht mir Freude,      Ganze ist auch deswegen begeisternd, weil
Beckmann eindrucksvoll unter Beweis ge-       mich einfach ans Klavier zu setzen und zu    die Technik und die handwerkliche Seite
stellt haben. Wie kamen Sie zur Orgel und     improvisieren.                               perfekt sind. Das ist ein Meisterwerk – an-
welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben?                                                  ders kann ich es nicht sagen.
Zur Orgel kam ich mit ungefähr zwölf Jah-     Die Neugestaltung und Erweiterung der
ren. Ich habe mit sechs Jahren angefangen,    neuen Mainzer Domorgelanlage mit den         Die Kirchen besitzen eigene Ausbildungs-
Klavier zu spielen. Irgendwann hatte ich –    drei Standorten Westchor, Marienkapelle      stätten für den musikalischen Nachwuchs.

16
Landesmusikrat

                       Gibt es Nachwuchsprobleme bei Kantorin-     besondere Form und die moderne Kirchen-        Unterstützung des Landes durchgeführt
                       nen und Kantoren und Organist*innen?        musik überhaupt. Im Bereich des „Neuen         werden. So ermöglichen beispielsweise
                       Im Bistum Mainz sind die Ausbildungs-       Geistlichen Lieds“ sind in den vergange-       die Orgelwochen im Kultursommer Rhein-
                       zahlen in den letzten Jahren leicht ange-   nen Jahrzehnten zahlreiche, qualitätsvolle     land-Pfalz immer wieder auch Veranstal-
                       stiegen. Dies freut mich sehr. Dennoch      neue Kompositionen entstanden und viele        tungen in Pfarreien, in denen sonst keine
                       nehmen die Verantwortlichen in der Kir-     Bistümer und Landeskirchen haben eigene        Konzerte stattfinden könnten. Auch an-
                       chenmusik und ich auch wahr, dass sich      „Pop-Kantoren-Stellen“ eingerichtet oder       dere Konzertformate werden unterstützt.
                       manche nebenamtliche Chorleiter- oder       beabsichtigen, dies zu tun. Auch im Bistum     Wie die Kirchen stehen auch die Bundes-
                       Organistenstelle nicht besetzen lässt.      Mainz gibt es eine eigene Stelle für den Be-   länder unter Sparzwängen. Ich hoffe, dass
                       Dies gilt übrigens auch für hauptamtliche   reich der Neuen Geistlichen Musik und der      diese Vielfalt in den nächsten Jahren er-
                       Kirchenmusiker-Stellen. Durch neue Aus-     Sozialmusik. Was im Bereich der Kirchen-       halten bleibt und auch weiterhin unter-
                       bildungskonzepte hoffen wir im Bistum       musik – und vielleicht nicht nur dort – ak-    stützt wird.
                       Mainz, auch in den kommenden Jahren         tuell fehlt, ist die Entwicklung eines wirk-
                       Menschen für die Kirchenmusik zu begeis-    lich neuen Musikstils. Die sakrale Musik       Lassen Sie uns noch kurz auf die Corona-
                       tern. Dazu gehört etwa der Basiskurs für    hatte für die Entwicklung neuer Musiksti-      Pandemie eingehen: Wie sehen Sie die
                       Orgel und Chorleitung, ein ausgeweitetes    le immer wieder eine federführende Rol-        Situation der kirchenmusikalischen
                       Ausbildungsangebot für Band- und Kin-       le. Ich möchte nur einen Namen nennen:         Ensembles und insbesondere der Kirchen-
                       derchorleiter und ein gemeinsamer Aus-      Olivier Messiaen. Derzeit sind die Entwick-    chöre in Ihrem Bistum? Denn das Bistum
                       bildungsgang für Kantoren und die Leite-    lungen eher retrospektiv und es fehlt – bis    hatte bzw. hat vergleichsweise sehr starke
                       rinnen und Leiter von Wort-Gottes-Feiern.   auf wenige Ausnahmen – wirklich Neues.         Einschränkungen erlassen.
                       Wichtig ist dabei auch die Zusammenar-                                                     Die Hygienemaßnahmen in unserem Bis-
                       beit mit Schulen und unseren eigenen In-    Wie beurteilen Sie die Situation des Mu-       tum waren und sind immer an die Landes-
                       stitutionen wie der Mainzer Dommusik, in    siklebens in Rheinland-Pfalz?                  verordnungen von Rheinland-Pfalz und
                       der 400 Kinder und Jugendliche jede Wo-     Obwohl Rheinland-Pfalz bei den jährlichen      Hessen angelehnt. Vielen Leiterinnen und
                       che zu Proben zusammenkommen.               Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur auf einem         Leitern ist es mit großem persönlichen
                                                                   hinteren Platz liegt, ist das Musikleben in    Einsatz gelungen, durch virtuelle Angebo-
                       Wie bewerten Sie die Entwicklung der        Rheinland-Pfalz vielfältig. Es gibt zahlrei-   te Ensembles zusammenzuhalten – auch
                       modernen Kirchenmusik der letzten Jahr-     che Aktivitäten von Verbänden, Vereinen        wenn schnell klar wurde, dass es für das
                       zehnte?                                     und Institutionen, die der Landesmusikrat      gemeinsame Musizieren persönliche Be-
                       Aus meiner Sicht müssen hier zwei The-      koordiniert. Wichtig sind hierbei – neben      gegnung braucht. Die Situation in vielen
                       menfelder unterschieden werden: zum         den vielen eigenen Initiativen in der Lai-     musikalischen Gruppen hat sich durch die
                       einen das „Neue Geistliche Lied“ als eine   enszene – auch Konzertreihen, die durch        Corona-Pandemie aber verändert, und 
Fotos © Bistum Mainz

