ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung

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ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Onkologie Spezial 22a 25. November 2020

                                          Spezial

 ONKOLOGIE
   Vernetzte Versorgung
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Spezial
Personalisierte                           Highlights aus                                                      O N KO LO G I E
Onkologie                                 der Onkologie
Für die meisten Krebs-                    Zahlreiche Experten sprechen über
erkrankungen ist es sehr                  ihre ganz persönlichen Highlights,
schwierig, die entschei-                  die die Onkologie in diesem Jahr
denden Driver-Mutati-                     geprägt haben: Bei vielen Tumor-
                                          entitäten wurden bedeutende
onen zu identifizieren
                                          Entwicklungen und Fortschritte in
und mit zielgerichteter
                                          der Therapie erzielt. Seite 34
Therapie zu behandeln.                                                                            Bewegung bei Krebs
Erfolgreiche Beispiele
                                                                                                  Regelmäßige körperliche Aktivität
sind BCR-ABL, HER2,
                                                                                                  kann präventiv das Risiko für Krebs-
ALK und B-RAF. Seite 8                                                                            erkrankungen reduzieren, aber auch bei
                                                                                                  bereits aufgetretener Krebserkrankung
                                                                                                  psychosoziale Faktoren sowie Rezidiv-

Inhalt
                                                                                                  rate und Überleben positiv beeinflus-
                                                                                                  sen. Seite 42

Editorial                                                                          Die Rolle der niedergelassenen Ärzte
Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Hilbe –                                             Vorwort MR Dr. Christoph Dachs                                  23
Netzwerke für eine qualitätsorientierte Krebsmedizin             5
                                                                                   Nebenwirkungsmanagement und
                                                                                   Supportivtherapie – Neue Herausforderungen                      24

Die Rolle der Krebszentren                                                         Pharmakologisches Management von
                                                                                   Tumorschmerzen – Neue WHO-Richtlinien                           28
Vorwort Univ. Prof. Dr. Matthias Preusser                        7

Personalisierte Onkologie – Hochkomplexe Präzision               8
                                                                                   Highlights & COVID-19
Immuntherapie – Checkpoint-Inhibitoren im Fokus                 10
                                                                                   Highlights aus der Onkologie                                    34

                                                                                   Interview Matthias Preusser – Onkologie und COVID-19:
Die Rolle des multidisziplinären Tumorboards                                       Versorgung lückenlos aufrechterhalten                38
Vorwort Prim. Prof. Dr. Wolfgang Eisterer                       15

Fallbericht – Kolonkarzinom in jungem Alter:                                       Patientenbedürfnisse in der Onkologie
Nicht so selten & hochrelevant                                  16
                                                                                   Vorwort Univ. Doz. Dr. Ansgar Weltermann                         41
Fallbericht – Metastasierter NET des Ileums:
                                                                                   Bewegung bei Krebs – Fakten und Mythen                          42
Nach Zweitoperation rezidivfrei                                 18
                                                                                   Ernährung bei Krebs – Fakten und Mythen                         46
Fallbericht – NSCLC Stadium IV:
Hervorragende Tumorkontrolle erreicht                          20                  Österreichische Krebshilfe – Angebote und Initiativen 48

Impressum: Medieninhaber und Verleger: Verlagshaus der Ärzte GmbH, Nibelungengasse 13, A-1010 Wien, www.aerzteverlagshaus.at // Auflage: 46.500
Stück // ÖÄZ Sonderausgabe // Wissenschaftliche Leitung: Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Hilbe // Projektorganisation: Marion Wangler, MA // Anzeigenlei-
tung Österreichische Ärztezeitung: Bernhard Mitterhauser // Senior Key Account: Michaela Thenius // Disposition: Anna Hisch // Grafik & Layout: Irene
Danter // Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Verlagshaus der Ärzte GmbH // Druck: Ferdinand
Berger & Söhne GmbH, A-3580 Horn // © Coverfoto: Tim Vernon / Science Photo Library // Mit freundlicher Unterstützung von: AbbVie, Amgen, Astellas,
BMS, Eli Lilly, Fresenius Kabi, Gebro, GSK, Hexal, Janssen, MSD, Pfizer, Roche, Sanofi, Teva. Den vollständigen Firmenwortlaut entnehmen Sie bitte den
jeweiligen Fachkurzinformationen auf den Seiten 56 bis 59 oder den jeweiligen Inseraten. Allgemeine Hinweise: Für den Inhalt der Artikel zeichnet der
jeweilige Autor verantwortlich. Der besseren Lesbarkeit halber werden die Personen- und Berufsbezeichnungen nur in einer Form verwendet; sie sind
natürlich gleichwertig auf beide Geschlechter bezogen.

ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                                       3
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Spezial
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           E D I TO R I A L

           Netzwerke für eine qualitätsorientierte
           Krebsmedizin in Österreich
           Es sind die individuell erlebten                                                               zugelassen. Der Großteil dieser Medika-
           Leidenswege der Patienten durch die                                                            mente wirkt zielgerichtet und kann eine
           Wartezimmer von Ärzten und Ambu-                                                               deutliche Verbesserung für die Patienten
           lanzen. Es vergehen wertvolle Tage                                                             generieren. 2018 waren über 700 neue
           und Wochen, irgendwann hat der Pati-                                                           Medikamente in einer späten Entwick-
           ent vielleicht das Glück dem richtigen                                                         lungsphase. Neue Medikamente, neue
           Arzt/der richtigen Ärztin zu begegnen.                                                         Nebenwirkungen, neue Kombinationen,
           Soll der Zugang zu einer qualitäts-                                                            wann sollen wir was geben? Die Komple-
           orientierten Medizin dem Glück des                                                             xität wird weiter zunehmen, stellt die
           Einzelnen überlassen werden? Wie                                                               medizinische Hämatologie und Onko-
           kann es gelingen, dass jede Patientin                                                          logie vor große Herausforderungen und
           und jeder Patient einen zeitnahen und                                                          verlangt eine zunehmende fachliche
           niederschwelligen Zugang zu einer                                                              Spezialisierung. Diese Spezialisierung
           qualitätsorientierten onkologischen                1) So viel Zentralisierung, wie notwen-     wird auch für alle anderen beteiligten
           Versorgung findet?                                 dig; 2) So viel dezentrale Betreuung,       Mitglieder der Tumorboards diverser
                                                              wie möglich; 3) Primär sollten Daten        Fachdisziplinen immer wichtiger. Von
           Wir haben bereits ein Best-Practice                und Bilder reisen, nicht der Patient. Der   der Pathologie werden zum Beispiel
           Modell, das erfolgreich in Österreich              Schlüssel für den Erfolg sind vordefi-      neue molekulare Analysen gefordert,
           ausgerollt wurde – es ist die enge Koope-          nierte Entscheidungsalgorithmen, die        die Radiologen und Nuklearmediziner
           ration von niedergelassenen Ärzten mit             mit allen handelnden Personen abge-         sollen die radiologischen Effekte der
           den niedergelassenen diagnostischen                stimmt sind, und eine optimierte Infor-     Wirkungen und Nebenwirkungen neuer
           Instituten und den Brustgesundheits-               mation und Kommunikation zwischen           Medikamente kennen (Bsp.: Pneumo-
           zentren (BGZ), die meist in onkolo-                den Schnittstellen. Dahinter steckt viel    nitis), die Radioonkologen müssen sich
           gischen Zentren lokalisiert sind. Die              Detailarbeit, die in Arbeitsgruppen und     Gedanken machen, wie die Strahlenthe-
           Patientin nimmt an einem empfohlenen               Qualitätssitzungen geleistet wird. Am       rapie und die medikamentöse Therapie
           Screeningprogramm teil, kommt zum                  Ende des Weges geht es nicht darum          zusammenpassen.
           niedergelassenen Arzt, eine Diagnostik             „meine“ Patientin oder „meinen“ Pati-
           wird indiziert, bei einem suspekten Be-            enten abzugeben“, vielmehr darum, dass      Diese Ausgabe der Österreichischen
           fund erfolgt eine erweiterte Bildgebung,           ich als „Case Manager“ ein hochquali-       Ärztezeitung präsentiert Ihnen die
           eine interdisziplinär besetzte Experten-           fiziertes Team von Experten an meiner       wesentlichen Schlüsselrollen der
           gruppe (Tumorboard) im Brustgesund-                Seite habe, die das beste Ergebnis für      onkologischen Versorgung von Krebs-
           heitszentrum entscheidet dann über das             den „gemeinsamen“ Patienten erzie-          patienten – es ist ein Spannungsbogen,
           weitere Vorgehen (Biopsie, Operation,              len wollen. Am Ende muss es für den         der von den Krebszentren hin zu den
           molekulares Profil, innovative neue                Patienten einfach und klar sein: „Der       Tumorboards reicht, der die Rolle der
           Therapien…). Die Nachsorge soll dann               Fahrplan steht und meine Vertrauens-        niedergelassenen Medizin beleuchtet
           wieder im niedergelassenen Bereich                 ärzte führen mich auf diesem Weg.“ Das      und dabei auch die individuellen Be-
           erfolgen.                                          Ergebnis kann sich sehen lassen: Die        dürfnisse der Krebspatienten darstellt.
                                                              Mortalität sinkt, die Patienten haben
           Für alle anderen Tumorentitäten ist                eine längere Lebenserwartung.               Wir hoffen, dass Sie in dieser Ausgabe
           das interdisziplinäre Tumorboard der                                                           viele wertvolle Informationen erhalten,
           Schlüssel für ein qualitätsorientiertes            Besonders in der medizinischen On-          die Ihnen in der Praxis helfen können.
           Management; in vielen Häusern wurden               kologie erleben wir einen Tsunami an
           zusätzlich die „Krebszentren“ einer ge-            neuen und wirksamen Medikamenten,           Ihr
           samthaften externen Zertifizierung un-             die vielfach auch oral gegeben wer-         Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Hilbe
© privat

