NEUE CHOR SZENE - Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Landeshauptstadt Düsseldorf 1/10
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NEUE CHOR SZENE Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf 1/10 12
NEUE Inhaltsverzeichnis 1/10 Nr. 12 7. Jahrgang CHORSZENE Januar 2010 Editorial Georg Lauer 3 Robert Schumann Eine Biografie Dr. Gerd Nauhaus 4 „Wie Schafe, wie Schafe führt er sie“ Erfahrungen von Chormitgliedern nach dem Händel- Projekt „Israel in Ägypten“ mit Prof. Frieder Bernius Udo Kasprowicz 14 G. F. Händels „Israel in Ägypten“ Eine abschließende Nachlese zu den Aufführungen des Oratoriums in der Tonhallle Düsseldorf Erich Gelf 17 Den Damen und Herren des Düsseldorfer Musikvereins Ein Schlusswort zum Händelprojekt 2009 Prof. Frieder Bernius 34 Editha Hackspiel: Ein Portrait aus dem Leben der Düsseldorfer Künstlerin Georg Lauer 37 „Was täten die armen Komponisten, wenn sie keiner spielt“ Zu Besuch bei Jürg Baur Jens D. Billerbeck 46 Niels Wilhelm Gades Dänische Chorsinfonik Selten gehörte Chorwerke Dr. Thomas Ostermann 50 Unterwegs an Rhein und Neckar Bericht über die Kulturreise von Musikvereinsmitgliedern Christa Terhedebrügge-Eiling 54 Neologismen…und was dahintersteckt! Vom „Händelssohn“ zum „Linsengericht“ Udo Kasprowicz 61 Erkrather wird Düsseldorfer des Jahres centert.tv ehrt MV-Vorsitzenden Manfred Hill Jens D. Billerbeck 64 Termine, Termine …Vorschau auf die Konzerte mit dem Städtischen Musikverein im Schumannjahr 2010 66 Literatur 67/68 Impressum / Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. Herausgeber: Geschäftsstelle Ehrenhof 1 - 40479 Düsseldorf E-Mail: info@musikverein-duesseldorf.de / Internet: www.musikverein-duesseldorf.de V.i.S.d.P.: Georg Lauer - g.lauer@musikverein-duesseldorf.de Redaktion: Jens D. Billerbeck, Erich Gelf, Georg Lauer, Udo Kasprowicz, Dr. Thomas Ostermann, Konstanze Richter Titelbild: Schumann-Geburtshaus Zwickau - Schumannhaus Bonn-Endenich - Tonhalle Düsseldorf Textbilder: Städtischer Musikverein, Internet ISSN-Nr.: 1861-261X / Erscheineinungsweise: halbjährlich Druck: Druckerei Preuß GmbH - Ratingen Hinweis: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Nachdruck - auch auszugsweise - oder sonstige Vervielfältigung nur mit schriftl. Genehmigung der Redaktion. 2 NC 1 / 10
Editorial von Georg Lauer Liebe Leserinnen und Leser! Wenn Sie bereits das nebenstehende Inhaltsver- Willkommen im Schumannjahr 2010! zeichnis überflogen haben, Weltweit wird in diesem Jahr an Robert wundern Sie sich vielleicht, Schumann erinnert, der von 1850 bis 1854 dass wir dem Händel-Mendelssohn-Jahr Düsseldorfs 6. Städtischer Musikdirektor 2009 noch einmal eine Rückschau widmen. war. In den „Schumannstädten“ Zwickau, Das werden am Ende nicht nur die Leserin- Bonn, Düsseldorf - Geburts-, Sterbe- und nen und Leser nachvollziehen können, die Musik-Haus schmücken diesmal unser Ti- im Herbst 2009 die Tonhallen-Aufführungen telblatt - und auch andernorts sind die Vor- des Oratoriums „Israel in Ägypten“ erlebt bereitungen zum Abschluss gekommen und haben. Dabei freut es uns besonders, dass die Festprogramme veröffentlicht. Noch sich auch Prof. Frieder Bernius noch einmal ausführlicher als zum 150. Todestag vor 4 zu Wort gemeldet hat. Jahren werden die Konzertprgramme alles Einer anderen großen Künstlerin, der wir bieten, was Schumann je zu Papier ge- im letzten Jahr besonders oft in der Tonhal- bracht hat. Düsseldorf hat sich da nicht we- le begegnet sind, galt unser Besuch und niger vorgenommen, als alles: „Der ganze die Aufzeichnung des dabei geführten Ge- Schumann“ soll es sein! Die Werke werden sprächs. „Aus Liebe zur Musik“, so hat sie sich von Januar bis Dezember um den Kern - in gleicher Intention wie der Musikverein des eigentlichen Schumannfestes vom seine Chronikbücher 1988 und 2001 - ihr 28.05. bis 14.06.2010 legen, dabei werden jüngstes Buch überschrieben, das sie vor Sie in Düsseldorf „Weltklassik“ erleben! Weihnachten veröffentlichte. Editha Hack- Welche Beiträge aus Schumanns Chor- spiel, von ihr ist die Rede, hat darin die bes- musikschaffen der Musikverein dabei zu be- ten Düsseldorfer Musikerbilder ihres über streiten hat, entnehmen Sie am besten dem 60 Jahre währenden, stets von Musik be- dieser Zeitschrift beiliegenden Faltblatt, das gleiteten künstlerischen Schaffens zusam- Sie mit ein paar geschickten Griffen auf mengetragen. Handtaschenformat bringen oder gleich an Ein weiterer Hausbesuch galt kurz nach Ihre Pinnwand heften können. seinem 91. Geburtstag auch dem Düssel- Besonders gut vorbereitet gehen Sie in dorfer Senior-Komponisten Jürg Baur. Mit die Konzerte, wenn Sie vorher den Beitrag dem Blick in seine Kompositionswerkstatt von Dr. Gerd Nauhaus gelesen haben. Als möchten wir eine kleine Reihe eröffnen, in langjähriger Direktor des Robert-Schu- der wir weitere komponierende Kollegen mann-Hauses Zwickau und seit 2006 Vorsit- aus dem Düsseldorfer Raum vorstellen. zender der dortigen Robert-Schumann-Ge- Mit Schumann wünschen wir Ihnen ein sellschaft ist unser Gastautor ein berufener gutes Neues Jahr 2010, dass Sie viel Zeit Schumannkenner und Buchautor. Übrigens finden für seine Musik wie für unsere Zeit- wird eine Gruppe von Musikvereinsmitglie- schrift und dabei dem Musikverein wie im- dern zur Eröffnung des Schumannfestes in mer gewogen bleiben. Zwickau Anfang Juni die Geburtsstadt sei- Herzlichst grüßt Sie nes ehemaligen Musikdirektors besuchen. Ihr NC 1 / 10 3
