REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe

Die Seite wird erstellt Niklas Bender
 
WEITER LESEN
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
REPORT  Magazin der Handwerkskammer Karlsruhe      2020/2021
REPORT | Magazin der Handwerkskammer Karlsruhe 2020/2021

                                                           Bambi    Dachdeckermeisterin Marisa Braig       Smart City Karlsruhe
                                                           Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble   „Carl“ – erstes Holz-Hochhaus
                                                           in Pforzheim      Digitalisierung im Handwerk           Firmenporträts
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Claudia Ziegler
                                                  Friseurin

    Endlich was
    Anständiges
    lernen?

    WWW.HWK-KARLSRUHE.DE                    HANDWERK.DE
2      report | Handwerkskammer Karslruhe
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Joachim Wohlfeil, Präsident, und
                                                                     Gerd Lutz, Hauptgeschäfts­führer der
                                                                           Hand­werks­­­kammer Karlsruhe.

                                                                         Liebe Leserinnen
                                                                         und Leser                                   des Report 2020/21

                                   ONLINE-MAGAZIN                        Anfang des Jahres 2020 haben wir uns im Redaktionsteam zusammengesetzt, um die The-
                                        Mehr Infos, Texte,               men für das Magazin der Handwerkskammer Karlsruhe zu besprechen. Der ökonomische
                                      Fotos und Filme zu                 Hintergrund zu diesem Zeitpunkt war vielversprechend: Die mehr als 19.000 Mitglieds-
                                  den einzelnen Themen                   betriebe der Handwerkskammer Karlsruhe hatten im Jahr 2019 mit ihren Produkten und
                                     von REPORT gibt es                  Dienstleistungen ein Umsatzvolumen von circa 13,6 Milliarden Euro erwirtschaftet, die
                                       in unserem neuen                  Beschäftigungssituation war stabil, fehlende Fachkräfte verhinderten teilweise sogar weitere
                                   Online-Magazin unter:                 Zuwächse. Auf der Jahrespressekonferenz 2020 gingen wir von einem Umsatzplus von 3,5
                             www.hwk-karlsruhe.de/report                 Prozent für das laufende Jahr aus.

                                                                         Mit der fortschreitenden Verbreitung des Corona-Virus, der teilweise Komplettschließung
                                                                         vieler Unternehmen und den daraus resultierenden Folgen haben sich die zuversichtlichen
                                                                         Prognosen des Jahresanfangs in Luft aufgelöst. Fast die Hälfte aller Betriebe im Bezirk der
                                                                         Handwerkskammer Karlsruhe musste nach staatlichen Liquiditätshilfen rufen. Die dazu not-
                                                                         wendigen Antragsverfahren wurden von den Teams der Handwerkskammer Karlsruhe rund
                                                                         um die Uhr bearbeitet. Bei der Veröffentlichung des aktuellen Report 2020/21 kann von
                                                                         „Business as usual“ also keinesfalls die Rede sein. Die Konsequenzen der Pandemie sind
                              QR-Code mit dem Mobiltelefon mit           spürbar, die Digitalisierung wird eine neue Dynamik erhalten. Die Struktur der Wirtschaft
                              entsprechender Gratissoftware/App          wird sich verändern.
                          abfotografieren. Sie werden automatisch
                           zu den hinterlegten Inhalten gesteuert.       Für das regionale Handwerk ist dies auch eine Entwicklungs- und Gestaltungschance. Durch
                                                                         nachhaltiges Wirtschaften, kombiniert mit moderner Technologie und Kundennähe, öffnen
                                                                         sich neue Perspektiven für die Zukunft. Die Handwerkskammer Karlsruhe unterstützt ihre
                                                                         Mitgliedsbetriebe auf diesem Weg.

                                                                         Wir wünschen, mit einem positiven Blick auf die kommenden Jahre, bei der Lektüre des
                                                                         Report 2020/21 viel Freude.

                                                                         Joachim Wohlfeil					                                           Gerd Lutz
Titelfoto: Michael Bode

                                                                                                                                           report | Handwerkskammer Karslruhe   3
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Inhalt

     „Urban Mining“                                       3   Editorial

                                                          6   Vernetzt in der Zeitkapsel – die Restauratoren
                                                              des ZKM Karlsruhe
     Professor Stefan Balkenhol
                                                         10   Bambi: Vom Hardtwald auf den Roten Teppich

                                                         14   Interview mit dem Bundestagspräsidenten
                                                              Wolfgang Schäuble

                                                         16   Notizen aus der Handwerkskammer:
                                                              Höhepunkte 2019 und 2020

                                                         17   Vollversammlung der Handwerkskammer
                                                              Karlsruhe

                                                         18   Firmenporträt: Böhm-Hörakustik

                                                         20   Kammerstruktur: Mehr als 19.300
                                                              Handwerksbetriebe im Kammerbezirk

                                                         22   „Urban Mining“ und Kreislaufwirtschaft:
                                                              Das Bauen der Zukunft

                                                         26   Ausbildungs-Bilanz 2019

                                                         27   Imagekampagne des Handwerks

                                                         28   Firmenporträt: Eisdiele „Eis-Oma“

                                         Restauratoren

4   report | Handwerkskammer Karslruhe
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Bambi –
                                                                                                         das Original

 30          Batterie gegen Oberleitung –
             Das Pilotprojekt „eWayBW“

 34          Firmenporträt: Glaserei Sand

 36          Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung

 38          „Smart City“ – Auf dem Weg                                                                  Bundestagspräsident
             zur „schlauen Stadt“                                                                        Wolfgang Schäuble

 42          Erstes Holzhochhaus in Pforzheim

 46          Interview mit der Dachdeckerin Marisa Braig

 50          Firmenporträt: Schreinerei Neumayer & Feller

 52          Radeln ohne Grenzen im Pamina-Raum

 56          Qualifizierungsangebote im Handwerk
             mit neuen Lernformaten

 57          Handwerk zum Ausprobieren für Schülerinnen
             und Schüler

 58          Organigramm und Impressum

 60          Im Gespräch: Professor Stephan Balkenhol                                                                          „Carl“ – Pforzheim
             mit dem Präsidenten der Handwerkskammer
             Karlsruhe, Joachim Wohlfeil

Fotos: Zooey Braun, Peter Sandbiller, Majolika, Thomas Imo/photothek.net, Peter W. Schmidt Architekten                          report | Handwerkskammer Karslruhe   5
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Vernetzt in der Zeitkapsel
    Die Restauratoren des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe erhalten und
    dokumentieren mehr als 8.000 Werke verschiedenster Stilrichtungen des 20. und 21. Jahrhunderts

    H      enrike Mall bringt es auf den Punkt: „Es gibt nichts, was wir
           nicht machen!“ Laien mag diese Definition des Restauratoren-
    spektrums am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe
                                                                            mentiert und gepflegt – Stichwort Schädlingsbekämpfung – werden.
                                                                            Rund 8.000 Kunstwerke umfasst allein die eigene Sammlung des
                                                                            ZKM. Zum Vergleich: Auch das berühmte Amsterdamer „Rijksmuse-
    zunächst verblüffen, im Gespräch mit der 41-jährigen Leiterin Restau-   um” stellt 8.000 Exponate aus.
    rierung im Bereich Museums- und Ausstellungstechnik erweist sie
    sich eher als Untertreibung. Wie geht man mit einem Kunstwerk um,       „Kunst statt Konto“
    das hauptsächlich aus Torf besteht? Welches Raumklima bevorzugen
    lebende Hühner, welche Betreuung auswärtige Kunst aus Leihgaben         Die To-do-Liste der ausgebildeten Gemälderestauratorin, die im ZKM
    anderer Häuser? Wie müssen Reinigungskräfte, Sicherheitsleute und       vor allem im analogen Bereich arbeitet, ist noch längst nicht vollstän-
    Techniker auf die durchschnittlich zehn Ausstellungen pro Jahr vorbe-   dig. „Eigentlich wollte ich ja mehr mit den Händen arbeiten“, verrät
    reitet werden, wie lassen sich noch nicht real existierende Kunst-      sie, aber nach achtjähriger Erfahrung als Projektleiterin im ZKM schien
    werke umsetzen? Die in Depots lagernden Werke müssen doku-              die Übernahme der Abteilung nur konsequent. „Handarbeit“ war aller-

6     report | Handwerkskammer Karslruhe
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Auch beim ZKM ist Restauration noch immer viel Handarbeit.