           terzogen. Diese Netzwerke sollten nach             den können. So wurden in den letzten        Präsident der Österreichischen Gesellschaft für
           folgenden Prinzipien aufgebaut sein:               fünf Jahren über 50 neue „Onkologika“       Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO)

           ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                              5
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Spezial
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VORWORT

Die Rolle der Krebszentren
Herr Maier nimmt seit zwei Jahren täglich eine Tablette            Die Entwicklungen der modernen Onkologie mitzuer-
gegen sein metastasiertes Lungenkarzinom. Er arbeitet              leben und durch eigene Forschungsarbeiten mitzuge-
40 Stunden pro Woche, im Sommer war er auf Segelturn               stalten, zu sehen wie es zunehmend gelingt, Menschen
in Kroatien.                                                       mit Krebs ein längeres und besseres Leben zu ermögli-
                                                                   chen, ist in höchstem Maße motivierend und inspirie-
Frau Müller kommt seit vier Jahren alle drei Wochen an die         rend. Innovation passiert in der Onkologie weltweit und
Tagesklinik und erhält einen Viertelliter klarer Flüssigkeit als   täglich, sie stattet uns laufend mit neuem Wissen, neuen
venöse Infusion, die die Gehirnmetastasen ihres Melanoms           Diagnostika und neuen Therapiemöglichkeiten aus. Diese
in Schach hält. Sie liebt Kreuzworträtsel, am Wochenende           Errungenschaften helfen Frau Müller aber nur, wenn wir
unternimmt sie Ausflüge mit ihren Enkelkindern.                    es schaffen, dass diese - eingebettet in ein umfassendes
                                                                   Versorgungssystem - bei ihr ankommen. Das Krebs-
Ich liebe es Onkologe zu sein. 4.700 Jahre nach der ersten         zentrum, ihr Hausarzt und das nächstgelegene Spital
bekannten Beschreibung von Krebs durch den ägyptischen             müssen sich abstimmen, um Frau Müller gemeinsam
Hohepriester Imhotep beginnen wir das Ruder im Kampf               eine umfassende Aufklärung, einen maßgeschneiderten
gegen diese Erkrankung herumzureißen. Vom „Sterben an              Behandlungsplan auf Basis molekularer Diagnostik und
Krebs“ zu „Leben mit Krebs“.                                       einer Begutachtung in einem Tumorboard, zeitnahe
                                                                   Therapieverabreichungen nahe ihrem Wohnort, rasche
Die Triebfeder dieser Entwicklungen ist die moderne biome-         Abklärung und Management von Komplikationen und
dizinische Forschung. Wir verstehen immer besser wie Krebs         Nebenwirkungen sowie eine laufende Betreuung durch
entsteht, wie sich Krebszellen durch den Körper bewegen,           informierte und miteinander abgestimmt agierende Kol-
sich in Organen festsetzen, wachsen, überleben und zerstö-         legen zu ermöglichen.
ren. Aus diesem Wissen lassen sich neue diagnostische und
therapeutische Methoden ableiten, die zielgerichtet in diese       Ein derartig ineinandergreifendes System zu schaffen, be-
Vorgänge eingreifen. Laboranalysen, die die Erbsubstanz der        darf verstärkter Kommunikation, nicht nur zu medizinisch-
Tumorzellen von Herrn Maier in Stunden entschlüsseln und           fachlichen, sondern auch zu organisatorischen Themen.
so ihre Achillesferse aufzeigen. Tabletten, die seinen Tumor-      Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile und es gilt
zellen die Kraft nehmen zu wachsen. Bildgebende Methoden,          die multidisziplinäre Zusammenarbeit so zu bündeln, dass
die die Tumoren im Körper von Frau Müller aufleuchten              jeder Krebspatient die bestmögliche Versorgung in allen
lassen und uns zeigen, wo wir sie bekämpfen müssen.                Erkrankungsphasen erhält. Krebszentren spielen dabei
Infusionen, die ihr Immunsystem gegen Krebszellen scharf           eine wesentliche Rolle und sind als verbindendes Element
machen. Die translationale Forschung an der Schnittstelle          dafür verantwortlich, die optimale Zusammenarbeit über
zwischen Labor und Krankenbett wird in den kommenden               alle Fachrichtungen hinweg zu ermöglichen. Das rasch
Jahren dazu führen, dass immer mehr von Krebs betroffene           wachsende Know-how im Umgang mit digitalen Kommu-
Menschen länger und besser mit ihrer Krankheit leben               nikationstechnologien, welches wir uns aktuell durch die
können.                                                            Coronavirus-Pandemie aneignen, kann ein erster Schritt
                                                                   sein, das Lernen voneinander zur gelebten Selbstverständ-
Krebszentren, also universitäre und nicht-universitäre             lichkeit zu machen.
Spitalseinrichtungen mit onkologischer Ausrichtung, haben
eine wichtige Rolle als Schrittmacher der Forschung und als        Frau Müller benötigt ein medizinisches System, in dem von
Referenzzentren. Ihre Aufgabe ist es, neue Entwicklungen zu        ihrem Hausarzt, über die Spitalsärztin in ihrem wohnortna-
verfolgen, zu interpretieren, sie kritisch zu hinterfragen und     hen Krankenhaus bis zur Professorin im zuständigen Krebs-
mitzugestalten. Ihre Aufgabe ist es, Expertise aufzubauen          zentrum alle Kollegen gemeinsam dafür sorgen, dass sie
und zu pflegen, zu wissen welche Diagnostik und Therapie in        das machen kann, was sie möchte - Kreuzworträtsel lösen,
welchem Fall indiziert ist, vor allem in komplexen Situationen     reisen, ihre Freunde und Familie treffen, kurz: trotz und mit
und bei seltenen Tumorarten. Die Aufgabe von Krebszen-             ihrer Krebserkrankung zu leben.
tren ist es auch, sich als Teil eines Versorgungsnetzwerkes
organisch in dieses einzufügen. Krebszentren dürfen keine El-      Ihr
fenbeintürme sein, in denen Spezialisten isolierte Forschung       Univ. Prof. Dr. Matthias Preusser
betreiben und Frau Müller ohne Berücksichtigung ihres Um-          Klinische Abteilung für Onkologie,
feldes eine Vorschreibung für eine neue Therapie machen.           Medizinische Universität Wien

ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                        7
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Personalisierte Onkologie

                                                Personalisierte Onkologie
                                                                            HOCHKOMPLEXE PRÄZISION

                                         Für die meisten Krebserkrankungen ist es sehr schwierig, die entscheidenden Driver-Mutationen zu
                                          identifizieren und mit zielgerichteter Therapie zu behandeln. Erfolgreiche Beispiele sind BCR-ABL,
                                         HER2, ALK und B-RAF. Personalisierte Tumorboards bieten dennoch eine neue Möglichkeit für jene
                                             Patienten, die aus verschiedenen Gründen für eine Standardtherapie nicht in Frage kommen.