                            „Orgelmusik kann Menschen zum Staunen, Schweigen
                               und Beten bringen, sie kann Jubel und Freude
                                      unterstützen und Trauer ausdrücken.
                           Steht sie in einem besonderen Raum, wie etwa im Mainzer
                              Dom, ermöglicht ihr Spiel eine wirklich ganzheitliche
                             Erfahrung, die den Menschen mit allen Sinnen ergreift
                                         und für Gottes Gegenwart öffnet.“
                                                Bischof Kohlgraf

                                                                                                                                                          17
Landesmusikrat

manche Entwicklungen werden sich erst         dung von jungen Menschen dazu; zugleich        bildung erhalten. Aber die Dimension
in den nächsten Monaten wirklich zei-         ist sie notwendig, um die eigene und auch      etwa auch musischer und künstlerischer
gen. Hoffnung macht mir aber die große        andere Kulturen kennenzulernen und ver-        Fächer ist für die Bildung von Persönlich-
Sehnsucht vieler Menschen nach Singen         stehen zu können. Musik bildet sozusagen       keiten von unschätzbarem Wert. Deswe-
und Musizieren. Durch die Lockerung der       den ganzen Menschen. Es werden Inhalte         gen möchte ich auf Musikunterricht und
Hygienemaßnahmen in den vergangenen           vermittelt, aber über Musik werden auch        die Pflege eines Musiklebens an Schulen
Wochen haben viele Chöre wieder mit Pla-      andere Dimensionen des Menschseins an-         nicht verzichten. Ich glaube, dass sich eine
nungen für die musikalische Gestaltung        gesprochen. Es ist nicht umsonst so, dass      Gesellschaft keinen Gefallen tut, wenn sie
von Gottesdiensten und Konzerten begon-       Religion und Musik sehr eng zusammen-          hier Einbußen in Kauf nimmt.
nen.                                          hängen. Ich glaube, unsere Gesellschaft
                                              tut gut daran, die musikalische Bildung        Was ist die für Sie wichtigste Eigenschaft
Sie sind u.a. Mitglied der Kommission „Bil-   und die musikalische Praxis von jungen         von Musik?
dung und Schule“ der Deutschen Bischofs-      Menschen zu fördern. In der Corona-Krise,      Musik hat so viele Eigenschaften, dass es
konferenz. Welche Rolle kommt dabei der       wenn ich das anmerken darf, ist deutlich       nicht einfach ist, hier eine Haupteigen-
musikalischen Bildung junger Menschen         geworden, dass Kultur eine zu geringe          schaft zu nennen. Ich als gläubiger Mensch
zu bzw. warum ist diese trotz beträchtli-     Wertschätzung erfährt.                         habe natürlich eine besondere Liebe zu
chen Kostenaufwands Ihrer Meinung nach                                                       geistlicher Musik. Sie hat die Eigenschaft,
unerlässlich für unsere Gesellschaft?         Für wie wichtig halten Sie die Rolle des       Menschen mit Gott in Berührung zu brin-
Ich war bis zur Herbstvollversammlung         Fachs Musik an der Schule?                     gen. Musik ist dennoch zweckfrei. Sie ver-
der deutschen Bischöfe in Fulda im Sep-       Das Fach Musik ist für mich in der Schule      mag Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Sie
tember 2021 tatsächlich Mitglied der Kom-     unverzichtbar. Ich glaube, dass wir einer      stiftet Gemeinschaft und verbindet Men-
mission „Bildung und Schule“. Mittlerweile    Gefahr unterliegen, wenn wir zu sehr die       schen ohne Worte. Dass Menschen Musik
gehöre ich der Kommission nicht mehr an.      offensichtlich für wirtschaftliche Belange     machen können, zeigt, dass der Mensch
Trotzdem ist mir das Thema „Bildung und       relevanten Fächer fördern. Natürlich sind      mehr ist als nur Mittel zum Zweck.
Schule“ weiterhin ein ganz wichtiges An-      Mathematik, Naturwissenschaften usw.
liegen. Musikalische Bildung gehört mei-      wichtige Fächer und es ist gut, dass Schüle-     Die Redaktion des Novelletto dankt Ih-
ner Meinung nach zur Persönlichkeitsbil-      rinnen und Schüler hier eine solide Grund-     nen für das Interview. 

