Neue Nationalgalerie - Dornbracht
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Stahl 02 Mies Research Konzeption und Redaktion: Therese Mausbach (Leitung), Kaye Geipel und Sebastian Redecke Glas 10 Sebastian Redecke, Kaye Geipel Stein 18 Mitarbeit an dieser Ausgabe: Krysta Brown-Ippach, Josepha Landes, Martin Lutz, Natalie Scholder, Bernhard Schulz, Achim Stiegel, Christoph Tempel, Ian Pepper, Karin Wilhelm, Einbauten in Holz 26 Marie Bruun Yde Garderobe und Bookshop 28 Gestaltung: Double Standards, Berlin Tapete, Teppich, Kassetten 31 Redaktion: Sitzmaschinen 33 Bauwelt Bauverlag BV GmbH Linoleum statt Kunststoff 34 Schlüterstraße 42, D-10707 Berlin Die Neue Nationalgalerie ist der universale Stahl-Glas-Tempel an sich. Im Anker Archiv 35 Telefon: +49 (0) 30 884106-0 Sie steht emblematisch für Klarheit und Eleganz in der Architektur. Die E-Mail: vorname.nachname@bauwelt.de Damen und Herren 36 www.bauwelt.de kraftvollen Grenzerfahrungen ihrer Konstruktion zogen eine Fülle von Die Verwaltung 40 bauhistorischen und architekturphilosophischen Deutungen nach sich, Chefredakteur: Boris Schade-Bünsow Die Tische 42 Stellv. Chefredakteur: Kaye Geipel die seit über fünfzig Jahren faszinieren. Mies van der Rohe wurde mit Die Türen 43 Redaktion: Ulrich Brinkmann, Benedikt Crone, Beatrix dem Berliner Spätwerk von 1968 endgültig zu einem der ganz Großen Die Neue Nationalgalerie und die Flagner, Jan Friedrich, Kirsten Klingbeil, Josepha Landes, Museumsentwürfe 45 der Moderne. Im Rahmen der langjährigen, anspruchsvollen und nun ab- Therese Mausbach, Sebastian Redecke, Florian Thein, Marie Bruun Yde, freie Mitarbeit: Sebastian Spix geschlossenen Instandsetzungsarbeiten durch David Chipperfield Architects, ausgeführt mit zahlreichen Gutachtern, Fachplanern, Fach- Verlag und Herausgeber: Bauverlag BV GmbH firmen und Herstellern, offenbart sich ein umfassender Einblick in die- Postfach 120, D-33311 Gütersloh www.bauverlag.de sen Bau, dem sich dieses Heft widmet. Nach fast zehnjähriger Sichtung, Geschäftsführung: Michael Voss Analyse, Ausführungsplanung und Umsetzung der Arbeiten erklärt sich Koordination: das Gebäude heute anders – komplexer und widersprüchlicher – als es dice communications das Gesamtbild der großen Tempelanlage mit ihren acht stählernen Rainer Homeyer-Wenner Stützen vermuten lässt. Die Details einzelner Bauelemente, des Ausbaus Reproduktion: highlevel GmbH, Berlin und der Ausstattung rücken deutlicher in den Fokus. Das sicherlich Druck: Bösmann Medien und Druck GmbH & Co. KG, Detmold wichtigste Thema der umfangreichen Grundinstandsetzung aber ist die Umschlag: Symbole, Zeichnungsliste, Ausbauverzeichnis, Glasfassade der großen Halle. Die vielfältige Problematik der Original- 1965. Ausschnitte aus einer Kopie des Originalblatts A1, fassade mit Glasbruch, starkem Kondensat-Anfall und Korrosion an der Bleistift auf Transparentpapier, ca. 81 x 112 cm. Mies van der Rohe Archiv. © The Museum of Modern Art, New York/ Pfosten-Riegel-Konstruktion wurde jahrzehntelang diskutiert. Für diese Scala, Florence. spezifische Aufgabe fand man eine Lösung, die die Mängel weitgehend behebt und die vertraute Erscheinung der Halle so wenig wie möglich verändert. Neben dem Umgang mit den großen Glasflächen sind die Sa- Partner nierung der Stahlkonstruktion und der Steinplatten die beiden zentralen Themen in diesem Heft. Aber es wurden auch viele kleine, teilweise von der amerikanischen Bauweise der sechziger Jahre geprägte Details sichtbar. Hierfür mussten Entscheidungen getroffen werden. Sie reichen von den Türgriffen, den nachempfundenen Waschtischen mit speziell angepasster Armatur und den bearbeiteten Möbelvarianten in Braun- eiche furniert bis zum Bouclé-Teppichboden nach traditionellem Muster und den neuen, zuvor nur sehr einfach an Holzlatten angeschraubten Unterdecken der Ausstellungssäle. Alle diese Details wurden damals durch Mies van der Rohe und seinen Assistenten so entschieden. Klare Vorgaben eigentlich, aber es zeigt sich, dass in Berlin nicht immer ent- lang dieser Vorgaben gearbeitet wurde. Manch Erstaunliches förderte die Instandsetzung zutage, und nicht jede Entscheidung aus Chicago konnte ergründet werden. Die Baupläne von Mies van der Rohe, die im MoMA aufbewahrt werden, erwiesen sich, zusammen mit vielen Doku- menten und Protokollen zur Ausführung, als entscheidender Fundus. Im gemeinsamen Kraftakt aller Beteiligten entstand die angemessene ist ein Format der Bauwelt, das in loser Folge erscheint. Lösung. Der Tempel bewahrt seine Aura. Die Auswahl der Themen und Partner erfolgt durch die Redaktion der Bauwelt. Die Ausgabe „Neue Natio- nalgalerie“ erscheint zur Schlüsselübergabe am 30. April 2021. Bauwelt Einblick 1
Wurde langsam Zeit, daß du nach Hause kommst Bernd Cailloux, Das Geschäftsjahr 1968/69 ...man schrieb den 5. April 1967. Mies van der Rohe war aus Chicago konnte das verschweißte Kassettendach in einem abermals siebenstündi- noch einmal nach Westberlin gereist, um eine der aufregendsten Aktionen gen Absenkverfahren auf die schmal profilierten Kreuzstützen und deren mitzuerleben, die im Verlaufe der Realisation seiner Planung einer Galerie obere, zwischengeschaltete Stahlgelenklager aufgelegt werden. In einem des 20. Jahrhunderts am Kemperplatz jetzt vorbereitet wurde. Dem West- späteren Schritt wurde das Dach spritzverzinkt und mattschwarz gestri- berliner Bausenator Rolf Schwedler, seinem Senatsbaudirektor Werner chen. In dieser kaum wahrnehmbaren Verbindung der Stützen mit dem Düttmann und anderen war es nach einigen Versuchen zu Beginn der weit auskragenden Dachkörper mochte jetzt der Eindruck entstehen, als sechziger Jahre gelungen, den seit den fünfziger Jahren mit zahlreichen schwebe dieses kolossal anmutende stählerne Bauteil immer noch über Ehrendoktorwürden bundesdeutscher Technischer Universitäten ausge- dem gläsern geschlossenen, stützenfreien Kubus der oberen Ausstel- zeichneten Architekten für den Neubau des inzwischen Neue Nationalga- lungsebene. Und so glitt das Stahldach-Tragwerk an synchron gesteuer- lerie benannten Ausstellungsbaus unweit der Grenzanlagen zum Ostteil ten hydraulischen Hebewerken in einem mehr als neunstündigen Arbeits- der Stadt zu gewinnen. Schon die Grundsteinlegung 1965 war im Beisein prozess langsam empor. Mies van der Rohes erfolgt und nach zweijähriger Bauzeit stand nun die Tatsächlich ist es dieser performative Akt des Bauens gewesen, der technisch anspruchsvolle Aufrichtung der am Boden montierten großflä- das architektonisch-ästhetische Denken Mies van der Rohes anschaulich chigen Einheit der quadratischen, wabenartige Stahldachkonstruktion an. werden ließ. Es beruhte in den späten Arbeitsjahren auf der Perfektionie- Diese rechtwinklig, modular