NEUE CHOR SZENE - Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Landeshauptstadt Düsseldorf 1/10

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NEUE CHOR SZENE - Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Landeshauptstadt Düsseldorf 1/10
NEUE
                              CHOR
                              SZENE

Zeitschrift des
Städtischen Musikvereins
zu Düsseldorf e.V.
Konzertchor der
Landeshauptstadt Düsseldorf   1/10    12
NEUE CHOR SZENE - Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Landeshauptstadt Düsseldorf 1/10
NEUE                               Inhaltsverzeichnis 1/10
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                                                                                               7. Jahrgang
CHORSZENE                                                                                     Januar 2010

Editorial                                                                              Georg Lauer          3
Robert Schumann
Eine Biografie                                                                  Dr. Gerd Nauhaus            4
„Wie Schafe, wie Schafe führt er sie“
Erfahrungen von Chormitgliedern nach dem Händel-
Projekt „Israel in Ägypten“ mit Prof. Frieder Bernius                            Udo Kasprowicz 14
G. F. Händels „Israel in Ägypten“
Eine abschließende Nachlese zu den Aufführungen
des Oratoriums in der Tonhallle Düsseldorf                                                 Erich Gelf 17
Den Damen und Herren des Düsseldorfer Musikvereins
Ein Schlusswort zum Händelprojekt 2009                                       Prof. Frieder Bernius 34
Editha Hackspiel: Ein Portrait
aus dem Leben der Düsseldorfer Künstlerin                                              Georg Lauer 37
„Was täten die armen Komponisten, wenn sie keiner spielt“
Zu Besuch bei Jürg Baur                                                          Jens D. Billerbeck 46
Niels Wilhelm Gades Dänische Chorsinfonik
Selten gehörte Chorwerke                                                 Dr. Thomas Ostermann 50
Unterwegs an Rhein und Neckar Bericht über
die Kulturreise von Musikvereinsmitgliedern                       Christa Terhedebrügge-Eiling 54
Neologismen…und was dahintersteckt!
Vom „Händelssohn“ zum „Linsengericht“                                             Udo Kasprowicz 61
Erkrather wird Düsseldorfer des Jahres
centert.tv ehrt MV-Vorsitzenden Manfred Hill                                     Jens D. Billerbeck 64
Termine, Termine …Vorschau auf die
Konzerte mit dem Städtischen Musikverein im Schumannjahr 2010                                             66
Literatur                                                                                             67/68

 Impressum / Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V.
 Herausgeber: Geschäftsstelle Ehrenhof 1 - 40479 Düsseldorf
 E-Mail:     info@musikverein-duesseldorf.de /
 Internet: www.musikverein-duesseldorf.de
 V.i.S.d.P.: Georg Lauer - g.lauer@musikverein-duesseldorf.de
 Redaktion: Jens D. Billerbeck, Erich Gelf, Georg Lauer,
             Udo Kasprowicz, Dr. Thomas Ostermann, Konstanze Richter
 Titelbild: Schumann-Geburtshaus Zwickau - Schumannhaus Bonn-Endenich -
             Tonhalle Düsseldorf
 Textbilder: Städtischer Musikverein, Internet
 ISSN-Nr.: 1861-261X / Erscheineinungsweise: halbjährlich
 Druck:      Druckerei Preuß GmbH - Ratingen
 Hinweis: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Nachdruck
            - auch auszugsweise - oder sonstige Vervielfältigung nur mit schriftl. Genehmigung der Redaktion.

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Editorial
                                                          von Georg Lauer
  Liebe Leserinnen und Leser!                       Wenn Sie bereits das
                                                 nebenstehende Inhaltsver-
   Willkommen im Schumannjahr 2010!              zeichnis überflogen haben,
Weltweit wird in diesem Jahr an Robert           wundern Sie sich vielleicht,
Schumann erinnert, der von 1850 bis 1854         dass wir dem Händel-Mendelssohn-Jahr
Düsseldorfs 6. Städtischer Musikdirektor         2009 noch einmal eine Rückschau widmen.
war. In den „Schumannstädten“ Zwickau,           Das werden am Ende nicht nur die Leserin-
Bonn, Düsseldorf - Geburts-, Sterbe- und         nen und Leser nachvollziehen können, die
Musik-Haus schmücken diesmal unser Ti-           im Herbst 2009 die Tonhallen-Aufführungen
telblatt - und auch andernorts sind die Vor-     des Oratoriums „Israel in Ägypten“ erlebt
bereitungen zum Abschluss gekommen und           haben. Dabei freut es uns besonders, dass
die Festprogramme veröffentlicht. Noch           sich auch Prof. Frieder Bernius noch einmal
ausführlicher als zum 150. Todestag vor 4        zu Wort gemeldet hat.
Jahren werden die Konzertprgramme alles             Einer anderen großen Künstlerin, der wir
bieten, was Schumann je zu Papier ge-            im letzten Jahr besonders oft in der Tonhal-
bracht hat. Düsseldorf hat sich da nicht we-     le begegnet sind, galt unser Besuch und
niger vorgenommen, als alles: „Der ganze         die Aufzeichnung des dabei geführten Ge-
Schumann“ soll es sein! Die Werke werden         sprächs. „Aus Liebe zur Musik“, so hat sie
sich von Januar bis Dezember um den Kern         - in gleicher Intention wie der Musikverein
des eigentlichen Schumannfestes vom              seine Chronikbücher 1988 und 2001 - ihr
28.05. bis 14.06.2010 legen, dabei werden        jüngstes Buch überschrieben, das sie vor
Sie in Düsseldorf „Weltklassik“ erleben!         Weihnachten veröffentlichte. Editha Hack-
   Welche Beiträge aus Schumanns Chor-           spiel, von ihr ist die Rede, hat darin die bes-
musikschaffen der Musikverein dabei zu be-       ten Düsseldorfer Musikerbilder ihres über
streiten hat, entnehmen Sie am besten dem        60 Jahre währenden, stets von Musik be-
dieser Zeitschrift beiliegenden Faltblatt, das   gleiteten künstlerischen Schaffens zusam-
Sie mit ein paar geschickten Griffen auf         mengetragen.
Handtaschenformat bringen oder gleich an             Ein weiterer Hausbesuch galt kurz nach
Ihre Pinnwand heften können.                     seinem 91. Geburtstag auch dem Düssel-
   Besonders gut vorbereitet gehen Sie in        dorfer Senior-Komponisten Jürg Baur. Mit
die Konzerte, wenn Sie vorher den Beitrag        dem Blick in seine Kompositionswerkstatt
von Dr. Gerd Nauhaus gelesen haben. Als          möchten wir eine kleine Reihe eröffnen, in
langjähriger Direktor des Robert-Schu-           der wir weitere komponierende Kollegen
mann-Hauses Zwickau und seit 2006 Vorsit-        aus dem Düsseldorfer Raum vorstellen.
zender der dortigen Robert-Schumann-Ge-              Mit Schumann wünschen wir Ihnen ein
sellschaft ist unser Gastautor ein berufener     gutes Neues Jahr 2010, dass Sie viel Zeit
Schumannkenner und Buchautor. Übrigens           finden für seine Musik wie für unsere Zeit-
wird eine Gruppe von Musikvereinsmitglie-        schrift und dabei dem Musikverein wie im-
dern zur Eröffnung des Schumannfestes in         mer gewogen bleiben.
Zwickau Anfang Juni die Geburtsstadt sei-          Herzlichst grüßt Sie
nes ehemaligen Musikdirektors besuchen.                               Ihr

