Neue Nationalgalerie - Dornbracht

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Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Neue Nationalgalerie
Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Stahl                              02
                                                                                                      Mies Research
Konzeption und Redaktion:
Therese Mausbach (Leitung), Kaye Geipel und Sebastian
Redecke                                                       Glas                               10                                                                   Sebastian Redecke, Kaye Geipel
                                                              Stein                              18
Mitarbeit an dieser Ausgabe: Krysta Brown-Ippach, Josepha
Landes, Martin Lutz, Natalie Scholder, Bernhard Schulz,
Achim Stiegel, Christoph Tempel, Ian Pepper, Karin Wilhelm,
                                                              Einbauten in Holz                  26
Marie Bruun Yde                                               Garderobe und Bookshop             28
Gestaltung: Double Standards, Berlin
                                                              Tapete, Teppich, Kassetten         31
Redaktion:                                                    Sitzmaschinen                      33
Bauwelt
Bauverlag BV GmbH                                             Linoleum statt Kunststoff          34
Schlüterstraße 42, D-10707 Berlin                                                                                        Die Neue Nationalgalerie ist der universale Stahl-Glas-Tempel an sich.
                                                              Im Anker Archiv                    35
Telefon: +49 (0) 30 884106-0                                                                                             Sie steht emblematisch für Klarheit und Eleganz in der Architektur. Die
E-Mail: vorname.nachname@bauwelt.de                           Damen und Herren                   36
www.bauwelt.de                                                                                                           kraftvollen Grenzerfahrungen ihrer Konstruktion zogen eine Fülle von
                                                              Die Verwaltung                     40
                                                                                                                         bauhistorischen und architekturphilosophischen Deutungen nach sich,
Chefredakteur: Boris Schade-Bünsow                            Die Tische                         42
Stellv. Chefredakteur: Kaye Geipel                                                                                       die seit über fünfzig Jahren faszinieren. Mies van der Rohe wurde mit
                                                              Die Türen                          43
Redaktion: Ulrich Brinkmann, Benedikt Crone, Beatrix
                                                                                                                         dem Berliner Spätwerk von 1968 endgültig zu einem der ganz Großen
                                                              Die Neue Nationalgalerie und die
Flagner, Jan Friedrich, Kirsten Klingbeil, Josepha Landes,
                                                              Museumsentwürfe		                  45
                                                                                                                         der Moderne. Im Rahmen der langjährigen, anspruchsvollen und nun ab-
Therese Mausbach, Sebastian Redecke, Florian Thein,
Marie Bruun Yde, freie Mitarbeit: Sebastian Spix                                                                         geschlossenen Instandsetzungsarbeiten durch David Chipperfield
                                                                                                                         Architects, ausgeführt mit zahlreichen Gutachtern, Fachplanern, Fach-
Verlag und Herausgeber:
Bauverlag BV GmbH                                                                                                        firmen und Herstellern, offenbart sich ein umfassender Einblick in die-
Postfach 120, D-33311 Gütersloh
www.bauverlag.de
                                                                                                                         sen Bau, dem sich dieses Heft widmet. Nach fast zehnjähriger Sichtung,
Geschäftsführung: Michael Voss                                                                                           Analyse, Ausführungsplanung und Umsetzung der Arbeiten erklärt sich
Koordination:
                                                                                                                         das Gebäude heute anders – komplexer und widersprüchlicher – als es
dice communications                                                                                                      das Gesamtbild der großen Tempelanlage mit ihren acht stählernen
Rainer Homeyer-Wenner
                                                                                                                         Stützen vermuten lässt. Die Details einzelner Bauelemente, des Ausbaus
Reproduktion: highlevel GmbH, Berlin                                                                                     und der Ausstattung rücken deutlicher in den Fokus. Das sicherlich
Druck: Bösmann Medien und Druck
GmbH & Co. KG, Detmold                                                                                                   wichtigste Thema der umfangreichen Grundinstandsetzung aber ist die
Umschlag: Symbole, Zeichnungsliste, Ausbauverzeichnis,
                                                                                                                         Glasfassade der großen Halle. Die vielfältige Problematik der Original-
1965. Ausschnitte aus einer Kopie des Originalblatts A1,                                                                 fassade mit Glasbruch, starkem Kondensat-Anfall und Korrosion an der
Bleistift auf Transparentpapier, ca. 81 x 112 cm. Mies van
der Rohe Archiv. © The Museum of Modern Art, New York/                                                                   Pfosten-Riegel-Konstruktion wurde jahrzehntelang diskutiert. Für diese
Scala, Florence.                                                                                                         spezifische Aufgabe fand man eine Lösung, die die Mängel weitgehend
                                                                                                                         behebt und die vertraute Erscheinung der Halle so wenig wie möglich
                                                                                                                         verändert. Neben dem Umgang mit den großen Glasflächen sind die Sa-
Partner
                                                                                                                         nierung der Stahlkonstruktion und der Steinplatten die beiden zentralen
                                                                                                                         Themen in diesem Heft. Aber es wurden auch viele kleine, teilweise von
                                                                                                                         der amerikanischen Bauweise der sechziger Jahre geprägte Details
                                                                                                                         sichtbar. Hierfür mussten Entscheidungen getroffen werden. Sie reichen
                                                                                                                         von den Türgriffen, den nachempfundenen Waschtischen mit speziell
                                                                                                                         angepasster Armatur und den bearbeiteten Möbelvarianten in Braun-
                                                                                                                         eiche furniert bis zum Bouclé-Teppichboden nach traditionellem Muster
                                                                                                                         und den neuen, zuvor nur sehr einfach an Holzlatten angeschraubten
                                                                                                                         Unterdecken der Ausstellungssäle. Alle diese Details wurden damals
                                                                                                                         durch Mies van der Rohe und seinen Assistenten so entschieden. Klare
                                                                                                                         Vorgaben eigentlich, aber es zeigt sich, dass in Berlin nicht immer ent-
                                                                                                                         lang dieser Vorgaben gearbeitet wurde. Manch Erstaunliches förderte
                                                                                                                         die Instandsetzung zutage, und nicht jede Entscheidung aus Chicago
                                                                                                                         konnte ergründet werden. Die Baupläne von Mies van der Rohe, die im
                                                                                                                         MoMA aufbewahrt werden, erwiesen sich, zusammen mit vielen Doku-
                                                                                                                         menten und Protokollen zur Ausführung, als entscheidender Fundus.
                                                                                                                         Im gemeinsamen Kraftakt aller Beteiligten entstand die angemessene
ist ein Format der Bauwelt, das in loser Folge erscheint.                                                                Lösung. Der Tempel bewahrt seine Aura.
Die Auswahl der Themen und Partner erfolgt durch
die Redaktion der Bauwelt. Die Ausgabe „Neue Natio-
nalgalerie“ erscheint zur Schlüsselübergabe am 30.
April 2021.                                                                                           Bauwelt Einblick                                                                              1
Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Stahl
2   Bauwelt Einblick   Bauwelt Einblick           3
Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Wurde langsam Zeit, daß
du nach Hause kommst
Bernd Cailloux, Das Geschäftsjahr 1968/69