geformte Dachplatte aus freigelegten Stahl- rung der ästhetischen Ausdeutung jener konstruktiven Potenzen der vollwandträgern sollte jetzt das durchfensterte obere Hallengeschoß des Materialien Stahl und Glas, die er seit den Zwanzigerjahren in einer Archi- circa 50 x 50 Meter großen sogenannten Pavillons abschließen. Und so tektur als „Haut- und Knochenbau“ verwirklicht sehen wollte. glitt an einem kalten, von Schneeschauern durchwirkten Apriltag das etwa In dieser Weise präsentiert sich die Nationalgalerie den Besuchern bis 65 x 65 Meter umfassende, 1,80 Meter hohe und 1260 Tonnen schwere heute als ein Bauwerk, das auf erhöhtem Plateau gleichsam schwerelos Stahldach-Tragwerk an synchron gesteuerten hydraulischen Hebewerken und eigensinnig in sich zu ruhen scheint. Doch allemal überspielt hier der in einem mehr als neunstündigen Arbeitsprozess langsam empor. Mit schöne Schein die konstruktiven und statischen Grundlagen einer Raum- diesem Hebeprozess pendelten sich unterhalb des Dachkörpers die an den figur, die doch die strukturelle Logik eines ausgefeilten Stahlbetonunter- vier Quadratseiten außenliegenden leicht konisch geformten, stählernen baus voraussetzt. Man mag sie vermuten, sobald man die stylobatähnliche acht Kreuzstützen in ihre darunterliegenden Gründungen ein. Schließlich Granitplattform betritt, die oberhalb des umgebenden Straßenniveaus über Text Karin Wilhelm Reflektierter Deckenplan der Ausstellungshalle, Ausschnitt, 1965. Kopie des Originalblatts A13, Bleistift auf Transparent- papier, 81,3 x 111,8 cm. Mies van der Rohe Archiv, Invnr. MR6204.16. © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence. Aufmacherbild Stahl, S. 2-3. © BBR / Marcus Ebener. 4 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 5
Und so glitt das Stahldach-Tragwerk an synchron gesteuerten hydraulischen Hebewerken in einem mehr als neunstün- digen Arbeitsprozess langsam empor. drei Treppenführungen erreicht wird und auf Niveauverschiebungen im Gelände hinweist. Denn unterhalb des zurückgesetzten, über 8,4 Meter hohen lichten Glaskubus‘ befindet sich eine Art Foyer, zu dem man über zwei symmetrisch angelegte Innentreppen hinuntersteigt. Von hier aus öffnen sich die Raumfolgen der axial aufeinander bezogenen Museums- und Ausstellungssäle, denen die unterschiedlichen Funktionsbereiche angelagert sind. So gelangt man schließlich in den über 2000 Quadratmeter umfassenden großen Hauptraum zur Präsentation der Artefakte, der durch freistehende Wände vage definiert wird und mit einer durchgehen- Blick vom Skulpturengarten, 1968. den, in schmale Stahlprofile gefassten Fensterwand den Blick in einen © Reinhard Friedrich / bpk / hortus conclusus freigeben, eben den mit granitumhüllten Betonmauern Zentralarchiv, SMB. eingegrenzten Skulpturengarten. Wie im oberen Pavillon ist es die Materi- alkombination der filigran anmutenden Stahlprofile mit der darin einge- spannten großen Verglasung, die jenen Effekt der Entstofflichung erzeugt, der die konstruktiven, materialintensiven Grundlagen des Gebäudes so blendend überformt. Allein die modular angelegte Reihung der ummantel- Detail eines Stahlpfeilers, 1968. © Reinhard Friedrich / bpk. ten Stahlbetonstützen vor dieser Helligkeitszone des Skulpturengartens geben einen Hinweis auf die bautechnischen Vorgaben, auf dem dieses durchstrukturierte Architekturensemble tatsächlich ruht. Dieser Sachverhalt ist inzwischen durch die nach mehr als fünfzig Jahren notwendig gewordenen, grundlegenden Sanierungsmaßnahmen des Büros David Chipperfield Architects wieder anschaulich geworden. Chipperfield, der seit der Wiederherstellung des Neuen Museums auf der Berliner Muse- umsinsel als eine Art Lordsiegelbewahrer der schönen Schinkeltraditionen Hydraulische Anhebung des Stahldachs, 5. April 1967. © Landesarchiv Berlin, Foto Ludwig Ehlers. 6 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 7
gilt, hatte bereits vor zehn Jahren in einem Interview bekannt, dass ihm Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie ein hoch geschätztes Kulturgut der Moderne sei. Diese Hochachtung begründet derweil den langwierigen, äu- ßerst sensibel angelegten Sanierungsprozess des Gebäudes am heutigen Kulturforum, den das Büro seit 2015 ausführt. In einer Art archäologischer Bestandsaufnahme sind die konstruktiven Strukturen, die Materialverbin- dungen und die daraus resultierenden wirkungsästhetischen Raumkon- Blick vom Skulpturengarten, zeptionen in der radikalen Freilegung des Rohbaus wieder evident. Das November 2018. Untergeschoss, das die Terrasse mit der stützenfreien Stahl-Glashalle © BBR / Thomas Bruns. trägt, enthüllt sich nämlich als robuster Raumkörper, der im Verbund aus Stahlbetonwänden, 105 modular angeordneten Stahlbetonstützen und der darauf aufliegenden Stahlbetonkassettendecke die Stabilität der überein- anderliegenden, quadratischen Geschosse bewehrt. In diesem freigelegten Tragsystem werden jetzt mächtige, monumental anmutende Stahlbeton- pfeiler (1,20 x 1,20 Meter im Querschnitt) augenfällig, die, wie einige Wände, die kreuzförmigen Stahlstützen mit dem scheinbar schwebenden Stahl- dach der oberen Ausstellungsebene aufnehmen. Ihre zu einer Kapitellzone sich ausbreitende Dimensionierung offenbart schließlich die Grundlagen einer Tektonik, die die „zwangsläufig erdgebundene Natur des Bauens“ (Kenneth Frampton) repräsentiert und diese Natur doch in der Szenografie der Leichtigkeit eines Stahlbaus gleich einem Vexierbild überformt. Die Architektur der Neuen Nationalgalerie wird diesen Effekt auch nach den Sanierungsmaßnahmen als Architektonik der umhüllten Leere prägnant repräsentieren. Denn die notwendigen Eingriffe in die Bausubstanz nimmt das Büro Chipperfield sensibel und rücksichtsvoll vor. So müssen die thermisch bedingten Bewegungen der feingliedrigen Stahlprofile für die Glaswände teilweise durch modifizierte Fassadenpfosten aufgenommen werden, aber derart, dass sie „sich optisch nicht von den übrigen Bestandspfosten unter- scheiden.“ (Jochen Schindel) In dieser Wertschätzung der Form, die Mies van der Rohe aus den bautechnischen Eigenarten der Materialien, vorzugs- weise des graphitschwarz gefassten Stahls, komponiert hat, bewahrt das Sanierungskonzept dieses Meisterwerk der Architekturmoderne seine monochrome, kühle Eleganz. 1968 noch einsam auf einem Teilstück der ent- Blick von der Südseite in die trümmerten Nord-Süd-Achsenplanung (1937) gelegen, ragt dieses Ausstel- Halle. © Schnepp Renou. lungsgebäude inzwischen aus der irritierenden Vielstimmigkeit der sie umgebenden Kulturforumsbauten als ein Ort und Zeichen der reflexiven Stille ermutigend heraus. zwangsläufig erdgebundene Natur des Bauens Kenneth Frampton Säule mit Details, Ausschnitt. Schwarzweiß-Kopie des Ori- ginalblatts A18. © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence. 8 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 9