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Robert Schumann
Eine Biografie                                                von Dr. Gerd Nauhaus
                                              könnten es be-
     Unser erster Gastautor im Schu-          dauern, daß die
    mannjahr 2010 ist der Musikwis-           geplante Selbst-
    senschaftler Dr. phil. Gerd Nau-          biographie Schu-
    haus. Von 1970-2005 war Dr. Nau-          manns        unge-
    haus am Robert-Schumann-Haus              schrieben blieb,
    Zwickau tätig und von 1993-2005           hätte er nicht
    dessen Direktor.                          außerdem eine
     1986 verlieh ihm die Stadt               große Fülle von
    Zwickau den Robert-Schumann-              Aufzeichnungen
    Preis, von 1993 - 2002 war er Mit-                                Dr. Gerd Nauhaus
                                              über sein Leben
    glied des Sächsischen Kulturse-
                                              in Form von Tagebüchern (einschließ-
    nats. Seit 2006 ist Dr. Nauhaus
                                              lich der gemeinsam mit seiner Frau, der
    Vorsitzender der Robert-Schu-
                                              Pianistin Clara Wieck, geführten „Eheta-
    mann-Gesellschaft Zwickau e.V.
                                              gebücher“, 1840–1844), Reisenotizen,
    Vorweg                                    Ausgaben- bzw. Haushaltsbüchern so-
                                              wie mehrerer autobiographischer Skiz-
   Im Jahre 1846, während einer längeren      zen (darunter ein für die Promotion zum
gesundheitlichen Krise, die ihn an seiner     Dr. phil. an der Universität Jena ausge-
kompositorischen Arbeit hinderte, fasste      arbeitetes „Curriculum vitae“, 1840) und
Robert Schumann den Plan, seine Le-           weiterer Erinnerungshefte der verschie-
bensgeschichte aufzuzeichnen. Dieses          densten Art hinterlassen. Diese Doku-
Vorhaben wurde ebenso wenig verwirk-          mente gestatten einen fast lückenlosen
licht wie kurz darauf das Projekt einer Er-   Überblick über Schumanns Leben und
zählung mit autobiographischen Zügen,         Schaffen und bieten interessante Ein-
in die Schumanns frühere Gedichte und         blicke in die Zeit seiner Kindheit und Ju-
musikalischen Aufsätze verwoben sein          gend wie seiner teils widersprüchlichen
sollten. Die Aufsatzsammlung kam – je-        künstlerischen Entwicklung.
doch ohne poetischen Rahmen – noch
zu Schumanns Lebzeiten zustande und             Zwickauer Kinder- und Schuljahre
erschien als „Gesammelte Schriften
über Musik und Musiker“ im Frühjahr             Robert Schumann kam als fünftes
1854 in 4 Bänden bei Georg Wigand in          und letztes Kind wohlhabender Eltern
Leipzig. Sie legt Zeugnis davon ab, dass      in Zwickau zur Welt, wohin die Familie
Schumann unter den Komponisten des            wenige Jahre zuvor aus dem thüringi-
19. Jahrhunderts ganz sicher der „litera-     schen Ronneburg zugezogen war. Der
rischste“ war, mochten auch Carl Maria        Vater August Schumann (1773–1826)
von Weber, Hector Berlioz, Franz Liszt        hatte sich als Romanschriftsteller und
und nicht zuletzt Richard Wagner gleich-      Verfasser kaufmännischer Kompendien
falls die Feder zu führen wissen. Wir         die Mittel zum Aufbau eines Verlagsun-

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ternehmens erworben und sich mit der          Abend-Unterhaltungen“ im Hause der
Herausgabe von Lexika und Sammel-             Eltern und begann, noch ehe er regu-
werken, volkstümlichen Ausgaben deut-         läre Unterweisung erhalten hatte, mit
scher und ausländischer Klassiker (für        dem Komponieren. So entstanden z. B.
die er auch selbst aus dem Englischen         Lieder, Opernfragmente und eine Verto-
übersetzte) und der vielgelesenen „Er-        nung des 150. Psalms „mit Orchester“.
innerungsblätter für gebildete Stände“        Der Vater verhandelte mit C. M. von We-
einen geachteten Namen gemacht. Sein          ber, um Robert seine Ausbildung bei ihm
Einfluss und seine hohe literarische Bil-     fortsetzen zu lassen, doch zerschlug
dung waren prägend für Roberts Kinder-        sich der Plan durch Webers und August
und Schuljahre, so dass er von sich sa-       Schumanns Tod im Sommer 1826.
gen konnte, es seien ihm schon damals
„die bedeutendsten Dichter ziemlich aller       Juristerei oder Musik?
Länder … geläufig“ gewesen. Es blieb
nicht beim passiven Aufnehmen von Li-            Das Lyzeum absolvierte Robert Schu-
teratur, sondern kam zu eigenen dichte-       mann mit dem zweithöchsten Prädikat
rischen Versuchen und zur Gründung ei-        „omnino dignus“. Hoffnungen auf eine
nes literarischen Schülerzirkels, in dem      musikalische Karriere sollte er sich
Robert den Ton angab. Starken, fortwir-       nun aus dem Kopf schlagen, denn die
kenden Eindruck hinterließ ihm gegen          Mutter (Christiane geb. Schnabel, um
Ende der Gymnasialzeit die Lektüre der        1767–1836) und der zum Vormund
Werke Jean Pauls. Ihren Stil kopierte er      eingesetzte Kaufmann Rudel bestimm-
zunächst in seinen romantischen Erzähl-       ten ihn zum Studium der Jurisprudenz.
fragmenten, sie wirkten aber auch teils       Schumann fügte sich ihren Wünschen,
direkt-anregend, teils mehr untergründig      obwohl wahrscheinlich sein eigentlicher
auf sein späteres Komponieren ein, so         Lebensplan unter der Fassade träumeri-
dass er scherzhaft-überspitzt bekannte,       scher Unentschiedenheit bereits Gestalt
von „Jean Paul mehr Kontrapunkt ge-           anzunehmen begann. Nur so erklärt
lernt zu haben als von seinem Theorie-        sich die weitgehende Vernachlässigung
lehrer“, und beförderten die poetische        der juristischen Studien auf den Univer-
Qualität seiner musikschriftstellerischen     sitäten Leipzig und Heidelberg während
Arbeiten.                                     der folgenden zwei Jahre, anstelle derer
   Auch die Musik war für den Zwickau-        sich Schumann immer ernsthafter und
er Lateinschüler Schumann von großer,         entschlossener der Musik - Klavierspiel
wenngleich zunächst nicht allein aus-         und Komposition - widmete.
schlaggebender Bedeutung. Bei dem                Vor Antritt der „Mulusreise“ nach Süd-
Organisten von St. Marien, Johann Gott-       deutschland hatte Schumann in Leipzig
fried Kuntsch, erhielt er Klavierunterricht   bei Friedrich Wieck vorgesprochen, der
und erwarb sich namentlich eine „große        sein Klavierlehrer werden sollte, und
Fertigkeit im prima-vista-Spiel“, die ihn     war zum ersten Mal dessen damals
zur Mitwirkung bei schulischen und öf-        neunjähriger Tochter Clara begegnet.
fentlichen Aufführungen prädestinierte.       Dann ging es nach Bayreuth, wo er auf
Er veranstaltete auch „Musikalische           den Spuren Jean Pauls wandelte, und