                                         D
                                                     as Ziel der (Präzisions-)Medi-                                              sind das zeitlich dynamische Zusammenspiel
                                                     zin in der Onkologie besteht                                                   verschiedener Mutationen und das Aus-
                                                     darin, dem richtigen Pati-                                                       maß des Einflusses epigenetisch verän-
                                                     enten zum richtigen Zeit-                                                          derter und nicht mutierter Gene für
                                         punkt die richtige Therapie zukom-                                                              die Therapieeffizienz entscheidend,
                                         men zu lassen („Right Drug – Right                                                                aber weitgehend ungeklärt.
                                         Patient – Right Time“). Das Bilder-
                                         buchbeispiel für diesen Zugang                                                                     Funktionelle Tests wie High-
                                         ist die Hemmung von BCR-ABL                                                                        Throughput-Drug-Screening redu-
                                         durch den Tyrosinkinaseinhibitor                                                                   zieren die (genetische) Komplexität
                                         Imatinib in der Philadelphia-Chro-                                                                 auf funktionell relevante Schalter,
                                         mosom-positiven Chronisch Mye-                                                                    die „druggable“, also medikamentös
                                         loischen Leukämie (Ph+CML). Hier                                                                 behandelbar, sind. Sie können indi-
                                         gelingt es, einen spezifischen soma-                                                           rekte genetische Verfahren ergänzen
                                         tischen Genotyp mit einer passenden                                                          und messen das mögliche Therapiean-
                                         Therapie präzise abzustimmen. Einige wei-                                                 sprechen direkt, indem von einer real-time-
                                         tere erfolgreiche Beispiele wie HER2, ALK, B-                                         Biopsie ex vivo das Zellüberleben unter Arz-
                                         RAF tragen das Konzept, dass „Driver“-Mutationen                                 neimittelwirkung untersucht wird. Diese Verfahren
                                         die entscheidenden Veränderungen in einer Krebserkran-                   sind hochdurchsatzfähig; die parallele Analyse zahlreicher
                                         kung darstellen, die das Krebswachstum steuern und als solche        antineoplastischer Substanzen ist simultan möglich. Es lassen
                                         auch die Ziele einer zielgerichteten Therapie repräsentieren.        sich auch Substanzkombinationen testen, was hinsichtlich der
                                                                                                              häufigen Entwicklung von Resistenzen im Rahmen von Mono-
                                         Leider mussten wir lernen, dass es für die meisten Krebserkran-      therapien relevant ist.
                                         kungen sehr schwierig ist, die entscheidenden Driver-Mutati-
                                         onen zu identifizieren und gezielt zu behandeln. Derzeit profitie-   Durch diese methodischen Erweiterungen in der Präzisionsme-
                                         ren noch wenige Patienten von molekularen Therapien. Dies hat        dizin, die unter dem Begriff „Funktionelle Präzisionsmedizin“
                                         mehrere mögliche Ursachen. So finden wir in einem individu-          zusammengefasst werden, wächst die Anzahl der therapeu-
© Kateryna Kon / Science Photo Library

                                         ellen Tumor meistens mehrere sogenannte Driver-Mutationen            tischen Möglichkeiten für den einzelnen Patienten sukzessive an
                                         und wir wissen nur von den wenigsten Fällen, ob die Driver-          und führt im Rahmen von personalisierten Therapieverfahren
                                         Mutation selbst oder von ihnen beeinflusste Genprodukte für          zu neuartigen Stratifizierungen abseits klassischer Histologie.
                                         den Phänotyp der Krebserkrankung verantwortlich sind. Durch          Die Entwicklung von Umbrella-, Basket- oder Plattform-Trials,
                                         Tumorheterogenität und klonale Evolution steigt die Komplexi-        oft unter Verwendung eines Master Trial Protocols, ermöglicht
                                         tät von Tumoren vor allem in späteren Therapielinien deutlich        effiziente Verteilung und Gruppierung von Patienten in pas-
                                         an, wodurch die rationale Therapieentscheidung basierend auf         sendere Therapiegruppen. Ein Automatismus in der Therapie-
                                         genetischen Veränderungen immer schwieriger wird. Zusätzlich         entscheidung mittels Gruppierung und eines Studienprotokolls

                                         8                                                                                       O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a   25. November 2020
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Spezial
                                                                                                     O N KO LO G I E

kann damit ermöglicht werden. Eine Per-                                                   ist agnostisch gegenüber klassischen Er-
sonalisierung, im Sinne von n=1, ist mit                Derzeit profitieren               krankungsentitäten, beurteilt die Ergeb-
dieser indirekten Analogieevidenz aller-             noch wenige Patienten                nisse der verwendeten Untersuchungen
dings nicht möglich. Und auch in der täg-                 von molekularen                 und versteht sich auch modular hinsicht-
lichen Praxis gibt es diesen Automatismus                                                 lich der Integration von experimentellen
                                                             Therapien.
nur sehr eingeschränkt. Heute sieht sich                                                  Daten. Darüber hinaus wird nicht nur
der Onkologe mit einer Reihe von altbe-                                                   die Therapieplanung der Patienten be-
kannten und neuen Variablen konfron-                                                      sprochen, sondern auch ihr Outcome
tiert, die in der Praxis oft auf eine n=1-Therapieentscheidung      wird im Rahmen des Tumorboards festgehalten. Bedingt durch
hinauslaufen. Der behandelnde Arzt steht so vor einem Wider-        COVID-19 mussten auch Voraussetzungen geschaffen werden,
spruch: Einerseits hat der wissenschaftliche Fortschritt zur For-   diese Tumorboards virtuell abzuhalten. Dies hat sich bewährt
malisierung und zur Realität der evidenzbasierten Medizin ge-       und kann sich zukünftig als vorteilhaft erweisen, um die Betreu-
führt, andererseits steht gerade dieser Fortschritt dem Ziel der    ung von Patienten außerhalb der Zentren zu ermöglichen bezie-
individuellen Therapiepräzisierung entgegen. Dieser Vorgang ist     hungsweise Zentren national zu vernetzen und so den Austausch
komplex und nicht durch evidenzbasierte Guidelines gedeckt.         und das gegenseitige Lernen weiter zu verbessern.
Eine Lösung ist es, den Vorgang so gut wie möglich zu dokumen-
tieren und idealerweise zu formalisieren. Einerseits erlangt der    Unser Ziel ist die Schaffung eines nationalen Tumorboards für
ärztliche Entscheidungsprozess so Transparenz und anderer-          personalisierte Therapie, um die optimale und personalisierte
seits werden gesammelte ärztliche Erfahrung einem wissen-           Therapie für hämatologische Patienten unabhängig von ihrem
schaftlichen Erkenntnisgewinn zugänglich gemacht.                   Betreuungsort zu ermöglichen. ←

Personalisierte Tumorboards sind hierfür besonders gut geeig-       Literatur bei den Verfassern
net: Hier erfolgt die Integration der zum jeweiligen Zeitpunkt
verfügbaren Daten, der Diagnostiker und Spezialisten diverser       Dr. Christoph Kornauth
anderer Disziplinen. Eine geeignete Dokumentation macht Ent-        Klinisches Institut für Pathologie, Medizinische Universität Wien
scheidungen nachvollziehbar und in seiner integrativen Gesamt-      Assoz. Prof. Priv. Doz. DDr. Philipp Staber
heit wird das System lernfähig.                                     Universitätsklinik für Innere Medizin 1, Klinische Abteilung für
                                                                    Hämatologie und Hämostaseologie, Medizinische Universität Wien
Das Anwachsen der verfügbaren Daten zu einzelnen Patienten
stellt neue Ansprüche an die Erhebung, Speicherung, Struktur,
Aggregation und Präsentation von patientenbezogenen Daten.
In wenigen Bereichen erfährt der Begriff „Big Data“ eine ähn-
liche Bedeutungszunahme wie in der Präzisionsonkologie. Um             Abb. 1: Aufbau eines personalisierten Tumorboards
die Lernfähigkeit zu maximieren, sollte das Ziel sein, die Struk-
turen der Datenerhebung zu harmonisieren, um eine Austausch-
barkeit zwischen verschiedenen Zentren ebenso zu vereinfa-
chen, wie die systematische Auswertbarkeit der Real-World-Data
auch außerhalb von Forschungsprojekten zu ermöglichen. Dies
gewinnt vor allem im Rahmen einer Outcome-Forschung inner-
halb eines solidarisch organisierten Gesundheitssystems gesell-
schaftliche Relevanz.