dings erst kürzlich gefragt, als die Rahmung eines großen Triptichons   Diese Einstellung kann Margit Rosen nur unterstreichen: Das rund
von Markus Lüpertz anstand. „Learning by doing“, beschreibt sie ihre    zwölfköpfige „Kernteam“ der 2018 unter ihrer Leitung gegründeten
eigene Vorgehensweise, die sie auch ihren Volontärinnen und Volo-       Abteilung „Wissen“ mit ihrer Bündelung von zeitgenössischer Kunst,
ntären empfiehlt. Im Gegensatz zu Kunsthistorikern haben Restaura-      Medien- und Videokunst hat ständig den „Horizont des Machbar-
toren nach Studium und Volontariat gute Chancen auf dem kulturrel-      en“ im Blick. Die 1974 geborene Kunsthistorikerin mit Nebenfach
len Arbeitsmarkt – vor allem mit ZKM-Vorlauf! Wer im international      Medienkunst steht – wie viele ihrer Kolleginnen – an der Schnitt-
führenden Haus für Kunst und Medien ausgebildet wurde, hat nicht        stelle analoger und digitaler Welten. Amüsiert verfolgt sie oft die
nur ein riesiges Themenspektrum, sondern auch mit vielen interna-       verblüfften Reaktionen von Schulkindern auf eine altmodische elek-
tional führenden Kunstschaffenden zu tun – beste Voraussetzun-          trische Schreibmaschine. „Wir retten Videosammlungen“, nennt Ros-
gen für erfolgreiches Networking! Trotz guter Auftragslage – Reich-     en einen wichtigen Aufgabenbereich. Viele Werke aus den Anfängen
tümer häuft ein Restaurator allerdings kaum an. „Kunst statt Konto“     der Videokunst wären bald verloren, würden sie nicht für das digitale
lautet die Devise, aber: „Langweilig wird es nie“, schwärmt Mall.       Zeitalter aufbereitet, zumal vieles auch gar nicht „für die Ewigkeit“,

                                                                                                                   report | Handwerkskammer Karslruhe   7
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Aber für digitale Kunst braucht es viele moderne Methoden.

    sondern event- oder festivalbezogen, geschaffen wurde. Neue Tech-      darin, die Originale am Leben zu erhalten, um sie der Nachwelt
    niken werden von Künstlern als Werkzeug und Herausforderung ver-       funktionsfähig zu präsentieren“, ergänzt IT-Spezialist Daniel Heiss.
    standen, wobei das ZKM in einer weltweit einzigartigen Kombination     Seit er im Jahr 2005 seine Tätigkeit beim ZKM begann, hat sich im
    sowohl Kunstschaffende als auch Kunstkonsumenten – vor allem der       Besucherverhalten einiges geändert, stellt er klar. Früher waren die
    Zukunft – unterstützt. „Wir sind in der Region gewachsen“, betont      Besucher der Ausstellungen viel ängstlicher, heute werden die inter-
    Rosen das unglaublich große Interesse von Schulen und anderen Bil-     aktiven Angebote so unbefangen genutzt, dass häufig Reparaturen
    dungseinrichtungen an ZKM-Angeboten. „Vor Corona“ waren es über        fällig werden. „Und manchmal hilft dann nur noch der 3D-Drucker
    100 Veranstaltungen im Jahr. Als besondere Herausforderung emp-        als Ersatzteillieferant bei Ausfällen.“ Die Beherrschung der „alten“
    findet sie – ebenso wie ihr Team – die Zusammenarbeit zwischen         Computersprachen wie Java gehört zu den Voraussetzung seiner
    Künstlern und Restauratoren. „Da braucht es oft viele Gespräche und    Tätigkeit – ebenso wie Kunstverständnis bei der interdisziplinären
    Diplomatie, um einen Künstler von der Notwendigkeit der Bearbei-       Zusammenarbeit der ZKM-Teams.
    tung zu überzeugen“, meint sie.
                                                                           „Wir sind hier wie in einer Zeitkapsel“, beschreibt Dorcas Müller ihr
    Klassiker der Computer-Kunst                                           Reich voller Videogeräte aus fünf Jahrzehnten sowie dutzender Re-
                                                                           gale voller Videokassetten, deren Magnetbänder zukunftsfit gemacht
    Was darf man machen, ohne die künstlerische Aussage zu ver-            werden müssen. Die Leiterin des Labors für antiquierte Videosys-
    fälschen? Diese Frage stellt sich Morgane Stricot häufig. Ebenso wie   teme hat an der benachbarten Hochschule für Gestaltung Medien-
    ihr Assistent Matthieu Vlaminck hat sie an der Kunsthochschule in      kunst studiert und hat als Videokünstlerin ein besonderes Gespür für
    Avignon studiert und betreut als Restauratorin für Medienkunst die     den Wert der Arbeiten, die hier digital aufbereitet werden. Manchmal
    ZKM-Sammlung. Die frühen Werke der 1960er bis 1990er Jahre sind        stößt sie auf wahre Schätze der Vergangenheit, wie etwa ein bis
    mit den Computern dieser Ära gealtert und müssen nun auf neuen         dahin in Vergessenheit geratenes Video von Yoko Ono und John
    Rechnern für die Zukunft bewahrt werden. „Unser Anspruch besteht       Lennon.

8     report | Handwerkskammer Karslruhe
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Meditation zu Licht und Klang

Als „hoch spannend“ – obwohl trotz der knapp 400 Lämpchen keine
Hochspannung im Spiel ist – empfindet Marlies Peller das Werk
eines Pioniers der elektronischen Kunst, das gerade auf der Aus-
stellungsebene von mehreren Technikern aufgebaut worden ist: Der
dem ZKM eng verbundene Walter Giers schuf 1978 mit „Lichtwöl-
bung“ ein mit 1,20 mal 1,20 Metern großes Objekt, in dem sich nach
Auffassung der Restauratorin Licht und Klang zu einem meditativen
Erlebnis – gesteuert von Zufallsgeneratoren – verbinden. Da es kei-
nen „Schaltplan“ im handwerklichen Sinn für das Werk gibt, prüft sie
zunächst die einzelnen Funktionen. „Dazu reichen meine Grundken-
ntnisse“, schmunzelt die Expertin für die Erhaltung zeitgenössischer
Kunst und moderner Materialien. „Zum Aufspüren komplizierter
Fehlerquellen bitte ich Kollegen dazu.“ Direkt neben der „Lichtwöl-
bung“ wartet die „Gebetsmühle“ mit abstrakten „Mönchsgesängen“
auf ihren Check-up. Rund 50 Arbeiten aus dem Nachlass des 2016
verstorbenen Künstlers wird Marlies Peller bis zur im Frühjahr 2021
geplanten „electronic art“-Ausstellung restaurieren. Durch Corona
ist der Zeitplan etwas durcheinandergekommen, aufgrund der Ver-
legung um rund ein halbes Jahr hat sie jetzt noch mehr Zeit, sich
intensiv mit Künstler und Oeuvre zu befassen. Der spannendste
Augenblick? „Wenn ich zum ersten Mal den Startknopf drücke oder
den entscheidenden Schalter umlege – und es klappt!“
                                                   Irene Schröder ¬

                                                                                        Neben Malerei beschäftigen
                                                                                        sich die ZKM-Fachleute auch
                                                                                        mit den Bändern jahrzehnter-
                                                                                        langer Videokunst.

Fotos: Peter Sandbiller, ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Uli Deck             report | Handwerkskammer Karslruhe   9
REPORT - Handwerkskammer Karlsruhe
Vom Hardtwald auf
     den Roten Teppich
     Bambi-Gala zwischen Karlsruhe und Baden-Baden

10    report | Handwerkskammer Karlsruhe
D     ie heutige Figur wiegt 2,5 Kilogramm, ist aus Bronze und mit
                                    18 Karat vergoldet. Das schillernde Rehkitz, das die Preisträ-
                              ger wie Schauspielerin Naomi Watts, Königin Mathilde von Belgien
                              oder Sängerin Sarah Connor stolz in die Kameras hielten, wird seit
                              1948 als Auszeichnung für kreatives Filmschaffen vergeben. Seit
                              mehr als 70 Jahren ist der „Bambi“ auch international ein Begriff.
                              Genau genommen seit fast 100 Jahren. Denn hier beginnt bereits
                              die Geschichte des berühmten Bambis, ohne die der Starrummel
                              um das goldene Reh heute nicht denkbar wäre.

                              „Bambi – Eine Lebensgeschichte aus dem Walde“

                              1923 erzählt der österreichische Schriftsteller Felix Salten die rüh-
                              rende Geschichte eines kleinen Rehs, das zunächst in der Obhut
                              seiner Mutter aufwächst und die Schönheiten und Gefahren des
                              Lebens kennenlernt. Das Buch „Bambi – Eine Lebensgeschichte
                              aus dem Walde“ wurde ein Bestseller. Bis heute wird es von ver-
                              schiedenen Verlagen immer wieder neu aufgelegt. Salten verkauf-
                              te später, bedingt durch die Wirren des Nationalsozialismus, die
                              Bambi-Filmrechte für gerade mal 1.000 Dollar an Walt Disney, der
                              daraus einen der berühmtesten Filme produzierte, der bis heute
                              Kinder und Erwachsene begeistert und zu Tränen rührt.

