Rundbrief 1/09 - Arbeitskreis Andere Geschichte
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Rundbrief 1/09 März 2009 Braunschweiger Spaziergänge von Reinhard Bein wicklung der verschiedenen Parkan- Berühmt aus Braunschweig lagen und Friedhöfe in Braunschweig, Nach dem großen Erfolg, den unsere aber differenziert sind sie nicht, zum Als Diskussionsgrundlage brachte Arbeitsgruppen mit den beiden Bänden Spazieren und Verweilen laden sie kaum ich zur Mitgliederversammlung eine Zu- „Braunschweiger Spaziergänge“ haben, ein. Die großen Parks entstanden in sammenstellung von Persönlichkeiten stellte sich die Frage, ob wir die Reihe Braunschweig im Zuge der Entwicklung des öffentlichen Lebens in Braunschweig mit weiteren derartigen Stadtführern in zur Großstadt und dem zunehmenden im 20. Jahrhundert mit. Die Beschrän- gleicher Ausstattung fortsetzen sollten. Bedürfnis der Bevölkerung nach Nah- kung auf das 20. Jahrhundert fand Bei- In der Mitgliederversammlung im letz- erholungsgebieten Mitte bis Ende des 19. fall, die vorläufige Auswahl stieß auf ten Jahr wurde diese Frage diskutiert. Jahrhunderts (Prinzen-, Bürger- und Kritik, da die Liste auch Namen wie Zwei mögliche Themen standen zur Stadtpark, und die nach 1800 zum Teil Richard Borek und Viktoria Luise ent- Auswahl: zu Parkanlagen umgewandelten Wall- hielt. Aber es ging ja zunächst nur um anlagen). Studienzwecken dienen der eine Gesprächsgrundlage. 1. Parks und Friedhöfe Botanische und der Schulgarten. Im 20. Die Idee zu einem solchen Stadt- 2. Berühmt aus Braunschweig. Jahrhundert kamen mit dem Wachsen führer lernte ich in Wien kennen. Der der Stadt weitere Parkanlagen hinzu. dortige ist so aufgebaut, dass ein Ein- Für die Mitarbeit an beiden Projek- Bei den Friedhöfen dachten wir we- stieg mit einem Zitat gewählt wird. ten meldeten sich jeweils drei Mitglie- niger an die vielen Stadtteilfriedhöfe als Dann folgt eine kurze Lebensbeschrei- der, die Lust hätten, sich in einer mehr an die zumeist aufgelassenen und bung und der Bezug zu der Wohnung/ Arbeitsgruppe mit diesen Themen aus- in Parks verwandelten ehemaligen Ge- dem Haus, wo die Persönlichkeit gelebt einanderzusetzen. meindefriedhöfe aus der Barockzeit (Mar- hat. Schließlich folgt meist eine Würdi- Da wir uns nicht eindeutig für ein tini-, Brüdern-, Kreuzkloster-, Katha- gung. Projekt entscheiden konnten, haben wir rinen-, Andreas-, Garnison-, Magni- und Wir rufen interessierte Mitglieder des beschlossen, beide Themen zu bearbei- Domfriedhof, reformierter und jüdischer Vereins auf, sich mit den beiden Koordi- ten. Friedhof) und natürlich die zentralen natoren in Verbindung zu setzen. Anlagen an der Helmstedter Straße mit Martina Staats hat sich bereit erklärt, Parks und Friedhöfe ihren ganz unterschiedlichen Bereichen die erste Arbeitsgruppe zu leiten (Tel. (Hauptfriedhof, Urnenfriedhof, Aus- 05176 9200180), Reinhard Bein wird die Zwar gibt es im Stadtlexikon und an- länderfriedhof, katholischer, jüdischer zweite Gruppe betreuen (Tel. 05333 deren Veröffentlichungen knappe Infor- und muslimischer Friedhof, Friedhofs- 9482280). Die zweite Gruppe beginnt mationen über die Entstehung und Ent- museum). Anfang Mai, die erste etwas später. „Festausschuss“ gesucht und über die heutige Praxis mit Blick So sollte die Jubiläumsschrift nicht von Frank Ehrhardt auf die Weiterarbeit zu sprechen. allein eine eher knapp gefasste Chrono- Im nächsten Jahr ist es soweit – der logie wichtiger Veranstaltungen, Veröf- Arbeitskreis Andere Geschichte kann Und da der Arbeitskreis in vielem ein fentlichungen und Projekte sein. Viel- auf einen 25-jährigen Beitrag zur Ge- „gewöhnlicher“ Verein geworden ist, fal- mehr könnte die Frage nach den Leis- schichtsforschung und -vermittlung in len einem auch erstmal die traditionel- tungen und dem Umfeld, in dem diese Braunschweig zurückblicken. Und len Formen ein, in denen das Jubiläum stattfanden, gestellt werden. Welcher zugleich nimmt der Verein bereits zehn am 8. Mai 2010 begangen werden soll: Beitrag wurde zur Erforschung der Jahre die Betreuung der städtischen mit einer Festschrift und einer Fest- Regionalgeschichte erbracht, welche Gedenkstätte KZ-Außenlager Schill- veranstaltung. Aber keine Sorge, dieses Defizite bleiben? Welche Formen der straße wahr. Beide Jahrestage geben bedeutet nicht die Aufgabe der kritischen Geschichts-vermittlung wurden ge- Anlass, auf die bisher geleistete Arbeit Ansprüche und der eingeübten wählt und sind diese heute noch zeitge- zurückzublicken, sich der ursprünglich Diskussionskultur. mäß? Wie ist die Arbeit in der Gedenk- formulierten Ansprüche zu erinnern stätte im städtischen und nieder-
