POSITION. Zukunftsgerecht bauen mit Betonfertigteilen Seite 15 - VDZ-Roadmap Deutsche Zementindustrie auf dem Weg in eine CO2-freie Zukunft ...
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1. Ausgabe 2021 Das Branchenmagazin Betonfertigteile Betonwaren Betonwerkstein POSITION. VDZ-Roadmap Zukunftsgerecht bauen Deutsche Zementindustrie mit Betonfertigteilen auf dem Weg in eine CO2-freie Zukunft > Seite 15 > Seite 18
Inhalt 3 Punktum 27 Recht 4 Branche im Blick 27 Unfallereignis 4 Unser Leitthema 2021 27 Verhaltensbedingte Kündigung 5 Gastbeitrag „Wie wird sich das Bauen und Wohnen in 28 Neue HOAI 2021 der Zukunft verändern?“ 29 Veranstaltungen 8 Modulares Bauen 29 Hochschuldozententagung 2020 10 Thermische Bauteilaktivierung 29 6. SLG-Fachtagung 12 Internationaler Hochhauspreis 2020 30 BetonTage asia 2020 15 Position: Zukunftsgerecht bauen 31 Bauen mit Betonfertigteilen mit Betonfertigteilen 16 Faktencheck Wohnungsbau in Deutschland 32 Gremienarbeit 18 VDZ-Roadmap 35 Neu erschienen 20 DWA-Umfrage 38 Branche intern 22 Bericht aus Europa 38 Neuwahl der Ehrenämter im BIV 24 Aus- und Weiterbildung 38 Forschungsvereinigung 24 Darmstädter Betonfertigteiltage 2021 39 BIBM 25 FDB-Förderpreis 2020 40 Branche intern 26 Beton web.akademie 40 Neuer Mitherausgeber 41 Termine 42 Impressum Bild links: © Anders Bobert Bild rechts: © SLG 2
Punktum Zukunftsgerechter Wohnungsbau Liebe Leserschaft, wie wollen wir in Zukunft wohnen und leben? Eine Frage, die sich schon vor der Corona-Krise gestellt hat und seitdem noch mehr an Bedeutung gewonnen hat. Innenstadtverdichtung, mehr Grün-, Frei- und Freizeitflä- chen bei stetigem Bevölkerungswachstum müssen in Einklang gebracht werden. Es ist an der Zeit, die Kraft des Wandels, die wir derzeit erleben, auf Häuser, Gebäude und Städte zu übertragen. Gerade in Städten erfahren wir Menschen, dass öffentlicher und priva- ter Raum ein Zuhause für mehr Freiheit und Begegnungsstätten bieten kann. Dabei erlebt der Wohntrend „Romancing the Balcony“, wie ihn die Trend- und Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern beschreibt, nämlich Diana Klose Garten, Balkon und Terrasse als private Outdoorflächen zum Mittelpunkt Bayerischer Industrieverband des Lebens zu erklären, ein Revival. Balkone sind mehr denn je wichtiger Baustoffe, Steine und Erden Bestandteil im Wohnungsbau und sollten demnach im Baurecht verankert werden. Denn der Mensch braucht einfach privaten Raum unter freiem Himmel für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit. Für die so wichtig gewordene ästhetische und praktische Gestaltung dieser Freiräume bietet unsere Industrie eine vielfältige Produktpalette an. Schauen wir in die Wohnungen und Häuser, so ist auch hier ein neuer Lebensstil entstanden. Das Hoffice (Home + Office) wird zur neuen Norma- lität. Laut einer Umfrage des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation im April 2020 wurde vor Corona bei 35 % der Berufstäti- gen das Hoffice zumindest ab und zu genutzt, während Corona stieg diese Zahl auf 43 % an. Was nun benötigt wird, ist eine flexible Raumgestaltung. Hier sorgt modulares und serielles Bauen aus Betonfertigteilen für eine hohe Flexibilität, hohe Qualität und Schnelligkeit in Verbindung mit allen Vorteilen, die der Baustoff Beton zu bieten hat. Die darüber hinaus für uns Menschen so wichtigen Aspekte wie Individualität und Sicherheit bringt der Baustoff Beton von sich aus mit. Der neue Trend zur Neo-Ökologie verlangt nach mehr Grünflächen, weniger Autoverkehr und vor allem die Berücksichtigung des Kreislaufprinzips beim Bauen. In Forschung und Regelsetzung wird daran gearbeitet, die Möglich- keiten für eine Erhöhung des Anteils von Recycling-Material im Beton zu erweitern. Man möchte damit dem Gedanken der Nachhaltigkeit folgen, CO2 reduzieren und Ressourcen schonen, wo immer möglich. Deshalb unser Aufruf an Sie: Planen und Bauen Sie für eine neue Normali- tät! In unserer Branchenzeitschrift finden Sie viele Anregungen und Ideen, die neue Normalität in all ihren Facetten mit Betonfertigteilen umzusetzen. Freuen Sie sich auch jetzt schon auf die folgenden Ausgaben, die sich vor allem dem Thema zukunftsgerechter Wohnungsbau widmen werden. Herzlichst Ihre Diana Klose Bayerischer Industrieverband Baustoffe, Steine und Erden 1 / 2021 punktum.betonbauteile 3
Branche im Blick Unser Leitthema 2021 Zukunftsgerechter Wohnungsbau Wie wollen wir zukünftig wohnen? – Im vergangenen Jahr sind die Baugenehmigungen im Wohnungsbau in Deutschland gegenüber dem Vorjahr weiter gestiegen, die fertiggestellten Wohnungen bleiben aber insbesondere in den Ballungszentren weiter unter dem tatsächlichen Bedarf. Der öffentliche Diskurs zum Wohnungs- bau geht jedoch längst über ein „Gibt es genug Wohnraum für alle?“ hinaus. Vermehrt rücken Fragen nach ganzheitlichen und nachhaltigen Wohnkonzepten in den Mittelpunkt: Wie kann ich Wohnraum flexibel gestalten und meinen Bedürfnissen individuell anpassen? Mit welchen Innovationen kann ich Wohnungen optimieren? Wie erreiche ich eine gute Ökobilanz des Gebäudes? Lässt sich bestehende Bausubstanz effektiv und kostengünstig instand setzen? Hier sind innovative und nachhaltige Lösungen von Politik, Bauherren und Industrie gefragt, die sich den Heraus- forderungen stellen, auf sich wandelnde und individualisierte Nutzungsbedingungen einstellen und lebenswerten Wohn- raum schaffen. Die sechs Ausgaben unseres Branchenmagazins punktum.betonbauteile stehen daher in diesem Jahr unter dem Leitthema „Zukunfstgerechter Wohnungsbau“. Jede Ausgabe wird sich mit einem Schwerpunkt aus dem umfang reichen Themenkomplex befassen, von den zukünftigen Anforderungen an das Bauen, über die Einsatzmöglichkeiten und Potenziale von Betonfertigteilen, bis hin zu Themen wie Sanierung und Ersatzneubau sowie die Infrastruktur für die Ver- und Ent- sorgung. Freuen Sie sich mit uns auf ein spannendes Jahr. Ihre Branchenverbände 4
