Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019

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Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
C 3428

Zeitschrift der GEW Hamburg
Juli-August 7-8/2019

         Was ist
        neutral?
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
Zum Titelbild: Die Plastik 'Der Denker' (französisch: Le Penseur) zählt zu den Hauptwerken des Bildhauers
Auguste Rodin und entstand zwischen 1880 und 1882. Das Original ist im Besitz des Musée Rodin in Paris,
eine Kopie steht am Grab des Künstlers in Meudon.
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
men in Richtung einer inklusiven
                                                                              Schule Stellung bezogen haben.
                                                                              Dabei haben wir uns nicht nur
                                                                              mit den Arbeitsbedingungen der
                                                                              Lehrkräfte beschäftigt, sondern
hlz-Notiz 

                                                                              ebenso mit den Arbeitsbedin-
                                                                              gungen des immer größer wer-
                                                                              denden Teils des pädagogisch-
                                                                              therapeutischen-Fachpersonals
                                                                              (PTF). Bei der Weiterentwicklung
                                                                              der Schulformen haben wir aus-
                                                                              gehend von der aktuellen Situati-
                                                                              on an der Stadtteilschule und am
                                                                              Gymnasium Szenarien, Modelle
                                                                              und Forderungen entwickelt. Da-
                                                                              bei ist deutlich geworden: wenn
    Die Tarif- und Besoldungsrun-         BSB aufgefordert worden, uns        wir den Schulformwechsel nach
 de im öffentlichen Dienst der            zu dem Schulentwicklungsplan        Klasse 6 an Gymnasien abschaf-
 Länder (TvL) 2019 hat direkte            (SEPL) zu äußern. Erste Diskussi-   fen wollen, muss genügend päd-
 Ergebnisse für die Angestellten          onen haben dazu am 5. Juni auf      agogische Unterstützung vor Ort
 ab Mai diesen Jahres gebracht            einer Landesvorstandsklausur        sein.
 und für die verbeamteten Be-             stattgefunden. Als nächstes wer-       Ein Antrag hat auf dem Ge-
 schäftigten wird es voraussicht-         den sich die Fachgruppen dazu       werkschaftstag keine Mehr-
 lich eine Anpassung im Herbst            Gedanken machen. Nach den           heit gefunden. Es geht um die
 geben. Kaum war dies Thema für           Sommerferien werden wir dann        Konzeptentwicklung für eine
 uns als Gewerkschafter_innen             eine gemeinsame GEW-Stellung-       Kampagne zur Verbesserung
 abgeschlossen, wurde der Refe-           nahme zum SEPL abgeben. Gut         der Arbeitsbedingungen der
 rentenentwurf für den Schulent-          Ding will Weile haben!              Beschäftigten an den Gymna-
 wicklungsplan für die staatlichen           Gute Erfahrungen haben wir       sien. Die Forderung ist absolut
 Grundschulen, Stadtteilschulen           mit einem breiten internen Vor-     berechtigt. Da die Begründung
 und Gymnasien in Hamburg von             gehen beim Erstellen des An-        des Antrags aber eine Reihe von
 der BSB im Eilverfahren der Öf-          trags zum Zwei-Säulen-Modell        umstrittenen Punkten enthielt,
 fentlichkeit vorgelegt. Am liebs-        für unseren Gewerkschaftstag        ist er abgelehnt worden. Es
 ten hätte man diesen auch noch           am 21.5.2019 gemacht. Zu-           wäre sicher gut gewesen, den
 vor den Sommerferien durch die           nächst gab es einzelne Vorü-        Antrag vorher in den Gremien
 Gremien gepeitscht. Die Fristen          berlegungen von Kolleg_innen        zu diskutieren, um die Stoßrich-
 sind etwas verlängert worden,
 aber immer noch sehr ambi-
 tioniert. Die Schulen müssen
                                          Anja Bensinger-Stolze, Fredrik Dehnerdt,
 ihre Stellungnahmen vor den              Sven Quiring
 Ferien abgeben und die Gremi-
 en bis Ende August. Das größte
 Ärgernis dabei ist die Nichtein-
                                          Gemeinsam Erfolge erzielen
 beziehung der Regionalen Bil-            aus den Fachgruppen Stadtteil-      tung deutlich werden zu lassen.
 dungskonferenzen. Die wären              schule und Gymnasium. In einer      Die GEW vertritt die Interessen
 in der Lage, eine übergreifende          gewerkschaftsinternen Veran-        aller Beschäftigten. Wir Vorsit-
 Einschätzung – Entwicklung der           staltung haben dann weitere         zenden fänden es schade, wenn
 Schul- und Stadtentwicklung              Fachgruppen und Interessierte       dies nicht deutlich wird. Wir sind
 – für den jeweiligen Bezirk vor-         die Diskussion dazu geführt. Die    gerne bereit, mit den Antragstel-
 zunehmen. Deshalb ist bereits            Ergebnisse sind dann in unseren     ler_innen, der Fachgruppe und
 das Beteiligungsverfahren zu             Antrag geflossen. Er hat nach ei-   weiteren Interessierten ins Ge-
 kritisieren. Außerdem wird zu            ner konstruktiven Diskussion auf    spräch zu kommen. Wir sollten
 den ReBBZ’en und den spezi-              dem Gewerkschaftstag eine brei-     uns als Gewerkschaft an dieser
 ellen Sonderschulen wenig bis            te Mehrheit gefunden.               Stelle nicht schwächen. Gemein-
 gar nichts gesagt und auch kein             Wesentlich ist dabei gewe-       sam sind wir stark!
 Gedanke an das Thema schuli-             sen, dass wir sowohl zu den Ar-        Und zum Schluss – für alle, die
 sche Inklusion verschwendet. Als         beitsbedingungen als auch zur       sie haben: schöne Ferien und Ur-
 GEW sind wir ebenfalls von der           Weiterentwicklung der Schulfor-     laubstage und gute Erholung!

 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                    3
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
GEW

                                                  Fotos: hlz
                                                               JA 13
                                                               Fahrraddemo ———————————————————————    8
                                                               Hoher Besuch —————————————————————— 10
                                                               Gewerkschaftstag

                                                               Überlast ——————————————————————————— 16
                                                               Gymnasien

                                                               Wir gehören dazu ———————————————————— 18
                                                               PTF

                                                               Ludwig Huber —————————————————————— 33
                                                               Nachruf

                                                               Neue Rechtsprechung des EuGH ——————— 54
                                                               Service (1)

                                                               Rechtsschutz ——————————————————————— 55
                                                               Service (2)
Gewerkschaftstag                         Seite 10
   Der Erste Bürgermeister ist erstaunt über den
Festsaal – was er den Delegierten inhaltlich bot, er-
                                                               Neuwahlen ————————————————————————— 55
                                                               Ruheständler_innen
staunte dagegen die Wenigsten.