Wir haben an der Klinischen Abteilung für Hämatologie der Uni-
versitätsklinik für Innere Medizin I (MedUni Wien) ein Tumor-
board etabliert, das den Ansprüchen an eine moderne Betreu-
ung von hämato-onkologischen Patienten Rechnung trägt: Im
Tumorboard „Personalisierte Hämatologie“ werden Patienten               Mindestens zwei Hämatoonkologen erstellen eine Therapieempfehlung
diskutiert, die aus verschiedenen Gründen für eine Standard-            anhand der vorliegenden Daten: Diese können aus verschiedenen Tests wie
therapie nicht in Frage kommen. Das Tumorboard erlaubt die              comprehensive genomic profiling stammen. Pathologie und Labormedizin lie-
                                                                        fern Daten zu Oberflächenmarkern, Histologie und Zytologie. Pharmazeuten
Integration verschiedener klassischer und neuer diagnostischer
                                                                        erstellen Wechselwirkungsprofile zur geplanten Therapie. Die teilnehmenden
Methoden wie comprehensive genomic profiling mittels next-              Disziplinen dienen der kritischen Überprüfung der vorliegenden Daten und
generation sequencing oder Ergebnisse aus funktionellen Tests           haben Vetorecht, die endgültige Entscheidung liegt bei den Hämatoonkolo-
im Sinne einer funktionellen Präzisionsmedizin. Dieses Board            gen. Die Therapie wird anhand von Scores auf ihre Spezifität hin überprüft.

ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                                  9
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Immuntherapie

                                                                                                      Immuntherapie
                                                                                                                                 CHECKPOINT-
                                                                                                                        INHIBITOREN IM FOKUS

                                                                                                     Mit der Etablierung der Immunonkologie im klinischen
                                                                                                       Alltag hat die systemische onkologische Therapie eine
                                                                                                      wahre Revolution erfahren. Dadurch ergeben sich aber
                                                                                                               nicht nur viele therapeutische Möglichkeiten für
                                                                                                             Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung,
                                                                                                       sondern aufgrund des spezifischen Wirkmechanismus
                                                                                                                                        auch neue Nebenwirkungen.

                                           D
                                                       ie Immunonkologie befindet sich derzeit noch in         med cell death ligand 1) und CTLA-4- (cytotoxic T-lymphocyte-as-
                                                       Entwicklung und stetiger Erprobung, sodass auch         sociated protein 4) Inhibitoren, wobei der Ligand PD-L1 oftmals
                                                       rezent am diesjährigen Kongress der Europäischen        verstärkt von den Tumorzellen selbst exprimiert wird, während
                                                       Gesellschaft für Medizinische Onkologie (European       PD-1 und CTLA-4 vor allem auf T-Lymphozyten nachgewiesen
                                           Society for Medical Oncology, ESMO) wieder neue Indikationen        werden können. Von therapeutischer Relevanz ist somit nicht
                                           diskutiert wurden. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick     nur die explizite Expression der Oberflächenproteine auf der
                                           über Entwicklung, Einsatz und Nebenwirkungen von Check-             Tumorzelle, sondern auch das Mikroenvironment und vor allem
                                           point-Inhibitoren.                                                  die Tumor-infiltrierenden Lymphozyten (Abb. 1). Interessanter-
                                                                                                               weise hat sich die initiale Annahme, dass eine gute Wirkung von
                                           From Concept to Reality                                             CPI an eine hohe Expression von entsprechenden Markern wie
                                                                                                               PD-L1 gebunden ist, nicht in allen Entitäten bewahrheitet.
                                           Während das Konzept der Aktivierung des Immunsystems gegen          Man weiß heute, dass sowohl die peritumoralen Immunzel-
                                           die Krebszelle als endogenen Feind bereits seit den 70er-Jahren     len als auch andere Faktoren wie die Anzahl an somatischen
                                           Wissenschafter auf der ganzen Welt beschäftigt, gelang erst         Mutationen in den Tumorzellen (tumor mutational burden)
                                           2011 mit dem erfolgreichen Einsatz des CTLA-4-Inhibitors Ipi-       eine Rolle spielen können. In weiteren Studien konnte gar
                                           limumab als „First in Class“-Substanz beim malignen Melanom         kein Zusammenhang mit diesen Biomarkern und der Wir-
                                           der bahnbrechende Durchbruch. Grundlage für dieses Thera-           kung von CPI gezeigt werden. Dies spiegelt sich auch in der
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                                           pieprinzip ist die Unterbindung der Ausweichmechanismen der         Zulassung der einzelnen Wirkstoffe wider. Während in man-
                                           Tumorzelle gegenüber der körpereigenen Immunantwort. Die            chen Indikationen die Anwendung unabhängig vom jeweiligen
                                           am weitesten entwickelte Strategie in diesem Kontext sind die       Expressionsstatus ist (zum Beispiel Zugabe von CPI zur Chemo-
                                           Checkpoint-Inhibitoren (CPI), wobei mittels monoklonaler An-        therapie beim Bronchuskarzinom), ist bei der Monotherapie
                                           tikörper gezielt Immuncheckpoints, die in der physiologischen       die Gabe oftmals an den TPS (Tumor Proportion Score) entspre-
                                           Situation Wächter vor einer überschießenden Immunantwort            chend der PD-L1-Expression auf der Tumorzelle oder den CPS
                                           sind, blockiert werden und somit die Aktivierung des Immun-         (Combined Positive Score), der die PD-L1-Expression kombiniert
                                           systems gegen den Tumor ermöglicht wird. Etablierte Beispiele       auf Tumorzellen, Lymphozyten und Markophagen abbildet, ge-
                                           sind PD-1- (programmed cell death protein 1), PD-L1- (program-      bunden.

                                           10                                                                                     O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a   25. November 2020
ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Spezial
                                                                                                           O N KO LO G I E

Häufig eingesetzte CPI in Österreich umfassen PD-1-Inhibitoren               wird eine maximale Verabreichung von zwei Jahren angestrebt;
(Cemiplimab, Nivolumab, Pembrolizumab), PD-L1-Inhibitoren                    optimale Therapiedauer und auch mögliche Re-Induktion nach
(Atezolizumab, Avelumab, Durvalumab) und den CTLA-4-Inhi-                    Absetzen und Progress stellen allerdings relevante Forschungs-
bitor Ipilimumab, wobei letzterer vornehmlich in Kombination                 fragen dar.
mit Nivolumab eingesetzt wird.
                                                                             Nutzen und Nebenwirkungen
Obwohl in den frühen Entwicklungsstadien vor allem an die Mo-
notherapie geglaubt wurde, sind CPI mittlerweile in zahlreichen              Bereits bei der Erstzulassung von Ipilimumab und in weiterer
Turmorentitäten in Kombination mit Chemotherapie zuge-                       Folge der Kombination mit Nivolumab überzeugte nicht nur
lassen. Allerdings steht nach wie vor zur Diskussion, ob die be-             der Gesamtüberlebensvorteil, sondern auch die beobachtete
obachteten Effekte als synergistisch oder additiv zu betrachten              Plateaubildung in den Überlebenskurven, die einen Anteil von
sind. Zusätzlich werden CPI auch in Kombination mit anderen                  rund 20 Prozent Langzeitüberlebenden beim metastasierten Me-
zielgerichteten Therapien wie Tyrosinkinaseinhibitoren erprobt               lanom abbildet – ein Phänomen das mittlerweile in mehreren
und unter anderem beim Renalzellkarzinom bereits eingesetzt.                 Indikationen gezeigt werden konnte. Praxisrelevante Einsatzge-
Der Verabreichungsmodus ist intravenös und erfolgt je nach Sub-              biete von CPI in der Erstlinientherapie umfassen heute in Kom-
stanz in einem Intervall von zwei bis sechs Wochen. Eine große               bination mit Chemotherapie das nicht-kleinzellige (NSCLC) und
Diskussion ist die Dauer der Therapie, da sich bei oft exzellenter           kleinzellige Bronchuskarzinom, Plattenepithelkarzinome des
Verträglichkeit eine langfristige Gabe anbietet und vor allem                Kopf-Hals-Bereichs und das triple-negative Mammakarzinom,
bei Chemotherapie-basierten Schemata oft ein Konzept aus In-                 während neben dem Melanom die reine Immuntherapie auch
duktion gefolgt von Erhaltung verfolgt wird. In einigen Studien              beim NSCLC mit hoher PD-L1-Expression (TPS ≥50%), bei Kopf- →