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nach München, wo er Heinrich Heine          sich Schumann sein Wissen fortan auf
– später einer der bevorzugten Dichter      autodidaktischem Wege.
seines Liedschaffens – besuchte. In
die Pleißestadt zurückgekehrt, begann        Musik und/oder Literatur?
für den Studenten ein „neues Leben“:
Klavierspiel, Kennenlernen guter Musik         Zu Beginn der 1830er Jahre erschei-
(„Franz Schubert und Beethoven gingen       nen Schumanns erste gedruckte Wer-
mir auf; von Bach dämmerte es“) und ei-     ke (Papillons, Toccata, Intermezzi,
genes Produzieren füllten einen Großteil    Impromptus etc.) und erregen Befrem-
seiner Tage. Doch ließ er sich auch in      den und Unverständnis, aber auch die
das oft feucht-fröhliche Studentenleben     Aufmerksamkeit einiger Kenner. Diese
und burschenschaftliche Treiben einbe-      bleibt der Reihe genialer Klavierwerke
ziehen, ohne indes einen Rest kritischer    stets erhalten, doch die Masse des Pu-
Distanz zu verlieren. Eine Reise in die     blikums erreicht Schumann damit eben-
Schweiz und nach Oberitalien leitet         so wenig wie im folgenden Jahrzehnt
Schumanns Heidelberger Zeit (1829/30)       mit seinen Liedern. Wie sollte er auch,
ein, die mit dem Verkehr im Kreise A. J.    geht er doch „als Komponist … vielleicht
F. Thibauts einerseits, dem Schlüssel-      einen von allen anderen verschiedenen
erlebnis der Teilnahme an einem Kon-        Weg“, nämlich den einer unerhörten
zert Paganinis in Frankfurt andererseits    psychologischen Verfeinerung und poe-
wichtige musikalische Stimulanzien ent-     tischen Vertiefung. Damit erhebt er sich
hielt. Wenig später steht der Entschluss,   über die meisten Zeitgenossen, eilt er
Musiker – Klaviervirtuose – zu werden,      der Zeit so weit voraus, dass sich erst
so fest, daß sich ihm die Mutter (auch      in der zweiten Jahrhunderthälfte allmäh-
durch das Votum Wiecks beeinflusst)         lich die Kenntnis seiner großen Klavier-
nicht länger widersetzt. Schumann geht      und Liedzyklen allgemein verbreitet.
nach Leipzig zurück. Er ist schon 20           Der 24jährige Schumann findet auch
Jahre alt und will sein Ziel rasch – zu     seinen, in den nächsten zehn Jahren
rasch! – erreichen, verfehlt es aber in-    (mit nach und nach abnehmendem
folge einer Lähmung der rechten Hand,       Elan) betriebenen zweiten Beruf, den
zu der übermäßiges und fehlerhaftes         des Musikschriftstellers, Redakteurs
Üben im Frühjahr 1833 führen. Das           und Herausgebers, in dem sich eigene
Scheitern des Virtuosenplanes zieht je-     Neigung und väterliches (auch durch-
doch keinen Schock nach sich, sondern       aus merkantiles) Erbe ausdrücken. Sei-
setzt eher Kräfte frei, die den jungen      ne reiche literarische Bildung und sein
Musiker zum Studium der Meister und         außergewöhnliches poetisches Talent
zum Hervorbringen neuer eigener Kom-        prägen den Charakter der „Neuen Zeit-
positionen befähigen. Er unterzieht sich    schrift für Musik“, die er gemeinsam mit
auch für kurze Zeit einem regelrechten      Freunden gründet, und lassen ihn sich
Kompositionskurs bei dem Leipziger          von vergleichbaren Blättern abheben.
Kapellmeister Heinrich Dorn, doch fühlt     Das Auftauchen der von Schumann
sich sein phantasiebestimmtes Schöp-        ins Leben gerufenen Davidsbündlerge-
fertum dadurch eher eingeengt, erwirbt      stalten, deren wichtigste – Florestan,

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Eusebius und z. T. auch Meister Raro –
Spiegelungen von Facetten der eigenen
Persönlichkeit sind, gibt dem Journal
einen unnachahmlichen Reiz. Ein wei-
terer Charakterzug ist der stete Einsatz
für das Neue und Zukunftsträchtige bei
gleichzeitiger „treuer Verehrung für das
Überkommene“ in der Musik. Auf lan-
ge Sicht wird die Zeitschrift Schumann
dennoch lästig, hindert sie ihn doch am
Komponieren, der eigentlich „produkti-
ven Tätigkeit“.

 Clara! Loslösung und Bindung

  Die folgenden Jahre bis zur Hei-
rat mit Clara Wieck 1840 sind wohl
die bewegtesten und wichtigsten in
Schumanns menschlicher und künst-
lerischer Entwicklung. Er setzt die Rei-
he der Klavierwerke fort mit den drei          Robert Schumann, Wien 1839
Sonaten, den Symphonischen Etü-                Lithographie von Joseph Kriehuber
den, Kreisleriana und Novelletten. Die
Freundschaft und Liebe zu der jungen,      Dieser ins Stammbuch schreibt er dann
begabten Künstlerin Clara wird zuneh-      den „Faschingsschwank aus Wien“ mit
menden Belastungen ausgesetzt durch        einer Reminiszenz der (in der k. und k.
den Widerstand ihres Vaters. Wieck un-     Monarchie verbotenen) Marseillaise im
terbindet zeitweise jeden Umgang der       Walzertakt. 1839/40 kommt es zum Pro-
Liebenden und versteht es, Zweifel zu      zess mit Wieck, in dem Schumann und
säen. In desperater Stimmung schreibt      Clara die gerichtliche Erlaubnis zur Ehe-
Schumann, sich (wie häufig in seinem       schließung erzwingen. Im Februar 1840
Leben) durch Arbeit befreiend, die lei-    verleiht die Jenaer Universität Schu-
denschaftlich-aufbegehrende      C-Dur-    mann mit einem ehrenden Diplom den
Fantasie. Im Sommer 1837 erneuert          philosophischen Doktortitel. Am Tag vor
Clara das Versprechen, seine Frau zu       Claras 21. Geburtstag heiraten sie und
werden, und die nun folgenden heftigen     Schumann in der Dorfkirche zu Schöne-
Kämpfe mit Wieck werden von beiden         feld bei Leipzig.
mutig bestanden. Schumann will sich
sogar ganz vom bisherigen Wirkungs-          Vom Lied zum Oratorium
kreis lösen: Für ein halbes Jahr geht er
nach Wien, um die Zeitschrift dorthin        Noch vor dem günstigen Prozessaus-
zu verpflanzen, woran ihn jedoch die       gang fühlt Schumann neue Schaffen-
österreichische Zensurbehörde hindert.     simpulse. 1840 wird sein „Liederjahr“, in

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dem er neben den großen Zyklen und
Liederkreisen (nach Heine, Eichendorff,
Rückert, Kerner, Chamisso u. a.) die
Mehrzahl seiner Sologesänge überhaupt
komponiert. In den Jahren 1841/42 eig-
net er sich mit geradezu planvoller Be-
wusstheit die Genres der Orchester- und
Kammermusik (nach vorangegangenen
gründlichen Studien der Klassiker) an,
schreibt zwei Sinfonien, eine Fantasie
für Klavier und Orchester (später zu
dem berühmten a-Moll-Klavierkonzert
ausgeweitet), drei Streichquartette, ein
Klavierquintett (es zählt zu seinen glän-
zendsten und erfolgreichsten Werken)
und ein Quartett für Klavier und Strei-
cher. Was er mit der intimeren Klavier-
und Liedkunst nicht erreicht hat, wird mit
den „großen Formen“ eher möglich: der
Zugang zum breiten Publikum. In der Tat           Robert und Clara Schumann 1847
                                                  Lithograph J. Hofelich
wird die am 31. März 1841 im Leipziger
Gewandhaus unter Mendelssohns Lei-
tung uraufgeführte „Frühlingssinfonie“       Reise höchst unglücklich abgelaufen, die
eine der meistgespielten Kompositionen       Schumann nur bis Hamburg mitmachte,
Schumanns. Ein gleiches gilt von dem         worauf sich die getrennten Ehegatten
1843 vollendeten Oratorium („… nicht         in Leipzig und Kopenhagen sehnsüch-
für den Beetsaal, sondern für heitere        tigen Selbstvorwürfen hingaben? Die
Menschen“ geschrieben) „Das Paradies         nun angetretene große Russland-Reise
und die Peri“ nach einer orientalisieren-    von 1844 bringt, obwohl im ganzen ein
den Dichtung des Iren Thomas Moore.          beträchtlicher künstlerischer und mate-
Das Echo dieses schönen, heute zu            rieller Gewinn, Schumann auch Demü-
wenig bekannten Werkes trug sogar zur        tigungen und eine Schwächung seiner
Versöhnung zwischen Schumann und             Gesundheit ein. Die Diskrepanz zwi-
Friedrich Wieck bei.                         schen dem Komponisten und der durch
                                             Hausfrauen- und fast jährlich erneuerte
    Zwischen Erfolg und Fiasko               Mutterpflichten behinderten Interpretin,
                                             eine latente Spannungsquelle in der
   In dieser Phase glücklicher Produkti-     sonst so glücklichen Schumannschen
vität müssen Schumann die immer drin-        Ehe, versucht Clara zu beseitigen und
gender werdenden Vorstellungen seiner        zugleich ihre eigene Tätigkeit zu legiti-
Frau, man möge auf gemeinsame Kon-           mieren: Sie ermutigt Schumann, selbst
zertreisen gehen, empfindlich irritieren.    mehr öffentlich – als Dirigent seiner
War nicht bereits 1842 eine Dänemark-        Werke – in Erscheinung zu treten. Er tut