Robert Schumann Eine Biografie von Dr. Gerd Nauhaus könnten es be- Unser erster Gastautor im Schu- dauern, daß die mannjahr 2010 ist der Musikwis- geplante Selbst- senschaftler Dr. phil. Gerd Nau- biographie Schu- haus. Von 1970-2005 war Dr. Nau- manns unge- haus am Robert-Schumann-Haus schrieben blieb, Zwickau tätig und von 1993-2005 hätte er nicht dessen Direktor. außerdem eine 1986 verlieh ihm die Stadt große Fülle von Zwickau den Robert-Schumann- Aufzeichnungen Preis, von 1993 - 2002 war er Mit- Dr. Gerd Nauhaus über sein Leben glied des Sächsischen Kulturse- in Form von Tagebüchern (einschließ- nats. Seit 2006 ist Dr. Nauhaus lich der gemeinsam mit seiner Frau, der Vorsitzender der Robert-Schu- Pianistin Clara Wieck, geführten „Eheta- mann-Gesellschaft Zwickau e.V. gebücher“, 1840–1844), Reisenotizen, Vorweg Ausgaben- bzw. Haushaltsbüchern so- wie mehrerer autobiographischer Skiz- Im Jahre 1846, während einer längeren zen (darunter ein für die Promotion zum gesundheitlichen Krise, die ihn an seiner Dr. phil. an der Universität Jena ausge- kompositorischen Arbeit hinderte, fasste arbeitetes „Curriculum vitae“, 1840) und Robert Schumann den Plan, seine Le- weiterer Erinnerungshefte der verschie- bensgeschichte aufzuzeichnen. Dieses densten Art hinterlassen. Diese Doku- Vorhaben wurde ebenso wenig verwirk- mente gestatten einen fast lückenlosen licht wie kurz darauf das Projekt einer Er- Überblick über Schumanns Leben und zählung mit autobiographischen Zügen, Schaffen und bieten interessante Ein- in die Schumanns frühere Gedichte und blicke in die Zeit seiner Kindheit und Ju- musikalischen Aufsätze verwoben sein gend wie seiner teils widersprüchlichen sollten. Die Aufsatzsammlung kam – je- künstlerischen Entwicklung. doch ohne poetischen Rahmen – noch zu Schumanns Lebzeiten zustande und Zwickauer Kinder- und Schuljahre erschien als „Gesammelte Schriften über Musik und Musiker“ im Frühjahr Robert Schumann kam als fünftes 1854 in 4 Bänden bei Georg Wigand in und letztes Kind wohlhabender Eltern Leipzig. Sie legt Zeugnis davon ab, dass in Zwickau zur Welt, wohin die Familie Schumann unter den Komponisten des wenige Jahre zuvor aus dem thüringi- 19. Jahrhunderts ganz sicher der „litera- schen Ronneburg zugezogen war. Der rischste“ war, mochten auch Carl Maria Vater August Schumann (1773–1826) von Weber, Hector Berlioz, Franz Liszt hatte sich als Romanschriftsteller und und nicht zuletzt Richard Wagner gleich- Verfasser kaufmännischer Kompendien falls die Feder zu führen wissen. Wir die Mittel zum Aufbau eines Verlagsun- 4 NC 1 / 10
ternehmens erworben und sich mit der Abend-Unterhaltungen“ im Hause der Herausgabe von Lexika und Sammel- Eltern und begann, noch ehe er regu- werken, volkstümlichen Ausgaben deut- läre Unterweisung erhalten hatte, mit scher und ausländischer Klassiker (für dem Komponieren. So entstanden z. B. die er auch selbst aus dem Englischen Lieder, Opernfragmente und eine Verto- übersetzte) und der vielgelesenen „Er- nung des 150. Psalms „mit Orchester“. innerungsblätter für gebildete Stände“ Der Vater verhandelte mit C. M. von We- einen geachteten Namen gemacht. Sein ber, um Robert seine Ausbildung bei ihm Einfluss und seine hohe literarische Bil- fortsetzen zu lassen, doch zerschlug dung waren prägend für Roberts Kinder- sich der Plan durch Webers und August und Schuljahre, so dass er von sich sa- Schumanns Tod im Sommer 1826. gen konnte, es seien ihm schon damals „die bedeutendsten Dichter ziemlich aller Juristerei oder Musik? Länder … geläufig“ gewesen. Es blieb nicht beim passiven Aufnehmen von Li- Das Lyzeum absolvierte Robert Schu- teratur, sondern kam zu eigenen dichte- mann mit dem zweithöchsten Prädikat rischen Versuchen und zur Gründung ei- „omnino dignus“. Hoffnungen auf eine nes literarischen Schülerzirkels, in dem musikalische Karriere sollte er sich Robert den Ton angab. Starken, fortwir- nun aus dem Kopf schlagen, denn die kenden Eindruck hinterließ ihm gegen Mutter (Christiane geb. Schnabel, um Ende der Gymnasialzeit die Lektüre der 1767–1836) und der zum Vormund Werke Jean Pauls. Ihren Stil kopierte er eingesetzte Kaufmann Rudel bestimm- zunächst in seinen romantischen Erzähl- ten ihn zum Studium der Jurisprudenz. fragmenten, sie wirkten aber auch teils Schumann fügte sich ihren Wünschen, direkt-anregend, teils mehr untergründig obwohl wahrscheinlich sein eigentlicher auf sein späteres Komponieren ein, so Lebensplan unter der Fassade träumeri- dass er scherzhaft-überspitzt bekannte, scher Unentschiedenheit bereits Gestalt von „Jean Paul mehr Kontrapunkt ge- anzunehmen begann. Nur so erklärt lernt zu haben als von seinem Theorie- sich die weitgehende Vernachlässigung lehrer“, und beförderten die poetische der juristischen Studien auf den Univer- Qualität seiner musikschriftstellerischen sitäten Leipzig und Heidelberg während Arbeiten. der folgenden zwei Jahre, anstelle derer Auch die Musik war für den Zwickau- sich Schumann immer ernsthafter und er Lateinschüler Schumann von großer, entschlossener der Musik - Klavierspiel wenngleich zunächst nicht allein aus- und Komposition - widmete. schlaggebender Bedeutung. Bei dem Vor Antritt der „Mulusreise“ nach Süd- Organisten von St. Marien, Johann Gott- deutschland hatte Schumann in Leipzig fried Kuntsch, erhielt er Klavierunterricht bei Friedrich Wieck vorgesprochen, der und erwarb sich namentlich eine „große sein Klavierlehrer werden sollte, und Fertigkeit im prima-vista-Spiel“, die ihn war zum ersten Mal dessen damals zur Mitwirkung bei schulischen und öf- neunjähriger Tochter Clara begegnet. fentlichen Aufführungen prädestinierte. Dann ging es nach Bayreuth, wo er auf Er veranstaltete auch „Musikalische den Spuren Jean Pauls wandelte, und NC 1 / 10 5
nach München, wo er Heinrich Heine sich Schumann sein Wissen fortan auf – später einer der bevorzugten Dichter autodidaktischem Wege. seines Liedschaffens – besuchte. In die Pleißestadt zurückgekehrt, begann Musik und/oder Literatur? für den Studenten ein „neues Leben“: Klavierspiel, Kennenlernen guter Musik Zu Beginn der 1830er Jahre erschei- („Franz Schubert und Beethoven gingen nen Schumanns erste gedruckte Wer- mir auf; von Bach dämmerte es“) und ei- ke (Papillons, Toccata, Intermezzi, genes Produzieren füllten einen Großteil Impromptus etc.) und erregen Befrem- seiner Tage. Doch ließ er sich auch in den und Unverständnis, aber auch die das oft feucht-fröhliche Studentenleben Aufmerksamkeit einiger Kenner. Diese und burschenschaftliche Treiben einbe- bleibt der Reihe genialer Klavierwerke ziehen, ohne indes einen Rest kritischer stets erhalten, doch die Masse des Pu- Distanz zu verlieren. Eine Reise in die blikums erreicht Schumann damit eben- Schweiz und nach Oberitalien leitet so wenig wie im folgenden Jahrzehnt Schumanns Heidelberger Zeit (1829/30) mit seinen Liedern. Wie sollte er auch, ein, die mit dem Verkehr im Kreise A. J. geht er doch „als Komponist … vielleicht F. Thibauts einerseits, dem Schlüssel- einen von allen anderen verschiedenen erlebnis der Teilnahme an einem Kon- Weg“, nämlich den einer unerhörten zert Paganinis in Frankfurt andererseits psychologischen Verfeinerung und poe- wichtige musikalische Stimulanzien ent- tischen Vertiefung. Damit erhebt er sich hielt. Wenig später steht der Entschluss, über die meisten Zeitgenossen, eilt er Musiker – Klaviervirtuose – zu werden, der Zeit so weit voraus, dass sich erst so fest, daß sich ihm die Mutter (auch in der zweiten Jahrhunderthälfte allmäh- durch das Votum Wiecks beeinflusst) lich die Kenntnis seiner großen Klavier- nicht länger widersetzt. Schumann geht und Liedzyklen allgemein verbreitet. nach Leipzig zurück. Er ist schon 20 Der 24jährige Schumann findet auch Jahre alt und will sein Ziel rasch – zu seinen, in den nächsten zehn Jahren rasch! – erreichen, verfehlt es aber in- (mit nach und nach abnehmendem folge einer Lähmung der rechten Hand, Elan) betriebenen zweiten Beruf, den zu der übermäßiges und fehlerhaftes des Musikschriftstellers, Redakteurs Üben im Frühjahr 1833 führen. Das und Herausgebers, in dem sich eigene Scheitern des Virtuosenplanes zieht je- Neigung und väterliches (auch durch- doch keinen Schock nach sich, sondern aus merkantiles) Erbe ausdrücken. Sei- setzt eher Kräfte frei, die den jungen ne reiche literarische Bildung und sein Musiker zum Studium der Meister und außergewöhnliches poetisches Talent zum Hervorbringen neuer eigener Kom- prägen den Charakter der „Neuen Zeit- positionen befähigen. Er unterzieht sich schrift für Musik“, die er gemeinsam mit auch für kurze Zeit einem regelrechten Freunden gründet, und lassen ihn sich Kompositionskurs bei dem Leipziger von vergleichbaren Blättern abheben. Kapellmeister Heinrich Dorn, doch fühlt Das Auftauchen der von Schumann sich sein phantasiebestimmtes Schöp- ins Leben gerufenen Davidsbündlerge- fertum dadurch eher eingeengt, erwirbt stalten, deren wichtigste – Florestan, 6 NC 1 / 10
Eusebius und z. T. auch Meister Raro – Spiegelungen von Facetten der eigenen Persönlichkeit sind, gibt dem Journal einen unnachahmlichen Reiz. Ein wei- terer Charakterzug ist der stete Einsatz für das Neue und Zukunftsträchtige bei gleichzeitiger „treuer Verehrung für das Überkommene“ in der Musik. Auf lan- ge Sicht wird die Zeitschrift Schumann dennoch lästig, hindert sie ihn doch am Komponieren, der eigentlich „produkti- ven Tätigkeit“. Clara! Loslösung und Bindung Die folgenden Jahre bis zur Hei- rat mit Clara Wieck 1840 sind wohl die bewegtesten und wichtigsten in Schumanns menschlicher und künst- lerischer Entwicklung. Er setzt die Rei- he der Klavierwerke fort mit den drei Robert Schumann, Wien 1839 Sonaten, den Symphonischen Etü- Lithographie von Joseph Kriehuber den, Kreisleriana und Novelletten. Die Freundschaft und Liebe zu der jungen, Dieser ins Stammbuch schreibt er dann begabten Künstlerin Clara wird zuneh- den „Faschingsschwank aus Wien“ mit menden Belastungen ausgesetzt durch einer Reminiszenz der (in der k. und k. den Widerstand ihres Vaters. Wieck un- Monarchie verbotenen) Marseillaise im terbindet zeitweise jeden Umgang der Walzertakt. 1839/40 kommt es zum Pro- Liebenden und versteht es, Zweifel zu zess mit Wieck, in dem Schumann und säen. In desperater Stimmung schreibt Clara die gerichtliche Erlaubnis zur Ehe- Schumann, sich (wie häufig in seinem schließung erzwingen. Im Februar 1840 Leben) durch Arbeit befreiend, die lei- verleiht die Jenaer Universität Schu- denschaftlich-aufbegehrende C-Dur- mann mit einem ehrenden Diplom den Fantasie. Im Sommer 1837 erneuert philosophischen Doktortitel. Am Tag vor Clara das Versprechen, seine Frau zu Claras 21. Geburtstag heiraten sie und werden, und die nun folgenden heftigen Schumann in der Dorfkirche zu Schöne- Kämpfe mit Wieck werden von beiden feld bei Leipzig. mutig bestanden. Schumann will sich sogar ganz vom bisherigen Wirkungs- Vom Lied zum Oratorium kreis lösen: Für ein halbes Jahr geht er nach Wien, um die Zeitschrift dorthin Noch vor dem günstigen Prozessaus- zu verpflanzen, woran ihn jedoch die gang fühlt Schumann neue Schaffen- österreichische Zensurbehörde hindert. simpulse. 1840 wird sein „Liederjahr“, in NC 1 / 10 7
dem er neben den großen Zyklen und Liederkreisen (nach Heine, Eichendorff, Rückert, Kerner, Chamisso u. a.) die Mehrzahl seiner Sologesänge überhaupt komponiert. In den Jahren 1841/42 eig- net er sich mit geradezu planvoller Be- wusstheit die Genres der Orchester- und Kammermusik (nach vorangegangenen gründlichen Studien der Klassiker) an, schreibt zwei Sinfonien, eine Fantasie für Klavier und Orchester (später zu dem berühmten a-Moll-Klavierkonzert ausgeweitet), drei Streichquartette, ein Klavierquintett (es zählt zu seinen glän- zendsten und erfolgreichsten Werken) und ein Quartett für Klavier und Strei- cher. Was er mit der intimeren Klavier- und Liedkunst nicht erreicht hat, wird mit den „großen Formen“ eher möglich: der Zugang zum breiten Publikum. In der Tat Robert und Clara Schumann 1847 Lithograph J. Hofelich wird die am 31. März 1841 im Leipziger Gewandhaus unter Mendelssohns Lei- tung uraufgeführte „Frühlingssinfonie“ Reise höchst unglücklich abgelaufen, die eine der meistgespielten Kompositionen Schumann nur bis Hamburg mitmachte, Schumanns. Ein gleiches gilt von dem worauf sich die getrennten Ehegatten 1843 vollendeten Oratorium („… nicht in Leipzig und Kopenhagen sehnsüch- für den Beetsaal, sondern für heitere tigen Selbstvorwürfen hingaben? Die Menschen“ geschrieben) „Das Paradies nun angetretene große Russland-Reise und die Peri“ nach einer orientalisieren- von 1844 bringt, obwohl im ganzen ein den Dichtung des Iren Thomas Moore. beträchtlicher künstlerischer und mate- Das Echo dieses schönen, heute zu rieller Gewinn, Schumann auch Demü- wenig bekannten Werkes trug sogar zur tigungen und eine Schwächung seiner Versöhnung zwischen Schumann und Gesundheit ein. Die Diskrepanz zwi- Friedrich Wieck bei. schen dem Komponisten und der durch Hausfrauen- und fast jährlich erneuerte Zwischen Erfolg und Fiasko Mutterpflichten behinderten Interpretin, eine latente Spannungsquelle in der In dieser Phase glücklicher Produkti- sonst so glücklichen Schumannschen vität müssen Schumann die immer drin- Ehe, versucht Clara zu beseitigen und gender werdenden Vorstellungen seiner zugleich ihre eigene Tätigkeit zu legiti- Frau, man möge auf gemeinsame Kon- mieren: Sie ermutigt Schumann, selbst zertreisen gehen, empfindlich irritieren. mehr öffentlich – als Dirigent seiner War nicht bereits 1842 eine Dänemark- Werke – in Erscheinung zu treten. Er tut 8 NC 1 / 10