Ingeborg Esser Hauptgeschäftsführerin GdW Bundesverband Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen Gastbeitrag Wie wird sich das Bauen und Wohnen in der Zukunft verändern? Noch ist die Pandemie nicht überwunden. Aber eines zeichnet sich bereits ab: Das Wohnen und Arbeiten wird sich deutlich verändern und das viel schneller als erwartet, es wird digitaler. Während der letzten Monate mussten wir oft auch schmerzlich erkennen, wo unsere Standortnachteile in Deutschland liegen: Ohne schnelles Internet oder schnelles WLAN funktionieren eben Homeoffice und Home-Schooling gar nicht. Und wenn wir an eine Vielzahl von Videokonferenzen denken, dann brauchen Bilder eben noch mehr Bandbreite als das schon bei sprach- und textbasierten Entertainmentanwendungen der Fall ist. Insoweit müssen der Glasfaser- und 5G-Ausbau in Deutschland oberste Priorität haben. Das neue digitale Bauen – serieller systemintegrierte Qualitätskontrollen und die und modularer Bau? Qualitätssicherung im Prozess anbelangt. Denkt man die Entwicklungen der Automobilindustrie Gleichzeitig haben wir in Deutschland zurzeit allerdings weiter, dann werden irgendwann auch hoch emotionale Diskussionen um die Kosten beim seriellen und modularen Bauen Roboter ein- des Wohnens. Befeuert werden diese durch gesetzt werden. 3D-Drucker, die Wände oder gar eine ungebrochene Nachfrage nach bezahlba- ganze Häuser bauen, sind schon Realität. Und rem Wohnraum, vor allem in den Wachstums- auch autonome Baumaschinen werden bereits regionen Deutschlands. Und beim bezahlbaren getestet. Aber auch sie brauchen 5G-Netze, sonst Wohnungsneubau passiert nach wie vor viel zu funktionieren sie nicht zuverlässig. wenig. Auch jenseits von Digitalisierung und Automati Das „Bündnis für bezahlbares Wohnen und sierung wird sich das Bauen zukünftig neu Bauen“ hatte bereits in der letzten Legislaturpe- erfinden müssen. Vor großen Herausforderun- riode das Thema der Baukosten adressiert und gen steht hier auch der Beton- beziehungsweise eine Baukostensenkungskommission eingesetzt. Massivbau. Heute absehbar sind Änderungen in Dabei gab es auch den Auftrag an die Woh- der Ressourcenverfügbarkeit, aber auch ein stei- nungswirtschaft und die Bauindustrie, sich mehr gender Fokus hinsichtlich der Ressourceneffizienz um das serielle und modulare Bauen zu küm- und Carbonfootprint. Kreislaufwirtschaft wird im mern. Man kann sich trefflich streiten, ob diese Bauwesen eine zentrale Bedeutung einnehmen Art zu bauen preiswerter ist, als das konventio- und alle am Bau Beteiligten müssen hybrider nelle Bauen. Aber was wohl ziemlich unstreitig denken sowie Baumaterialien und Prozesse neu ist: Es geht schneller, erfolgt deutlich qualitäts- kombinieren. voller, weil unter Nutzung digitaler Werkzeuge wie Building Information Modeling (BIM) geplant Das Wohnen wird digital – Smart wird und in Hallen unter optimalen Bedingungen Living wird zum Standard! produziert wird. Nicht nur das Bauen, auch das Wohnen wird Das modulare und serielle Bauen wird das kon- digital. Gebäudeautomation wird in nicht allzu ventionelle Bauen in der Zukunft nicht ersetzen. langer Zeit Standard werden. Heute denken wir Aber es wird wahrscheinlich viel stärker einge- bei Smart-Living-Lösungen häufig an Entertain- setzt werden und modulare Teile werden auch ment- oder Komfortlösungen. Das eigentliche beim konventionellen Bauen, zum Beispiel für Potenzial liegt jedoch in der digitalen effizienten zentrale Erschließungseinheiten, stärker genutzt Bewirtschaftung von Immobilien, Stichwort „Pre- werden. dictive Maintenance“, aber auch im digitalen effi- © GdW_Urban Ruths zienten Betrieb, um die Immobilien CO2-optimal Dabei setzt das heutige modulare Bauen in den steuern zu können. Digital optimierte Heizungs- Werken auf viele Erkenntnisse, die man in der steuerung, digitaler automatischer regelmäßiger Automobilindustrie gewonnen hat, auch was hydraulischer Abgleich und digitale Nutzerunter- 1 / 2021 punktum.betonbauteile 5
Branche im Blick stützung und -führung müssen zum Standard mit 22,2 Mio. Wohnungen mehr als die Hälfte des werden, wollen wir die CO2-Ziele im Gebäude- gesamten Wohnungsbestandes ausmacht. Denn bereich erreichen. Aber auch Sicherheitsanwen- bisher sind viele technische Lösungen auf Ein- dungen müssen bedacht werden. Automatisierter und Zweifamilienhäuser zugeschnitten. ForeSight Gebäude- und Wohnungszugang über Erken- ist zudem Teil der GAIA-X-Initiative und trägt nungssysteme mit biometrischen Funktionen, dazu bei, dass künftige Dienste für Wohnungs- regelmäßige automatisierte Überprüfungen der unternehmen und Mieter datenschutzkonform Trinkwasserqualität, weitere smarte Kompo- realisiert werden können. nenten wie Rauchwarnmelder, die gleichzeitig Bewegungsprofile erkennen und im Zusammen- Arbeiten wir bald nur noch von zu spiel mit anderen smarten Geräten unter Nutzung Hause? künstlicher Intelligenz Nutzerprofile erlernen, sind nicht mehr nur Visionen, sondern werden bereits In der Pandemie haben wir gelernt, dass man in der Praxis getestet. Irgendwann werden die auch von Zuhause, aus dem Homeoffice oder von Gebäude, was den Betrieb anbelangt, autonom irgendwo anders mobil arbeiten kann. Das funk- werden. Nur so ist ein wirklich effizienter, sicherer tioniert natürlich nicht für jede Tätigkeit und es und komfortabler Betrieb möglich. funktioniert nur wirklich gut, wenn auch die Inter- netanbindung von Zuhause aus optimal ist. Aber: Was passiert mit den Nutzerdaten? Wer- den diese direkt über „Alexa“ an große internatio- Viele sagen, dass es künftig normal sein wird, nal agierende Konzerne weitergeleitet, die damit diese Art des mobilen Arbeitens fortzuführen. ihre Geschäftsmodelle direkt an den Nutzer- Also regelmäßiges mobiles Arbeiten. Einige Kon- wünschen orientiert weiter ausbauen können? zerne und Branchen wollen künftig ausschließlich Sollte das passieren, dann werden die Menschen mobil arbeiten und ziehen bereits kräftig teure es nicht akzeptieren, solche smarten Devices zu Büroimmobilien in den Innenstädten leer. nutzen. Dies gilt besonders dann, wenn solche Dienste im Zusammenhang mit der Vermietung Technisch ist das mobile Arbeiten kein Problem, über den Gebäudeeigentümer Mietern angeboten aber nimmt es auch ausreichend auf die men- werden. Deshalb ist für die Wohnungswirtschaft talen Bedürfnisse der Arbeitnehmer Rücksicht? das Thema Datensicherheit extrem wichtig, Klappt Teamarbeit tatsächlich auch über „Zoo- und niemand darf aus intimen, schützenswer- men“ genauso gut, als wenn man physisch um ten Nutzerdaten Geschäftsmodelle entwickeln. einen Tisch sitzt oder gemeinsam ein Medien Die Initiative Deutschlands, mit GAIA-X zu einer board mit Ideen befüllt? Und nur im Team ent sicheren europäischen Daten-Cloud zu kommen, stehen tatsächlich die besten Lösungen, weil kann deshalb nur unterstützt werden. Der GdW eben Schwarmintelligenz mehr bringt als die Bundesverband deutscher Wohnungs- und Intelligenz des Einzelnen. Oder werden aus den Immobillienunternehmen ist eingebunden in das smarten, gut ausgebildeten jungen Leuten im vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte, Homeoffice am Ende eigenbrötlerische Kauze? gewerkeübergreifende Forschungsprojekt „Fore- Sight“, in dem smarte Usecases unter Einsatz Man wird es sehen. Alles wird ausprobiert wer- künstlicher Intelligenz auch unter Realbedin- den und die besten Lösungen werden sich durch- gungen erprobt werden. Mit dem Plattformpro- setzen. jekt „ForeSight“ rückt erstmals der bisher wenig beachtete und vielfach von Mietern bewohnte Wie werden sich die Städte Bereich der Mehrfamilienhäuser in den Fokus, der verändern? Was sich aber verändern wird, ist, dass Arbei- © www.pixabay.com ten und Wohnen stärker zusammenwachsen. Nicht unbedingt nur in der eigenen Wohnung, die, wenn von dort aus regelmäßig gearbeitet wird, auch anders aussehen muss. Der Wohn- beziehungsweise dann auch Nutzflächenbedarf würde steigen. Wer kann sich das in den teuren Metropolen leisten? Oder ziehen alle jetzt raus aufs Land oder ins Umland der Metropolen? Wir wissen es heute noch nicht belastbar. Viele Unternehmen setzen zukünftig verstärkt auf mobiles Arbeiten. Ob sich dieser Trend im großen Stil durchsetzen kann, wird sich zeigen. 6