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es mit wechselndem Erfolg – einmal, so          zertmeister Franz Schubert regelmäßig
1847 in Wien (die Reise bedeutet auch           veranstalteten Kammermusik-Soireen,
für Clara ein Fiasko), kühl bis ablehnend       in denen viele Schumannsche Werke
aufgenommen, dann wieder, wie im glei-          aufgeführt wurden. Nur kurzzeitig stand
chen Jahr in der Vaterstadt Zwickau an-         Schumann dem Männergesangsverein
lässich eines Musikfestes ihm zu Ehren,         „Dresdner Liedertafel“ vor, desto inten-
hoch gefeiert.                                  siver widmete er sich aber dem Anfang
                                                1848 selbstgegründeten „Verein für
  Dresden                                       Chorgesang“, dessen öffentliche oder
                                                halböffentliche Darbietungen zur Be-
  Nach der Russland-Reise und einer             reicherung des Dresdner Musiklebens
interimistischen Tätigkeit Schumanns            beitrugen und den Komponisten selbst
als Lehrer am neugegründeten Leipzi-            zu neuem Schaffen anregten. Trotz
ger Konservatorium verlegte die kleine          schwankender Gesundheit, der er durch
Familie (zwei Töchter waren in Leipzig          Kuraufenthalte und Erholungsreisen nur
geboren worden, ihnen folgten zwei              mangelhaft aufhelfen konnte, wurde
weitere und vier Söhne!) ihren Wohnsitz         Schumann nicht müde im Produzieren
Ende 1844 in die sächsische Residenz            – vielmehr zeitigten gerade die Dresd-
Dresden. Obwohl die Musikstadt Leip-            ner Jahre eine staunenswerte Fülle
zig Schumanns Werken mehr und mehr              und Vielfalt von Werken, die sich, wenn
Verständnis entgegenbrachte, war sie            nicht in der genialen Ursprünglichkeit,
ihm nach Mendelssohns Weggang ver-              so doch in der intensiven, tiefsinnigen
leidet. Der Zeitschrift hatte er sich bereits   Ausarbeitung als ebenso bedeutend
entledigt; sie ging an den Musikästheti-        wie die früher geschaffenen darstellen.
ker Franz Brendel über und öffnete sich         Hierzu gehören das in Dresden vollen-
bald der „neudeutschen“ Richtung. Mit           dete und 1845 uraufgeführte Klavier-
dem Ortswechsel befolgte Schumann               konzert, die große C-Dur-Sinfonie von
auch eine Empfehlung seiner Ärzte und           1845/46, die Klaviertrios von 1847 und
erhoffte sich nervliche Kräftigung. Über        weitere Kammermusikwerke, die Trias
die sechs Jahre des Dresdner Aufent-            dramatischer Stoffe – teilweise simultan
halts ist Widersprüchliches gesagt wor-         geschaffen und in latentem Zusammen-
den. Gewiss sehnten sich Robert und             hang mit Schumanns Lebensproble-
Clara Schumann manchmal nach Leip-              matik stehend – der Bühnenmusik zu
zig zurück, und Clara spielte dort öfters       Byrons „Manfred“, der ein volles Schaf-
im Gewandhaus, während das „offiziel-           fensjahrzehnt umspannenden „Szenen
le“ musikalische Dresden – die Königli-         aus Goethes ‚Faust‘“, der nach Vorla-
che Kapelle, das Hoftheater – von bei-          gen von Tieck und Hebbel gestalteten
den wenig Notiz nahm. Doch gab es an-           einzigen Oper „Genoveva“. Letztere
dererseits reiche Möglichkeiten privater        stellt Schumanns wohl ehrgeizigstes
Initiative, wie die durch Ferdinand Hiller      kompositorisches Vorhaben dar, erzielt
ins Leben gerufenen Abonnementskon-             aber bei der Leipziger Uraufführung
zerte auf der Brühlschen Terrasse und           von 1850 nur einen Achtungserfolg.
die von Clara Schumann und dem Kon-             Mehr Glück hat der Komponist mit so

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liebenswürdig-„kleinformatigen“ Werken
wie dem Klavier- und Liederalbum für
die Jugend, während seine anspruchs-
vollen Goethe-Vertonungen (Lieder und
Requiem für Mignon aus „Wilhelm Mei-
ster“) wiederum unbemerkt bleiben – al-
lerdings erklingt die Schlussszene aus
Goethes „Faust II“ zu den Säkularfeiern
des Dichters 1849 in Dresden, Leipzig
und Weimar (unter Franz Liszt). Zum
Dresdner Freundes- und Bekannten-
kreis Schumanns gehört neben bilden-
den Künstlern wie Eduard Bendemann,
Julius Hübner und Ernst Rietschel, Lite-
raten wie Robert Reinick, Berthold Auer-
bach und Karl Gutzkow sowie den Mu-
sikern Reissiger und Hiller auch Richard
Wagner, mit dem Schumann sowohl
künstlerischen als auch politischen Mei-
nungsaustausch pflegt. Denn der Kom-
ponist steht den bürgerlich-liberalen      Robert und Clara Schumann - Daguerreotypie 1850
Bestrebungen der Zeit aufgeschlossen
gegenüber, verhehlt nicht seine Sympa-     Musikdirektor wird. Den Anforderungen
thien für den „Völkerfrühling“ von 1848,   dieses Amtes, das die Leitung eines gro-
seine Enttäuschung über das Fehlschla-     ßen Chorvereins und eines Orchesters
gen eines demokratischen Umbruchs in       sowie die Durchführung von zehn Kon-
Deutschland, mag er auch selbst ein Re-    zerten und mehreren Kirchenmusiken
volutionär mehr auf dem angestammten       pro Saison einschließt, ist Schumann
Felde der Kunst sein.                      von Anfang an so wenig gewachsen,
                                           dass ihm schon nach halbjährigem Auf-
 Düsseldorf                                enthalt „Bedenken wegen längeren Blei-
                                           bens in Düsseldorf“ kommen. Dabei ist
  Wenn Schumann im Herbst 1850             die künstlerische und menschliche Atmo-
Dresden und seine sächsische Heimat        sphäre dort recht günstig, das bürgerli-
für immer verlässt, so ist das weniger     che Musikleben hat schöne Traditionen
auf allgemeinen Überdruss an den dort      wie die Niederrheinischen Musikfeste
herrschenden Verhältnissen zurückzu-       ausgeprägt, das Komitee des Düsseldor-
führen, als auf den Wunsch, sich einen     fer Musikvereins ist – mit wenigen Aus-
festen öffentlichen Wirkungskreis und      nahmen – Schumann wohlgesonnen und
gesicherte Einnahmen zu verschaffen.       sich, ebenso wie das Konzertpublikum,
Beides findet er in Düsseldorf, wo er in   der Ehre, ein so berühmtes Künstlerpaar
der Nachfolge von Mendelssohn, Julius      „sein eigen“ zu nennen, durchaus be-
Rietz und Ferdinand Hiller Städtischer     wusst. Die sich häufenden, jedoch vom