                              Erst 1950 lief „Bambi“ auch in deutschen Kinos. Eine Hörspiel-Pro-
                              duktion von Saltens literarischer Vorlage führt in die Stadt, in der
                              die glamouröse Verleihung vom letzten Herbst noch immer nach-
                              hallt: nach Baden-Baden. In einer aufwendigen Produktion, unter-
                              legt mit atmosphärischer Orchestermusik, hört man in der Audio-
                              Version das kleine Rehkitz im Gespräch mit seiner Mutter. Ge-
                              sprochen wurde das junge Reh von einem Jungen, der viele Jah-
                              re später selbst einen „Bambi“ erhielt und dessen Stimme zu den
Aus der Bambi-Vorlage         markantesten des deutschen Fernsehens wurde: vom damals zehn-
ist ein Top-Event mit stets   jährigen Frank Elstner.
viel Prominenz in der
Region geworden.

                                                                       report | Handwerkskammer Karslruhe   11
Erste „Bambi“-Gala findet in Karlsruhe statt

     In den Jahren des Wirtschaftswunders boomte die Filmbranche.
     Deutsche und amerikanische Kinofilme lagen im Trend. Das Inter-
     esse an Stars und Sternchen wuchs. In Karlsruhe erschienen Ma-
     gazine wie „Die Filmrevue“ oder „Die neue Filmwoche“. Deren in-
     novativer Verleger Karl Fritz hatte die Idee, einen Award für die be-
     liebtesten Filmstars zu kreieren. Bei einem Besuch in der Staat-
     lichen Majolika Manufaktur im Karlsruher Hardtwald gefiel ihm ein
     kleines Rehkitz, das schon damals ein Bestseller war, zigfach ver-
     schenkt wurde und als beliebtes Deko-Objekt in vielen deutschen
     Wohnzimmern landete. Die Figur stammte von der Heidelberger
     Bildhauerin Else Bach (1895-1951). Ihre Reh-Skulptur sollte der
     neue Filmpreis sein!

     Schauspielerin Marika Rökk war die erste, die den Preis bekam.
     Allerdings wurden in den Anfangsjahren die Preise noch nicht
     von Medienrummel begleitet vergeben, sondern sie wurden den
     Gewinnern nach Hause gebracht. Auf diese Weise soll das Reh-
     kitz als Filmtrophäe auch zu seinem Namen gekommen sein.
     „Das sieht ja aus wie das Bambi!“, soll die Tochter von Marika
     Rökk gerufen haben, als der Preis an ihre berühmte Mama über-
     geben wurde.

     Auch Weltstar Sophia Loren hat es schon auf den Bambi-Thron geschafft. 1962/63 übernahm der Burda-Verlag
     (im Bild unten links Verleger Hubert Burda mit seiner Frau Maria Furtwängler-Burda) „Bambi“ und realisierte seit
     1996 gemeinsam mit der ARD eine Live-Übertragung – dieses Konzept wird aktuell überdacht.

12      report | Handwerkskammer Karlsruhe
In Karlsruhe fand 1955 die erste große „Bambi“-Gala statt. Fast ein                                   Auch das Ur-Bambi in Keramik wird nach wie vor in der Staatlichen
Jahrzehnt lang kam die Crème-de-la-Crème des Films in die Fä-                                         Majolika Karlsruhe produziert. Die bronzene Burda-Figur wurde
cherstadt, um den „Bambi“ als ehrenvolle Auszeichnung zu emp-                                         übrigens mehrfach modifiziert, unter anderem 1958 von dem be-
fangen. Darunter waren Stars wie Sophia Loren, Heinz Rühmann,                                         kannten Karlsruher Bildhauer Emil Sutor, der auch den „Nackten
Rock Hudson, Brigitte Bardot und viele andere. Später wanderten                                       Mann“, der bis vor kurzem vor dem Wildpark stand, und das Wand-
die „Bambi“-Galas durch viele Städte: Berlin, München, Offenburg,                                     relief im Innenhof der Handwerkskammer Karlsruhe gestaltete.
Hamburg, Monaco oder Salzburg. Der Burda-Verlag hatte 1962 die                                        Mittlerweile hat sich das ursprünglich erdfarbene Nachkriegs-Bambi,
Rechte übernommen. 1998 – zum 50-jährigen Jubiläum des Bam-                                           das noch in vielen Haushalten zu finden ist, einem modernen
bi – wurde in einer Jubiläumsausgabe Karlsruhe noch einmal zur                                        Facelifting unterzogen und springt jetzt in Pink, Knallrot oder
„Filmstadt“. Ehrengast bei der glanzvollen Verleihung im Zentrum                                      Apfelgrün über die Theke. „Ist die Majolika auf den Hund gekom-
für Kunst und Medien (ZKM): die erste Preisträgerin Marika Rökk.                                      men?“, fragen sich derzeit viele, denn neuerdings wird in der
                                                                                                      Manufaktur erneut eine Filmtrophäe produziert: Für die interna-
„Karlina“ für die besten Filme                                                                        tionalen Filmfestspiele „Independent Days“ in Karlsruhe hat die
                                                                                                      Künstlerin Hannelore Langhans „Karlina“ geschaffen, einen quietsch-
Der Traum, dass die Bambi-Verleihung künftig in Baden-Baden statt-                                    fidelen Mops, der auf den Namen des Festival-Standorts Karlsruhe
findet, ist vorerst ausgeträumt. Hintergrund ist die Entscheidung                                     hinweist.
der ARD, die Live-Übertragung nicht fortzuführen. Die Veranstalter                                                                                   Ariane Lindemann ¬
müssen ihr Gesamtkonzept überdenken. Ob Baden-Baden dabei
als Austragungsort in Zukunft eine Rolle spielt, steht derzeit noch
in den Sternen. Die Marke „Bambi“ soll nach Aussage von Burda-
Medien jedoch weiterhin bestehen bleiben.

                                                                                                                                           majolika.de

                                                                                              Bambis gibt es mittlerweile auch in bunt und sie haben in
                                                                                              dem Mops „Karlina“ einen Weggefährten gefunden.

Fotos: Majolika, Dietmar Kup, Stadtarchiv Karlsruhe/8/BA Schlesiger A9/30/7/25, Eventpress Radke, Brauer Photos/G. Nitschke for               report | Handwerkskammer Karlsruhe   13
Hubert Burda Media, Brauer Photos/D. Beckmann for Hubert Burda Media
Handwerk als „Pfeiler
     des Mittelstandes“
     Was verbinden Sie persönlich mit Karlsruhe und seiner Region?           oder KFZ-Mechaniker verdrängt. An der Bedeutung des Handwerks
                                                                             als solchem ändert das nichts. Handwerk ist und bleibt ein Pfeiler
     Wolfgang Schäuble: Historisch die Rolle, die Karlsruhe bei der De-      des Mittelstands. Und mittelständische Betriebe sind Rückgrat und
     mokratisierung Deutschlands gespielt hat. Hier wurde mit dem            Motor unserer Wirtschaft.
     Ständehaus im 19. Jahrhundert immerhin das erste eigenständi-
     ge Parlamentsgebäude auf deutschem Boden errichtet! Die badi-           Sie sind ein überzeugter Europäer, kommt Europa aus Ihrer Sicht
     sche Verfassung von 1818 enthielt einen eigenen Grundrechtska-          auch dem Handwerk zugute?
     talog, was sie zu einer der freiheitlichsten und fortschrittlichsten
     ihrer Zeit machte. Nicht zuletzt deshalb ist Karlsruhe der Sitz un-     Schäuble: Natürlich. Alle wirtschaftlichen Sektoren profitieren von
     seres Verfassungsgerichts. Heute verbinde ich mit Karlsruhe auch        den Freiheiten des Binnenmarktes, auch das Handwerk. Gerade in
     Erfindungsreichtum und Innovationskraft. Wichtige Innovationen          Grenzregionen wird das deutlich – etwa durch die Ausweitung des
     gehen vom KIT und anderen Forschungsstätten in und um Karls-            potentiellen Kundenkreises. Ein Schneider aus Karlsruhe findet ne-
     ruhe aus. Die hier tätigen Wissenschaftler, Ingenieure und Techni-      ben heimischen Käufern auch Kunden aus Österreich oder Lu-
     ker machen die Gegend zu einem regionalen Kompetenzzentrum,             xemburg, ein Tankwart aus der Region profitiert von durchreisen-
     das für die Herausforderungen der Zukunft gut gerüstet ist. Nur         den Autofahrern aus Holland oder der Schweiz und ein Gerüst-
     fußballerisch gibt es noch immer Luft nach oben …                       bauer von hier kann Aufträge aus dem benachbarten Elsass über-
                                                                             nehmen, was nur möglich ist, weil und solange wir offene Gren-
     Wo liegen die Zukunftschancen der Technologieregion Karlsruhe           zen haben. Auch die übrigen Freiheiten wirken effizienzsteigernd.
     an der Grenze zu Frankreich?                                            Sie sichern den Wohlstand, den es ohne Europa nicht gäbe.