Schulfrieden                             Seite 26
  Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, wird                                                        elle ist auch
                                                                                   W  G eschäftsst                  a,
– noch hinter verschlossenen Türen – selbst der                          D ie  G E                     für euch d
                                                                                        merferien
Schulfriede infrage gestellt.                                            in den Som                  b es et zt und zu
                                                                                        geringer
                                                                        zwar etwas n Öffnungszeiten:
                                                                              reduzierte                      Uhr,
Brasilien                                Seite 52                                          n 8:00-14:30
                                                                               Mo - Do vo        -12:  30  U h r.
  Wie der Präsident des größten südamerikani-                                      Fr von 8:00          ie sie haben,
                                                                                            al le n , d
schen Landes, Bolsonaro, versucht, die Bildungs-                           Wir wünsc
                                                                                         he                       d Urlaube!
                                                                                                  e Ferien un
landschaft umzupflügen.                                                h ö n e  u n d erholsam
                                                                     sc

PTF                                       Seite 18
  Verschaukelt! Dass das nicht so bleibt, dafür sor-           Bildungspolitik
gen die Betroffenen und fordern eine Hamburger
Lösung.                                                        Kita
                                                               Offene Liste ————————————————————————   21
                                                               Kein Grund zum Anstoßen ———————————— 22
                                                               Vorschule

                                                               Petition eingereicht —————————————————— 24
                                                               VHS

                                                               Hinter verschlossenen Türen ——————————— 26
                                                               Schulfrieden

                                                               Systemfehler ——————————————————————— 28
                                                               Inklusion

                                                               Schreckliche Bilanz —————————————————— 48
                                                               Arbeitszeit

 4                                                                           hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
Schwerpunkt/Titel

                                                  Krzysztof Poltorak/Latino USA
Neutralität —————————————————————————        30

Magazin
Ferienlektüre
Mein steiniger Weg zum Erfolg ————————— 40
Paten und Patinnen gesucht ———————————— 44
Schlaufox                                                                         Beutelsbach                              Seite 30
                                                                                     Ein Konsens besagt, dass die beteiligten Kon-
                                                                                  fliktparteien Zugeständnisse gemacht haben. Das

                           ———————————— 45
Gesundheitsschutz                                                                 Ergebnis heißt: Neutralität. Wir beleuchten, was
Es gibt viel zu tun ———————                                                       das allgemein und konkret für die tägliche Unter-
                                                                                  richtspraxis bedeutet.

Klandestines Wirken der Nazis ————————— 49
Rezensionen (1 + 2)
                                                                                  Inklusion                                Seite 28
                                                                                     Die erste umfangreiche Untersuchung über den
                           ———————————— 52
Brasilien
Garaus der Linken ———————                                                         Stand der Inklusion (EiBiSch) legt die Schwach-
                                                                                  stellen dieses großartigen Projekts frei. Erste For-
                                                                                  derungen zielen auf deren Beseitigung.
Novemberrevolution ————————————————— 56
Rezension (3)

                                                                                  Nazis nach dem Krieg                     Seite 50
                         —————————————— 58
Nazibiographien (37)                                                                Weil immer mehr Archive, die Nazi-Vergangen-
Oscar Toepffer (Teil 2) —                                                         heit betreffend, geöffnet werden, kommt das wahre
                                                                                  Ausmaß an personeller Kontinuität ans Licht.

                                                                                  Lektüre                                  Seite 40
                                                                                    Wenn der Verkauf eines Kochtopfes auf einem
                                                                                  Markt in einem ghanaischen Dorf darüber entschei-
Rubriken                                                                          det, ob die kleine neunjährige Verkäuferin abends
                                                                                  etwas zu Essen hat, dann vermutet man nicht, dass
                                                                                  dieses Kind einmal als Lehrerin an einer Hambur-
hlz-Notiz
——————————————————————————————————  3                                             ger Schule unterrichten wird.

Leser_innenbriefe / Nachrichten
                                    6
                                                                                                                                         Foto: smm Verlag Leichte Sprache

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gb@-Seminare

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Impressum

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GEW-Termine

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Rätsel

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Aus der antifaschistischen Ecke...

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                                         5
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
Leser_innenbriefe an: hlz@gew-hamburg.de
Leser_innenbriefe/Nachrichten c
                                                                               (wir belassen ggf. alte Schreibung)
                                                                               Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor

                                                      Angreifen da,                      Augen zu führen, bleibt offen.     spricht? Legitimiert durch die
                                                                                         Explizit bekennt er sich aber zu   Behauptung, der unreife Teil der
                                                      wo es wehtut?                      den Methoden der Populisten        Bevölkerung würde nur den Zi-
                                                      hlz 6/2019, S.18/19                und fordert: “Wir müssen die       vilisationsstand der Gesellschaft
                                                                                         Argumente in den Vordergrund       ruinieren, wäre er gleichberech-
                                                         In seinem Artikel zur
                                                                                         stellen, die die Menschen emoti-   tigt?
                                                      Schulstruktur ‚Fenster öffnen‛
                                                                                         onal erfassen.“                       Die polizeilichen Instrumente
                                                      zieht der edle Ritter Joachim
                                                                                            Das Ziel dieser Kampagne        kommen in der Welt der Schule
                                                      Geffers mit Pech und Schwe-
                                                                                         ist anscheinend „Eine Schule       nun wirklich nicht in Anschlag,
                                                      fel gegen die Ermöglicher der
                                                                                         für alle“, die ja aber nur unter   wenn es zu kategorischen Tren-
                                                      Gymnasien, sprich: die dort
                                                                                         bestimmten Voraussetzungen         nungen kommt. Dabei geht’s
                                                      arbeitenden Kolleg_innen und
                                                                                         etwas verbessern würde. Hierzu     doch deutlich zivilisierter zu.
                                                      mit Einschränkungen die Eltern,
                                                                                         gehört unbedingt auch eine         Unsere Kinder lernen in den
                                                      die ihre Kinder dort anmelden,
                                                                                         Stadtentwicklung, die über         ersten vier Schuljahren, dass
                                                      zu Felde, um ein gerechteres
                                                                                         städtischen Wohnungsbau und        sie für den einen Bus oder den
                                                      Schulsystem zu erkämpfen.
                                                                                         Begrenzung von Profitinteressen    anderen Bus ins Leben infrage
                                                      Bewusst provozierend fährt er
                                                                                         für gut durchmischte Stadtteile    kommen. Sie verinnerlichen das.
                                                      die dicksten Geschütze auf und
                                                                                         sorgt. Natürlich ist es wichtig,   Es wird Teil ihrer Innerlichkeit.
                                                      wirft uns Rassismus, Apartheit
                                                                                         für solche Ziele zu werben, aber   Sie wissen nach vier Jahren,
                                                      und Braindrain vor, ungeachtet
                                                                                         einer Bildungsgewerkschaft darf    dass sie den einen Bus verdient
                                                      der Tatsache, dass eine derar-
                                                                                         dabei nicht jedes Mittel recht     haben und nicht den anderen.
                                                      tig überzogene Verwendung
                                                                                         sein, schon gar nicht gefühlsba-   Wenn sie leiden, leiden sie nicht
                                                      dieser Begriffe ein Schlag ins
                                                                                         sierte Argumente und „Angrei-      an den Verhältnissen, sondern
                                                      Gesicht der wahren Opfer von
                                                                                         fen da, wo es wehtut“.             an sich selbst. Das, was sich
                                                      Rassismus und Apartheit ist
                                                                                            Auf jeden Fall tut dieser Ar-   in den Innenwelten der Kinder
                                                      und mit der Realität an heutigen
      hlz · Rothenbaumchaussee 15 · 20148 Hamburg
               hlz@gew-hamburg.de · Tel. 4 50 46 58

