POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung

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POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
POLITISCHE
STUDIEN 483
Orientierung durch Information und Dialog

                                        70. Jahrgang | Januar-Februar 2019 | ISSN 0032-3462

/// IM FOKUS

ALT, KRANK, EINSAM?
ZUKUNFTSAUFGABE PFLEGE
Mit Beiträgen von
Christine Fiedler | Matthias Steiner | Joachim Unterländer

/// JENS SPAHN im Zeitgespräch: Woran krankt unser Gesundheitssystem?
/// CHRISTOPH SCHIEBEL Framing macht Politik
/// MANFRED GROß Die Trump-Transition

                                                                             www.hss.de
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
„           Mehr Frauen in die Politik – eine wichtige
                            BOTSCHAFT dieser Wahl.
                                                                               EDITORIAL

DIE NEUE CDU-VORSITZENDE –
KONTINUITÄT IN DER POLITISCHEN
FÜHRUNG
    Auf dem CDU-Parteitag in Hamburg wurde Annegret Kramp-Karren-
    bauer am 7. Dezember 2018 als Nachfolgerin von Angela Merkel an die
    Spitze der CDU gewählt. Auf der einen Seite bedeutete dies ein Novum:
    Erstmals seit Jahrzehnten standen mehrere Kandidaten zur Wahl, die sich
    im Vorfeld auf Regionalkonferenzen der Basis präsentierten. In einer
    Stichwahl setzte sich die Kandidatin knapp mit 51,8 % der Delegierten-
    stimmen gegen Friedrich Merz durch. Auch wenn solche Kampfkandida-
    turen in Parteien meist lieber vermieden werden wollen, hat dies doch für
    enorm hohe öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Dies zeigte sich nicht
    zuletzt dadurch, dass die Union in den bundesweiten Umfragen sofort um
    einige Prozentpunkte nach oben ging.
        Auf der anderen Seite bedeutet das Ergebnis auch Kontinuität: Dass
    wieder eine Frau an die Spitze der CDU gewählt wurde, unterstreicht,
    dass Frauen in politischen Führungsämtern schon lange keine Ausnah-
    me mehr sind. Das bedeutet aber auch, dass die Parteien in ihren Struk-
    turen dafür sorgen müssen, dass sich genügend qualifizierte Frauen en-
    gagieren und ihren Weg durch die Parteiebenen bahnen können. Dies
    entspricht auch den Erwartungen der politisch interessierten und akti-
    ven Bürger – nicht nur der Frauen. Laut dem Deutschland-Trend von In-
    fratest dimap plädierten kurz vor dem Parteitag 45 % aller Bürger und
    47 % der CDU-Anhänger für Frau Kramp-Karrenbauer als Vorsitzende.
    Bei den Frauen waren es 53 %, bei den Männern aber auch 37 % − fast
    genauso viel wie für Friedrich Merz. Mehr Frauen in die Politik – auch
    eine wichtige Botschaft dieser Wahl. Die Parteien müssen den Boden da-
    für aber selbst bereiten.

    Prof. Ursula Männle
    ist Staatsministerin a. D. und Vorsitzende
    der Hanns-Seidel-Stiftung, München.
                                                        483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   3
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
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                                             INHALT
                                     14   IM FOKUS                           POLITISCHE-STUDIEN-                       73 	SOLL DEUTSCHLAND
                                                                                        ZEITGESPRÄCH                        NUKLEARMACHT WERDEN?
                                          06	
                                             DIE ZUKUNFT DER PFLEGE                                                        Pro
                                             Einführung                      10		WORAN KRANKT UNSER                       CHRISTIAN HACKE
                                             SUSANNE SCHMID                       GESUNDHEITSSYSTEM?
                                                                                Diagnose gestellt – Heilung
                                          18	
                                             VORAUSSETZUNG FÜR EINE             möglich – Operation beginnen           80 	DEUTSCHLAND BRAUCHT KEINE
                                             MENSCHLICHE GESELLSCHAFT           JENS SPAHN                                  KERNWAFFEN – ABER EINE STRA-
                                             Würdevolle Pflege im Alter                                                     TEGISCHE NEUBESINNUNG
                                             JOACHIM UNTERLÄNDER                                                           Contra
                                                                             ANALYSEN                                      JOACHIM KRAUSE
                                          29 K
                                              ALKULIERBARE PFLEGE
                                             IN DER EIGENEN WOHNUNG          51 	FRAMING MACHT POLITIK
                                                                                                                       AKTUELLES BUCH
60                                           Augustinum Seniorenresidenzen
                                             MATTHIAS STEINER
                                                                                AfD nutzt Kopfkino, um Angst in
                                                                                der Bevölkerung zu schüren
                                                                                CHRISTOPH SCHIEBEL                     90 AMERIKA IM DSCHUNGELKAMPF
                                          39 WAS DIE PFLEGE BRAUCHT                                                       Bricht die liberale Weltordnung
                                             Wege aus dem Notstand           60 	DIE TRUMP-TRANSITION                     zusammen?
                                             CHRISTINE FIEDLER                  Impulsive Führung im Weißen Haus           CHRISTIAN FORSTNER
                                                                                MANFRED GROß

                                          KOMPENDIUM                                                                   RUBRIKEN
                                                                             KONTROVERS
                                          48 A
                                              DRESSEN UND ANSPRECHPARTNER                                              03 EDITORIAL
                                             FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE UND        70 	BRAUCHT DEUTSCHLAND                   94 REZENSIONEN
                                             PFLEGEPERSONEN                       ATOMWAFFEN?                          104 ANKÜNDIGUNGEN
                                             Serviceteil                        Einführung                             106 IMPRESSUM

                                     80      PETER BAUER                        REINHARD MEIER-WALSER

4   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                  483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   5
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

/// Einführung

DIE ZUKUNFT DER PFLEGE
SUSANNE SCHMID /// Der Pflegesektor steht angesichts der demografischen
Alterung vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Um diese zu
bewältigen, bedarf es einer höheren Attraktivität und Wertschätzung des Pflege-
berufs, einer guten Balance zwischen Qualität, Wirtschaftlichkeit und Humanität
sowie der nachhaltigen Überwindung der Personalengpässe bei gleichzeitiger
Erhöhung der Versorgungsqualität.

         Pflege ist bereits jetzt ein Megathema     1 %, heute liegt er bei 7 % und bis 2060

                                                                                                                                                                                                         Quelle: Mediteraneo/Fotolia.com
         und wird im Zuge des demografischen        dürften es 12 % sein. Jeder achte Einwoh-
         Wandels weiter an Bedeutung gewinnen,      ner wäre dann 80 Jahre und älter.
         denn Deutschland wird älter und hetero-    Die Alterung der Bevölkerung wird ei-
         gener. Die Ursachen demografischer Al-     nen deutlichen Schub erleben, wenn die
         terung liegen in einem Jugendrückgang      geburtenstarken Jahrgänge (sog. Baby-
         wegen geburtenschwacher Jahrgänge          boomer) innerhalb der nächsten 20 Jah-
         und einer steigenden Lebenserwartung       re das Rentenalter erreichen. Hierauf
         in den hohen Altersklassen. Im Jahr 1960   gilt es gerade im Pflegebereich vorberei-   Der Umgang sowohl mit Pflegebedürftigen als auch den Pflegenden ist ein Gradmesser für die
         war jeder achte Einwohner 65 Jahre und     tet zu sein, ist doch die Pflege vom de-    Humanität in einer Gesellschaft.
         älter, heute ist es jeder Fünfte und bis   mografischen Wandel in mehrfacher
         2060 könnte es jeder Dritte sein. Auch     Hinsicht betroffen:
         die Hochaltrigkeit wächst. 1950 betrug
         der Anteil der Menschen ab 80 Jahren       •	
                                                      Mit steigender Lebenserwartung            2017 bezogen etwa 3,4 Millionen Men-              gerecht werden kann, wo doch bereits
                                                      wächst das Pflegebedürftigkeitsrisiko,    schen Leistungen aus der sozialen Pflege-         heute in Deutschland Pflegekräftemangel
                                                      die Zahl der Pflegefälle nimmt zu.        versicherung, bis 2030 dürften es nach            herrscht. Im Detail: Wie können die Per-
                                                    •	
                                                      Veränderte Familienstrukturen ver-        Berechnungen der Pflegekassen 4,1 Milli-          sonalengpässe im Pflegebereich über-
                                                      ringern die Möglichkeiten häuslicher      onen sein. 76 % der Pflegebedürftigen             wunden werden? Wie können Attraktivi-
      Der Pflegebereich ist vom                       Pflege durch Familienangehörige.          wurden 2017 zuhause von Angehörigen               tät und Wertschätzung des Pflegeberufs
      DEMOGRAFISCHEN Wandel in mehr-                •	
                                                      Der Geburtenrückgang bewirkt, dass        und  / oder ambulanten Pflegediensten             gesteigert werden? Was ist uns Pflege wert?
      facher Hinsicht betroffen.                      weniger Pflegekräfte zur Verfügung        versorgt, ein Viertel lebte in Pflegeeinrich-     Wie kann eine ausgewogene Balance
                                                      stehen.                                   tungen. In diesem Zusammenhang stellt             zwischen Bürokratie, Fachlichkeit und
                                                    •	
                                                      Der Anteil pflegebedürftiger Personen    sich nun die Frage, wie man der kontinu-          Menschlichkeit in der Pflege aussehen?
                                                       mit Migrationshintergrund steigt.        ierlich steigenden Zahl Pflegebedürftiger         Wie gelingt kultursensible Pflege?
6   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                      483/2019 // POLITISCHE STUDIEN                  7
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