   ...man schrieb den 5. April 1967. Mies van der Rohe war aus Chicago       konnte das verschweißte Kassettendach in einem abermals siebenstündi-
noch einmal nach Westberlin gereist, um eine der aufregendsten Aktionen      gen Absenkverfahren auf die schmal profilierten Kreuzstützen und deren
mitzuerleben, die im Verlaufe der Realisation seiner Planung einer Galerie   obere, zwischengeschaltete Stahlgelenklager aufgelegt werden. In einem
des 20. Jahrhunderts am Kemperplatz jetzt vorbereitet wurde. Dem West-       späteren Schritt wurde das Dach spritzverzinkt und mattschwarz gestri-
berliner Bausenator Rolf Schwedler, seinem Senatsbaudirektor Werner          chen. In dieser kaum wahrnehmbaren Verbindung der Stützen mit dem
Düttmann und anderen war es nach einigen Versuchen zu Beginn der             weit auskragenden Dachkörper mochte jetzt der Eindruck entstehen, als
sechziger Jahre gelungen, den seit den fünfziger Jahren mit zahlreichen      schwebe dieses kolossal anmutende stählerne Bauteil immer noch über
Ehrendoktorwürden bundesdeutscher Technischer Universitäten ausge-           dem gläsern geschlossenen, stützenfreien Kubus der oberen Ausstel-
zeichneten Architekten für den Neubau des inzwischen Neue Nationalga-        lungsebene. Und so glitt das Stahldach-Tragwerk an synchron gesteuer-
lerie benannten Ausstellungsbaus unweit der Grenzanlagen zum Ostteil         ten hydraulischen Hebewerken in einem mehr als neunstündigen Arbeits-
der Stadt zu gewinnen. Schon die Grundsteinlegung 1965 war im Beisein        prozess langsam empor.
Mies van der Rohes erfolgt und nach zweijähriger Bauzeit stand nun die          Tatsächlich ist es dieser performative Akt des Bauens gewesen, der
technisch anspruchsvolle Aufrichtung der am Boden montierten großflä-        das architektonisch-ästhetische Denken Mies van der Rohes anschaulich
chigen Einheit der quadratischen, wabenartige Stahldachkonstruktion an.      werden ließ. Es beruhte in den späten Arbeitsjahren auf der Perfektionie-
Diese rechtwinklig, modular geformte Dachplatte aus freigelegten Stahl-      rung der ästhetischen Ausdeutung jener konstruktiven Potenzen der
vollwandträgern sollte jetzt das durchfensterte obere Hallengeschoß des      Materialien Stahl und Glas, die er seit den Zwanzigerjahren in einer Archi-
circa 50 x 50 Meter großen sogenannten Pavillons abschließen. Und so         tektur als „Haut- und Knochenbau“ verwirklicht sehen wollte.
glitt an einem kalten, von Schneeschauern durchwirkten Apriltag das etwa        In dieser Weise präsentiert sich die Nationalgalerie den Besuchern bis
65 x 65 Meter umfassende, 1,80 Meter hohe und 1260 Tonnen schwere            heute als ein Bauwerk, das auf erhöhtem Plateau gleichsam schwerelos
Stahldach-Tragwerk an synchron gesteuerten hydraulischen Hebewerken          und eigensinnig in sich zu ruhen scheint. Doch allemal überspielt hier der
in einem mehr als neunstündigen Arbeitsprozess langsam empor. Mit            schöne Schein die konstruktiven und statischen Grundlagen einer Raum-
diesem Hebeprozess pendelten sich unterhalb des Dachkörpers die an den       figur, die doch die strukturelle Logik eines ausgefeilten Stahlbetonunter-
vier Quadratseiten außenliegenden leicht konisch geformten, stählernen       baus voraussetzt. Man mag sie vermuten, sobald man die stylobatähnliche
acht Kreuzstützen in ihre darunterliegenden Gründungen ein. Schließlich      Granitplattform betritt, die oberhalb des umgebenden Straßenniveaus über

Text Karin Wilhelm

                                                                                                                                                           Reflektierter Deckenplan der
                                                                                                                                                           Ausstellungshalle, Ausschnitt,
                                                                                                                                                           1965. Kopie des Originalblatts
                                                                                                                                                           A13, Bleistift auf Transparent-
                                                                                                                                                           papier, 81,3 x 111,8 cm.
                                                                                                                                                           Mies van der Rohe Archiv,
                                                                                                                                                           Invnr. MR6204.16.
                                                                                                                                                           © The Museum of Modern Art,
                                                                                                                                                           New York/Scala, Florence.

                                                                                                                                                           Aufmacherbild Stahl, S. 2-3.
                                                                                                                                                           © BBR / Marcus Ebener.

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Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Und so glitt das Stahldach-Tragwerk an
    synchron gesteuerten hydraulischen
    Hebewerken in einem mehr als neunstün-
    digen Arbeitsprozess langsam empor.
                                                                drei Treppenführungen erreicht wird und auf Niveauverschiebungen im
                                                                Gelände hinweist. Denn unterhalb des zurückgesetzten, über 8,4 Meter
                                                                hohen lichten Glaskubus‘ befindet sich eine Art Foyer, zu dem man über
                                                                zwei symmetrisch angelegte Innentreppen hinuntersteigt. Von hier aus
                                                                öffnen sich die Raumfolgen der axial aufeinander bezogenen Museums-
                                                                und Ausstellungssäle, denen die unterschiedlichen Funktionsbereiche
                                                                angelagert sind. So gelangt man schließlich in den über 2000 Quadratmeter
                                                                umfassenden großen Hauptraum zur Präsentation der Artefakte, der
                                                                durch freistehende Wände vage definiert wird und mit einer durchgehen-        Blick vom Skulpturengarten,
                                                                                                                                              1968.
                                                                den, in schmale Stahlprofile gefassten Fensterwand den Blick in einen
                                                                                                                                              © Reinhard Friedrich / bpk /
                                                                hortus conclusus freigeben, eben den mit granitumhüllten Betonmauern          Zentralarchiv, SMB.
                                                                eingegrenzten Skulpturengarten. Wie im oberen Pavillon ist es die Materi-
                                                                alkombination der filigran anmutenden Stahlprofile mit der darin einge-
                                                                spannten großen Verglasung, die jenen Effekt der Entstofflichung erzeugt,
                                                                der die konstruktiven, materialintensiven Grundlagen des Gebäudes so
                                                                blendend überformt. Allein die modular angelegte Reihung der ummantel-        Detail eines Stahlpfeilers, 1968.
                                                                                                                                              © Reinhard Friedrich / bpk.
                                                                ten Stahlbetonstützen vor dieser Helligkeitszone des Skulpturengartens
                                                                geben einen Hinweis auf die bautechnischen Vorgaben, auf dem dieses
                                                                durchstrukturierte Architekturensemble tatsächlich ruht.
                                                                   Dieser Sachverhalt ist inzwischen durch die nach mehr als fünfzig Jahren
                                                                notwendig gewordenen, grundlegenden Sanierungsmaßnahmen des Büros
                                                                David Chipperfield Architects wieder anschaulich geworden. Chipperfield,
                                                                der seit der Wiederherstellung des Neuen Museums auf der Berliner Muse-
                                                                umsinsel als eine Art Lordsiegelbewahrer der schönen Schinkeltraditionen

                                                                Hydraulische Anhebung
                                                                des Stahldachs, 5. April 1967.
                                                                © Landesarchiv Berlin, Foto
                                                                Ludwig Ehlers.

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Neue Nationalgalerie - Dornbracht
gilt, hatte bereits vor zehn Jahren in einem Interview bekannt, dass ihm Mies
                                                                                         van der Rohes Neue Nationalgalerie ein hoch geschätztes Kulturgut der
                                                                                         Moderne sei. Diese Hochachtung begründet derweil den langwierigen, äu-
                                                                                         ßerst sensibel angelegten Sanierungsprozess des Gebäudes am heutigen
                                                                                         Kulturforum, den das Büro seit 2015 ausführt. In einer Art archäologischer
                                                                                         Bestandsaufnahme sind die konstruktiven Strukturen, die Materialverbin-
                                                                                         dungen und die daraus resultierenden wirkungsästhetischen Raumkon-                    Blick vom Skulpturengarten,
                                                                                         zeptionen in der radikalen Freilegung des Rohbaus wieder evident. Das                 November 2018.
                                                                                         Untergeschoss, das die Terrasse mit der stützenfreien Stahl-Glashalle                 © BBR / Thomas Bruns.

                                                                                         trägt, enthüllt sich nämlich als robuster Raumkörper, der im Verbund aus
                                                                                         Stahlbetonwänden, 105 modular angeordneten Stahlbetonstützen und der
                                                                                         darauf aufliegenden Stahlbetonkassettendecke die Stabilität der überein-
                                                                                         anderliegenden, quadratischen Geschosse bewehrt. In diesem freigelegten
                                                                                         Tragsystem werden jetzt mächtige, monumental anmutende Stahlbeton-
                                                                                         pfeiler (1,20 x 1,20 Meter im Querschnitt) augenfällig, die, wie einige Wände,
                                                                                         die kreuzförmigen Stahlstützen mit dem scheinbar schwebenden Stahl-
                                                                                         dach der oberen Ausstellungsebene aufnehmen. Ihre zu einer Kapitellzone
                                                                                         sich ausbreitende Dimensionierung offenbart schließlich die Grundlagen
                                                                                         einer Tektonik, die die „zwangsläufig erdgebundene Natur des Bauens“
                                                                                         (Kenneth Frampton) repräsentiert und diese Natur doch in der Szenografie
                                                                                         der Leichtigkeit eines Stahlbaus gleich einem Vexierbild überformt.
                                                                                            Die Architektur der Neuen Nationalgalerie wird diesen Effekt auch nach
                                                                                         den Sanierungsmaßnahmen als Architektonik der umhüllten Leere prägnant
                                                                                         repräsentieren. Denn die notwendigen Eingriffe in die Bausubstanz nimmt
                                                                                         das Büro Chipperfield sensibel und rücksichtsvoll vor. So müssen die thermisch
                                                                                         bedingten Bewegungen der feingliedrigen Stahlprofile für die Glaswände
                                                                                         teilweise durch modifizierte Fassadenpfosten aufgenommen werden, aber
                                                                                         derart, dass sie „sich optisch nicht von den übrigen Bestandspfosten unter-
                                                                                         scheiden.“ (Jochen Schindel) In dieser Wertschätzung der Form, die Mies
                                                                                         van der Rohe aus den bautechnischen Eigenarten der Materialien, vorzugs-
                                                                                         weise des graphitschwarz gefassten Stahls, komponiert hat, bewahrt das
                                                                                         Sanierungskonzept dieses Meisterwerk der Architekturmoderne seine
                                                                                         monochrome, kühle Eleganz. 1968 noch einsam auf einem Teilstück der ent-
Blick von der Südseite in die                                                            trümmerten Nord-Süd-Achsenplanung (1937) gelegen, ragt dieses Ausstel-
Halle.
© Schnepp Renou.
                                                                                         lungsgebäude inzwischen aus der irritierenden Vielstimmigkeit der sie
                                                                                         umgebenden Kulturforumsbauten als ein Ort und Zeichen der reflexiven
                                                                                         Stille ermutigend heraus.