                                                                                         tikel der Fachgruppe Gym weh       neben dem Wissen, dass es ihr
                                                      Hamburger Gymnasien nichts
                                                                                         und wie die daraus folgenden       Schicksal ist, sonst noch ab-
                                                      zu tun hat. Am Gymnasium
                                                                                         GEW-Austritte den Kampf für        spielt, können sie nicht ausdrü-
                                                      Allee sind wir jedenfalls stolz
                                                                                         ein gerechteres Schulsystem        cken. Zumindest nicht verbal.
                                                      auf die kulturelle Vielfalt un-
                                                                                         vorantreiben sollen, übersteigt    Wenn sie andere Ausdrucksfor-
                                                      serer Schüler_innen, haben auf
                                                                                         meine Vorstellungskraft. Der       men finden, dann sind das den
                                                      eigenen Wunsch eine IVK und
                                                                                         Titel „Fenster öffnen“ für einen   Entscheidungsträgern zumeist
                                                      sind Vorreiter in Sachen Sprach-
                                                                                         solchen Artikel, der eher Türen    Belege für die Richtigkeit, in
                                                      förderung (auch im Fachunter-
                                                                                         zuschlägt,                         dem einen oder dem anderen
                                                      richt). Ein Braindrain zu Lasten
                                                                                         zeigt die Verblendung des Au-      Bus zu sitzen.
                                                      der benachbarten Stadtteilschule
                                                                                         tors in diesem Zusammenhang,          Apartheid! Wie hässlich!
                                                      Max-Brauer existiert nicht, da
                                                                                         obwohl er in anderer Hinsicht                         ANTONIUS SOEST
                                                      diese Schule mindestens ebenso
                                                                                         oft scharfsinnige Analysen
                                                      attraktiv ist wie unser Gymna-
                                                                                         schreibt und insgesamt seit vie-
                                                      sium, aber eben andere Schwer-
                                                                                         len Jahren hervorragende Arbeit
                                                      punkte hat.
                                                                                         für die hlz leistet.
                                                         Der Kern des Begriffs Ras-                              GABI MAI   ...müssen
                                                      sismus ist die Benachteiligung
                                                      eines Menschen aufgrund seiner
                                                                                               Gymnasium Allee und FG-Gym
                                                                                                                            draußen bleiben
                                                      Zugehörigkeit zu einer be-                                               Eine Hamburger Agentur für
                                                      stimmten Gruppe. Ob der Autor      hässlich                           Schulpersonal stellt keine AfD-
                                                      im Übereifer des Gefechts gar      hlz 6/2019, S.18/19                Mitglieder ein. Die AfD fühlt
                                                      nicht bemerkt, dass auch er eine      Apartheid? Wie hässlich,        sich diskriminiert und droht mit
                                                      ganze Gruppe von Kolleg_in-        lieber Joachim Geffers. Ist das    rechtlichen Schritten. Für die
                                                      nen pauschal diffamiert oder       Wort nicht reserviert für ein      Schulpersonal-Agentur „Lern-
                                                      ob das absichtlich geschieht,      übles Gewaltregime? Das jedem      zeit“, die in Hamburg pädago-
                                                      um uns unseren Frevel vor          aufklärerischen Anspruch Hohn      gische Fachkräfte vermittelt, ist

                                                      6                                                                 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
Quelle: Ancadux (Wikimedia commons)
Und die Kurve steigt und steigt... Einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
zufolge besitzen die 45 reichsten Haushalte in Deutschland so viel wie rund 20 Millionen Haushalte, die die
ärmere Hälfte der Bevölkerung bilden. Angeblich ist es unmöglich, ein Vermögenssteuergesetz auf den Weg zu
bringen, das den Anforderungen der Verfassung genügt. Konkret: Die Verfassungsrichter hatten 1995 (!)
bemängelt, dass der Steuersatz auf Grundvermögen und Immobilien anders sei als der auf Geldvermögen.
Seltsam, dass man das nicht ändern kann...

die Antwort klar: „Die AfD ist           gegründet werden. Die Entschei-       Der Senator initiiere somit ein
eine demokratie- und fremden-            dung, wer diese Plätze bekommt,       Scheinbeteiligungsverfahren, bei
feindliche Partei“, sagt Wolfhard        treffen die teilnehmenden Unter-      dem die lokalen und regionalen
Westphal, Geschäftsführer der            nehmen. Wer sich für eine studi-      Akteur_innen der schulischen
Agentur. Deshalb habe seine              enintegrierende Ausbildung ab         Bildung außen vor blieben.
Firma eine besondere Klausel in          2021 interessiert, sollte sich ab
die Arbeitsverträge aufgenom-            Sommer 2020 bei Firmen bewer-
men. Bewerber_innen für die              ben, die Ausbildungsplätze zu-        Soziale
Kursleitung an Schulen müssen            sammen mit dem BHH-Studium            Durchlässigkeit
bestätigen, kein Mitglied „anti-         anbieten werden. Lobend äußer-           Dem Ergebnis einer OECD-
demokratischer Organisationen“           ten sich Unternehmensvertreter:       Studie mit dem Namen ‚A Bro-
zu sein. Als Beispiele hierfür           Das neue Modell mache die Aus-        ken Elevator‘ aus dem Jahre
werden NPD, AfD und die tür-             bildung auch für leistungsstarke      2018 zufolge dauert es in den
kische AKP aufgezählt. Auch bei          Schulabgänger_innen attraktiv.        Industriestaaten     durchschnitt-
Sekten wie Scientology dürfen                                                  lich etwa fünf Generationen, bis
die Kursleiter_innen demnach
nicht Mitglied sein.                     SEPL                                  Nachkommen einer armen Fami-
                                           Schulsenator Rabe hat nach          lie das Durchschnittseinkommen
                                         langem Drängen endlich einen          des jeweiligen Landes erreicht
Berufliche                               Referentenentwurf für einen           haben. Die untersuchten Länder
                                                                               weisen allerdings große Unter-
Hochschule                               neuen Schulentwicklungsplan
                                                                               schiede auf. Während der Auf-
                                         (SEPL) vorgelegt. Rabe gibt
   Ab 2021 werden etwa 250               den Schulen für Diskussion und        stieg in nordischen Ländern nur
junge Hamburger_innen pro                Kommentar des Entwurfs nur            zwei bis drei Generationen lang
Jahr neben ihrer dualen Berufs-          vier Wochen Zeit. Die Schulen         dauert, beträgt er in Deutschland
ausbildung im Betrieb und an             seien vollauf mit den Zeugnis-        sechs! Und hierbei geht es nicht
der Berufsschule innerhalb von           konferenzen beschäftigt und           um den Aufstieg ‚vom Tellerwä-
vier Jahren auch ein Bachelor-           hätten wegen der Arbeitszeit-         scher zum Millionär‘, sondern
studium absolvieren können.              verordnung keinen Raum, sich          um den Aufstieg ‚vom Tellerwä-
Dazu soll 2020 die Berufliche            angemessen mit dem Entwurf zu         scher zum Koch‘.
Hochschule Hamburg (BHH)                 beschäftigen, kritisiert die Linke.

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                         7
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
Umsetzung des
   Parteibeschlusses jetzt!

Erstes Ziel auf der GEW-Fahrraddemo am 11. Juni:
   8      Motto: „Wir strampeln uns ab und sind
                              hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
Foto: hlz

die Parteizentrale
trotzdem Schlusslicht!“
  hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019   9
Was ist neutral? - C 3428 Zeitschrift der GEW Hamburg Juli-August 7-8/2019
GEWERKSCHAFTSTAG

             Gut gebrieft
             Der Besuch des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher stand im
             Mittelpunkt des Treffens der Delegierten und Vertrauensleute
                Ein bisschen Spannung oder          ihm mit auf den Weg gegeben                Das hörte sich alles nach O-
             zumindest Neugierde war bei            hatte: das waren die bekannten          Ton unseres Schulsenators an.
             den Delegierten zu spüren, was         Zahlen zum Personalzuwachs              Dass bei diesem Mehr an Bil-
             den Auftritt des Ersten Bürger-        und dem Ausbau der Schulge-             dungsausgaben die Kolleg_innen
             meisters betraf. Dass dieser die       bäude. Das mag, so Tschent-             auf der Strecke geblieben seien,
             Einladung angenommen hat-              scher, immer noch nicht genug           dies hatte unsere Vorsitzende in
             te, zeigt einmal mehr, dass die        sein, aber die Zeiten, in denen         ihrer Eingangsrede vor dem Auf-
             GEW als politische Mitspiele-          vor allem Schüler_innen auf             tritt des Ersten Bürgermeisters in
             rin in der Stadt nicht nur wahr-       marode Toiletten gehen mussten          den Mittelpunkt gestellt. Sie hat-
             genommen, sondern auch ernst           oder bröckelnde Wände vor sich          te einmal mehr die Dimension
             genommen wird. Das trägt zu            hatten, seien vorbei. Sowohl was        der gestiegenen Anforderungen
             einer positiven Atmosphäre bei,        das Bauliche aber mehr noch,            an die Beschäftigten in Bildungs-
             genauso, ohne hier in Psycho-          was das Schulsystem an sich             einrichtungen hervorgehoben.
             logisiererei abgleiten zu wollen,      beträfe, sei es die Hinwendung          Inklusion, Flüchtlingsbeschu-
             wie die angenehme Art, mit der         vom Dreigliedrigen Schulsystem          lung und Heterogenität in einer
             der Stadtobere vor die Delegier-       zum 2-Säulen-Modell, sei es die         von wachsender Segregation ge-
             ten im vollbesetzten Großen Saal       Inklusion oder auch die Beruf-          prägten Stadt hätten strukturell
             des Curio-Hauses trat.                 liche Bildung, die dafür Sorge          ganz neue Herausforderungen
                Die Erwartungen in Hinblick         trage, dass kein junger Mensch          geschaffen. Die zu meistern, sei
             auf Zugeständnisse substanziel-        mehr vergessen werde; das habe          die Aufgabe der Beschäftigten.
             ler Art wurden insofern nicht          Vorbildcharakter für viele andere       Diese fühlten sich aber mit den
             enttäuscht, als wohl kaum je-          Bundesländer. Verantwortliche           Problemen nicht selten alleinge-
             mand damit gerechnet hatte. Der        im Bildungsbereich in den übri-         lassen, was im schlimmsten Fall
             erste Mann der Stadt lieferte das      gen Teilen des Landes blickten          in Resignation oder Krankheit
             ab, was die Bildungsbehörde            mit Neid auf unsere Fortschritte.       münde. Der Dienst“herr“ sei hier
Fotos: hlz