© www.pixabay.com Aber die Städte werden sich verändern. Die Pro- duktion, das Gewerbe, das Handwerk, das Büro und das Wohnen werden nicht mehr in unter- schiedlichen Kiezen stattfinden, sondern neben- einander. Das geht auch bis zu einem gewissen Grad, weil das Gewerbe der Zukunft nicht mehr mit Lärm und Emissionen einhergehen muss, wie in der Vergangenheit. Die Kieze werden dann attraktiver, es wird Gaststätten, Cafés, Freizeit einrichtungen, Sportstätten und Spielplätze geben. Also lebendige Städte und Kieze und nicht nur Wohnstädte einerseits und Produktions- standorte andererseits. Auch in den Innenstädten wird wieder mehr gewohnt werden. Vielleicht können auch nicht mehr genutzte Büroflächen zu Wohnungen umgestaltet werden! Schnelles Internet und ein neues Der Glasfaser- und 5G-Ausbau müssen in Deutschland oberste Priorität haben, um digitales Nebenkostenrecht sind das die Digitalisierung weiter voranzutreiben. A und O – die Politik bremst! Ob Homeoffice, Entertainment oder digitaler Konkret müssen wir uns in der digitalen Welt Gebäudebetrieb – eine schnelle Internetanbin- mehr hin zu Inklusiv- oder Teilinklusiv-Modellen dung ist für alles eine unabdingbare Vorausset- zum Beispiel für Strom, Wärme, Internet und zung. Das kann künftig auch eine Basisleistung E-Ladestellplätzen entwickeln. So geht an einer der Vermieter sein. Nicht nur die Bewohner, son- Flatrate-Miete perspektivisch kein Weg vorbei. Es dern auch die Gebäude brauchen jeweils eigene ist nur eine Frage der Zeit, bis Inklusivmieten- und Internetzugänge. Leider ist hier der Beschluss des Teil-Flatrate-Modelle in größerem Stil angeboten Bundeskabinetts vom 16. Dezember 2020 zur werden. Das wird überall dort geschehen, wo die Änderung des Betriebskostenrechts im Rahmen Immobilie dank Gebäudeautomation selbst einen einer Novellierung des Telekommunikationsrechts Beitrag leisten kann. Produziert ein Gebäude kontraproduktiv und gefährlich. Der Gesetzent- selbst Strom, der als Mieterstrom genutzt werden wurf sieht vor, die seit Jahrzehnten bestehende soll, kann ein Teil davon als Grundleistung in der Umlagefähigkeit für den Breitbandanschluss Miete inkludiert sein. In Teilbereichen der Energie- nach einer Übergangszeit von zwei Jahren abzu- versorgung setzen Wohnungsunternehmen heute schaffen. Dies würde den Breitbandausbau vor solche Modelle bereits um. allem in den Wohngebäuden massiv ausbrem- sen, ländliche Regionen wären besonders stark Fazit betroffen. Vieles rund um das Bauen, Wohnen und Arbeiten Ein solch kleinteiliger Eingriff in das Nebenkos- der Zukunft ist in Bewegung. Die Pandemie hat tenrecht hätte eine weitere fatale Wirkung. Er die Digitalisierungsnotwendigkeit in vielen Berei- würde einen für die Digitalisierung des Woh- chen gezeigt und deren Geschwindigkeit befeu- nens und der Wohngebäude längst überfälligen ert. Auch wenn noch nicht klar ist, ob aus allen großen Wurf eines digitalen Nebenkostenrechts Trends, die momentan erkennbar sind, nachhal- erschweren oder gleich im Keim ersticken. Die tige Veränderungen resultieren werden, so ist Digitalisierung von Gebäude und Wohnen wird klar, dass Veränderung stattfinden wird. Diesen zumindest teilweise auch das derzeitige „Ver- Veränderungen müssen und werden sich Woh- mietungsmodell“ ändern. Hier wird aber unser nungsunternehmen stellen. Eine schnelle „digitale analoges Nebenkostenrecht den Anforderungen Wende“ gelingt jedoch nur dann, wenn die Politik an modernen Gebäuden in keiner Weise gerecht. in verschiedenen Bereichen nicht gleichzeitig auf Moderne Formen des Wohnens werden nicht Bremse (Breitbandausbau) und Gaspedal (Künst- abgedeckt. Besonders bei den für uns wichtigen liche Intelligenz) tritt. Hoffen wir, in 2021 nicht Bestandsimmobilien beschränkt das derzeitige nur die Pandemie zu besiegen, sondern dass Nebenkostenrecht ein künftig sinnvolles Vermie- Wirtschaft und Politik gemeinsam die Digitalisie- tungsmodell. rung befördern werden. 1 / 2021 punktum.betonbauteile 7
Branche im Blick Modulares Bauen Vorfertigung bietet zahlreiche Vorteile Die Bauwirtschaft hat viele Herausforderungen zu meistern. Eine zentrale Aufgabe ist das zügige Schaffen von mehr bezahlbarem Wohnraum. Bereits im Jahr 2018 hat die Baukostensenkungskommission das serielle und modulare Bauen als eine mögliche Antwort identifiziert. Der Spitzenverband der Wohnungs- wirtschaft GdW hat daraufhin gemeinsam mit dem Bundesbauministerium, der Deutschen Bauindustrie und der Bundesarchitektenkammer die Rahmenvereinbarung für diese Bauweisen ins Leben gerufen. Einige Wohnprojekte wurden mittlerweile auf dieser Grundlage realisiert, Tendenz steigend. Das Vorhaben „In der Eisenbach“ der kwb Kom- Ein weiterer Vorteil ist die gleichbleibende hohe munale Wohnungsbau GmbH Rheingau-Taunus Qualität. Die Herstellung der Raummodule erfolgt war das erste, das über den Rahmenvertrag fer- witterungsgeschützt im Werk und damit unter tiggestellt wurde. Im Zuge der Nachverdichtung relativ konstanten, kontrollierten Umgebungs- entstand im hessischen Idstein in 2019 innerhalb bedingungen. Dies sorgt für eine hohe Maßge- kürzester Zeit ein Mehrfamilienhaus mit neun nauigkeit. Im Rahmen der Eigen- und Fremd- Wohneinheiten. Dabei kamen Raummodule aus überwachung werden die Produkte außerdem Stahlbeton zum Einsatz (siehe Ausgabe 1/2020). regelmäßig kontrolliert. Auch optisch stehen die Im vergangenen Jahr wurden zehn weitere fertigen Gebäude dem klassischen Wohnungs- Wohneinheiten in Idstein-Wöhrsdorf fertigge- bau in nichts nach und bieten eine hohe architek- stellt. Beide Projekte sind Teil einer größer ange- tonische Qualität. legten Wohnraumoffensive in der Region, bei der die kwb insgesamt fast 200 neue Sozialwohnun- Angesichts dieser Vorzüge und den Erfahrungen gen errichtet. mit den bereits realisierten Projekten gewinnt die serielle und modulare Bauweise langsam an Ein wesentlicher Vorteil der GdW-Rahmenverein- Fahrt. Insgesamt hat die Wohnungswirtschaft