            In den vergangenen zwei Jahren           gründet. Bis 2023 soll in Bayern ein       •	
                                                                                                  Bedarfsgerechte Weiterentwicklung          Rückert und Anne Kremer-Hartmann
        wurde auf Bundes- und Landesebene            Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz          ambulanter und stationärer Pflege,         beleuchten die Anforderungen an das
        bereits viel angestoßen:                     für alle Pflegebedürftigen ab Pflegegrad   •	verbesserte Arbeitsbedingungen und        Wohnen im Alter, die Angebote ambu-
            2017 trat das zweite Pflegestärkungs-    2 geschaffen werden.                           Schaffung neuer Stellen,                  lanter und stationärer Pflege sowie das
        gesetz (PSG II) in Kraft. Aus ehemals                                                   •	 Ausbau von Entlastungsstrukturen,        Personalmanagement der Augustinum-
        drei Pflegestufen wurden fünf Pflegegra-                                                •	  Strukturreformen in der gesetzlichen    Seniorenresidenzen.
        de. Mit diesen wird das Ausmaß der                                                            Pflegeversicherung für mehr Bedarfs-
        Pflegebedürftigkeit eines Menschen                                                            gerechtigkeit, Humanität und Effizi-
        festgestellt und die Höhe der finanziel-       Auf Bundes- und Landesebene                    enz,
        len Unterstützung berechnet. Der Be-           wurden bereits wichtige REFORMEN         •	   nachhaltige Unterstützungsstruktu-
        griff der Pflegebedürftigkeit ist im neuen     vorgenommen.                                    ren für pflegende Angehörige,            Wir müssen alle zusammenhelfen,
        Gesetz nun weiter gefasst: Menschen                                                     •	    Pflegegerechtigkeit in allen Wohn-       damit die Pflege die WERTSCHÄTZUNG
        mit kognitiven Einschränkungen wie                                                             und Siedlungsbereichen,                  erfährt, die sie verdient.
        Demenz oder Alzheimer erhalten die                                                      •	    Umsetzung der Digitalisierung im
        gleichen Leistungen wie dauerhaft kör-                                                         Einklang mit würdevoller Pflege,
        perlich Erkrankte. Neu ist außerdem der                                                 •	    Stärkung ehrenamtlichen Engage-
        Grundsatz „mehr ambulante und weni-              Zu den dringlichsten Aufgaben, die            ments sowie
        ger stationäre Pflege“.                      es im Pflegebereich zu bewältigen gilt,    •	    Verbesserung der Sterbebegleitung in
            Zum 1. Januar 2019 trat das Pflegeper-   gehören die Sicherstellung einer gerech-          stationären Einrichtungen.                 Wie wir mit Pflegebedürftigen um-
        sonal-Stärkungsgesetz in Kraft, das die      ten Entlohnung für Pflegekräfte, die                                                     gehen, ist ein Gradmesser für die Huma-
        geplanten Maßnahmen des „Sofortpro-          Verbesserung der Arbeits- und Rahmen-      Christine Fiedler erläutert in ihrem          nität unserer Gesellschaft. Doch auch
        gramm Pflege“ umsetzt. Hiermit sollen        bedingungen sowie die Stärkung der         nachfolgenden Beitrag die Tradition der       der Umgang der Gesellschaft mit dem
        eine angemessenere Personalausstattung       Pflegequalität. Pflegende Angehörige       Pflege seit Florence Nightingale, der Be-     Pflegepersonal prägt die Versorgungs-
        und bessere Arbeitsbedingungen in der        sollen eine bessere finanzielle Anerken-   gründerin der modernen Krankenpflege          qualität. Die Betreuung und Versorgung
        Kranken- und Altenpflege erreicht wer-       nung erhalten, durch Pflegestützpunkte     am Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei           von pflegebedürftigen Menschen ist eine
        den. Das Gesetz sieht u. a. 13.000 neue      und Pflegekurse gezielter beraten und      betont sie, dass die Voraussetzungen für      gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir
        Stellen für stationäre Pflegeeinrichtungen   durch Rehabilitationsprogramme ent-        eine gute Pflegekraft nach wie vor der        müssen jetzt die richtigen Weichen für
        vor, die in vollem Umfang von der Kran-      lastet werden. Weitere Forderungen         empathische Umgang mit Menschen,              die Zukunft stellen. ///
        kenversicherung finanziert werden.           werden im Fokus-Teil thematisiert.         Freude am Beruf, eine fundierte Ausbil-
            Ab 2020 wird das Pflegeberufegesetz          Im Zeitgespräch beantwortet Bun-       dung und große Fortbildungsbereit-
        das Altenpflegegesetz und das Kranken-       desgesundheitsminister Jens Spahn Fra-     schaft sind. Die Autorin spannt dann
        pflegegesetz ablösen. Es reformiert und      gen zur Besetzung und Finanzierung         den Bogen von 1861 zum aktuellen
        integriert die bisherigen drei Ausbildun-    der 13.000 zusätzlichen Pflegestellen      Image des Pflegeberufs und zur fort-
        gen in der Kranken-, Kinderkranken-          sowie zur Imageverbesserung der Pfle-      schreitenden Akademisierung der Pfle-
        und Altenpflege zu einer neuen und ge-       geberufe. Weitere Themenfelder sind        geausbildung. Für die Pflegekräfte for-
        neralistisch ausgerichteten beruflichen      die Gesundheitsversorgung im ländli-       dert sie mehr Handlungsautonomie,
        Pflegeausbildung mit einem einheitli-        chen Raum, das „E-Health-Gesetz II“        eine angemessenere Vergütung und grö-
        chen Berufsabschluss.                        und die freiwillige Organspende.           ßeren gesellschaftlichen Respekt.                /// D
                                                                                                                                                      R. SUSANNE SCHMID
            In Bayern wurde 2018 das Landes-             In seinem Beitrag unterstreicht Joa-       Die Augustinum Gruppe betreibt               ist Referentin für Gesellschaftliche Ent-
        pflegegeld ab Pflegegrad 2 in Höhe von       chim Unterländer, dass würdevolle Pfle-    bundesweit 23 Senioren-Wohnstifte mit            wicklung, Migration, Integration der
        1.000 Euro jährlich eingeführt. Des          ge im Alter die Voraussetzung für eine     rund 7.500 Bewohnern und etwa 3.000              Akademie für Politik und Zeitgeschehen,
        Weiteren wurde die Hospiz- und Pallia-       menschliche Gesellschaft ist. Er be-       Mitarbeitern. Einblicke in das Pflege-           Hanns-Seidel-Stiftung, München.
        tivversorgung ausgebaut, Kurz- und           nennt neun Schwerpunkte im Pflegebe-       konzept der Augustinum-Seniorenresi-
        Langzeitpflegeplätze gefördert sowie         reich, in denen er zukünftig großen        denzen bietet Matthias Steiner. Die an-
        das Bayerische Landesamt für Pflege ge-      Handlungsbedarf sieht:                     schließenden Interviews mit Johannes
8   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   9
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH

                                                                                                                                             Quelle: Ikon Images/Mauritius Images
/// Diagnose gestellt – Heilung möglich – Operation beginnen

WORAN KRANKT UNSER
GESUNDHEITSSYSTEM?
JENS SPAHN /// ist mit dem Thema bestens vertraut und weist dazu bereits
viel Erfahrung auf. Er war von 2009 bis 2015 gesundheitspolitischer Sprecher
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Seit März 2018 bekleidet er das Amt des
Bundesgesundheitsministers. Als solcher steht er vor nicht wenigen dringenden
Fragen und Herausforderungen, denen er sich aber – wie das nachfolgende
Gespräch zeigt – entschlossen und auch schon tatkräftig stellt.