es mit wechselndem Erfolg – einmal, so zertmeister Franz Schubert regelmäßig 1847 in Wien (die Reise bedeutet auch veranstalteten Kammermusik-Soireen, für Clara ein Fiasko), kühl bis ablehnend in denen viele Schumannsche Werke aufgenommen, dann wieder, wie im glei- aufgeführt wurden. Nur kurzzeitig stand chen Jahr in der Vaterstadt Zwickau an- Schumann dem Männergesangsverein lässich eines Musikfestes ihm zu Ehren, „Dresdner Liedertafel“ vor, desto inten- hoch gefeiert. siver widmete er sich aber dem Anfang 1848 selbstgegründeten „Verein für Dresden Chorgesang“, dessen öffentliche oder halböffentliche Darbietungen zur Be- Nach der Russland-Reise und einer reicherung des Dresdner Musiklebens interimistischen Tätigkeit Schumanns beitrugen und den Komponisten selbst als Lehrer am neugegründeten Leipzi- zu neuem Schaffen anregten. Trotz ger Konservatorium verlegte die kleine schwankender Gesundheit, der er durch Familie (zwei Töchter waren in Leipzig Kuraufenthalte und Erholungsreisen nur geboren worden, ihnen folgten zwei mangelhaft aufhelfen konnte, wurde weitere und vier Söhne!) ihren Wohnsitz Schumann nicht müde im Produzieren Ende 1844 in die sächsische Residenz – vielmehr zeitigten gerade die Dresd- Dresden. Obwohl die Musikstadt Leip- ner Jahre eine staunenswerte Fülle zig Schumanns Werken mehr und mehr und Vielfalt von Werken, die sich, wenn Verständnis entgegenbrachte, war sie nicht in der genialen Ursprünglichkeit, ihm nach Mendelssohns Weggang ver- so doch in der intensiven, tiefsinnigen leidet. Der Zeitschrift hatte er sich bereits Ausarbeitung als ebenso bedeutend entledigt; sie ging an den Musikästheti- wie die früher geschaffenen darstellen. ker Franz Brendel über und öffnete sich Hierzu gehören das in Dresden vollen- bald der „neudeutschen“ Richtung. Mit dete und 1845 uraufgeführte Klavier- dem Ortswechsel befolgte Schumann konzert, die große C-Dur-Sinfonie von auch eine Empfehlung seiner Ärzte und 1845/46, die Klaviertrios von 1847 und erhoffte sich nervliche Kräftigung. Über weitere Kammermusikwerke, die Trias die sechs Jahre des Dresdner Aufent- dramatischer Stoffe – teilweise simultan halts ist Widersprüchliches gesagt wor- geschaffen und in latentem Zusammen- den. Gewiss sehnten sich Robert und hang mit Schumanns Lebensproble- Clara Schumann manchmal nach Leip- matik stehend – der Bühnenmusik zu zig zurück, und Clara spielte dort öfters Byrons „Manfred“, der ein volles Schaf- im Gewandhaus, während das „offiziel- fensjahrzehnt umspannenden „Szenen le“ musikalische Dresden – die Königli- aus Goethes ‚Faust‘“, der nach Vorla- che Kapelle, das Hoftheater – von bei- gen von Tieck und Hebbel gestalteten den wenig Notiz nahm. Doch gab es an- einzigen Oper „Genoveva“. Letztere dererseits reiche Möglichkeiten privater stellt Schumanns wohl ehrgeizigstes Initiative, wie die durch Ferdinand Hiller kompositorisches Vorhaben dar, erzielt ins Leben gerufenen Abonnementskon- aber bei der Leipziger Uraufführung zerte auf der Brühlschen Terrasse und von 1850 nur einen Achtungserfolg. die von Clara Schumann und dem Kon- Mehr Glück hat der Komponist mit so NC 1 / 10 9
liebenswürdig-„kleinformatigen“ Werken wie dem Klavier- und Liederalbum für die Jugend, während seine anspruchs- vollen Goethe-Vertonungen (Lieder und Requiem für Mignon aus „Wilhelm Mei- ster“) wiederum unbemerkt bleiben – al- lerdings erklingt die Schlussszene aus Goethes „Faust II“ zu den Säkularfeiern des Dichters 1849 in Dresden, Leipzig und Weimar (unter Franz Liszt). Zum Dresdner Freundes- und Bekannten- kreis Schumanns gehört neben bilden- den Künstlern wie Eduard Bendemann, Julius Hübner und Ernst Rietschel, Lite- raten wie Robert Reinick, Berthold Auer- bach und Karl Gutzkow sowie den Mu- sikern Reissiger und Hiller auch Richard Wagner, mit dem Schumann sowohl künstlerischen als auch politischen Mei- nungsaustausch pflegt. Denn der Kom- ponist steht den bürgerlich-liberalen Robert und Clara Schumann - Daguerreotypie 1850 Bestrebungen der Zeit aufgeschlossen gegenüber, verhehlt nicht seine Sympa- Musikdirektor wird. Den Anforderungen thien für den „Völkerfrühling“ von 1848, dieses Amtes, das die Leitung eines gro- seine Enttäuschung über das Fehlschla- ßen Chorvereins und eines Orchesters gen eines demokratischen Umbruchs in sowie die Durchführung von zehn Kon- Deutschland, mag er auch selbst ein Re- zerten und mehreren Kirchenmusiken volutionär mehr auf dem angestammten pro Saison einschließt, ist Schumann Felde der Kunst sein. von Anfang an so wenig gewachsen, dass ihm schon nach halbjährigem Auf- Düsseldorf enthalt „Bedenken wegen längeren Blei- bens in Düsseldorf“ kommen. Dabei ist Wenn Schumann im Herbst 1850 die künstlerische und menschliche Atmo- Dresden und seine sächsische Heimat sphäre dort recht günstig, das bürgerli- für immer verlässt, so ist das weniger che Musikleben hat schöne Traditionen auf allgemeinen Überdruss an den dort wie die Niederrheinischen Musikfeste herrschenden Verhältnissen zurückzu- ausgeprägt, das Komitee des Düsseldor- führen, als auf den Wunsch, sich einen fer Musikvereins ist – mit wenigen Aus- festen öffentlichen Wirkungskreis und nahmen – Schumann wohlgesonnen und gesicherte Einnahmen zu verschaffen. sich, ebenso wie das Konzertpublikum, Beides findet er in Düsseldorf, wo er in der Ehre, ein so berühmtes Künstlerpaar der Nachfolge von Mendelssohn, Julius „sein eigen“ zu nennen, durchaus be- Rietz und Ferdinand Hiller Städtischer wusst. Die sich häufenden, jedoch vom 10 NC 1 / 10
Konzertkomitee meist mit großer Nobles- stimmten Schlussworten so etwas wie se zugunsten Schumanns gelösten Kon- Schumanns Vermächtnis: „Schließt, die flikte rühren hauptsächlich von einem ihr zusammengehört, den Kreis fester, Defizit an kommunikativen Fähigkeiten daß die Wahrheit der Kunst immer kla- und dirigentischer Energie her, das der rer leuchte, überall Freude und Segen Komponist entweder nicht selbst be- verbreitend.