Die Neufassung überzeugt mit einem hohen Grad an Durchsichtigkeit Eines der größten Probleme der Generalinstandsetzung bereitete die weichendes Detail. Durch Reparatur wird eine ganz bestimmte, situations- Stahl-Glas-Konstruktion, die die große Ausstellungshalle umschließt. bedingte Herausforderung konstruktiv gelöst. In der angemessenen Ge- Konstruktiv nicht durchdacht, hatten thermisch bedingte Verformungen staltung eines solchen Details liegt eine besondere architektonische und der Stahlprofile und Kondensat über die Jahre zu Schäden an der originalen ingenieurtechnische Aufgabe – aber die gefundene Lösung lässt sich Substanz geführt, insbesondere der Verglasung. Entstanden ist eine selten verallgemeinern oder wiederholen. Lösung, die bewusst nicht alle Probleme beseitigt, aber die Präsenz der Die Instandsetzung der Metallglas-Fassade der Neuen Nationalgalerie Architektur erhält. Die Details der erneuerten Fassade schreiben das hatte sich zwei wesentlichen Herausforderungen zu stellen. Über die Länge Bauwerk fort. von jeweils fünfzig Metern wies die Bestandsfassade keine Möglichkeit „God is in the details.“ 1 In der Architektur Mies van der Rohes ist das der thermischen Dehnung auf. Zwängungen und Verwerfungen der Stahl- konstruktive Detail Ausdruck eines übergeordneten Systems und be- konstruktion hatten früh zum Bruch der Glasscheiben und deren Aus- zeichnet eine allgemeingültige Lösung. Aufgrund dieses Anspruchs las- tausch gesorgt. Verstärkt wurde das Problem durch die feste Kopplung sen sich Detaillösungen von Mies replizieren, sie bauen auf einer industri- der Fassadeneckpfosten an das Dachtragwerk, dessen Verformungen ellen Logik auf. aufgrund von Windlasten und thermischen Dehnungen unmittelbar in die Aber bereits Paul Rudolph schrieb Anfang der sechziger Jahre, dass die Fassadenkonstruktion weitergeleitet wurden. Hinzu kamen Mängel der zwingende Klarheit der Entwürfe von Mies dadurch erkauft sei, dass Ausführung wie metallurgisch unzureichende Stähle, schlecht ver- bewusst nicht alle Probleme gelöst sind. 2 Und obwohl Mies für die Bau- schweißte Querschnitte einzelner Profile oder eine mit Schmutzeinschlüs- materialien seiner Zeit, Glas und Metall, einen mustergültigen formalen sen versehene, unregelmäßige Lackierung. Bauphysikalisch entsprach die Ausdruck gefunden hatte, stellte John Winter bereits zu Anfang der siebziger Fassade bereits bauzeitlich nicht mehr dem Stand der Technik. Thermisch Jahre enttäuscht fest, dass die handwerkliche Ausführung dem Mythos nicht getrennte Stahlprofile und eine Einfachverglasung führten auch konstruktiver Ehrlichkeit oft nicht gerecht wurde. 3 Mit Ausrufen der Post- zu hohen Heizwärmeverlusten und in den kalten Monaten raumseitig zu moderne schließlich verwies man nicht ohne Häme auf die bald sichtbaren einem hohen Kondensatanfall. Da die Konstruktion keinerlei Luft- und Bauschäden und Mängel.4 Dampfdichtigkeit bot, konnte die Luftfeuchte durch Spalte in die Hohlräu- Wo Verschleiß oder Schäden durch gezielten Eingriff behoben werden, me der Konstruktion dringen, wo sie an den kalten Metallteilen zu Korrosi- entsteht wie im Handwerk ein von der Logik industrieller Produktion ab- on führte. Text Andreas Putz Glaswand der Halle mit Details, Ausschnitt. Schwarzweiß- Kopie des Originalblatts A17. © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence. Aufmacherbild Glas, S. 10-11. © Schnepp Renou. 12 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 13
Die jetzt erfolgte Reparatur der Fassade zeichnet sich dadurch aus, glichen werden. Deren Gesamtschichtdicke beträgt das Dreifache der dass die konstruktiven und bauphysikalischen Mängel des Bestands un- Schichtstärke der Originalfassung, was eine gänzlich unsichtbare Heran- terschiedlich gewichtet wurden und mit Blick auf Gestalt und räumlichen führung der Neubeschichtung an die Altbeschichtung nicht erlaubte. Für Wirkung eine abgewogene Lösung gefunden wurde. Sie zwingt dem die Außenflächen der Fensterprofile stand eine Komplettfreilegung und Bauwerk nicht auf, was nach heutigem Kenntnisstand erforderlich und Neufassung von Beginn an außer Frage, da hier stärkere spätere Überfas- technisch möglich gewesen wäre.5 sungen vorhanden waren. Der im Außenbereich zur Anwendung gekom- Die vier Eckpfosten wurden vom Dachtragwerk entkoppelt, die Bewe- mene Zweikomponenten-Decklack ist für den Pinselauftrag ungeeignet gungen des Dachs neu elastisch aufgenommen. Zur Stabilisierung dieser und wurde, zur Erzielung einer handwerklichen Unregelmäßigkeit, im Pfosten sind im Unterschied zu den Übrigen die Scheiben der jeweils zur Niederdruckverfahren aufgespritzt, so dass die Pinselstruktur der zweiten Ecke benachbarten zwei Felder konstruktiv verklebt und damit statisch Grundierung leicht durchscheint. Die Schäden resultierten aus den Verfor- aussteifend ausgebildet. Jeder dritte Pfosten der Fassadenflächen wurde Die unterschiedlichen Oberflächenbeschichtungen außen und innen ausgetauscht und baulich so ausgebildet, dass Dehnungen ausreichend sind in ihrer Erscheinung sehr ähnlich und der Erstfassung weitgehend mungen der Stahlkonstruktion und sind aufgenommen werden können. Die äußere Geometrie der Bestandspfosten angelehnt. Eine detaillierte Abwägung kann auch in Bezug auf die bauphy- dem Glas nicht anzulasten wurde exakt nachgebildet, so dass der Ersatz auf den ersten Blick nicht sikalischen Probleme der Fassade beobachtet werden. Um die Konden- auffällt. Aber tatsächlich handelt es sich bei den neuen Dehnpfosten um satbildung in den Stahlbauteilen zu verhindern, wurden Glasfalze, Profil- komplexe maschinenbauartige Gebilde, deren Hälften mittels 3D-CNC- füllungen und Bauanschlüsse verdeckt, aber wartungsfähig mit elastischen Fräse jeweils aus einem Stück hergestellt wurden. Für die Aufnahme der Verklebungen, Folieneinsätzen und eigens hergestellten Formstücken Eckpfosten der Halle, innen horizontalen Längendehnung sind die seitlichen Stahlquerschnitte, die als luft- und dampfdicht abgedichtet. Nicht zur Ausführung kam eine Zwei- und außen. Rahmenprofile in Erscheinung treten, gleitfähig gelagert und nicht mehr Scheiben-Isolierverglasung mit thermisch getrennten Profilen, wie sie zur © BBR / Marcus Ebener. fest mit dem tragenden Pfosten-Mittelteil verbunden. In der äußeren Er- Verringerung der Heizenergieverluste untersucht worden war. Diese prag- scheinung zeigt sich dies in äußert schmalen Fugen. Konstruktiv hat dies matische Lösung hätte einen weitgehenden Bestandsverlust mit sich aber zur Folge, dass der Pfosten-Mittelteil nicht mehr seitlich stabilisiert gebracht. Deutlich