     Schäuble: Etwa im Bereich Bildung und Forschung, einem für die          Warum gibt es keine Alternative zu Europa?
     nachhaltige Sicherung unseres Wohlstands essentiellen Gebiet.
     Wissen ist unser wichtigster Rohstoff. Peter Sloterdijk, ein Karlsru-   Schäuble: Kein Nationalstaat, und sei er noch so groß, ist in der
     her, hat einmal moniert, Pädagogen würden übersehen, dass der           Lage, mit den globalen Problemen allein fertig zu werden. Das geht
     beste Lehrer der Rivale sei. Wettbewerb ist eben ein zentraler An-      nur gemeinsam, gerade in Krisenzeiten. Deshalb ist Europa trotz
     reiz zur Wissensmehrung. Karlsruhes Nähe zu Frankreich erweist          der Abstimmungsprobleme, die es anfänglich im Kampf gegen das
     sich deshalb als Standortvorteil für die hiesige Technologieregion      Corona-Virus gab, die beste Antwort auf all die Herausforderungen
     mit ihrem mittelständisch-handwerklichen Unterbau. Der Wettbe-          des 21. Jahrhunderts, die mit der Pandemie ja nicht geringer ge-
     werb mit dem Nachbarland stimuliert Forschung und Wirtschaft            worden sind. Unter den Bedingungen von Globalisierung und Di-
     hier wie dort. Noch besser: Aus der Konkurrenz ist vielfach längst      gitalisierung sind Staaten und Gesellschaften – ob sie es wollen
     eine Partnerschaft mit einem funktionierenden Wissenstransfer ge-       oder nicht – Teil eines weltumspannenden ökonomischen, politi-
     worden. Auch deshalb präsentiert sich der Oberrhein auf beiden          schen und ökologischen Geflechts. Die Pandemie zeigt zwar die
     Seiten der Grenze als technologisch florierende Landschaft. Jetzt       Schattenseite und die Verwundbarkeit dieses Systems, was teil-
     müssen wir alles dafür tun, dass dies auch nach der aktuellen Pan-      weise zum Umdenken bei weltweiten Lieferketten führt.
     demie mit ihren Auswirkungen gerade auf die Grenzregion so bleibt.
                                                                             Aber der globale Rahmen wird bleiben, und die EU bildet darin
     Wie schätzen Sie den Stellenwert des Handwerks – meist in mittel-       noch immer den größten Binnenmarkt, sie hat – selbst bei Austritt
     ständischen Unternehmen – in Deutschland ein?                           der Briten – politisches Gewicht. Die Krise müssen wir als Chan-
                                                                             ce zu neuer Dynamik in Europa nutzen, um bei der Industriepoli-
     Schäuble: „Handwerk hat goldenen Boden“, dieser Satz gilt weiter-       tik, bei Nachhaltigkeit und Digitalisierung unsere Wettbewerbsfä-
     hin. Natürlich mit Modifikationen. Die Welt wandelt sich, und Be-       higkeit gegenüber den anderen Playern wie den USA und China
     rufsprofile müssen sich veränderten Bedingungen anpassen. Der           zu erhalten und zu verbessern. Von jeder Investition in dieses Pro-
     Dreher von früher ist doch längst ebenso digital aufgerüstet wie        jekt profitieren letztlich auch Wirtschaft und Handwerk.
     der Mechatroniker, der vielerorts den klassischen Werkzeugmacher                                 Das Gespräch führte Horst Koppelstätter ¬

14      report | Handwerkskammer Karlsruhe
D A S             I N T E R V I E W

                                 REPORT sprach mit
                                 Bundestagspräsident
                                 Wolfgang Schäuble
                                 über die Technologie-
                                 region Karlsruhe,
                                 Forscher, Fußballer, die
                                 Chancen von Hand-
                                 werksberufen, die Nähe
                                 zu Frankreich und das
                                 Karlsruher Ständehaus
                                 im 19. Jahrhundert

Foto: Thomas Imo/photothek.net        report | Handwerkskammer Karlsruhe   15
Notizen aus der
     Handwerkskammer
     Veranstaltungshöhepunkte 2019 und 2020

     September 2019                                                         Januar 2020

     M       it „Karriere im Handwerk“ als zentralem Thema hat sich der
             „Tag des Handwerks 2019“ in Karlsruhe beschäftigt. Dabei
     standen die Ausbildungsberatung, die Last-Minute-Lehrstellenver-
                                                                            Bei großen Ausbildungsmessen in Karlsruhe und Pforzheim konnte sich
                                                                            die „Generation Z“, also Kinder und junge Erwachsene zwischen acht
                                                                            und 23 Jahren, über Ausbildungs- und Karrierechancen informieren.
     mittlung sowie Fort- und Weiterbildungsoptionen im Mittelpunkt. Die    Allein in Karlsruhe präsentierten sich mehr als 370 Unternehmen vor
     Kammer nutzte den „Tag des Handwerks“ auch, um ihre Ausbildungs-       fast 20.000 Messebesuchern. Das mehr als 300 Quadratmeter große
     botschafter – Schülerinnen und Schüler, die in Schulen über Berufs-    Handwerker-Areal informierte über 130 verschiedene Handwerksbe-
     wege informieren – mit einer Urkunde auszuzeichnen. Um „Unter-         rufe. Auch beim Neujahrsempfang der Handwerkskammer Karlsruhe
     nehmensstrategien 2025“ ging es bei „Handwerk im Gespräch“ in          mit rund 600 Gästen stand die „Generation Z“ im Mittelpunkt. Als
     Ettlingen. 200 Handwerkerinnen und Handwerker informierten sich        Hauptredner sprach der erst 17 Jahre alte Gründer einer Beratungs-
     über Strategien für die sich stark verändernde Arbeitswelt.            firma, Charles Bahr, darüber, was in Bezug auf das Konsumentenver-
                                                                            halten und zur Gewinnung von Fachkräften aus seiner Generation zu
     Dezember 2019                                                          beachten ist.

     Im Jahr 2019 legten 351 Meisterinnen und Meister in 16 Gewerken        März 2020
     ihre Prüfung ab. Zur Meisterfeier in der Karlsruher Schwarzwaldhalle
     kamen auch fünf Absolventinnen aus der Schweiz, den weitesten          Die Handwerkskammer Karlsruhe hat 20 Betriebe für vorbildliche Aus-
     Weg legte Gold- und Silberschmied Joakim Jord Johansen aus Ko-         bildungsleistungen ausgezeichnet. Daneben wurden die Bundes- und
     penhagen zurück. Zahlenmäßige Spitzenreiter waren die Kraftfahr-       Landessieger des Praktischen Leistungswettbewerbs mit Urkunden
     zeugtechniker mit 64 Meistern.                                         und Preisen bedacht.

16     report | Handwerkskammer Karslruhe
Joachim Wohlfeil
bleibt Kammerpräsident
Vollversammlung der Handwerkskammer Karlsruhe im November 2019

Die Vollversammlung der Handwerkskammer Karlsruhe.

W       ahlen für die Gremien der Handwerkskammer Karlsruhe
        finden alle fünf Jahre statt. In der 14. konstituierenden
Vollversammlung im November 2019 stellten sich insgesamt 28
                                                                     Vizepräsident Arbeitgeberseite:
                                                                     Wolfgang Schmitt, Elektroinstallateurmeister,
                                                                     Stutensee (Wiederwahl)
Arbeitgebervertreter und 14 Vertreter der Arbeitnehmer zur Wahl.
Sie repräsentierten sowohl die unterschiedlichen Gewerke als auch    Vizepräsident Arbeitnehmerseite:
die Regionen. Diese Vollversammlung war in einer Friedenswahl im     Martin M. Schlegel, Fleischermeister, Rheinstetten (Wiederwahl)
Sommer 2019 neu gewählt worden.
                                                                     Vorstände der Handwerkskammer Karlsruhe, Arbeitgebervertreter:
Die Vollversammlung bestätigte Joachim Wohlfeil erneut für weitere   Martin Hirschberger, Maurermeister, Bad Liebenzell (Wiederwahl)
fünf Jahre an der Spitze der Handwerkskammer. Der Unternehmer        Petra Kirst, Kosmetikerin, Rastatt (Neuwahl)
aus Karlsruhe, seit 1999 Präsident der Handwerkskammer Karlsruhe,    Martin Reinhardt, Bäckermeister, Knittlingen (Wiederwahl)
ist damit in seiner fünften Amtsperiode.                             Thomas Schönhaar, Glasermeister, Pfinztal (Neuwahl)

Gewählt wurden:                                                      Vorstände der Handwerkskammer Karlsruhe, Arbeitnehmervertreter:
                                                                     Viola Ferrenberg, Hörgeräte-Akustikerin, Rheinstetten (Wiederwahl)
Präsident:                                                           Norbert Masson, Elektroinstallateur, Elchesheim (Wiederwahl)
Joachim Wohlfeil, Gas- und Wasserinstallateurmeister,
Rheinstetten (Wiederwahl)