             „Antifaschismus ist eine Haltung, die wir alle vertreten.“ Peter Tschentscher, Erster Bürgermeister

      10                                                                                hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019
in der Pflicht, dringend Abhilfe             Beschluss des Hamburger Gewerkschaftstags 2019
zu schaffen. Darüber hinaus trü-
ge zum Unmut der Kolleg_innen                   Aktiv in den Bürgerschaftswahlkampf im Herbst 2019 ein-
auch die ungleiche Bezahlung                 greifen!
bei. Jede_r wisse, welche Bedeu-                Die GEW wird aktiv in den Bürgerschaftswahlkampf im Herbst
tung die Arbeit der Kolleg_innen             2019 eingreifen und ihre Positionen vertreten. Hierfür wird sie
an den Grundschulen und an den               „Leitlinien für eine gute Bildungspolitik in Hamburg“ erstellen, in
Stadtteilschulen vor dem Hinter-             denen die vielen Einzelthemen, mit denen wir befasst sind, gebün-
grund der beschriebenen Proble-              delt dargestellt werden. Diese Leitlinien werden folgende Eck- und
me habe. Umso skandalöser sei                Schwerpunkte umfassen:
es, dass es bis heute die unter-             - Bildungspolitik in einer gespaltenen Stadt (Einleitung)
schiedliche Bezahlung der Lehr-              - Mehr Geld für gute Bildung in Hamburg
kräfte gebe. Dass Hamburg als                - Rechtspopulismus zurückdrängen
eines der reichsten Bundesländer             - Bildung in der Migrationsgesellschaft
mittlerweile eins der Schluss-               - Bildung und Digitalisierung
lichter in Sachen einheitlicher              - Kindertagesstätten
Bezahlung sei, unterstrich Anja              - Schule
eindrücklich durch das Schwen-                   • Lehrer_innenausbildung
ken einer Roten Laterne in Rich-                 • Berufliche Bildung
tung des Oberhauptes der Stadt!                  • Inklusive Bildung
   Der Erste Bürgermeister                       • Arbeitsbelastung/AZM
äußerte allem gegenüber Ver-                     • Schulstruktur
ständnis, verwies aber zugleich              - Hochschule
auf die Grenzen der Finanzier-               - Weiterbildung
barkeit. In Hinblick auf gleiche                Darüber hinaus wird die GEW eine aktive Bündnispolitik be-
Bezahlung aller Lehrer_innen                 treiben, Veranstaltungen mit den bildungspolitischen, den wissen-
(JA13) äußerte er sich allerdings            schaftspolitischen und den sozialpolitischen Sprecher_innen der
hoffnungsvoll, wie es zuvor auch             Bürgerschaftsparteien organisieren und über weitere Aktivitäten in
schon der Senator mehrfach ge-               den Wahlkampf intervenieren. Angedacht sind zudem thematische
tan hatte: „Wir suchen einen                 Veranstaltungen zu Rechtspopulismus, zur Lehrkräfte-Arbeitszeit
Weg“, so seine Worte. Dazu die               sowie zur schulischen Inklusion.
Anmerkung des Chronisten: Das                   Zur Vorbereitung richtet die GEW eine AG „Bürgerschaftswahl“
lässt hoffen, dass es im Zusam-              mit Vertreter_innen der Organisationsbereiche ein, die die Leitlini-
menhang mit der bevorstehen-                 en formuliert und die Veranstaltungen vorbereitet.
den Bürgerschaftswahl im Feb-                   (Jede_r ist aufgerufen, sich einzubringen und an den Themen
ruar nächsten Jahres endlich zu              bzw. Zielen mitzuwirken)
Zugeständnissen kommt.
   Kein Zugeständnis, aber doch
eine überraschende Formulie-             und stellte sich darüber hinaus        Forderung begründet wurde.
rung wählte der Bürgermeister            vor den Senator. Dieser habe           Bevor Fredrik schlussfolgernd
im Zusammenhang mit dem                  absolut angemessen reagiert und        aus seinen Schilderungen in Sa-
„Fall“ Ida Ehre: „Antifaschis-           damit korrekt gehandelt.               chen Einflussnahme der AfD auf
mus ist eine Haltung, die wir alle          Dieser Einlassung des Bür-          die Schulen zu dieser Forderung
vertreten“, so das Oberhaupt un-         germeisters war der Beitrag und        kam, schilderte er die Vorge-
serer Stadt wörtlich. Bestärkend         zugleich Antrag unseres stellver-      hensweise der Rechtspopulisten.
fügte er hinzu, dass Schule ein          tretenden Vorsitzenden Fredrik         Sie überzögen die Bürgerschaft
politischer Raum sei, in dem die-        Dehnerdt vorausgegangen, der           mit Kleinen und Großen Anfra-
ser Geist „eine Grundhaltung“            fordert, das Bildungsziel „Anti-       gen, schüfen damit Öffentlich-
sein müsse. Dass man sich da-            faschismus“ ins Schulgesetz auf-       keit, skandalisierten dort, wo sie
mit angreifbar mache, sei ihm            zunehmen. Die vielen Ausein-           auf die Unterstützung der Bou-
bewusst. Auch dass damit „ein            andersetzungen um die Frage der        levardpresse setzen könnten und
Spannungsverhältnis impliziert           Neutralität des Unterrichts vor        hetzten die beteiligten Gruppen
ist zwischen politischem Raum            dem Hintergrund der Skandali-          gegeneinander auf. Leider müs-
im Inneren und der Verpflichtung         sierungsversuche der AfD in Sa-        se man feststellen: nicht ohne
zu äußerer Neutralität“. In Hin-         chen Ida-Ehre-Schule, aber auch        Erfolg. Mittlerweile gebe es
blick auf das konkrete Vorgehen          die Einrichtung der Denunzia-          nahezu in allen Bundesländern
der Schulaufsicht im „Fall“ Ida          tionsportale durch diese Partei        derartige Denunziationsportale.
Ehre nahm er diese in Schutz             waren Belege, mit denen diese          Aber der Widerstand sei nicht