barung für serielles und modulares Bauen ist der damit in kurzer Zeit die 5.000er-Marke geknackt. Festpreis, der bei der Bestellung aus dem Katalog Laut der GdW entstehen durch die Rahmenver- von insgesamt neun Wohnungsbaukonzepten einbarung derzeit 1.225 Wohnungen, rund 2.400 zugesichert wird. Er gewährleistet eine größt- sind in Planung. So entstanden beispielsweise im mögliche Planungssicherheit. Gleichzeitig kommt thüringischen Nordhausen unter Federführung ein wesentlicher Vorzug der Vorfertigung voll der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft 30 neue zum Tragen: Durch die Produktion im Werk wird Wohneinheiten. Den Zuschlag bekam das Unter- die Bauzeit extrem verkürzt. Fenster, Balkone, nehmen Goldbeck Ost GmbH, einer der GdW- teilweise Bäder, Leitungen und Dämmung sind Wettbewerbssieger. Es sicherte sich auch einen in den Modulen bereits eingebaut. Die Raummo- Auftrag für mehr als 110 Wohnungen in Berlin. dule werden per Lkw und Kran auf der Baustelle Gemeinsam mit der Gesellschaft für Wohnen und angeliefert und quasi nach dem „Lego-Prinzip“ Bauen mbH baute die Solidbox GmbH 2020 in aufeinander gestapelt und miteinander verbun- Nordhorn ein Mehrfamilienhaus mit neun Wohn- den. Dabei können an einem Tag bis zu zehn einheiten. Die Magdeburger Wohnbau kooperiert Raummodule aufgestellt werden. So kann ein Einfamilienhaus samt Keller und geschlossenem Dach innerhalb eines Tages montiert werden. Dies macht eine Zeitersparnis vor Ort gegenüber Vorteile von Raummodulen dem konventionellen Bau von bis zu 80 % aus. aus Beton Die Gebäude sind dadurch schneller bezugsfertig, • kurze Bauzeit (rund 10 Raummodule/Tag) was die Zeit der Mehrfachbelastung durch Miete und Zinszahlungen auf ein Minimum begrenzt • große Termin- und Planungssicherheit und Geld spart. • sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis Von der kurzen Bauzeit profitiert auch die Nach- • wirtschaftlich (Serienproduktion, schnelle barschaft: Die Baustelle dauert nur einige Nutzbarkeit) Wochen, und es kommt zu deutlich weniger Ver- • hohe Qualität und lange Lebensdauer kehrsbehinderungen, Schmutz- und Lärmbelästi- gungen. 8
mit Max Bögl Modul AG. Außerdem entstehen nungsraum schnell zu begegnen. Um die Attrak- unabhängig vom GdW-Rahmenvertrag über tivität dieser Bauweise weiter zu steigern und 2.000 zusätzliche Wohnungen in dieser Bau- einen noch substanzielleren Beitrag damit leisten weise – rund 800 davon sind bereits fertigge- zu können, müssen die politischen Rahmen- stellt. Sie entstanden zum Beispiel in Bayreuth, bedingungen jedoch weiter verbessert werden: Frankfurt am Main oder Dresden. Eine Vereinheitlichung der Landesbauordnungen, eine bundesweit einheitliche Typenbaugenehmi- Die serielle und modulare Bauweise beziehungs- gung sowie eine vereinfachte und beschleunigte weise die Vorfertigung bietet Lösungen für Grundstücksvergabe sind Schritte in die richtige modernen Wohnungsbau und ist ein wichtiger Richtung. Baustein, um dem wachsenden Bedarf an Woh- © Solidbox Dieses Mehrfamilienhaus mit neun Wohneinheiten in Nordhorn ist eines der Projekte, die mit der Rahmenvereinbarung für serielles und modulares Bauen realisiert wurden. Mehrfamilienhaus, Nordhorn Bauherr und Planer GEWO Gesellschaft für Wohnen und Bauen mbH Bauunternehmen Solidbox Ort Nordhorn, Niedersachsen Baubeginn August 2020, Modulaufstellung ab Anfang Oktober Fertigstellung November 2020, Erstvermietung zum 1. Januar 2021 Besonderheiten innerstädtischer Lückenschluss 1 / 2021 punktum.betonbauteile 9
Branche im Blick Thermische Bauteilaktivierung Die Speichermasse von Beton nutzen Klimagerechtes Bauen erfordert innovative Systeme, um Energie effizienter zu nutzen. Eines davon ist die thermische Bauteilaktivierung. Dabei wird die gute Speicherfähigkeit des Baustoffes Beton genutzt, um die erforderliche Primärenergiemenge zur Regulierung der Temperatur eines Gebäudes zu reduzieren. Die massiven Bauteile nehmen bei hohen Temperaturen Wärme auf und geben diese bei abnehmenden Temperaturen wieder an die Umgebung ab. Damit sorgen sie so für ein ausgeglichenes Raumklima und helfen dabei Energie zu sparen. Für das energieeffiziente Bewirtschaften von Die hohe Wärmespeicherfähigkeit massiver Bau- Gebäuden stellt sich die Aufgabe, die kostenlos stoffe und Bauteile trägt maßgeblich zu einem zur Verfügung stehende solare Wärme möglichst behaglichen Raumklima bei. Die Wärme wird in vollständig nutzen zu können. Das heißt, die ein- den massiven Bauteilen gespeichert und noch mal im Gebäude befindliche Energie soll dort blei- über lange Zeit an die Raumluft abgegeben. Das ben, was eine entsprechende Wärmedämmung bedeutet, bei intensiver Sonneneinstrahlung wird der Gebäudehülle erfordert und gleichzeitig soll die Wärmeenergie, die bei leichten Bauweisen das Wärmeenergieangebot dem Nutzer so zur schnell zur Überhitzung der Räume führen kann Verfügung stehen, dass das Gebäude bei sola- und ungenutzt abgeführt werden muss, in Beton- rem Überangebot nicht überhitzt und bei Ausblei- bauteilen gespeichert und damit die Raumluft- ben der solaren Einträge nicht zu stark auskühlt. temperatur auf angenehme Werte begrenzt. In Hierzu bedarf es einer guten Wärmespeicherfä- den kühlen Nachtstunden hingegen wird diese higkeit des Gebäudes. Um dies zu erreichen, ist Wärmeenergie wieder an die kühle Raumluft die Auswahl der Baustoffe von entscheidender abgegeben. Beton ist damit ein idealer Bau- Bedeutung. stoff, um die tageszeitlichen Schwankungen der Raumlufttemperatur, die im Wesentlichen durch © Green Code Bei diesem Geschosswohnungsbau in Brixen kamen Thermowände und Klimadecken zum Einsatz. Sie sorgen im Sommer und Winter für ein behagliches Raumklima. 10