Tab. 1: Anwendungsgebiete von Checkpoint-Inhibitoren gemäß EMA

 Substanz                  Tumorentität                              Indikation

 PD-1-Inhibitoren
 Cemiplimab                Plattenepithelkarzinom der Haut           Lokal fortgeschritten oder metastasiert
 Nivolumab                 Melanom                                   Lokal fortgeschritten oder metastasiert; adjuvant
                           NSCLC                                     Progress nach Chemotherapie
                           Nierenzellkarzinom                        Progress nach systemischer Therapie
                           Urothelkarzinom                           Progress nach Chemotherapie
                           Plattenepithelkarzinom Kopf/Hals          Progress nach Chemotherapie
 Pembrolizumab             Melanom                                   Lokal fortgeschritten oder metastasiert; adjuvant
                           NSCLC                                     Erstlinie TPS ≥50% oder mit Chemotherapie;
                                                                     Progress nach Chemotherapie TPS ≥1%
                           Urothelkarzinom                           Rezidiv nach Chemotherapie; Chemotherapie-untauglich CPS ≥10
                           Plattenepithelkarzinom Kopf/Hals          Erstlinie +/- Chemotherapie CPS ≥1;
                                                                     Progress nach Chemotherapie TPS ≥50%
                           Nierenzellkarzinom                        Erstlinie in Kombination mit Axitinib

 PD-L1-Inhibitoren
 Atezolizumab              NSCLC                                     Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie;
                                                                     Progress nach Chemotherapie
                           SCLC                                      Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie
                           Urothelkarzinom                           Progress nach Chemotherapie;
                                                                     Chemotherapie-untauglich PD-L1 ≥5%
                           Mammakarzinom, triple-negativ             Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie PD-L1 ≥1%
 Avelumab                  Merkelzellkarzinom                        Metastasierte Erkrankung
                           Nierenzellkarzinom                        Erstlinie in Kombination mit Axitinib
 Durvalumab                NSCLC                                     Nach Radiochemotherapie bei stabiler Erkrankung PD-L1 ≥1%
                           SCLC                                      Erstlinie in Kombination mit Chemotherapie

 CTLA-4-Inhibitoren
 Ipilimumab                Melanom                                   +/- Nivolumab ab der Erstlinie
                           Nierenzellkarzinom                        + Nivolumab Erstlinie intermediäres/ungünstiges Risikoprofil

NSCLC = non-small cell lung cancer, SCLC = small cell lung cancer, TPS = Tumor Proportion Score, CPS = Combined Positive Score

ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                              11
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Immuntherapie

  Tab. 2: Häufigkeit von immune-related
  adverse events (per Substanzgruppe)

   Nebenwirkung/          Substanzgruppe                       Häufigkeit
   Organ                                                       (≥Grad 3)

   Diarrhoe               CTLA-4-Inhibitor                     28-41% (5-10%)
                          PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              1-19% (0-1%)
                          Kombination                          16-45% (2-9%)

   Colitis                CTLA-4-Inhibitor                     8-16% (5-8%)
                          PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              0-4% (0-2%)              Abb. 1: In der histologischen Aufarbeitung eines Tumorpräparats
                          Kombination                          1-13% (1-8%)             (hier Immunhistochemie) zeigen sich häufig tumorinfiltrierende
                                                                                        Lymphozyten (tumor infiltrating lymphocytes, TILs).
   Lunge                  CTLA-4-Inhibitor                     Keine Angabe
                          PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              1-5% (0-2%)
                          Kombination                          3-7% (1-2%)
                                                                                        (Exanthem); es kann aber auch selten zu potentiell lebensbe-
   Haut                   CTLA-4-Inhibitor                     19-34% (1%)
   (Exanthem)             PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              1-16% (0-4%)             drohlichen Events wie einer Hypophysitis, Myokarditis oder neu-
                          Kombination                          17-30% (1-3%)            rologischen Syndromen kommen. Im Jahr 2020 stehen bereits
                                                                                        ausführliche Leitlinien zur Therapie dieser Nebenwirkungen zur
   Nervensystem           CTLA-4-Inhibitor                     0-5% (0-2%)
                                                                                        Verfügung (zum Beispiel der ESMO). Das Grundprinzip beruht
                          PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              0-1% (0-1%)
                                                                                        üblicherweise auf einer Unterbrechung der CPI-Verabreichung,
                          Kombination                          keine Angabe
                                                                                        anti-inflammatorischer Therapie mit Steroiden und je nach
   Endokrine              CTLA-4-Inhibitor                     8-38% (4-8%)             Schwere auch der Gabe weiterer Immunsuppressiva. Die Er-
   Organe                 PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              7-23% (1-2%)             kennung und Überwachung dieser Nebenwirkungen erfordert
                          Kombination                          12-34% (1-6%)
                                                                                        nichtsdestotrotz ein hohes Maß an Expertise (Tab. 2). Auch wenn
   Leber                  CTLA-4-Inhibitor                     4-24% (0-11%)            ein Großteil der beobachteten immune-related adverse events
                          PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              0-11% (0-2%)             als CTCAE Grad 1-2 (Common Terminology Criteria of Adverse
                          Kombination                          4-33% (3-20%)            Events) klassifiziert werden kann, ist vor jeder CPI-Therapie eine
   Niere                  CTLA-4-Inhibitor                     Keine Angabe             ausführliche Patientenaufklärung erforderlich.
                          PD-1/PD-L1-Inhibitoren*              0-2% (0-1%)
                          Kombination                          Bis 7% (2%)              One fits all – ein Therapie-
                                                                                        konzept für jeden Patienten?
  Modiziert nach: Martins F, Sofiya L, Sykiotis GP, et al. Adverse effects of immune-
  checkpoint inhibitors: epidemiology, management and surveillance. Nature
                                                                                        Trotz all dieser positiven Ergebnisse liegen auch für die Im-
  Reviews Clinical Oncology. 2019;16(9):563-580.
                                                                                        muntherapie mit CPI noch nicht bei jeder Tumorentität positive
  *Substanzen: Nivolumab, Pembrolizumab, Avelumab, Atezolizumab, Durvalumab
                                                                                        Daten vor. Es wird mit Hochdruck an der Etablierung reprodu-
                                                                                        zierbarer Biomarker gearbeitet – vor allem auch, weil es in Ein-
                                                                                        zelfällen neben immune-related adverse events sogar zu einer
→ Hals-Tumoren oder beim Urothelkarzinom eine Option darstellt.                         frühen Verschlechterung der Grunderkrankung im Rahmen ei-
  Auch die Kombination aus Ipilimumab und Nivolumab wurde                               ner sogenannten Hyperprogression kommen kann. Außerdem
  mittlerweile bei mehreren Tumorentitäten erfolgreich unter-                           stellen aktive Autoimmunerkankungen eine relative Kontraindi-
  sucht. Weitere Strategien umfassen die reine Erhaltungsthera-                         kation für die Verabreichung von CPI dar. Somit ist es weiterhin
  pie, zum Beispiel beim NSCLC im Stadium III nach Radiochemo-                          das höchste Ziel, jene Patienten zu identifizieren, die dauerhaft
  therapie mit Durvalumab, oder auch die adjuvante Therapie, die                        von einer Immuntherapie profitieren, und einem möglichst
  beim Melanom etabliert ist (Tab. 1).                                                  großen Anteil an Patienten eine Chronifizierung ihrer Tumor-
                                                                                        erkrankung zu ermöglichen. Nicht zuletzt steht neben der Ver-
  Dennoch kann die gewünschte Immunantwort auch spezifische                             längerung des Gesamtüberlebens auch der Erhalt der Lebens-
  Nebenwirkungen verursachen, die sich deutlich von jenen ei-                           qualität im Fokus, sodass auch die Erhebung dieses Parameters
  ner klassischen Chemotherapie unterscheiden und auf einer                             bei zukünftigen Studien von großer Relevanz erscheint. ←
  überschießenden Inflammation durch Angriff auf körpereigene
  Organstrukturen basieren. Diese Reaktionen werden als „im-                            Literatur bei der Verfasserin
  mune-related adverse events“ (irAEs) bezeichnet und umfassen
  häufig milde immunvermittelte Effekte an der Schilddrüse, dem                         Priv. Doz. DDr. Barbara Kiesewetter-Wiederkehr
  Gastrointestinaltrakt (Diarrhoe, Colitis), der Lunge (Pneumoni-                       Klinische Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für
  tis), der Leber (Hepatitis), der Niere (Nephritis) oder der Haut                      Innere Medizin I, Medizinische Universität Wien

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ONKOLOGIE Vernetzte Versorgung - Spezial - Österreichische Ärztezeitung
Spezial
                                                                                                  O N KO LO G I E