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                      11
Nahezu einstimmig oder mit wenigen Gegenstimmen wurden                punkt dieser Ausgabe, S. 30)
 verabschiedet:                                                             Tschentschers Rede folgte ein
 1. Haushalt 2019                                                        „Kreuzfeuer“ an Fragen, die die
 2. JA 13 – verstärkte Aktivitäten                                       Delegierten ihm stellten. Binnen
 3. Aktiv in den Bürgerschaftswahlkampf im Herbst 2019 eingrei-          kurzer Zeit lagen dem Präsidium
     fen! (s. Kasten S. 11)                                              19 Fragen vor, woraufhin die
 4. Antifaschismus als Bildungsziel                                      Redeliste geschlossen wurde.
 5. Aufwertung der Ergo- und Physiotherapeut_innen                       Vereinbart wurde, jeweils vier
 6. Verbraucherzentrale                                                  Fragen en bloc zu stellen. Es
 7. Gleiche Altersentlastung für alle in Schule Beschäftigten            ging u.a. um den Bestand der
 8. Beurteilungswesen in Hamburg ändern                                  Professor_innenstellen im Be-
 9. 10 Jahre Zwei-Säulen-Modell                                          reich der Beruflichen Bildung,
 10. GEW-Leistungen für Studierende                                      die Gesundheitsvorsorge und die
                                                                         ganz konkrete Frage, wie viele
 Abgelehnter Antrag:                                                     Kolleg_innen vorzeitig in den
 Kampagne für Gymnasialkolleg_innen (s. Kasten S. 14)                    Ruhestand gingen.
                                                                            Nachdem der Befragte mehr
 Zur Beratung an den Landesvorstand überwiesen:                          oder weniger präzise geantwortet
 Die Schuldenbremse abschaffen                                           hatte, war die vorgesehene Zeit
 Bleiberechtsausschuss                                                   – eine halbe Stunde – vorbei.
 Unterstützung der Kampagne „Unter 18 nie - …“                           Absolut unbefriedigend! Ganz
   Anträge und Beschlüsse im vollen Wortlaut zu lesen unter:             besonders für die Fragestel-
 https://www.gew-hamburg.de/materialien-fuer-mitglieder/ant-             ler_innen, die nicht zu Wort ka-
 raege/beschlosene-antraege-des-gewerkschaftstages-am-21519              men! Es wurde verabredet, dass
                                                                         die Geschäftsstelle die Fragen
                                                                         an den Bürgermeister weiterlei-
zu übersehen. Einerseits mani-      Publizistisch sei es von Anfang      tet. Dieser versprach, die Fragen
festiere sich dieser im Protest     an gelungen – auch bundesweit        mit Hilfe des Sachverstandes der
der Schüler_innen, andererseits     –, den Betroffenen den Rücken        Behörde zu beantworten (die hlz
durch die zahlreichen Offenen       zu stärken.                          wird berichten). Trotz des ent-
Briefe von Kollegien. Die GEW          Der dazu gestellte Antrag         täuschenden Abgangs quittierten
habe diese Proteste eng begleitet   wurde später einstimmig verab-       die Delegierten den Auftritt des
und dort mit Rat und Tat zur Sei-   schiedet. (Zum inhaltlichen Hin-     Bürgermeisters mit Applaus.
te gestanden, wo es möglich war.    tergrund siehe dazu den Schwer-         Nach kurzer Kaffeepause wa-

Am Vorabend der geplanten Fahrraddemo zur einheitlichen Lehrer_innenbesoldung (JA13) unter dem Motto: „Wir
strampeln uns ab und sind trotzdem Schlusslicht“ zeigten die Delegierten dem Stadtoberhaupt schon mal die
Rote Laterne

12                                                                   hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019
ren erneut die Delegierten an der        Einführung eines Fördermonito-
Reihe. Mit nur wenigen Gegen-            rings sowie die Überprüfung der
stimmen und Enthaltungen wur-            aktuellen LSE-Diagnostik am
de der Leitantrag des Vorstands          Ende der 4. Klassenstufe – so re-
„10 Jahre Zweisäulenmodell               sümierte der später zum Zweiten
– 10 Jahre Verschärfung der so-          Vorsitzenden Wiedergewählte.
zialen Selektion in Hamburg“                Zum 2-Säulen-Modell hatte
angenommen. Vorangegangen                Andreas Wolf vom Gymnasi-
war der einstimmige Beschluss            um Oldenfelde zahlreiche Än-
zum Eingreifen der GEW in                derungsanträge       eingebracht.
den     Bürgerschaftswahlkampf           Von den Antragsteller_innen
-s. Kasten S. 11). Sven Quiring,         (Vorsitzende) wurde die For-
der vor seiner Wiederwahl zum            mulierung – vorangestellt zu
Zweiten stellvertretenden Vor-           den Forderungen das AZM be-
sitzenden bereits am Vormittag           treffend – übernommen: „Die
darauf verwiesen hatte, dass in          GEW bekräftigt ihre Ablehnung
                                                                               Andreas Wolf vom Gymnasium
einer aktuellen Studie (EiBiSch),        der Arbeitszeitverordnung und         Oldenfelde: Seine Forderung nach
in der erstmals der Stand der In-        ihre Forderung von 2015 nach          Wiederaufnahme unserer Position
klusion wissenschaftlich unter           einer Höchstgrenze von 20 Un-         zur Lehrer_innenarbeitszeit,
die Lupe genommen worden sei,            terrichtsstunden für eine Voll-       dass keine Kolleg_in mehr als
eine der zentralen Botschaften           zeitstelle.“ Auch der Vorschlag,      20 Stunden vor der Klasse
laute, dass der Einsatz der bis-         statt „abschulen“ im Zusammen-        stehen sollte, wurde von den
herigen finanziellen Ressourcen          hang mit den Rückläufer_in-           Antragstellern übernommen
suboptimal erfolge, nannte den           nen der Gymnasien nach der 6.         und später einstimmig von den
                                                                               Delegierten beschlossen.
Nukleus der bisherigen Entwick-          Jahrgangsstufe das weniger ab-
lung: Der Studie zufolge erreich-        wertende Wort „umschulen“ zu
ten in Grundschulen keine 22,7           wählen, fand zunächst die Zu-         der Gruppe des Pädagogisch-
Prozent und in Stadtteilschulen          stimmung der Vorsitzenden. Die        Therapeutischen Fachpersonals
nach Ende der Klassenstufe               Diskussion brachte dann eine          (PTF). Die Angehörigen dieser
sechs 44,7 Prozent der Schü-             weitere Alternative: Den Begriff      neuen Berufsgruppe, die im Ver-
ler_innen die Mindeststandards           „Schulformwechsel“ zu wählen          gleich zu früher deutlich mehr
in Mathematik und/ oder Lese-            stieß auf breite Zustimmung.          Aufgaben im Zusammenhang
verstehen. Von diesen wiederum           Mit anderen Forderungen konnte        mit der Umsetzung der Inklusi-
werde aber jeweils nur ein Vier-         sich Andreas nicht durchsetzen,       on zu bewältigen hat, fordern die
tel sonderpädagogisch gefördert,         z.B. den Begriff ‚Eine Schule für     gleichen tariflichen Verbesserun-
d.h., so Sven schlussfolgernd:           alle‘ zu streichen, weil – so seine   gen, wie sie von den Beschäftig-
die Zugehörigkeit zu einer oder          Begründung – dieser verbraucht        ten des Sozial- und Erziehungs-
auch keiner der Förderkategori-          sei. Darüber hinaus schlug An-        dienstes, sprich: Erzieher_innen
en gebe gar keinen Aufschluss            dreas vor, sich nicht weiter mit      in den Tarifabschlüssen 2017
über die Kompetenzentwick-               dem Schulfrieden kritisch aus-        und 2019 durchgesetzt werden
lung der Schüler_innen. Die              einanderzusetzen, weil dies           konnten. (s. Artikel auf S. 18)
EiBiSch-Studie empfehle – und            „eine unnötige, unproduktive             Strittig war ein Antrag, un-
dem schließe sich die GEW mit            Konfrontation“ sei. Auch dies         terschrieben mehrheitlich von
ihrem Antrag an – deshalb eine           fand nicht die Zustimmung der         Gymnasialkolleg_innen,         mit
Bündelung und koordinierte Ver-          Delegierten.                          dem Titel: „Die GEW unterstützt
gabe aller zur Verfügung stehen-            Volle Unterstützung und damit      die Kolleginnen und Kollegen an
den Förderressourcen als syste-          die Zustimmung aller Delegier-        den Gymnasien in den bildungs-
mische Ressourcenzuweisung               ten erhielt der Antrag der Ergo-      politischen und beruflichen Her-
an die Schulen und fordere die           und Physiotherapeut_innen in          ausforderungen“. Er wurde nach
                                                                               drei Auszählungsversuchen von
                                                                               der Mehrheit der Delegierten mit
   Gewählt wurden:                                                             knapper Mehrheit abgelehnt. Es
   2. stellvertretender Vorsitzender Sven Quiring                              ging den Kolleg_innen um die
   2 Beisitzer_innen			Manuela Wrede                                           Durchführung einer Kampagne
   				Dirk Poppner                                                            durch die GEW, an deren Beginn
   3 Kassenprüfer_innen		            Holger Radtke                             die besonderen Belastungen,
   				Jutta Martens-Hinzelin                                                  die u.a. durch die zunehmende
   				Christel Sohns                                                          Heterogenität und die Anforde-

