ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
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Spezial Personalisierte Highlights aus O N KO LO G I E Onkologie der Onkologie Für die meisten Krebs- Zahlreiche Experten sprechen über erkrankungen ist es sehr ihre ganz persönlichen Highlights, schwierig, die entschei- die die Onkologie in diesem Jahr denden Driver-Mutati- geprägt haben: Bei vielen Tumor- entitäten wurden bedeutende onen zu identifizieren Entwicklungen und Fortschritte in und mit zielgerichteter der Therapie erzielt. Seite 34 Therapie zu behandeln. Bewegung bei Krebs Erfolgreiche Beispiele Regelmäßige körperliche Aktivität sind BCR-ABL, HER2, kann präventiv das Risiko für Krebs- ALK und B-RAF. Seite 8 erkrankungen reduzieren, aber auch bei bereits aufgetretener Krebserkrankung psychosoziale Faktoren sowie Rezidiv- Inhalt rate und Überleben positiv beeinflus- sen. Seite 42 Editorial Die Rolle der niedergelassenen Ärzte Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Hilbe – Vorwort MR Dr. Christoph Dachs 23 Netzwerke für eine qualitätsorientierte Krebsmedizin 5 Nebenwirkungsmanagement und Supportivtherapie – Neue Herausforderungen 24 Die Rolle der Krebszentren Pharmakologisches Management von Tumorschmerzen – Neue WHO-Richtlinien 28 Vorwort Univ. Prof. Dr. Matthias Preusser 7 Personalisierte Onkologie – Hochkomplexe Präzision 8 Highlights & COVID-19 Immuntherapie – Checkpoint-Inhibitoren im Fokus 10 Highlights aus der Onkologie 34 Interview Matthias Preusser – Onkologie und COVID-19: Die Rolle des multidisziplinären Tumorboards Versorgung lückenlos aufrechterhalten 38 Vorwort Prim. Prof. Dr. Wolfgang Eisterer 15 Fallbericht – Kolonkarzinom in jungem Alter: Patientenbedürfnisse in der Onkologie Nicht so selten & hochrelevant 16 Vorwort Univ. Doz. Dr. Ansgar Weltermann 41 Fallbericht – Metastasierter NET des Ileums: Bewegung bei Krebs – Fakten und Mythen 42 Nach Zweitoperation rezidivfrei 18 Ernährung bei Krebs – Fakten und Mythen 46 Fallbericht – NSCLC Stadium IV: Hervorragende Tumorkontrolle erreicht 20 Österreichische Krebshilfe – Angebote und Initiativen 48 Impressum: Medieninhaber und Verleger: Verlagshaus der Ärzte GmbH, Nibelungengasse 13, A-1010 Wien, www.aerzteverlagshaus.at // Auflage: 46.500 Stück // ÖÄZ Sonderausgabe // Wissenschaftliche Leitung: Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Hilbe // Projektorganisation: Marion Wangler, MA // Anzeigenlei- tung Österreichische Ärztezeitung: Bernhard Mitterhauser // Senior Key Account: Michaela Thenius // Disposition: Anna Hisch // Grafik & Layout: Irene Danter // Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Verlagshaus der Ärzte GmbH // Druck: Ferdinand Berger & Söhne GmbH, A-3580 Horn // © Coverfoto: Tim Vernon / Science Photo Library // Mit freundlicher Unterstützung von: AbbVie, Amgen, Astellas, BMS, Eli Lilly, Fresenius Kabi, Gebro, GSK, Hexal, Janssen, MSD, Pfizer, Roche, Sanofi, Teva. Den vollständigen Firmenwortlaut entnehmen Sie bitte den jeweiligen Fachkurzinformationen auf den Seiten 56 bis 59 oder den jeweiligen Inseraten. Allgemeine Hinweise: Für den Inhalt der Artikel zeichnet der jeweilige Autor verantwortlich. Der besseren Lesbarkeit halber werden die Personen- und Berufsbezeichnungen nur in einer Form verwendet; sie sind natürlich gleichwertig auf beide Geschlechter bezogen. ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 3
Spezial O N KO LO G I E E D I TO R I A L Netzwerke für eine qualitätsorientierte Krebsmedizin in Österreich Es sind die individuell erlebten zugelassen. Der Großteil dieser Medika- Leidenswege der Patienten durch die mente wirkt zielgerichtet und kann eine Wartezimmer von Ärzten und Ambu- deutliche Verbesserung für die Patienten lanzen. Es vergehen wertvolle Tage generieren. 2018 waren über 700 neue und Wochen, irgendwann hat der Pati- Medikamente in einer späten Entwick- ent vielleicht das Glück dem richtigen lungsphase. Neue Medikamente, neue Arzt/der richtigen Ärztin zu begegnen. Nebenwirkungen, neue Kombinationen, Soll der Zugang zu einer qualitäts- wann sollen wir was geben? Die Komple- orientierten Medizin dem Glück des xität wird weiter zunehmen, stellt die Einzelnen überlassen werden? Wie medizinische Hämatologie und Onko- kann es gelingen, dass jede Patientin logie vor große Herausforderungen und und jeder Patient einen zeitnahen und verlangt eine zunehmende fachliche niederschwelligen Zugang zu einer Spezialisierung. Diese Spezialisierung qualitätsorientierten onkologischen 1) So viel Zentralisierung, wie notwen- wird auch für alle anderen beteiligten Versorgung findet? dig; 2) So viel dezentrale Betreuung, Mitglieder der Tumorboards diverser wie möglich; 3) Primär sollten Daten Fachdisziplinen immer wichtiger. Von Wir haben bereits ein Best-Practice und Bilder reisen, nicht der Patient. Der der Pathologie werden zum Beispiel Modell, das erfolgreich in Österreich Schlüssel für den Erfolg sind vordefi- neue molekulare Analysen gefordert, ausgerollt wurde – es ist die enge Koope- nierte Entscheidungsalgorithmen, die die Radiologen und Nuklearmediziner ration von niedergelassenen Ärzten mit mit allen handelnden Personen abge- sollen die radiologischen Effekte der den niedergelassenen diagnostischen stimmt sind, und eine optimierte Infor- Wirkungen und Nebenwirkungen neuer Instituten und den Brustgesundheits- mation und Kommunikation zwischen Medikamente kennen (Bsp.: Pneumo- zentren (BGZ), die meist in onkolo- den Schnittstellen. Dahinter steckt viel nitis), die Radioonkologen müssen sich gischen Zentren lokalisiert sind. Die Detailarbeit, die in Arbeitsgruppen und Gedanken machen, wie die Strahlenthe- Patientin nimmt an einem empfohlenen Qualitätssitzungen geleistet wird. Am rapie und die medikamentöse Therapie Screeningprogramm teil, kommt zum Ende des Weges geht es nicht darum zusammenpassen. niedergelassenen Arzt, eine Diagnostik „meine“ Patientin oder „meinen“ Pati- wird indiziert, bei einem suspekten Be- enten abzugeben“, vielmehr darum, dass Diese Ausgabe der Österreichischen fund erfolgt eine erweiterte Bildgebung, ich als „Case Manager“ ein hochquali- Ärztezeitung präsentiert Ihnen die eine interdisziplinär besetzte Experten- fiziertes Team von Experten an meiner wesentlichen Schlüsselrollen der gruppe (Tumorboard) im Brustgesund- Seite habe, die das beste Ergebnis für onkologischen Versorgung von Krebs- heitszentrum entscheidet dann über das den „gemeinsamen“ Patienten erzie- patienten – es ist ein Spannungsbogen, weitere Vorgehen (Biopsie, Operation, len wollen. Am Ende muss es für den der von den Krebszentren hin zu den molekulares Profil, innovative neue Patienten einfach und klar sein: „Der Tumorboards reicht, der die Rolle der Therapien…). Die Nachsorge soll dann Fahrplan steht und meine Vertrauens- niedergelassenen Medizin beleuchtet wieder im niedergelassenen Bereich ärzte führen mich auf diesem Weg.