          Politische Studien: In Deutschland gibt     nal kommen bei dem derzeitigen Fach-
          es einen zunehmenden Pflegenotstand.        kräftemangel?
          Ihr Maßnahmenpaket dagegen beinhaltet       Jens Spahn: Unser Pflege-Sofortpro-

        „
          13.000 neue Stellen im Pflegebereich.       gramm ist der erste Schritt, um diesen
          Aber woher soll dieses zusätzliche Perso-   Mangel zu beheben. Dafür muss sich
                                                      zunächst der Ruf der Pflege verbessern.
                                                      Die Pflegekräfte sollen wissen: Wir
                                                      schätzen ihre Arbeit, wir nehmen ihre
                                                      Probleme ernst, wir kümmern uns um

                      Unser Pflege-Sofortprogramm ist der ERSTE Schritt,
                      um diesen Mangel zu beheben.                                              Wir brauchen eine bessere Vernetzung und
                                                                                                Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, aber
                                                                                                auch generell mehr gesellschaftliche Wert-
                                                                                                schätzung für den Bereich Pflege.

10   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
„
POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH

          sie. Und wenn wir neue Stellen schaffen,       machen, indem wir mehr Stellen schaf-
          dann mit dem Ziel, die Plegekräfte zu          fen und besetzen. Deshalb arbeiten wir
          entlasten. Auch das steigert die Attrakti-     intensiv an einem Gesamtpaket.
          vität des Pflegeberufes. Dafür müssen                                                                          Klar ist, dass wir für mehr Pflegekräfte, deren
          wir neues Personal gewinnen und Pfle-          Politische Studien: Bessere Bezahlung                           bessere Bezahlung und die Unterstützung zu Hause
          gekräfte, die aus Enttäuschung ausge-          ist sicher ein wichtiger Faktor, aber das                       noch mehr GELD brauchen werden.
          stiegen sind, zurückgewinnen. Das So-          Geld alleine ist kein Anreiz, einen Beruf im
          fortprogramm Pflege hilft dabei. Damit         sozialen Bereich zu ergreifen. Wie kann
          schaffen wir in der stationären Alten-         man die Rahmenbedingungen über das Fi-
          pflege 13.000 neue Stellen, die aus Mit-       nanzielle hinaus attraktiver gestalten?
          teln der Gesetzlichen Krankenversiche-         Jens Spahn: Mein Ziel ist es, dass sich
          rung bezahlt werden. In den Kranken-           der Arbeitsalltag unserer Pflegekräfte
          häusern wird sogar jede neue Pflegestel-       spürbar verbessert. Wir haben mittler-             Wir − das Gesundheits-, das Ar-         Leistungen im Umfang von 38 Milliar-
          le vollständig von der Krankenversiche-        weile eine hohe Teilzeitquote in der Pfle-     beits- und das Familienministerium −        den Euro für Pflegebedürftige, Angehö-
          rung finanziert. Die Ausrede, „Es ist          ge. Viele haben ihre Arbeitszeit redu-         haben dazu die „Konzertierte Aktion         rige und auch Pflegekräfte − so viel wie
          kein Geld für Pflege da“, gilt da also jetzt   ziert und nehmen weniger Gehalt in             Pflege“ ins Leben gerufen. Gemeinsam        noch nie. Dadurch ist die Zahl der Pfle-
          nicht mehr.                                    Kauf, weil sie die Arbeitsbelastung nicht      mit Kassenverbänden, Leistungser-           gebedürftigen, die auf Sozialhilfe ange-
              Außerdem müssen wir die Rahmen-            mehr aushalten. Andere haben dem Be-           bringern, Pflegeberufsverbänden, Ar-        wiesen sind, stark gesunken. Aber rich-
          bedingungen verbessern, damit mehr             ruf den Rücken gekehrt. Wenn die Aus-          beitnehmer- und Arbeitgebervertre-          tig ist eben auch: Die Pflegeversicherung
          Menschen in der Pflege arbeiten wollen.        sicht besteht, wieder mit mehr Kollegen        tern wollen wir ein dickes Paket schnü-     und auch der Staat können unterstüt-
          In Kliniken und Heimen hat es in den           in einer Schicht zu arbeiten, werden           ren. Es geht darum, Arbeitsbedingun-        zen, aber sie ersetzen nicht die Familie
          vergangenen Jahren eine wahnsinnige            Teilzeitkräfte ihre Stundenzahl aufsto-        gen und Verdienstmöglichkeiten für          und deren Beistand.
          Verdichtung der Arbeit gegeben. Viele          cken, andere werden in den Beruf zu-           Fach- und Helferkräfte zu verbessern             Die Ausgaben der Pflegekassen sind
          Pflegekräfte berichten mir, dass sie zu oft    rückkehren. Und auch Pflegekräfte, die         und zu einem Flächentarifvertrag zu         zuletzt viel stärker gestiegen als erwar-
          ihrem eigenen Anspruch nicht mehr ge-          für Zeitarbeitsfirmen arbeiten, wechseln       kommen, neue Möglichkeiten der Aus-         tet. Das spricht für den Erfolg der Pfle-
          recht werden können, weil sie keine Zeit       dann ins Krankenhaus oder in eine Pfle-        und Weiterbildung und der Auf- und          gereform, bedeutet aber auch, dass wir
          für die Patienten und Pflegebedürftigen        geeinrichtung. Außerdem setzen wir auf         Umstiege im Erwerbsverlauf zu schaf-        den Beitrag zur Pflegeversicherung zum
          haben. Ich will die fatale Spirale durch-      den Nachwuchs. Wir haben mit der               fen, den Wiedereinstieg in den Beruf        1. Januar 2019 um 0,5 Beitragspunkte
          brechen, die es in der Pflege derzeit gibt:    neuen Pflegeberufeausbildung ab 2020           zu fördern und auch Fachkräfte aus          anheben mussten. Klar ist auch, dass
          Die Belastung steigt, Kollegen steigen         attraktive Perspektiven für Azubis ge-         dem Ausland zu gewinnen. Mitte 2019         wir für mehr Pflegekräfte, für deren bes-
          frustriert oder krank aus dem Beruf aus,       schaffen, ohne Schulgeld und mit Ver-          wollen wir dazu konkrete Konzepte           sere Bezahlung und für die Unterstüt-

        „
          die Belastung steigt noch weiter. Wir          gütung. Das sind erste, wichtige Schritte      vorlegen.                                   zung zu Hause noch mehr Geld brau-
          können den Pflegeberuf nur attraktiver         auf einem längeren Weg.                                                                    chen werden. Ich möchte den Umstand,
                                                                                                        Politische Studien: Kommen jetzt Bei-       dass damit die Debatte um die Pflege
                                                                                                        tragserhöhungen in der Pflege auf uns zu?   endlich richtig Fahrt aufgenommen hat,
                                                                                                        Jens Spahn: Zunächst einmal sollte man      als Chance nutzen, jetzt offen und ehr-
                                                                                                        anerkennen, dass sich in der Pflege in      lich zu diskutieren: Wie bleiben wir eine
                                                                                                        den letzten Jahren schon vieles sehr gut    menschliche Gesellschaft, wie erhalten
                                                                                                        weiterentwickelt hat: Demenzkranke          wir unsere sozialen Institutionen, wenn
                      Mein Ziel ist es, dass sich der Arbeitsalltag                                     haben endlich Zugang zu allen Leistun-      jeder Dritte in Deutschland älter als 60
                      unserer Pflegekräfte spürbar VERBESSERT.                                          gen der Pflegeversicherung, die Leistun-    Jahre alt ist − und weniger als ein Fünf-
                                                                                                        gen sind massiv ausgebaut worden und        tel jünger als 20?
                                                                                                        kommen heute Hunderttausenden mehr
                                                                                                        zugute als vor der Pflegereform. Die        Politische Studien: Die Überalterung un-
                                                                                                        Pflegeversicherung finanzierte 2018         serer Gesellschaft, der demographische
12   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                    483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   13
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH

          Faktor, macht sich auch im Strukturwan-
          del bemerkbar. Auf dem Land ist die Ge-
          sundheitsversorgung zunehmend einge-
          schränkt. Kaum ein Arzt will dort noch
          eine Praxis übernehmen. Wie wollen Sie
          das angehen?
          Jens Spahn: Ich komme aus einem
          3.700-Seelen-Dorf im Münsterland. Ich
          weiß, wie wichtig der Arzt in der Nähe
                                                        auch wenn vieles heute noch ungewohnt
                                                        erscheint.