“ merkt oder – durch Clara verhängnisvoll Solchen hohen Zielen weiß sich die bestärkt – sich nicht einzugestehen wagt. kompositorische Arbeit Schumanns Die tiefere Ursache liegt in dem sich im- gerade auch in der Düsseldorfer Zeit mer mehr ankündigenden Nervenleiden, mit ihren gravierenden persönlichen dessen Auswirkungen sich von Abspan- Problemen und – nicht zu vergessen nung zu tiefer Depression steigern und – der allgemeinen gesellschaftlichen Schumann im Frühjahr 1854 zu seinem Stagnation nach der gescheiterten Selbstmordversuch treiben. Revolution von 1848/49 mehr denn je verpflichtet, und es gelingt ihm ein er- Schaffen in Vielfalt staunlicher Schaffensaufschwung, be- ginnend bereits in der allerersten Zeit Unabhängig von Schumanns Schei- seines dortigen Aufenthalts mit dem tern im praktischen Musikleben, das Violoncellokonzert und der (der Entste- in der Aufgabe seiner Dirigententätig- hung nach letzten) Es-Dur-Sinfonie, der keit im Oktober 1853 gipfelt (formell „Rheinischen“, deren kühne Architektur bleibt er bis Ende 1854 im Amt und vom symbolbefrachteten Eindruck des wird auch dementsprechend hono- Kölner Doms inspiriert ist. Der Öffent- riert), sind seine Absichten und Ziele lichkeitscharakter, den bereits dieses als Musikorganisator hoch einzuschät- großartige Orchesterwerk atmet, setzt zen, was insbesondere die Förderung sich fort in einer Reihe von Balladen- des zeitgenössischen Musikschaffens, kompositionen für Soli, Chor und Or- aber auch die Propagierung vernach- chester nach Dichtungen von Uhland lässigter Großwerke der Vergangen- und Geibel, aber auch in Konzertouver- heit anlangt. So führt Schumann beide türen nach Schillers „Braut von Messi- Bachsche Passionen, mehrere Händel- na“, Goethes „Hermann und Dorothea“ Oratorien sowie Kirchenmusiken von und Shakespeares „Julius Cäsar“. Auch Beethoven, Cherubini und Haydn auf. schreibt Schumann in Düsseldorf ne- Dem Kontakt mit den Jüngeren, Kom- ben hochwertiger Kammermusik wei- ponisten wie Interpreten, ist er stets tere konzertante Werke für Klavier und zugewandt, so dass er dem Freundes- Violine, von denen das zuletzt entstan- kreis mit Albert Dietrich, Joseph Joach- dene Violinkonzert d-Moll allerdings im und Johannes Brahms mit spürbarer exemplarisch das Schicksal vieler die- Freude präsidiert, erblickt er doch hier ser späten Werke Schumanns verkör- die Fortsetzung eigener Bestrebungen. pert: Es wird von Clara Schumann aus Seine letzte schriftstellerische Arbeit, ängstlicher Sorge, dass man ihm Spu- die Würdigung Brahms’ in dem Aufsatz ren der schweren Erkrankung seines „Neue Bahnen“ ist mit ihren hochge- Schöpfers anmerken könne, ganz von NC 1 / 10 11
einer Veröffentlichung ausgeschlossen Endenich - aber nicht das Ende! (Publikation und Uraufführung erfolgen erst 1937!). Manch andere Kompositi- In den Jahren 1852/53 stellt Schu- on der Düsseldorfer Zeit verfällt nach mann eine Sammlung seiner früheren Schumanns Tod der Missachtung und musikalischen Aufsätze und eine An- Fehldeutung, denen die musikwissen- thologie literarischer Zeugnisse über schaftliche Forschung und musikali- Musik („Dichtergarten für Musik“, veröf- sche Interpretationspraxis erst in jüng- fentlicht 2007 durch Gerd Nauhaus und ster Zeit zunehmend entgegentreten. Ingrid Bodsch1) zusammen. Ende 1853 Früher weitgehend unbekannte Kom- unternimmt er zusammen mit Clara eine positionen der Schumannschen Spät- Konzertreise nach Holland, die sich zu zeit sind heute durch Aufführungen einem triumphalen Erfolg gestaltet. An- und Klangaufnahmen wieder präsent fang 1854 reisen beide zu einem Be- geworden und finden ihr Publikum. So such bei Joseph Joachim nach Hanno- wird es möglich, beispielsweise die ver. Mitte Februar 1854 verschlechtert subtile Poesie des Märchen-Oratori- sich Schumanns Gesundheitszustand, ums „Der Rose Pilgerfahrt“ zu würdigen treten quälende Gehörshalluzinationen oder den gefassten Ernst der kirchen- auf und versucht er durch einen Sprung musikalischen Schöpfungen von 1851, in den Rhein am 27. Februar Selbst- der Messe und des Requiems. So kann mord zu begehen. Am 4. März wird er man Unterschiede wie Gemeinsamkei- in die Privatheilanstalt des Dr. Richarz ten der drei großen Violinsonaten (de- nach Endenich bei Bonn gebracht, wo ren dritte, Schumanns letztes Kammer- er nach qualvollen Leiden zweieinhalb musikwerk, sogar erst ein Jahrhundert Jahre später, am 29. Juli 1856, stirbt. nach seinem Tode im Druck erschien) Die Zeit in Endenich lag bisher weit- besser verstehen. So lässt sich die er- gehend im Dunkeln, sieht man von we- greifende Schlichtheit der Kulmann- und nigen Äußerungen der Ärzte oder der Maria-Stuart-Gesänge in Beziehung zum Besuch zugelassenen Personen setzen zu Schumanns „aufwendige- ab. Die Wiederauffindung der Kranken- ren“ früheren Liedkompositionen, wird protokolle (1994) und ihre Veröffentli- die unglaubliche poetische Verdichtung chung (2006, durch Bernhard R. Appel) des Klavierwerks „Gesänge der Frühe“ lässt die ganze Schwere des Krank- als eine kühne, zukunftsweisende Visi- heitsbildes, vermutlich einer progres- on deutlich, und vor allem: Erst aus der siven Paralyse, deutlich werden, das umfassenden Kenntnis von Schumanns dennoch mit „geistiger Umnachtung“ Spätwerk wird deutlich, dass sich hier unzutreffend umschrieben wäre, treten weder ein Abstieg noch ein absolu- doch bis in die letzten Lebenstage im- tes Ende abzeichnen, sondern dass mer wieder Bewusstseinszustände auf, Schumanns Weg – im Sinne der Be- versucht der Kranke auch lange Zeit, titelung des Brahms-Aufsatzes „Neue mittels geistiger Beschäftigung wie Bahnen“ – weitergeführt hätte, wäre er Lektüre seiner Depression wie der Mo- nicht durch ein tragisches persönliches 1 Direktorin StadtMuseum Bonn, Mitherausge- Schicksal abrupt beendet worden. berin des Kalenders zum Schumann-Jahr 2010 12 NC 1 / 10
Literatur Jugendbriefe von Robert Schumann. Nach den Originalen herausgegeben von Clara Schumann, Leipzig 1885 u.ö. Robert Schumanns Briefe. Neue Folge, hg. von F. Gustav Jansen, Leipzig 2.Aufl. 1904 Robert Schumann’s Leben. Aus seinen Briefen geschildert von Hermann Erler, 2 Bde., Berlin 1886 Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, 2 Bde. (Reprint der Erstausgabe von 1854), Leipzig 1985, mit Nachwort von Gerd Nauhaus Dasselbe, vervollständigt und hg. von Martin Kreisig, Leipzig 5.Aufl.1914, 2 Bde. Robert Schumann, Tagebücher (Krit. Gesamtausgabe, enthaltend die Tage- und Haushaltsbücher sowie Ehetagebücher), 3 Bde., hg. von Georg Eismann und Gerd Ehrengrab von Robert und Clara Schumann Nauhaus, Leipzig 1971–1987, Neuauflage Alter Friedhof Bonn Basel/Frankfurt a. M. 1988 Clara und Robert Schumann, Briefwechsel, notonie des äußeren Lebens entgegen- Bd. 1 bis 3, hg. von Eva Weissweiler, zusteuern. Die weitgehend repressi- Basel/Frankfurt a. M. 1984, 1987 und 2001 (Bd. 4 in Vorbereitung) onsfreie Art der ärztlichen Behandlung Wilhelm Joseph von Wasielewski, Robert schließt auch die Isolation des Kranken Schumann. Eine Biographie, Dresden von den nächsten Angehörigen ein, so 1858, 