breitere Profile und eine Verdopplung der Glasreflexion ist. Starke Druckfedern, die verdeckt im Innern der Konstruktion einge- hätten die Ausstellungshalle in ihrer äußeren und inneren räumlichen setzt sind, übernehmen die Aufgabe, die Pfosten elastisch dehnfähig in Wirkung zerstört. Aber der weitgehende Erhalt der originalen Stahlbauteile Mittellage zu halten. und der Verzicht auf eine Isolierverglasung bedingte, das die Halle der Zwar sind die neuen Pfosten nicht ganz so scharfkantig ausgebildet wie aktuellen Energie-Einsparverordnung nicht gerecht und auch weiterhin an die originalen Bauteile, aber runde Profilecken nach den Maßstäben heuti- bestimmten Tagen Kondensat die Scheibeninnenseiten trüben wird. ger Oberflächenlackierung konnten verhindert werden. Wie auch bei den Für die doppelte Lesbarkeit als abgeschlossene, lichte Halle und offener originalen Profilen wurde dafür akzeptiert, dass die Beschichtungsdicke Platz unter der schützenden Dachfläche ist die Leichtigkeit und Transpa- an den Kanten etwas geringer ausfällt und hier frühzeitiger mit Korrosion renz des fast eingehängt wirkenden Raumabschlusses von entscheidender zu rechnen sein wird. Voruntersuchungen hatten nachwiesen, dass alle Bedeutung. Obwohl die neue Verglasung mit 2,7 Zentimetern mehr als bauzeitlich schwarzen Bauteile ursprünglich mit einer mattschwarzen doppelt so stark ist wie die ursprünglichen Weißglasscheiben, überzeugt Sichtfassung in wahrscheinlich zweifachem Farbauftrag gestrichen wa- die notwendige Neufassung mit einem hohen Grad an Durchsichtigkeit. ren. Sowohl auf der Innen- und stärker noch auf der Außenseite war diese Die ursprünglichen Monoscheiben aus Gussglas waren nicht vorgespannt Fassung seit Fertigstellung mehrfach überarbeitet worden. Je nach Aus- und stark bruchgefährdet und wurden im Laufe der Jahre nach und nach gangslage und mit unterschiedlicher Zielsetzung wurden die Oberflächen ausgetauscht. „Die Schäden resultierten aus den Verformungen der Stahl- der Metallelemente der Dachkonstruktion, Stützen, Türen, Zargen, innen- konstruktion und sind dem Glas nicht anzulasten“, so Martin Reichert, der und außenseitigen Fensterprofile im Zuge der Generalinstandsetzung Büroleiter von David Chipperfield Architects. Bereits zur Bauzeit waren die differenziert behandelt. gewünschten Formate von 3,43 Metern (Ausstellungshalle) sowie 3,54 Me- Das ursprüngliche restauratorische Ziel einer vorsichtigen Freilegung tern (Sammlungsgeschoss) in der Breite und 5,40 Metern Höhe nur noch der Originalfassung der innenseitigen Fassadenkonstruktion konnte auf bei einem französischen Hersteller erhältlich gewesen, der noch gezogenes Grund der mangelhaften bauzeitlichen Ausführung des Anstrichs im oberen Glas im Libbey-Owens-Verfahren herstellte. Seit Anfang der sechziger Jahre Bereich der Pfosten nicht erreicht werden. Bei der ausgeführten Neube- setzte sich das von Alastair Pilkington entwickelte Floatglas-Verfahren schichtung wurden die ersten beiden Lagen eines Zweikomponenten- international durch, das einheitliche Glasbandbreiten von nur noch 3,21 Lacks auf Epoxidharzbasis im Niederdruckspritzverfahren aufgetragen. Metern erlaubte. Für die späteren Ersatzverglasungen der großformatigen Es folgte die sichtbare Endbeschichtung des sogenannten Schmiedelacks Flächen musste man daher auf zwei Scheiben mit mittiger silikonversiegelter mittels Pinselauftrag in Anlehnung an die ursprüngliche Oberfläche. Im un- Stoßfuge zurückgreifen. 2018, zum Zeitpunkt der Neuverglasung, konnte teren Teil der verbleibenden Innenpfosten konnte die historische Fassung Verbundsicherheitsglas aus Floatglas-Scheiben in erforderlicher Größe nur freigelegt und durch Retuschen im Übergang zur Neubeschichtung ange- von einem chinesischen Hersteller und Glasveredler bezogen werden, was 14 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 15
Glas aus China einen erheblichen logistischen Aufwand mit sich brachte. Bei der neuen neu entwickelte Form eines Dehnpfostens ersetzt, um zukünftig die vielfach der Gläser von China nach Berlin. Der Glashersteller JinJing aus Zibo in der Verglasung handelt es sich um ein Verbundsicherheitsglas aus teilvorge- aufgetretenen Glasbrüche zu vermeiden. chinesischen Provinz Shangdong konnte dieses Glas über den chinesi- spannten Glasscheiben mit einer steifen, in Scheibenmitte geschweißten Zu Beginn der Fachingenieur-Ausschreibung gab es noch keine Lösung schen Glasveredler NorthGlass aus Tianjin liefern. North Glass übernahm drei Millimeter starken Ionoplast-Zwischenlage. Die vorhandenen Toleran- für die besondere Schwierigkeit der Glasfassade. Die Idee unseres Büros die Verantwortung als Lieferant. Glas aus China für die Ikone von Ludwig zen der Stahlpfosten hatten zur Folge, dass die neuen Scheiben zu einem war, eine Lösung der Glaslieferung zur Auftragsverhandlung gleich mitzulie- Mies van der Rohe. Die Lösung für die Lieferung der überdimensional brei- großen Teil nicht rechtwinklige Einzelanfertigungen sind. Eine erweiterte fern. Die Suche über die großen Hersteller weltweit war zunächst nicht ten Gläser in Originalabmessungen für die Hallenfassade mit 3,43 x 5,40 Senkung der UV-Transmission zum Schutz der Ausstellungsexponate erfolgreich. Die Anzahl der Scheiben, die für dieses relativ kleine Projekt be- und mit 3,54 x 3,85 Metern für die Untergeschoss-Hoffassade war gefunden. wurde aus ästhetischen Gründen nicht verfolgt. Die Reduktion hätte eine nötigt wurden, war viel zu gering. Über Innoverre, einen verhältnismäßig Die Detailarbeit mit David Chipperfield Architects konnte beginnen. Gemäß Beschichtung der Zwischenlage erforderlich gemacht, die als blauviolette kleinen Glashändler, wurde dann doch noch ein, damals wohl der einzige, den Planungsanforderungen lieferte NorthGlass 2018 die großen Scheiben Farbreflexion in Erscheinung getreten wäre. Glashersteller für diese Überbreiten gefunden. In enger Zusammenarbeit als Verbundsicherheitsglas aus zwei teilvorgespannten Gläsern von je 12 Die Erneuerung und Instandsetzung der Metallglas-Fassade der Neuen mit diesem Glashändler wurde ein Angebot aus China eingeholt, inklusive Millimeter Stärke (Gesamtdicke inklusive Interlayer 27 Millimeter) und einem Nationalgalerie drängt sich nicht auf, aber sie ist durchaus sichtbar und eines Qualitätssicherungsprozesses für die Glasqualität und den Transport Gewicht von circa 1,2 Tonnen. lässt sich nachvollziehen. Wie bereits beim Neuen Museum zeichnet sich die Planung von David Chipperfield Architects durch die intensive Arbeit mit dem physischen Material aus, die keine Interpretation des Mies-Entwurf liefert, sondern eine Auseinandersetzung mit der Realität des Baus. Trotz der gegenteiligen Behauptung ähnelt sich die architektonische