2 Rundbrief 1/09 sächsischen Kontext zu verorten? Wel- che Herausforderungen stellen sich im Bericht über die Tätigkeit des Weiteren? Die Suche nach Autorinnen und Autoren für entsprechende Beiträ- Arbeitskreises Andere ge ist aufgenommen. Geschichte e.V. im Jahr 2008 Und auch das „Geschichtsfest“ soll- Der Arbeitskreis Andere Geschichte der Setzung der „Stolpersteine“ von ver- te mit einem Tagungsprogramm begin- widmet sich der Erforschung und Ver- schiedenen Schulen erarbeiteten Mate- nen. Die Fragen nach dem Modell der mittlung der Geschichte Braunschweigs rialien zu verfolgten Braunschweigern „Ge-schichtswerkstatt“ als Ausgangs- im 20. Jahrhundert. Seit Mai 2000 be- jüdischen Glaubens. punkt und den heutigen Aneignungs- treut der Verein im städtischen Auftrag weisen von Regionalgeschichte bieten die Gedenkstätte KZ-Außenlager Braun- Betreuung der Nutzer und Besu- sich für ein Forum an. Ein zweiter schweig Schillstraße. cher, Sicherstellung der Öffnungs- Themenkomplex könnte nach der örtli- Das zurückliegende Jahr zeichnet zeiten chen Geschichte des Nationalsozialis- sich dadurch aus, dass es möglich war, mus fragen, zu deren Erforschung und die Besucherzahl in der Gedenkstätte Die Besucherzahl in der Gedenkstätte Vermittlung zwar einiges in den letzten durch die Präsentation von zwei selbst konnte gegenüber den Vorjahren deut- Jahrzehnten beigetragen worden ist, die konzipierten Ausstellungen zu steigern. lich gesteigert werden. Dieses ist zum aber gerade in Braunschweig noch au- Vor allem Schulklassen kamen sehr viel einen eine Folge der beiden Ausstellun- genfällige Defizite aufweist. Und dem häufiger als in den Vorjahren. – Her- gen „Kampf der Bilder“ und „Nenner / dürfte sich eine eher offiziöse Feier mit vorzuheben ist auch die positive Publi- Zähler“ (siehe unten). Zum anderen war Grußansprachen anschließen und dann kumsresonanz auf das neu herausgege- es möglich, die Zahl der schulischen Nut- der Tag bei Musik, Buffet und Gesprä- bene Buch „Braunschweiger Spaziergän- zungen fast zu verdoppeln. chen ausklingen. ge – Sieben Führungen durch das Ring- Die Mehrzahl dieser Schulbesuche gebiet“. fand in Verbindung mit den beiden Aus- Man sieht, es ist viel vorzubereiten stellungen statt. Zu den Ausstellungen und eine kleine Arbeitsgruppe hat da- 1. Gedenkstätte KZ-Außenlager waren Lehrerinnen und Lehrer gezielt mit bereits begonnen. Nächster Termin angeschrieben worden. Darüber hinaus ist Montag, 16.3.2009 um 17.30 Uhr Schillstraße: Offenes Archiv und gab es eine Reihe von Gedenkstätten- in der Gedenkstätte. Den Folgetermin inhaltliche Betreuung besuchen von Schulklassen, die nach der teile ich gerne mit, wenn ich von Ihrer Besichtigung des in Braunschweig hal- Bereitschaft an der Mitwirkung erfah- Offenes Archiv: Erweiterung des tenden „Zugs der Erinnerung“ in der re. Bestandes Gedenkstätte nach regionalen Informa- tionen über Deportationen suchten. An der Saale Im Mittelpunkt der Gedenkstätte Das Spektrum der erreichten Schu- steht die von der Hamburger Künstle- len war sehr unterschiedlich. Sehr er- Die Herbstfahrt des Arbeitskreises rin Sigrid Sigurdsson initiierte Samm- freulich ist die ständige Zusammenar- 2009 führt nach Halle, Merseburg lung des Offenen Archivs „Braunschweig beit mit den benachbarten Berufsschu- und Naumburg. Da alle Mitrei- – eine Stadt in Deutschland erinnert len Kastanienallee und Salzdahlumer senden des letzten Jahres sich sich.“ Die mehr als neunzig Kassetten Straße, aber auch mit der Neuen Ober- spontan für die Fahrt im Jahre der Sammlung werden ständig ergänzt. schule, dem Wilhelm-Gymnasium und 2009 angemeldet haben, ist diese Eine Reihe von neuen Kassetten sind von der Realschule Kennedyplatz. Tour mit 40 Plätzen leider bereits den beteiligten Einrichtungen vorberei- Die Gedenkstätte war regelmäßig am vollständig ausgebucht. tet worden und steht vor der technischen Dienstag-, Mittwoch- und Donnerstag- Reinhard Bein Herstellung durch eine Buchbinderei. nachmittag sowie am ersten Sonnabend Mit den Gymnasien Kleine Burg und im Monat für einzelne Besucher geöff- Wilhelm-Gymnasium sowie der Berufs- net. Unter den Besuchern waren zahl- bildenden Schule II haben drei Schulen reiche Schüler, die z. B. Informationen Impressum neue Kassetten erarbeitet. Neue Kas- für Facharbeiten suchten. Das Raabe- setten sind auch für die Sammlung Gymnasium vergab sogar in Absprache Herausgeber: Arbeitskreis Andere Geschichte e. V., Kramerstr. 25, 38122 Braunschweig „Bürgerinnen und Bürger“ sowie für die mit der Gedenkstätte eine Vielzahl un- Telefon: 0531 - 18957 Telefax: 86 61 392 durch die Zeugen Jehovas betreute terschiedlicher Themen für die Fach- Verantwortlich: Martin Kayser Sammlung in der Vorbereitung. Zu er- arbeiten eines Jahrganges, die aus Un- Mitarbeiter dieses Rundbriefes: Reinhard gänzen sind außerdem noch weitere terlagen des Offenen Archivs bearbei- Bein, Frank Ehrhardt, Laura Hofmann, Diet- Kassetten für die Ausarbeitungen aus tet werden konnten. rich Kuessner, Joachim Schulze den workcamps mit dem Service Civil 26-mal wurde die Aufsicht während Druck: Reese, Braunschweig International sowie zur Präsentation der der Öffnungszeiten durch insgesamt Bankverbindung und Spendenkonto des Arbeitskreises: Materialen der Ausstellung „Kampf der sechzehn ehrenamtliche Vereins- Konto 371 203 307 BLZ 250 100 30 Bilder“. mitarbeiter übernommen, so auch an bei der Postbank Hannover Ergänzt wurde die bestehende zusätzlich geöffneten Wochenenden wäh- Sammlung u.a. durch die im Rahmen rend der Ausstellung „Kampf der Bilder“.