                                                        Politische Studien: Stichwort Digitali-
                                                        sierung: Mit dem E-Health-Gesetz II soll
                                                        diese ja auch in das Gesundheitswesen
                                                        Einzug halten. Gesundheitskarte, elektro-
                                                        nische Patientenakte, Telemedizin − was
                                                        erwartet uns da und wie steht es dabei
                                                                                                        „            Mir geht es darum, den richtigen Mix zu finden und
                                                                                                                     die Dinge besser ZU STEUERN.

          ist. Um das zu erhalten, ziehen wir alle      um den Datenschutz?
          Register. Wir haben schon viele finanzi-      Jens Spahn: Die Digitalisierung eröffnet
          elle Anreize gesetzt, damit mehr Ärzte        für viele Bereiche unserer Gesellschaft
          sich entscheiden, auf dem Land zu arbei-      enorme Chancen. Damit wir die Digita-       sichere Datenautobahn können sich            woran liegt das und wie kann man das
          ten. Aber Geld ist nicht alles. Wir müs-      lisierung nach unseren Anforderungen        Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser,             besser steuern?
          sen akzeptieren, dass Ärzte heute andere      und Sicherheitsstandards selbst gestal-     Apotheken, Krankenkassen und alle an         Jens Spahn: Wir haben eines der besten
          Lebensentwürfe haben. Viele wollen            ten können − anstatt dabei zuzusehen,       der Behandlung eines Patienten Betei-        Gesundheitssysteme der Welt. Jeder hat
          ärztlich tätig sein, aber nicht betriebs-     wie andere sie nutzen –, brauchen wir       ligten vernetzen und Informationen           Zugang zu medizinischer Versorgung
          wirtschaftlich selbständig. Die Einzel-       passende politische Rahmenbedingun-         austauschen. Erste medizinische An-          auf hohem Niveau. Das sollten wir wert-
          praxis ist kein Auslaufmodell, aber sie ist   gen. Das gilt auch für das Gesundheits-     wendungen der Gesundheitskarte zu            schätzen. Gleichzeitig gibt es spürbare
          ein Modell von vielen. Es braucht mehr        wesen.                                      Notfall- und Medikationsdaten sollen         Probleme, die wir angehen wollen. In
          Vielfalt und Flexibilität.                         Einiges ist da schon in Bewegung.      im nächsten Jahr verfügbar sein. Die         den Niederlanden warten Sie zum Bei-
               Ein wesentlicher Schlüssel liegt auch    So wird künftig die Fernbehandlung          elektronische Patientenakte ist ab 2021      spiel sechs Monate auf eine Hüftoperati-
          im Medizinstudium. Wir brauchen bei           den persönlichen Arzt-Patienten-Kon-        geplant und wir haben auch einen Fahr-       on. Dort haben Sie auch nur ihren Haus-
          der Auswahl der Studierenden andere           takt sinnvoll ergänzen können. Teleme-      plan zur Einführung des elektronischen       arzt. Wenn Sie einen Facharzt brauchen,
          Kriterien als die Abi-Note. Es ist des-       dizin spart Zeit und Wege und bringt        Rezepts. Wer möchte, erhält Zugang           müssen Sie ins Krankenhaus, deshalb
          halb richtig, dass Bayern eine Landarzt-      Expertenwissen zu den Menschen −            über Smartphone oder Tablet. Damit           ist die Zahl der Arztkontakte in einem
          Quote einführen will, also einen Teil der     und nicht umgekehrt. Das schafft Vor-       kann unsere Gesundheitsversorgung            Land wie den Niederlanden zwangsläu-
          Studienplätze für diejenigen reservieren,     teile insbesondere für Patienten im         im Alltag spürbar und konkret besser         fig niedriger. Solche Verhältnisse aber
          die sich verpflichten, für eine Zeit aufs     ländlichen Raum, die die Universitäts-      werden.                                      will ich in Deutschland nicht. Mir geht
          Land zu gehen. Auch Digitalisierung           klinik nicht vor der Haustür haben. Wir         Rund um die Digitalisierung gilt für     es darum, den richtigen Mix zu finden
          kann eine enorme Hilfe sein: Online-          treiben außerdem den Ausbau der Tele-       mich: Der Patient muss Herr über seine       und die Dinge besser zu steuern. Wenn

        „
          Sprechstunden, Telemedizin und mehr,          matikinfrastruktur voran. Über diese        Daten sein. Wenn er Daten weitergibt,        Ihr Rücken am Wochenende zwickt,
                                                                                                    dann informiert und freiwillig. Fragen       sind Sie am Montag beim Orthopäden
                                                                                                    von Patientenautonomie und Daten-            besser aufgehoben als am Sonntag in der
                                                                                                    schutz müssen bestmöglich beantwortet        Notfallambulanz.
                                                                                                    sein. Gleichzeitig wird es darauf ankom-         Was wir daher brauchen, ist eine
                                                                                                    men, innovativ zu bleiben.                   bessere Vernetzung und Zusammenar-
                                                                                                                                                 beit im Gesundheitswesen. Dazu wollen
                                                                                                    Politische Studien: Kein Land in Europa      wir die ambulante und stationäre Ver-
                      Die Digitalisierung eröffnet für viele Bereiche                               weist so viele Arztbesuche pro Kopf auf      sorgung künftig „an einem Tresen“ or-
                      unserer Gesellschaft enorme CHANCEN.                                          wie Deutschland und zunehmend wird           ganisieren. Beim Verhältnis zwischen
                                                                                                    schon bei harmlosen Erkrankungen und         Notdienst, der 112 und den Notfallam-
                                                                                                    Verletzungen die Notfallambulanz aufge-      bulanzen setze ich vor allem darauf,
                                                                                                    sucht. Eine zu schlechte ärztliche Versor-   dass wir die Triage stärken. Am Telefon
                                                                                                    gung, ein Volk von Hypochondern oder         muss jemand mit Sachverstand sitzen,
14   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                 483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   15
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
POLITISCHE-STUDIEN-ZEITGESPRÄCH

          der entscheiden kann, ob der Patient
          besser im Krankenhaus oder einer Be-
          reitschaftspraxis aufgehoben ist. Das ist
          eine der großen Baustellen für das Jahr
          2019: das Entlasten der ärztlichen Not-
          dienste.

          Politische Studien: Was tun Sie gegen den
          Spendermangel bei der Organspende?
                                                      wichtigen Stellen ansetzen. Erstens: Die
                                                      Transplantationsbeauftragten      sollen
                                                      mehr Zeit für ihre wichtige Aufgabe be-
                                                      kommen, vor allem auch, um mögliche
                                                      Organspender auf der Intensivstation zu
                                                      erkennen. Zweitens: Wir wollen, dass
                                                      die Krankenhäuser leistungsgerecht ver-
                                                      gütet werden und keine finanziellen
                                                      Nachteile haben, wenn sie sich bei der
                                                                                                      „            Das ist kein Zwang zur Spende, sondern der Zwang,
                                                                                                                   sich mit dem Thema AUSEINANDERZUSETZEN.

          Jens Spahn: Die Spenderzahlen sind in       Organspende engagieren. Transplanta-
          den vergangenen Jahren zurückgegan-         tionsbeauftragte sollen im Klinikalltag
          gen. Das bedeutet: Viele Menschen, die      den Freiraum bekommen, ihre Aufgabe
          dringend auf eine Organtransplantation      auch wirklich zu erfüllen.
          angewiesen sind, warten leider verge-
          bens. In Deutschland sind es zurzeit        Politische Studien: Sie haben sich auch
          mehr als 10.000. Alle acht Stunden          für einen Systemwechsel in der Organ-       ßen möchte. Hat er nicht widerspro-          Die Fragen stellte Verena Hausner, Stv.
          stirbt ein Mensch auf der Warteliste,       spende ausgesprochen. Warum sind Sie        chen, sind die Angehörigen nach dem          Redaktionsleiterin der Politischen Studi-
          weil kein passendes Organ gefunden          für eine Widerspruchslösung?                mutmaßlichen Willen des Verstorbenen         en und Publikationen, Hanns-Seidel-Stif-
          wird. Das Hauptproblem bei der Organ-       Jens Spahn: Um die persönliche Ausein-      zu befragen.                                 tung, München. ///
          spende ist übrigens nicht die Spendebe-     andersetzung mit dem Thema Organ-               Die Widerspruchslösung bedeutet
          reitschaft. Die hat in den vergangenen      spende langfristig zur gesellschaftlichen   also, dass eine persönliche Auseinan-
          Jahren sogar zugenommen. Ein ent-           Normalität werden zu lassen, ist letzt-     dersetzung mit der Thematik und die
          scheidender Schlüssel liegt vielmehr bei    lich auch entscheidend, welche Haltung      Entscheidung über die eigene Spendebe-
          den Kliniken. Ihnen fehlen häufig Zeit      jeder Einzelne zur Frage der Organspen-     reitschaft gefördert wird. Das ist kein
          und Geld, um mögliche Organspender          de hat. Daher habe ich mich für die Ein-    Zwang zur Spende, sondern der Zwang,