“ Das und dabei auch die individuellen Be- erfolgen. Ergebnis kann sich sehen lassen: Die dürfnisse der Krebspatienten darstellt. Mortalität sinkt, die Patienten haben Für alle anderen Tumorentitäten ist eine längere Lebenserwartung. Wir hoffen, dass Sie in dieser Ausgabe das interdisziplinäre Tumorboard der viele wertvolle Informationen erhalten, Schlüssel für ein qualitätsorientiertes Besonders in der medizinischen On- die Ihnen in der Praxis helfen können. Management; in vielen Häusern wurden kologie erleben wir einen Tsunami an zusätzlich die „Krebszentren“ einer ge- neuen und wirksamen Medikamenten, Ihr samthaften externen Zertifizierung un- die vielfach auch oral gegeben wer- Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Hilbe © privat terzogen. Diese Netzwerke sollten nach den können. So wurden in den letzten Präsident der Österreichischen Gesellschaft für folgenden Prinzipien aufgebaut sein: fünf Jahren über 50 neue „Onkologika“ Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO) ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 5
Spezial O N KO LO G I E VORWORT Die Rolle der Krebszentren Herr Maier nimmt seit zwei Jahren täglich eine Tablette Die Entwicklungen der modernen Onkologie mitzuer- gegen sein metastasiertes Lungenkarzinom. Er arbeitet leben und durch eigene Forschungsarbeiten mitzuge- 40 Stunden pro Woche, im Sommer war er auf Segelturn stalten, zu sehen wie es zunehmend gelingt, Menschen in Kroatien. mit Krebs ein längeres und besseres Leben zu ermögli- chen, ist in höchstem Maße motivierend und inspirie- Frau Müller kommt seit vier Jahren alle drei Wochen an die rend. Innovation passiert in der Onkologie weltweit und Tagesklinik und erhält einen Viertelliter klarer Flüssigkeit als täglich, sie stattet uns laufend mit neuem Wissen, neuen venöse Infusion, die die Gehirnmetastasen ihres Melanoms Diagnostika und neuen Therapiemöglichkeiten aus. Diese in Schach hält. Sie liebt Kreuzworträtsel, am Wochenende Errungenschaften helfen Frau Müller aber nur, wenn wir unternimmt sie Ausflüge mit ihren Enkelkindern. es schaffen, dass diese - eingebettet in ein umfassendes Versorgungssystem - bei ihr ankommen. Das Krebs- Ich liebe es Onkologe zu sein. 4.700 Jahre nach der ersten zentrum, ihr Hausarzt und das nächstgelegene Spital bekannten Beschreibung von Krebs durch den ägyptischen müssen sich abstimmen, um Frau Müller gemeinsam Hohepriester Imhotep beginnen wir das Ruder im Kampf eine umfassende Aufklärung, einen maßgeschneiderten gegen diese Erkrankung herumzureißen. Vom „Sterben an Behandlungsplan auf Basis molekularer Diagnostik und Krebs“ zu „Leben mit Krebs“. einer Begutachtung in einem Tumorboard, zeitnahe Therapieverabreichungen nahe ihrem Wohnort, rasche Die Triebfeder dieser Entwicklungen ist die moderne biome- Abklärung und Management von Komplikationen und dizinische Forschung. Wir verstehen immer besser wie Krebs Nebenwirkungen sowie eine laufende Betreuung durch entsteht, wie sich Krebszellen durch den Körper bewegen, informierte und miteinander abgestimmt agierende Kol- sich in Organen festsetzen, wachsen, überleben und zerstö- legen zu ermöglichen. ren. Aus diesem Wissen lassen sich neue diagnostische und therapeutische Methoden ableiten, die zielgerichtet in diese Ein derartig ineinandergreifendes System zu schaffen, be- Vorgänge eingreifen. Laboranalysen, die die Erbsubstanz der darf verstärkter Kommunikation, nicht nur zu medizinisch- Tumorzellen von Herrn Maier in Stunden entschlüsseln und fachlichen, sondern auch zu organisatorischen Themen. so ihre Achillesferse aufzeigen. Tabletten, die seinen Tumor- Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile und es gilt zellen die Kraft nehmen zu wachsen. Bildgebende Methoden, die multidisziplinäre Zusammenarbeit so zu bündeln, dass die die Tumoren im Körper von Frau Müller aufleuchten jeder Krebspatient die bestmögliche Versorgung in allen lassen und uns zeigen, wo wir sie bekämpfen müssen. Erkrankungsphasen erhält. Krebszentren spielen dabei Infusionen, die ihr Immunsystem gegen Krebszellen scharf eine wesentliche Rolle und sind als verbindendes Element machen. Die translationale Forschung an der Schnittstelle dafür verantwortlich, die optimale Zusammenarbeit über zwischen Labor und Krankenbett wird in den kommenden alle Fachrichtungen hinweg zu ermöglichen. Das rasch Jahren dazu führen, dass immer mehr von Krebs betroffene wachsende Know-how im Umgang mit digitalen Kommu- Menschen länger und besser mit ihrer Krankheit leben nikationstechnologien, welches wir uns aktuell durch die können. Coronavirus-Pandemie aneignen, kann ein erster Schritt sein, das Lernen voneinander zur gelebten Selbstverständ- Krebszentren, also universitäre und nicht-universitäre lichkeit zu machen. Spitalseinrichtungen mit onkologischer Ausrichtung, haben eine wichtige Rolle als Schrittmacher der Forschung und als Frau Müller benötigt ein medizinisches System, in dem von Referenzzentren. Ihre Aufgabe ist es, neue Entwicklungen zu ihrem Hausarzt, über die Spitalsärztin in ihrem wohnortna- verfolgen, zu interpretieren, sie kritisch zu hinterfragen und hen Krankenhaus bis zur Professorin im zuständigen Krebs- mitzugestalten. Ihre Aufgabe ist es, Expertise aufzubauen zentrum alle Kollegen gemeinsam dafür sorgen, dass sie und zu pflegen, zu wissen welche Diagnostik und Therapie in das machen kann, was sie möchte - Kreuzworträtsel lösen, welchem Fall indiziert ist, vor allem in komplexen Situationen reisen, ihre Freunde und Familie treffen, kurz: trotz und mit und bei seltenen Tumorarten. Die Aufgabe von Krebszen- ihrer Krebserkrankung zu leben. tren ist es auch, sich als Teil eines Versorgungsnetzwerkes organisch in dieses einzufügen. Krebszentren dürfen keine El- Ihr fenbeintürme sein, in denen Spezialisten isolierte Forschung Univ. Prof. Dr. Matthias Preusser betreiben und Frau Müller ohne Berücksichtigung ihres Um- Klinische Abteilung für Onkologie, feldes eine Vorschreibung für eine neue Therapie machen. Medizinische Universität Wien ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 7