                                zwangsläufig erdgebundene Natur des
                                Bauens
                                Kenneth Frampton

                                                                                                                                              Säule mit Details, Ausschnitt.
                                                                                                                                              Schwarzweiß-Kopie des Ori-
                                                                                                                                              ginalblatts A18.
                                                                                                                                              © The Museum of Modern
                                                                                                                                              Art, New York/Scala, Florence.

8                                                                     Bauwelt Einblick   Bauwelt Einblick                                                                                                    9
Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Glas
10          Bauwelt Einblick   Bauwelt Einblick   11
Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Die Neufassung überzeugt
mit einem hohen Grad an
Durchsichtigkeit

   Eines der größten Probleme der Generalinstandsetzung bereitete die          weichendes Detail. Durch Reparatur wird eine ganz bestimmte, situations-
Stahl-Glas-Konstruktion, die die große Ausstellungshalle umschließt.           bedingte Herausforderung konstruktiv gelöst. In der angemessenen Ge-
Konstruktiv nicht durchdacht, hatten thermisch bedingte Verformungen           staltung eines solchen Details liegt eine besondere architektonische und
der Stahlprofile und Kondensat über die Jahre zu Schäden an der originalen     ingenieurtechnische Aufgabe – aber die gefundene Lösung lässt sich
Substanz geführt, insbesondere der Verglasung. Entstanden ist eine             selten verallgemeinern oder wiederholen.
Lösung, die bewusst nicht alle Probleme beseitigt, aber die Präsenz der           Die Instandsetzung der Metallglas-Fassade der Neuen Nationalgalerie
Architektur erhält. Die Details der erneuerten Fassade schreiben das           hatte sich zwei wesentlichen Herausforderungen zu stellen. Über die Länge
Bauwerk fort.                                                                  von jeweils fünfzig Metern wies die Bestandsfassade keine Möglichkeit
   „God is in the details.“ 1 In der Architektur Mies van der Rohes ist das    der thermischen Dehnung auf. Zwängungen und Verwerfungen der Stahl-
konstruktive Detail Ausdruck eines übergeordneten Systems und be-              konstruktion hatten früh zum Bruch der Glasscheiben und deren Aus-
zeichnet eine allgemeingültige Lösung. Aufgrund dieses Anspruchs las-          tausch gesorgt. Verstärkt wurde das Problem durch die feste Kopplung
sen sich Detaillösungen von Mies replizieren, sie bauen auf einer industri-    der Fassadeneckpfosten an das Dachtragwerk, dessen Verformungen
ellen Logik auf.                                                               aufgrund von Windlasten und thermischen Dehnungen unmittelbar in die
   Aber bereits Paul Rudolph schrieb Anfang der sechziger Jahre, dass die      Fassadenkonstruktion weitergeleitet wurden. Hinzu kamen Mängel der
zwingende Klarheit der Entwürfe von Mies dadurch erkauft sei, dass             Ausführung wie metallurgisch unzureichende Stähle, schlecht ver-
bewusst nicht alle Probleme gelöst sind. 2 Und obwohl Mies für die Bau-        schweißte Querschnitte einzelner Profile oder eine mit Schmutzeinschlüs-
materialien seiner Zeit, Glas und Metall, einen mustergültigen formalen        sen versehene, unregelmäßige Lackierung. Bauphysikalisch entsprach die
Ausdruck gefunden hatte, stellte John Winter bereits zu Anfang der siebziger   Fassade bereits bauzeitlich nicht mehr dem Stand der Technik. Thermisch
Jahre enttäuscht fest, dass die handwerkliche Ausführung dem Mythos            nicht getrennte Stahlprofile und eine Einfachverglasung führten auch
konstruktiver Ehrlichkeit oft nicht gerecht wurde. 3 Mit Ausrufen der Post-    zu hohen Heizwärmeverlusten und in den kalten Monaten raumseitig zu
moderne schließlich verwies man nicht ohne Häme auf die bald sichtbaren        einem hohen Kondensatanfall. Da die Konstruktion keinerlei Luft- und
Bauschäden und Mängel.4                                                        Dampfdichtigkeit bot, konnte die Luftfeuchte durch Spalte in die Hohlräu-
   Wo Verschleiß oder Schäden durch gezielten Eingriff behoben werden,         me der Konstruktion dringen, wo sie an den kalten Metallteilen zu Korrosi-
entsteht wie im Handwerk ein von der Logik industrieller Produktion ab-        on führte.

Text Andreas Putz

                                                                                                                                                            Glaswand der Halle mit Details,
                                                                                                                                                            Ausschnitt. Schwarzweiß-
                                                                                                                                                            Kopie des Originalblatts A17.
                                                                                                                                                            © The Museum of Modern Art,
                                                                                                                                                            New York/Scala, Florence.

                                                                                                                                                            Aufmacherbild Glas, S. 10-11.
                                                                                                                                                            © Schnepp Renou.