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                     13
rungen durch den gymnasialen          Bei flüchtigem Lesen schien       Humburg von der Stadtteilschu-
Bildungskanon gegeben seien,        zunächst kein größerer Wider-       le Horn deutlich, dass er zwar
untersucht werden sollen, um        spruch zu den Forderungen zu        die Forderung nach Entlastung
auf dieser Grundlage Lösungs-       bestehen. Dann aber machte in       nachvollziehen könne, er aber
vorschläge für eine Verbesse-       einer pointiert die politischen     die Begründung ablehne, weil
rung der Situation zu erarbeiten.   Widersprüche     kennzeichnen-      hierin die Grundfesten der po-
(Wortlaut s. Kasten)                den Rede der Kollege Heiko          litischen Ausrichtung der GEW

 Antrag an den Gewerkschaftstag 2019 der GEW Hamburg
    Die GEW Hamburg unterstützt die Kolleginnen und Kollegen an den
    Gymnasien in den bildungspolitischen und beruflichen Herausforderungen.
    Die GEW setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder ein. Alle Kolle-
 ginnen und Kollegen als Lehrkräfte stehen vor besonderen Herausforderungen, unabhängig von der
 Schulform. Seit der Abschaffung der Haupt-, Real- und Gesamtschulen sind die Kolleginnen und Kol-
 legen an den Gymnasien ein wenig aus dem Blick geraten – auch am Gymnasium sind viele von ihnen
 GEW-Mitglieder!
    Der Gewerkschaftstag möge beschließen:
    Die GEW Hamburg führt eine Kampagne für die Kolleginnen und Kollegen an den Gymnasien durch.
 Dafür wird der Landesvorstand beauftragt, die besonderen Probleme der Kolleginnen und Kollegen an
 den Hamburger Gymnasien
    • zu erfassen
    • strukturiert zu bearbeiten und
    • Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
    Die Lösungsvorschläge werden als Kampagnenvorschlag dem folgenden Gewerkschaftstag (2020)
 als Beschlussvorlage vorgelegt.
    Begründung:
    • Der Bildungsauftrag des Gymnasiums ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht umsetz-
       bar. Das führt zu hoher Belastung der Lehrkräfte.
    • Das Elternwahlrecht führt aber dazu, dass jedes Jahr über 50% der Hamburger Schülerinnen und
       Schüler an den Gymnasien angemeldet werden.
    • Die Gymnasien schulen zum Ende der sechsten Klasse leistungsbezogen nicht vollständig ab. Sie
       können es nicht, um ihre Zügigkeit nicht zu gefährden. Die Klassen ab der siebten Jahrgangsstufe
       sind daher deutlich heterogener als häufig angenommen. Auch das belastet die Lehrkräfte.
    • Gy 8 bedeutet eine weitere Belastung für die Kolleginnen und Kollegen, denn die gleiche Stoffmen-
       ge muss – in heterogenen Lerngruppen – in kürzerer Zeit vermittelt werden.
    • Fallen die Leistungen von Schülerinnen und Schülern am Gymnasium ab, können die Lehrkräfte
       nicht die eigentlich notwendigen Fördermaßnahmen anstoßen und umsetzen:
       • Lehrkräfte stehen in der Regel vor Klassen mit 26 – 30 Schülerinnen und Schülern, auch an KESS
          2-Gymnasien, darunter befinden sich auch Inklusionskinder.
       • Doppelbesetzungen oder sozialpädagogische Begleitung von Schülerinnen und Schülern sind nicht
          vorgesehen.
       • Abschulungen sind nicht vorgesehen.
    Diese Situation verlangt den Kolleginnen und Kollegen einen kaum zu leistenden Spagat ab. Einer-
 seits gilt es, das hohe Leistungsniveau unter Berücksichtigung der Curricula einzuhalten. Andererseits
 sehen die Pädagoginnen und Pädagogen, wie ihnen anvertraute Schülerinnen und Schüler unter dem
 hohen Leistungsdruck leiden, strukturell sind den Lehrkräften jedoch die Hände gebunden. Hier fallen
 Anspruch und Ziel hinter die Realität zurück. Kinder und Jugendliche müssen gefördert und gefordert
 werden, ohne dass sie dabei Schaden nehmen oder die Freude am Lernen verlieren.
    Unterzeichner und Unterzeichnerinnen in alphabetischer Reihenfolge:
    Katrin Auer (Heinrich-Heine-Gymnasium), Ulrike Baumeister (Johanneum, Ruhestand), Ursula Bert-
 ram-Vanegas (Matthias-Claudius-Gymnasium), Wolfgang Brandt (Gymnasium Süderelbe, Ruhestand),
 Roland Kasprzak (Berufliche Schule 14), Lucie Kuhse (BSB), Pascal Meyer-James (Heinrich-Heine-
 Gymnasium), Christiane Meyer-Kadolph (Heilwig-Gymnasium), Engelbert Prolingheuer (Gymnasium
 Finkenwerder), Kristin Schilling (Heinrich-Heine-Gymnasium), Matias Töpfer (BSB), César Varela
 Agra (Heinrich-Heine-Gymnasium), Rosa Volkmann (Heinrich-Heine-Gymnasium), Hans Voß (Emilie-
 Wüstenfeld-Gymnasium, Ruhestand), Jonas Zimmermann (Heinrich- Heine-Gymnasium)