Personalisierte Onkologie Personalisierte Onkologie HOCHKOMPLEXE PRÄZISION Für die meisten Krebserkrankungen ist es sehr schwierig, die entscheidenden Driver-Mutationen zu identifizieren und mit zielgerichteter Therapie zu behandeln. Erfolgreiche Beispiele sind BCR-ABL, HER2, ALK und B-RAF. Personalisierte Tumorboards bieten dennoch eine neue Möglichkeit für jene Patienten, die aus verschiedenen Gründen für eine Standardtherapie nicht in Frage kommen. D as Ziel der (Präzisions-)Medi- sind das zeitlich dynamische Zusammenspiel zin in der Onkologie besteht verschiedener Mutationen und das Aus- darin, dem richtigen Pati- maß des Einflusses epigenetisch verän- enten zum richtigen Zeit- derter und nicht mutierter Gene für punkt die richtige Therapie zukom- die Therapieeffizienz entscheidend, men zu lassen („Right Drug – Right aber weitgehend ungeklärt. Patient – Right Time“). Das Bilder- buchbeispiel für diesen Zugang Funktionelle Tests wie High- ist die Hemmung von BCR-ABL Throughput-Drug-Screening redu- durch den Tyrosinkinaseinhibitor zieren die (genetische) Komplexität Imatinib in der Philadelphia-Chro- auf funktionell relevante Schalter, mosom-positiven Chronisch Mye- die „druggable“, also medikamentös loischen Leukämie (Ph+CML). Hier behandelbar, sind. Sie können indi- gelingt es, einen spezifischen soma- rekte genetische Verfahren ergänzen tischen Genotyp mit einer passenden und messen das mögliche Therapiean- Therapie präzise abzustimmen. Einige wei- sprechen direkt, indem von einer real-time- tere erfolgreiche Beispiele wie HER2, ALK, B- Biopsie ex vivo das Zellüberleben unter Arz- RAF tragen das Konzept, dass „Driver“-Mutationen neimittelwirkung untersucht wird. Diese Verfahren die entscheidenden Veränderungen in einer Krebserkran- sind hochdurchsatzfähig; die parallele Analyse zahlreicher kung darstellen, die das Krebswachstum steuern und als solche antineoplastischer Substanzen ist simultan möglich. Es lassen auch die Ziele einer zielgerichteten Therapie repräsentieren. sich auch Substanzkombinationen testen, was hinsichtlich der häufigen Entwicklung von Resistenzen im Rahmen von Mono- Leider mussten wir lernen, dass es für die meisten Krebserkran- therapien relevant ist. kungen sehr schwierig ist, die entscheidenden Driver-Mutati- onen zu identifizieren und gezielt zu behandeln. Derzeit profitie- Durch diese methodischen Erweiterungen in der Präzisionsme- ren noch wenige Patienten von molekularen Therapien. Dies hat dizin, die unter dem Begriff „Funktionelle Präzisionsmedizin“ mehrere mögliche Ursachen. So finden wir in einem individu- zusammengefasst werden, wächst die Anzahl der therapeu- © Kateryna Kon / Science Photo Library ellen Tumor meistens mehrere sogenannte Driver-Mutationen tischen Möglichkeiten für den einzelnen Patienten sukzessive an und wir wissen nur von den wenigsten Fällen, ob die Driver- und führt im Rahmen von personalisierten Therapieverfahren Mutation selbst oder von ihnen beeinflusste Genprodukte für zu neuartigen Stratifizierungen abseits klassischer Histologie. den Phänotyp der Krebserkrankung verantwortlich sind. Durch Die Entwicklung von Umbrella-, Basket- oder Plattform-Trials, Tumorheterogenität und klonale Evolution steigt die Komplexi- oft unter Verwendung eines Master Trial Protocols, ermöglicht tät von Tumoren vor allem in späteren Therapielinien deutlich effiziente Verteilung und Gruppierung von Patienten in pas- an, wodurch die rationale Therapieentscheidung basierend auf sendere Therapiegruppen. Ein Automatismus in der Therapie- genetischen Veränderungen immer schwieriger wird. Zusätzlich entscheidung mittels Gruppierung und eines Studienprotokolls 8 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a 25. November 2020
Spezial O N KO LO G I E kann damit ermöglicht werden. Eine Per- ist agnostisch gegenüber klassischen Er- sonalisierung, im Sinne von n=1, ist mit Derzeit profitieren krankungsentitäten, beurteilt die Ergeb- dieser indirekten Analogieevidenz aller- noch wenige Patienten nisse der verwendeten Untersuchungen dings nicht möglich. Und auch in der täg- von molekularen und versteht sich auch modular hinsicht- lichen Praxis gibt es diesen Automatismus lich der Integration von experimentellen Therapien. nur sehr eingeschränkt. Heute sieht sich Daten. Darüber hinaus wird nicht nur der Onkologe mit einer Reihe von altbe- die Therapieplanung der Patienten be- kannten und neuen Variablen konfron- sprochen, sondern auch ihr Outcome tiert, die in der Praxis oft auf eine n=1-Therapieentscheidung wird im Rahmen des Tumorboards festgehalten. Bedingt durch hinauslaufen. Der behandelnde Arzt steht so vor einem Wider- COVID-19 mussten auch Voraussetzungen geschaffen werden, spruch: Einerseits hat der wissenschaftliche Fortschritt zur For- diese Tumorboards virtuell abzuhalten. Dies hat sich bewährt malisierung und zur Realität der evidenzbasierten Medizin ge- und kann sich zukünftig als vorteilhaft erweisen, um die Betreu- führt, andererseits steht gerade dieser Fortschritt dem Ziel der ung von Patienten außerhalb der Zentren zu ermöglichen bezie- individuellen Therapiepräzisierung entgegen. Dieser Vorgang ist hungsweise Zentren national zu vernetzen und so den Austausch komplex und nicht durch evidenzbasierte Guidelines gedeckt. und das gegenseitige Lernen weiter zu verbessern. Eine Lösung ist es, den Vorgang so gut wie möglich zu dokumen- tieren und idealerweise zu formalisieren. Einerseits erlangt der Unser Ziel ist die Schaffung eines nationalen Tumorboards für ärztliche Entscheidungsprozess so Transparenz und anderer- personalisierte Therapie, um die optimale und personalisierte seits werden gesammelte ärztliche Erfahrung einem wissen- Therapie für hämatologische Patienten unabhängig von ihrem schaftlichen Erkenntnisgewinn zugänglich gemacht. Betreuungsort zu ermöglichen. ← Personalisierte Tumorboards sind hierfür besonders gut geeig- Literatur bei den Verfassern net: Hier erfolgt die Integration der zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbaren Daten, der Diagnostiker und Spezialisten diverser Dr. Christoph Kornauth anderer Disziplinen. Eine geeignete Dokumentation macht Ent- Klinisches Institut für Pathologie, Medizinische Universität Wien scheidungen nachvollziehbar und in seiner integrativen Gesamt- Assoz. Prof. Priv. Doz. DDr. Philipp Staber heit wird das System lernfähig. Universitätsklinik für Innere Medizin 1, Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, Medizinische Universität Wien Das Anwachsen der verfügbaren Daten zu einzelnen Patienten stellt neue Ansprüche an die Erhebung, Speicherung, Struktur, Aggregation und Präsentation von patientenbezogenen Daten. In wenigen Bereichen erfährt der Begriff „Big Data“ eine ähn- liche Bedeutungszunahme wie in der Präzisionsonkologie. Um Abb. 1: Aufbau eines personalisierten Tumorboards die Lernfähigkeit zu maximieren, sollte das Ziel sein, die Struk- turen der Datenerhebung zu harmonisieren, um eine Austausch- barkeit zwischen verschiedenen Zentren ebenso zu vereinfa- chen, wie die