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Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Die jetzt erfolgte Reparatur der Fassade zeichnet sich dadurch aus,         glichen werden. Deren Gesamtschichtdicke beträgt das Dreifache der
                                                                                  dass die konstruktiven und bauphysikalischen Mängel des Bestands un-           Schichtstärke der Originalfassung, was eine gänzlich unsichtbare Heran-
                                                                                  terschiedlich gewichtet wurden und mit Blick auf Gestalt und räumlichen        führung der Neubeschichtung an die Altbeschichtung nicht erlaubte. Für
                                                                                  Wirkung eine abgewogene Lösung gefunden wurde. Sie zwingt dem                  die Außenflächen der Fensterprofile stand eine Komplettfreilegung und
                                                                                  Bauwerk nicht auf, was nach heutigem Kenntnisstand erforderlich und            Neufassung von Beginn an außer Frage, da hier stärkere spätere Überfas-
                                                                                  technisch möglich gewesen wäre.5                                               sungen vorhanden waren. Der im Außenbereich zur Anwendung gekom-
                                                                                     Die vier Eckpfosten wurden vom Dachtragwerk entkoppelt, die Bewe-           mene Zweikomponenten-Decklack ist für den Pinselauftrag ungeeignet
                                                                                  gungen des Dachs neu elastisch aufgenommen. Zur Stabilisierung dieser          und wurde, zur Erzielung einer handwerklichen Unregelmäßigkeit, im
                                                                                  Pfosten sind im Unterschied zu den Übrigen die Scheiben der jeweils zur        Niederdruckverfahren aufgespritzt, so dass die Pinselstruktur der zweiten
                                                                                  Ecke benachbarten zwei Felder konstruktiv verklebt und damit statisch          Grundierung leicht durchscheint.
                              Die Schäden resultierten aus den Verfor-            aussteifend ausgebildet. Jeder dritte Pfosten der Fassadenflächen wurde           Die unterschiedlichen Oberflächenbeschichtungen außen und innen
                                                                                  ausgetauscht und baulich so ausgebildet, dass Dehnungen ausreichend            sind in ihrer Erscheinung sehr ähnlich und der Erstfassung weitgehend
                              mungen der Stahlkonstruktion und sind               aufgenommen werden können. Die äußere Geometrie der Bestandspfosten            angelehnt. Eine detaillierte Abwägung kann auch in Bezug auf die bauphy-
                              dem Glas nicht anzulasten                           wurde exakt nachgebildet, so dass der Ersatz auf den ersten Blick nicht        sikalischen Probleme der Fassade beobachtet werden. Um die Konden-
                                                                                  auffällt. Aber tatsächlich handelt es sich bei den neuen Dehnpfosten um        satbildung in den Stahlbauteilen zu verhindern, wurden Glasfalze, Profil-
                                                                                  komplexe maschinenbauartige Gebilde, deren Hälften mittels 3D-CNC-             füllungen und Bauanschlüsse verdeckt, aber wartungsfähig mit elastischen
                                                                                  Fräse jeweils aus einem Stück hergestellt wurden. Für die Aufnahme der         Verklebungen, Folieneinsätzen und eigens hergestellten Formstücken
Eckpfosten der Halle, innen                                                       horizontalen Längendehnung sind die seitlichen Stahlquerschnitte, die als      luft- und dampfdicht abgedichtet. Nicht zur Ausführung kam eine Zwei-
und außen.
                                                                                  Rahmenprofile in Erscheinung treten, gleitfähig gelagert und nicht mehr        Scheiben-Isolierverglasung mit thermisch getrennten Profilen, wie sie zur
© BBR / Marcus Ebener.
                                                                                  fest mit dem tragenden Pfosten-Mittelteil verbunden. In der äußeren Er-        Verringerung der Heizenergieverluste untersucht worden war. Diese prag-
                                                                                  scheinung zeigt sich dies in äußert schmalen Fugen. Konstruktiv hat dies       matische Lösung hätte einen weitgehenden Bestandsverlust mit sich
                                                                                  aber zur Folge, dass der Pfosten-Mittelteil nicht mehr seitlich stabilisiert   gebracht. Deutlich breitere Profile und eine Verdopplung der Glasreflexion
                                                                                  ist. Starke Druckfedern, die verdeckt im Innern der Konstruktion einge-        hätten die Ausstellungshalle in ihrer äußeren und inneren räumlichen
                                                                                  setzt sind, übernehmen die Aufgabe, die Pfosten elastisch dehnfähig in         Wirkung zerstört. Aber der weitgehende Erhalt der originalen Stahlbauteile
                                                                                  Mittellage zu halten.                                                          und der Verzicht auf eine Isolierverglasung bedingte, das die Halle der
                                                                                     Zwar sind die neuen Pfosten nicht ganz so scharfkantig ausgebildet wie      aktuellen Energie-Einsparverordnung nicht gerecht und auch weiterhin an
                                                                                  die originalen Bauteile, aber runde Profilecken nach den Maßstäben heuti-      bestimmten Tagen Kondensat die Scheibeninnenseiten trüben wird.
                                                                                  ger Oberflächenlackierung konnten verhindert werden. Wie auch bei den             Für die doppelte Lesbarkeit als abgeschlossene, lichte Halle und offener
                                                                                  originalen Profilen wurde dafür akzeptiert, dass die Beschichtungsdicke        Platz unter der schützenden Dachfläche ist die Leichtigkeit und Transpa-
                                                                                  an den Kanten etwas geringer ausfällt und hier frühzeitiger mit Korrosion      renz des fast eingehängt wirkenden Raumabschlusses von entscheidender
                                                                                  zu rechnen sein wird. Voruntersuchungen hatten nachwiesen, dass alle           Bedeutung. Obwohl die neue Verglasung mit 2,7 Zentimetern mehr als
                                                                                  bauzeitlich schwarzen Bauteile ursprünglich mit einer mattschwarzen            doppelt so stark ist wie die ursprünglichen Weißglasscheiben, überzeugt
                                                                                  Sichtfassung in wahrscheinlich zweifachem Farbauftrag gestrichen wa-           die notwendige Neufassung mit einem hohen Grad an Durchsichtigkeit.
                                                                                  ren. Sowohl auf der Innen- und stärker noch auf der Außenseite war diese       Die ursprünglichen Monoscheiben aus Gussglas waren nicht vorgespannt
                                                                                  Fassung seit Fertigstellung mehrfach überarbeitet worden. Je nach Aus-         und stark bruchgefährdet und wurden im Laufe der Jahre nach und nach
                                                                                  gangslage und mit unterschiedlicher Zielsetzung wurden die Oberflächen         ausgetauscht. „Die Schäden resultierten aus den Verformungen der Stahl-
                                                                                  der Metallelemente der Dachkonstruktion, Stützen, Türen, Zargen, innen-        konstruktion und sind dem Glas nicht anzulasten“, so Martin Reichert, der
                                                                                  und außenseitigen Fensterprofile im Zuge der Generalinstandsetzung             Büroleiter von David Chipperfield Architects. Bereits zur Bauzeit waren die
                                                                                  differenziert behandelt.                                                       gewünschten Formate von 3,43 Metern (Ausstellungshalle) sowie 3,54 Me-
                                                                                     Das ursprüngliche restauratorische Ziel einer vorsichtigen Freilegung       tern (Sammlungsgeschoss) in der Breite und 5,40 Metern Höhe nur noch
                                                                                  der Originalfassung der innenseitigen Fassadenkonstruktion konnte auf          bei einem französischen Hersteller erhältlich gewesen, der noch gezogenes
                                                                                  Grund der mangelhaften bauzeitlichen Ausführung des Anstrichs im oberen        Glas im Libbey-Owens-Verfahren herstellte. Seit Anfang der sechziger Jahre
                                                                                  Bereich der Pfosten nicht erreicht werden. Bei der ausgeführten Neube-         setzte sich das von Alastair Pilkington entwickelte Floatglas-Verfahren
                                                                                  schichtung wurden die ersten beiden Lagen eines Zweikomponenten-               international durch, das einheitliche Glasbandbreiten von nur noch 3,21
                                                                                  Lacks auf Epoxidharzbasis im Niederdruckspritzverfahren aufgetragen.           Metern erlaubte. Für die späteren Ersatzverglasungen der großformatigen
                                                                                  Es folgte die sichtbare Endbeschichtung des sogenannten Schmiedelacks          Flächen musste man daher auf zwei Scheiben mit mittiger silikonversiegelter
                                                                                  mittels Pinselauftrag in Anlehnung an die ursprüngliche Oberfläche. Im un-     Stoßfuge zurückgreifen. 2018, zum Zeitpunkt der Neuverglasung, konnte
                                                                                  teren Teil der verbleibenden Innenpfosten konnte die historische Fassung       Verbundsicherheitsglas aus Floatglas-Scheiben in erforderlicher Größe nur
                                                                                  freigelegt und durch Retuschen im Übergang zur Neubeschichtung ange-           von einem chinesischen Hersteller und Glasveredler bezogen werden, was