                                                                                                                report | Handwerkskammer Karslruhe   17
Entscheidung aus dem
     Bauch für das Ohr
     Hörgeräteakustik-Meister Fabian Böhm aus Pforzheim lässt die Branche aufhorchen

     M       an nehme einen Goldschmied mit filigranen Fingerfertigkeit-
             en, der nebenbei mit viel Leidenschaft elektronische Musik
     produziert, ermögliche ihm den Umgang mit ausgefeilter Technik
                                                                            sowie Fürsorge bis ins kleinste Detail bescheinigen, sei es nun in der
                                                                            Wahl des optimalen Hörsystems oder bei der Versorgung mit einem
                                                                            Cochlea-Implantat.
     und Menschen mit ganz besonderen Ansprüchen und Problemen
     und lasse ihn sowohl seine Marketing- als auch seine Entertain-        Dass er einmal eine spontane Entscheidung „aus dem Bauch für
     mentkompetenzen entfalten. So ungefähr könnte das Anforderungs-        das Ohr“ treffen würde, hätte der smarte Handwerksmeister und
     profil für einen Hörakustiker ausfallen, der seit sechs Jahren nicht   Unternehmer nie erwartet, als er zunächst nach der Schule durch
     nur die eigene Branche aufhorchen lässt. In dieser kurzen Zeit hat     den Sieg bei einem Malwettbewerb einen Ausbildungsplatz in ei-
     Fabian Böhm in einem ehemaligen Friseurgeschäft in der Pforzhei-       nem Pforzheimer Schmuckunternehmen ergatterte. So richtig glück-
     mer Goethestraße sein elegantes Hörstudio mit Wohlfühlcharakter        lich war er nach dem Abschluss aber nicht, zudem die Branche
     etabliert, dem Kunden und Kollegen höchste technische Qualität         schwächelte. Er wechselte zunächst in ein Labor für Zahntechnik
     – verbunden mit einem eigentlich nicht messbaren Standard –            und Otoplastik – und war dann nach einem Schnuppertag bei einem

18     report | Handwerkskammer Karslruhe
F I RM ENPORTRÄ T
In einem ehemaligen
Friseurgeschäft hat Fabian
Böhm sein modernes Studio
eingerichtet.

Hörakustikunternehmen plötzlich sicher, Beruf und Berufung gefun-
den zu haben. Nach Meisterprüfung und Studium an der einzigen
deutschen Akademie für Hörakustik in Lübeck leitete er mehrere
Filialen einer großen Firma, bis 2013 sein Businessplan stand – mit
gerade mal 5.000 Euro Eigenkapital. Nicht zuletzt dank der Unter-
stützung durch die Handwerkskammer Karlsruhe konnte der junge
Meister – Jahrgang 1981 – die nötige finanzielle Unterstützung be-
kommen, die ihm die Verwirklichung seines Traums ermöglichte.

Knowhow und Training im Studio

„Viel Werkstatt gibt es hier nicht mehr zu sehen“, schmunzelt er beim
Rundgang durch das mit High-Tech vom Feinsten ausgestatteten
Studio – nach seinen Angaben bedürfen die eigentlichen Hör-Hilfen
meistens nur noch kleinster Korrekturen. Die wahre „Feinarbeit“ am
und mit dem Kunden beginnt viel früher und kann sich über meh-
rere Monate hinziehen. Fabian Böhm und sein sechsköpfiges Team
sind „ganz Ohr“, wenn es darum geht, die optimale Hörleistung zu
erzielen – für sehr unterschiedliche Zielgruppen. Verband man früher
mit dem Begriff „Hörgerät“ vor allem Hilfestellung für Senioren mit
altersbedingtem Hörverlust, so kommen heute die jüngsten Patient-
en im Kinderwagen oder Tragetuch ins Studio. Schon bei Kleinkin-
dern ab vier Monaten können medizinische Tests Aufschluss über
mögliche Hördefizite geben. Pädakustik lautet der Fachbegriff für
die Zusatzqualifikation, die Fabian Böhm erworben hat, um bereits
in diesem sehr frühen Stadium Kindern den Start in ein möglichst
uneingeschränktes Leben ermöglichen zu helfen. „Die ersten vier
Lebensjahre sind unheimlich wichtig für die Entwicklung der Sinne“,
betont er – und die Eltern bekommen das notwendige Knowhow                         Eine entspannte Atmosphäre wird in Arbeit und
und Training im Studio. „Die Technik bietet heute ein riesiges Spek-               Beratung groß geschrieben.
trum an individuellen Möglichkeiten“, erklärt der Experte – und von
diesen Möglichkeiten profitiert natürlich eine Personengruppe, die
der Laie kaum im Hörstudio vermuten würde: Menschen um die 45           Stichwort Kommunikationsfäigkeit: Diese besondere Aufgeschlos-
Jahre, die jetzt unter „Jugendsünden“ leiden: extremer Musikbeschal-    senheit für andere Menschen zeichnet Fabian Böhm nicht nur im
lung, Knallschäden aus Bundeswehrzeiten und anderen beruflichen         Umgang mit seinen Kunden aus. Als Social-Media-Coach für Hör-
Lärmschädigungen. Trotz ihrer Beeinträchtigungen können sie per         akustik bringt er seinen Kollegen bundesweit auf Veranstaltungen
Smartphone kommunizieren, an Videokonferenzen teilnehmen oder           die Vorteile dieser neuen Wege zum Beziehungsoptimieren näher –
Streaming nutzen, Opernaufführungen oder lebhafte Unterhaltungen        Marketing und Teambuilding gehören für ihn zu einem erfolgreichen
in großer Runde genießen. Hör-Genuss der besonderen Art gibt es         Geschäftsmodell. „Man muss ständig Neues dazulernen“, betont er.
unter anderem bei den regelmäßigen Events im Pforzheimer Studio         Dazu gehört auch ein Schutzbrief, der für die Dauer von mindestens
– bei einem Glas Wein lässt sich hier entspannt plaudern. „Da sind      drei Jahren nicht nur für Wartung und Reparaturen, sondern auch für
schon echte Freundschaften entstanden“, freut sich Böhm über den        Leihgeräte oder Garantierverlängerung, gilt – Qualität in guter Hand-
Erfolg seiner ungewöhnlichen Einfälle, bei denen es ihm in ersten       werkstradition auch und gerade in Zeiten von Social Media & Co.
Linie um ein Ziel geht: Lebensqualität auf hohem kommunikativen                                                            Irene Schröder ¬
Niveau.                                                                 boehm-hoerakustik.de

Fotos: Daniel Weisser, Böhm                                                                                       report | Handwerkskammer Karslruhe   19
Das Fliesen- Platten- und Mosaik-
     legerhandwerk erfuhr in den Jahren
     der Zulassungsfreiheit einen wahren
     Gründungsboom.

     Mehr als 19.300 Handwerks-
     betriebe im Kammerbezirk
     Herausforderung im Meister-Handwerk: Jeder fünfte Inhaber älter als 60 Jahre

     Betriebe im Kammerbezirk

                                                                                                                                                       Anlage A         Anlage B1     Anlage B2           Gesamt

                                                                                                                     6.193

                                                                                             3.631
                                                                                     3.219
                                                                                                                                                                              2.778
                                                        2.665
                                                                                                                                                                                                           2.266

                                   1.537                        1.537                                                                          1.518     1.638
                                                                                                     1.406                                                                            1.372
                                                                        1104                                 1.156
                         669                640   501                          578                                           656   522                            661                         510
       333                                                                                                                               340                            479                         384
             189   146

          Baden-Baden                       Rastatt               Stadt Karlsruhe            Landkreis Karlsruhe                   Pforzheim                      Enzkreis                     Calw

20     report | Handwerkskammer Karslruhe                                                                                                                                                                 Foto: amh
Z    um 31. Dezember 2019 waren im Bezirk der Handwerkskam-
     mer Karlsruhe insgesamt 19.308 Handwerksbetriebe hand-
werklich tätig. Im Vergleich zum Vorjahreszeitpunkt stieg die Zahl
                                                                                                 Meister-Betriebe meistern Anfangsprobleme oft besser

                                                                                                 Die Bestandsdauer von Existenzgründungen im zulassungspflichti-
damit um 236 Betriebe, wobei nach wie vor der größte Zuwachs im                                  gen Handwerk gegenüber dem zulassungsfreien ist sehr unter-
zulassungsfreien Handwerk zu konstatieren ist. Bei den zulassungs-                               schiedlich. Während im zulassungsfreien Handwerk nach fünf Jahren
pflichtigen Betrieben in der Anlage A der Handwerksrolle – hier ist                              60 Prozent der Existenzgründer wieder aus der Rolle gelöscht
ein Meisterabschluss oder eine gleichwertige Qualifikation Voraus-                               wurden, sind im Meister-Handwerk nach fünf Jahren immer noch
setzung für die selbstständige Ausübung des Handwerks – wurden                                   zwei Drittel der Betriebe am Markt tätig. Mit der Wiedereinführung
im letzten Jahr 611 Eintragungen und 604 Löschungen durchge-                                     der Meisterpflicht in zwölf Gewerken ist zu erwarten, dass auf-
führt. Der Betriebsbestand erhöhte sich leicht (plus sieben) auf                                 grund der umfassenden Qualifizierung mehr Betriebe die schwie-
10.692 Handwerksbetriebe.                                                                        rigen Anfangsjahre überstehen und damit langfristig erfolgreich agie-
                                                                                                 ren können. Auch zusätzliche und neue Arbeits- und Ausbildungs-
Viele Soloselbstständige                                                                         plätze sollten so entstehen.