4. Auflage, hg. von Waldemar von dass Clara Schumann ihren Mann erst Wasielewski, Leipzig 1906 in seinen letzten Lebenstagen wieder- Arnfried Edler, Robert Schumann. Sein Leben und seine Zeit, Laaber 3. Aufl 2008 sieht. Robert Schumann, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, hg. von der Robert- Endet Schumanns persönliches Schumann-Gesellschaft Düsseldorf d. Akio Schicksal in tiefer Tragik, so wird sei- Mayeda und Klaus Wolfgang Niemöller in Verbindung mit dem Robert-Schumann- nem künstlerischen Schaffen immer Haus Zwickau, Mainz etc. 1990 ff. mehr Interesse und Zuwendung zuteil, Helmut Loos (Hrsg.), Robert Schumann. je tiefer es in seiner aktivierenden, le- Interpretationen seiner Werke, 2 Bände, benssteigernden Kraft erkannt wird. Die Laaber 2005 so kaum wieder erreichte Verbindung Bernhard R. Appel (Hrsg.), Robert Schumann in Endenich 1854-1856: von Poesie und Intellekt, die seine Mu- Krankenakten, Briefzeugnisse und sik charakterisiert, spricht auch heute zeitgenössische Berichte (= Schumann Interpreten wie Zuhörer unvermindert Forschungen Bd. 11), Mainz etc. 2006 an, was anhand von Konzerten, Mu- Ulrich Tadday (Hrsg.), Schumann Handbuch, Stuttgart/Weimar und Kassel sikfesten und -wettbewerben nicht nur 2006 an Schumanns Lebens- und Wirkungs- Ulrich Tadday (Hrsg.), Der späte orten Zwickau, Leipzig, Dresden, Düs- Schumann, Musik-Konzepte Sonderband seldorf und Bonn, sondern in aller Welt (XI/2006), München 2006 deutlich wird. weiterführende Literatur s. S. 67 NC 1 / 10 13
„Wie Schafe, wie Schafe führt er sie!“ Erfahrungen von Chormitgliedern nach dem Händel-Projekt „Israel in Ägypten“ mit Prof. Frieder Bernius zusammengetragen von Udo Kasprowicz Im Oktober 2009 war Frieder Bernius in Düsseldorf und erarbeitete mit dem Chor des Städt. Musikvereins Händels Oratorium „Israel in Ägypten“. Die Redaktion ging auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Projekt zu und bat nach den drei Konzerten um schriftliche Rückmeldungen zur Veröffentlichung in dieser Zeitschrift. Der Schreibimpuls war bewusst sehr offen gehalten und lautete wie folgt: Prof. Bernius hingegen nahm sich fast 3 Wochen Zeit und arbeitete an 5 Tagen Die letzten Wochen vor dem Hän- mit dem Chor allein und an weiteren 6 Ta- delkonzert wurden von allen Be- gen mit Chor und Orchester gemeinsam, teiligten als sehr anstrengend insgesamt etwa 25 Stunden! Die penible empfunden, auch wenn wir dafür Vorbereitung von Frau Rossetto und die im Konzert mit großem Beifall be- frühzeitige Ankündigung seiner Absicht lohnt worden sind. verraten den Perfektionisten, der nicht auf Uns interessiert, welche Erfah- der Grundlage eines bequemen Kompro- rung Sie neben der zeitlichen und misses konzertiert, sondern hohe künst- körperlichen Belastung aus die- lerische Ansprüche stellt. Wie empfanden ser Phase mitgenommen haben. die Mitwirkenden des Musikvereins diese ungewohnte Konzertvorbereitung? Die letzte Woche vor einem Konzert Die Redaktion wollte sich nicht auf läuft immer nach dem gleichen Muster Pausenkommentare verlassen, son- ab, so dass man geradezu von einem dern hat Zettelchen verteilt, um Raum Ritual sprechen kann: in der Klavierpro- für Betrachtungen zwischen 50 und be am Montag lernt der Chor den Diri- 200 Wörtern zu bieten. genten kennen und präsentiert ihm stolz Unsere Mitsängerinnen und -sänger die Früchte wochenlangen Probens. Je reichten uns kleine musikpädagogische nach dem wie intensiv sich der Dirigent Essays zurück. Ihnen allen gemeinsam mit der Chorleiterin abgestimmt hat, er- ist, dass sie die als kollektive Erfahrung füllen sich seine Erwartungen. Viel Zeit, unterstellte Anstrengung der Proben- um Missverständnisse auszuräumen fülle von sich weisen oder wenigstens oder schwerwiegende Auffassungsun- relativieren. terschiede auszugleichen, bleibt nicht So schreibt Doris Stüttgen: „Mit jedem mehr. In den beiden Orchesterproben Probenbeginn waren für mich ‚zeitliche gehört uns der Chef nur halb. Und dann und körperliche Belastungen` verges- wird´s ernst! sen.“ 14 NC 1 / 10
Renate Heinzig-Keith und Johannes Eine gewinnbringende `kostenlose Ge- Keith pflichten ihr bei: „Nein, nicht alle sangsschulung.‘ (Stimme aus dem Alt) haben die Vorbereitung und die Kon- „Die Vermittlung von rhetorischem zerte als anstrengend empfunden. Wir Singen, deutlichen Akzentuierungen, a zumindest waren einfach in erhöhter cappella Einstudierungen und bildhaf- Aufnahmebereitschaft.“ Allerdings ge- tem Singen gefiel mir sehr“ (Todt) stehen die beiden zu, dass „der zeitli- Mit „a cappella“ fällt ein Stichwort, che und physische Aufwand für die voll zu dem Christof Wirtz weiter ausholt: berufstätigen Sängerinnen und Sänger „Beachtenswert aber auch lehrreich enorm (war) (…) Vermutlich mussten und „neu“ empfand ich, dass fehler- auch Angehörige besänftigt werden.“ hafte Teile nicht immer wieder mit Kla- Die von beiden besonders gewürdig- vierbegleitung wiederholt, sondern die te engagierte Mitarbeit des Chores ist eigentliche Ursache des Mangels ge- nach Jochen Schink auch ein Verdienst sucht und dem Chor erklärt und nahe von Prof. Bernius: „Angenehm über- gebracht wurde. Für zukünftige Proben rascht war ich dann von seiner Geduld würde ich mir wünschen, dass der Chor und seinen didaktischen Fähigkeiten.“ des Öfteren a cappella singen würde Als ein „Mammutprogramm“ emp- und die einzelnen Stimmen noch viel fand das Konzert auch Ulrich Viehoff. mehr ein Gespür für den Klang zu- und „(Es) war“ - so fährt er fort - „nur zu untereinander entwickeln könnten. ertragen, weil wir sehr viel über Aus- Man läuft Gefahr, sich zu sehr an die druck und Textverständlichkeit gelernt Stütze des Instrumentes (Klavier) zu haben…“ gewöhnen. Dass diese Methode auch Diesen Aspekt betont auch Angelika bei einem Chor mit über 100 Sängern Liedhegener, wenn sie als Erfahrung durchführbar ist, hat uns Herr Prof. Ber- aus den Berniusproben „natürliche Um- nius bei den Proben bewiesen.“ setzung von Sprache im Singen, Beto- Diese Methode, die sich nicht allein nungen und Artikulation“ aufzählt. darin erschöpft, Herrn Kaufmann eine Genau davon waren Christof Wirtz, Pause zu gönnen, beobachtete Jochen eine Altistin1 und Georg Todt fasziniert: Schink genau: „Bernius´ Ansatz, nicht „Er (Bernius) verstand es ausgezeich- nur über betonte/unbetonte Silben zu net während der Chorproben auf die In- gehen, sondern auch über die Vokalfär- tonation, also die Feinabstimmung von bung (hell – dunkel, offen – geschlos- Tonhöhen, Lautstärke und Klangfarbe sen), half dem Chor nicht nur bei der zu achten und dem Chor durch viele Ausdruckskraft, sondern auch bei der praktische Beispiele des Vorsingens Intonation.“ Der Gewinn dieser Pro- das rhetorische Singen nahe zu brin- benarbeit weist seiner Meinung nach gen.“ (Wirtz) weit über das aktuelle Konzert hinaus: „Seine bis ins kleinste gehende Ein- „Wenn man die hier gelernten Dinge studierung war überaus lehrreich in dauerhaft umsetzt, hat man viel ge- puncto Textvermittlung, Phrasierung, lernt!“ Vokalansatz und Ensemblesingen uvm. Ein Satz unserer ungenannten Altistin lässt uns aufhorchen: „Der Erfolg der 1 Name der Red. bekannt NC 1 / 10 15