Rundbrief 1/09 3 Familie Solmitz vor. Dem Sohn Moritz Solmitz gelang der Aufstieg zum wohl- habenden und angesehenen Braun- schweiger Bürger. – Im zweiten Teil der ! Veranstaltung berichtete Joachim # Frassl, Kunsterzieher am Jacobson- !$ % Gymnasium Seesen, über die Errich- ! ! ! ! & tung des Seesener Tempels, der mit der "" von Israel Jacobson 1801 gegründeten jüdischen Freischule verbunden war. Der ungewöhnliche Synagogenbau, der die Suche nach einer Verbindung von Kontakte zu früheren Verfolgten. Die vorherige Kontaktaufnahme er- Tradition mit einer Reform jüdischer Sicherung von Erinnerungen und brachte die Bereitschaft von sechs Zeit- Religion widerspiegelte, wurde 1938 zer- anderen Quellen zeugen und der Tochter eines inzwischen stört. verstorbenen Verfolgten, Frau Krebs zu Ein in Zusammenarbeit mit der Ge- Gesprächen willkommen zu heißen. b) Vortragsreihe „Braunschweig 1930 meinde Vechelde und dem Gymnasium Während des Aufenthalts in Israel konn- – 1933“ Vechelde für Anfang Mai 2008 vorberei- te Frau Krebs, die bereits 2006 Inter- teter Besuch von Izhak Kaufmann views in Israel vorgenommen hatte, Mit drei Veranstaltungen erinnerte konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht allein eine Fülle neuer Informati- die Gedenkstätte an die Errichtung nicht stattfinden. Es zeichnet sich ab, onen erfragen. Sie hatte auch die Mög- nationalsozialistischer Herrschaft im dass Besuche von ehemaligen Häftlin- lichkeit, aus mehreren Familienalben Land Braunschweig vor 75 Jahren: gen der Lager in Braunschweig nur noch Fotografien und Dokumente zu repro- Prof. Dr. Michael Wettern berichte- sehr selten zu realisieren sein werden. duzieren, die den oft langjährigen Weg te am 14.2.2008 über die Opfer natio- Dafür entstehen immer wieder neue aus Mitteleuropa über verschiedene nalsozialistischer Verfolgung an der Kontakte zu Verwandten der Verfolgten, Mittelmeeranrainerstaaten nach Paläs- Technischen Hochschule Braun- so im Winter 2008 zu Angehörigen von tina veranschaulichen. Der Besuch war schweig. Er gab einen Überblick und Michael Gumaner in London. auch ein Beitrag dazu, den Kontakt zu beschrieb Beispiele für die politische Eine zweitägige Archivrecherche im den wenigen Zeitzeugen von Deutsch- Verfolgung von Studierenden, wissen- Archiv des Suchdienstes des Internatio- land aus erneut zu suchen. Die Ergeb- schaftlichen Mitarbeiter und Professo- nalen Roten Kreuzes in Arolsen ergab, nisse der Reise werden von Frau Krebs ren. Daneben gab es eine Verfolgung aus dass dort über fast alle überlebenden derzeit dokumentiert und stehen dann so genannten „rassischen“ Gründen. Häftlinge personenbezogene Akten exis- für eine Umsetzung – möglicherweise Derzeit bemüht sich die Hochschule in tieren, da die Überlebenden in der Nach- in einer Ausstellung – zur Verfügung. einem Projekt um weitere Erkenntnis- kriegszeit häufig den Suchdienst auf der se zu diesem lange vernachlässigten Suche nach Angehörigen oder für den Gemeinsam mit der Medienstelle im Thema der Hochschulgeschichte. Nachweis von Haftzeiten in Anspruch Fachbereich Schule wurde ein Interview Dr. Werner Sohn setzte am 27.3.2008 nahmen. Diese Akten geben, wie eine mit Elisabeth Schumann, Tochter des die Vortragsreihe fort. Auf der Grundla- ausgewertete Stichprobe ergab, auch früheren Rabbiners Dr. Gärtner, über ge seiner Arbeit aus dem Jahr 2003 Auskunft über den Weg der Verfolgten ihre Kindheit in Braunschweig und die sprach er über den Nazi-Terror im Jahr nach der Befreiung, der oft über unter- erzwungene Emigration der Familie 1933 und seine strafrechtliche Verfol- schiedliche Lager für „Displaced aufgenommen. gung im Braunschweig der Nachkriegs- Persons“ in Deutschland führte. zeit. Hierbei spielten die Gewaltexzesse Dieser Fund machte darauf aufmerk- Durchführung von Veranstaltungen der so genannten SA- und SS-Hilfspolizei sam, dass im Kontakt mit den früheren und Ausstellungen und ihre strafrechtliche Ahndung in den Gefangenen des Lagers Schillstraße Verfahren der Nachkriegsjahre eine zen- bislang wenig Augenmerk auf die Siche- trale Rolle. rung der Erinnerungen an diese „Nach- a) Lerntag „Juden in Braunschweig – Aufgrund der sich abzeichnenden geschichte“, die oft mit der Einwande- Wege in das Bürgertum“ größeren Publikumsresonanz fand die rung nach Palästina bzw. Israel endete, dritte Veranstaltung am 24.4. in der gerichtet worden ist. Das Vorhaben, ei- Zum vierten Mal befasste sich ein Aula des Gymnasiums Neue Oberschu- nige der hoch betagten Zeitzeugen zu Lerntag in Verbindung mit dem Ge- le statt. So konnten auch zwei Schul- diesen Lebensstationen zu befragen, denktag für die Opfer des National- klassen die Veranstaltung besuchen. fand die Unterstützung der Stiftung sozialismus mit der Geschichte der Studierende des Historischen Seminars Niedersächsischer Gedenkstätten und Braunschweiger Juden. Im Mittelpunkt hatten unter Leitung von Dr. Hans- des Volkswagenwerks Braunschweig. stand diesmal der Prozess der staatsbür- Ulrich Ludewig in einem Seminar Quel- Die erlangte Förderung ermöglichte im gerlichen und sozialen Emanzipation der len zur gewaltbesetzten Auseinanderset- Dezember 2008 eine zweiwöchige Recher- Juden im 19. Jahrhundert. Reinhard zung der politischen Gruppierungen che-Reise der Anthropologin Gabriele Bein stellte dazu das Beispiel der aus Anfang der 30er Jahre ausgewertet. Krebs nach Israel. Peine nach Braunschweig kommenden Unter dem Titel „Bürgerkrieg in