VORWORT

Die Rolle des
multidisziplinären Tumorboards
Qualitätsstandards in der Medizin sind für die Sicher-      prätherapeutisch und/oder postoperativ gemäß der
stellung und Durchführung einer onkologischen Versor-       organspezifischen Vorgaben im Tumorboard vorgestellt
gung auf hohem wissenschaftlichem Niveau zwingend           werden. Sofern keine Vorstellung erfolgt, muss dies in der
erforderlich. Die Behandlungsoptionen für Patienten mit     Patientenakte nachvollziehbar begründet sein. Es sind alle
onkologischen Erkrankungen haben in den letzten Jahren      Patienten mit Rezidiven und neu aufgetretenen Metasta-
deutlich zugenommen. Die Weiterentwicklung von Opera-       sen (erneut!) prätherapeutisch vorzustellen. Ebenfalls
tionsverfahren, die Optimierung radio-onkologischer Prä-    sind Patienten, bei welchen eine Änderung der Therapie-
zisionsverfahren, die Einführung unterschiedlicher lokal    art (zum Beispiel kurativ auf palliativ) erfolgt, (erneut!)
ablativer Verfahren und die Entwicklung neuer syste-        vorzustellen.
misch aktiver Substanzen, vor allem monoklonaler Anti-
körper und anderer biologisch zielgerichteter Substanzen,   Mittlerweile sind die Anforderungen bezüglich der not-
führten zu einer breiten Diversifizierung der onkolo-       wendigen Infrastruktur und Logistik, aber auch bezüglich
gischen Therapie. So eröffnet sich heute die Möglichkeit,   des Entscheidungsprozesses selbst definiert. Wichtig ist
die medikamentöse Behandlung unter Berücksichtigung         die strukturierte Vorstellung der Patienten durch den
von Mutationsprofilen und Signalwegmodulationen an          behandelnden Arzt anhand einer einheitlichen Anmelde-
den individuellen Patienten anzupassen.                     maske. Die Qualität der vorhandenen Informationen und
                                                            die Qualität der Teamarbeit haben einen signifikanten
Aufgrund dieser Neuerungen, die aus einem besseren          Einfluss auf das Erreichen einer sinnvollen Therapieent-
Verständnis der Tumorbiologie resultieren, aber auch        scheidung. Um ausreichend Vorbereitungszeit zu ermög-
der Komplexität onkologischer Erkrankungen insgesamt,       lichen, ist eine rechtzeitige Anmeldung, mindestens am
kann eine Fachdisziplin allein nicht mehr festlegen, wel-   Vortag des multidisziplinären Tumorboards, notwendig.
che Therapieoption in einem konkreten Behandlungsfall       Die Entscheidung des multidisziplinären Tumorboards
vorrangig ist und in welcher Sequenz weitere Modalitäten    muss für alle Teilnehmer transparent dokumentiert
angewendet werden sollten. Daher sind multidisziplinäre     werden. Grundsätzlich sind Behandlungspläne bezie-
Tumorboards (MDT) mit dem Ziel der Optimierung der Di-      hungweise Empfehlungen des Tumorboards bindend.
agnose, Empfehlung der individuell vielversprechendsten     Falls Abweichungen zum Entscheid festgestellt werden,
Therapie und der Nachsorge sowohl im Österreichischen       müssen diese protokolliert und begründet werden. Ent-
Strukturplan Gesundheit (ÖSG) als auch in spezifischen      sprechend der Ursache sind Maßnahmen zur Vermeidung
Leitlinien der verschiedenen Fachgesellschaften als         von Abweichungen zu treffen.
zeitgemäßer Standard in der onkologischen Versorgung
vorgeschrieben.                                             Eine Limitierung einer flächendeckenden Versorgung
                                                            mit multidisziplinären Tumorboards stellen die nötigen
Das multidisziplinäre Tumorboard setzt sich aus Vertre-     Zeit- und Personalressourcen dar. Vor allem universitäre
tern aller Organfächer beziehungsweise operativen Dis-      Zentren müssen eine hohe Anzahl von krankheits- oder
ziplinen, die Tumorpatienten betreuen, einem Facharzt       organspezifischen Tumorboards vorhalten, was sehr per-
für Radiotherapie und Radioonkologie, einem Facharzt        sonalintensiv ist. Diese hohe Frequenz führt zur Gefahr,
für Innere Medizin mit dem Zusatzfach Hämatologie und       dass multidisziplinäre Tumorboards nicht immer mit
Internistische Onkologie, einem Facharzt für Radiologie,    ausgewiesenen Experten besetzt sind.
einem Facharzt für Pathologie sowie weiteren Mitgliedern
anderer Disziplinen wie zum Beispiel Nuklearmedizin,        Ihr
Gastroenterologie, Palliativmedizin etc. je nach Bedarf     Prim. Prof. Dr. Wolfgang Eisterer
beziehungsweise Definition des jeweiligen multidiszi-       Abteilung für Innere Medizin und Hämatologie
plinären Tumorboards zusammen. Es müssen alle Fälle         und Internistische Onkologie, LKH Klagenfurt am Wörthersee

ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                    15
Fallbericht

                                                             Kolonkarzinom
                                                             in jungem Alter
                                                             NICHT SO SELTEN & HOCHRELEVANT

                                                             Eine 35-jährige Frau wird beim Hausarzt aufgrund neu       CA19-9 erweisen sich zum Diagnosezeitpunkt als nicht
                                                             aufgetretener Meläna vorstellig. Die ansonsten völlig      ausgelenkt. Die lokale Therapieempfehlung besteht in
                                                             gesunde Patientin berichtet auch über zunehmende           einer palliativen Hemikolektomie aufgrund der rela-
                                                             Diarrhoen sowie einen ungewollten Gewichtsverlust          tiven Tumorstenose, gefolgt von einer palliativen Che-
                                                             von sechs Kilogramm in den letzten Monaten. Die kli-       mo-Antikörper-Therapie. Darüber hinaus wird jedoch
                                                             nische Untersuchung verläuft unauffällig, aufgrund         auf die Möglichkeit einer Zweitmeinung hingewiesen,
                                               Fallbericht

                                                             der genannten Symptome erfolgt jedoch die Zuwei-           woraufhin die Vorstellung an unserem Zentrum folgt.
                                                             sung an das nächstgelegene Spital zur Koloskopie. Hier
                                                             zeigt sich ein Malignom-verdächtiger stenosierender        Tumorboard
                                                             Tumor im Bereich des aufsteigenden Dickdarms, aus
                                                             welchem multiple Biopsien entnommen werden. Bei            Hierorts präsentiert sich die Patientin in exzellentem
                                                             histologischer Diagnose eines Adenokarzinoms des Ko-       Allgemeinzustand (ECOG 0), die initiale Anämie-be-
                                                             lons werden weitere Staginguntersuchungen initiiert:       dingte Fatigue erweist sich nach Transfusionen mit
                                                             In der Computertomografie von Thorax bis Becken            Erythrozytenkonzentraten als rasch gebessert. Eine
                                                             werden neben dem langstreckigen Primärtumor auch           zusätzlich veranlasste FDG-PET-CT verläuft ohne Be-
                                                             pathologisch vergrößerte Lymphknoten mesenteriell,         funderweiterung über das bereits bekannte Metasta-
                                                             retroperitoneal sowie supraclavikulär links und eine zu-   sierungsausmaß, sodass nach Diskussion im interdiszi-
© Steve Gschmeissner / Science Photo Library

                                                             sätzliche Tumormanifestation im kleinen Becken fest-       plinären Tumorboard aufgrund des jungen Alters und
                                                             gestellt – somit einem Tumorstadium cT3 cN2b cM1a          des exzellenten Allgemeinzustandes der Patientin der
                                                             entsprechend. Aufgrund des ungewöhnlichen Metasta-         Versuch einer systemischen Konversionstherapie trotz
                                                             sierungsmusters wird der pathologische Lymphknoten         lymphogener Fernmetastasierung im Sinne eines indi-
                                                             supraclavikulär links Ultraschall-gezielt biopsiert und    viduellen Heilversuchs empfohlen wird.
                                                             eine maligne Infiltration durch das Kolonkarzinom
                                                             bestätigt. Bei bildgebend gering ausgeprägtem Aszites      Bei mittlerweile vorliegendem molekularem Tumorsta-
                                                             ergibt sich initial auch der Verdacht auf das Vorliegen    tus (KRAS mutiert, BRAF-Wildtyp, Mikrosatelliten-sta-
                                                             einer Peritonealkarzinose. Die Tumormarker CEA und         bil) und rechtsseitiger Lokalisation des Primärtumors