systematische Auswertbarkeit der Real-World-Data auch außerhalb von Forschungsprojekten zu ermöglichen. Dies gewinnt vor allem im Rahmen einer Outcome-Forschung inner- halb eines solidarisch organisierten Gesundheitssystems gesell- schaftliche Relevanz. Wir haben an der Klinischen Abteilung für Hämatologie der Uni- versitätsklinik für Innere Medizin I (MedUni Wien) ein Tumor- board etabliert, das den Ansprüchen an eine moderne Betreu- ung von hämato-onkologischen Patienten Rechnung trägt: Im Tumorboard „Personalisierte Hämatologie“ werden Patienten Mindestens zwei Hämatoonkologen erstellen eine Therapieempfehlung diskutiert, die aus verschiedenen Gründen für eine Standard- anhand der vorliegenden Daten: Diese können aus verschiedenen Tests wie therapie nicht in Frage kommen. Das Tumorboard erlaubt die comprehensive genomic profiling stammen. Pathologie und Labormedizin lie- fern Daten zu Oberflächenmarkern, Histologie und Zytologie. Pharmazeuten Integration verschiedener klassischer und neuer diagnostischer erstellen Wechselwirkungsprofile zur geplanten Therapie. Die teilnehmenden Methoden wie comprehensive genomic profiling mittels next- Disziplinen dienen der kritischen Überprüfung der vorliegenden Daten und generation sequencing oder Ergebnisse aus funktionellen Tests haben Vetorecht, die endgültige Entscheidung liegt bei den Hämatoonkolo- im Sinne einer funktionellen Präzisionsmedizin. Dieses Board gen. Die Therapie wird anhand von Scores auf ihre Spezifität hin überprüft. ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 9
Immuntherapie Immuntherapie CHECKPOINT- INHIBITOREN IM FOKUS Mit der Etablierung der Immunonkologie im klinischen Alltag hat die systemische onkologische Therapie eine wahre Revolution erfahren. Dadurch ergeben sich aber nicht nur viele therapeutische Möglichkeiten für Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung, sondern aufgrund des spezifischen Wirkmechanismus auch neue Nebenwirkungen. D ie Immunonkologie befindet sich derzeit noch in med cell death ligand 1) und CTLA-4- (cytotoxic T-lymphocyte-as- Entwicklung und stetiger Erprobung, sodass auch sociated protein 4) Inhibitoren, wobei der Ligand PD-L1 oftmals rezent am diesjährigen Kongress der Europäischen verstärkt von den Tumorzellen selbst exprimiert wird, während Gesellschaft für Medizinische Onkologie (European PD-1 und CTLA-4 vor allem auf T-Lymphozyten nachgewiesen Society for Medical Oncology, ESMO) wieder neue Indikationen werden können. Von therapeutischer Relevanz ist somit nicht diskutiert wurden. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick nur die explizite Expression der Oberflächenproteine auf der über Entwicklung, Einsatz und Nebenwirkungen von Check- Tumorzelle, sondern auch das Mikroenvironment und vor allem point-Inhibitoren. die Tumor-infiltrierenden Lymphozyten (Abb. 1). Interessanter- weise hat sich die initiale Annahme, dass eine gute Wirkung von From Concept to Reality CPI an eine hohe Expression von entsprechenden Markern wie PD-L1 gebunden ist, nicht in allen Entitäten bewahrheitet. Während das Konzept der Aktivierung des Immunsystems gegen Man weiß heute, dass sowohl die peritumoralen Immunzel- die Krebszelle als endogenen Feind bereits seit den 70er-Jahren len als auch andere Faktoren wie die Anzahl an somatischen Wissenschafter auf der ganzen Welt beschäftigt, gelang erst Mutationen in den Tumorzellen (tumor mutational burden) 2011 mit dem erfolgreichen Einsatz des CTLA-4-Inhibitors Ipi- eine Rolle spielen können. In weiteren Studien konnte gar limumab als „First in Class“-Substanz beim malignen Melanom kein Zusammenhang mit diesen Biomarkern und der Wir- der bahnbrechende Durchbruch. Grundlage für dieses Thera- kung von CPI gezeigt werden. Dies spiegelt sich auch in der © Keith Chambers / Science Photo Library pieprinzip ist die Unterbindung der Ausweichmechanismen der Zulassung der einzelnen Wirkstoffe wider. Während in man- Tumorzelle gegenüber der körpereigenen Immunantwort. Die chen Indikationen die Anwendung unabhängig vom jeweiligen am weitesten entwickelte Strategie in diesem Kontext sind die Expressionsstatus ist (zum Beispiel Zugabe von CPI zur Chemo- Checkpoint-Inhibitoren (CPI), wobei mittels monoklonaler An- therapie beim Bronchuskarzinom), ist bei der Monotherapie tikörper gezielt Immuncheckpoints, die in der physiologischen die Gabe oftmals an den TPS (Tumor Proportion Score) entspre- Situation Wächter vor einer überschießenden Immunantwort chend der PD-L1-Expression auf der Tumorzelle oder den CPS sind, blockiert werden und somit die Aktivierung des Immun- (Combined Positive Score), der die PD-L1-Expression kombiniert systems gegen den Tumor ermöglicht wird. Etablierte Beispiele auf Tumorzellen, Lymphozyten und Markophagen abbildet, ge- sind PD-1- (programmed cell death protein 1), PD-L1- (program- bunden. 10 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a 25. November 2020
Spezial O N KO LO G I E Häufig eingesetzte CPI in Österreich umfassen PD-1-Inhibitoren wird eine maximale Verabreichung von zwei Jahren angestrebt; (Cemiplimab, Nivolumab, Pembrolizumab), PD-L1-Inhibitoren optimale Therapiedauer und auch mögliche Re-Induktion nach (Atezolizumab, Avelumab, Durvalumab) und den CTLA-4-Inhi- Absetzen und Progress stellen allerdings relevante Forschungs- bitor Ipilimumab, wobei letzterer vornehmlich in Kombination fragen dar. mit Nivolumab eingesetzt wird. Nutzen und Nebenwirkungen Obwohl in den frühen Entwicklungsstadien vor allem an die Mo- notherapie geglaubt wurde, sind CPI mittlerweile in zahlreichen Bereits bei der Erstzulassung von Ipilimumab und in weiterer Turmorentitäten in Kombination mit Chemotherapie zuge- Folge der Kombination mit Nivolumab überzeugte nicht nur lassen. Allerdings steht nach wie vor zur Diskussion, ob die be- der Gesamtüberlebensvorteil, sondern auch die beobachtete obachteten Effekte als synergistisch oder additiv zu betrachten Plateaubildung in den Überlebenskurven, die einen Anteil von sind. Zusätzlich werden CPI auch in Kombination mit anderen rund 20 Prozent Langzeitüberlebenden beim metastasierten Me- zielgerichteten Therapien wie Tyrosinkinaseinhibitoren erprobt lanom abbildet – ein Phänomen das mittlerweile in mehreren und unter anderem beim Renalzellkarzinom bereits eingesetzt. Indikationen gezeigt werden konnte. Praxisrelevante Einsatzge- Der Verabreichungsmodus ist intravenös und erfolgt je nach Sub- biete von CPI in der Erstlinientherapie umfassen heute in Kom- stanz in einem Intervall von zwei bis sechs Wochen. Eine große bination mit Chemotherapie das nicht-kleinzellige (NSCLC) und Diskussion ist die Dauer der Therapie, da sich bei oft exzellenter