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Konzertkomitee meist mit großer Nobles-     stimmten Schlussworten so etwas wie
se zugunsten Schumanns gelösten Kon-        Schumanns Vermächtnis: „Schließt, die
flikte rühren hauptsächlich von einem       ihr zusammengehört, den Kreis fester,
Defizit an kommunikativen Fähigkeiten       daß die Wahrheit der Kunst immer kla-
und dirigentischer Energie her, das der     rer leuchte, überall Freude und Segen
Komponist entweder nicht selbst be-         verbreitend.“
merkt oder – durch Clara verhängnisvoll        Solchen hohen Zielen weiß sich die
bestärkt – sich nicht einzugestehen wagt.   kompositorische Arbeit Schumanns
Die tiefere Ursache liegt in dem sich im-   gerade auch in der Düsseldorfer Zeit
mer mehr ankündigenden Nervenleiden,        mit ihren gravierenden persönlichen
dessen Auswirkungen sich von Abspan-        Problemen und – nicht zu vergessen
nung zu tiefer Depression steigern und      – der allgemeinen gesellschaftlichen
Schumann im Frühjahr 1854 zu seinem         Stagnation nach der gescheiterten
Selbstmordversuch treiben.                  Revolution von 1848/49 mehr denn je
                                            verpflichtet, und es gelingt ihm ein er-
  Schaffen in Vielfalt                      staunlicher Schaffensaufschwung, be-
                                            ginnend bereits in der allerersten Zeit
   Unabhängig von Schumanns Schei-          seines dortigen Aufenthalts mit dem
tern im praktischen Musikleben, das         Violoncellokonzert und der (der Entste-
in der Aufgabe seiner Dirigententätig-      hung nach letzten) Es-Dur-Sinfonie, der
keit im Oktober 1853 gipfelt (formell       „Rheinischen“, deren kühne Architektur
bleibt er bis Ende 1854 im Amt und          vom symbolbefrachteten Eindruck des
wird auch dementsprechend hono-             Kölner Doms inspiriert ist. Der Öffent-
riert), sind seine Absichten und Ziele      lichkeitscharakter, den bereits dieses
als Musikorganisator hoch einzuschät-       großartige Orchesterwerk atmet, setzt
zen, was insbesondere die Förderung         sich fort in einer Reihe von Balladen-
des zeitgenössischen Musikschaffens,        kompositionen für Soli, Chor und Or-
aber auch die Propagierung vernach-         chester nach Dichtungen von Uhland
lässigter Großwerke der Vergangen-          und Geibel, aber auch in Konzertouver-
heit anlangt. So führt Schumann beide       türen nach Schillers „Braut von Messi-
Bachsche Passionen, mehrere Händel-         na“, Goethes „Hermann und Dorothea“
Oratorien sowie Kirchenmusiken von          und Shakespeares „Julius Cäsar“. Auch
Beethoven, Cherubini und Haydn auf.         schreibt Schumann in Düsseldorf ne-
Dem Kontakt mit den Jüngeren, Kom-          ben hochwertiger Kammermusik wei-
ponisten wie Interpreten, ist er stets      tere konzertante Werke für Klavier und
zugewandt, so dass er dem Freundes-         Violine, von denen das zuletzt entstan-
kreis mit Albert Dietrich, Joseph Joach-    dene Violinkonzert d-Moll allerdings
im und Johannes Brahms mit spürbarer        exemplarisch das Schicksal vieler die-
Freude präsidiert, erblickt er doch hier    ser späten Werke Schumanns verkör-
die Fortsetzung eigener Bestrebungen.       pert: Es wird von Clara Schumann aus
Seine letzte schriftstellerische Arbeit,    ängstlicher Sorge, dass man ihm Spu-
die Würdigung Brahms’ in dem Aufsatz        ren der schweren Erkrankung seines
„Neue Bahnen“ ist mit ihren hochge-         Schöpfers anmerken könne, ganz von

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einer Veröffentlichung ausgeschlossen        Endenich - aber nicht das Ende!
(Publikation und Uraufführung erfolgen
erst 1937!). Manch andere Kompositi-         In den Jahren 1852/53 stellt Schu-
on der Düsseldorfer Zeit verfällt nach     mann eine Sammlung seiner früheren
Schumanns Tod der Missachtung und          musikalischen Aufsätze und eine An-
Fehldeutung, denen die musikwissen-        thologie literarischer Zeugnisse über
schaftliche Forschung und musikali-        Musik („Dichtergarten für Musik“, veröf-
sche Interpretationspraxis erst in jüng-   fentlicht 2007 durch Gerd Nauhaus und
ster Zeit zunehmend entgegentreten.        Ingrid Bodsch1) zusammen. Ende 1853
   Früher weitgehend unbekannte Kom-       unternimmt er zusammen mit Clara eine
positionen der Schumannschen Spät-         Konzertreise nach Holland, die sich zu
zeit sind heute durch Aufführungen         einem triumphalen Erfolg gestaltet. An-
und Klangaufnahmen wieder präsent          fang 1854 reisen beide zu einem Be-
geworden und finden ihr Publikum. So       such bei Joseph Joachim nach Hanno-
wird es möglich, beispielsweise die        ver. Mitte Februar 1854 verschlechtert
subtile Poesie des Märchen-Oratori-        sich Schumanns Gesundheitszustand,
ums „Der Rose Pilgerfahrt“ zu würdigen     treten quälende Gehörshalluzinationen
oder den gefassten Ernst der kirchen-      auf und versucht er durch einen Sprung
musikalischen Schöpfungen von 1851,        in den Rhein am 27. Februar Selbst-
der Messe und des Requiems. So kann        mord zu begehen. Am 4. März wird er
man Unterschiede wie Gemeinsamkei-         in die Privatheilanstalt des Dr. Richarz
ten der drei großen Violinsonaten (de-     nach Endenich bei Bonn gebracht, wo
ren dritte, Schumanns letztes Kammer-      er nach qualvollen Leiden zweieinhalb
musikwerk, sogar erst ein Jahrhundert      Jahre später, am 29. Juli 1856, stirbt.
nach seinem Tode im Druck erschien)          Die Zeit in Endenich lag bisher weit-
besser verstehen. So lässt sich die er-    gehend im Dunkeln, sieht man von we-
greifende Schlichtheit der Kulmann- und    nigen Äußerungen der Ärzte oder der
Maria-Stuart-Gesänge in Beziehung          zum Besuch zugelassenen Personen
setzen zu Schumanns „aufwendige-           ab. Die Wiederauffindung der Kranken-
ren“ früheren Liedkompositionen, wird      protokolle (1994) und ihre Veröffentli-
die unglaubliche poetische Verdichtung     chung (2006, durch Bernhard R. Appel)
des Klavierwerks „Gesänge der Frühe“       lässt die ganze Schwere des Krank-
als eine kühne, zukunftsweisende Visi-     heitsbildes, vermutlich einer progres-
on deutlich, und vor allem: Erst aus der   siven Paralyse, deutlich werden, das
umfassenden Kenntnis von Schumanns         dennoch mit „geistiger Umnachtung“
Spätwerk wird deutlich, dass sich hier     unzutreffend umschrieben wäre, treten
weder ein Abstieg noch ein absolu-         doch bis in die letzten Lebenstage im-
tes Ende abzeichnen, sondern dass          mer wieder Bewusstseinszustände auf,
Schumanns Weg – im Sinne der Be-           versucht der Kranke auch lange Zeit,
titelung des Brahms-Aufsatzes „Neue        mittels geistiger Beschäftigung wie
Bahnen“ – weitergeführt hätte, wäre er     Lektüre seiner Depression wie der Mo-
nicht durch ein tragisches persönliches    1 Direktorin StadtMuseum Bonn, Mitherausge-
Schicksal abrupt beendet worden.           berin des Kalenders zum Schumann-Jahr 2010