Viel Bewegung gab es im zulassungsfreien Sektor, insbesondere der                                Altersstruktur wirft Fragen auf
Anlage B1. Bei 1.037 Eintragungen und 829 Löschungen erhöhte
sich hier der Bestand auf 5.032 (ein Plus von 208 Betrieben). Viele                              Wirft man einen Blick auf die Altersstruktur im zulassungspflichtigen
dieser Betriebe werden von Soloselbstständigen geführt, teilweise                                Handwerk der Anlage A, sieht man, dass über 20 Prozent der ein-
nur im Nebenerwerb. Wie schon in den Vorjahren beschränkten                                      getragenen Meisterinnen und Meister das 60. Lebensjahr erreicht
sich die Zuwächse im zulassungsfreien Handwerk auf wenige, dafür                                 haben. Damit stellen sich für jeden fünften Betrieb in den nächsten
aber kräftig wachsende Berufe. Diese gehören teilweise auch zu                                   Jahren fundamentale Fragen: Wer übernimmt die Firma, welchen
den zwölf Gewerken, die seit 2020 wieder zulassungspflichtig sind.                               Wert hat das Unternehmen, soll der Betrieb extern oder intern weiter-
                                                                                                 gegeben werden oder ist eine Betriebsaufgabe notwendig?
Auch im handwerksähnlichen Sektor – der Anlage B 2 – nahm die
Betriebszahl zu. Am Jahresende waren hier 3.580 Betriebe einge-
tragen, 21 mehr als 2018. Insgesamt sind im Handwerk im Bezirk                                        Info
der Handwerkskammer Karlsruhe mehr als 100.000 Menschen be-                                           Der Bezirk der Handwerkskammer Karlsruhe umfasst die
schäftigt. Die Unternehmen erwirtschafteten einen Umsatz von                                          vier Landkreise Calw, Enzkreis, Karlsruhe sowie Rastatt und
circa 13,6 Milliarden Euro.                                                                           die drei Städte Baden-Baden, Karlsruhe und Pforzheim.

Berufsgruppen

                                                                                                                                      Anlage A            Anlage B1          Anlage B2          Gesamt

                                                   5.386
                                                                                                                                                                 5.013
                               4.704
                       4.395

 2.587
                                                                                                                                        2.136
                                                                             1.653                                                                       1.525
         1.357                                                                                                                                   1.352
                                                                                                      1.155
                                                                       805                804                                                                                      768          1.030
                                                           552                                                550               676
                 451                   414                                                      349
                                             268                 296                                                                                                         162
                                                                                     2                                41   85                                                             100

   Bau- und Ausbau               Elektro u. Metall           Holzgewerbe                 Bekleidung                 Lebensmittel                Gesundheit                  Glas, Papier, Sonstige

                                                                                                                                                                                         Stand: 31.12.19

                                                                                                                                                                 report | Handwerkskammer Karslruhe        21
Abrissbirne war gestern
     „Urban Mining“ und Kreislaufwirtschaft:
     KIT-Professor Dirk Hebel beschreibt das Bauen der Zukunft

22    report | Handwerkskammer Karslruhe
In der Nähe von Zürich steht das Forschungsgebäude
NEST (Next Evolution in Sustainable Building Technologies).
Das KIT hat darin die Testwohnung UMAR (Urban Mining
and Recycling) mit aufgebaut.

                                                     report | Handwerkskammer Karslruhe   23
Durch bessere Vorplanung hätten sicher auch viele Stoffe aus dem Abriss des Wildpark-Stadions einem
     „Urban Mining“ zugeführt werden können.

     S    taub breitet sich aus, es knarzt und kracht. Mit seiner Schaufel
          frisst sich ein Bagger durch das Gemäuer eines Abrisshauses. Es
     wird dem Erdboden gleichgemacht. Laut dem Onlineportal „statis-
                                                                               sortenrein auseinandernehmen und wiederverwerten kann. So ent-
                                                                               stehen Wertanlagen für künftige Generationen“.

     ta“ geschieht dies in ganz Deutschland jährlich mit um die 1.500          Hebel ist ein Verfechter von „Urban Mining“, was zu Deutsch so viel
     Gebäuden, in denen sich drei oder mehr Wohnungen befanden. Die            wie „Bergbau in städtischen Gebieten“ bedeutet. Dabei geht es zum
     unter anderem daraus resultierenden mehr als 50 Millionen Tonnen          einen darum, bereits vorhandene Materialien aus der gebauten Um-
     Bauschutt pro Jahr landen auf immer voller werdenden Deponien             welt weiterzuverwenden. „Die deutsche Volkswirtschaft setzt jährlich
     oder werden einem Recycling etwa zur Gewinnung von Gesteinskör-           rund 1,3 Milliarden Tonnen an Materialien im Inland ein“, heißt es
     nungen für Beton, Mörtel und Asphalt zugeführt. Ein kleinerer Teil        dazu beim Bundesumweltministerium. „Davon verbleiben besonders
     dient zudem als Verfüllmaterial unter neuen Straßen und in stillge-       Metalle und Baumineralien oftmals lange Zeit in Infrastrukturen,
     legten Grubenstollen.                                                     Gebäuden und Gütern des täglichen Gebrauchs.“ In Hinblick auf ein-
                                                                               en zunehmenden internationalen Wettbewerb um knappe Rohstoffe
     Doch stellt dieser heutige Umgang mit Baumaterial schon der               könne deren Nutzung dazu beitragen, die natürlichen Ressourcen
     Weisheit letzter Schluss dar? Für Dirk Hebel ganz sicher nicht! „Der      der Erde zu schonen. Und Deutschland könnte unabhängiger von
     Weg des Materials ist damit zu Ende“, sagt der Professor für Nachhal-     Importen werden.
     tiges Bauen an der Architekturfakultät des KIT (Karlsruher Institut für
     Technologie). Aber das müsste nicht sein. In „Baustoffen, die schon       Den Rückbau gleich einplanen
     einmal etwas anderes waren“, sieht Hebel dagegen ein riesiges Res-
     ervoir an derzeit noch kaum genutzten Möglichkeiten. „Nehmen Sie          Forscher wie Dirk Hebel streben darüber hinaus aber in sich
     den Bau eines Kellers“, erklärt er. „Normalerweise wird von außen         geschlossene Material-Kreisläufe an – das ist das eigentliche Ziel.
     eine Dämmung aufgeklebt, als nächstes erfolgt ein Teeranstrich,           Irgendwann sollen möglichst viele Materialien sortenrein und ohne
     dann kommen Plastikfolien drauf und es wird alles zu einem großen         großen Aufwand immer wieder dem Bauen zugeführt werden.
     undefinierten Verbund. Wenn dieser Keller irgendwann rückgebaut           Über Generationen hinweg! Schon die Planungen sollen darauf
     wird, können Sie mit diesen Materialien nichts mehr anfangen, sie         eingerichtet sein. „Kreislaufwirtschaft bedeutet, den Rückbau gleich
     sind Sondermüll und müssen deponiert oder verbrannt werden.“              mit einzukalkulieren“, betont der Professor. „Auf dem Weg dahin ist
     Schon heute seien aber die Abrisskosten insbesondere durch De-            Urban Mining ein Zwischenzustand, der allerdings noch Jahrzehnte
     poniegebühren außerordentlich hoch – daher „ist es doch eine              anhalten wird.“ Der Samen für diese Entwicklung sei aber bereits
     ganz andere Rechnung, wenn man die Materialien hinterher einfach          gelegt.