kleinzellige Bronchuskarzinom, Plattenepithelkarzinome des Verträglichkeit eine langfristige Gabe anbietet und vor allem Kopf-Hals-Bereichs und das triple-negative Mammakarzinom, bei Chemotherapie-basierten Schemata oft ein Konzept aus In- während neben dem Melanom die reine Immuntherapie auch duktion gefolgt von Erhaltung verfolgt wird. In einigen Studien beim NSCLC mit hoher PD-L1-Expression (TPS ≥50%), bei Kopf- → Tab. 1: Anwendungsgebiete von Checkpoint-Inhibitoren gemäß EMA Substanz Tumorentität Indikation PD-1-Inhibitoren Cemiplimab Plattenepithelkarzinom der Haut Lokal fortgeschritten oder metastasiert Nivolumab Melanom Lokal fortgeschritten oder metastasiert; adjuvant NSCLC Progress nach Chemotherapie Nierenzellkarzinom Progress nach systemischer Therapie Urothelkarzinom Progress nach Chemotherapie Plattenepithelkarzinom Kopf/Hals Progress nach Chemotherapie Pembrolizumab Melanom Lokal fortgeschritten oder metastasiert; adjuvant NSCLC Erstlinie TPS ≥50% oder mit Chemotherapie; Progress nach Chemotherapie TPS ≥1% Urothelkarzinom Rezidiv nach Chemotherapie; Chemotherapie-untauglich CPS ≥10 Plattenepithelkarzinom Kopf/Hals Erstlinie +/- Chemotherapie CPS ≥1; Progress nach Chemotherapie TPS ≥50% Nierenzellkarzinom Erstlinie in Kombination mit Axitinib PD-L1-Inhibitoren Atezolizumab NSCLC Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie; Progress nach Chemotherapie SCLC Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie Urothelkarzinom Progress nach Chemotherapie; Chemotherapie-untauglich PD-L1 ≥5% Mammakarzinom, triple-negativ Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie PD-L1 ≥1% Avelumab Merkelzellkarzinom Metastasierte Erkrankung Nierenzellkarzinom Erstlinie in Kombination mit Axitinib Durvalumab NSCLC Nach Radiochemotherapie bei stabiler Erkrankung PD-L1 ≥1% SCLC Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie CTLA-4-Inhibitoren Ipilimumab Melanom +/- Nivolumab ab der Erstlinie Nierenzellkarzinom + Nivolumab Erstlinie intermediäres/ungünstiges Risikoprofil NSCLC = non-small cell lung cancer, SCLC = small cell lung cancer, TPS = Tumor Proportion Score, CPS = Combined Positive Score ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 11
Immuntherapie Tab. 2: Häufigkeit von immune-related adverse events (per Substanzgruppe) Nebenwirkung/ Substanzgruppe Häufigkeit Organ (≥Grad 3) Diarrhoe CTLA-4-Inhibitor 28-41% (5-10%) PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 1-19% (0-1%) Kombination 16-45% (2-9%) Colitis CTLA-4-Inhibitor 8-16% (5-8%) PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 0-4% (0-2%) Abb. 1: In der histologischen Aufarbeitung eines Tumorpräparats Kombination 1-13% (1-8%) (hier Immunhistochemie) zeigen sich häufig tumorinfiltrierende Lymphozyten (tumor infiltrating lymphocytes, TILs). Lunge CTLA-4-Inhibitor Keine Angabe PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 1-5% (0-2%) Kombination 3-7% (1-2%) (Exanthem); es kann aber auch selten zu potentiell lebensbe- Haut CTLA-4-Inhibitor 19-34% (1%) (Exanthem) PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 1-16% (0-4%) drohlichen Events wie einer Hypophysitis, Myokarditis oder neu- Kombination 17-30% (1-3%) rologischen Syndromen kommen. Im Jahr 2020 stehen bereits ausführliche Leitlinien zur Therapie dieser Nebenwirkungen zur Nervensystem CTLA-4-Inhibitor 0-5% (0-2%) Verfügung (zum Beispiel der ESMO). Das Grundprinzip beruht PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 0-1% (0-1%) üblicherweise auf einer Unterbrechung der CPI-Verabreichung, Kombination keine Angabe anti-inflammatorischer Therapie mit Steroiden und je nach Endokrine CTLA-4-Inhibitor 8-38% (4-8%) Schwere auch der Gabe weiterer Immunsuppressiva. Die Er- Organe PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 7-23% (1-2%) kennung und Überwachung dieser Nebenwirkungen erfordert Kombination 12-34% (1-6%) nichtsdestotrotz ein hohes Maß an Expertise (Tab. 2). Auch wenn Leber CTLA-4-Inhibitor 4-24% (0-11%) ein Großteil der beobachteten immune-related adverse events PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 0-11% (0-2%) als CTCAE Grad 1-2 (Common Terminology Criteria of Adverse Kombination 4-33% (3-20%) Events) klassifiziert werden kann, ist vor jeder CPI-Therapie eine Niere CTLA-4-Inhibitor Keine Angabe ausführliche Patientenaufklärung erforderlich. PD-1/PD-L1-Inhibitoren* 0-2% (0-1%) Kombination Bis 7% (2%) One fits all – ein Therapie- konzept für jeden Patienten? Modiziert nach: Martins F, Sofiya L, Sykiotis GP, et al. Adverse effects of immune- checkpoint inhibitors: epidemiology, management and surveillance. Nature Trotz all dieser positiven Ergebnisse liegen auch für die Im- Reviews Clinical Oncology. 2019;16(9):563-580. muntherapie mit CPI noch nicht bei jeder Tumorentität positive *Substanzen: Nivolumab, Pembrolizumab, Avelumab, Atezolizumab, Durvalumab Daten vor. Es wird mit Hochdruck an der Etablierung reprodu- zierbarer Biomarker gearbeitet – vor allem auch, weil es in Ein- zelfällen neben immune-related adverse events sogar zu einer → Hals-Tumoren oder beim Urothelkarzinom eine Option darstellt. frühen Verschlechterung der Grunderkrankung im Rahmen ei- Auch die Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab wurde ner sogenannten Hyperprogression kommen kann. Außerdem mittlerweile bei mehreren Tumorentitäten erfolgreich unter- stellen aktive Autoimmunerkankungen eine relative Kontraindi- sucht. Weitere Strategien umfassen die reine Erhaltungsthera- kation für die Verabreichung von CPI dar. Somit ist es weiterhin pie, zum Beispiel beim NSCLC im Stadium III nach Radiochemo- das höchste Ziel, jene Patienten zu identifizieren, die dauerhaft therapie mit Durvalumab, oder auch die adjuvante Therapie, die von einer Immuntherapie profitieren, und einem möglichst beim Melanom etabliert ist (Tab. 1). großen Anteil an Patienten eine Chronifizierung ihrer Tumor- erkrankung zu ermöglichen. Nicht zuletzt steht neben der Ver- Dennoch kann die gewünschte Immunantwort auch spezifische längerung des Gesamtüberlebens auch der Erhalt der Lebens- Nebenwirkungen verursachen, die sich deutlich von jenen ei- qualität im Fokus, sodass auch die Erhebung dieses Parameters ner klassischen Chemotherapie unterscheiden und auf einer bei zukünftigen Studien von großer Relevanz erscheint. ← überschießenden Inflammation durch Angriff auf körpereigene Organstrukturen basieren. Diese Reaktionen werden als „im- Literatur bei der Verfasserin mune-related adverse events“ (irAEs) bezeichnet und umfassen häufig milde immunvermittelte Effekte an der Schilddrüse, dem Priv. Doz. DDr. Barbara Kiesewetter-Wiederkehr Gastrointestinaltrakt (Diarrhoe, Colitis), der Lunge (Pneumoni- Klinische Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für tis), der Leber (Hepatitis), der Niere (Nephritis) oder der Haut Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien 12 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a 25. November 2020