                                                                                                                                                                     Quelle: © BMG
          zu identifizieren. Deshalb wollen wir       führung der sog. doppelten Wider-           sich mit dem Thema auseinanderzuset-
          dafür sorgen, dass Organspende in           spruchslösung ausgesprochen. Das            zen. Deshalb habe ich eine Debatte über
          Krankenhäusern künftig Alltag wird.         heißt, dass einerseits von der Bereit-      die Einführung der Widerspruchslö-
          Entscheidend dafür ist, dass konkret die    schaft zur Organspende ausgegangen          sung im Deutschen Bundestag angesto-            /// JENS SPAHN
          Verfahren und Abläufe vor Ort funktio-      wird, andererseits aber jeder Einzelne      ßen. Wir sollten diese Diskussion sorg-         ist Bundesminister für Gesundheit, Berlin.
          nieren. Dazu müssen die Rahmenbedin-        zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organ-      fältig, respektvoll und in aller Offenheit

        „
          gungen stimmen. Das gehen wir jetzt         entnahme widersprechen kann, wenn er        nicht nur im Parlament, sondern in der
          mit einem Gesetz an, indem wir an zwei      eine Organentnahme für sich ausschlie-      Gesellschaft insgesamt führen.

                      Wir wollen dafür sorgen, dass Organspende in
                      Krankenhäusern künftig ALLTAG wird.

16   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                 483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   17
POLITISCHE STUDIEN 483 - Hanns-Seidel-Stiftung
IM FOKUS

                                                                                                                            Quelle: Ikon Images/Mauritius Images
/// Würdevolle Pflege im Alter

VORAUSSETZUNG FÜR EINE
MENSCHLICHE GESELLSCHAFT
JOACHIM UNTERLÄNDER /// Eine würdevolle Pflege im Alter ist nicht nur wegen der
demographischen Entwicklung ein vorrangiges Anliegen. Trotz aller guten und not-
wendigen Reformen gibt es auch in Zukunft große Herausforderungen. Die Verbesse-
rung der Arbeitsbedingungen, die Personalgewinnung, die grundsätzliche Zukunft in
der gesetzlichen Pflegeversicherung, die Situation der pflegenden Angehörigen und
die notwendigen Angebote in Vielfalt sind dabei zentrale Erfordernisse. Pflegepolitik
muss auch in Zukunft ganz oben auf der politischen Prioritätenliste stehen.

              Zur Ausgangslage
          „Die Zukunft der Pflege im Alter erfor-
          dert Solidarität und ein respektvolles        Pflege braucht jetzt und in
          Miteinander der Generationen. Alle sind       Zukunft GESELLSCHAFTLICHEN
          aufgefordert, ihren spezifischen Beitrag      Respekt und Solidarität.
          zur Solidargemeinschaft zu leisten. Die-
          jenigen, die auf die besondere Hilfe der
          Gemeinschaft angewiesen sind, müssen
          diese ohne Scheu annehmen können […]
          Bei der Bewältigung dieser Aufgaben
          steht jede und jeder vor der Frage, wie         Vor Jahren haben die beiden zustän-
          eine solche Lebenslage bewältigt werden     digen Bundesministerien im Rahmen
          kann. Bei der Bewältigung dieser Aufga-     eines „Runden Tisches“ die Charta der
          be sind nicht nur die politisch Verant-     Rechte hilfe- und pflegebedürftiger
          wortlichen, die Träger von Pflegeein-       Menschen unter Einbeziehung beste-
          richtungen und die Pflegenden selbst        hender Rechtsnormen entwickelt. In
          gefordert.“ Diese Grundsätze sind in ei-    acht Artikeln wurden die Selbstbestim-      Pflege ist eine gesamt-
          ner Schrift der katholischen Kirche zur     mung und Hilfe zur Selbsthilfe, die kör-    gesellschaftliche Auf-
          Zukunft der Pflege im Alter als christli-   perliche und seelische Unversehrtheit,      gabe und erfordert das
          che Grundpositionen enthalten (die          Freiheit und Sicherheit, das Recht auf      Zusammenwirken aller
          deutschen Bischöfe Nr. 92).                 Privatheit, die Pflege, Betreuung und Be-   maßgeblichen Stellen.

18   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019
IM FOKUS

          handlung, das Recht auf Information,        terentwicklung der Situation in diesem          Aktivität, Mobilität und Sorgenlosigkeit     verbände und Selbsthilfeinitiativen,
          Beratung und Aufklärung, Kommuni-           Bereich festgelegt. „Die Arbeitsbedin-          ist mit dieser Lebenssituation schwer zu     aber auch die privaten Anbieter sind ge-
          kation, Wertschätzung und Teilhabe an       gungen und die Bezahlung in der Alten-          vereinbaren. Deshalb muss sich nicht         fordert, diesen Prozess weiter mitzuge-
          der Gesellschaft, Religion, Kultur und      und Krankenpflege werden sofort und             nur jeder und jede Einzelne mit dieser       hen. Es ist aber aufgrund der demogra-
          Weltanschauung sowie die palliative Be-     spürbar verbessert. […] In einer konzer-        Situation auseinandersetzen, vielmehr        phischen Entwicklung auch eine zivilge-
          gleitung festgelegt. Artikel, die auch      tierten Aktion Pflege soll eine bedarfsge-      ergibt sich daraus eine Verpflichtung für    sellschaftliche Aufgabe. In unserer so
          heute weiterhin ihre Berechtigung und       rechte Weiterentwicklung der Situation          Staat, Gesellschaft und die Familien.        heterogenen Gesellschaft ist eine „Ge-
          Gültigkeit haben.                           in der Altenpflege erreicht werden.“            Um die Rahmenbedingungen insgesamt           meinschaftsaufgabe Pflege“ unbedingt
                                                          Ein Sofortprogramm und die „kon-            weiter zu verbessern, benötigen wir          erforderlich, damit die vielfältig vorhan-
               Politisches Handeln                    zertierte Aktion Pflege“ sollen bundes-         dringend die Anerkennung, dass Han-          denen guten Ideen nicht im Sande ver-
          Seit der Einführung der Pflegeversiche-     weit eine bedarfsgerechte Weiterent-            deln und Gestalten für Pflege eine Quer-     laufen.
          rung im Jahr 1995 hat es eine Vielzahl      wicklung sicherstellen.                         schnittsaufgabe darstellt.                       In neun Schwerpunktbereichen wird
          von Reformen gegeben, die die auftre-           Hingewiesen wird dabei auf ver-                 Die Zahl der Pflegebedürftigen be-       es auch in Zukunft einen großen Hand-
          tenden Systemschwächen ausgleichen          bindliche Personalbemessungsinstru-             trägt derzeit 2,9 Mio. Menschen in           lungsbedarf geben, damit das anerkann-
          sollten, die Qualität in der Pflege ver-    mente. Einen hohen Stellenwert sollen           Deutschland und wird bis 2035 auf            te Ziel einer würdevollen Pflege auch im
          besserten, die Arbeitsbedingungen ver-      auch die bessere Bezahlung für die Mit-         rund 4 Mio. steigen. Dies führt zu Ver-      Alter gewährleistet werden kann. Es
          änderten, die häusliche Pflege und die      arbeiter sowie eine deutliche Entbüro-          änderungen in allen Lebensbereichen.         sind dabei insbesondere zu nennen:
          pflegenden Angehörigen stärken sollten      kratisierung und Stärkung der häusli-
          sowie die Schnittstellen zwischen den       chen Pflege erhalten. Gleiches gilt für                                                      1. Ambulante Pflege und stationäre
          Systemen besser vernetzt haben.             Vermeidung von Pflege durch Präventi-                                                            Pflegeeinrichtungen müssen be-
               Dies ist vor allen Dingen auch ein     on. Und ganz wichtig: Auf das Einkom-                                                           darfsgerecht weiterentwickelt wer-
          Verdienst der Pflegekritiker, die im kon-   men der Kinder von pflegebedürftigen          Das Thema Pflegebedürftigkeit                     den.
          struktiven Dialog mit der Politik den       Eltern soll künftig erst ab einem Ein-        muss individuell und gesellschaft-             2. Ohne professionelle Pflege und da-
          Stellenwert der Pflege erhöht haben.        kommen in Höhe von 100.000 Euro im            lich mehr RELEVANZ bekommen.                       mit einer deutlichen Verbesserung
          Auch die engagierten Träger haben dazu      Jahr zurückgegriffen werden.                                                                     der Mitarbeitersituation sowie der
          beigetragen. Aber erst in den letzten           Auch die bayerische Landespolitik                                                            Schaffung neuer Arbeitsplätze ist
          Jahren ist das Thema stärker in den po-     setzt einen Schwerpunkt in der Pflege. So                                                        eine menschenwürdige Pflege nicht
          litischen und damit auch öffentlichen       ist in der Regierungserklärung von Mi-                                                           zu gewährleisten.
          Mittelpunkt gerückt.                        nisterpräsident Söder ein Pflegegeld von                                                     3. Wir benötigen den Ausbau von Ent-
               Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU      1.000 Euro pro Jahr festgelegt, das sich            In der Politik darf das Thema nicht in       lastungsstrukturen, damit Pflege für
          und SPD dieser Legislaturperiode wer-       bereits hoher Nachfrage durch die Be-           den Hintergrund geraten. Der Schwer-             alle Beteiligten würdevoll gestaltet
          den mit einem Sofortprogramm Pflege         troffenen und ihrer Angehörigen erfreut.        punkt wird vor allem auf der Finanzie-           werden kann.
          und darüber hinaus einer „konzertierten                                                     rung und den Strukturreformen liegen.        4. Das System der gesetzlichen Pflege-
          Aktion Pflege“ die bedarfsgerechte Wei-         Die individuelle Situation                  In einer älter werdenden Gesellschaft            versicherung nach dem Solidarprin-
                                                      Die Sorge um die persönliche Pflegebe-          müssen wir uns positiv fragen, was uns           zip hat sich bewährt. Es ist unab-
                                                      dürftigkeit ist für uns alle eine große in-     Pflege wert ist. Die Akzeptanz für höhe-         hängig davon aber über die Struktu-
                                                      dividuelle Herausforderung. Manche              re Beiträge ist in der Bevölkerung fast          ren weiter nachzudenken, damit Be-
                                                      versuchen, sich mit dieser Situation so         ausschließlich in diesem Bereich gege-           darfsgerechtigkeit, Humanität und
       Ein Sofortprogramm und die                     lange wie möglich nicht zu befassen.            ben. Schon heute werden in der gesetzli-         Effizienz miteinander vereinbar
       „KONZERTIERTE AKTION PFLEGE“ sollen            Doch irgendwann ist jeder Mensch                chen Pflegeversicherung pro Jahr rund            sind.
       bundesweit eine bedarfsgerechte                durch Familienangehörige, durch Be-             38,5 Milliarden Euro an Leistungen aus-      5. Eine besondere Rolle kommt nach
       Weiterentwicklung sicherstellen.               kannte oder gar durch sich selbst betrof-       gegeben.                                         wie vor aufgrund der realen Situati-
                                                      fen. Der Umgang mit Pflegebedürftig-                Die Trägerstrukturen, also insbe-            on in der Pflege den pflegenden An-
                                                      keit hat in unserer Gesellschaft eindeu-        sondere die freigemeinnützigen Wohl-             gehörigen zu. Sie benötigen nachhal-
                                                      tig Verbesserungsbedarf. Das Ideal von          fahrtsverbände, die Kirchen, die Sozial-         tige Unterstützungsstrukturen.
20   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                    483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   21
IM FOKUS