14                                                             Bauwelt Einblick   Bauwelt Einblick                                                                                                                                        15
Neue Nationalgalerie - Dornbracht
Glas aus China
einen erheblichen logistischen Aufwand mit sich brachte. Bei der neuen                                                                                                     neu entwickelte Form eines Dehnpfostens ersetzt, um zukünftig die vielfach                    der Gläser von China nach Berlin. Der Glashersteller JinJing aus Zibo in der
Verglasung handelt es sich um ein Verbundsicherheitsglas aus teilvorge-                                                                                                    aufgetretenen Glasbrüche zu vermeiden.                                                        chinesischen Provinz Shangdong konnte dieses Glas über den chinesi-
spannten Glasscheiben mit einer steifen, in Scheibenmitte geschweißten                                                                                                        Zu Beginn der Fachingenieur-Ausschreibung gab es noch keine Lösung                         schen Glasveredler NorthGlass aus Tianjin liefern. North Glass übernahm
drei Millimeter starken Ionoplast-Zwischenlage. Die vorhandenen Toleran-                                                                                                   für die besondere Schwierigkeit der Glasfassade. Die Idee unseres Büros                       die Verantwortung als Lieferant. Glas aus China für die Ikone von Ludwig
zen der Stahlpfosten hatten zur Folge, dass die neuen Scheiben zu einem                                                                                                    war, eine Lösung der Glaslieferung zur Auftragsverhandlung gleich mitzulie-                   Mies van der Rohe. Die Lösung für die Lieferung der überdimensional brei-
großen Teil nicht rechtwinklige Einzelanfertigungen sind. Eine erweiterte                                                                                                  fern. Die Suche über die großen Hersteller weltweit war zunächst nicht                        ten Gläser in Originalabmessungen für die Hallenfassade mit 3,43 x 5,40
Senkung der UV-Transmission zum Schutz der Ausstellungsexponate                                                                                                            erfolgreich. Die Anzahl der Scheiben, die für dieses relativ kleine Projekt be-               und mit 3,54 x 3,85 Metern für die Untergeschoss-Hoffassade war gefunden.
wurde aus ästhetischen Gründen nicht verfolgt. Die Reduktion hätte eine                                                                                                    nötigt wurden, war viel zu gering. Über Innoverre, einen verhältnismäßig                      Die Detailarbeit mit David Chipperfield Architects konnte beginnen. Gemäß
Beschichtung der Zwischenlage erforderlich gemacht, die als blauviolette                                                                                                   kleinen Glashändler, wurde dann doch noch ein, damals wohl der einzige,                       den Planungsanforderungen lieferte NorthGlass 2018 die großen Scheiben
Farbreflexion in Erscheinung getreten wäre.                                                                                                                                Glashersteller für diese Überbreiten gefunden. In enger Zusammenarbeit                        als Verbundsicherheitsglas aus zwei teilvorgespannten Gläsern von je 12
   Die Erneuerung und Instandsetzung der Metallglas-Fassade der Neuen                                                                                                      mit diesem Glashändler wurde ein Angebot aus China eingeholt, inklusive                       Millimeter Stärke (Gesamtdicke inklusive Interlayer 27 Millimeter) und einem
Nationalgalerie drängt sich nicht auf, aber sie ist durchaus sichtbar und                                                                                                  eines Qualitätssicherungsprozesses für die Glasqualität und den Transport                     Gewicht von circa 1,2 Tonnen.
lässt sich nachvollziehen. Wie bereits beim Neuen Museum zeichnet sich
die Planung von David Chipperfield Architects durch die intensive Arbeit
mit dem physischen Material aus, die keine Interpretation des Mies-Entwurf
liefert, sondern eine Auseinandersetzung mit der Realität des Baus. Trotz
der gegenteiligen Behauptung ähnelt sich die architektonische Intention
der Projekte: mehrschichtige, aber stimmige und in sich geschlossene
Räume, die in Materialität und Detailgestaltung überzeugen. In beiden Fällen
geht diese Absicht mit denkmalpflegerischen Ansprüchen einher, ist aber
nicht aus dem Denkmalschutz heraus begründet.                                                  Die Instandsetzung der Neuen Nationalgalerie ist eine Gratwanderung zwi-
   Eine Ästhetik, die mit dem Kontrast neuer Elemente und der Vielschich-                   schen Erhaltung und Erneuerung. Die Sanierung der Fassade ist ein wesentli-
tigkeit des Fragmentarischen spielt, betont weniger den Alterswert des                      cher Teil der umfangreichen Baumaßnahmen. Die Ausstellungshalle wird
historischen Zeugnisses als den Neuheitswert der Intervention. So stehen                    von der Glasfassade gefasst, mit weltweit zur heutigen Planungszeit nicht
die neugestrichenen Stahlprofile in auffälligem Kontrast zur sichtbar geal-                 mehr herstellbaren Größen von 3,43 Meter breiten Gläsern. Die maximale pro-
terten Bronze der Drehtüren der Haupteingänge. Aber dieses Spiel von Alt                    duzierbare Größe liegt bei 3,21 Metern. Es musste auch eine Lösung gefunden
und Neu, das hier und da in der Neuen Nationalgalerie unaufdringlich                        werden, wie sich die Fassade nach der Instandsetzung zwängungsfrei in
durchscheint, erfolgt beinahe unabsichtlich. Für die Schaffung überzeu-                     einem definierten Rahmen bei thermischer Dehnung bewegen kann.
gender Räume war es hier nicht notwendig, so stark ist noch immer die                          Aufgrund des nicht zu vermeidenden Kondensats bei einer erneuten Ver-
gestalterische Kraft des modernen Bestands.                                                 wendung von Einfachglas und den hohen Wärmeverlusten wurde zu Beginn
   Trotz aller Leere, Stille und Mächtigkeit haftet der Ausstellungshalle kei-              der Fassadenplanung die Verwendung einer Zweischeiben-Isoliervergla-
ne Last an. Nach einem Moment des Luftholens wird man ungezwungen                           sung in einer Machbarkeitsstudie untersucht und die jeweiligen Argumente
angetrieben zu wandeln. Dass dieser Raum weiterhin so erlebt werden                         denkmalpflegerisch und technisch gegenübergestellt. Es wurde dann
kann, verdankt sich den abgewogenen Entscheidungen der Instandset-                          entschieden, auch die Sanierung mit Monoglas auszuführen. Mit der Ein-
zung. Hier zeigt sich, dass die denkmalpflegerische Erhaltung der Moderne                   fachverglasung konnte das ursprüngliche Aussehen am besten erhalten
kein affirmativer Akt ist. Es geht nicht um geistfreie Nachbildung längst                   werden. Abgesehen von den noch größeren Produktionsschwierigkeiten
vergangener Gedanken, nicht um Revival kurzlebiger Moden. In der Erhaltung                  von Isolierglasscheiben in diesen Dimensionen hätten sich unweigerlich
der Moderne liegt ihre Kritik. Sie ist umso überzeugender, wo sie respektvoll               ganz andere denkmalpflegerische Implikationen wie Farbigkeit, Transpa-
und unterstützend das Vorgefundene weiterträgt.                                             renz, Reflektion usw. ergeben. Die Verwendung der Isolierglas-Lösung hätte
                                                                                            außerdem den Verlust der kompletten Fassadenprofil-Konstruktionen zur
                                                                                            Folge gehabt. Der Erhalt der Fassadenkonstruktion war aber denkmalpfle-
                                                                                            gerisch ein hohes Ziel. Wegen der Verdopplung der Scheibendicke von
                                                                                            ursprünglich 12 auf nunmehr 27 Millimeter musste die Glasleistentiefe aller-
                                                                                            dings gekürzt werden. Nur jeder dritte Fassadenpfosten wurde durch eine

Die vier Eckpfosten wurden vom Dachtrag-
werk entkoppelt, die Bewegungen des
Dachs neu elastisch aufgenommen.                                                            Text Martin Lutz, Jochen Schindel

1 Whitman, Alden: Mies van der Rohe Dies at 83; Leader of Modern Architecture. In: New                                                                                     Die Stuttgarter Fassadeningenieure von Drees & Sommer, die mit der gesamten Fassaden-
York Times (19.08.1969), online: https://archive.nytimes.com/www.nytimes.com/learning/                                                                                     Leitdetailplanung beauftragt waren, entwickelten für die Halle der Neuen Nationalgalerie
general/onthisday/bday/0327.html.                                                                                                                                          einen speziellen Dehnpfosten. Aufgabe dieses Pfostens ist es, die Bewegungen des Trag-
2 Paul Rudolph: Paul Rudolph. For Perspecta. In: Perspecta 7 (1961), S. 51-64.                                                                                             werks im verdeckt liegenden Bereich seines Profils in einer Dehnfuge aufzunehmen. In die
3 John Winter: Misconceptions about Mies. In: The Architectural Review 151 (1972), S. 69.                                                                                  luft- und dampfdichte Konstruktion sind kleine Federpakete integriert. Sie reagieren auf
4 Charles Jencks: The Language of Post-Modern Architecture, London 1977, S. 16-17.                                                                                         die Verformungen und Rückstellungen. Mit einer 3D-CNC-Fräse wurden die beiden Pfosten-
5 Für die Angaben zur Instandsetzung danke ich Martin Reichert und Michael Freytag von                                                                                     hälften aus einem Stück Vollstahl gefräst und gebohrt. Jede Fassadenseite der Halle verfügt
David Chipperfield Architects, sowie Jochen Schindel von Drees & Sommer und Wolfgang                                                                                       über drei neue Dehnpfosten.
Frey von ProDenkmal.                                                                                                                                                       Detailzeichnung: Jochen Schindel, Drees & Sommer.

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Stein
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Man konnte hier nicht groß
schummeln.
Manfred Gebauer

   Die graue Fläche Granit ist von einer Klarheit, der sich niemand entzie-      Die Bodenplatten vom Außen- und Innenbereich der Neuen Nationalgale-
hen kann. Sie wird mit ihrer Rasterung als elementarer Teil des Gesamt-       rie lassen den Betrachter nicht mehr los, sie bleiben präsent, einheitlich auf
werks mit seiner vollkommenen konstruktiven Strenge und Raumwirkung           der gesamten Fläche, in unerschütterlicher Konsequenz aber auch in gro-
erfahren, denn allein auf ihr erhebt sich die obere Halle der Neuen Natio-    ßer Harmonie die Kontinuität des Raums betonend. Doch zeigt sich hier tat-
nalgalerie.                                                                   sächlich ein „massiver Steinsockel“, der die große Last der Stahlkonstrukti-
   Wenn die Stufen der zentralen Außentreppe an der Potsdamer Straße          on trägt? Bei weitem nicht. Die quadratischen Granitplatten von 1,20 x 1,20
oder der zwei entsprechend der Neigung des Grundstücks höheren seitli-        Metern haben nur eine Materialstärke von gut drei Zentimetern. Das
chen Treppen mit sehr ausgedehnten Trittstufen und ihren Fugen an den         Planungsbüro für Restaurierung und Denkmalpflege ProDenkmal, das die
Setzstufen bereits eine Handschrift von großer Eleganz aufweisen, aber        Sichtung und Beurteilung des Zustands vor der Sanierung und den Umbau-
noch eine gewisse Bescheidenheit ausdrücken, wird oben, auf der Platt-        ten durch David Chipperfield Architects vorgenommen hat, befasste sich
form angelangt, die ganz große Steinfläche inszeniert. Dieser weitläufige     auch intensiv mit den insgesamt rund 14.000 Boden- und Fassadenplatten
Raum lenkt nicht gleich zum Eingang, sondern verleitet zum Umherschreiten     und ihrer Instandsetzung. Es wurden dabei zahlreiche Materialstudien
und Umherschauen bis man auf der Rückseite das breite Band Brüstungs-         durchgeführt.
steine des abgesenkten Skulpturengartens erreicht hat.                           In der Folge hat das Unternehmen Gebauer Steinmetzarbeiten nicht nur
   Nach der trotz aller Vorschläge der letzten Jahrzehnte wohl niemals        die Außen-, sondern auch Innenplatten sowie die Platten im Skulpturengar-
mehr zu reparierenden „Piazzetta“ des angrenzenden Kulturforums zwi-          ten auf- sowie sämtliche Verkleidungen des Sockels abgenommen - eine
schen Gemäldegalerie, Kunstbibliothek und Kunstgewerbemuseum – ein            große logistische Herausforderung, denn alle Platten wurden Achse für
erschreckend belangloser und zudem schiefer Zugangsbereich mit zahl-          Achse katalogisiert und mit einem Code versehen, abtransportiert und für
reichen Zwängen und sogar Gefahrenstellen – ist die Plattform von Mies        anderthalb Jahre stehend in einem Depot zwischengelagert. Steinmetz
van der Rohe eine wahre Wohltat, die sich in ihrer Entschiedenheit unmit-     Manfred Gebauer war schon Ende der sechziger Jahre bei der Montage der
telbar erklärt. Gespannt sein muss man auf das Museum des 20. Jahr-           Platten dabei gewesen und erinnert sich an ein Zusammentreffen mit Mies
hunderts von Herzog & de Meuron, das nicht nur den Rundumblick von            van der Rohe während seines Besuchs auf der Baustelle. Er war damals be-
der Terrasse, sondern die stadträumliche Situation grundlegend verändern      eindruckt von den detaillierten Kenntnissen des Aachener Steinmetzsohns,
wird. Die Baustelle gleich nebenan hat begonnen.                              immer in Erwartung höchster handwerklicher Präzision. Gebauer in einem