4 Rundbrief 1/09 Besucher der Ausstellung „Kampf der Bilder“. Dr. Habbo Knoch spricht zur Eröffnung. Fotos: Beate Hornack Braunschweig 1930 – 1933“ trugen sie Sammlung Hoffmann in der Bayrischen Weimarer Republik. Hier muss davon nun Ergebnisse aus der Lehrveranstal- Staatsbibliothek. Die Arbeiter-Illustrier- ausgegangen werden, dass Fotos ver- tung vor. te Zeitung, der Illustrierte Beobachter, nichtet wurden, um die Abgebildeten Alle Veranstaltungen waren gut be- die Berliner Illustrirte Zeitung und die angesichts der NS-Verfolgung ab 1933 sucht. Über die erste und letzte Veran- Reichsbanner-Illustrierte wurden auf nicht zu gefährden. staltung der Reihe berichtete die Braun- Braunschweig betreffende Bildberichte Für die Präsentation des Foto- schweiger Zeitung ausführlich. hin durchgesehen. Außerdem wurden materials wurde folgendes Vorgehen ge- Bildbestände privater Herkunft einbezo- wählt: Die Ausstellung enthielt durch- c) Ausstellung „Der Kampf der Bilder“ gen, so u.a. aus der Sammlung von Rein- gängig zwei unterschiedliche Haupttexte hard Bein. – einmal zu den historischen Sachver- Die Ausstellung „Der Kampf der Bil- Das aufgefundene Fotomaterial war halten, zum anderen zum Foto- der – Braunschweig 1930 -1933 im Spie- erstaunlich umfangreich und in vielen geschichtlichen. Sie begann mit einer gel der Fotografie“ präsentierte Ergeb- Fällen auch bisher unbekannt. Der Ver- Einführung über die Zeitsituation und nisse eines längeren Rechercheprojekts, gleich ermöglichte Zuordnungen, die den Stand der Presse- bzw. der privaten an dem Frank Ehrhardt, Dr. Thomas bislang aufgrund der unzureichenden Fotografie, sowie einer Übersicht zu Kubetzky, Jonathan Voges, Angela Bildbeschriftungen nicht möglich waren. wichtigen Ereignissen der Jahre 1930 – Glatzel und – als Mitarbeiterin in Berlin Besonders zahlreich war die NSDAP- 1933. Eine anschließende Sequenz stell- – Gabriele Krebs beteiligt waren. Ziel nahe Fotografie vertreten, die sich te Fotografien aus der Arbeiterbewegung war es, eine Gesamterhebung des Foto- insbesondere auf den NS-Gautag im am Beispiel der Jugendorganisation materials zur politischen Krisensituation Februar 1931, die Bildung der „Harz- „Rote Falken“, der KPD und des Reichs- am Anfang der 30er Jahre im Freistaat burger Front“ sowie den SA-Aufmarsch banners Schwarz-Rot-Gold vor. Es folg- Braunschweig durchzuführen und einen im Oktober 1931 bezog. Es zeigte sich, ten mehrere Bildtafeln über die NSDAP- Teil des aufgefundenen historischen dass Braunschweig durch die drei Er- nahe Fotografie und die drei genannten Fotomaterials zu präsentieren. Dabei eignisse in der überregionalen NSDAP- Ereignisse des Jahres 1931. In einer Vi- sollte nach Möglichkeit auch über Her- Presse im Jahr 1931 besonders massiv trine gezeigte Zigarettenbilder- kunft und Verwendung der Fotografien vertreten war. Durch die Beteiligung des Sammelalben informierten über die sowie die Biographie der Fotografen offiziösen Parteifotografen Heinrich Hoff- Verbreitungswege. Abschließend folgten recherchiert werden. Neben den regio- mann sind diese Fotografien in der mehrere nach „Motivgruppen“ geordne- nalen Archiven und Museen wurden parteieigenen Traditionspflege als Foto- te Fotoreihen, so zum „Kampf um die verschiedene Bildarchive einbezogen, so karten, für Bildbände oder für Straße“, zur Veranschaulichung gegne- das Bundesarchiv, das Archiv der sozia- Zigarettenbilder-Sammelalben zum Teil rischer Gewalt, zur Besetzung des Volks- len Demokratie, das frühere Partei- millionenfach vertrieben worden und freund-Gebäudes durch die SS und archiv der SED, der Ullstein Bilder- sind insofern in fast jeder Sammlung zuletzt über die Gleichschaltung des Dienst, der Bilder-Dienst der Süddeut- vorfindbar. Sehr viel seltener sind Foto- Braunschweigischen Landtags. Magrit schen Zeitung, das Bildarchiv der Stif- grafien der lokalen Arbeiterbewegung Telgen von der Agentur apriori design tung preußischer Kulturbesitz und die als gegnerischer Konfliktpartei der übernahm die Gestaltung der 15
Rundbrief 1/09 5 großformatigen Ausstellungstafeln. sönlichung der Gefangenen. Auf den schloss. Zwei Video-Einspielungen wur- Die Ausstellung wurde am 8. Mai Fotos auch zu entdeckende unterschied- den dazu vorgeführt. Die Erwartung, 2008 mit einer gut besuchten Veranstal- liche Handhaltungen, unterschiedliche dass die Fotografien ein geeigneter Weg tung eröffnet. Zur Einführung sprach Kleidung und Accessoires weisen hinge- zu einer Aufschlüsselung des gesamten Dr. Habbo Knoch, Geschäftsführer der gen auf die Persönlichkeit der Fotogra- Verfolgungsschicksals im Holocaust sein Stiftung niedersächsische Gedenkstät- fierten hin, verleihen den Bildern so können, hat sich eindeutig bestätigt. ten, in einem profunden Vortrag über „subtilen Portraitcharakter“. Die Ausstellung war ein weiterer Fotografie als historische Quelle. Mit einer gut besuchten Veranstal- Beitrag dazu, das Medium der Kunst als Die Braunschweiger Zeitung, die tung wurde die Ausstellung eröffnet. Zu Form der Erinnerungskultur in der bereits über die vorbereitenden Recher- Gast waren Beate Passow und Max Gedenkstätte Schillstraße zu verankern. chen ausführlich berichtet hatte, wid- Mannheimer. Der 87-jährige Max Mit dem Ableben der letzten Zeitzeugen mete der Ausstellung eine ganze Mannheimer schilderte in einem bewe- kommt künstlerischen Auseinanderset- Zeitungsseite. Ein Faltprospekt wurde genden Vortrag seine Erinnerungen an zungen mit dem Holocaust eine wach- in hoher Auflage versandt und verteilt. die Einlieferung seiner Familie nach sende Bedeutung zu, um neben kogniti- Die