Intention der Projekte: mehrschichtige, aber stimmige und in sich geschlossene Räume, die in Materialität und Detailgestaltung überzeugen. In beiden Fällen geht diese Absicht mit denkmalpflegerischen Ansprüchen einher, ist aber nicht aus dem Denkmalschutz heraus begründet. Die Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie ist eine Gratwanderung zwi- Eine Ästhetik, die mit dem Kontrast neuer Elemente und der Vielschich- schen Erhaltung und Erneuerung. Die Sanierung der Fassade ist ein wesentli- tigkeit des Fragmentarischen spielt, betont weniger den Alterswert des cher Teil der umfangreichen Baumaßnahmen. Die Ausstellungshalle wird historischen Zeugnisses als den Neuheitswert der Intervention. So stehen von der Glasfassade gefasst, mit weltweit zur heutigen Planungszeit nicht die neugestrichenen Stahlprofile in auffälligem Kontrast zur sichtbar geal- mehr herstellbaren Größen von 3,43 Meter breiten Gläsern. Die maximale pro- terten Bronze der Drehtüren der Haupteingänge. Aber dieses Spiel von Alt duzierbare Größe liegt bei 3,21 Metern. Es musste auch eine Lösung gefunden und Neu, das hier und da in der Neuen Nationalgalerie unaufdringlich werden, wie sich die Fassade nach der Instandsetzung zwängungsfrei in durchscheint, erfolgt beinahe unabsichtlich. Für die Schaffung überzeu- einem definierten Rahmen bei thermischer Dehnung bewegen kann. gender Räume war es hier nicht notwendig, so stark ist noch immer die Aufgrund des nicht zu vermeidenden Kondensats bei einer erneuten Ver- gestalterische Kraft des modernen Bestands. wendung von Einfachglas und den hohen Wärmeverlusten wurde zu Beginn Trotz aller Leere, Stille und Mächtigkeit haftet der Ausstellungshalle kei- der Fassadenplanung die Verwendung einer Zweischeiben-Isoliervergla- ne Last an. Nach einem Moment des Luftholens wird man ungezwungen sung in einer Machbarkeitsstudie untersucht und die jeweiligen Argumente angetrieben zu wandeln. Dass dieser Raum weiterhin so erlebt werden denkmalpflegerisch und technisch gegenübergestellt. Es wurde dann kann, verdankt sich den abgewogenen Entscheidungen der Instandset- entschieden, auch die Sanierung mit Monoglas auszuführen. Mit der Ein- zung. Hier zeigt sich, dass die denkmalpflegerische Erhaltung der Moderne fachverglasung konnte das ursprüngliche Aussehen am besten erhalten kein affirmativer Akt ist. Es geht nicht um geistfreie Nachbildung längst werden. Abgesehen von den noch größeren Produktionsschwierigkeiten vergangener Gedanken, nicht um Revival kurzlebiger Moden. In der Erhaltung von Isolierglasscheiben in diesen Dimensionen hätten sich unweigerlich der Moderne liegt ihre Kritik. Sie ist umso überzeugender, wo sie respektvoll ganz andere denkmalpflegerische Implikationen wie Farbigkeit, Transpa- und unterstützend das Vorgefundene weiterträgt. renz, Reflektion usw. ergeben. Die Verwendung der Isolierglas-Lösung hätte außerdem den Verlust der kompletten Fassadenprofil-Konstruktionen zur Folge gehabt. Der Erhalt der Fassadenkonstruktion war aber denkmalpfle- gerisch ein hohes Ziel. Wegen der Verdopplung der Scheibendicke von ursprünglich 12 auf nunmehr 27 Millimeter musste die Glasleistentiefe aller- dings gekürzt werden. Nur jeder dritte Fassadenpfosten wurde durch eine Die vier Eckpfosten wurden vom Dachtrag- werk entkoppelt, die Bewegungen des Dachs neu elastisch aufgenommen. Text Martin Lutz, Jochen Schindel 1 Whitman, Alden: Mies van der Rohe Dies at 83; Leader of Modern Architecture. In: New Die Stuttgarter Fassadeningenieure von Drees & Sommer, die mit der gesamten Fassaden- York Times (19.08.1969), online: https://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/learning/ Leitdetailplanung beauftragt waren, entwickelten für die Halle der Neuen Nationalgalerie general/onthisday/bday/0327.html. einen speziellen Dehnpfosten. Aufgabe dieses Pfostens ist es, die Bewegungen des Trag- 2 Paul Rudolph: Paul Rudolph. For Perspecta. In: Perspecta 7 (1961), S. 51-64. werks im verdeckt liegenden Bereich seines Profils in einer Dehnfuge aufzunehmen. In die 3 John Winter: Misconceptions about Mies. In: The Architectural Review 151 (1972), S. 69. luft- und dampfdichte Konstruktion sind kleine Federpakete integriert. Sie reagieren auf 4 Charles Jencks: The Language of Post-Modern Architecture, London 1977, S. 16-17. die Verformungen und Rückstellungen. Mit einer 3D-CNC-Fräse wurden die beiden Pfosten- 5 Für die Angaben zur Instandsetzung danke ich Martin Reichert und Michael Freytag von hälften aus einem Stück Vollstahl gefräst und gebohrt. Jede Fassadenseite der Halle verfügt David Chipperfield Architects, sowie Jochen Schindel von Drees & Sommer und Wolfgang über drei neue Dehnpfosten. Frey von ProDenkmal. Detailzeichnung: Jochen Schindel, Drees & Sommer. 16 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 17
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Man konnte hier nicht groß schummeln. Manfred Gebauer Die graue Fläche Granit ist von einer Klarheit, der sich niemand entzie- Die Bodenplatten vom Außen- und Innenbereich der Neuen Nationalgale- hen kann. Sie wird mit ihrer Rasterung als elementarer Teil des Gesamt- rie lassen den Betrachter nicht mehr los, sie bleiben präsent, einheitlich auf werks mit seiner vollkommenen konstruktiven Strenge und Raumwirkung der gesamten Fläche, in unerschütterlicher Konsequenz aber auch in gro- erfahren, denn allein auf ihr erhebt sich die obere Halle der Neuen Natio- ßer Harmonie die Kontinuität des Raums betonend. Doch zeigt sich hier tat- nalgalerie. sächlich ein „massiver Steinsockel“, der die große Last der Stahlkonstrukti- Wenn die Stufen der zentralen Außentreppe an der Potsdamer Straße on trägt? Bei weitem nicht. Die quadratischen Granitplatten von 1,20 x 1,20 oder der zwei entsprechend der Neigung des Grundstücks höheren seitli- Metern haben nur eine Materialstärke von gut drei Zentimetern. Das chen Treppen mit sehr ausgedehnten Trittstufen und ihren Fugen an den Planungsbüro für Restaurierung und Denkmalpflege ProDenkmal, das die Setzstufen bereits eine Handschrift von großer Eleganz aufweisen, aber Sichtung und Beurteilung des Zustands vor der Sanierung und den Umbau- noch eine gewisse Bescheidenheit ausdrücken, wird oben, auf der Platt- ten durch David Chipperfield Architects vorgenommen hat, befasste sich form angelangt, die ganz große Steinfläche inszeniert. Dieser weitläufige auch intensiv mit den insgesamt rund 14.000 Boden- und Fassadenplatten Raum lenkt nicht gleich zum Eingang, sondern verleitet zum Umherschreiten und ihrer Instandsetzung. Es wurden dabei zahlreiche Materialstudien und Umherschauen bis man auf der Rückseite das breite Band Brüstungs- durchgeführt. steine des abgesenkten Skulpturengartens erreicht hat. In