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Spezial
                                                                                               O N KO LO G I E

wird eine Chemo-Triplet-Therapie nach dem FOLFOXIRI-Sche-
ma empfohlen, mit der Zielsetzung eines maximalen Thera-
pieansprechens. Bei relativ stenosierendem Primärtumor wird
initial auf eine anti-VEGF-basierte Antikörpertherapie (Beva-
cizumab) aufgrund des erhöhten Darmperforations-Risikos
verzichtet. Zudem ergibt sich bei regelmäßiger Darmpassage
vorerst auch keine Indikation zur Stoma-Anlage beziehungswei-
se zur vorzeitigen Resektion des Primärtumors. Aufgrund des
jungen Alters sowie einer positiven Familienanamnese für Kolo-
rektalkarzinom werden eine umfangreiche genomische Analyse
des Tumormaterials sowie eine weiterführende humangene-
tische Beratung veranlasst.
                                                                   Ausgangsbefund                   nach 2 Monaten Chemotherapie

Therapie                                                          Abb. 1: FDG-PET-CT

Die Chemotherapie wird für zwei Monate komplikationslos ver-
abreicht und resultiert gemäß Re-Staging-Untersuchungen in        betreuenden Hausarzt, der Erstdiagnose im peripheren Spital
                           FDG-PET-CT:        FDG-PET-CT:Ausgangsbefund Ausgangsbefund           nach 2 Monaten Chemotherapie
                                                                                                                    nach 2 Monaten Chemo
einer sehr guten partiellen Remission aller bekannten Tumor-      und letztendlich der weiterführenden Spezialdiagnostik und
manifestationen (Abb. 1). Gemäß der Empfehlung des neuerlich      Tumortherapie am Zentrum unter Einschluss verschiedenster
einberufenen interdisziplinären Tumorboards kann nach erfolg-     Disziplinen – wie im konkreten Fall von Radiologie, Pathologie,
reicher Konversion nun die vollständige chirurgische Sanierung    Humangenetik, Chirurgie und medizinischer Onkologie.
angestrebt werden: es wird eine rechtsseitige Hemikolektomie
mit Dünndarmteilresektion, interaortokavaler und ilakaler         In Anbetracht der deutlich steigenden Inzidenz von Kolorek-
Lymphadenektomie sowie die Exstirpation der Lymphkno-             talkarzinomen im jüngeren Alter (unter 50 Jahren) sollte eine
tenmetastase supraclavikulär links vorgenommen, wobei sich        entsprechende Klinik wie Meläna niederschwellig zur weiteren
intraoperativ keinerlei Hinweise auf eine Peritonealkarzinose     Abklärung mittels Koloskopie führen, vor allem bei Vorliegen
zeigen. Das postoperative histologische Stadium ergibt eine pa-   weiterer Symptome wie im beschriebenen Fall. Fortschritte auf
thologisch komplette Remission im Bereich des Primärtumors        dem Gebiet der tumorkausalen Systemtherapie erlauben es in-
(ypT0) und lediglich eine Lymphknotenmetastase von insgesamt      zwischen oftmals, Patienten trotz ausgedehnter Metastasierung
56 entfernten und untersuchten Lymphknoten (ypN1a) sowie          durch entsprechendes Schrumpfen der Tumormanifestationen
einen fehlenden Malignitätsnachweis in der entfernten Lymph-      (sogenannte „tumor shrinkage“) sekundär doch einer kurativ in-
knotenmetastase supraclavikulär links. Postoperativ wird eine     tendierten Resektion zuzuführen. Das Armamentarium lokalthe-
adjuvante Chemotherapie nach dem FOLFOX-Schema ergänzt,           rapeutischer Maßnahmen wird hier ständig erweitert, neben der
um derart eine perioperative Gesamt-Chemotherapiedauer von        modernen Tumorchirurgie auch um Methoden wie die Radio-
sechs Monaten zu erlangen. Eine Chemotherapie-assoziierte         frequenzablation, irreversible Elektroporation oder stereo-tak-
Polyneuropathie II° erweist sich nach Beendigung der Behand-      tische Bestrahlung. Nichtsdestotrotz sollte das gemeinsame Ziel
lung als vollständig reversibel und die Patientin kann rasch      die frühzeitige Erkennung von Darmkrebs sein, um so möglichst
wieder ihr Ausgangsgewicht erreichen. Unter engmaschigen kli-     viele Patienten kurativ behandeln zu können. ←
nischen sowie bildgebenden Nachsorgeuntersuchungen besteht
mit aktuellem Stand seit nunmehr über 2,5 Jahren Rezidivfreiheit. Literatur bei den Verfassern

Der vorliegende Fall verdeutlicht wie onkologische Patienten im   Dr. Florian Huemer; PD Dr. Lukas Weiss, PhD
Sinne einer vernetzten Versorgung einer bestmöglichen The-        Universitätsklinik für Innere Medizin III, Salzburg Cancer Research
rapie zugeführt werden können: von der Erstvorstellung beim       Institute (SCRI), Paracelsus Medizinische Universität Salzburg

                                 www.aerztezeitung.at

ONKOLOGI E S P E Z I AL 2 2a   25. November 2020                                                                                       17
Fallbericht

                                                                                           Metastasierter
                                                                                           NET des Ileums
                                                                                           NACH ZWEITOPERATION REZIDIVFREI

                                                                                           Eine 37-jährige gesunde Frau wird aufgrund von seit         eine Aufweitung des Ductus pancreaticus im distalen
                                                                                           circa sechs Wochen bestehenden Thoraxschmerzen              Korpus- und Schwanzabschnitt mit Gangabbruch im
                                                                                           vorstellig. Anamnestisch berichtet die Patientin, dass      Pankreaskorpus befundet - korrespondierend zum
                                                                                           die Schmerzen eher vom Rücken ausstrahlen, vor              Gangabbruch eine auffallende Prominenz der ventra-
                                                                                           allem im Sitzen und Liegen bestehen und den gesam-          len Pankreaskontur. In der chirurgisch-radiologischen
                                                                                           ten Brustkorb betreffen; die Atmung ist nicht einge-        Besprechung wird diese Befundkonstellation als mali-
                                                                             Fallbericht

                                                                                           schränkt, kein Fieber, auch die sonstige Anamnese           gnomsuspekt eingestuft. In der CT des Körperstammes
                                                                                           ist ohne Auffälligkeiten. Es erfolgt eine notfallmäßige     wird der Malignomverdacht bestätigt; kein Hinweis auf
                                                                                           Abklärung, die im Labor eine Leukozytose von 10,8           sonstige Malignommanifestationen. Die verbliebenen
                                                                                           und ein CRP von 2,64 mg/dl ergibt; Thoraxröntgen            peripankreanen Imbibierungen um die Äste des Trun-
© Anne Weston, Em Stp, The Francis Crick Institute / Science Photo Library

                                                                                           ohne pathologischen Befund. Aufgrund einer dis-             cus cöliacus können bildmorphologisch hinsichtlich re-
                                                                                           kreten D-Dimer-Erhöhung bei letztendlich unklarem           sidueller entzündlicher (Pankreatitis-) Veränderungen
                                                                                           Thoraxschmerz wird zum Ausschluss einer Pulmonal-           versus peritumoraler/desmoplastischer Reaktion nicht
                                                                                           embolie eine Thorax-CT ergänzt, die in Bezug auf die        eindeutig differenziert werden. Die analysierten Tu-
                                                                                           pulmonalarterielle Strombahn ebenfalls unauffällig          mormarker CEA, CA19-9 und Chromogranin A sowie
                                                                                           bleibt.                                                     das IgG4 (als Ausdruck einer Autoimmunpankreatitis)
                                                                                                                                                       bleiben unauffällig.
                                                                                           Weil in der Thorax-CT im partiell miterfassten Abdo-
                                                                                           men eine fragliche Pankreatitis andiskutiert wird, wird     Anamnese, klinischer Befund, Laboranalysen und die
                                                                                           die Patientin zu einer klinischen Kontrolle inklusive       bildgebenden Untersuchungen sind letztendlich nicht
                                                                                           Abdomensonographie wieder einbestellt. Hierbei zeigt        konklusiv, sodass beschlossen wird, eine CT-gesteuerte
                                                                                           sich das Pankreas im Caput- und Korpusbereich etwas         Stanzbiopsie des Pankreascorpus vorzunehmen – eine
                                                                                           echoreicher als im Pankreasschwanzbereich, insgesamt        Endosonographie-gesteuerte Biopsie erscheint auf-
                                                                                           das Bild zu einer Pankreatitis passend; die Pankreas-       grund der Lokalisation nicht möglich. Histologischer
                                                                                           Amylase ist allerdings mit 54 U/l nur geringgradig ausge-   Befund: „Drei Stanzbiopsien des Pankreas, diese sind
                                                                                           lenkt. In der weiterführenden MRT des Pankreas wird         durchsetzt von Formationen eines mäßig differen-