Spezial O N KO LO G I E VORWORT Die Rolle des multidisziplinären Tumorboards Qualitätsstandards in der Medizin sind für die Sicher- prätherapeutisch und/oder postoperativ gemäß der stellung und Durchführung einer onkologischen Versor- organspezifischen Vorgaben im Tumorboard vorgestellt gung auf hohem wissenschaftlichem Niveau zwingend werden. Sofern keine Vorstellung erfolgt, muss dies in der erforderlich. Die Behandlungsoptionen für Patienten mit Patientenakte nachvollziehbar begründet sein. Es sind alle onkologischen Erkrankungen haben in den letzten Jahren Patienten mit Rezidiven und neu aufgetretenen Metasta- deutlich zugenommen. Die Weiterentwicklung von Opera- sen (erneut!) prätherapeutisch vorzustellen. Ebenfalls tionsverfahren, die Optimierung radio-onkologischer Prä- sind Patienten, bei welchen eine Änderung der Therapie- zisionsverfahren, die Einführung unterschiedlicher lokal art (zum Beispiel kurativ auf palliativ) erfolgt, (erneut!) ablativer Verfahren und die Entwicklung neuer syste- vorzustellen. misch aktiver Substanzen, vor allem monoklonaler Anti- körper und anderer biologisch zielgerichteter Substanzen, Mittlerweile sind die Anforderungen bezüglich der not- führten zu einer breiten Diversifizierung der onkolo- wendigen Infrastruktur und Logistik, aber auch bezüglich gischen Therapie. So eröffnet sich heute die Möglichkeit, des Entscheidungsprozesses selbst definiert. Wichtig ist die medikamentöse Behandlung unter Berücksichtigung die strukturierte Vorstellung der Patienten durch den von Mutationsprofilen und Signalwegmodulationen an behandelnden Arzt anhand einer einheitlichen Anmelde- den individuellen Patienten anzupassen. maske. Die Qualität der vorhandenen Informationen und die Qualität der Teamarbeit haben einen signifikanten Aufgrund dieser Neuerungen, die aus einem besseren Einfluss auf das Erreichen einer sinnvollen Therapieent- Verständnis der Tumorbiologie resultieren, aber auch scheidung. Um ausreichend Vorbereitungszeit zu ermög- der Komplexität onkologischer Erkrankungen insgesamt, lichen, ist eine rechtzeitige Anmeldung, mindestens am kann eine Fachdisziplin allein nicht mehr festlegen, wel- Vortag des multidisziplinären Tumorboards, notwendig. che Therapieoption in einem konkreten Behandlungsfall Die Entscheidung des multidisziplinären Tumorboards vorrangig ist und in welcher Sequenz weitere Modalitäten muss für alle Teilnehmer transparent dokumentiert angewendet werden sollten. Daher sind multidisziplinäre werden. Grundsätzlich sind Behandlungspläne bezie- Tumorboards (MDT) mit dem Ziel der Optimierung der Di- hungweise Empfehlungen des Tumorboards bindend. agnose, Empfehlung der individuell vielversprechendsten Falls Abweichungen zum Entscheid festgestellt werden, Therapie und der Nachsorge sowohl im Österreichischen müssen diese protokolliert und begründet werden. Ent- Strukturplan Gesundheit (ÖSG) als auch in spezifischen sprechend der Ursache sind Maßnahmen zur Vermeidung Leitlinien der verschiedenen Fachgesellschaften als von Abweichungen zu treffen. zeitgemäßer Standard in der onkologischen Versorgung vorgeschrieben. Eine Limitierung einer flächendeckenden Versorgung mit multidisziplinären Tumorboards stellen die nötigen Das multidisziplinäre Tumorboard setzt sich aus Vertre- Zeit- und Personalressourcen dar. Vor allem universitäre tern aller Organfächer beziehungsweise operativen Dis- Zentren müssen eine hohe Anzahl von krankheits- oder ziplinen, die Tumorpatienten betreuen, einem Facharzt organspezifischen Tumorboards vorhalten, was sehr per- für Radiotherapie und Radioonkologie, einem Facharzt sonalintensiv ist. Diese hohe Frequenz führt zur Gefahr, für Innere Medizin mit dem Zusatzfach Hämatologie und dass multidisziplinäre Tumorboards nicht immer mit Internistische Onkologie, einem Facharzt für Radiologie, ausgewiesenen Experten besetzt sind. einem Facharzt für Pathologie sowie weiteren Mitgliedern anderer Disziplinen wie zum Beispiel Nuklearmedizin, Ihr Gastroenterologie, Palliativmedizin etc. je nach Bedarf Prim. Prof. Dr. Wolfgang Eisterer beziehungsweise Definition des jeweiligen multidiszi- Abteilung für Innere Medizin und Hämatologie plinären Tumorboards zusammen. Es müssen alle Fälle und Internistische Onkologie, LKH Klagenfurt am Wörthersee ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 15
Fallbericht Kolonkarzinom in jungem Alter NICHT SO SELTEN & HOCHRELEVANT Eine 35-jährige Frau wird beim Hausarzt aufgrund neu CA19-9 erweisen sich zum Diagnosezeitpunkt als nicht aufgetretener Meläna vorstellig. Die ansonsten völlig ausgelenkt. Die lokale Therapieempfehlung besteht in gesunde Patientin berichtet auch über zunehmende einer palliativen Hemikolektomie aufgrund der rela- Diarrhoen sowie einen ungewollten Gewichtsverlust tiven Tumorstenose, gefolgt von einer palliativen Che- von sechs Kilogramm in den letzten Monaten. Die kli- mo-Antikörper-Therapie. Darüber hinaus wird jedoch nische Untersuchung verläuft unauffällig, aufgrund auf die Möglichkeit einer Zweitmeinung hingewiesen, Fallbericht der genannten Symptome erfolgt jedoch die Zuwei- woraufhin die Vorstellung an unserem Zentrum folgt. sung an das nächstgelegene Spital zur Koloskopie. Hier zeigt sich ein Malignom-verdächtiger stenosierender Tumorboard Tumor im Bereich des aufsteigenden Dickdarms, aus welchem multiple Biopsien entnommen werden. Bei Hierorts präsentiert sich die Patientin in exzellentem histologischer Diagnose eines Adenokarzinoms des Ko- Allgemeinzustand (ECOG 0), die initiale Anämie-be- lons werden weitere Staginguntersuchungen initiiert: dingte Fatigue erweist sich nach Transfusionen mit In der Computertomografie von Thorax bis Becken Erythrozytenkonzentraten als rasch gebessert. Eine werden neben dem langstreckigen Primärtumor auch zusätzlich veranlasste FDG-PET-CT verläuft ohne Be- pathologisch vergrößerte Lymphknoten mesenteriell, funderweiterung über das bereits bekannte Metasta- retroperitoneal sowie supraclavikulär links und eine zu- sierungsausmaß, sodass nach Diskussion im interdiszi- © Steve Gschmeissner / Science Photo Library sätzliche Tumormanifestation im kleinen Becken fest- plinären Tumorboard aufgrund des jungen Alters und gestellt – somit einem Tumorstadium cT3 cN2b cM1a des exzellenten Allgemeinzustandes der Patientin der entsprechend. Aufgrund des ungewöhnlichen Metasta- Versuch einer systemischen Konversionstherapie trotz sierungsmusters wird der pathologische Lymphknoten lymphogener Fernmetastasierung im Sinne eines indi- supraclavikulär links Ultraschall-gezielt biopsiert und viduellen Heilversuchs empfohlen wird. eine maligne Infiltration durch das Kolonkarzinom bestätigt. Bei bildgebend gering ausgeprägtem Aszites Bei mittlerweile vorliegendem molekularem Tumorsta- ergibt sich initial auch der Verdacht auf das Vorliegen tus (KRAS mutiert, BRAF-Wildtyp, Mikrosatelliten-sta- einer Peritonealkarzinose. Die Tumormarker CEA und bil) und rechtsseitiger Lokalisation des Primärtumors 16 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a 25. November 2020