der Folge hat das Unternehmen Gebauer Steinmetzarbeiten nicht nur Nach der trotz aller Vorschläge der letzten Jahrzehnte wohl niemals die Außen-, sondern auch Innenplatten sowie die Platten im Skulpturengar- mehr zu reparierenden „Piazzetta“ des angrenzenden Kulturforums zwi- ten auf- sowie sämtliche Verkleidungen des Sockels abgenommen - eine schen Gemäldegalerie, Kunstbibliothek und Kunstgewerbemuseum – ein große logistische Herausforderung, denn alle Platten wurden Achse für erschreckend belangloser und zudem schiefer Zugangsbereich mit zahl- Achse katalogisiert und mit einem Code versehen, abtransportiert und für reichen Zwängen und sogar Gefahrenstellen – ist die Plattform von Mies anderthalb Jahre stehend in einem Depot zwischengelagert. Steinmetz van der Rohe eine wahre Wohltat, die sich in ihrer Entschiedenheit unmit- Manfred Gebauer war schon Ende der sechziger Jahre bei der Montage der telbar erklärt. Gespannt sein muss man auf das Museum des 20. Jahr- Platten dabei gewesen und erinnert sich an ein Zusammentreffen mit Mies hunderts von Herzog & de Meuron, das nicht nur den Rundumblick von van der Rohe während seines Besuchs auf der Baustelle. Er war damals be- der Terrasse, sondern die stadträumliche Situation grundlegend verändern eindruckt von den detaillierten Kenntnissen des Aachener Steinmetzsohns, wird. Die Baustelle gleich nebenan hat begonnen. immer in Erwartung höchster handwerklicher Präzision. Gebauer in einem Text Sebastian Redecke Grundriss der Ausstellungs- halle im Maßstab 1:100. Aus- schnitt. Schwarzweiß-Kopie des Originalblatts A12. © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence. Aufmacherbild Stein, S. 18-19, stehende Lagerung der kata- logisierten Granitplatten in Brandenburg, Dezember 2016. © Christian Martin. 20 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 21
Interview: „Man konnte hier nicht groß schummeln“. Wolfgang Frey von Pro- nen von einer Größe bis 3,2 Zentimetern. Der Kies führte zusätzlich zu Denkmal stellte während den Untersuchungen dennoch fest, dass es mini- Schäden, da die Bettung unter starker Belastung nachgab und die Platten male Abweichungen von den originalen Werk- und Montageplänen gibt. danach nur noch punktuell auflagen. Es ergaben sich Wasserlachen und Bei den alten sowie den ersetzten Terrassen- und Mauerplatten handelt im Winter Eisflächen. Im Rahmen der Arbeiten wurde daher auch das Bett es sich um Striegauer Granit. Die Steinbrüche befinden sich nahe der neu konzipiert. Nach einer Studie mit drei Versuchsaufbauten von Pro- niederschlesischen Stadt Strzegom (Striegau) in Polen. Aus welchem der Denkmal in Zusammenarbeit mit dem Baulabor Konstruktiver Ingenieur- dortigen Steinbrüche die Originalplatten stammten, lässt sich nicht mehr bau der Fachhochschule Potsdam entschied man sich für einen Aufbau ermitteln. Bei den Platten der Ausstellungshalle und des Untergeschosses mit Splittbett, eine Drainagematte mit Trennlage und ein Schaumglas handelt es sich um Epprechtsteiner Granit aus dem Fichtelgebirge. Die zwei (Foamglas) als Dämmung mit einem Gefälle, das in Heißbitumen einge- in der Halle sehr präsenten Schächte für die Lüftungskanäle sind kostbar schlämmt wurde. Nur bei Starkregen ist eine Ableitung des Wassers auf mit grünlichem Tinos Marmor (südägäischer Serpentinit) verkleidet. Der der Oberfläche der Platten vorgesehen, die eine leichte Neigung von einem Schacht ist dreiseitig eine Stahlbetonkonstruktion. Die dritte, zur Fassade Grad aufweisen. Der völlig neue Aufbau ergab sich unausweichlich nicht zeigende Seite ist aus Mauerwerk. Nur diese Seite wurde während der nur wegen der Schäden an den Platten, sondern auch da im Bereich zur Baumaßnahmen für die Neuinstallationen der Technik komplett geöffnet. Potsdamer Straße die Terrasse für das neue Depot auf 600 Quadratmetern Die Analyse des Zustands der Granitplatten machte deutlich, wie drin- unterbaut wurde. gend die Sanierung erforderlich war. Die Bodenplatten hatten Risse und Alle Bodenplatten wurden reversibel je nach Lage in die entsprechende Brüche, teilweise waren auch Ecken abgebrochen. Das Problem war, dass neue Bettung verlegt, können daher immer wieder aufgenommen werden. die Platten aus Strzegom zwar eine besonders hohe Druckfestigkeit auf- Eine besondere Sorgfalt der Arbeiten war erforderlich, denn würde ein weisen, aber mit ihrer Stärke für größere Punktlasten nicht ausgelegt Steinmetzunternehmen heute Platten in dieser Größe verlegen, hätten sie waren, zum Beispiel beim Veranstaltungsbetrieb mit Hubbühnen oder dem eine Stärke von mindestens acht Zentimetern und wären damit deutlich Transport von schweren Kunstwerken. robuster. Man hatte sich aber dennoch für die Wiederverwendung an glei- Ursprünglich lagen die Bodenplatten in einem Mörtelbett und darunter cher Stelle per Code und nur an manchen Stellen für die Ersatzproduktion einer Sandschicht. Seit einer Sanierungsmaßnahme in den 80er Jahren der Originalplatten in identischer Stärke entschieden. Die Platten haben waren die Platten aber auf einem sehr groben Flusskies gebettet mit Stei- wegen der Fugen präzis eine Abmessung von 1,194 x 1,194 Metern. Minimale Blick von Nordwesten. © BBR / Marcus Ebener. Ansicht der Außentreppe im Maßstab 1:20, Ausschnitt. Schwarzweiß-Kopie des Originalblatts A15. © The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence. Analyse der Granitplatten des Sockels. Sie haben eine Stärke von nur etwas mehr als 3 cm. © ProDenkmal. 22 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 23
Abweichungen zum Raster zeigen sich bei den Platten entlang der Fassaden, Die Bodenplatten der Halle waren im Vergleich zu den Außenplatten in wo die Ausschnitte der Ecken an den Stahlpfosten leicht variieren. einem guten Erhaltungszustand. Eine Besonderheit war nicht nur, dass die Zur Restaurierung gehörte neben den Reparaturen der Terrassenplatten gleichen Granitplatten mit dem Anspruch eines einheitlichen Bilds außen wie auch ihre Reinigung. Um die festaufliegenden Schmutzverkrustungen zu innen verlegt wurden, aber unterschiedlichen Anforderungen entsprechen entfernen – dazu zählen biogene Ablagerungen und gummiartige Stellen mussten. Eine weitere wichtige Aufgabe war die Oberflächenbeschaffenheit durch Skateboardabnutzung – entschied man sich für das Niederdruckpar- der Bodenplatten, die entsprechend des Bestands nicht zu glatt sein durften. tikelstrahlverfahren. In anderen Bereichen wie den Mauerplatten und den Die Platten wurden daher gestockt. Für die vorangehenden Tests erstellte Bodenplatten des Skulpturengartens kam im Nachgang ein Heißwasser- ProDenkmal auch hierfür ein Musterfeld im Maßstab 1:1. Der Anpassungs- hochdruckverfahren zum Einsatz, um u.a. die dort stärkere Vergrünung druck