24     report | Handwerkskammer Karslruhe
Hebel begann vor mehr als einem Jahrzehnt mit der Erforschung von
„Urban Mining“. Das KIT gilt heute als eine der führenden Einrich-
tungen auf dem Gebiet. Beim letztjährigen „Urban Mining Student
Award“ gingen drei der vier Preise an die Karlsruher Universität. Mit
besonderen Projekten versuchen die KIT-Forscher zudem immer
wieder, „Urban Mining“ der Öffentlichkeit nahe zu bringen. So ha-
ben sie in der Nähe von Zürich und zur Bundesgartenschau 2019 in
Heilbronn Gebäude geplant, bei denen ausschließlich kompostier-
bare, wiederverwertbare und weiternutzbare Materialien für Kon-
struktion und Ausbau verwendet wurden. „Es lässt sich damit zeigen,
dass wir heute schon in der Lage sind, im Bauwesen in geschloss-
enen Kreisläufen zu operieren“, betont Hebel. Nach seinen Angaben
lagen die Baukosten dabei nur um bis zu zwölf Prozent über einer
herkömmlichen Bauweise. „Und zwar ohne, dass wir heute schon
von Skaleneffekten profitieren können“, erläutert er. Skaleneffekte
führen beispielsweise zu Verbilligungen, wenn mehr Menschen die
entsprechenden Techniken und Produkte nachfragen. „Auch wenn
die Politik etwa mit einer CO2-Steuer andere Anreize setzt, wären die
Mehrkosten sicher schon aufgefangen“, rechnet Hebel vor.

Nachholbedarf in Deutschland

Doch damit die künftige Kreislaufwirtschaft im Bauwesen tatsäch-
lich auf den Weg gebracht werden kann, bedarf es für den KIT-Ex-
perten vor allem einer veränderten Mentalität. Hebel kann wie aus
der Pistole geschossen von etlichen Unternehmen berichten, die
bereits „Urban Mining“ betreiben. „Es gibt heute schon eine auf-
strebende Industrie“, sagt er und nennt beispielsweise das Unterneh-
men Magna Glaskeramik aus Sachsen-Anhalt, das zur Fertigung von
Glaskeramik-Platten für Innenausbau, Möbeldesign und Fassaden
nur auf Industrie- und Flaschenglasabfälle zurückgreift. Oder den
niederländischen Produzenten Desso, der einen vermietbaren und
zu hundert Prozent wiederverwertbaren Teppich entwickelt hat. Oder
die belgische Demontage-Firma Rotor DC, die mit großem Erfolg
Online-Auktionen etwa von Rigipsplatten, Türgriffen oder Fenstern
aus Abbruchhäusern durchführt. Und, und, und. Die Mehrzahl von
Hebels Vorbild-Unternehmen stammt allerdings nicht aus Deutsch-
land. „In der Innovationsfreude zum Thema Kreislaufwirtschaft im
Baubereich haben wir hierzulande gegenwärtig durchaus Nachholbe-
darf“, sagt Hebel. In solchen Geschäftsmodellen, um mit neuen
Methoden und Prinzipien die Grundlagen für eine Kreislaufwirtschaft
zu schaffen, sollten aber gerade für das Handwerk viele Chancen                              Für die Gartenschau 2019 in Heilbronn
stecken, findet er.                                                                          haben Dirk Hebel und sein Team einen
                                                                                             „Mehr.Wert.Pavillon“ aus Recyclingmaterial
Kein Verzicht                                                                                entwickelt.

Weshalb ein Umdenken zudem dringend geboten erscheint, wird             in eine ökologische und ökonomische Sackgasse hinein.“ Die ange-
beim Blick auf die seit den 1960er Jahren anhaltende Verwendung         strebte Kreislaufwirtschaft bedeutet für Hebel keineswegs Verzicht.
von Verbundstoffen deutlich. Sie sind zu einem großen Teil unge-        „Wir sollen auch in Zukunft alles bauen, was wir uns vorstellen und
eignet für ein Recycling oder gar eine sortenreine Wiederverwertung.    erträumen – nur sollten wir etwas mehr über sortenreine Material-
„Beispielsweise startete die Energiewende im ersten Jahrzehnt des       ien und deren Verbindungen und Rückbaubarkeit nachdenken, um
neuen Jahrhunderts mit einer Initiative zur Gebäudedämmung durch        neue und innovative Lösungen zu entwickeln. Und genau hier liegen
Wärmedämm-Verbund-Systeme, die heute zum Teil schon wieder als          unbedingt neue Chancen und Geschäftsfelder für das Handwerk.“
Sondermüll gelten“, erklärt Hebel. „Da gehen wir sehenden Auges                                                            Christoph Ertz ¬

Fotos: Zooey Braun, Peter Sandbiller                                                                             report | Handwerkskammer Karslruhe   25
Ziel: Abbrüche vermeiden!
                        Ausbildungs-Bilanz 2019 – Zahlen leicht rückläufig

.526
     Beginner 2018
                        Beginner 2019, neue Lehrverhältnisse: 2.402
                                                                                                  Beginner 2019   I m Bezirk der Handwerkskammer Karlsruhe sind bis zum Stichtag
                                                                                                                    31.12.2019 insgesamt 2.402 neue Ausbildungsverträge abges-
                                                                                                                  chlossen worden. Dies bedeutet ein Minus von 124 Verträgen ge-
                                                                                                                  genüber dem Vorjahr. Die Zahl der 484 weiblichen Auszubildenden
                         629
                                                                                                                  bewegt sich wie in den Vorjahren bei circa 20 Prozent. Der Anteil der
                                                                                                                  Beginner mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit liegt bei 21,3
                                      528
                                                                                                                  Prozent. Die Lehrlingsrolle weist 212 Neuverträge für Menschen aus
                                                                                                                  Afghanistan, Eritrea, Gambia, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und
                                                                                                                  Syrien aus. Die Ausbildungszahl für Menschen aus solchen Zuwan-
                                                   322                                                            derungsländern zeigt zweierlei: Zum einen, dass sich die Unterneh-
                                                                                         277            277
                                                                                                                  men nach wie vor enorm bei der Integration junger Zugewanderter
                                                                             249
                                                                                                                  engagieren. Zum anderen ist offensichtlich, dass die Gewinnung
                                                                                                                  von Auszubildenden und Fachkräften eine zentrale gesellschafts-
75           185                                                 120                                              politische Aufgabe bleibt, bei der das Handwerk die Unterstützung
                                                                                                                  der Politik einfordert.

Berufe    Sonstige      Ka Land     Ka Stadt      Rastatt      Bad.-Bad.   Pforzheim   Enzkreis         Calw      Mehr Auszubildende mit Abitur
dwerk

                                                                                                                  Die schulische Vorbildung aller Auszubildenden stellt sich wie folgt
                                                                                                                  dar: 44,4 Prozent können eine mittlere Reife vorweisen und 34,8
                                                                                                                  Prozent einen Hauptschulabschluss. 13,8 Prozent haben das Abitur
                                                                                                                  oder die Fachhochschulreife. Damit setzt sich der Trend der Vorjah-
                                                                                                                  re fort: Immer mehr Jugendliche mit Hochschulreife entscheiden
                                                                                                                  sich für eine Ausbildung im Handwerk.

                                                                                                                  Hilfen gegen Abbrüche
                          800
                                                                                                                  Nach wie vor relativ hoch ist allerdings die Zahl der vorzeitig abge-
                          700                                                                                     brochenen Lehrverhältnisse: Schon während der Probezeit wurden
                                                                                                                  im letzten Jahr 246 Lehrverhältnisse aus unterschiedlichsten Grün-
                          600                                                                                     den wieder gelöscht, ein Sachverhalt, der sowohl für die Lehrlinge
                                                                                                                  als auch die Betriebe unbefriedigend ist. Die Kammer beteiligt sich
                          500
                                                                                                                  deshalb an der Maßnahme „Erfolgreich ausgebildet – Ausbildungs-
                          400                                                                                     qualität sichern“. Dabei unterstützen Mitarbeiter Auszubildende in
                          800                                                                                     gefährdeten Ausbildungsverhältnissen und setzen Impulse, um die
                          300                                                                                     Ausbildungsqualität in den Betrieben zu verbessern. Das Programm
                          700                                                                                     wird im Rahmen der Initiative „Erfolgreich ausgebildet – Ausbil-
                          200                                                                                     dungsqualität sichern“ vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und
                          600                                                                                     Wohnungsbau Baden-Württemberg gefördert.
                          100
                          500
                              0
                   26     report | Handwerkskammer Karslruhe
                          400
„Wir wissen, was wir tun“
Imagekampagne des Handwerks in der dritten Runde