Absorber oder Erdwärmesonden Absorber oder Erdwärmesonden Das Prinzip der Nutzung von thermoaktiven Bauteilsystemen. solare Einträge entstehen, zu dämpfen und in den In vielen Fällen, insbesondere bei gleichmäßig Räumen eine deutlich gleichmäßigere Tempera- anfallenden geringen internen Wärmelasten, wie turverteilung über den Tag zu erzielen. in Wohn- und Bürobereichen, kann auf Klima- anlagen verzichtet werden oder diese geringer Diese Bauteileigenschaften können noch wei- dimensioniert werden, wenn die thermisch akti- ter zur Gebäudetemperierung genutzt werden, vierten Bauteile zur Abdeckung der Grundlast wenn in die massiven Betonbauteile zusätzliche herangezogen werden. Heiz- und Kühlsysteme integriert werden, wie man sie zum Beispiel von Fußbodenheizungen kennt. Im Gegensatz zur klassischen Fußboden- Vorteile von thermisch heizung liegen die Leitungssysteme jedoch direkt aktivierten Betonbauteilen in der Betondecke. Der Abstand der Leitungen untereinander beträgt etwa 10 cm bis 15 cm. • die Gebäudemasse wird als thermischer Über die Wasser gefüllten Leitungssysteme Speicher genutzt wird die tagsüber nicht benötigte Wärmemenge abgeführt (Kühlung) und einem Zwischenspei- • erneuerbare Energien sind nutzbar cher zugeführt. Im Heizfall wird die gespeicherte • kein Verlust der Geschosshöhe Wärmemenge über dieselben Leitungen in die Betonbauteile eingetragen und über diese an die • geringe Investitionskosten abgekühlte Raumluft weitergegeben. Wichtig • ein System zum Heizen und Kühlen hierbei ist, dass die thermisch aktivierten Außen- bauteile eine gute Wärmedämmung aufweisen, • geringe Temperaturdifferenz zwischen sodass die gespeicherten Energien im Bauteil Betonoberfläche und Luft verbleiben und nicht ungenutzt an die Außenluft • geringer Temperaturgradient im Raum abgegeben werden. und in der Konstruktion Ein wesentlicher Vorteil dieser Flächenheizung • Heizen und Kühlen erfolgt über beziehungsweise Flächenkühlung besteht darin, Strahlung (Kachelofeneffekt) dass aufgrund der großen Übertragungsfläche • geringere Luftbewegung gegenüber der aktivierten Bauteile deren Temperatur nur klimatisierten Räumen geringfügig höher (Heizeffekt) beziehungsweise niedriger (Kühleffekt) als die Raumtemperatur sein muss. 1 / 2021 punktum.betonbauteile 11
Branche im Blick Internationaler Hochhauspreis 2020 Innovative Wohntower aus Betonfertigteilen ausgezeichnet Die Stockholmer Doppeltürme Norra Tornen gewannen den Internationalen Hochhaus Preis 2020. Das von dem niederländischen Architekturbüro OMA Office for Metropolitan Architecture, Rotterdam, entwor- fene Gebäudeensemble überzeugte die Jury durch eine zeitlos wegweisende Architektur. Die Kombination aus qualitativ hochwertigen Betonfertigteilen, ihre geschickte Fügung zu individuellen Loggien und der Kontrast zu den feinen Details der Innenräume zeichnen das Gebäude aus. Die Norra Tornen (zu Deutsch „nördliche Türme“) Umsetzung mit Betonfertigteilen stehen in Stockholm links und rechts der Ausfall- straße Torsgatan am Übergang von Vasastaden, Für OMA stellte der Bau der Zwillingstürme einem Wohnviertel mit Bebauung überwiegend diverse Herausforderungen dar. Die Baugrund- aus den 1930er Jahren, zum neu entstehenden stücke waren mit 660 und 575 m2 sehr eng und Stadtteil Hagastaden. Sie bilden eine neue, städ- begrenzt. OMA übernahm die Pläne von Stock- tebaulich prägende Torsituation, die durch ihre holms Stadtplaner Aleksander Wolodarski, skulpturale Wirkung besticht. Wie eine Treppe dessen Idee nicht über die Entwurfsphase hin- recken sich die beiden Wohntürme in den Himmel. ausgekommen war. De Graaf und sein Team ent- Sie repräsentieren eine zeitgemäße und zukunfts- schieden sich, seinen Plan für zwei unterschiedlich fähige Vision für die Stadt und nehmen ein hohe Türme beizubehalten. OMA setzte dabei auf bekanntes stadtgestalterisches Motiv in Stock- die Vorteile der modularen, seriellen Bauweise holm auf: Doppeltürme wurden in der schwedi- mit Betonfertigteilen. Die Gebäude sind von der schen Hauptstadt bereits in der Vergangenheit als sechsten Etage an komplett vorgefertigt – Böden, symbolische Tore eingesetzt. Gleichzeitig nehmen Wände und Fassadenelemente. Die vorgefertig- die Türme mit ihrer sandbraunen Betonfassade ten Betonelemente erlaubten es, die Baustelle auch die bestehende bauliche Struktur Stock- auch bei unter 5 °C fortzuführen und sparten holms in ihrer Farbigkeit und anwachsenden Figur erheblich Zeit – pro Woche wurde ein Stockwerk auf. fertiggestellt. „Im Falle der Norra Tornen konn- ten die Bauarbeiten dadurch das ganze Jahr über Unter anderen Umständen hätten Kritiker die fortgesetzt werden – selbst in den Wintermona- Wohntürme vielleicht als Monstrosität aus Beton ten, in denen das Gießen von Ortbeton schwierig bezeichnet. Stattdessen wird das Projekt in Stock- und kostspielig geworden wäre“, so der Architekt. holm als „Tor zur Stadt“ gefeiert. „Norra Tornen ist Rund 300 Wohneinheiten sind hier in kürzester ein industrielles Hochhaus, aber es versucht, ein Zeit entstanden. In ihrem Inneren gibt es zudem menschliches Gesicht zu zeigen“, beschrieb OMA- Gemeinschaftsräume zum Feiern oder für Film- Architekt Reinier de Graaf bei der Eröffnung des abende, die die Bewohner per App buchen kön- ersten Wohnturms seine Vision für das Projekt. nen. Auch eine Sauna, ein Fitnessstudio und ein Yoga-Raum sind vorhanden. © Anders Bobert 12
Beim Design folgte das Architekturbüro seinem Anspruch „die nächste Generation von modernen Wohnformen zu schaffen, die größtmögliche Varie- tät mit einer limitierten Zahl an Fertigelementen zu kreieren und die übliche Formalität eines Wohnturms mit Individualität, Wohnlichkeit, sogar Menschlich- keit zu ersetzen.“ Die asymmetrische vertikale Form der Türme bekommt horizontal Spannung durch eine Würfeloptik. Die Betonfertigteile springen abwech- selnd vor und zurück, sodass der Eindruck von über- einandergestapelten Wohnwürfeln entsteht. Balkon- Flächen und Wohnbereiche mit dreifachverglasten großformatigen Fenstern wechseln sich ab. Letztere sorgen für mehr natürliches Licht – in Schweden mit seinen langen Wintern ein bedeutendes Element des Wohnkomforts. „Aus gestalterischer Sicht hat uns die Vorfertigung maximale Variationsmöglichkeit bei geringstmöglicher Anzahl von Details eröffnet – was im Vergleich zu traditionellen Bauweisen wiederum viel wirtschaftlicher war. Insofern kann das Projekt Norra Tornen als Vorbild für andere Projekte dienen“, so der Architekt. Die Rippenstruktur der Fassadenelemente wurde mithilfe elastischer Strukturmatrizen des deut- schen Unternehmens Reckli GmbH, Herne, in die Betonoberfläche geprägt. Eine Standard-Aus- führung der Matrize wurde nach den Vorgaben der Architekten individuell angepasst: Anhand von Zeichnungen, die die Abstände zwischen den einzelnen Rippen, Winkel und Tiefe der Aus- sparungen genau definieren, wurde ein Positiv- modell aus Holz gefertigt. Auf dem Modell wurden die Strukturmatrizen gegos- sen, mit denen der Betonverarbeiter in Schweden 1.400 Betonelemente für den ersten Turm fertigte. Für den kleineren Zwillingsturm wurden 1.300 Elemente produziert. 1 / 2021 punktum.betonbauteile 13