Ausstellung wurde an 31 Auschwitz, die Rituale der Aufnahme im ven auch andere Formen der Annähe- Öffnungsnachmittagen von 520 Besu- Lager und die Kennzeichnung mit der rung an die Thematik zu ermöglichen. chern besichtigt. Darunter waren 17 Häftlingsnummer. Anschließend sprach Die Ausstellung wurde durch die Nie- Besuchergruppen, die zum Teil von Barbara Straka, Präsidentin der Hoch- dersächsische Lotto-Stiftung und die Angela Glatzel und Jonathan Voges ge- schule für Bildende Künste Braun- Richard-Borek-Stiftung gefördert, die führt wurden. Neben den schulischen schweig. Sie ging in ihrem sorgfältig for- Eröffnungsveranstaltung fand in Koope- Besuchern kamen überwiegend ältere mulierten Vortrag auf das künstlerische ration mit der Stiftung Leben und Um- Braunschweigerinnen und Braun- Werk Beate Passows und die gezeigte welt, Heinrich Böll-Stiftung Nieder- schweiger, die mit den abgebildeten Vor- Arbeit ein. Herr Mannheimer besuchte sachsen statt. gängen sehr unterschiedliche Erinne- am Folgetag noch zwei Schulen, in de- rungen verbanden. Die Publikums- nen er über seinen Verfolgungsweg Freiwilliges Soziales Jahr / Kultur resonanz blieb aber angesichts der aus- sprach. führlichen Berichterstattung in der Lo- Vor der Ausstellungseröffnung fand Im Jahr 2006 / 2007 absolvierte kalpresse, der sehr aussagekräftigen ein Pressegespräch mit Frau Passow Moritz Plate ein Freiwilliges soziales Fotografien und des für die Ausstellung und Herrn Mannheimer und einer Jahr / Kultur in der Gedenkstätte. Sei- betriebenen Vorbereitungsaufwands hin- Vertreterin der Braunschweiger Zeitung ne zentrale Aufgabe war die Vorberei- ter unseren Erwartungen zurück. Eine statt, die in einem informativen Artikel tung eines zweiwöchigen Jugendcamps erneute Präsentation der Ausstellung zu berichtete. Ergänzend zum durch die Fa. mit deutschen und polnischen Jugendli- einem späteren Zeitpunkt an einem an- Hinz und Kunst gestalteten Aus- chen, das im Sommer 2007 in der Ge- deren Ort / zu einem anderen Anlass stellungsprospekt wurden in einem ge- denkstätte stattfand. Ergebnis dieses bleibt deshalb wünschenswert. sonderten Rundschreiben etwa 40 workcamps war die Fertigstellung einer Die Stiftung niedersächsische Ge- Fachlehrerinnen und –lehrer auf die Ausstellung. denkstätten förderte die Archiv- Ausstellung hingewiesen. Ein 14-seiti- Die positiven Erfahrungen mit die- recherchen. Die Realisierung der Aus- ges Begleitmaterial, das in der Gedenk- sem in Zusammenarbeit mit der Landes- stellung wurde durch Zuwendungen der stätte erworben werden konnte, infor- vereinigung kulturelle Jugendbildung Stiftung Braunschweigischer Kultur- mierte über die Künstlerin, die Ge- durchgeführten FSJ/Kultur veranlass- besitz, des Volkswagenwerks Braun- schichte des Tätowierens, das Konzen- te den Arbeitskreis, für 2008/2009 erneut schweig und der IG Metall Braun- trationslager Auschwitz und die Tä- ein solches Angebot zu eröffnen. Wie sich schweig ermöglicht. towierung der Häftlingsnummer in den zeigte, ist das Interesse von jungen Leu- Erinnerungen der ehemaligen Häftlin- ten, nach dem Schulbesuch diese einjäh- d) Ausstellung „Zähler / Nenner“ ge. rige Freiwilligen-Tätigkeit zu einer Ori- An 25 Öffnungs-Nachmittagen ka- entierung in einem kulturellen Berufs- Die Ausstellung „Zähler / Nenner“ men 130 Einzelbesucher in die Gedenk- feld zu nutzen, groß. Es wurden Ge- mit Fotografien der Münchner Künstle- stätte. Außerdem wurde die Ausstellung spräche mit vier der sich meldenden rin Beate Passow wurde vom 18. Sep- von 14 Schulgruppen besucht. Das Spek- Bewerberinnen geführt. tember bis zum 6. November 2008 in trum dieser Schulgruppen war groß, so Seit dem 1. September ist Laura Hof- der Gedenkstätte Schillstraße gezeigt. waren sowohl Fachkurse eines Gymna- mann in der Gedenkstätte tätig. Die Die 18 ausgewählten, großformatigen siums als auch Hauswirtschaftsauszu- Abiturientin erstellte zusammen mit Abbildungen zeigen die eintätowierten bildende einer Berufsschule vertreten. dem Praktikanten Jan Jäckel das Häftlingsnummern auf den Unterarmen Die Gruppen befassten sich mit unter- Begleitmaterial für die Ausstellung „Zäh- ehemaliger Häftlinge des Konzen- schiedlicher Intensität mit den Bildern ler / Nenner“, wobei sie sich insbesondere trationslagers Auschwitz. Durch einen als Kunstwerk – in jedem Fall waren für die Geschichte von Tätowierungen gleichartigen Hintergrund, die gleichar- die Fotografien ein Gesprächseinstieg, als Körperkunst interessierte. Als zen- tige Perspektive der Abbildungen und dem sich in der Regel eine intensive Be- trale Aufgabe wird Frau Hofmann für einheitliche Rahmung unterstreicht schäftigung mit dem Verfolgungs- 2009 eine Ausstellung vorbereiten, die Frau Passow die in der Kennzeichnung schicksal von Max Mannheimer als ei- die Lebensgeschichten von Frauen aus zum Ausdruck kommende Entper- nem der abgebildeten Häftlinge an- Braunschweig in der Zeit des Zweiten