an heutige Bauvorschriften war generell groß. Jedes Detail musste mit entfernen zu können. Besonders schwierige Stellen waren die gelbliche Ein- den Partnern, dem Bauherrn und den Genehmigungsbehörden verhandelt tönung mancher Platten der Außenwände des Sockels und des Skulpturen- werden, um eine für diese so außergewöhnliche Aufgabe zugeschnittene gartens durch Eisenhydroxidverbindungen und die Eisenkorrosion durch Lösung zu finden. So wurde für Personen mit einer körperlichen Behinde- Kunstwerke auf den Bodenplatten. rung an der Seite zum Landwehrkanal ein neuer, zwei Grad geneigter Weg Der Sockel entspricht im Aufbau dem Prinzip einer vorgehängten, hinter- parallel zur Außentreppe ergänzt. Für Menschen mit Sehbehinderung leitet lüfteten Fassade. Sie war Ende der sechziger Jahre eine der ersten in eine Reihe speziell bearbeiteter Platten mit einem dezent eingefügten Deutschland ausgeführten Fassaden dieser Art. Die Platten wurden über Hal- Aufmerksamkeitsstreifen aus Schieferstein bis zur Glasfassade. teanker an einer Stützwand aus Beton mit einem Abstand von zwei bis fünf Die Neue Nationalgalerie wird als ein Gebäude aus Stahl und Glas wahr- Zentimetern montiert. Damals hatte man keine Erfahrungen hinsichtlich des genommen, doch der Sockel ist vom Naturstein geprägt: dem grauen Fugenmörtels von vorgehängten Wandplatten, die in der Lage sein müssen, Granit, den Mies van der Rohe so schätzte. 1998 erfuhr die weite Fläche der die auftretenden Bewegungen aufzunehmen. In den Fugen waren noch Reste Platten durch den Bildhauer Ulrich Rückriem eine besondere Würdigung. bauzeitlicher Verfugung sowie später eingebrachter Reparaturmörtel vor- Aus Anlass des dreißigjährigen Bestehens ließ er die obere Halle erstmals handen. Der elastische Mörtel war teilweise gerissen. Die Platten wurden mit von allen zusätzlichen Einbauten räumen, um seine vierzig für den Ort ge- neuen Edelstahlankern wieder gesetzt und nach heutigen Normen verfugt. fertigten Bodenskulpturen aus Granit mit bruchrauer Oberseite zu installie- ren, die sich über die gesamte Fläche mit großer Geste der Perfektion schachbrettartig direkt an dem Raster der Platten orientierten. Die Besucher blickten mit Rückriem nicht mehr wie üblich zunächst staunend hinauf zur Rasterdecke, sondern auf den steinernen Boden. Mauer des Sockels entlang der Sigismundstraße. Einige Platten wurden ersetzt. © BBR / Marcus Ebener. 1998 wurden in der Halle zum ersten Mal die Boden- Prüfung von verschiedenen skulpturen aus Granit des Reinigungsmethoden der Bildhauers Ulrich Rückriem Platten an der Zufahrt zur ausgestellt. Anlieferung. © Roman März / bpk / © ProDenkmal. Nationalgalerie, SMB. 24 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 25
David Chipperfield war über- Garderobe für 192 Mäntel, Einbauten in Holz rascht, dass sich unter den Text Therese Mausbach 96 Hüte „pieces of the perfect Mies“ einfach verarbeitete Holzkon- struktionen verbergen. © BBR / Marcus Ebener. Die Garderoben sind als Ständerkonstruktion aus Kiefernholz ausgeführt, deren Pfosten stets präzise auf den Kreuzfugen des Granitbodens stehen. Die Wände wurden aus speziellen Eichen- furnieren gefertigt. Es handelt sich um englische Brauneiche, die sich durch einen kräftigen mittel- braunen bis rötlichen Farbton auszeichnet, der durch Pilzbefall verursacht wird. Der Parasit, die sogenannte Ochsenzunge, ernährt sich von dem gerbstoffreichen Kern der Eiche und hinterlässt braunrote Holzverfärbungen und Streifen; ein sel- tenes Erscheinungsbild, das im englischsprachi- gen Raum gefragt ist und das Mies van der Rohe aus Amerika kannte. Ihm war die vertikale Aus- richtung der Maserung wichtig. Im Kontrast mit dem starken Naturstein inszeniert die English Verkaufsstand in der Trep- penhalle, 1968. Seit den Brown Oak das Thema Holz in kräftiger Farbe – 80ern ist er abgebaut, nur bis ihre Oberflächen durch Sonneneinwirkungen wenige seiner Teile blieben über die Zeit immer mehr verblassten. erhalten. Seit 2015 untersuchte ein von ProDenkmal be- © Reinhard Friedrich / bpk / Nationalgalerie, SMB. auftragtes Restauratorenteam verschiedene Wege der Farbauffrischung. Das Team arbeitete bereits mit David Chipperfield Architects für das Neue Museum auf der Museumsinsel zusammen und kannte ihre Zielsetzung des maximalen Sub- stanzerhalts, zu dem auch die Akzeptanz von Die Garderobenfront. Gebrauchsspuren gehört. In vier Phasen entwi- © Ute Zscharnt / ckelte man schließlich trotz unterschiedlicher David Chipperfield Architects. Meinungen ein Restaurierungskonzept: eine be- hutsame Farbauffrischung, die dem Helligkeits- An selber Stelle steht nun ein Kassen- und Informati- grad des Furniers der weniger beanspruchten onstresen. Garderobeninnenseite entspricht und den Auf- © BBR / Marcus Ebener. Betritt man die Neue Nationalgalerie durch ei- ihn schieben. Das dort arbeitende Personal sollte kreisverteiler der neuen Fußbodenheizung un- trag von alkohollöslichem Schellack mit natürli- ne ihrer Drehtüren, rückt die Stahl-Glas-Fassade sicherlich elegant gekleidet sein. tergebracht; die bauzeitliche wurde bereits chen Pigmenten. Die Meinungen reichten von in den Hintergrund. Der Blick folgt weiter dem Das 2,80 Meter hohe, offene Garderobenkabi- längst aus unerfindlichen Gründen außer Betrieb der Erhaltung des verblichenen Zustands (Lan- Granit, der sich weit über die 50 x 50 Meter große nett nimmt präzis vier Granitplatten à 1,20 Meter genommen. Wieder dahinter befindet sich in der desdenkmalamt Berlin) bis hin zu der farblichen Ausstellungshalle hinaus erstreckt. Die offene ein. Parallel zum Tresen stehen links und rechts die südlichen Garderobenanlage ein weiter funktio- Angleichung an den Ursprungszustand (Fritz Halle ist fast leer. Nur die zwei mit grünem Mar- zwei Holzwände. Vor der Sanierung verschloss ein nierender Lastenaufzug, der ebenfalls an die Neumeyer, Joachim Jäger). mor verkleideten Wandpfeiler sind im Hinter- schwerer, dunkler Vorhang zwischen den Holz- Maße der Granitplatten angepasst, 3,60 Meter Da die Kapazitäten der Holzgarderoben in der grund zu sehen. Neben den beiden Treppen zum wänden den Blick in den Raum. An den Innenseiten lang und breit ist. Mit der Neueröffnung ersetzt Halle bei steigenden Besucherzahlen lange nicht Museum im Untergeschoss stößt man nach dem sind an beiden Wänden auf einer Höhe von nur 1,55 ein Personenaufzug auf der nördlichen Seite den mehr ausreichten, verwandelte sich mit der Sa- Eintritt zudem auf zwei bescheidene Einbauten Metern die Kleiderstangen befestigt. Die bronzele- früheren Putzraum. Die schwarz gestrichene nierung ein ganzer Depotraum zu einer weiteren aus Holz. Der Besucher hält kurz inne und fragt gierten Stangen sind durch Kragarme an den Pfos- Doppeltüranlage