                                                                             18                                                                                  O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a   25. November 2020
Spezial
                                                                                                 O N KO LO G I E

zierten azinär gebauten Adenokarzinoms (Malignitätsgrad 2,          eine abdominelle Sonographie und nach sechs postoperativen
duktale Variante) - der Tumor zeigt eine ausgeprägte Gewebsdes-     Monaten zusätzlich ein PET/CT mit 68Ga-HA-DOTATATE (nach
moplasie.“                                                          möglichst kompletter Abheilung ohne postoperative entzünd-
                                                                    liche Residuen) durchzuführen. Die Drei-Monatskontrolle bleibt
Therapie                                                            unauffällig, bei der Sechs-Monatskontrolle ergibt sich allerdings
                                                                    im PET-CT der hochgradige Verdacht auf einen weiteren NET im
Nach ausführlicher Aufklärung der Patientin über den vorlie-        rechten unteren Abdominalquadranten; im Bereich des Ober-
genden Befund eines Pankreaskarzinoms wird die radikale chi-        bauchs, insbesondere im Bereich der erfolgten Pankreasresekti-
rurgische Tumorresektion indiziert und geplant. Nach klinischem     on, kein Hinweis auf ein lokoregionäres Rezidiv. In der ergänzten
Abklingen einer neuerlichen ödematösen Pankreatitis - nun auch      CT des Körperstammes kann der PET-positive, auf einen Zweit-
mit einer entsprechenden Amylasämie - entscheidet man sich trotz    tumor hochsuspekte Befund am ileozökalen Übergang bestätigt
gerade stattgehabter akuter Pankreatitis zur zeitnahen Operation,   werden – auch hier keine weiteren tumorsuspekten Läsionen
da aufgrund der tumorbedingten Stauung des Organs wiederkeh-        thorakal und abdominell. Die Chromogranin A-Analysen bleiben
rende Pankreatitiden zu erwarten wären. Der Eingriff wird per       sowohl nach drei als auch nach sechs Monaten ohne patholo-
querer Oberbauchlaparotomie durchgeführt. Bei der Exploration       gischen Befund. Bei somit hochgradigem Verdacht auf das Vor-
können sekundäre Tumormanifestationen ausgeschlossen wer-           liegen eines Zweit-Tumors am ileozökalen Übergang wird im Tu-
den. Aufgrund der ausgeprägten pankreatitischen peripankreanen      morboard die Indikation zu einer neuerlichen Resektion gestellt.
Veränderungen lässt sich der Tumor zwar detektieren, aber nur
sehr schwer zur vermeintlich gesunden Umgebung abgrenzen. Es        Therapie des Zweit-Tumors
erfolgt die onkologische Tumorresektion, die nach den Kriterien
der „Radikalen Antegraden Modularen Pankreato-Splenektomie“         Im Rahmen des neuerlichen operativen Eingriffs sieht und tastet
(RAMPS) ausgeführt wird, um die größtmögliche Chance einer          man den in der Wand des terminalen Ileums, unmittelbar oral der
makro- und mikroskopischen Tumorfreiheit (sogenannte R0-            Ileozökalklappe, gelegenen Tumor – ansonsten kein Hinweis auf
Resektion) zu erreichen. Neben einer ausgedehnten adäquaten         sekundäre Tumormanifestationen. Um das potentielle Lymph-
Lymphknotendissektion wird ergänzend eine Cholezystektomie          abflussgebiet entlang der rechtskolischen Gefäße ausreichend
durchgeführt. Die pathologische Aufarbeitung ergibt einen über-     radikal sanieren zu können, wird eine onkologisch-radikale He-
raschenden Befund: „Pankreasresektat mit einem hoch differen-       mikolektomie rechts durchgeführt. Befund der pathologischen
zierten neuroendokrinen Tumor (Grad 1); Ki-67-Index:
Fallbericht

                                                                                                                                              NSCLC Stadium IV
                                                                                                                                              HERVORRAGENDE TUMORKONTROLLE ERREICHT

                                                                                                                                                  Eine 31-jährige Patientin, Nichtraucherin ohne Begleit-    auf einen ALK-Tyrosinkinaseinhibitor wird eine zielge-
                                                                                                                                                  erkrankungen mit unauffälliger Familienanamnese,           richtete Therapie mit dem „small molecule“ Crizotinib
© Eye Of Science / Science Photo Library; Abteilung für Radiologie, A.ö. KH St. Vinzenz Betriebs GmbH. Leiter: Prim. Dr. A. Dessl

                                                                                                                                                  wird im interdisziplinären Tumorboard vor knapp            täglich oral empfohlen; darüber hinaus bei zum Teil
                                                                                                                                                  fünf Jahren mit einem metastasierten Bronchialkar-         osteolytischen Knochenmetastasen nach kieferchirur-
                                                                                                                                                  zinom vorgestellt.                                         gischer Freigabe eine Therapie mit Denosumab alle vier
                                                                                                                                                                                                             Wochen s.c.
                                                                                                                                                  Der Radiologe berichtet über einen 4 cm großen Tumor
                                                                                                                                                  im Unterlappen mit Infiltration der viszeralen Pleura      Verlauf
                                                                                                                                                  und nachgeschalteter Atelektase, hilären, mediasti-
                                                                                                                                    Fallbericht

                                                                                                                                                  nalen, ipsilateralen und kontralateralen Lymphknoten       Die Therapie wird im Mai 2016 begonnen. Die Verträg-
                                                                                                                                                  und intrapulmonaler Metastasierung sowie multiplen         lichkeit der oralen Therapie ist, abgesehen von milden
                                                                                                                                                  Skelettmetastasen (T4N3M1, Stadium IV). Diagnosesi-        Geschmacksveränderungen, sehr gut. Bereits in der
                                                                                                                                                  cherung aus einer Bronochskopie. Die Patientin wird        Drei-Monats-Kontrolle im September 2016 präsentiert
                                                                                                                                                  zur primär palliativen Therapieplanung vorgestellt.        sich die Patientin mit einer partiellen Remission und
                                                                                                                                                  Radiologischerseits sind die Knochenmetastasen ohne        ossär mit vermehrter Sklerosierung. Auch die weiteren
                                                                                                                                                  wesentlichen Weichteilanteil. Strahlentherapeutisch        Drei-Monats-Kontrollen zeigen ähnlich gute Ergebnisse
                                                                                                                                                  besteht derzeit keine Bestrahlungsindikation bei feh-      bei ausgezeichneter Lebensqualität (WHO Perfor-
                                                                                                                                                  lender Frakturgefahr und ausreichend guter Schmerz-        mance-Status 0).
                                                                                                                                                  therapie. Der Pathologe berichtet über die histologische
                                                                                                                                                  und molekulare Aufarbeitung. Es handelt sich um ein        Im März 2017, neun Monate nach Therapiebeginn, er-
                                                                                                                                                  Schleimhaut-Biopsat mit Formationen eines gering           folgt die neuerliche Vorstellung im Tumorboard.
                                                                                                                                                  differenzierten bronchogenen Adenokarzinoms, Ma-
                                                                                                                                                  lignitätsgrad III, EGFR-Wildtyp. Es konnte jedoch eine     Radiologe: CT-graphisch weiterhin partielle Remission
                                                                                                                                                  EML4/ALK-Fusion nachgewiesen werden.                       des Primums, lokal annährend komplette Remission,
                                                                                                                                                                                                             ossär stabiler Befund, jedoch neue multiple zerebrale
                                                                                                                                                  Beschluss des Tumorboards                                  Metastasen bis 8 mm Durchmesser, ohne Ödembildung.
                                                                                                                                                                                                             Im zerebralen MRI über zehn Metastasen nachweisbar.
                                                                                                                                                  Primäre Systemtherapie: Aufgrund des ALK-Rearran-          Klinisch ist die Patientin in einem WHO-Performance-
                                                                                                                                                  gements und der hohen Ansprechwahrscheinlichkeit           Status 0, ohne neurologische Symptomatik.

                                                                                                                                    20                                                                                 O N KO LO GIE SP EZ IA L 22a   25. November 2020
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