         6. Die Wohnformen älterer Menschen             Ambulante Pflege und stationäre           bessert werden. Dazu bedarf es auch
             müssen wie selbstverständlich Pfle-         Pflegeeinrichtungen                       weiterhin einer intensiven Dialogkultur
             gegerechtigkeit in allen Wohn- und      Es ist unbestritten, dass der in der ge-      aller Beteiligten. Ein Insider beschreibt      Die RAHMENBEDINGUNGEN in der
             Siedlungsbereichen ermöglichen, da      setzlichen Pflegeversicherung zu Recht        die Situation in der stationären Alten-        stationären Pflege müssen für
             ein hoher Anteil aller Menschen         festgehaltene Vorrang der ambulanten          pflege wie folgt: „Zu viel Arbeit, zu we-      Patienten und Personal weiter
             auch zu Hause gepflegt werden will.     Pflege auch noch stärker mit Leben er-        nig Personal, Zeitdruck, immer ‚unter          verbessert werden.
         7. N
             eben der demographischen Ent-          füllt wird. Doch die ambulante Pflege         Strom‘, Abarbeiten im Dauerlauf, wür-
            wicklung und der Migration ist die       ist, wie die Versorgung in Rehabilitati-      deloses Abfertigen, keine Anerkennung,
            Digitalisierung eine der drei zentra-    onseinrichtungen, weiterhin eine große        Berge von Überstunden, unzuverlässige
            len Herausforderungen für die Zu-        „Baustelle“. Hier gibt es trotz der vor-      Dienstpläne, immer müde.“ In meiner
            kunft. Sie wird vor der Lebenssitua-     handenen Regularien eine große Viel-          langjährigen parlamentarischen Tätig-
            tion der Pflege nicht Halt machen.       falt, die nicht immer im Interesse der        keit ist für mich die Teilnahme an den            Die Menschen in der Altenpflege
            Wir müssen das Ziel der würdevol-        Pflegebedürftigen, ihrer Angehörigen          15 Jahre lang stattgefundenen Pflege-        Gute und würdevolle Pflege setzt neben
            len Pflege und die Digitalisierung       und auch der Mitarbeiter genutzt wird.        stammtischen ein sehr beeindruckendes        einer guten Aus-, Fort- und Weiterbil-
            miteinander in Einklang bringen.         Deshalb muss es das erklärte Ziel sein,       Erlebnis gewesen. Die Sorgen um eine         dung vor allen Dingen ausreichendes
         8. Unser Gemeinwesen lebt vom Eh-          dass die Leistungskataloge in der ambu-       gute Versorgung der Angehörigen, die         Personal voraus. Wenn Träger klagen,
             renamt. Das ehrenamtliche Engage-       lanten Pflege an die neuesten Pflegeer-       Situation der Pflegenden und auch die        dass der Personalmangel zur größten
             ment von Menschen ist ein unver-        kenntnisse endlich angepasst werden.          Notwendigkeiten für die Träger haben         Herausforderung für die Gewährleis-
             zichtbarer Schatz. Wenn Pflegebe-       Bei den Vergütungen ist es darüber hin-       dabei ein spannendes Klima erzeugt,          tung einer guten, qualitativ hochwerti-
             dürftigkeit eine wesentliche Lebens-    aus wichtig, dass Preisentwicklungen          aber auch immer wieder die Grundlage         gen pflegerischen Versorgung geworden
             situation ist, dann muss auch in die-   und die gestiegenen Anforderungen der         für Lösungen geschaffen. Ich würde mir       ist, so ist dies eine durchaus begründete
             sem Bereich das ehrenamtliche En-       letzten Jahre entsprechend einbezogen         wünschen, dass diese Pflegestammti-          Beschreibung der Situation. Deshalb ist
             gagement unterstützt und gestärkt       werden. Zudem ist es ein dringendes Er-       sche heute eine Wiederbelebung erhal-        eines der Hauptziele, den Pflegeberuf
             werden.                                 fordernis, dass auch in der ambulanten        ten.                                         und seine Rahmenbedingungen attrakti-
         9. Die Sterbebegleitung in den stationä-   Pflege der Zeitdruck weiter abgebaut              Nötig ist aber auch, dass wir in der     ver zu gestalten. Aktuell sind knapp 1,1
             ren Pflegeeinrichtungen muss weiter     wird. Für alle Beteiligten ist die Situati-   Versorgung weitere Wege und neue An-         Mio. Personen bei Pflegediensten und in
             verbessert werden.                      on auf Dauer ansonsten nicht mehr hin-        sätze praktizieren. Es ist zu wünschen,      Pflegeheimen beschäftigt. Mehr als 85 %
                                                     nehmbar.                                      dass alle benötigten Berufsgruppen in        davon sind Frauen. Die Mehrheit des
         Aus diesen Grundsätzen und der Not-             126.000 Menschen leben nach neues-        den stationären Pflegeeinrichtungen ih-      Personals, d. h. rund 70 %, sind teilzeit-
         wendigkeit zur Weiterentwicklung in         ten Zahlen im Freistaat Bayern in Pflege-     ren Stellenwert erhalten und über soge-      beschäftigt. Neben den 13.000 zusätzli-
         der Pflege ergibt sich auch ein immer-      heimen. Obwohl mehr als 70 % aller            nannte Gesamtversorgungsverträge ab-         chen Stellen, die von Bundesseite her si-
         währender Handlungsbedarf. Mit den          pflegebedürftigen Menschen zu Hause           gesichert sind. Dies gilt insbesondere für   cherlich vorrangig eine Momentaufnah-
         bisherigen Reformen in der Pflege ist ab-   gepflegt werden, bedeutet dies eine Stei-     die medizinische (ärztliche) Versorgung,     me darstellen, ist laut dem Koalitionsver-
         solut noch kein Idealzustand erreicht.      gerung in den letzten zehn Jahren um          aber auch für die Hauswirtschaft und         trag der entscheidende Punkt, dass es für
                                                     50 %. Grund dafür ist eine zunehmende         weitere therapeutische Ansätze. Einer        die pflegenden Menschen über Tarifver-
                                                     Zahl an stationären Pflegeplätzen im          Verbesserung bedarf es auch insgesamt        träge eine anständige Bezahlung gibt.
                                                     Freistaat Bayern, die landesweit auf          in der Behandlungspflege in den statio-      Auch wenn die Attraktivität eines Beru-
                                                     136.000 angewachsen sind.                     nären Einrichtungen. Auch ist die Forde-     fes nicht ausschließlich von der Vergü-
       Der Bereich Pflege unterliegt einer               Die Pflegekritik ist in den letzten       rung, dass die Berechnung der Folgekos-      tung abhängt, so ist doch die Definition
       FORTWÄHRENDEN Weiterentwicklung               Jahrzehnten häufig gerade in der statio-      ten von Investitionen, Preisentwicklun-      über diese der zentrale Punkt. Dabei ist
       und situationsangepassten                     nären Pflege, also in der Ausstattung der     gen und gestiegenen Anforderungen der        neben dem Ziel der Tarifbindung und
       Reformierung.                                 Pflegeheime, entstanden. Deshalb muss         letzten Jahre berücksichtigt werden          dem Abschluss von Tarifverträgen mit
                                                     auch weiterhin alles unternommen wer-         muss und deshalb Anpassungen erfor-          guter Bezahlung eine generelle Diskussi-
                                                     den, dass die Rahmenbedingungen               derlich sind, neben der Personalgewin-       on über den Stellenwert sozialer und ins-
                                                     auch in der stationären Pflege weiter ver-    nung eine vorrangige politische Aufgabe.     besondere pflegerischer Berufe in unse-
22   POLITISCHE STUDIEN // 483/2019                                                                                                                                 483/2019 // POLITISCHE STUDIEN   23
IM FOKUS