Text Sebastian Redecke

                                                                                                                                                               Grundriss der Ausstellungs-
                                                                                                                                                               halle im Maßstab 1:100. Aus-
                                                                                                                                                               schnitt. Schwarzweiß-Kopie
                                                                                                                                                               des Originalblatts A12.
                                                                                                                                                               © The Museum of Modern Art,
                                                                                                                                                               New York/Scala, Florence.

                                                                                                                                                               Aufmacherbild Stein, S. 18-19,
                                                                                                                                                               stehende Lagerung der kata-
                                                                                                                                                               logisierten Granitplatten in
                                                                                                                                                               Brandenburg, Dezember 2016.
                                                                                                                                                               © Christian Martin.

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Interview: „Man konnte hier nicht groß schummeln“. Wolfgang Frey von Pro-     nen von einer Größe bis 3,2 Zentimetern. Der Kies führte zusätzlich zu
                                            Denkmal stellte während den Untersuchungen dennoch fest, dass es mini-        Schäden, da die Bettung unter starker Belastung nachgab und die Platten
                                            male Abweichungen von den originalen Werk- und Montageplänen gibt.            danach nur noch punktuell auflagen. Es ergaben sich Wasserlachen und
                                               Bei den alten sowie den ersetzten Terrassen- und Mauerplatten handelt      im Winter Eisflächen. Im Rahmen der Arbeiten wurde daher auch das Bett
                                            es sich um Striegauer Granit. Die Steinbrüche befinden sich nahe der          neu konzipiert. Nach einer Studie mit drei Versuchsaufbauten von Pro-
                                            niederschlesischen Stadt Strzegom (Striegau) in Polen. Aus welchem der        Denkmal in Zusammenarbeit mit dem Baulabor Konstruktiver Ingenieur-
                                            dortigen Steinbrüche die Originalplatten stammten, lässt sich nicht mehr      bau der Fachhochschule Potsdam entschied man sich für einen Aufbau
                                            ermitteln. Bei den Platten der Ausstellungshalle und des Untergeschosses      mit Splittbett, eine Drainagematte mit Trennlage und ein Schaumglas
                                            handelt es sich um Epprechtsteiner Granit aus dem Fichtelgebirge. Die zwei    (Foamglas) als Dämmung mit einem Gefälle, das in Heißbitumen einge-
                                            in der Halle sehr präsenten Schächte für die Lüftungskanäle sind kostbar      schlämmt wurde. Nur bei Starkregen ist eine Ableitung des Wassers auf
                                            mit grünlichem Tinos Marmor (südägäischer Serpentinit) verkleidet. Der        der Oberfläche der Platten vorgesehen, die eine leichte Neigung von einem
                                            Schacht ist dreiseitig eine Stahlbetonkonstruktion. Die dritte, zur Fassade   Grad aufweisen. Der völlig neue Aufbau ergab sich unausweichlich nicht
                                            zeigende Seite ist aus Mauerwerk. Nur diese Seite wurde während der           nur wegen der Schäden an den Platten, sondern auch da im Bereich zur
                                            Baumaßnahmen für die Neuinstallationen der Technik komplett geöffnet.         Potsdamer Straße die Terrasse für das neue Depot auf 600 Quadratmetern
                                               Die Analyse des Zustands der Granitplatten machte deutlich, wie drin-      unterbaut wurde.
                                            gend die Sanierung erforderlich war. Die Bodenplatten hatten Risse und           Alle Bodenplatten wurden reversibel je nach Lage in die entsprechende
                                            Brüche, teilweise waren auch Ecken abgebrochen. Das Problem war, dass         neue Bettung verlegt, können daher immer wieder aufgenommen werden.
                                            die Platten aus Strzegom zwar eine besonders hohe Druckfestigkeit auf-        Eine besondere Sorgfalt der Arbeiten war erforderlich, denn würde ein
                                            weisen, aber mit ihrer Stärke für größere Punktlasten nicht ausgelegt         Steinmetzunternehmen heute Platten in dieser Größe verlegen, hätten sie
                                            waren, zum Beispiel beim Veranstaltungsbetrieb mit Hubbühnen oder dem         eine Stärke von mindestens acht Zentimetern und wären damit deutlich
                                            Transport von schweren Kunstwerken.                                           robuster. Man hatte sich aber dennoch für die Wiederverwendung an glei-
                                               Ursprünglich lagen die Bodenplatten in einem Mörtelbett und darunter       cher Stelle per Code und nur an manchen Stellen für die Ersatzproduktion
                                            einer Sandschicht. Seit einer Sanierungsmaßnahme in den 80er Jahren           der Originalplatten in identischer Stärke entschieden. Die Platten haben
                                            waren die Platten aber auf einem sehr groben Flusskies gebettet mit Stei-     wegen der Fugen präzis eine Abmessung von 1,194 x 1,194 Metern. Minimale
Blick von Nordwesten.
© BBR / Marcus Ebener.

                                                                      Ansicht der Außentreppe im
                                                                      Maßstab 1:20, Ausschnitt.
                                                                      Schwarzweiß-Kopie des
                                                                      Originalblatts A15.
                                                                      © The Museum of Modern
                                                                      Art, New York/Scala, Florence.

                                                                      Analyse der Granitplatten
                                                                      des Sockels. Sie haben eine
                                                                      Stärke von nur etwas mehr
                                                                      als 3 cm.
                                                                      © ProDenkmal.

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Abweichungen zum Raster zeigen sich bei den Platten entlang der Fassaden,                                                                                                          Die Bodenplatten der Halle waren im Vergleich zu den Außenplatten in
wo die Ausschnitte der Ecken an den Stahlpfosten leicht variieren.                                                                                                              einem guten Erhaltungszustand. Eine Besonderheit war nicht nur, dass die
   Zur Restaurierung gehörte neben den Reparaturen der Terrassenplatten                                                                                                         gleichen Granitplatten mit dem Anspruch eines einheitlichen Bilds außen wie
auch ihre Reinigung. Um die festaufliegenden Schmutzverkrustungen zu                                                                                                            innen verlegt wurden, aber unterschiedlichen Anforderungen entsprechen
entfernen – dazu zählen biogene Ablagerungen und gummiartige Stellen                                                                                                            mussten. Eine weitere wichtige Aufgabe war die Oberflächenbeschaffenheit
durch Skateboardabnutzung – entschied man sich für das Niederdruckpar-                                                                                                          der Bodenplatten, die entsprechend des Bestands nicht zu glatt sein durften.
tikelstrahlverfahren. In anderen Bereichen wie den Mauerplatten und den                                                                                                         Die Platten wurden daher gestockt. Für die vorangehenden Tests erstellte
Bodenplatten des Skulpturengartens kam im Nachgang ein Heißwasser-                                                                                                              ProDenkmal auch hierfür ein Musterfeld im Maßstab 1:1. Der Anpassungs-
hochdruckverfahren zum Einsatz, um u.a. die dort stärkere Vergrünung                                                                                                            druck an heutige Bauvorschriften war generell groß. Jedes Detail musste mit
entfernen zu können. Besonders schwierige Stellen waren die gelbliche Ein-                                                                                                      den Partnern, dem Bauherrn und den Genehmigungsbehörden verhandelt
tönung mancher Platten der Außenwände des Sockels und des Skulpturen-                                                                                                           werden, um eine für diese so außergewöhnliche Aufgabe zugeschnittene
gartens durch Eisenhydroxidverbindungen und die Eisenkorrosion durch                                                                                                            Lösung zu finden. So wurde für Personen mit einer körperlichen Behinde-
Kunstwerke auf den Bodenplatten.                                                                                                                                                rung an der Seite zum Landwehrkanal ein neuer, zwei Grad geneigter Weg
   Der Sockel entspricht im Aufbau dem Prinzip einer vorgehängten, hinter-                                                                                                      parallel zur Außentreppe ergänzt. Für Menschen mit Sehbehinderung leitet
lüfteten Fassade. Sie war Ende der sechziger Jahre eine der ersten in                                                                                                           eine Reihe speziell bearbeiteter Platten mit einem dezent eingefügten
Deutschland ausgeführten Fassaden dieser Art. Die Platten wurden über Hal-                                                                                                      Aufmerksamkeitsstreifen aus Schieferstein bis zur Glasfassade.
teanker an einer Stützwand aus Beton mit einem Abstand von zwei bis fünf                                                                                                           Die Neue Nationalgalerie wird als ein Gebäude aus Stahl und Glas wahr-
Zentimetern montiert. Damals hatte man keine Erfahrungen hinsichtlich des                                                                                                       genommen, doch der Sockel ist vom Naturstein geprägt: dem grauen
Fugenmörtels von vorgehängten Wandplatten, die in der Lage sein müssen,                                                                                                         Granit, den Mies van der Rohe so schätzte. 1998 erfuhr die weite Fläche der
die auftretenden Bewegungen aufzunehmen. In den Fugen waren noch Reste                                                                                                          Platten durch den Bildhauer Ulrich Rückriem eine besondere Würdigung.
bauzeitlicher Verfugung sowie später eingebrachter Reparaturmörtel vor-                                                                                                         Aus Anlass des dreißigjährigen Bestehens ließ er die obere Halle erstmals
handen. Der elastische Mörtel war teilweise gerissen. Die Platten wurden mit                                                                                                    von allen zusätzlichen Einbauten räumen, um seine vierzig für den Ort ge-
neuen Edelstahlankern wieder gesetzt und nach heutigen Normen verfugt.                                                                                                          fertigten Bodenskulpturen aus Granit mit bruchrauer Oberseite zu installie-
                                                                                                                                                                                ren, die sich über die gesamte Fläche mit großer Geste der Perfektion
                                                                                                                                                                                schachbrettartig direkt an dem Raster der Platten orientierten. Die Besucher
                                                                                                                                                                                blickten mit Rückriem nicht mehr wie üblich zunächst staunend hinauf zur
                                                                                                                                                                                Rasterdecke, sondern auf den steinernen Boden.