     Der Mainzer Dom
     war auch Spiel-
     stätte beider vom
     Landesmusikrat
     organisierten
     Orchestergipfel, so
     wie hier 2013.

                                                                                                                                            Foto © Stefan Sämmer

18
Landesmusikrat

Konferenz der Landesmusikräte mit weiblicher Doppelspitze

D
       ie Konferenz der                                                                                                             Dr. Ulrike Liedtke leitet
       L a n d e s mu s i k rät e                                                                                                   die KdLMR seit 2009 als
       (KdLMR) bestätigte                                                                                                           Vorsitzende. Die Musik-
in ihrer Tagung im Sep-                                                                                                             wissenschaftlerin ist seit
tember 2021 die Präsiden-                                                                                                           2014 Mitglied des Land-
tin des Landesmusikrats                                                                                                             tags Brandenburg und seit
Brandenburg Prof. Dr. Ul-                                                                                                           2019 Landtagspräsidentin.
rike Liedtke als ihre Vorsit-                                                                                                       Sie lehrt zudem Musikwis-
zende für die kommenden                                                                                                             senschaft an der Universi-
vier Jahre im Amt. Die Prä-                                                                                                         tät Potsdam, ist u.a. Vize-
sidentin des Landesmusik-                                                                                                           präsidentin des Deutschen
rats Sachsen-Anhalt, Prof.                                                                                                          Musikrats und Deutschen
Dr. Jutta Schnitzer-Unge-                                                                                                           Kulturrats.
fug, wurde zur stellver-                                                                                                              Die Neurobiologin Prof.
tretenden        Vorsitzenden                                                                                                       Dr. Jutta Schnitzer-Unge-
gewählt.                                                                                                                            fug war u.a. Generalse-
                                                                  Foto © P. Dageroth

  Der Präsident des Deut-                                                                                                           kretärin der Nationalen
                                                                                       Foto © S. Bergner

schen Musikrats, Prof.                                                                                                              Akademie der Wissen-
Martin Maria Krüger,                                                                                                                schaften Leopoldina, wur-
gratulierte beiden sehr           Prof. Dr. Ulrike Liedtke                                   Prof. Dr. Jutta Schnitzer-Ungefug      de als außerplanmäßige
herzlich zu Ihrer (Wie-                                                                                                             Professorin an die Berliner
der-)Wahl und ergänzte: „Um Auswirkungen der Corona-Kri-                               kunft weiterzuführen und aus- Charité berufen und 2020 als
das reiche Musikleben und die se auf das Musikleben und die                            zubauen.“                               Präsidentin des Landesmusik-
Kulturelle Vielfalt dauerhaft zu Weiterentwicklung des öffent-                           Die 16 in der KdLMR vertre- rats Sachsen-Anhalt gewählt.
schützen, gilt es, zentrale Pro- lich-rechtlichen          Rundfunks.                  tenen Landesmusikräte sind Als stellvertretende Vorsitzen-
bleme mit vereinten Kräften Wir freuen uns darauf, die                                 Mitglieder des Deutschen de der KdLMR folgt sie auf den
auf Bundes- und Länderebene intensive und fruchtbare Zu-                               Musikrats. Die KdLMR nimmt ehemaligen Präsidenten des
anzugehen: etwa den gravie- sammenarbeit mit der KdLMR                                 angesichts der Kultur- und Bil- Landesmusikrats Bremen Prof.
renden Lehrkräftemangel in unter der engagierten Leitung                               dungshoheit der Länder eine Kapt. Ernst E. Folz. 
der musikalischen Bildung, die ihrer Vorsitzenden auch in Zu-                          besondere Stellung ein. Prof.