14                                                                  hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019
infrage gestellt würden (voller
Wortlaut s. Kasten). „Es kann
doch nicht (..) Sache der GEW
                                             Stellungnahme von Heiko Humburg, STS Horn
sein, zu beklagen, dass es keine                Zum Antrag für eine Kampagne an den Gymnasien
»vollständige     leistungsbezo-                Ich möchte mich gegen die Annahme des Antrags aussprechen.
gene Abschulung« mehr gibt“,                 Dabei bezieht sich meine Ablehnung gar nicht in erster Linie auf
wie es in der Begründung der                 den Antragstext selbst, sondern vor allem auf die Begründung –
                                             wohl wissend, dass diese nicht mit abgestimmt wird. Denn natür-
                                             lich ist es auch eine Aufgabe der GEW, sich um die Verbesserung
                                             der Arbeitsbedingungen der KuK an Gymnasien zu kümmern.
                                             Wenn man dies dann in Form einer Kampagne der GEW machen
                                             sollte, finde ich das zwar eine falsche Schwerpunktsetzung, aber
                                             das ist nicht der Stein des Anstoßes für mich.
                                                Nein, die Begründung ist es, die meinen deutlichen Wider-
                                             spruch hervorruft. Die Linie, die sich darin abzeichnet, würde die
                                             GEW in eine bildungspolitisch grundfalsche Richtung führen.
                                                Da wird beklagt, das Gymnasium könne aufgrund der Entwick-
                                             lungen der letzten Jahre seinen Bildungsauftrag nicht mehr voll
                                             erfüllen. Aber: Was ist denn der Bildungsauftrag des Gymnasi-
                                             ums? Objektiv ist es in erster Linie das Gymnasium, das die Re-
                                             produktion der sozialen Schichtung in der Gesellschaft absichert.
Heiko Humburg von der                        Die Gymnasien haben objektiv die Funktion, das Bildungsprivi-
Stadtteilschule Horn übte                    leg der herrschenden Klasse abzusichern. Diese Struktur ist poli-
grundsätzliche Kritik an der                 tisch gewollt – über alle Farbkombinationen der Senate in Ham-
Begründung des mehrheitlich                  burg hinweg. Dieser „Bildungsauftrag“ wird abgesichert, unter
von Gymnasialkolleg_innen                    anderem durch die Schulformempfehlung nach Klasse 4 und die
eingebrachten Antrags                        Abschulung von den Gymnasien nach Klasse 6. Konsequent for-
                                             dert die GEW im Hauptantrag, diese beiden Mittel der Selektion
Antragsteller_innen heiße, wäh-              abzuschaffen. Es kann doch nicht zugleich Sache der GEW sein
rend gleichzeitig die GEW in                 zu beklagen, dass es keine „vollständige leistungsbezogene Ab-
ihrem Hauptantrag fordere, die               schulung“ mehr gibt, wie es in der Begründung des Gym-Antrags
beiden Mittel der Selektion, die             heißt. Genau das wird hier aber zum Hauptproblem der Gymnasi-
Schulformempfehlung und das                  en erklärt. Aus meiner Perspektive blendet eine solche Argumen-
Abschulen, abzuschaffen, so                  tation die Realität außerhalb der Gymnasien aus und ist im Kern
Heiko. Wenn man das Gymnasi-                 nichts anderes als Standespolitik! Konsequenterweise sollten wir
um aber wieder gymnasialer ma-               dann die Wiedereinführung einer Aufnahmeprüfung für das Gym-
chen wolle, würden die aktuellen             nasium fordern.
Bedingungen im Bildungswe-                      Der Antrag der Kolleg_innen, die ich alle sehr schätze und de-
sen damit gestützt. Dies sei im              nen ich nicht im Geringsten die hehren Motive für die Initiative
Kern Standespolitik, so Heikos               absprechen möchte, geht deshalb politisch in die falsche Rich-
Schlussfolgerung.                            tung. Er steht an vielen Stellen im Spannungsverhältnis, wenn
   Es kommt auf Gewerkschafts-               nicht im Widerspruch zur Beschlusslage der GEW und zum hier
tagen immer wieder mal zu                    vorgelegten Leitantrag. Die GEW fordert richtigerweise die Über-
Überraschungen. Die oben ge-                 windung des Zwei-Säulen-Modells durch „Eine Schule für Alle“
schilderte Replik auf den Antrag             als das zentrale Mittel gegen die jahrhundertealte soziale Selekti-
von mehrheitlich Gymnasialkol-               on unseres Schulsystems.
leg_innen, der keine Mehrheit                   Das heißt für mich aber auch, dass die GEW den Mut haben
der Delegierten erhielt, gehört              muss, den Fortbestand letztlich beider Schulformen, der STS und
dazu. Wir sollten dies zum An-               der Gymnasien, anzuzweifeln. Wenn man das Gymnasium aber
lass nehmen, uns intensiver mit              wieder gymnasialer machen möchte, werden die aktuellen Bedin-
den angesprochenen Widersprü-                gungen im Bildungswesen gestützt, anstatt sie zu verbessern und
chen auseinanderzusetzen und                 zu verändern. Solange sich einzelne das Recht auf elitäre Bildung
dies als positives Zeichen einer             herausnehmen und die Lösung gesellschaftlicher Aufgaben wie
lebendigen Streitkultur werten               Inklusion und Beschulung Geflüchteter „nach unten“ abgetreten
(s. nachfolgender Artikel).                  werden, kann kein gemeinsames Lernen aller Schüler und Schü-
                 JOACHIM GEFFERS             lerinnen stattfinden.
                                                Aus diesen Gründen kann ich dem Antrag nicht zustimmen.

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                         15
SCHULSTRUKTUR

Das Gymnasium als Faktum
Die Ablehnung eines Antrages von Gymnasialkolleg_innen auf dem Gewerk-
schaftstag zeugt von einem falschen bildungspolitischen Blick auf die Realität

    Dem Hamburger Gewerkschaftstag am 21. Mai lag ein von vielen Kolleg_innen unterzeichneter An-
 trag vor mit dem Auftrag an den Landesvorstand, „die besonderen Probleme der Kolleginnen und Kol-
 legen an den Hamburger Gymnasien zu erfassen, strukturiert zu bearbeiten und Lösungsvorschläge zu
 erarbeiten“, um diese ab 2020 in eine Kampagne münden zu lassen. Der Antrag erfuhr Zuspruch und
 wütende Ablehnung bis hin zur Unterstellung, das „Bildungsziel des Gymnasiums“ sei die „Selektion“.
 Der Antrag wurde drei Mal abgestimmt, bis sich endlich eine knappe Mehrheit gegen ihn fand.
    Dies setzt ein fatales Signal für unsere Kolleg_innen an den Gymnasien. Es geht um ihre Probleme an
 ihrem Arbeitsplatz, und die bleiben bestehen. – Das gilt unabhängig vom Ergebnis einer Abstimmung
 oder der persönlichen Bewertung einer Schulform.

   Lange sind wir davon ausge-          Es ist daher Aufgabe der GEW,   Bereichen, dass der Einfluss des
gangen, dass eine Schulstruk-        sich auch um die Belange dieser    Elternhauses so massiv ist, dass
turreform in Hamburg möglich         Kolleg_innen zu kümmern (vgl.      er trotz aller schulischer Förder-
ist und diese – etwa in Form der     § 3 unserer Satzung) und zwar      maßnahmen weiterhin bestim-
„Einen Schule für Alle“ – einen      mit dem bildungspolitischen        mend bleibt. Exemplarisch seien
Beitrag zur Bildungsgerechtig-       Blick, der unsere Gewerkschaft     Lesefertigkeit, Beherrschen von
keit leisten kann. Lange sind        auszeichnet.                       „Bildungsdeutsch“, Kontrolle
viele auch – zumindest implizit                                         des Medienkonsums und die
– davon ausgegangen, dass das        Realistischer Blick auf die        Verfügbarkeit von häuslicher
Gymnasium nicht die Schulform        Verhältnisse                       Unterstützung genannt – vom
ist, die wir als Gewerkschaft           Die Vergangenheit hat für uns   Taschepacken übers Hausaufga-
unterstützen wollen. Das haben       als GEW bittere Pillen bereit-     ben-Kontrollieren bis zum Er-
auch die Kolleg_innen an den         gehabt. Nach dem Steckenblei-      stellen von Präsentationen ganz
Gymnasien mitbekommen – als          ben von „Einer Schule für Alle“    zu schweigen. Wer hier hat, dem
vermeintliche Pauklehrer aus der     und der Primarschulreform sind     wird auch weiterhin – trotz För-
Kreidezeit, pädagogisch weitest-     die Verhältnisse zementiert. Die   derangeboten, Differenzierung
gehend schimmerlos, mit einer                                           und Ganztagesschule – mehr ge-
selbsternannten      Eliteschüler-                                      geben als anderen.
schaft beschäftigt.                   Es ist auch die Aufgabe              Halten wir fest: Keine Schulst-
   Doch wir dürfen nicht davon         der GEW, sich um die             rukturreform wird soziale Segre-
ausgehen, dass an Gymnasien          Belange der Lehrenden an           gation beseitigen – sie verlagert
kein bildungspolitisches Ethos        Gymnasien zu kümmern              sie allerhöchstens nach hinten.
herrscht.                                                               Eine Abschaffung des Gymna-
   Ein Gutteil der Gymnasial-                                           siums in Hamburg wird es in
lehrkräfte sind GEW-Mitglieder.      Hoffnungen, durch eine Schulst-    absehbarer Zeit nicht geben. Wir
Das sind sie nicht ohne Grund:       rukturreform zu mehr Bildungs-     müssen uns bildungspolitisch an
auch sie wünschen sich Bil-          gerechtigkeit zu gelangen, sind    den Realitäten orientieren und
dungsgerechtigkeit. Sie wollen,      an der politischen und vor allem   die Schulform „Gymnasium“
dass alle die Schüler_innen auf      gesellschaftlichen Realität Ham-   daher als Faktum sehen.
dem Gymnasium erfolgreich            burgs zerschellt. Eine Mehr-
sein können, die es prinzipiell      heit der Hamburger_innen hält      Belange der Kolleg_innen
schaffen können – unabhängig         das Gymnasium für die bessere         Jede_r achte Schüler_in muss-
vom Stallgeruch. Viele dieser        Schulform und wird wie 2010        te im vergangenen Schuljahr am
Lehrkräfte haben „Eine Schule        dafür sorgen, dass es erhalten     Ende der sechsten Klasse vom
für Alle“ unterstützt. Die meis-     bleibt. Sie meldet ihre Kinder     Gymnasium auf die Stadtteil-
ten von ihnen sind gerne spezi-      am Gymnasium an oder täte das      schule wechseln. Diese Quote
alisierte Fachlehrer_innen – weil    zumindest gern.                    steigt seit Jahren an (vgl. https://
sie ihr Fach für bildend halten.       Zugleich sehen wir in vielen     www.hamburg.de/schuljahr-