Branche im Blick Dänischer Sandstein sorgt für die sandbraune Farbe des Betons. Die Anreicherung mit kleinem Gestein gibt ihm das Aussehen von Waschbeton. Die Matrizen wurden im Werk auf die Schalun- gen geklebt, dann wurde der Beton eingegossen. Nach dem Aushärten lassen sie sich problemlos vom Beton abziehen und die Struktur wird sicht- bar. Für die polierte Optik der Betonoberfläche wurden die Elemente nach dem Entschalen mit einem Diamantschleifer poliert, bevor sie ihren Platz an der Fassade fanden. 1. Die heterogene Form und rau-elegante Außen- haut der Türme sind Ausdruck von de Graafs Anspruch, mit der gewohnten Uniformität und homogenen Fassadengestaltung bei Hochhäu- sern zu brechen. Die Rippen-Optik widerspricht gängigen Erwartungen und fesselt den Blick an das Gebäude. So dient die Fassade nicht nur als optische Vervollständigung des Entwurfs, son- dern als Botschafter: Sinnbild für die Individuali- tät, die sich in den Wohneinheiten verbirgt. Internationaler Hochhaus Preis Der International Highrise Award ist eine Aus- zeichnung, die seit 2003 von der Stadt Frankfurt am Main verliehen wird. Der Preis ist mit 50.000 € dotiert und wird im Zweijahresrhythmus ausge- 2. lobt. Prämiert werden aktuelle Projekte auf der ganzen Welt, die sich durch zukunftsweisende Gestaltung, Funktionalität, innovative Bautechnik, städtebauliche Einbindung, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit auszeichnen. Zugelassen sind neu errichtete Hochhäuser, die mindestens 100 m hoch sind. Organisator des Auswahlverfahrens ist das Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt, finanzieller Träger ist die DekaBank, Frankfurt. Die wechselnde Jury besteht aus vier ausge- wählten, international renommierten Architekten, Ingenieuren oder Architekturkritikern sowie je einem Vertreter der DekaBank, der Stadt Frank- furt und des DAM. 1. Die Rippenstruktur der Fassadenelemente wurde mithilfe elastischer Strukturmatrizen erstellt. 2. Architekt Reinier de Graaf vom Office for Metropolitan Architecture, Rotterdam. 3. Die vorgefertigten Betonelemente wurden versetzt angebracht. So entstanden großzügige Fensterfronten und geschützte Balkone. 3. © Anders Bobert 14
POSITION. Zukunftsgerecht bauen mit Betonfertigteilen Zukunftsgerechtes Bauen mit Beton verfolgt das Ziel, den nachfolgenden Generationen eine intakte und lebenswerte Umwelt zur Verfügung zu stellen. Um dies zu erreichen, dürfen die natürlichen Lebens- grundlagen nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden. Gleichzeitig ist es erforderlich, durch maßvolle Veränderung der gebauten Umwelt dem offensichtlichen Bedürfniswandel – zum Beispiel durch demographische Entwicklung, Klimawandel, gestiegene Mobilität und die Nachfrage nach erneuerbaren Energien – Rechnung zu tragen. Moderne Gebäude sollen klimagerecht, wirt- Sinne des Werterhalts hohe Ansprüche an die schaftlich, von hoher Qualität und lange nutzbar Flexibilität eines Bauwerkes gestellt. Das bedeu- sein. Sie sollen ihren Nutzern ein gesundes und tet, ein Gebäude ist genau dann langlebig und komfortables Umfeld bieten und dabei zahlreiche damit wirtschaftlich, wenn es dank einer mög- Schutz- und Sicherheitsansprüche erfüllen. Es ist lichst flexiblen Grundrissgestaltung gut und mit keineswegs einfach, zwischen diesen, teilweise geringem Ressourcenverbrauch an sich ändernde konkurrierenden, Zielen abzuwägen und eine Nutzungsanforderungen angepasst werden kann. zukunftsorientierte Entscheidung zu treffen. Aber Die Umnutzungsmöglichkeiten werden unter viele Eigenschaften sprechen hier für den Einsatz anderem durch die Beschaffenheit von Innen- von Betonfertigteilen: wänden, Trennwänden, die realisierbare Decken- spannweite oder Nutzlastreserven beeinflusst. • Betonfertigteile bieten einen guten Schall- und Brandschutz. Konkret bedeutet zukunftsgerechtes Bauen, • Das Bauen mit Betonfertigteilen spart Zeit und dass neben den ökologischen Betrachtungen Ressourcen auf der Baustelle. eine gesellschaftliche Akzeptanz des Bauwerkes erreicht werden muss. Wirtschaftliche Anforde- • Die Vorfertigung im Werk garantiert eine hohe rungen sind sowohl bei der Errichtung als auch im Qualität und Maßgenauigkeit. Betrieb zu betrachten und zugleich ist der Res- • Betonfertigteile sind langlebig und dauerhaft, sourcenverbrauch insgesamt auf das notwendige der Unterhaltungs- und Reinigungsaufwand Mindestmaß zu beschränken. vergleichsweise gering. • Optimierte Bauteilquerschnitte und hohe Beton- Diese Ansätze zeigen, dass es nicht ausreicht, festigkeiten reduzieren den Materialeinsatz. lediglich auf eine umweltverträgliche Herstellung der eingesetzten Baumaterialien zu achten. Viel- • Große realisierbare Deckenspannweiten ermög- mehr muss jedes Bauwerk über seinen Lebens- lichen eine stützenfreie und flexible Grundriss- zyklus hinweg betrachtet werden. Gleichzeitig gestaltung. wird deutlich, dass es vor allem um die beste Lösung für eine konkrete Bauaufgabe geht. Statt Die beste Lösung finden schematischer Vergleiche auf der Basis weniger ökologischer Baustoffparameter, ist die mate- Für die Erreichung einer langen Nutzungsdauer rialgerechte Verwendung von Baustoffen die müssen zunächst die gewählten Baustoffe und wesentliche Grundlage für den Bau zukunftsge- die Baukonstruktion möglichst dauerhaft sein. rechter Gebäude. Aber auch das gestalterische Potenzial des Baustoffs, die ästhetische Qualität des Bauwer- Hier sind Bauwerke aus Beton aufgrund der kes und mögliche Systemreserven zur Erfüllung natürlichen Dauerhaftigkeit des Baustoffes, künftiger bauphysikalischer Anforderungen sind vorteilhafter statisch-konstruktiver und bau- wichtige Faktoren. physikalischer Eigenschaften und vielfältiger gestalterischer Möglichkeiten eine sinnvolle und Durch die immer raschere Veränderung von wirtschaftliche Wahl. Lebens- und Nutzungsgewohnheiten werden im 1 / 2021 punktum.betonbauteile 15
Branche im Blick FAKTENCHECK WOHNUNGSBAU IN DEUTSCHLAND 19 20 I T KE Beda T IG 400.000 Wo T Ä U BA +4% +4% +2% +2% Bedarf Bedarf 360.600genehmigte 360.600 genehmigte 293.000fertig 293.000 ferti 400.000Wohnungen 400.000 Wohnungen Wohnungen Wohnungen Wohnun Wohnun WOHNFLÄCHE MIETEN Schnell bezahlbaren und qualitätsvollen Wohnraum Ø Wohnfläche zu schaffen, bleibt auch in je Wohnung 2019 € diesem Jahr eine der größ- ten Herausforderungen für 91,9 m2 unsere Gesellschaft. Insbe- 6,4 Mio. Ø Mietpreis sondere in Großstädten und Ballungsräumen fehlt es Menschen 6,61 €/m2 weiterhin an Wohnungen. Ø Pro-Kopf- lebten 2019 in 2018 Zwar ist die Bauwirtschaft Wohnfläche 2020 Deutschland in in 2020 relativ gut durch die 48,8 m² überbelegten 7,68 €/m2 Corona-Krise gekommen 2020 Wohnungen und konnte nahezu unge- hindert auf den Baustellen weiterarbeiten, dennoch lagen nach Schätzungen der Branchenexperten die BAULAND € Fertigstellungen erneut hinter dem Bedarf von rund 400.000 Wohnungen pro Jahr. Ø Kosten für Bauland Die nebenstehenden Daten 122,00 €/m2 vom Statistischen Bundes- 2009 amt zum Thema Bauen und Ø Kaufwerte für Wohnen geben einen Über- blick über den Status Quo baureifes Land 2019 189,78 €/m2 in €/m2 2019 in Deutschland. 49 bis unter 90 90 bis unter 186 186 bis unter 730 730 bis 1243 1243 bis 1330 16