Neues Förderprogramm für Kulturvereine

E
     in neues Hilfsprogramm        einen Rückgang an ehrenamt-                         Die vier Förderschwerpunkte          chen der darstellenden Kunst,
     des rheinland-pfälzischen     lichen Helferinnen und Hel-                         des Programms erstrecken sich        bildenden Kunst, kulturellen
     Kulturministeriums von        fern. Vereinsvorstände suchen                       auf die Bereiche Imagekampa-         Bildung, Musik, Literatur, So-
insgesamt 500.000 Euro soll        nach Wegen, wie ihr Verein                          gnen zur Mitgliederwerbung –         ziokultur oder der Ausstellung
die zahlreichen Kulturvereine      nach der Corona-Pandemie                            wobei hierbei eine Beteiligung       künstlerischer oder kultureller
im Land beim Neustart ihres        weiterarbeiten kann, und fra-                       an der Imagekampagne des             Inhalte haben. Die Höhe der
Vereinslebens     unterstützen.    gen sich, ob der „Vor-Corona-                       Landesmusikrats für die Ama-         finanziellen Hilfen beträgt ma-
„Infolge der kontaktbeschrän-      Zustand“ jemals wieder er-                          teurmusik empfohlen wird –,          ximal 4.000 Euro je Verein. Es
kenden Maßnahmen zur Be-           reicht werden kann. „Hier setzt                     Digitalisierung und Schulun-         werden bis zu 80% der zuwen-
kämpfung der Corona-Pande-         das neue Förderprogramm an“,                        gen für Mitarbeiter, Struktur-       dungsfähigen Gesamtausga-
mie kam das Vereinsleben in        erklärte die Kulturministerin.                      entwicklung sowie gezielte           ben bezuschusst, 20 % der Fi-
vielen Kulturvereinen nahezu       „Wir wollen die gemeinnützi-                        Nachwuchsarbeit       inklusive      nanzierungsmittel müssen aus
zum Erliegen. Museen waren         gen Kulturvereine dabei unter-                      Anschaffungen.                       Eigenmitteln oder sonstigen
geschlossen, Theatergruppen,       stützen, die Auswirkungen der                         Antragsberechtigt sind ge-         Einnahmen getragen werden.
Chöre, Musikgruppen konnten        Corona-Pandemie bewältigen                          meinnützige      Kulturvereine,      Eigenleistungen zählen hierzu
zeitweise weder proben noch        zu können. Wir wollen die Ver-                      die den Schwerpunkt ihres            nicht. Das Programm startete
auftreten,“ erklärte Kulturmi-     eine insbesondere bei der Mo-                       Vereinszwecks in den Berei-          am 1. September 2021 und ist
nisterin Katharina Binz bei        dernisierung und Weiterent-                                                              bis zum 31. Mai 2022 befristet,
der Vorstellung des Förderpro-     wicklung ihrer Strukturen, im                                                            Antragsschluss ist der 1. De-
gramms. Viele Vereine erwar-       Nachwuchs- und Mitgliederbe-                                                             zember 2021.
ten für die kommenden Mo-          reich, bei ihrer Öffentlichkeits-                                                           Den Online-Antrag zum För-
nate einen deutlich spürbaren      arbeit und vor allem auch bei                                                            derprogramm sowie weitere
Rückgang an Mitgliedern und        der Digitalisierung unterstüt-                                                           Informationen finden Sie unter
verzeichnen auch jetzt schon       zen,“ erläuterte Binz weiter.                                                            www.kulturland.rlp.de. 

                                                                                                                                                             19
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