                                                                               Mauer des Sockels entlang
                                                                               der Sigismundstraße. Einige
                                                                               Platten wurden ersetzt.
                                                                               © BBR / Marcus Ebener.

                                                                                                                                                   1998 wurden in der Halle
                                                                                                                                                   zum ersten Mal die Boden-
                                                                               Prüfung von verschiedenen                                           skulpturen aus Granit des
                                                                               Reinigungsmethoden der                                              Bildhauers Ulrich Rückriem
                                                                               Platten an der Zufahrt zur                                          ausgestellt.
                                                                               Anlieferung.                                                        © Roman März / bpk /
                                                                               © ProDenkmal.                                                       Nationalgalerie, SMB.

24                                                                                                           Bauwelt Einblick   Bauwelt Einblick                                                                                                         25
David Chipperfield war über-
                                                                                                                                                                      Garderobe für 192 Mäntel,
Einbauten in Holz
                                                                                                                                                                                                                                                        rascht, dass sich unter den

                                                                                                                                      Text Therese Mausbach           96 Hüte                                                                           „pieces of the perfect Mies“
                                                                                                                                                                                                                                                        einfach verarbeitete Holzkon-
                                                                                                                                                                                                                                                        struktionen verbergen.
                                                                                                                                                                                                                                                        © BBR / Marcus Ebener.

                                                                                                                                                                         Die Garderoben sind als Ständerkonstruktion
                                                                                                                                                                      aus Kiefernholz ausgeführt, deren Pfosten stets
                                                                                                                                                                      präzise auf den Kreuzfugen des Granitbodens
                                                                                                                                                                      stehen. Die Wände wurden aus speziellen Eichen-
                                                                                                                                                                      furnieren gefertigt. Es handelt sich um englische
                                                                                                                                                                      Brauneiche, die sich durch einen kräftigen mittel-
                                                                                                                                                                      braunen bis rötlichen Farbton auszeichnet, der
                                                                                                                                                                      durch Pilzbefall verursacht wird. Der Parasit, die
                                                                                                                                                                      sogenannte Ochsenzunge, ernährt sich von dem
                                                                                                                                                                      gerbstoffreichen Kern der Eiche und hinterlässt
                                                                                                                                                                      braunrote Holzverfärbungen und Streifen; ein sel-
                                                                                                                                                                      tenes Erscheinungsbild, das im englischsprachi-
                                                                                                                                                                      gen Raum gefragt ist und das Mies van der Rohe
                                                                                                                                                                      aus Amerika kannte. Ihm war die vertikale Aus-
                                                                                                                                                                      richtung der Maserung wichtig. Im Kontrast mit
                                                                                                                                                                      dem starken Naturstein inszeniert die English                                     Verkaufsstand in der Trep-
                                                                                                                                                                                                                                                        penhalle, 1968. Seit den
                                                                                                                                                                      Brown Oak das Thema Holz in kräftiger Farbe –
                                                                                                                                                                                                                                                        80ern ist er abgebaut, nur
                                                                                                                                                                      bis ihre Oberflächen durch Sonneneinwirkungen                                     wenige seiner Teile blieben
                                                                                                                                                                      über die Zeit immer mehr verblassten.                                             erhalten.
                                                                                                                                                                         Seit 2015 untersuchte ein von ProDenkmal be-                                   © Reinhard Friedrich / bpk /
                                                                                                                                                                                                                                                        Nationalgalerie, SMB.
                                                                                                                                                                      auftragtes Restauratorenteam verschiedene
                                                                                                                                                                      Wege der Farbauffrischung. Das Team arbeitete
                                                                                                                                                                      bereits mit David Chipperfield Architects für das
                                                                                                                                                                      Neue Museum auf der Museumsinsel zusammen
                                                                                                                                                                      und kannte ihre Zielsetzung des maximalen Sub-
                                                                                                                                                                      stanzerhalts, zu dem auch die Akzeptanz von
                          Die Garderobenfront.                                                                                                                        Gebrauchsspuren gehört. In vier Phasen entwi-
                          © Ute Zscharnt /
                                                                                                                                                                      ckelte man schließlich trotz unterschiedlicher
                          David Chipperfield Architects.
                                                                                                                                                                      Meinungen ein Restaurierungskonzept: eine be-
                                                                                                                                                                      hutsame Farbauffrischung, die dem Helligkeits-       An selber Stelle steht nun
                                                                                                                                                                                                                           ein Kassen- und Informati-
                                                                                                                                                                      grad des Furniers der weniger beanspruchten          onstresen.
                                                                                                                                                                      Garderobeninnenseite entspricht und den Auf-         © BBR / Marcus Ebener.
   Betritt man die Neue Nationalgalerie durch ei-          ihn schieben. Das dort arbeitende Personal sollte      kreisverteiler der neuen Fußbodenheizung un-        trag von alkohollöslichem Schellack mit natürli-
ne ihrer Drehtüren, rückt die Stahl-Glas-Fassade           sicherlich elegant gekleidet sein.                     tergebracht; die bauzeitliche wurde bereits         chen Pigmenten. Die Meinungen reichten von
in den Hintergrund. Der Blick folgt weiter dem                Das 2,80 Meter hohe, offene Garderobenkabi-         längst aus unerfindlichen Gründen außer Betrieb     der Erhaltung des verblichenen Zustands (Lan-
Granit, der sich weit über die 50 x 50 Meter große         nett nimmt präzis vier Granitplatten à 1,20 Meter      genommen. Wieder dahinter befindet sich in der      desdenkmalamt Berlin) bis hin zu der farblichen
Ausstellungshalle hinaus erstreckt. Die offene             ein. Parallel zum Tresen stehen links und rechts die   südlichen Garderobenanlage ein weiter funktio-      Angleichung an den Ursprungszustand (Fritz
Halle ist fast leer. Nur die zwei mit grünem Mar-          zwei Holzwände. Vor der Sanierung verschloss ein       nierender Lastenaufzug, der ebenfalls an die        Neumeyer, Joachim Jäger).
mor verkleideten Wandpfeiler sind im Hinter-               schwerer, dunkler Vorhang zwischen den Holz-           Maße der Granitplatten angepasst, 3,60 Meter           Da die Kapazitäten der Holzgarderoben in der
grund zu sehen. Neben den beiden Treppen zum               wänden den Blick in den Raum. An den Innenseiten       lang und breit ist. Mit der Neueröffnung ersetzt    Halle bei steigenden Besucherzahlen lange nicht
Museum im Untergeschoss stößt man nach dem                 sind an beiden Wänden auf einer Höhe von nur 1,55      ein Personenaufzug auf der nördlichen Seite den     mehr ausreichten, verwandelte sich mit der Sa-
Eintritt zudem auf zwei bescheidene Einbauten              Metern die Kleiderstangen befestigt. Die bronzele-     früheren Putzraum. Die schwarz gestrichene          nierung ein ganzer Depotraum zu einer weiteren
aus Holz. Der Besucher hält kurz inne und fragt            gierten Stangen sind durch Kragarme an den Pfos-       Doppeltüranlage aus Stahl, die in gleicher Form     Garderobe. Dort, wie im zentralen Foyer des Un-
sich nach dem Wesentlichen. Der Architekt                  ten der Konstruktion verankert. Zehn Zentimeter        bei dem alten Lastenaufzug vorhanden ist,           tergeschosses an den zwei neuen Kassen- und
gibt in seinem Entwurfsplan A 26 eine einfache             über der Mantelstange befinden sich sechs weite-       bleibt auch hier sichtlich gebraucht erhalten und   Informationstresen von David Chipperfield Ar-
Antwort: „Garderobe für 192 Mäntel, 96 Hüte“.              re dünnere Stangen. Sie bilden die Hutablage. Laut     soll in der Regel morgens geöffnet und abends       chitects, kam Bamberger Brauneiche zum Ein-
   Die in die Halle eingestellten spiegelgleichen          Mies van der Rohes Festlegungen ist ein gekippt        wieder geschlossen werden, damit der Besu-          satz. Der nördliche Tresen orientiert sich in sei-
Holzkonstruktionen (siehe S. 21) lenken förmlich           gelagerter Hut zehn und ein aufgehängter Mantel        cheraufzug zugänglich ist. Die Garderobenanla-      ner Lage und seiner Form an einem nicht mehr
den Besucher. Die Oberbekleidung ist am Tresen             fünf Zentimeter breit. In der Mitte des Kabinetts      gen bilden mit ihren teils freistehenden Rück-      vorhandenen bauzeitlichen Verkaufsstand.
an der aus schwarzem Labrador aufliegenden                 erweitert nun ein Metallgestell die Ablagefläche.      seiten zwei horizontale Ebenen, die die benach-     Abweichungen ergaben sich, laut Projektleiter
Platte abzugeben. Der 2,90 Meter lange Holz-                  Hinter der Garderobe schließt ein Raum glei-        barten Treppenabgänge einfassen. Die streng         Michael Freytag, durch zusätzliche Funktionen
block ist durch einen granitverkleideten Sockel            cher Breite an. Holzgitter verraten, dass hier die     funktionale Einrichtung wirkt in ihrer schlichten   wie der Unterbringung von Audioguides oder
abgesetzt und bildet die Front der Garderobe,              Abluft der Halle in die Klimazentrale im Unterge-      Form skulptural. Ist die Halle leer, sind sie die   der rollstuhlgerechten Unterfahrbarkeit. Einen
deren Wandscheiben sich beidseitig etwas vor               schoss geleitet wird. Zugleich ist hier der Heiz-      Ausstellungsstücke.                                 Vorgänger des südlichen Tresens gab es nicht.