Spezial O N KO LO G I E wird eine Chemo-Triplet-Therapie nach dem FOLFOXIRI-Sche- ma empfohlen, mit der Zielsetzung eines maximalen Thera- pieansprechens. Bei relativ stenosierendem Primärtumor wird initial auf eine anti-VEGF-basierte Antikörpertherapie (Beva- cizumab) aufgrund des erhöhten Darmperforations-Risikos verzichtet. Zudem ergibt sich bei regelmäßiger Darmpassage vorerst auch keine Indikation zur Stoma-Anlage beziehungswei- se zur vorzeitigen Resektion des Primärtumors. Aufgrund des jungen Alters sowie einer positiven Familienanamnese für Kolo- rektalkarzinom werden eine umfangreiche genomische Analyse des Tumormaterials sowie eine weiterführende humangene- tische Beratung veranlasst. Ausgangsbefund nach 2 Monaten Chemotherapie Therapie Abb. 1: FDG-PET-CT Die Chemotherapie wird für zwei Monate komplikationslos ver- abreicht und resultiert gemäß Re-Staging-Untersuchungen in betreuenden Hausarzt, der Erstdiagnose im peripheren Spital FDG-PET-CT: FDG-PET-CT:Ausgangsbefund Ausgangsbefund nach 2 Monaten Chemotherapie nach 2 Monaten Chemo einer sehr guten partiellen Remission aller bekannten Tumor- und letztendlich der weiterführenden Spezialdiagnostik und manifestationen (Abb. 1). Gemäß der Empfehlung des neuerlich Tumortherapie am Zentrum unter Einschluss verschiedenster einberufenen interdisziplinären Tumorboards kann nach erfolg- Disziplinen – wie im konkreten Fall von Radiologie, Pathologie, reicher Konversion nun die vollständige chirurgische Sanierung Humangenetik, Chirurgie und medizinischer Onkologie. angestrebt werden: es wird eine rechtsseitige Hemikolektomie mit Dünndarmteilresektion, interaortokavaler und ilakaler In Anbetracht der deutlich steigenden Inzidenz von Kolorek- Lymphadenektomie sowie die Exstirpation der Lymphkno- talkarzinomen im jüngeren Alter (unter 50 Jahren) sollte eine tenmetastase supraclavikulär links vorgenommen, wobei sich entsprechende Klinik wie Meläna niederschwellig zur weiteren intraoperativ keinerlei Hinweise auf eine Peritonealkarzinose Abklärung mittels Koloskopie führen, vor allem bei Vorliegen zeigen. Das postoperative histologische Stadium ergibt eine pa- weiterer Symptome wie im beschriebenen Fall. Fortschritte auf thologisch komplette Remission im Bereich des Primärtumors dem Gebiet der tumorkausalen Systemtherapie erlauben es in- (ypT0) und lediglich eine Lymphknotenmetastase von insgesamt zwischen oftmals, Patienten trotz ausgedehnter Metastasierung 56 entfernten und untersuchten Lymphknoten (ypN1a) sowie durch entsprechendes Schrumpfen der Tumormanifestationen einen fehlenden Malignitätsnachweis in der entfernten Lymph- (sogenannte „tumor shrinkage“) sekundär doch einer kurativ in- knotenmetastase supraclavikulär links. Postoperativ wird eine tendierten Resektion zuzuführen. Das Armamentarium lokalthe- adjuvante Chemotherapie nach dem FOLFOX-Schema ergänzt, rapeutischer Maßnahmen wird hier ständig erweitert, neben der um derart eine perioperative Gesamt-Chemotherapiedauer von modernen Tumorchirurgie auch um Methoden wie die Radio- sechs Monaten zu erlangen. Eine Chemotherapie-assoziierte frequenzablation, irreversible Elektroporation oder stereo-tak- Polyneuropathie II° erweist sich nach Beendigung der Behand- tische Bestrahlung. Nichtsdestotrotz sollte das gemeinsame Ziel lung als vollständig reversibel und die Patientin kann rasch die frühzeitige Erkennung von Darmkrebs sein, um so möglichst wieder ihr Ausgangsgewicht erreichen. Unter engmaschigen kli- viele Patienten kurativ behandeln zu können. ← nischen sowie bildgebenden Nachsorgeuntersuchungen besteht mit aktuellem Stand seit nunmehr über 2,5 Jahren Rezidivfreiheit. Literatur bei den Verfassern Der vorliegende Fall verdeutlicht wie onkologische Patienten im Dr. Florian Huemer; PD Dr. Lukas Weiss, PhD Sinne einer vernetzten Versorgung einer bestmöglichen The- Universitätsklinik für Innere Medizin III, Salzburg Cancer Research rapie zugeführt werden können: von der Erstvorstellung beim Institute (SCRI), Paracelsus Medizinische Universität Salzburg www.aerztezeitung.at ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a 25. November 2020 17
Fallbericht Metastasierter NET des Ileums NACH ZWEITOPERATION REZIDIVFREI Eine 37-jährige gesunde Frau wird aufgrund von seit eine Aufweitung des Ductus pancreaticus im distalen circa sechs Wochen bestehenden Thoraxschmerzen Korpus- und Schwanzabschnitt mit Gangabbruch im vorstellig. Anamnestisch berichtet die Patientin, dass Pankreaskorpus befundet - korrespondierend zum die Schmerzen eher vom Rücken ausstrahlen, vor Gangabbruch eine auffallende Prominenz der ventra- allem im Sitzen und Liegen bestehen und den gesam- len Pankreaskontur. In der chirurgisch-radiologischen ten Brustkorb betreffen; die Atmung ist nicht einge- Besprechung wird diese Befundkonstellation als mali- Fallbericht schränkt, kein Fieber, auch die sonstige Anamnese gnomsuspekt eingestuft. In der CT des Körperstammes ist ohne Auffälligkeiten. Es erfolgt eine notfallmäßige wird der Malignomverdacht bestätigt; kein Hinweis auf Abklärung, die im Labor eine Leukozytose von 10,8 sonstige Malignommanifestationen. Die verbliebenen und ein CRP von 2,64 mg/dl ergibt; Thoraxröntgen peripankreanen Imbibierungen um die Äste des Trun- © Anne Weston, Em Stp, The Francis Crick Institute / Science Photo Library ohne pathologischen Befund. Aufgrund einer dis- cus cöliacus können bildmorphologisch hinsichtlich re- kreten D-Dimer-Erhöhung bei letztendlich unklarem sidueller entzündlicher (Pankreatitis-) Veränderungen Thoraxschmerz wird zum Ausschluss einer Pulmonal- versus peritumoraler/desmoplastischer Reaktion nicht embolie eine Thorax-CT ergänzt, die in Bezug auf die eindeutig differenziert werden. Die analysierten Tu- pulmonalarterielle Strombahn ebenfalls unauffällig mormarker CEA, CA19-9 und Chromogranin A sowie bleibt. das IgG4 (als Ausdruck einer Autoimmunpankreatitis) bleiben unauffällig. Weil in der Thorax-CT im partiell miterfassten Abdo- men eine fragliche Pankreatitis andiskutiert wird, wird Anamnese, klinischer Befund, Laboranalysen und die die Patientin zu einer klinischen Kontrolle inklusive bildgebenden Untersuchungen sind letztendlich nicht Abdomensonographie wieder einbestellt. Hierbei zeigt konklusiv, sodass beschlossen wird, eine CT-gesteuerte sich das Pankreas im Caput- und Korpusbereich etwas Stanzbiopsie des Pankreascorpus vorzunehmen – eine echoreicher als im Pankreasschwanzbereich, insgesamt Endosonographie-gesteuerte Biopsie erscheint auf- das Bild zu einer Pankreatitis passend; die Pankreas- grund der Lokalisation nicht möglich. Histologischer Amylase ist allerdings mit 54 U/l nur geringgradig ausge- Befund: „Drei Stanzbiopsien des Pankreas, diese sind lenkt. In der weiterführenden MRT des Pankreas wird durchsetzt von Formationen eines mäßig differen- 18 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a 25. November 2020