          rer Gesellschaft notwendig. Dass das            Mit den Pflegestärkungsgesetzen           Rahmen der Umschulung kommt auch             so nicht sein, dass die Versicherungen
          Gehalt in vielen Bank- und Dienstleis-      des Bundes werden zusätzliche Betreu-         der Pflege im Studium ein immer höherer      und die Pflegebedürftigen allein immer
          tungsbereichen wesentlich höher ist als     ungskräfte finanziert, die den Alltag in      Stellenwert zu. Die Studiengänge insbe-      stärker zur Kasse gebeten werden. Es
          in der Pflege oder in anderen Sozialberu-   der Pflege spürbar verbessern. Sowohl         sondere in den Hochschulen für ange-         muss deshalb über eine Mitfinanzie-
          fen, muss weiter verändert werden.          die Pflegebedürftigen als auch die Fach-      wandte Wissenschaften beweisen, dass         rung durch Steuermittel nachgedacht
              Eine bessere Bezahlung durch die        kräfte werden dabei unterstützt. Allein       für eine professionelle Pflege und auch      werden. Es handelt sich schließlich hier
          verschiedenen Kostenträger gerade in        in der stationären Pflege wurden mitt-        für die Attraktivität des Berufes weitere    um eine gesamtgesellschaftliche Aufga-
          der Pflege muss refinanziert werden.        lerweile mehr als 60.000 Frauen und           Studienplätze erforderlich sind. Deshalb     be, und wir sind froh, dass die gesetzli-
          Deshalb ist die Pflegefinanzierung nach     Männer als zusätzliche Betreuungs-            ist ein Ausbau ebenso zu unterstützen        che Pflegeversicherung, wie die anderen
          wie vor auch hinsichtlich der Personalsi-   kräfte für Verbesserungen im Pflegeall-       wie die Schaffung von Lehrstühlen für        Sozialversicherungssysteme auch, nach
          tuation das zentrale Thema. Das Ziel        tag angestellt. Dies ist weit mehr als        Pflegewissenschaft an verschiedenen          dem Solidarprinzip aufgebaut ist. Dies
          sollte wie in der ambulanten Pflege auch    eine Verdoppelung in den letzten fünf         Hochschulen und Stipendiengelder für         bedeutet, dass nicht nur das individuelle
          sein, mehr Zeit für die eigentliche Hilfe   Jahren.                                       Studierende, die in der Pflegepädagogik      Risiko maßgeblich ist, sondern die Soli-
          zu haben. Dies bedeutet auch eine ver-          Die Pflegekräfte sind der wesentli-       tätig sind. Auch hier ist eine zusätzliche   dargemeinschaft den Pflege- bzw. Krank-
          lässliche Arbeitsplanung. Dazu ist eine     che Bestandteil in der ambulanten wie         Personalgewinnung nämlich erforder-          heitsfall mit abdeckt.
          Anhebung der Personalschlüssel in der       der stationären Pflege. Deshalb ist es        lich.                                            Pflegekräfte beklagen häufig, dass
          stationären Pflege notwendig, auch          erforderlich, dass die Betroffenen „auf                                                    die Pflegedokumentation einen nach
          wenn für Kostenträger und die Träger        Augenhöhe‘“ mit den anderen berufs-                                                        wie vor zu hohen Anteil der Arbeitszeit
          von Einrichtungen dies große Anstren-       ständischen Vertretungen im Gesund-                                                        einnimmt. Deshalb sind alle Modellver-
          gungen mit sich bringen wird. Es ist        heitsbereich arbeiten können. Sie könn-                                                    suche und Projekte, die eine einfachere
          aber auch notwendig, in der Ausbildung      ten damit auch einen ganz wesentlichen      Die Pflegekräfte brauchen                      Dokumentation zum Ziel haben, nach-
          die zusätzlichen Herausforderungen in       Beitrag zur Weiterentwicklung der           eine starke berufsständische                   drücklich zu unterstützen. Eine stan-
          der Pflege abzubilden und zu lösen. Dies    Qualität der pflegerischen Versorgung       INTERESSENSVERTRETUNG.                         dardisierte Pflegedokumentation kann
          bedeutet auch, dass durch die Reform        zum Wohle der Bürger einbringen. Ob                                                        auch schlanker sein, als dies in der Ver-
          der Pflegeausbildung die Zahl derjeni-      dies mit dem jetzt auf Landesebene ge-                                                     gangenheit der Fall gewesen ist. Die Ent-
          gen, die in die Altenpflege gehen, weiter   schaffenen Konstrukt einer „Vereini-                                                       lastung für die Pflegenden wäre nicht
          erhöht werden muss. Dazu wird es auch       gung der bayerischen Pflege“ gelingen                                                      unerheblich.
          in Zukunft wieder erforderlich sein,        wird, muss man abwarten. Es ist aber                                                           Die Kostensteigerungen, die sich
          dass interessierte und geeignete Perso-     sicherlich keine überhöhte Forderung,             Reformbedarf in der gesetzlichen         auch in Zukunft nicht vermeiden lassen
          nen aus anderen Berufsbereichen in die      wenn man sich mit einem größeren Teil             Pflegeversicherung                       werden, müssen zu den schon beschrie-
          Pflegeausbildung gehen. Mehr als jede       der Verbände der Pflegekräfte für die         Neben den notwendigen und bereits er-        benen Konsequenzen führen. Nach ei-
          vierte Ausbildung zur Altenpflegekraft      Einführung einer Pflegekammer ein-            örterten Maßnahmen ist eine Weiter-          ner Berechnung des VdK liegt der Eigen-
          wurde als Umschulung gefördert. Die-        setzt. Eine starke Selbstverwaltung kann      entwicklung der gesetzlichen Pflegever-      anteil für Heimkosten im Bundesdurch-
          ser Weg muss weitergegangen werden,         neben den Tarifvertragsparteien im Ge-        sicherung zu diskutieren. Der Beitrags-      schnitt bei 1.831,00 Euro pro Monat,
          um ausreichend Personal gewinnen zu         haltsbereich für die berufsständischen        satz in der gesetzlichen Pflegeversiche-     der im Gegensatz zur Krankenpflege di-
          können.                                     Interessen und die Fachlichkeit wie z. B.     rung beträgt 2019 3,05 % des Bruttoein-      rekt an die Pflegebedürftigen weiterge-
                                                      Ärzte- und Apothekerkammern einen             kommens (Beitragszahler ohne Kinder          reicht wird.
                                                      ganz wesentlichen Beitrag leisten. Des-       3,3 %). Wenn zur weiteren Verbesse-              Es geht aber bei der grundlegenden
                                                      halb darf diese Diskussion im Interesse       rung in der Pflege der Bedarf und die zu-    Reformdiskussion nicht nur um den fi-
                                                      der Pflegenden, aber vor allen Dingen         sätzlichen Mittel notwendig sind, so ist,    nanziellen Rahmen, um Wirtschaftlich-
       Der Pflegeberuf muss ATTRAKTIVER               auch im Interesse der Pflegebedürftigen       wie schon erwähnt, mit einer hohen Ak-       keit, Qualität und Arbeitsbedingungen,
       werden.                                        und der Pflegequalität nicht beendet          zeptanz in der Bevölkerung zu rechnen.       sondern auch darum, möglicherweise
                                                      werden.                                       Dies bedeutet aber auch, dass sich höhe-     immer noch zu starre Strukturen aufzu-
                                                          Neben den schon genannten verbes-         re Beiträge in der Qualität der Pflege be-   brechen. Die von Reformkräften gefor-
                                                      serten Ausbildungsbedingungen auch im         merkbar machen müssen. Es kann eben-         derte Überwindung der bisherigen Tren-
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IM FOKUS