B     auen, verändern, bewegen, pflegen oder reparieren: Das Hand-
      werk bietet ideale Voraussetzungen, um individuelle Begabungen
auszuleben. Auf dieser Erkenntnis baut seit Februar 2020 die dritte
                                                                         richtet sich in Inhalt und Media-Planung wieder an ein breites Publi-
                                                                         kum, mit besonderem Augenmerk aber auf angehende Schulabsol-
                                                                         venten, Lehrer, Eltern und alle, die in beratender Funktion aktiv sind.
Kampagnenstaffel des Handwerks auf. Unter dem Motto „Wir wissen,
was wir tun“ vermitteln ausgewählte Kampagnenbotschafter – vom           Mit packenden Bildern, aussagekräftigen Motiven sowie einpräg-
Bäcker bis zum Tischler – ihre positiven Erfahrungen. Stellvertretend    samen Sätzen ist sie bundesweit im Fernsehen, auf Plakaten, Bus-
für über fünf Millionen Handwerker in Deutschland erklären sie, wie      sen, Infoscreens und Mall-Videos, im Internet, über die sozialen Me-
und warum ihr Beruf ihre Persönlichkeit positiv formt. Damit stehen      dien und im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit sichtbar. So waren die
nicht mehr handwerkliche Tätigkeiten und Werkstücke im Mittelpunkt       Kampagnenbotschafter bis Ende Februar auf über 6.000 Plakaten
der Kommunikation, sondern Menschen. Die Kampagne stellt erfolg-         und 69 Bussen zu sehen. Eine Kombination aus ausdrucksstarken,
reiche und zufriedene Handwerkerinnen und Handwerker vor.                schwarz-weißen Motiven und knackigen plakativen Statements
Für die ersten Folgen sind eine Tischlerin, eine Friseurin, ein Bäcker   bringt die individuelle Persönlichkeit der Botschafter und ihren
und zwei Gerüstbauer vor die Kamera getreten. Ihnen gemeinsam ist:       durch den Handwerksberuf geprägten Charakter perfekt auf den
Sie alle haben im Handwerk ihren beruflichen Weg gefunden. Was sie       Punkt. Ein eigens produzierter Werbefilm rückt die Persönlichkeiten
tun, macht sie selbstbewusst, glücklich, kreativ und erfolgreich. Das    der Protagonisten und ihre Berufung als Handwerker ins Zentrum.
Handwerk bietet hierfür mit über 130 Berufen eine große Auswahl
an individuellen Möglichkeiten.                                          Online, in Apps und den sozialen Medien wird der Film in unter-
                                                                         schiedlichen Längen und Sonderformaten eingesetzt, unter anderem
Berufung als Handwerker                                                  auf YouTube, der Gaming-Plattform twitch.tv und auf
                                                                         affinen Bloggerkanälen. Allerdings: Bedingt durch die
Inhaltlich verantwortlich für die Kampagne in den nächsten fünf          Corona-Pandemie mussten ab April Veranstaltungen
Jahren ist die Werbeagentur DDB mit Sitz in Berlin. Die neue Staffel     abgesagt und das „Wording“ verändert werden.

                                                                                                                     report | Handwerkskammer Karslruhe   27
Die Eismacher aus
     Grünwinkel
     Die Großmutter hat das Eis aus der Garage verkauft. Heute ist das familiengeführte
     Traditionsunternehmen „Eis-Oma“ in ganz Karlsruhe bekannt. Nicht nur die Grünwinkler
     lieben „ihre“ Eisdiele. Gäste kommen aus der ganzen Region. Der erste geprüfte
     Speiseeishersteller Deutschlands wurde bei den Kuhns ausgebildet.

     F   ragt man Claus-Jürgen Kuhn, welchen Satz er in seinem Leben
         am meisten gehört hat und immer noch hört, sagt er: „Ich krieg
     zwei Bolle Vanille in de Waffel.“ Kuhn, Inhaber der Eisdiele „Eis-
                                                                           Eis ist nicht gleich Eis

                                                                           Das Geheimnis eines guten Eises ist die seidige und cremige Kon-
     Oma“, hat den Betrieb im Karlsruher Stadtteil Grünwinkel 1989 von     sistenz. Die Zutaten einfach zu mischen, reicht nicht aus, wichtige
     seinen Eltern übernommen. Seine Großeltern haben am heutigen          physikalische Grundlagen sind für eine perfekte Eiscreme uner-
     Standort bereits 1939 Eis aus einer kleinen Garage heraus verkauft.   lässlich. „Es gibt verschiedene Produktionsverfahren für Speiseeis“,
     Heute wird das Unternehmen bereits in der vierten Generation als      erklärt Kuhn. „Die Kalt- und Warmverarbeitung. Unser Eis wird im
     Familienbetrieb geführt. Sein Wissen hat Claus-Jürgen Kuhn bereits    Warm-Verfahren produziert. Dafür werden Milch und Sahne zuerst
     an die beiden Söhne Jerome und Guillaume weitergegeben.               auf 85 Grad aufgekocht und danach auf drei Grad heruntergekühlt.

28     report | Handwerkskammer Karslruhe
Familienbetrieb seit vier                                                        FI RM ENPORTRÄ T
Generationen: Claus-Jürgen Kuhn
(Mitte) mit den Söhnen Jerome
und Guillaume (rechts).

Der so entstehende Eisfond muss zwölf Stunden lang reifen, bevor         „Saison 2020 ist gelaufen“
er in der Eismaschine verarbeitet wird. Das ist die Basis für alle un-
sere Milcheissorten.“ Das Grünwinkler Eis wurde bereits mehrfach         Rund acht Liter Eis verzehrt jeder Deutsche pro Jahr. Kaum einer
prämiert. Zuletzt haben Eisfans der traditionsreichen Eisdiele bei       kann sich der eiskalten Leidenschaft aus Früchten, Milch, Sahne und
einer Umfrage von t-online auf einen Spitzenplatz verholfen.             vielen anderen frischen Zutaten entziehen. Kinder lieben die bunten,
                                                                         süßen Kugeln über alles. Doch die Corona-Beschränkungen haben
Ausbildung zum handwerklichen Eisprofi                                   auch die „Eis-Oma”-Fans um ihre zartschmelzende Leckerei geb-
                                                                         racht. „Der Frühling ist für uns die wichtigste Jahreszeit“, sagt Kuhn.
Die Eiskultur hat sich in den letzten 80 Jahren gewandelt. Neben         „Viele glauben, im Hochsommer wird das meiste Eis gegessen. Aber
den klassischen Sorten wie Erdbeere, Vanille und Schokolade ge-          wenn es im März und April schön warm ist, ist das unser bestes
hen heute Kreationen wie Sanddorn-Holunder, Granatapfel oder             Geschäft.“ Und das ist für dieses Jahr dahin. „Die Saison 2020 ist
Drachenfrucht und neuerdings auch Maulbeere oder Salted Caramel          gelaufen. Das können wir nicht mehr aufholen“, sagt Kuhn, der weit-
bei der „Eis-Oma” über die Theke. Andernorts macht die Fantasie der      ere Filialen in Mörsch und Forchheim betreibt und im Frühjahr 2020
Eishersteller auch vor Sorten wie Spargel, Champagner oder Pumper-       nur 20 Prozent seines sonst in dieser Zeit üblichen Umsatzes macht.
nickel nicht Halt. Gefragt nach den Longsellern über Generationen        Normalerweise können bei der „Eis-Oma“ vier bis fünf Leute gleich-
hinweg, sagt Kuhn: „Ganz klar Vanille. Gefolgt von Schokolade, Erd-      zeitig bedient werden. Die Schutzmaßnahmen erlauben jedoch der-
beere und Waldmeister.“ Warum Vanille an erster Stelle steht? „Das       zeit nur jeweils einer Person Zutritt. Wo sonst Platz für 40 Gäste
Gewürz, das aus der Orchideenpflanze gewonnen wird und zum               ist, wurde jetzt der mit Absperrband markierte Ausgang hinverlegt.
Beispiel auf Madagaskar angebaut wird, hat ein unschlagbar warmes        Die Stühle stehen gestapelt am Rand. Die Eisdiele ächzt wie viele
und feines Aroma“, erklärt Eisprofi Kuhn. „Vanille ist nach Safran das   gastronomische Betriebe unter der Corona-Auflagenlast. Mit Liefer-
teuerste Gewürz der Welt. Die Gewinnung ist sehr aufwendig. Echte        service hält sich der Saisonbetrieb über Wasser. Kuhn hofft, dass das
Bourbonvanille ist teurer als Silber.“                                   Geschäft bald wieder anzieht.
Seit 2008 gehört die Speiseeisherstellung zu den traditionellen
Handwerksberufen. Die erste „Fachkraft für Speiseeis” in Deutschland     Ein Lichtblick mischt sich dennoch in die miserable Situation:
wurde bei den Kuhns ausgebildet. Die Ausbildung dauert drei Jahre.       Enkeltochter Alya. Die sechs Monate alte Eis-Erbin bringt für alle
Von der professionellen Herstellung von Speiseeis über die Dekoration    Familienmitglieder das Lachen zurück. „Wer weiß, vielleicht wird sie
der Eisbecher und Desserts bis hin zu Hygienevorschriften reichen        die nächste Eis-Oma“, freut sich Kuhn.
die Ausbildungsinhalte. Man lernt außerdem, wie man einen eigenen        			                                         Ariane Lindemann ¬
Betrieb führt und in der Eisdiele den Überblick behält.                  eisoma.de

                                                                         Bereits seit 1939 wird bei der „Eis-Oma“ Speiseeis gemacht.

Fotos: Michael Bode, Kuhn                                                                                            report | Handwerkskammer Karslruhe   29
Sie können auch lesen