Spezial O N KO LO G I E zierten azinär gebauten Adenokarzinoms (Malignitätsgrad 2, eine abdominelle Sonographie und nach sechs postoperativen duktale Variante) - der Tumor zeigt eine ausgeprägte Gewebsdes- Monaten zusätzlich ein PET/CT mit 68Ga-HA-DOTATATE (nach moplasie.“ möglichst kompletter Abheilung ohne postoperative entzünd- liche Residuen) durchzuführen. Die Drei-Monatskontrolle bleibt Therapie unauffällig, bei der Sechs-Monatskontrolle ergibt sich allerdings im PET-CT der hochgradige Verdacht auf einen weiteren NET im Nach ausführlicher Aufklärung der Patientin über den vorlie- rechten unteren Abdominalquadranten; im Bereich des Ober- genden Befund eines Pankreaskarzinoms wird die radikale chi- bauchs, insbesondere im Bereich der erfolgten Pankreasresekti- rurgische Tumorresektion indiziert und geplant. Nach klinischem on, kein Hinweis auf ein lokoregionäres Rezidiv. In der ergänzten Abklingen einer neuerlichen ödematösen Pankreatitis - nun auch CT des Körperstammes kann der PET-positive, auf einen Zweit- mit einer entsprechenden Amylasämie - entscheidet man sich trotz tumor hochsuspekte Befund am ileozökalen Übergang bestätigt gerade stattgehabter akuter Pankreatitis zur zeitnahen Operation, werden – auch hier keine weiteren tumorsuspekten Läsionen da aufgrund der tumorbedingten Stauung des Organs wiederkeh- thorakal und abdominell. Die Chromogranin A-Analysen bleiben rende Pankreatitiden zu erwarten wären. Der Eingriff wird per sowohl nach drei als auch nach sechs Monaten ohne patholo- querer Oberbauchlaparotomie durchgeführt. Bei der Exploration gischen Befund. Bei somit hochgradigem Verdacht auf das Vor- können sekundäre Tumormanifestationen ausgeschlossen wer- liegen eines Zweit-Tumors am ileozökalen Übergang wird im Tu- den. Aufgrund der ausgeprägten pankreatitischen peripankreanen morboard die Indikation zu einer neuerlichen Resektion gestellt. Veränderungen lässt sich der Tumor zwar detektieren, aber nur sehr schwer zur vermeintlich gesunden Umgebung abgrenzen. Es Therapie des Zweit-Tumors erfolgt die onkologische Tumorresektion, die nach den Kriterien der „Radikalen Antegraden Modularen Pankreato-Splenektomie“ Im Rahmen des neuerlichen operativen Eingriffs sieht und tastet (RAMPS) ausgeführt wird, um die größtmögliche Chance einer man den in der Wand des terminalen Ileums, unmittelbar oral der makro- und mikroskopischen Tumorfreiheit (sogenannte R0- Ileozökalklappe, gelegenen Tumor – ansonsten kein Hinweis auf Resektion) zu erreichen. Neben einer ausgedehnten adäquaten sekundäre Tumormanifestationen. Um das potentielle Lymph- Lymphknotendissektion wird ergänzend eine Cholezystektomie abflussgebiet entlang der rechtskolischen Gefäße ausreichend durchgeführt. Die pathologische Aufarbeitung ergibt einen über- radikal sanieren zu können, wird eine onkologisch-radikale He- raschenden Befund: „Pankreasresektat mit einem hoch differen- mikolektomie rechts durchgeführt. Befund der pathologischen zierten neuroendokrinen Tumor (Grad 1); Ki-67-Index:
Fallbericht NSCLC Stadium IV HERVORRAGENDE TUMORKONTROLLE ERREICHT Eine 31-jährige Patientin, Nichtraucherin ohne Begleit- auf einen ALK-Tyrosinkinaseinhibitor wird eine zielge- erkrankungen mit unauffälliger Familienanamnese, richtete Therapie mit dem „small molecule“ Crizotinib © Eye Of Science / Science Photo Library; Abteilung für Radiologie, A.ö. KH St. Vinzenz Betriebs GmbH. Leiter: Prim. Dr. A. Dessl wird im interdisziplinären Tumorboard vor knapp täglich oral empfohlen; darüber hinaus bei zum Teil fünf Jahren mit einem metastasierten Bronchialkar- osteolytischen Knochenmetastasen nach kieferchirur- zinom vorgestellt. gischer Freigabe eine Therapie mit Denosumab alle vier Wochen s.c. Der Radiologe berichtet über einen 4 cm großen Tumor im Unterlappen mit Infiltration der viszeralen Pleura Verlauf und nachgeschalteter Atelektase, hilären, mediasti- Fallbericht nalen, ipsilateralen und kontralateralen Lymphknoten Die Therapie wird im Mai 2016 begonnen. Die Verträg- und intrapulmonaler Metastasierung sowie multiplen lichkeit der oralen Therapie ist, abgesehen von milden Skelettmetastasen (T4N3M1, Stadium IV). Diagnosesi- Geschmacksveränderungen, sehr gut. Bereits in der cherung aus einer Bronochskopie. Die Patientin wird Drei-Monats-Kontrolle im September 2016 präsentiert zur primär palliativen Therapieplanung vorgestellt. sich die Patientin mit einer partiellen Remission und Radiologischerseits sind die Knochenmetastasen ohne ossär mit vermehrter Sklerosierung. Auch die weiteren wesentlichen Weichteilanteil. Strahlentherapeutisch Drei-Monats-Kontrollen zeigen ähnlich gute Ergebnisse besteht derzeit keine Bestrahlungsindikation bei feh- bei ausgezeichneter Lebensqualität (WHO Perfor- lender Frakturgefahr und ausreichend guter Schmerz- mance-Status 0). therapie. Der Pathologe berichtet über die histologische und molekulare Aufarbeitung. Es handelt sich um ein Im März 2017, neun Monate nach Therapiebeginn, er- Schleimhaut-Biopsat mit Formationen eines gering folgt die neuerliche Vorstellung im Tumorboard. differenzierten bronchogenen Adenokarzinoms, Ma- lignitätsgrad III, EGFR-Wildtyp. Es konnte jedoch eine Radiologe: CT-graphisch weiterhin partielle Remission EML4/ALK-Fusion nachgewiesen werden. des Primums, lokal annährend komplette Remission, ossär stabiler Befund, jedoch neue multiple zerebrale Beschluss des Tumorboards Metastasen bis 8 mm Durchmesser, ohne Ödembildung. Im zerebralen MRI über zehn Metastasen nachweisbar. Primäre Systemtherapie: Aufgrund des ALK-Rearran- Klinisch ist die Patientin in einem WHO-Performance- gements und der hohen Ansprechwahrscheinlichkeit Status 0, ohne neurologische Symptomatik. 20 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a 25. November 2020
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