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in-zahlen/4895080/schulform-             nen Heterogenität machen und         war immer auch gewerkschaft-
wechsel/), an einzelnen Gymna-           gleichzeitig das vorgegebene         licher Konsens. Denn es bedeu-
sien betrug sie über 20 Prozent.         Ziel Studierfähigkeit und Abitur     tet Emanzipation statt Erzeugen
Das ist für Schüler_innen trau-          anstreben.                           von human resources, Selbstbe-
matisierend und für Kolleg_in-                                                stimmung statt Tauglichkeit als
nen frustrierend: Selektion ist          Bildungspolitik                      Rad im Getriebe. Dieses Ziel ist
niemandes pädagogisches Ziel.               Wenn wir entscheiden, wie wir     in den letzten Jahren auch in der
Aber die Möglichkeiten, diese            die Beschäftigungsbedingungen        GEW aus dem Blick geraten zu-
Schüler_innen an Gymnasien zu            verbessern wollen, sollten wir       gunsten eines verdeckt marktra-
fördern, fehlen – und zwar so-           uns zuerst über unsere bildungs-     dikalen, verwertungsorientierten
wohl den Ressourcen nach wie             politischen Ziele klar werden.       Ausbildungsbegriffs.
von den Strukturen her. Einige              Das Ziel der Bildungsgerech-
Beispiele:                               tigkeit bedeutet im schulischen      … wie weiter?
   In Klasse 6 können Schü-              Kontext u. a., all jenen eine re-       Fangen wir also an zu disku-
ler_innen, für die der Wechsel           alistische Chance auf einen Ab-      tieren, wie das Gymnasium sich
auf die Stadtteilschule unaus-           schluss zu geben, die die damit      entwickeln soll! Denn es wird
weichlich ist, den Sinn hinter           verbundenen Anforderungen er-        nicht verschwinden.
der zweiten Fremdsprache und             reichen könnten. Dabei soll allein      Soll am Gymnasium auf das
anderen Unterrichtsfächern nicht         das eigene Leistungsvermögen         für alle gleiche Ziel „Abitur“ hin
mehr sehen. Sie müssen aber zu-          zählen – nicht der soziale Hinter-   gefördert werden? Welche För-
sammen mit den anderen unter-            grund und die Zufälligkeiten der     dermaßnahmen und -ressourcen
richtet werden – entlang den Bil-        Sozialisation. Nur so können wir     sind dazu nötig? Welche Pers-
dungsplan-Anforderungen für                                                   pektiven gibt es für diejenigen,
den erfolgreichen Übergang in                                                 die das gemeinsame Ziel nicht
die gymnasiale Mittelstufe. Dies             Das humanistische Ziel ist       erreichen werden?
bedeutet in der Praxis, dass die-            in den letzten Jahren auch          Soll alternativ auf differente
se Schüler_innen sich innerlich                                               Bildungsziele hin gefördert wer-
                                             in der GEW aus dem Blick
vom Unterricht verabschieden                                                  den? Welche Ziele werden das
– sie verstehen einfach nichts                geraten zugunsten eines         sein? Wie wird die Differenzie-
mehr – und ihre Langeweile mit                verdeckt marktradikalen,        rung in der Praxis umgesetzt?
dem Einüben von Lethargie oder                 verwertungsorientierten           Wenn auch Gymnasien ab-
herausforderndem       Verhalten                 Ausbildungsbegriffs          schlussoffen werden – bleibt
kompensieren.                                                                 diese Offenheit bis zum Schluss?
   Schüler_innen, die im Verlauf                                                 Wird der Unterricht binnendif-
der Mittelstufe den fachlichen           die zahlreichen schulischen För-     ferenziert und „individualisiert“
Anforderungen des Gymnasial-             dermaßnahmen rechtfertigen: Es       gestaltet – auf ein individuelles
unterrichts nicht gewachsen sind,        geht immer darum, Potentiale zu      Abschlussziel hin? Wird damit
häufen bis zum Ende der Klasse           verwirklichen, nicht der sozialen    das Gymnasium die beliebtere
10 in einer als Zwang verstan-           Herkunft zu folgen.                  Form der Stadtteilschule? Wie
denen Schule Misserfolgserleb-              Das Ziel pädagogischen Han-       vermeidet man Vereinzelung
nis auf Misserfolgserlebnis. Die         delns ist nicht das Verteilen von    und schafft einen Diskurs in der
Bildungsangebote sind bei ihnen          Abschlüssen. Grundlegend ist         Lerngruppe?
nicht angekommen; die Zeit war           vielmehr das emanzipatorische           Welche Konsequenzen hat
für sie vergeudet.                       Ziel, die „Zöglinge“ zu einem        eine äußere Leistungsdifferen-
   Für viele Kinder auch am              selbstbestimmten, ganzheitlich       zierung? Ist sie hilfreich bspw.
Gymnasium sind Schulbücher               erfüllten und verantwortungsbe-      in Fächern mit hoher Progressi-
die einzigen Bücher, die sie le-         wussten Leben zu führen. Da-         on, damit alle wirklich mitreden
sen. Sprachförderung (bzw. eine          hinter steckt das Ideal einerseits   können?
Ressource dafür) fehlt aber. So          der Vermittlung von praktisch           Haben praxisbezogene Wahl-
können bildungsfern aufgewach-           verwendbaren       Kompetenzen,      fächer in der Mittelstufe das Po-
sene Kinder nicht erfolgreich auf        andererseits aber – und wich-        tential, Schüler_innen zu bilden?
das Abitur und ein Studium mit           tiger – eine ethisch-humanis-           Wie wirkt sich eine erhöhte
seiner Fachsprachlichkeit vorbe-         tische Fundierung des Lebens.        „Durchlässigkeit“ ab Klasse 7
reitet werden.                           Dieses humanistische Ziel der        aus?
   Zusammenfassend: Auch an              allgemeinen Bildung, in seiner          Oder warten wir, bis die Ver-
Gymnasien müssen die Kol-                höchsten Stufe das Erzeugen          hältnisse anfangen zu tanzen?
leg_innen einen gewaltigen               von Studierfähigkeit (nicht nur            ENGELBERT PROLINGHEUER
Spagat angesichts der vorhande-          fachlich, sondern hinterfragend!)                    MATIAS TÖPFER

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 7-8/2019                                                                    17
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