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Literatur
                                            Jugendbriefe von Robert Schumann. Nach
                                            den Originalen herausgegeben von Clara
                                            Schumann, Leipzig 1885 u.ö.
                                            Robert Schumanns Briefe. Neue Folge, hg.
                                            von F. Gustav Jansen, Leipzig 2.Aufl. 1904
                                            Robert Schumann’s Leben. Aus seinen
                                            Briefen geschildert von Hermann Erler, 2
                                            Bde., Berlin 1886
                                            Robert Schumann, Gesammelte Schriften
                                            über Musik und Musiker, 2 Bde. (Reprint
                                            der Erstausgabe von 1854), Leipzig 1985,
                                            mit Nachwort von Gerd Nauhaus
                                            Dasselbe, vervollständigt und hg. von
                                            Martin Kreisig, Leipzig 5.Aufl.1914, 2 Bde.
                                            Robert Schumann, Tagebücher (Krit.
                                            Gesamtausgabe, enthaltend die Tage- und
                                            Haushaltsbücher sowie Ehetagebücher),
                                            3 Bde., hg. von Georg Eismann und Gerd
 Ehrengrab von Robert und Clara Schumann    Nauhaus, Leipzig 1971–1987, Neuauflage
 Alter Friedhof Bonn                        Basel/Frankfurt a. M. 1988
                                            Clara und Robert Schumann, Briefwechsel,
notonie des äußeren Lebens entgegen-        Bd. 1 bis 3, hg. von Eva Weissweiler,
zusteuern. Die weitgehend repressi-         Basel/Frankfurt a. M. 1984, 1987 und 2001
                                            (Bd. 4 in Vorbereitung)
onsfreie Art der ärztlichen Behandlung
                                            Wilhelm Joseph von Wasielewski, Robert
schließt auch die Isolation des Kranken     Schumann. Eine Biographie, Dresden
von den nächsten Angehörigen ein, so        1858, 4. Auflage, hg. von Waldemar von
dass Clara Schumann ihren Mann erst         Wasielewski, Leipzig 1906
in seinen letzten Lebenstagen wieder-       Arnfried Edler, Robert Schumann. Sein
                                            Leben und seine Zeit, Laaber 3. Aufl 2008
sieht.
                                            Robert Schumann, Neue Ausgabe
                                            sämtlicher Werke, hg. von der Robert-
  Endet Schumanns persönliches              Schumann-Gesellschaft Düsseldorf d. Akio
Schicksal in tiefer Tragik, so wird sei-    Mayeda und Klaus Wolfgang Niemöller in
                                            Verbindung mit dem Robert-Schumann-
nem künstlerischen Schaffen immer           Haus Zwickau, Mainz etc. 1990 ff.
mehr Interesse und Zuwendung zuteil,        Helmut Loos (Hrsg.), Robert Schumann.
je tiefer es in seiner aktivierenden, le-   Interpretationen seiner Werke, 2 Bände,
benssteigernden Kraft erkannt wird. Die     Laaber 2005
so kaum wieder erreichte Verbindung         Bernhard R. Appel (Hrsg.), Robert
                                            Schumann in Endenich 1854-1856:
von Poesie und Intellekt, die seine Mu-     Krankenakten, Briefzeugnisse und
sik charakterisiert, spricht auch heute     zeitgenössische Berichte (= Schumann
Interpreten wie Zuhörer unvermindert        Forschungen Bd. 11), Mainz etc. 2006
an, was anhand von Konzerten, Mu-           Ulrich Tadday (Hrsg.), Schumann
                                            Handbuch, Stuttgart/Weimar und Kassel
sikfesten und -wettbewerben nicht nur       2006
an Schumanns Lebens- und Wirkungs-          Ulrich Tadday (Hrsg.), Der späte
orten Zwickau, Leipzig, Dresden, Düs-       Schumann, Musik-Konzepte Sonderband
seldorf und Bonn, sondern in aller Welt     (XI/2006), München 2006
deutlich wird.                              weiterführende Literatur s. S. 67

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„Wie Schafe, wie Schafe führt er sie!“
Erfahrungen von Chormitgliedern nach dem Händel-Projekt „Israel in Ägypten“
mit Prof. Frieder Bernius               zusammengetragen von Udo Kasprowicz
  Im Oktober 2009 war Frieder Bernius
in Düsseldorf und erarbeitete mit dem
Chor des Städt. Musikvereins Händels
Oratorium „Israel in Ägypten“. Die
Redaktion ging auf Teilnehmerinnen
und Teilnehmer an diesem Projekt
zu und bat nach den drei Konzerten
um schriftliche Rückmeldungen zur
Veröffentlichung in dieser Zeitschrift.
Der Schreibimpuls war bewusst sehr
offen gehalten und lautete wie folgt:         Prof. Bernius hingegen nahm sich fast
                                            3 Wochen Zeit und arbeitete an 5 Tagen
 Die letzten Wochen vor dem Hän-            mit dem Chor allein und an weiteren 6 Ta-
 delkonzert wurden von allen Be-            gen mit Chor und Orchester gemeinsam,
 teiligten als sehr anstrengend             insgesamt etwa 25 Stunden! Die penible
 empfunden, auch wenn wir dafür             Vorbereitung von Frau Rossetto und die
 im Konzert mit großem Beifall be-          frühzeitige Ankündigung seiner Absicht
 lohnt worden sind.                         verraten den Perfektionisten, der nicht auf
 Uns interessiert, welche Erfah-            der Grundlage eines bequemen Kompro-
 rung Sie neben der zeitlichen und          misses konzertiert, sondern hohe künst-
 körperlichen Belastung aus die-            lerische Ansprüche stellt. Wie empfanden
 ser Phase mitgenommen haben.               die Mitwirkenden des Musikvereins diese
                                            ungewohnte Konzertvorbereitung?
Die letzte Woche vor einem Konzert            Die Redaktion wollte sich nicht auf
läuft immer nach dem gleichen Muster        Pausenkommentare verlassen, son-
ab, so dass man geradezu von einem          dern hat Zettelchen verteilt, um Raum
Ritual sprechen kann: in der Klavierpro-    für Betrachtungen zwischen 50 und
be am Montag lernt der Chor den Diri-       200 Wörtern zu bieten.
genten kennen und präsentiert ihm stolz       Unsere Mitsängerinnen und -sänger
die Früchte wochenlangen Probens. Je        reichten uns kleine musikpädagogische
nach dem wie intensiv sich der Dirigent     Essays zurück. Ihnen allen gemeinsam
mit der Chorleiterin abgestimmt hat, er-    ist, dass sie die als kollektive Erfahrung
füllen sich seine Erwartungen. Viel Zeit,   unterstellte Anstrengung der Proben-
um Missverständnisse auszuräumen            fülle von sich weisen oder wenigstens
oder schwerwiegende Auffassungsun-          relativieren.
terschiede auszugleichen, bleibt nicht        So schreibt Doris Stüttgen: „Mit jedem
mehr. In den beiden Orchesterproben         Probenbeginn waren für mich ‚zeitliche
gehört uns der Chef nur halb. Und dann      und körperliche Belastungen` verges-
wird´s ernst!                               sen.“

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Renate Heinzig-Keith und Johannes          Eine gewinnbringende `kostenlose Ge-
Keith pflichten ihr bei: „Nein, nicht alle   sangsschulung.‘ (Stimme aus dem Alt)
haben die Vorbereitung und die Kon-            „Die Vermittlung von rhetorischem
zerte als anstrengend empfunden. Wir         Singen, deutlichen Akzentuierungen, a
zumindest waren einfach in erhöhter          cappella Einstudierungen und bildhaf-
Aufnahmebereitschaft.“ Allerdings ge-        tem Singen gefiel mir sehr“ (Todt)
stehen die beiden zu, dass „der zeitli-        Mit „a cappella“ fällt ein Stichwort,
che und physische Aufwand für die voll       zu dem Christof Wirtz weiter ausholt:
berufstätigen Sängerinnen und Sänger         „Beachtenswert aber auch lehrreich
enorm (war) (…) Vermutlich mussten           und „neu“ empfand ich, dass fehler-
auch Angehörige besänftigt werden.“          hafte Teile nicht immer wieder mit Kla-
  Die von beiden besonders gewürdig-         vierbegleitung wiederholt, sondern die
te engagierte Mitarbeit des Chores ist       eigentliche Ursache des Mangels ge-
nach Jochen Schink auch ein Verdienst        sucht und dem Chor erklärt und nahe
von Prof. Bernius: „Angenehm über-           gebracht wurde. Für zukünftige Proben
rascht war ich dann von seiner Geduld        würde ich mir wünschen, dass der Chor
und seinen didaktischen Fähigkeiten.“        des Öfteren a cappella singen würde
  Als ein „Mammutprogramm“ emp-              und die einzelnen Stimmen noch viel
fand das Konzert auch Ulrich Viehoff.        mehr ein Gespür für den Klang zu- und
„(Es) war“ - so fährt er fort - „nur zu      untereinander entwickeln könnten.
ertragen, weil wir sehr viel über Aus-         Man läuft Gefahr, sich zu sehr an die
druck und Textverständlichkeit gelernt       Stütze des Instrumentes (Klavier) zu
haben…“                                      gewöhnen. Dass diese Methode auch
  Diesen Aspekt betont auch Angelika         bei einem Chor mit über 100 Sängern
Liedhegener, wenn sie als Erfahrung          durchführbar ist, hat uns Herr Prof. Ber-
aus den Berniusproben „natürliche Um-        nius bei den Proben bewiesen.“
setzung von Sprache im Singen, Beto-           Diese Methode, die sich nicht allein
nungen und Artikulation“ aufzählt.           darin erschöpft, Herrn Kaufmann eine
   Genau davon waren Christof Wirtz,         Pause zu gönnen, beobachtete Jochen
eine Altistin1 und Georg Todt fasziniert:    Schink genau: „Bernius´ Ansatz, nicht
  „Er (Bernius) verstand es ausgezeich-      nur über betonte/unbetonte Silben zu
net während der Chorproben auf die In-       gehen, sondern auch über die Vokalfär-
tonation, also die Feinabstimmung von        bung (hell – dunkel, offen – geschlos-
Tonhöhen, Lautstärke und Klangfarbe          sen), half dem Chor nicht nur bei der
zu achten und dem Chor durch viele           Ausdruckskraft, sondern auch bei der
praktische Beispiele des Vorsingens          Intonation.“ Der Gewinn dieser Pro-
das rhetorische Singen nahe zu brin-         benarbeit weist seiner Meinung nach
gen.“ (Wirtz)                                weit über das aktuelle Konzert hinaus:
  „Seine bis ins kleinste gehende Ein-       „Wenn man die hier gelernten Dinge
studierung war überaus lehrreich in          dauerhaft umsetzt, hat man viel ge-
puncto Textvermittlung, Phrasierung,         lernt!“
Vokalansatz und Ensemblesingen uvm.            Ein Satz unserer ungenannten Altistin
                                             lässt uns aufhorchen: „Der Erfolg der
1 Name der Red. bekannt