Aufführung ist nicht zuletzt der intensi- Dirigenten: „(E)s (war) sicherlich gut, ven und unnachgiebigen Probenarbeit dass der Konzertermin feststand, sonst von Prof Bernius zu verdanken.“ würden wir wahrscheinlich noch heute Waren nicht der Chor und Frau Ros- proben. Das ist das Los der Perfektio- setto überzeugt, sich, von Kleinigkeiten nisten. Im Übrigen verfährt er vermut- abgesehen, aufführungsreif zu präsen- lich nach dem Motto 150% fordern, um tieren? 80% zu bekommen.“ Wenn die Chorleiterin und die Sänger Allen Stellungnahmen ist die große und Sängerinnen nach monatelanger Freude über den Erfolg des Konzertes Probenarbeit hier irrten, stünde unser zu entnehmen, wenngleich die Erfah- Selbstverständnis als semiprofessio- rungen mit Bernius als Dirigent uns vor neller Konzertchor auf dem Spiel. der Aufführung etwas verzagen ließen. Angelika Liedhegener legt den Finger Angelika Liedhegener vermerkt lako- in die Wunde: „In 40jähriger Chorerfah- nisch: „Selbständigkeit wurde gestärkt rung erlebt man in gewisser Weise im- durch mangelnde Einsätze des Diri- mer wieder, dass letztlich offenbar die genten bzw. ungenaue Schlagführung.“ Abstimmung zwischen Chorleitung und Ulrich Viehoff bekennt: „Ich war über ltd. Dirigenten nicht eins zu eins trans- meine eigene Leistung sehr erstaunt, portiert werden. kann. Dieses Erlebnis so dass ich mehr Vertrauen in meine ist mehr oder weniger schmerzlich und Mitarbeit gefunden habe.“ dabei neben den Akteuren auch abhän- Bei allen Unterschieden in der Wahr- gig vom Schwierigkeitsgrad des Wer- nehmung von Einzelheiten waren sich kes bzw. seiner Interpretation.“ alle Beteiligten einig, dass die Konzerte Axel Gülich äußert sich zu dieser für den Chor ein großer Erfolg gewesen Erfahrung frei von jeder Resignation: sind. Einige Male klingt verhalten an, „Nur hätte ich mir gewünscht, dass alle was Doris Stüttgen in die Worte fasst: die Feinheiten, die uns vom Dirigenten „Schade, dass wir nicht erfahren ha- „eingeschliffen“ wurden, bereits vorher ben, mit welchem „Gefühl“ Herr Bernius mit unserer Chorleiterin abgesprochen zurück nach Stuttgart gefahren ist.“ worden wären. Dann hätte es nicht zu Überlassen wir den Keiths und Axel dem Aufwand an Proben (…) kommen Gülich das letzte Wort, dem zumindest müssen (…).Dass wir „geschliffen“ die Redaktion nichts hinzuzufügen hat: wurden, hat dem Konzert und unserer „Nach dem Konzert ist vor dem Kon- Leistung gut getan. Mehr Konzentration zert. Das Tolle ist diese ständige Neu- bei der Probe in den einzelnen Stimm- ausrichtung. Die Erfahrung aus dieser lagen, das vom Dirigenten Vorgegebe- Zeit ist eigentlich keine neue: Aus Liebe ne umzusetzen, hätte sicherlich zu we- zur Musik und um ein gutes Konzerter- niger Anspannung geführt.“ lebnis zu erreichen, auf das man stolz Eine andere Antwort auf die Frage, ob sein kann, sind wir alle bereit zu Ein- wir denn nicht ausreichend vorbereitet schränkungen und Belastungen.“ gewesen sind, geben Renate Hein- Und: zig-Keith und Johannes Keith. Ihrer „Für all das sind wir da und haben uns Meinung nach lag es am Naturell des dazu verpflichtet.“ 16 NC 1 / 10
G. F. Händels „Israel in Ägypten“ Eine abschließende Nachlese zu den Aufführungen des Oratoriums am 30.10., 1. und 2.11 2009 in der Tonhallle Düsseldorf von Erich Gelf Die Themen dieser Nachlese: kenlose Information über die musikhistorischen Fakten, er- 1. In unserer Sonderausgabe zum fordert weitere Ausführungen Händeljahr (Nr. 2a/2009) haben wir zur Rezeption des Oratoriums uns bemüht, unseren Leserinnen „Israel in Ägypten“. und Lesern umfassende Informa- tionen zu dem Oratorium „Israel 2. Chronistenpflicht ist es, von in Ägypten“ von Georg Friedrich den letzten Vorbereitungen des Händel und zu dessen Auffüh- Chores auf das Konzert und rung im 3. Abonnementskonzert über die Aufführungen zu be- der Düsseldorfer Symphoniker richten. zu liefern. Diesem Anspruch wird aber das Gebotene nicht voll ge- Die hier gebotene Nachlese ver- recht. Bei Redaktionsschluss un- sucht beiden Intentionen gerecht serer Zeitschrift Ende Juli 2009 zu werden. war nicht vorherzusehen, dass Auch die direkt am Projekt Be- in dem Konzert eine an Men- teiligten dürften nach der Lektüre delssohns Düsseldorfer Auffüh- noch besser verstehen, warum bis rungsversion von 1833 orientier- zuletzt durch Striche, Textverbes- te Fassung rekonstruiert werden serungen oder Rezitativeinschübe würde. Somit konnten wir auf die um die „richtige“ Fassung für ein zur Aufführung gelangte Version besonderes Konzertereignis im in unserer Veröffentlichung nicht „Händels-sohn-Jahr 2009“ gerun- hinreichend vorbereiten. Die lüc- gen wurde. 1. Weitere musikhistorische Fakten selnden Aufführungsbedingungen an. über die Entstehung und Rezep- Um die Erarbeitung einer gültigen Fas- tion der Händelschen Oratorien, sung ging es ihm dabei nicht. unter besonderer Berücksichti- Dies war im übrigen im 18. Jahrhun- gung von „Israel in Egypt“ dert eine häufig angewendete übliche Bearbeitungspraxis.1 Standen die er- Annäherung an die Urfassung forderlichen Instrumente oder Sänge- Georg Friedrich Händels rinnen und Sänger nicht zur Verfügung, reichten die Fähigkeiten der Instrumen- Die Festlegung auf eine bestimmte 1 Zur Entstehung, Uraufführung u. a. siehe: Fassung eines Werkes ist bei Händel Erich Gelf, „Händel – sohn“ – Ein Beitrag zum oft unmöglich. Händel passte seine Händeljahr - Teil 2: Georg Friedrich Händel’s Kompositionen problemlos den wech- „Israel in Egypt“ in „NeueChorszene“ Nr. 2a/09, Seiten 38 ff. NC 1 / 10 17