aus Stahl, die in gleicher Form Garderobe. Dort, wie im zentralen Foyer des Un- sich nach dem Wesentlichen. Der Architekt ten der Konstruktion verankert. Zehn Zentimeter bei dem alten Lastenaufzug vorhanden ist, tergeschosses an den zwei neuen Kassen- und gibt in seinem Entwurfsplan A 26 eine einfache über der Mantelstange befinden sich sechs weite- bleibt auch hier sichtlich gebraucht erhalten und Informationstresen von David Chipperfield Ar- Antwort: „Garderobe für 192 Mäntel, 96 Hüte“. re dünnere Stangen. Sie bilden die Hutablage. Laut soll in der Regel morgens geöffnet und abends chitects, kam Bamberger Brauneiche zum Ein- Die in die Halle eingestellten spiegelgleichen Mies van der Rohes Festlegungen ist ein gekippt wieder geschlossen werden, damit der Besu- satz. Der nördliche Tresen orientiert sich in sei- Holzkonstruktionen (siehe S. 21) lenken förmlich gelagerter Hut zehn und ein aufgehängter Mantel cheraufzug zugänglich ist. Die Garderobenanla- ner Lage und seiner Form an einem nicht mehr den Besucher. Die Oberbekleidung ist am Tresen fünf Zentimeter breit. In der Mitte des Kabinetts gen bilden mit ihren teils freistehenden Rück- vorhandenen bauzeitlichen Verkaufsstand. an der aus schwarzem Labrador aufliegenden erweitert nun ein Metallgestell die Ablagefläche. seiten zwei horizontale Ebenen, die die benach- Abweichungen ergaben sich, laut Projektleiter Platte abzugeben. Der 2,90 Meter lange Holz- Hinter der Garderobe schließt ein Raum glei- barten Treppenabgänge einfassen. Die streng Michael Freytag, durch zusätzliche Funktionen block ist durch einen granitverkleideten Sockel cher Breite an. Holzgitter verraten, dass hier die funktionale Einrichtung wirkt in ihrer schlichten wie der Unterbringung von Audioguides oder abgesetzt und bildet die Front der Garderobe, Abluft der Halle in die Klimazentrale im Unterge- Form skulptural. Ist die Halle leer, sind sie die der rollstuhlgerechten Unterfahrbarkeit. Einen deren Wandscheiben sich beidseitig etwas vor schoss geleitet wird. Zugleich ist hier der Heiz- Ausstellungsstücke. Vorgänger des südlichen Tresens gab es nicht. 26 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 27
Diese Reminiszenz ist kein Garderobe und Bookshop Text Josepha Landes radikaler Bruch mit dem Bestand, sondern ein Sich- Anlehnen der Gegenwart an die Vergangenheit Vom Anfang und Ende her gedacht, läuft ein Sichtbeton sichtbar belassen. So dringen die Museumsbesuch in etwa so: Jacke ausziehen Räume an die Unterkante des Sockels vor, wo sie und Souvenirs kaufen. Irgendwo dazwischen zudem den brutalen Schmuck der Stützenfun- hat man jackenlos die Werke bestaunt, die man damente erhalten, die trichterförmig in den schließlich als Postkarte oder in einem Sammel- Raum ragen. band mit nach Hause nimmt – wahlweise am Das Neue bleibt auf Abstand, ist lediglich ein- Schlüsselbund oder als Aufdruck auf einem gestellt in den auch an den Wänden roh belas- Schirm. Die Räume für jene rahmengebenden senen Betonraum. Wo die Diskussion im übrigen Museumsaktivitäten haben David Chipperfield Haus stets stark gebunden war an das Wech- Architects, wie nur Weniges in ihrem Projekt selspiel von heutiger, neutraler Gestaltung und an der Neuen Nationalgalerie, eigenständig ge- zu Wohnlichkeit driftender Aufnahme des Her- stalten können, denn sie sind neu verortet, wo gebrachten, zeigen die beiden neuen Funktions- zuvor die Besucher gar nicht hingelangten. räume das von Chipperfield bekannte Ringen Im Originalzustand bot der Bau in der oberen um Angemessenheit. Gerade weil das Neue Halle zwei kleine, wenngleich sehr feine Mantel- gleichzeitig das Alte ist, nur durch Entmantelung rückhaltezonen, immerhin mit Hutablage. Bücher offengelegt, ist die Entscheidung so dezent wie und Andenken gab es im unteren Foyer, zuletzt raffiniert. Die dadurch in den Blick geratenden räumlich weniger fein in einem halbverglasten sanften Rundungen der Deckenkompartimente Provisorium aufgebahrt. Da Jacken wohl dicker verleihen der Strenge des Baus eine zarte Nah- wurden und der Konsumrausch über die Jahr- barkeit. Die Häute zum Skelett des Monumen- zehnte anschwoll, musste mehr Platz für beide talbaus zu öffnen, führte dazu, die Überschnei- Funktionen her. Da das Depot in den Sockel dungen der perfektionistisch gelegten Raster verlagert und ausgebaut werden konnte, ergaben zum Knirschen und somit auch zum Klingen zu sich zwei spiegelsymmetrische Räume im Un- bringen. tergeschoss, angebunden ans weitläufige untere Vielleicht offenbaren sich die neuen und alten Foyer über je einen Vorraum. Die Garderobe zur Schichten nicht auf den ersten Blick. Doch wieso Die neue Gruppengarderobe rechten – sie verfügt über einen Appendix: eine im Sockelgeschoss war früher Sammelgarderobe für Besuchergruppen – und ein Bilderdepot. Sie und der Bookshop sind die einzigen der Bookshop zur linken Seite, vis-à-vis dem durch DCA neu gestalteten Café, liegen glücklicherweise so, dass sie Einstieg Räume. und Abschluss des Ausstellungsrundgangs sollten sie? Die Ergänzungen von David Chipper- © BBR / Marcus Ebener. markieren. field Architects erfüllen die Anforderung und das Beide Räume ähneln sich nicht nur im Zu- selbst gesteckte Ziel, eine Kontinuität zu erzeu- schnitt, auch materiell und konstruktiv sind sie gen, eben nicht die Ablesbarkeit der Eingriffe zu aufeinander abgestimmt. Auf dem Boden setzen forcieren. Sie verstehen es, mit der ihnen gege- sich die Granitplatten des Foyers fort. Die Rück- benen Freiheit zu haushalten. Und überhaupt: wände der Bücherregale, wie auch die Verblen- Wenn in der Ikone der Moderne sich eine Situation dungen in der Garderobe sind in Brauneiche ge- anbietet, in die Eingeweide des Hauses vorzu- halten, wie sie bereits Mies van der Rohe für die dringen, ist wohl der Moment beim Mantelabge- Garderobe der oberen Halle und die Möblierung ben oder Anstehen vor der Krims-Krams-Kasse des Verwaltungstrakts einsetzte. Diese Reminis- der angemessene. Bleibe der Blick bei der Kunst zenz ist kein radikaler Bruch mit dem Bestand, auf der Kunst. kein Antagonist, sondern ein Sich-Anlehnen der Gegenwart an die Vergangenheit, ein Bewusst- Die Betonkassettendecke wurde sichtbar belassen, sein des Eingeschrieben-Seins des Jetzt in den Leuchten sind der Raumlän- Lauf der Zeit. Am deutlichsten zeigt sich ein zeit- ge nach in die Kassetten genössischer Eingriff an der Decke, wo die Ar- gesetzt. In Form einer umge- chitekten auf die im 60er-Jahre-Bau umfangreich kehrten Pyramide wird die Stahlbetonstütze des Dach- applizierten quadratischen Unterhangdecken tragwerks sichtbar. verzichteten und die Kassettendecken aus © BBR / Marcus Ebener. 28 Bauwelt Einblick Bauwelt Einblick 29
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