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Aufführung ist nicht zuletzt der intensi-   Dirigenten: „(E)s (war) sicherlich gut,
ven und unnachgiebigen Probenarbeit         dass der Konzertermin feststand, sonst
von Prof Bernius zu verdanken.“             würden wir wahrscheinlich noch heute
  Waren nicht der Chor und Frau Ros-        proben. Das ist das Los der Perfektio-
setto überzeugt, sich, von Kleinigkeiten    nisten. Im Übrigen verfährt er vermut-
abgesehen, aufführungsreif zu präsen-       lich nach dem Motto 150% fordern, um
tieren?                                     80% zu bekommen.“
  Wenn die Chorleiterin und die Sänger         Allen Stellungnahmen ist die große
und Sängerinnen nach monatelanger           Freude über den Erfolg des Konzertes
Probenarbeit hier irrten, stünde unser      zu entnehmen, wenngleich die Erfah-
Selbstverständnis als semiprofessio-        rungen mit Bernius als Dirigent uns vor
neller Konzertchor auf dem Spiel.           der Aufführung etwas verzagen ließen.
  Angelika Liedhegener legt den Finger      Angelika Liedhegener vermerkt lako-
in die Wunde: „In 40jähriger Chorerfah-     nisch: „Selbständigkeit wurde gestärkt
rung erlebt man in gewisser Weise im-       durch mangelnde Einsätze des Diri-
mer wieder, dass letztlich offenbar die     genten bzw. ungenaue Schlagführung.“
Abstimmung zwischen Chorleitung und         Ulrich Viehoff bekennt: „Ich war über
ltd. Dirigenten nicht eins zu eins trans-   meine eigene Leistung sehr erstaunt,
portiert werden. kann. Dieses Erlebnis      so dass ich mehr Vertrauen in meine
ist mehr oder weniger schmerzlich und       Mitarbeit gefunden habe.“
dabei neben den Akteuren auch abhän-           Bei allen Unterschieden in der Wahr-
gig vom Schwierigkeitsgrad des Wer-         nehmung von Einzelheiten waren sich
kes bzw. seiner Interpretation.“            alle Beteiligten einig, dass die Konzerte
  Axel Gülich äußert sich zu dieser         für den Chor ein großer Erfolg gewesen
Erfahrung frei von jeder Resignation:       sind. Einige Male klingt verhalten an,
„Nur hätte ich mir gewünscht, dass alle     was Doris Stüttgen in die Worte fasst:
die Feinheiten, die uns vom Dirigenten      „Schade, dass wir nicht erfahren ha-
„eingeschliffen“ wurden, bereits vorher     ben, mit welchem „Gefühl“ Herr Bernius
mit unserer Chorleiterin abgesprochen       zurück nach Stuttgart gefahren ist.“
worden wären. Dann hätte es nicht zu           Überlassen wir den Keiths und Axel
dem Aufwand an Proben (…) kommen            Gülich das letzte Wort, dem zumindest
müssen (…).Dass wir „geschliffen“           die Redaktion nichts hinzuzufügen hat:
wurden, hat dem Konzert und unserer            „Nach dem Konzert ist vor dem Kon-
Leistung gut getan. Mehr Konzentration      zert. Das Tolle ist diese ständige Neu-
bei der Probe in den einzelnen Stimm-       ausrichtung. Die Erfahrung aus dieser
lagen, das vom Dirigenten Vorgegebe-        Zeit ist eigentlich keine neue: Aus Liebe
ne umzusetzen, hätte sicherlich zu we-      zur Musik und um ein gutes Konzerter-
niger Anspannung geführt.“                  lebnis zu erreichen, auf das man stolz
  Eine andere Antwort auf die Frage, ob     sein kann, sind wir alle bereit zu Ein-
wir denn nicht ausreichend vorbereitet      schränkungen und Belastungen.“
gewesen sind, geben Renate Hein-               Und:
zig-Keith und Johannes Keith. Ihrer            „Für all das sind wir da und haben uns
Meinung nach lag es am Naturell des         dazu verpflichtet.“

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G. F. Händels „Israel in Ägypten“
Eine abschließende Nachlese zu den Aufführungen des Oratoriums
am 30.10., 1. und 2.11 2009 in der Tonhallle Düsseldorf                von Erich Gelf

   Die Themen dieser Nachlese:                kenlose Information über die
                                              musikhistorischen Fakten, er-
 1. In unserer Sonderausgabe zum              fordert weitere Ausführungen
    Händeljahr (Nr. 2a/2009) haben wir        zur Rezeption des Oratoriums
    uns bemüht, unseren Leserinnen            „Israel in Ägypten“.
    und Lesern umfassende Informa-
    tionen zu dem Oratorium „Israel        2. Chronistenpflicht ist es, von
    in Ägypten“ von Georg Friedrich           den letzten Vorbereitungen des
    Händel und zu dessen Auffüh-              Chores auf das Konzert und
    rung im 3. Abonnementskonzert             über die Aufführungen zu be-
    der Düsseldorfer Symphoniker              richten.
    zu liefern. Diesem Anspruch wird
    aber das Gebotene nicht voll ge-         Die hier gebotene Nachlese ver-
    recht. Bei Redaktionsschluss un-       sucht beiden Intentionen gerecht
    serer Zeitschrift Ende Juli 2009       zu werden.
    war nicht vorherzusehen, dass            Auch die direkt am Projekt Be-
    in dem Konzert eine an Men-            teiligten dürften nach der Lektüre
    delssohns Düsseldorfer Auffüh-         noch besser verstehen, warum bis
    rungsversion von 1833 orientier-       zuletzt durch Striche, Textverbes-
    te Fassung rekonstruiert werden        serungen oder Rezitativeinschübe
    würde. Somit konnten wir auf die       um die „richtige“ Fassung für ein
    zur Aufführung gelangte Version        besonderes Konzertereignis im
    in unserer Veröffentlichung nicht      „Händels-sohn-Jahr 2009“ gerun-
    hinreichend vorbereiten. Die lüc-      gen wurde.

1. Weitere musikhistorische Fakten       selnden Aufführungsbedingungen an.
   über die Entstehung und Rezep-        Um die Erarbeitung einer gültigen Fas-
   tion der Händelschen Oratorien,       sung ging es ihm dabei nicht.
   unter besonderer Berücksichti-          Dies war im übrigen im 18. Jahrhun-
   gung von „Israel in Egypt“            dert eine häufig angewendete übliche
                                         Bearbeitungspraxis.1 Standen die er-
 Annäherung an die Urfassung             forderlichen Instrumente oder Sänge-
 Georg Friedrich Händels                 rinnen und Sänger nicht zur Verfügung,
                                         reichten die Fähigkeiten der Instrumen-
  Die Festlegung auf eine bestimmte
                                         1 Zur Entstehung, Uraufführung u. a. siehe:
Fassung eines Werkes ist bei Händel      Erich Gelf, „Händel – sohn“ – Ein Beitrag zum
oft unmöglich. Händel passte seine       Händeljahr - Teil 2: Georg Friedrich Händel’s
Kompositionen problemlos den wech-       „Israel in Egypt“ in „NeueChorszene“ Nr. 2a/09,
                                         Seiten 38 ff.