talisten oder Sänger einschließlich der Nummern und begleitet die Solisten bei Chormitglieder für die Schwierigkeiten zwei weiteren Nummern. In den Teilen der Komposition nicht aus oder aber II und III kürzte oder strich er Chöre waren plötzlich andere Instrumente und fügte Arien aus seinen anderen oder bessere Instrumental- und Vokal- Oratoren ein. Dieser Befund ist durch musiker verfügbar, konnte die Partitur die musikwissenschaftliche Forschung insbesondere von dem Komponisten gesichert.3 selbst geändert werden. Die musikali- „Israel in Egypt“ wurde bald nach schen Kompositionen dieser Zeit sind Händels Tod (1759) inhaltlich von sei- keine autonomen Kunstwerke im spä- nem Schüler John Christoph Smith jun. teren klassischen Sinne, die sich durch (dem Sohn seines Sekretärs J. Ch. Unvergleichlichkeit und Originalität aus- Smith sen.) weiter bearbeitet. Er gilt zeichnen.2 Das erklärt im übrigen auch heute als der Urheber der Rezitativ- die unangefochtene Praxis, in neue Einschübe im zweiten Teil.4 Kompositionen Teile älterer Werke aus Bei Einspielungen auf Datenträgern der eigenen Feder oder von anderen wird fast ausschließlich auf die Erstfas- Komponisten einzuarbeiten. sung bei der Uraufführung am 4. April Die ersten Aufführungen seines Ora- 1739 zurückgegriffen. In öffentlichen toriums „Israel in Egypt“ hatte Händel Konzerten werden allerdings sehr häu- für den 4., 11. und 17. April 1739 und fig nur die Teile II und III dargeboten. den 1. April 1740 vorgesehen. Vermut- In unseren Tagen kann das als Tribut lich, weil die Uraufführung am 4. April an die Hörgewohnheiten des Konzert- nicht den erwünschten Erfolg beim publikums gelten, dem man die 40 breiten Publikum hatte, veränderte Minuten Chorgesang des ersten Tei- Händel sein Werk schon für die beiden les, dem ja noch eineinhalb Stunden folgenden Aufführungen. Er kürzte oder Musik der Teile II und III folgen, nicht strich Chöre und fügte für eine mitwir- „zumuten“ möchte. Bis zur endgültigen kende berühmte Sopranistin vier Arien musikwissenschaftlichen Klärung der ein. Die Aufführung am 1. April 1740 Entstehungsgeschichte von „Israel in ist wahrscheinlich wieder in der Ur- Egypt“ gegen Ende des 20. Jahrhun- aufführungsversion musiziert worden. derts stand - wegen eines Irrtums bei Danach blieb das Werk erst einmal in den Druckausgaben seit dem späten der Schublade. Für Aufführungen in 18. Jahrhundert - gedrucktes Auffüh- den Jahren 1756, 1757 und 1758 über- rungsmaterial für Teil I gar nicht zur arbeitete Händel sein Oratorium noch Verfügung.5 einmal. Er verwarf den ursprünglichen, 3 Annette Landgraf, Halle, Dezember 1999, nur aus Chornummern bestehenden al- Vorwort zum Klavierauszug „Israel in Egypt“ bei ten ersten Teil und stellte einen neuen Bärenreiter Teil I mit Sätzen aus drei anderen eige- 4 Thomas Synofzik, in: Nach dem „Originalma- nuskript“? ... in Göttinger Händel-Beiträge XI, nen Werken zusammen. Darin hat der 2006, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, Chor nur noch eine der insgesamt zwölf Seite 56, dort auch Anm. 29 im Folgenden zitiert 2 Hans Joachim Marx, Händels Oratorien, als: Synofzik Oden und Serenaden, S.XXI ff., Vandenhoeck & 5 siehe auch: Erich Gelf, a.a.O. Seite 42 Sp.2 Ruprecht, Göttingen, 1998 Abs.2 18 NC 1 / 10
Die Druckausgaben von Händels 1765 wurde das Oratorium darum fast „Israel in Egypt“ nur noch in einer zweiteiligen Fassung gegeben.9 Der Erstdruck bei W. Ran- Händel ließ zur Uraufführung am 4. dall, London 1771, enthielt nur diese April 1739 nur für die neu komponier- beiden Teile und auch keine Posau- ten Teile II und III aus seinen Kom- nenstimmen. Auch in der später viel positionsaufzeichnungen (Kompositi- verwendeten, in London bei Samuel onspartitur) von Kopisten eine Auffüh- Arnold 1791 gedruckten Partitur fehl- rungspartitur schreiben. Den ersten ten der erste Teil und zum Erstaunen Teil dirigierte er wahrscheinlich aus auch die Posaunen, während sie sich der Partitur des Funeral Anthems. sonst an das „Händelsche Partiturau- Eine Besonderheit besteht zudem in tograph“ (Kompositionspartitur) der der Mitwirkung von drei Posaunen bei Uraufführung hielt.10 Spätere Druck- diesem Oratorium. Händel verwende- ausgaben - z.B. Simrock, Bonn 1826/ te diese Instrumente außer in „Israel Haslinger, Wien nach 1830/ Novel- in Egypt“ nur noch bei seinen Kom- lo, London 1842/ Schlesinger, Berlin positionen „Saul“ und „Samson“, also 1861- übernahmen diese Irrtümer; zwischen 1739 und 1741. In diesem ebenso die von Felix Mendelssohn Zeitraum weilten vermutlich vorüber- Bartholdy 1845 für die Londoner Hän- gehend ausländische Posaunisten in delgesellschaft besorgte Ausgabe des London, während sonst diese Instru- Werkes. Selbst in der alten Leipziger mente nicht zur Verfügung standen.6 7 Händel-Gesamtausgabe von Friedrich Die drei Posaunenstimmen sind nicht Chrysander von 1863 besteht Israel in in die Aufführungspartitur integriert, Ägypten nur aus zwei Teilen. Auf die sondern befinden sich nur im Kompo- dreiteilige Urfassung wird zwar im sitionsexemplar als Anhang.8 Vorwort verwiesen, der originale erste So fanden sich nach seinem Tode Teil wurde aber nicht veröffentlicht.11 in der gut zu lesenden Aufführungs- Damit war eine Aufführungsversion partitur nur die Teile II und III. Die festgeschrieben, die Händel so weder Posaunenstimmen blieben ebenfalls vorgesehen noch je aufgeführt hatte. zunächst unentdeckt, offenbar weil Die Posaunenstimmen werden von niemand sich die Mühe machte, sich Chrysander allerdings 1863 erstmals durch die Kompositionspartitur in der gedruckt, worauf er im Vorwort beson- Handschrift Händels zu quälen. Seit ders hinweist.12 6 Mitgeteilt von Till Reinighaus - ohne Quellen- angabe - im Booklet zu den beiden CDs mit G. F. Händel, Israel in Egypt, unter Leitung von 9 Hans Joachim Marx, Händels Oratorien, Oden Holger Speck, Aufnahme 2008, Carus-Verlag und Serenaden, 1998, Vandenhoeck & Rup- 83.423 recht, Göttingen, Seite 105, Absatz 3 7 Auch bei Hans Joachim Marx, a.a.O, S.XXXI, 10 Synofzik, a. a. O., Seite 251 Fußn. 61 11 G. F. Händel’s Werke, Lieferung XVI, Israel in 8 G. F. Händel’s Werke, Lieferung XVI, Israel in Ägypten. Ausgabe der Deutschen Händelgesell- Ägypten. Ausgabe der Deutschen Händelgesell- schaft, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1863: Vorwort schaft, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1863: Vorwort von Friedrich Chrysander, Absatz 1 von Friedrich Chrysander, Absatz 3 12 wie Fußnote 6 NC 1 / 10 19
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