Fertigstellungen nach Gebäudeart NA FER +0,6% +4%C+0,4% H TIGS +2% -2,8% GE T arf 360.600 genehmigteB E293.000 LL fertiggestellte Fertigstellungen ohnungen nach Gebäudeart Mehrfamilien- Fertigstellungen nach Wohnungen Ä Einfamilien- U Gebäudeart Zweifamilien- UWohnungen häuser D häuser häuser EA NGE RT N 20 19 % +0,6% +0,6% +0,4% +0,4%-2,8% -2,8% ggestellte Mehrfamilien- Einfamilien- Zweifamilien- ngen Mehrfamilien- Einfamilien- Zweifamilien- häuserhäuser häuserhäuser häuserhäuser FERTIGSTELLUNGEN UND BAUÜBERHANG in Tausend 1200 Fertiggestellte 740 Wohnungen 1000 606 653 523 Genehmigte, 800 470 aber noch 470 443 nicht gebaute 399 600 365 Wohnungen 323 334 insgesamt 400 (Bauüberhang) 285 287 293 200 245 248 278 159 160 183 200 215 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Quelle: Statistisches Bundesamt WOHNKOSTEN 26 % ihres verfügbaren Einkommens gaben die Menschen in Deutsch- € land in 2019 im Durchschnitt für Wohnen aus. Bei armutsgefährdeten Haushalten lag dieser Anteil sogar bei 49 %. 14 % der Deutschen lebten im Jahr 2019 in durch ihre Wohnkosten überlasteten Haushalten. Das sind rund 1,4 Mio. Menschen. Eine Überbelastung liegt dann vor, wenn ein Haushalt mehr als 40 % seines verfügbaren Einkommens für Wohnen ausgibt. 1 / 2021 punktum.betonbauteile 17
Branche im Blick VDZ-Roadmap Deutsche Zementindustrie auf dem Weg in eine CO2-freie Zukunft Der Verein Deutscher Zementwerke (VDZ) hat im November 2020 die neue Studie „Dekarbonisierung von Zement und Beton – Minderungspfade und Handlungsstrategien“ veröffentlicht. Sie zeigt, wie die Trans- formation der Zementindustrie in eine klimaneutrale Zukunft vollzogen werden kann. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen, dem beziehungsweise seinem Vorprodukt Zement- European Green Deal und auch der Klimapolitik in klinker entstehenden CO2 auf rohstoffbedingte Deutschland haben wir uns das Ziel gesetzt, bis Prozessemissionen aus der Entsäuerung des zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts klimaneutral Kalksteins und nur rund ein Drittel auf energie- zu werden. Die dafür notwendigen Veränderun- bedingte CO2-Emissionen aus dem Einsatz der gen betreffen alle Bereiche der Gesellschaft. Auch Brennstoffe entfallen. Mit der Studie „Dekarbo- an die Zementindustrie mit ihren vergleichsweise nisierung von Zement und Beton – Minderungs- hohen Emissionen wird zu Recht die Erwartung pfade und Handlungsstrategien“ liefert der VDZ gestellt, Lösungen zu entwickeln und Wege auf- erstmals eine CO2-Roadmap für die deutsche zuzeigen, wie die Branche ihren CO2-Fußabdruck Zementindustrie. bis 2050 möglichst auf Null senken kann. Neben den rein technischen Fragestellungen Die deutsche Zementindustrie hat in den vergan- identifiziert die Studie auch externe Voraus- genen Jahrzehnten bereits umfangreiche Klima- setzungen für eine erforderliche tiefgreifende schutzmaßnahmen ergriffen. Seit 1990 konn- Transformation der Zementindustrie und skiz- ten so die CO2-Emissionen um etwa ein Viertel ziert konkrete Handlungsfelder für die Zukunft. reduziert werden. Anhand von zwei Dekarboni- „Für die verbleibenden CO2-Emissionen, die nicht sierungspfaden zeigt die Studie auf, welche CO2- anders gemindert werden können, stellt die Einsparungen entlang der Wertschöpfungskette CO2-Abscheidung aus heutiger Sicht die ein- von Zement und Beton bis zum Jahr 2050 insge- zige Lösung dar“, hebt Dr. Martin Schneider, samt erreicht werden können. Mit konventionel- VDZ-Hauptgeschäftsführer, hervor. Ziel muss es len Minderungsmaßnahmen und ambitioniertem langfristig sein, dieses CO2 zu nutzen, indem es in Handeln („ambitioniertes Referenzszenario“) andere Stoffe und Produkte umgewandelt wird. würde es bis 2050 gelingen, die CO2-Emissionen Für eine Übergangszeit wird sich aber auch die um 36 % gegenüber 2019 zu verringern (-50 % Frage stellen, in welchem Maße CO2 gespeichert gegenüber 1990). Insofern müssten für eine volle werden kann. Klimaneutralität komplett neue Wege in der Her- stellung des Zements und seiner Anwendung im Die CO2-Roadmap macht deutlich, dass der Beton gegangen werden. Anspruch einer klimaneutralen Industrieproduk- tion eine völlig neue Herangehensweise an die Denn mit heute verfügbaren Verfahren ist eine Produktion und die Wertschöpfung erfordert. vollständige Dekarbonisierung von Zement und Beton nicht erreichbar. Hintergrund ist, dass rund Die Studie ist unter www.bit.ly/34eJtQz Voraussetzungen undHerstellung zwei Drittel des bei der Handlungsfelder für Klimaneutralität von Zement verfügbar. Verfügbarkeit Geeignete Rahmen für Märkte für Konsens über erneuerbarer Infrastruktur für Wettbewerbs- zunehmend Technologiemix der Energien und CO2-Transport fähigkeit und CO2-freie Zemente Zukunft Stromnetze Innovation und Betone Voraussetzungen und Handlungsfelder für Klimaneutralität. 18
Szenario Klimaneutralität – CO2-Minderung bis 2050 in Mio. t CO2 Prozessemissionen Reduktion 25 - 100 %* -1,0 20 -2,2 -3,8 6,8 15 -0,2 -0,9 -10,4 10 13,2 5 -1,5 -2,2 -1,6 0 Emissionen Baunachfrage Klinker Zement Beton Bau CCUS** Recarbona- Emissionen 2019 tisierung 2050 BECCS -5 Quelle: VDZ Die VDZ-Studie beschreibt Pfade zur Minde- Die Grafik zeigt den CO2-Minderungspfad im Sze- rung direkter CO2-Emissionen für die deutsche nario Klimaneutralität bis 2050. Die CO2-Reduk- Zementindustrie und die gesamte Wertschöp- tion in den Bereichen Klinker, Zement, Beton, Bau fungskette Zement und Beton. Das „ambitionierte (-7,1 Mio. t CO2, rund 36 % gegenüber dem Sta- Referenzszenario“ basiert im Kern auf dem Ein- tus quo im Jahr 2019) setzt unter anderen auf satz heute verfügbarer CO2-Minderungstechno- • die deutliche Steigerung der thermischen Effi- logien und legt sehr anspruchsvolle Annahmen zienz und des Einsatzes biomassehaltiger alter- zugrunde. Es ist kein „business-as-usual“-Pfad. nativer Brennstoffe bei der Klinker-/Zementher- stellung, Das „Szenario Klimaneutralität“ geht noch einmal darüber hinaus und stößt damit an die Grenzen • Einsatz von Wasserstoff als Energieträger, des aus heutiger Sicht technisch Machbaren. Es • den breiten Einsatz von CO2-effizienten setzt zusätzlich auf die Anwendung von Break- CEM II/C-Zementen (Klinkeranteil 50 bis 65 %), through-Technologien. In diesem Szenario kommt auch die Abscheidung von CO2 und dessen • die Markteinführung von CEM VI-Zementen anschließende Nutzung und Speicherung (CCUS) (Klinkeranteile 35 bis 50 %), zum Einsatz. Die Anwendung von CCUS soll auf • durch betontechnologische Maßnahmen CO2- diejenigen CO2-Mengen beschränkt werden, die optimierter Beton, auf anderem Wege nicht gemindert werden kön- nen. Weitere nicht direkt beeinflussbare externe • differenzierter Betoneinsatz nach dem jeweili- Effekte sind die natürliche Recarbonatisierung, gen Anwendungsfeld, d. h. die CO2-Aufnahme durch den Beton sowie • ressourceneffiziente Bauteile, ein leichter Rückgang der Baunachfrage. • Nutzung thermischer Vorteile von Beton in der Nutzungsphase von Gebäuden. 1 / 2021 punktum.betonbauteile 19