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talisten oder Sänger einschließlich der        Nummern und begleitet die Solisten bei
Chormitglieder für die Schwierigkeiten         zwei weiteren Nummern. In den Teilen
der Komposition nicht aus oder aber            II und III kürzte oder strich er Chöre
waren plötzlich andere Instrumente             und fügte Arien aus seinen anderen
oder bessere Instrumental- und Vokal-          Oratoren ein. Dieser Befund ist durch
musiker verfügbar, konnte die Partitur         die musikwissenschaftliche Forschung
insbesondere von dem Komponisten               gesichert.3
selbst geändert werden. Die musikali-            „Israel in Egypt“ wurde bald nach
schen Kompositionen dieser Zeit sind           Händels Tod (1759) inhaltlich von sei-
keine autonomen Kunstwerke im spä-             nem Schüler John Christoph Smith jun.
teren klassischen Sinne, die sich durch        (dem Sohn seines Sekretärs J. Ch.
Unvergleichlichkeit und Originalität aus-      Smith sen.) weiter bearbeitet. Er gilt
zeichnen.2 Das erklärt im übrigen auch         heute als der Urheber der Rezitativ-
die unangefochtene Praxis, in neue             Einschübe im zweiten Teil.4
Kompositionen Teile älterer Werke aus            Bei Einspielungen auf Datenträgern
der eigenen Feder oder von anderen             wird fast ausschließlich auf die Erstfas-
Komponisten einzuarbeiten.                     sung bei der Uraufführung am 4. April
   Die ersten Aufführungen seines Ora-         1739 zurückgegriffen. In öffentlichen
toriums „Israel in Egypt“ hatte Händel         Konzerten werden allerdings sehr häu-
für den 4., 11. und 17. April 1739 und         fig nur die Teile II und III dargeboten.
den 1. April 1740 vorgesehen. Vermut-          In unseren Tagen kann das als Tribut
lich, weil die Uraufführung am 4. April        an die Hörgewohnheiten des Konzert-
nicht den erwünschten Erfolg beim              publikums gelten, dem man die 40
breiten Publikum hatte, veränderte             Minuten Chorgesang des ersten Tei-
Händel sein Werk schon für die beiden          les, dem ja noch eineinhalb Stunden
folgenden Aufführungen. Er kürzte oder         Musik der Teile II und III folgen, nicht
strich Chöre und fügte für eine mitwir-        „zumuten“ möchte. Bis zur endgültigen
kende berühmte Sopranistin vier Arien          musikwissenschaftlichen Klärung der
ein. Die Aufführung am 1. April 1740           Entstehungsgeschichte von „Israel in
ist wahrscheinlich wieder in der Ur-           Egypt“ gegen Ende des 20. Jahrhun-
aufführungsversion musiziert worden.           derts stand - wegen eines Irrtums bei
Danach blieb das Werk erst einmal in           den Druckausgaben seit dem späten
der Schublade. Für Aufführungen in             18. Jahrhundert - gedrucktes Auffüh-
den Jahren 1756, 1757 und 1758 über-           rungsmaterial für Teil I gar nicht zur
arbeitete Händel sein Oratorium noch           Verfügung.5
einmal. Er verwarf den ursprünglichen,         3 Annette Landgraf, Halle, Dezember 1999,
nur aus Chornummern bestehenden al-            Vorwort zum Klavierauszug „Israel in Egypt“ bei
ten ersten Teil und stellte einen neuen        Bärenreiter
Teil I mit Sätzen aus drei anderen eige-       4 Thomas Synofzik, in: Nach dem „Originalma-
                                               nuskript“? ... in Göttinger Händel-Beiträge XI,
nen Werken zusammen. Darin hat der             2006, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen,
Chor nur noch eine der insgesamt zwölf         Seite 56, dort auch Anm. 29 im Folgenden zitiert
2 Hans Joachim Marx, Händels Oratorien,        als: Synofzik
Oden und Serenaden, S.XXI ff., Vandenhoeck &   5 siehe auch: Erich Gelf, a.a.O. Seite 42 Sp.2
Ruprecht, Göttingen, 1998                      Abs.2

18                                     NC 1 / 10
Die Druckausgaben von Händels                     1765 wurde das Oratorium darum fast
  „Israel in Egypt“                                 nur noch in einer zweiteiligen Fassung
                                                    gegeben.9 Der Erstdruck bei W. Ran-
  Händel ließ zur Uraufführung am 4.                dall, London 1771, enthielt nur diese
April 1739 nur für die neu komponier-               beiden Teile und auch keine Posau-
ten Teile II und III aus seinen Kom-                nenstimmen. Auch in der später viel
positionsaufzeichnungen (Kompositi-                 verwendeten, in London bei Samuel
onspartitur) von Kopisten eine Auffüh-              Arnold 1791 gedruckten Partitur fehl-
rungspartitur schreiben. Den ersten                 ten der erste Teil und zum Erstaunen
Teil dirigierte er wahrscheinlich aus               auch die Posaunen, während sie sich
der Partitur des Funeral Anthems.                   sonst an das „Händelsche Partiturau-
  Eine Besonderheit besteht zudem in                tograph“ (Kompositionspartitur) der
der Mitwirkung von drei Posaunen bei                Uraufführung hielt.10 Spätere Druck-
diesem Oratorium. Händel verwende-                  ausgaben - z.B. Simrock, Bonn 1826/
te diese Instrumente außer in „Israel               Haslinger, Wien nach 1830/ Novel-
in Egypt“ nur noch bei seinen Kom-                  lo, London 1842/ Schlesinger, Berlin
positionen „Saul“ und „Samson“, also                1861- übernahmen diese Irrtümer;
zwischen 1739 und 1741. In diesem                   ebenso die von Felix Mendelssohn
Zeitraum weilten vermutlich vorüber-                Bartholdy 1845 für die Londoner Hän-
gehend ausländische Posaunisten in                  delgesellschaft besorgte Ausgabe des
London, während sonst diese Instru-                 Werkes. Selbst in der alten Leipziger
mente nicht zur Verfügung standen.6 7               Händel-Gesamtausgabe von Friedrich
Die drei Posaunenstimmen sind nicht                 Chrysander von 1863 besteht Israel in
in die Aufführungspartitur integriert,              Ägypten nur aus zwei Teilen. Auf die
sondern befinden sich nur im Kompo-                 dreiteilige Urfassung wird zwar im
sitionsexemplar als Anhang.8                        Vorwort verwiesen, der originale erste
  So fanden sich nach seinem Tode                   Teil wurde aber nicht veröffentlicht.11
in der gut zu lesenden Aufführungs-                 Damit war eine Aufführungsversion
partitur nur die Teile II und III. Die              festgeschrieben, die Händel so weder
Posaunenstimmen blieben ebenfalls                   vorgesehen noch je aufgeführt hatte.
zunächst unentdeckt, offenbar weil                  Die Posaunenstimmen werden von
niemand sich die Mühe machte, sich                  Chrysander allerdings 1863 erstmals
durch die Kompositionspartitur in der               gedruckt, worauf er im Vorwort beson-
Handschrift Händels zu quälen. Seit                 ders hinweist.12
6 Mitgeteilt von Till Reinighaus - ohne Quellen-
angabe - im Booklet zu den beiden CDs mit G.
F. Händel, Israel in Egypt, unter Leitung von
                                                    9 Hans Joachim Marx, Händels Oratorien, Oden
Holger Speck, Aufnahme 2008, Carus-Verlag
                                                    und Serenaden, 1998, Vandenhoeck & Rup-
83.423
                                                    recht, Göttingen, Seite 105, Absatz 3
7 Auch bei Hans Joachim Marx, a.a.O, S.XXXI,
                                                    10 Synofzik, a. a. O., Seite 251
Fußn. 61
                                                    11 G. F. Händel’s Werke, Lieferung XVI, Israel in
8 G. F. Händel’s Werke, Lieferung XVI, Israel in
                                                    Ägypten. Ausgabe der Deutschen Händelgesell-
Ägypten. Ausgabe der Deutschen Händelgesell-
                                                    schaft, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1863: Vorwort
schaft, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1863: Vorwort
                                                    von Friedrich Chrysander, Absatz 1
von Friedrich Chrysander, Absatz 3
                                                    12 wie Fußnote 6

                                            NC 1 / 10                                             19
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