6 Rundbrief 1/09 Weltkriegs und in der unmittelbaren Auch kann die Ergänzung der Samm- Veranstaltungsfolge bildete eine Füh- Nachkriegszeit zum Thema hat. Sie hat lung des Offenen Archivs und die dar- rung von Frank Ehrhardt am 20.9.2008 dazu bereits die Sammlung des Frauen- auf bezogene Öffentlichkeitsarbeit nicht im Westlichen Ringgebiet: „Industrie archivs im Stadtarchiv auf Materialien zu kurz kommen. Die Entwicklung von und Wohnquartiere am Ringgleis.“ durchgesehen, die für diese Biographi- mehr pädagogischen Angeboten bedarf Sabine Ahrens, Reinhard Bein und en in Frage kommen. Ergänzend wer- deshalb einer entsprechenden personel- Frank Ehrhardt führten darüber hin- den von Frau Hofmann Zeitzeuginnen len Voraussetzung, etwa im Rahmen aus auf Anfrage von Gruppen und Schu- befragt. eines geförderten, zeitlich befristeten len. So waren Studierende des Sprachen- Im Frühjahr 2009 wird Laura Hof- Projekts. zentrums der TU, Bundeswehrsoldaten mann vermutlich drei öffentliche Ge- im Rahmen der politischen Bildung und spräche mit Zeitzeuginnen in der Ge- 2. Geschichtsvermittlung und - Schüler der IGS Franzsches Feld sowie denkstätte arrangieren. Für den Som- Mitglieder von Seniorengruppen Teil- erforschung mer ist dann wiederum ein Jugendcamp nehmer thematischer Führungen, vor in Zusammenarbeit mit dem Service allem zu Braunschweig in der NS-Zeit. Civil International und dem Fachbereich Spaziergänge zur Stadtteil- und Jugend geplant, das der Fertigstellung Alltagsgeschichte Studienfahrten der Ausstellung dient. Die Kosten des Freiwilligen sozialen Das diesjährige Programm der öffent- Eine Tagesfahrt führte am 25.5.2008 Jahrs / Kultur werden ausschließlich lichen Spaziergänge zur Alltags- und nach Halberstadt. Erste Station war die aus Spenden und Vereinsmitteln bestrit- Stadtteilgeschichte begann am 24.5.2008 Gedenkstätte Langenstein–Zwieberge. ten. mit einer Führung von Sabine Ahrens, Die Gedenkstättenleiterin Ellen Fauser die unter dem Titel „Vom Staatstheater begleitete die Besuchergruppe zuerst in Perspektiven zur Bernhard-Rust-Hochschule“ vor al- die Stollenanlage aus der Untertage- lem Wissenswertes zur NS-Zeit vorstell- produktion des Zweiten Weltkriegs, die Die Resonanz auf die beiden Ausstel- te. Am 21.6.2008 erläuterte Karl Heinz Anlass für die Errichtung eines Außen- lungen in der Gedenkstätte durch Schul- Löffelsend auf einem Spaziergang kommandos des Konzentrationslagers klassen erwies erneut, dass die Nutzung „Durch das Krähenfeld“ Stationen im Buchenwald an diesem Ort war. Ein der Gedenkstätte für den Schulunter- heutigen Bahnhofsviertel. Bianca Arm- Gespräch informierte über die Ge- richt sehr attraktiv ist, wenn Angebote brecht und Joost Heinken zeigten am denkstättenarbeit heute. Es blieb nur gemacht werden, die sich ohne allzu gro- 5.7.2008 Relikte Braunschweiger noch wenig Zeit für die Besichtigung des ßen Vorbereitungsaufwand in das Industriekultur „Am Nordbahnhof“. früheren Lagergeländes und der schon Unterrichtsgeschehen integrieren las- Eine Woche später erläuterte Reinhard in den 50er Jahren angelegten Gedenk- sen. Der Arbeitskreis hat deshalb wie- Bein bürgerliches Wohnen „Am Stadt- anlage. Nach einer Essenspause schloss derholt angeregt, in einem größeren park und Nussberg“. Georg Wittwer lei- sich ein Rundgang durch das jüdische Ausmaß als dieses bisher möglich war, tete eine Gruppe Interessierter am Halberstadt an, der u.a. in das Gebäude pädagogische Angebote zur Arbeit mit 30.8.2008 durch das Östliche Ringgebiet der Klaus-Synagoge und auf einen jüdi- dem Offenen Archiv zu entwickeln. So als einem Stadtquartier „wie zu Kaisers schen Friedhof führte. wäre zum Beispiel vorstellbar, über Ju- Zeiten“. Am 6.9. stellte Frieder Schöbel Reinhard Bein und Regina Blume lei- gendliche in der NS-Zeit, über die Ver- die Gedenkstätte an den Schießständen teten vom 12. bis 14. September die folgung jüdischer Bürger, über die KZ- in der Buchhorst vor. Den Abschluss der Außenlager in der Nachbarschaft, über Braunschweigs Weg in das „Dritte Reich“ Konzepte auszuarbeiten, die „ent- deckendes Lernen“ im Offenen Archiv mit Informationsmöglichkeiten über er- gänzende Medien kombinieren. Mehre- re Schulen haben in schriftlichen Stel- lungnahmen ihr großes Interesse an An- geboten für solche Formen der Projekt- arbeit geäußert. Eine Ausdehnung entsprechender Angebote lässt die bisher kontinuierlich vorhandene Arbeitskapazität im Um- fang von 19,5 Wochenstunden nicht zu. Es kann an dem zentralen Erinnerungs- ort des städtischen Gedenkstätten- konzepts nicht vernachlässigt werden, regelmäßig neue Ergebnisse regional- geschichtlicher Forschung über den Nationalsozialismus in Ausstellungen und Veranstaltungen zu präsentieren. Die Reisegruppe in Langenstein-Zwieberge Foto: Beate Hornack
Rundbrief 1/09 7 fasst, diese gemeinsam durchgesprochen und redaktionell überarbeitet hatten. Das zielgerichtete und kooperative Zu- sammenwirken nebenberuflich Tätiger an einem gemeinsamen Projekt über so einen vergleichsweise langen Zeitraum verdient Hervorhebung. Bianca Armbrecht, Frank Ehrhardt, Joost Heinken, Klaus Hoffmann, Beate Hornack, Karl-Heinz Löffelsend, Dr. Norman und Sabine Pingel sowie Georg Wittwer verfassten Beiträge über 58 Sta- tionen, die auf den sieben Führungen aufgesucht werden können. Beschrieben wurden Stätten der traditionsreichen Braunschweiger Industrie, für ihre Zeit typische Wohnanlagen, öffentliche Ein- richtungen wie Schulen, Kranken- häuser, Gefängnisse und Kasernen, Freizeitstätten und Parkanlagen. In ei- ner Reihe von Fällen geben die Orte heute keinen Aufschluss mehr über ihren ur- Teeverkostung in der Hamburger Speicherstadt. Foto: Manfred Heider sprünglichen Entstehungszweck, ande- re sind stadtbekannt. Doch wurden in Herbstfahrt des Arbeitskreises, die un- die in den 1990er Jahren in Zusammen- fast allen Darstellungen Informationen ter dem Motto „Auf großer Fahrt“ Ziele arbeit mit Anwohnern umgesetzt wor- eingearbeitet, die ohne die Auswertung zu den Themen Salzhandel und Schiff- den sind. Zugleich war auf die langjäh- von Archivunterlagen nicht zu erfahren fahrt im