Branche im Blick DWA-Umfrage Aktuelle Ergebnisse über den Zustand der Kanalisation in Deutschland Im Abstand von etwa drei Jahren veröffentlicht die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) die Ergebnisse der Umfrage zum Zustand der Kanalisation in Deutschland. Die Daten- basis der Umfrage bildet die Erhebung von 423 Kommunen unterschiedlicher Größenordnung. Hoch- gerechnet auf die Gesamtheit des etwa 594.000 km langen öffentlichen Kanalnetzes ergibt sich somit ein repräsentativer Anteil von 21 % der Kanalisation in Deutschland. Zustand der Abwassernetze in Zahlen Die Ergebnisse der aktuellen DWA-Umfrage verschlechterung (bezogen auf den Teilnehmer- ( www.bit.ly/2YDMcAd) verdeutlichen, dass kreis). Hochgerechnet auf das gesamte Netz in 24,7 % aller Kanäle einen sofortigen bis mittel- Deutschland ist jedoch die geringfügige Ten- fristigen Sanierungsbedarf aufweisen. Für 34 % denz einer Zustandsverbesserung im Bereich der der Kanäle wurde ermittelt, dass sie langfris- Schäden mit sofortigem bis kurzfristigem Hand- tig für Sanierungsmaßnahmen relevant wer- lungsbedarf erkennbar. Eine Kehrtwende lässt den könnten. Weitere 22,7 % sind schadenfrei, dagegen weiterhin auf sich warten. Zudem tra- während 18,6 % aller Kanäle noch unbewertet gen andauernde Bewertungslücken von Netzen sind, sodass der jeweilige Zustand nicht bekannt nicht positiv zur Entwicklung einer strategischen ist. Gegenüber den Ergebnissen der bisherigen Sanierungsplanung bei. Befragungen zeigt sich damit eine Zustands- 100 % 18,6 % 24,8 % ZK unbewertet 80 % ZK schadensfrei 22,7 % ZK 4 26,9 % 60 % ZK 3 18,4 % ZK 2 40 % 17,7 % 15,6 % ZK0-1 11,9 % Grafiken © KA Korrespondenz Abwasser, Abfall · 2020 (67) · Nr. 12 20 % 14,3 % ∑ = 24,7 % 11,0 % 9,6 % ∑ = 18,7 % ∑ = 19,4 % 10,4 % 7,7 % 9,8 % 0% Umfrage Gesamt Hochrechnung Deutschland Hochrechnung Deutschland (2013) n = 239 - - ∑ = 91 709 km ∑ = 594 321 km ∑ = 575 580 km Zustandsklassenverteilung (ZK) – Anteil Befragungsteilnehmer sowie Hochrechnung auf Deutschland. 20
Sichtbarer Boden oder Hohlraum Sonstige Schäden 3,5 % 2,7 % Poröses Rohr 1,3 % Verformung 2,3 % Zuordnung von Schäden zu Rohr Schadhafte Reparaturen 1,2 % material und Altersverteilung nicht Rissbildung möglich Verbindungen 25,7 % (Verschoben, Dichtung einragend) Die Schadensstatistik verdeutlicht die unter- 18,6 % schiedlichen Schadensarten und deren prozen- tuale Häufigkeit. Hier zeigen sich unter anderem einragende oder schadhafte Anschlüsse (27,3 %), Rissbildungen (25,7 %), verschobene oder ein- ragende Dichtungen (18,6 %) auf den ersten drei Rohrbruch/Einsturz Plätzen. Eine Zuordnung zum jeweiligen Rohr- 4,3 % werkstoff bleibt aus, sodass keine Rückschlüsse Einragender oder zwischen Schadensart und Rohrmaterial mög- schadhafter Anschluss Oberflächenschäden lich sind. Dies wäre jedoch wünschenswert, um 27,3 % 13,1 % Behauptungen hinsichtlich möglicher Schäden an Beton- und Stahlbetonrohren aus dem Weg Schadensverteilung zur baulichen Struktur der Kanäle. zu räumen. Zum Verständnis ist zwingend zu erwähnen, dass sich die aktuellen Zustandser- gebnisse auf alte wie neue Kanäle beziehen und Erhöhter Investitions- und Sanie- sodann in einer Schadensstatistik vermischt wer- rungsbedarf den. Hier wäre neben der Zuordnung zum jewei- ligen Rohrwerkstoff ebenso eine Unterteilung in Die Zustandsverteilung sowie die jährlich sanier- Altersdekaden sinnvoll, da Beton aus den 1960er ten Kanalnetzkilometer (1 %) lassen auf unzurei- und 1970er Jahren mit dem heutigen Hightech- chende Investitionen in die unterirdische Abwas- Werkstoff nicht vergleichbar ist. Zudem ist die serinfrastruktur schließen. Erfahrungsgemäß Einbauqualität maßgeblich gestiegen und im liegt die mittlere Abschreibungsdauer bei 60 bis Zusammenspiel mit den standardisierten Quali- 80 Jahren, sodass bei alleiniger Betrachtung der tätssicherungsmaßnahmen wird eine Langlebig- Sanierungsrate die ergriffenen Maßnahmen nicht keit der Kanäle garantiert. ausreichend sind. Hier bedarf es der gezielten Erhöhung von Investitionen, die wiederum mit einer Erhöhung finanzieller Mittel zusammen- Mehr als ein Drittel aller Kanäle in hängt. Dies spiegelt sich in der Aussage wider, Deutschland ist aus Beton/Stahlbeton dass 60 % der Befragten eine solche Erhöhung für erforderlich halten, um dem Sanierungsbedarf Mit Blick auf die Materialverteilung zeigt sich mittel- und langfristig gerecht zu werden. Anstatt erfreulicherweise, dass weiterhin Vertrauen in die eine Vielzahl an Schäden durch kurzfristig ausge- altbewährten, robusten und langlebigen Werk- richtete Reparaturmaßnahmen zu „heilen“, sollte stoffe Beton/Stahlbeton und Steinzeug gesetzt vielmehr der Fokus auf eine gezielte Erhöhung wird. Diese bilden mit 30,8 % (Steinzeug) und der Erneuerungsrate gesetzt werden. So wird das 39,3 % (Beton/Stahlbeton) in Summe die deut- Kanalnetzt auf lange Sicht verbessert und die liche Mehrheit des gesamten Kanalnetzes in Kommunen haben länger Ruhe vor wiederkeh- Deutschland ab. Kunststoff stellt hingegen einen rendem Sanierungsbedarf. Und genau hierfür ist durchschnittlichen Anteil von 17,7 % der öffent- die längst überfällige Erhöhung der finanziellen lichen Kanalisation dar, wobei sich ein starkes Aufwendungen dringend einzusetzen. Gefälle von kleinen Kommunen mit erhöhtem Anteil hin zu großen Kommunen mit prozentua- Fazit lem Anteil bis 5 % zeigt. Die Entscheidung für die Erneuerung einer Kanalhaltung wird bei einem Beton und Stahlbeton leisten bereits seit Jahr- Viertel aller Sanierungsmaßnahmen getroffen. zehnten einen wesentlichen Beitrag zur Aufrecht- Kostengünstige und im Hinblick auf den Lebens- erhaltung und zukunftsgerichteten Substanz- zyklus von Kanälen zeitlich kurzfristig ausgerich- werterhaltung der öffentlichen Infrastruktur. Es ist tete Reparaturmaßnahmen stellen den größten wichtig, dass sich endlich die Erkenntnis durch- Anteil mit 51 % dar. Einer nachhaltigen und subs- setzt, dass Werkstoff- und Einbauqualität ver- tanzwertorientierten Sanierungsstrategie kann gangener Jahrzehnte mit dem heutigen Hightech- dies nicht gerecht werden. Werkstoff Beton nichts zu tun haben und wir mit aktuellen Erkenntnissen in Bezug auf Betontech- nologie, Normung, Überwachung und Gütesiche- rung die besten Rahmenbedingungen besitzen, langlebige, natürliche und recycelbare Produkte für die Abwasserentsorgung zu fertigen. 1 / 2021 punktum.betonbauteile 21
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