          nung in einen ambulanten und stationä-      Pflegereform tatsächlich die Situation          bung im Wohnbereich angepasst wird.        auch die menschliche Zuwendung, das
          ren Sektor, die Einführung des Prinzips     der pflegenden Angehörigen im System            Diese Wege müssen auch in der Woh-         Wort und die persönliche Pflege. Des-
          „Wohnen und Pflege, Quartiersarbeit         schon ausreichend berücksichtigt? Die           nungsbauförderung zu einer Selbstver-      halb muss dieser Prozess auch unter
          und Pflegeinfrastruktur“ müssen dabei       vielfältigen Probleme der Betroffenen,          ständlichkeit werden. Die Menschen         dem Gesichtspunkt einer würdevollen
          weiter angegangen werden.                   die sich nunmehr erfreulicherweise im           sollen so würdevoll gepflegt werden,       Pflege beurteilt werden.
                                                      Freistaat Bayern auch stärker in die Dis-       wie sie sich das in der entsprechenden
                                                      kussion einbringen, zeigt eher das Ge-          Umgebung vorstellen. Das Angebots-             Ehrenamt in der Pflege
                                                      genteil. Deshalb ist es notwendig, die          spektrum muss die verschiedenen Leis-      Viele Menschen sind bereit, über den
                                                      Wertschätzung für die humanen Diens-            tungsbereiche, von niedrigschwelligen      Familienkreis hinaus sich ehrenamtlich
       Die gesetzliche Pflegeversicherung             te der pflegenden Angehörigen wesent-           Betreuungsangeboten über Angebote          zu engagieren. Gar nicht selten wird
       bedarf weiterer REFORMMAßNAHMEN.               lich stärker zu berücksichtigen, mehr           im betreuten Wohnen, in ambulant ver-      dies aber gerade in stationären Einrich-
                                                      Entlastung zu gewährleisten, sie in die         sorgten Wohngemeinschaften bis hin         tungen gar nicht gewünscht, weil damit
                                                      Mitbestimmung in pflegerischen Struk-           zur ambulanten und stationären Pflege,     ein „geschlossener Betrieb“ nicht mehr
                                                      turen besser einzubinden und auch in            umfassen.                                  gewährleistet werden könnte. Gerade
                                                      der Altersversorgung wirklich spürbare                                                     angesichts des Personalmangels und
                                                      Schritte zu gehen. In einer sorgenden                                                      der Zeitsituation sind aber die Besuchs-
             Entlastungsstrukturen und                Gesellschaft, die unser christlich-sozia-                                                  person, der Lesepate oder derjenige, der
             vorhandene Defizite                      les Ziel ist, geht es sowohl um Erziehung                                                  mit den Pflegebedürftigen in den Gar-
          Wenn in der ambulanten Pflege Ange-         und Begleitung der Kinder als auch Hil-       Das WOHNRAUMANGEBOT muss                     ten oder in die Grünanlagen geht, ein
          hörige durch Urlaub oder Verhinderung       fe und Pflege für die älteren Angehöri-       sich mehr auf den Bedarf im                  Highlight im Lebensalltag der zu Pfle-
          Kurzzeitpflegeplätze benötigen, können      gen. Deshalb ist eine langfristige Gleich-    Alter ausrichten.                            genden. Dieses Handeln im Sinne der
          diese häufig nicht zur Verfügung gestellt   stellung der pflegenden Angehörigen                                                        würdevollen Pflege sollte in der Praxis
          werden. Oft werden Anfragen nach            mit Eltern in der Erziehungsphase das                                                      stärker ermöglicht und nicht blockiert
          Kurzzeitpflege deshalb abgelehnt. Eine      Ziel. In der Altersversorgung und im be-                                                   werden. Es wäre eine echte Win-win-
          Verbesserung des Angebots mit der ent-      ruflichen Bereich ist hierbei an den Stell-                                                Situation.
          sprechenden Finanzierung, aber auch         schrauben zu arbeiten.
          unkonventionelle Lösungen wie das                                                               Digitalisierung und                        Palliative Begleitung in stationären
          Einstreuen von Kurzzeitpflegeplätzen           Wohnen im Alter                                  würdevolle Pflege                          Einrichtungen
          müssen bei Berücksichtigung des regio-      Zwischen 80 % und 90 % der älteren              Bei der großen Sozialmesse im Freistaat    Erfreulicherweise – und hier gibt es in
          nalen Bedarfs hier als eine vorrangige      Menschen wollen in ihrer angestamm-             Bayern, der ConSozial in Nürnberg,         unserem Land weiterhin einen großen
          Aufgabe gesehen werden. Die Bemü-           ten Wohnumgebung bleiben. In der                präsentierte der Caritas-Landesverband     Handlungsbedarf – wurde durch den
          hungen insbesondere auch des bisheri-       Planung für ein seniorengerechtes               anlässlich der Themenschwerpunktset-       Gesetzgeber in der Sterbebegleitung der
          gen Patienten- und Pflegebeauftragten       Quartiersmanagement und pflegege-               zung der Digitalisierung im sozialen Be-   Hospiz- und Palliativbereich wesentlich
          der Bayerischen Staatsregierung müssen      rechte Wohnungen ist diesbezüglich              reich einen Pflegeroboter. Dieses zu-      gestärkt. Die Voraussetzungen für den
          auch in Zukunft weiter und endlich zu       noch sehr viel zu tun. Sowohl in beste-         nächst ungewohnte Modell kann selbst-      Ausbau konnten so getroffen werden.
          einem Ergebnis geführt werden.              henden Siedlungen als auch in Neubau-           verständlich auch zur Entlastung bei       Die ambulanten Hospizdienste nehmen
                                                      gebieten müssen hier die entsprechen-           pflegenden Menschen beitragen. In asia-    in der häuslichen Pflege einen wichtigen
              Pflegende Angehörige                    den Voraussetzungen geschaffen wer-             tischen Ländern ist dies schon häufig      Stellenwert ein, aber viele Menschen
          Rund 70 % der Pflegebedürftigen wer-        den. Selbsthilfeinitiativen zum Wohnen          der Fall. Wenn daraus ein Mehr an Zeit     verbringen ihre letzte Lebensphase in
          den von ihren Angehörigen gepflegt.         im Alter, gerade auch in München, ha-           für die eigentliche Pflege entsteht, ist   Pflegeeinrichtungen und die Sterbebe-
          Dies ist eine bemerkenswerte Zahl. Die      ben hier vorbildlichen Charakter. In            dieser Prozess zu begrüßen. Nicht posi-    gleitung muss dabei noch besser ausge-
          Pflegebedürftigen schätzen diese Dienste    Wohngemeinschaften und alleinste-               tiv zu bewerten wäre allerdings, wenn      staltet und gefördert werden. Jede stati-
          ihrer Angehörigen in der Regel sehr und     hend mit pflege- und seniorengerechten          diese Roboter die pflegenden Menschen      onäre Pflegeeinrichtung sollte auch ein
          sie sind unverzichtbar. Doch wurde au-      Angeboten werden hier Modelle der               komplett ersetzen würden. Entschei-        gutes Hospiz- und Palliativangebot an-
          ßer einem ersten Schritt in der letzten     Zukunft geschaffen, denen die Umge-             dend sind gerade in der Pflegesituation    bieten können.
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