26                                                                                                                                                 Bauwelt Einblick   Bauwelt Einblick                                                                                             27
Diese Reminiszenz ist kein
Garderobe und Bookshop                                  Text Josepha Landes                                                               radikaler Bruch mit dem
                                                                                                                                          Bestand, sondern ein Sich-
                                                                                                                                          Anlehnen der Gegenwart an
                                                                                                                                          die Vergangenheit

                                  Vom Anfang und Ende her gedacht, läuft ein         Sichtbeton sichtbar belassen. So dringen die
                               Museumsbesuch in etwa so: Jacke ausziehen             Räume an die Unterkante des Sockels vor, wo sie
                               und Souvenirs kaufen. Irgendwo dazwischen             zudem den brutalen Schmuck der Stützenfun-
                               hat man jackenlos die Werke bestaunt, die man         damente erhalten, die trichterförmig in den
                               schließlich als Postkarte oder in einem Sammel-       Raum ragen.
                               band mit nach Hause nimmt – wahlweise am                 Das Neue bleibt auf Abstand, ist lediglich ein-
                               Schlüsselbund oder als Aufdruck auf einem             gestellt in den auch an den Wänden roh belas-
                               Schirm. Die Räume für jene rahmengebenden             senen Betonraum. Wo die Diskussion im übrigen
                               Museumsaktivitäten haben David Chipperfield           Haus stets stark gebunden war an das Wech-
                               Architects, wie nur Weniges in ihrem Projekt          selspiel von heutiger, neutraler Gestaltung und
                               an der Neuen Nationalgalerie, eigenständig ge-        zu Wohnlichkeit driftender Aufnahme des Her-
                               stalten können, denn sie sind neu verortet, wo        gebrachten, zeigen die beiden neuen Funktions-
                               zuvor die Besucher gar nicht hingelangten.            räume das von Chipperfield bekannte Ringen
                                  Im Originalzustand bot der Bau in der oberen       um Angemessenheit. Gerade weil das Neue
                               Halle zwei kleine, wenngleich sehr feine Mantel-      gleichzeitig das Alte ist, nur durch Entmantelung
                               rückhaltezonen, immerhin mit Hutablage. Bücher        offengelegt, ist die Entscheidung so dezent wie
                               und Andenken gab es im unteren Foyer, zuletzt         raffiniert. Die dadurch in den Blick geratenden
                               räumlich weniger fein in einem halbverglasten         sanften Rundungen der Deckenkompartimente
                               Provisorium aufgebahrt. Da Jacken wohl dicker         verleihen der Strenge des Baus eine zarte Nah-
                               wurden und der Konsumrausch über die Jahr-            barkeit. Die Häute zum Skelett des Monumen-
                               zehnte anschwoll, musste mehr Platz für beide         talbaus zu öffnen, führte dazu, die Überschnei-
                               Funktionen her. Da das Depot in den Sockel            dungen der perfektionistisch gelegten Raster
                               verlagert und ausgebaut werden konnte, ergaben        zum Knirschen und somit auch zum Klingen zu
                               sich zwei spiegelsymmetrische Räume im Un-            bringen.
                               tergeschoss, angebunden ans weitläufige untere           Vielleicht offenbaren sich die neuen und alten
                               Foyer über je einen Vorraum. Die Garderobe zur        Schichten nicht auf den ersten Blick. Doch wieso
Die neue Gruppengarderobe      rechten – sie verfügt über einen Appendix: eine
im Sockelgeschoss war früher
                               Sammelgarderobe für Besuchergruppen – und
ein Bilderdepot. Sie und der
Bookshop sind die einzigen     der Bookshop zur linken Seite, vis-à-vis dem
durch DCA neu gestalteten      Café, liegen glücklicherweise so, dass sie Einstieg
Räume.                         und Abschluss des Ausstellungsrundgangs                                                                    sollten sie? Die Ergänzungen von David Chipper-
© BBR / Marcus Ebener.
                               markieren.                                                                                                 field Architects erfüllen die Anforderung und das
                                  Beide Räume ähneln sich nicht nur im Zu-                                                                selbst gesteckte Ziel, eine Kontinuität zu erzeu-
                               schnitt, auch materiell und konstruktiv sind sie                                                           gen, eben nicht die Ablesbarkeit der Eingriffe zu
                               aufeinander abgestimmt. Auf dem Boden setzen                                                               forcieren. Sie verstehen es, mit der ihnen gege-
                               sich die Granitplatten des Foyers fort. Die Rück-                                                          benen Freiheit zu haushalten. Und überhaupt:
                               wände der Bücherregale, wie auch die Verblen-                                                              Wenn in der Ikone der Moderne sich eine Situation
                               dungen in der Garderobe sind in Brauneiche ge-                                                             anbietet, in die Eingeweide des Hauses vorzu-
                               halten, wie sie bereits Mies van der Rohe für die                                                          dringen, ist wohl der Moment beim Mantelabge-
                               Garderobe der oberen Halle und die Möblierung                                                              ben oder Anstehen vor der Krims-Krams-Kasse
                               des Verwaltungstrakts einsetzte. Diese Reminis-                                                            der angemessene. Bleibe der Blick bei der Kunst
                               zenz ist kein radikaler Bruch mit dem Bestand,                                                             auf der Kunst.
                               kein Antagonist, sondern ein Sich-Anlehnen der
                               Gegenwart an die Vergangenheit, ein Bewusst-          Die Betonkassettendecke
                                                                                     wurde sichtbar belassen,
                               sein des Eingeschrieben-Seins des Jetzt in den
                                                                                     Leuchten sind der Raumlän-
                               Lauf der Zeit. Am deutlichsten zeigt sich ein zeit-   ge nach in die Kassetten
                               genössischer Eingriff an der Decke, wo die Ar-        gesetzt. In Form einer umge-
                               chitekten auf die im 60er-Jahre-Bau umfangreich       kehrten Pyramide wird die
                                                                                     Stahlbetonstütze des Dach-
                               applizierten quadratischen Unterhangdecken            tragwerks sichtbar.
                               verzichteten und die Kassettendecken aus              © BBR / Marcus Ebener.

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