norddeutschen Raum ansteu- rigen Erfahrungen und Ausarbeitungen sind. Das Buch bietet insofern sehr vie- erte. Die Gruppe besuchte die Salzstadt aus den Spaziergängen zur Stadtteil- le Neuigkeiten aus einer ansonsten ver- Lüneburg, verfolgte den Weg des Salzes und Alltagsgeschichte zurück zu grei- trauten Lebensumwelt. nach Lauenburg an der Elbe und fuhr fen. Hilfreich war auch, dass drei Das Grafikbüro apriori design sorg- in die Hafenstadt Hamburg. Dort wa- Heimatpfleger aus den berücksichtigten te für eine ansprechende Gestaltung des ren die historische Speicherstadt und das Stadtquartieren an der Veröffentlichung Vierfarbdrucks. Historische Fotos zu Auswanderermuseum „Ballin-Stadt“ mitwirkten. fast jeder Station wurden eingefügt. Besichtigungsstationen. Wieder auf der Der ausschließlich ehrenamtliche Das Taschenbuch wurde in einer ers- Salzstraße folgte die Hansestadt Lübeck Arbeitsprozess zog sich über drei Jahre, ten Auflage von zweitausend Stück ge- und auf der Rückfahrt das Schiffs- bis die neun beteiligten Autorinnen und druckt und im Selbstverlag vertrieben. hebewerk Scharnebeck am Elbe-Seiten- Autoren die in dem Stadtführer zu be- Dadurch ist ein Verkaufspreis von 9.80 Kanal. handelnden Stationen ausgewählt, Re- Euro möglich. cherchen vorgenommen und Texte ver- Braunschweiger Zeitung, neue Veröffentlichungen Nachdem 2007 mit dem Sammel- band „Lebenswege unter Zwangs- herrschaft – Beiträge zur Geschichte Braunschweigs im Nationalsozialismus“ sieben regionalgeschichtliche Fachauf- sätze herausgegeben worden sind, wen- dete sich 2008 der Band „Braunschweiger Spaziergänge – Sieben Führungen durch das Ringgebiet“ an einen sehr viel breiteren Kreis an Geschichtsinter- essierten. Die Publikumsresonanz machte dann auch deutlich, dass eine derartige Darstellung zur noch wenig behandelten Stadtteil-Geschichte des Braunschweiger Ringgebiets auf großes Interesse stößt. Mit der 196-seitigen Veröffentlichung konnte der Verein an die stadtteil- geschichtlichen Projekte anschließen, Bei der Buchvorstellung des Ringgebietführers. Foto: Jürgen Seler
8 Rundbrief 1/09 braunschweiger, Radio Okerwelle, Seni- orenmagazin Braunschweig Journal Friedrich Jeckeln in der Literatur und einzelne Stadtteilzeitungen berich- Am 24.1. fand in der Gedenkstätte 1941 bis 1944. 2. Aufl. Hamburg 2000 teten über das im Mai vorgestellte Buch. Schillstraße ein gut besuchter Lerntag Krausnick, Helmut/Wilhelm, Hans- Es setzte sofort eine starke Nachfrage „Tätergeschichte“ statt. Dr. Hans-Dieter Heinrich: Die Truppe des Weltanschau- ein, die es ermöglichte, bis zum Herbst Schmid (Hannover) sprach in einem in- ungskrieges. Die Einsatzgruppen der Si- die Hälfte der Auflage und bis zum Jah- formativen Vortrag über die Biografie cherheitspolizei und des SD 1938-1942. resende drei Viertel zu verkaufen. des SS- und Polizeiführers Friedrich Stuttgart 1981 Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Jeckeln. Aus der neueren Literatur hat- Longerich, Peter: Heinrich Himm- dem 2002 vorgelegten Stadtführer te er eine Fülle von Hinweisen auf ler. Biographie. München 2008 „Braunschweiger Frauen. Gestern und Jeckelns mörderische Tätigkeit in Ost- Lotfi, Gabriele: KZ der Gestapo. Heute“ noch einmal an, der in ähnlicher europa während des Zweiten Weltkriegs Arbeitserziehungslager im Dritten Form gestaltet ist. Der Buchhandel entnommen. Auf mehrfachen Wunsch Reich. Stuttgart/München 2000 machte durch die gemeinsame Auslage der Zuhörer schickte uns der Referent Mallmann, Klaus Michael: Der qua- auf den Vorläufercharakter dieser Ver- die folgende Literaturliste: litative Sprung im Vernichtungsprozeß. öffentlichung aufmerksam. Die Restauf- Das Massaker von Kamenez-Podolsk lage ist dadurch nun auch verkauft – Angrick, Andrej/Klein, Peter: Die Ende August 1941. In: Jahrbuch für das Frauengeschichtsbuch wanderte „Endlösung“ in Riga. Ausbeutung und Antisemitismusforschung 10 (2001), S. damit 2300-mal über den Ladentisch. Vernichtung 1941-1944. Darmstadt 239-264 Unter Verantwortung von Martin 2006. Pohl, Dieter: Schauplatz Ukraine. Kayser wurden zwei Rundbriefe des Benz, Wolfgang u.a. (Hrsg.): Einsatz Der Massenmord an den Juden im Arbeitskreises im Umfang von insge- im „Reichskommissariat Ostland“. Do- Militärverwaltungsgebiet und im Reichs- samt 24 Seiten erstellt, die für Vereins- kumente zum Völkermord im Baltikum kommissariat 1941-1943. In: Norbert mitglieder und Interessierte Informati- und in Weißrußland 1941-1944. Berlin Frei u.a. (Hrsg.), Ausbeutung, Vernich- onen über das Vereinsgeschehen sowie 1998 tung, Öffentlichkeit. Neue Studien zur über Neuerscheinungen und Ausstellun- Birn, Ruth Bettina: Die Höheren SS- nationalsozialistischen Lagerpolitik, gen enthielten. und Polizeiführer. Himmlers Vertreter München 2000, S. 135-173 im Reich und in den besetzten Gebie- Sonstiges ten. Düsseldorf 1985 Zu Jeckelns Tätigkeit in Braun- Breitman, Richard: Friedrich schweig sind zu ergänzen: Auf der gut besuchten Mitglieder- Jeckeln – Spezialist für die „Endlösung“ versammlung des Arbeitskreises am im Osten. In: Ronald Smelser/Enrico Sohn, Werner: Im Spiegel der Nach- 10.9.2008 stellte Prof. Dr. Dr. Günter Syring Hrsg., Die SS. Elite unter dem kriegsprozesse: Die Errichtung der NS- Wiemann, unterstützt von Heimat- Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn Herrschaft im Freistaat Braunschweig. pfleger Peter Dietrich, seine Recherchen etc. 2000, S. 267-275 Braunschweig 2003 zu den Lebenswegen von Hans Löhr und Gerlach, Christian: Kalkulierte Mor- Wysocki, Gerhard: Die Geheime Hans Koch vor, die in den 1920er Jah- de. Die deutsche Wirtschafts- und Staatspolizei im Land Braunschweig. ren in Harxbüttel eine „Landkommune“ Vernichtungspolitik in Weißrußland Frankfurt/Main 1997 gründeten. Frank Ehrhardt sprach auf einer Gesamtkonferenz der BBS II über die Biografien von Heinrich Büssing, Agnes Pockels, Max Jüdel und Sally Perel. Der Vortrag sollte Anregungen bei der Su- che nach einer Neubenennung der Schu- le geben. Perspektiven Die gute Resonanz auf die Stadt- führer regte dazu an, die Arbeit an wei- teren Bänden dieser Art aufzunehmen. Ein Buch über bekannte Braunschwei- ger(-innen) des 20. Jahrhunderts und über Park- und Friedhofsanlagen stehen zur Diskussion. Außerdem wird der Ver- ein das 25. Jubiläum seiner Gründung im Jahr 2010 vorbereiten. Frank Ehrhardt Reinhard Bein Besucher des Lerntages 2009 mit Dr. Hans Dieter Schmid in der Gedenkstätte. Geschäftsführer Vorsitzender Foto: Manfred Heider
Rundbrief 1/09 9 „Wenn Träume fliegen lernen“ – Kreativseminar des Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur Antoine de Saint-Exupery sprach: Den Einsteig ins Thema erleichter- Entstehungsprozess fast spannender war „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann ten uns vier Freiwillige, die an die von als das eigentliche Resultat. trommle nicht Männer zusammen, um Rationalität geprägten Lehrmethoden Natürlich blieb uns genügend Zeit, Holz zu beschaffen, Aufgaben zu verge- unserer Schulzeit erinnerten und uns bei Bionade und dem guten, vegetari- ben und die Arbeit einzuteilen, sondern schlüssig wirkende Definitionen bilden schen Essen zu klönen. Am Kinoabend lehre sie die Sehnsucht nach dem wei- ließen. Schlaftraum, Alptraum, sahen wir das gedankenreiche Filmdra- ten, endlosen Meer.“ – Und so begaben Wunschtraum, Zukunftstraum, Tag- ma „Wenn Träume fliegen lernen“, wäh- sich 25 schwermütige Matrosen in der traum – zahlreiche Traumarten wur- rend eines Diskussionsabends zum The- letzten Januarwoche erneut ins den von einer klugen Menge Jugendli- ma „Die utopische Stadt“ wurden die un- Hannover´sche Gleisdreieck zum dies- cher beinahe zerrissen, um den terschiedlichsten Stimmen laut. Aus zag- jährigen Kreativseminar. Gedankenfetzen anschließend wieder die haften Visionären wurden mesantrophe Wir jungen FSJ - Kulturler waren nötige Logik zu verleihen. Um eine kre- Zukunftswissenschaftler, die sich nicht gespannt darauf, fünf Tage zum The- ative Auseinandersetzung nicht zu ver- scheuten, eine unheilvolle Distropie zu ma „Träume und Visionen“ zu arbeiten, hindern, durfte jeder Einzelne persönli- entwickeln und vorzustellen. begegneten diesem schwammigen che Beispiele auf bunt bedruckte, Am Donnerstag wurden alle Arbei- Seminartitel jedoch mit Vorsicht. Was wolkenförmige Papierkarten schreiben. ten der FSJ – Kulturler bei einer gemüt- ist eine Utopie? Welche Vorzüge hat ein Diese wurden anschließend mithilfe von lichen Abendveranstaltung präsentiert. visionärer Geist gegenüber Menschen passenden musikalischen Klängen und Wir lasen unsere Texte vor, sangen Lie- ohne Fantasie? Wie viele verschiedene hoffnungsvollen Fotografien publiziert. der, stellten eigens kreierte Kompositio- Traumtypen unterscheiden wir? Endlo- Für das fünftägige Kreativseminar nen und die Vertonung einer Geschichte se Fragezeichen machten sich in unse- bot die Landesvereinigung Kulturelle vor, zeigten die musikalische Nutzbar- rer jugendhaften „Kulturrunde“ bemerk- Jugendbildung drei verschieden Werk- keit von tristem Kücheninventar und bar und erzeugten neben dem Gefühl von stätten an. „Kreatives Schreiben“, gestalteten eine kleine Kunstausstellung, Ratlosigkeit eine inspirierende Neugier. „Acrylmalerei und Zeichnen“ und „Mu- die einmal mehr veranschaulichte, dass Als wir unsere Unterkünfte betraten, sik“ lauteten die verheißungsvollen Ti- jeder seinen eigenen Kopf bezüglich des wurden wir erneut konfrontiert, nahezu tel der zukünftigen Produktionsorte un- Themas „Träume und Visionen“ hat. „traumatisiert“, um dem Wort eine völ- serer Fantasie. Ich entschied mich für Abschließend kann ich sagen, dass lig neue Bedeutung zu verleihen. Auf erstere, da sie thematisch sehr gut mei- ich dieses Seminar als geistige Bereich- jedem Bett lagen ein kleiner, mit Federn nen beruflichen Wünschen entsprach. erung sah und aus dem anfänglichen geschmückter Traumfänger und ein Unsere Werkstattleiterin, Tordis Schus- Zweifeln die Leidenschaft des Sich-sel- gelbes Blatt, das mit der Überschrift „5 ter, ist eine sehr ambitionierte Kultur- ber-Ausprobierens entstand. Tipps zum Erinnern von Träumen“ ver- wissenschaftlerin und Kinderbuch- Und so zogen wir völlig beschwingt sehen war. Es erzählte von den „gängi- autorin, die das Talent besitzt, aus ei- zum Hauptbahnhof Hannover, nicht nur gen“ Methoden zur Erinnerung von ner müden Menge eine Reihe mit der Lust auf Fleisch, sondern auch Träumen wie ein heißes Bad und folklo- erfahrungsdurstiger Autoren zu ma- der Sehnsucht neue Schiffe zu bauen und ristische Zimmerbeschallung vor dem chen. So verging die Zeit in rasanter mit diesen die unergründlichen Weiten Zu-Bett-Gehen, der Mitnahme eines Dik- Schnelle und wir probierten uns in unseres Gedankenmeeres zu durchbre- tiergerätes und einer Taschenlampe in Assoziationsübungen, den Methoden zur chen. die eigene Schlafstätte und dem ent- Ideenfindung, Plotgestaltung, Stil- und Noch heute wundert man sich zu schlossenen Aufsagen des Satzes „Ich Genreübungen, thematischer Text- Hause über unsere eigensinnige Traum- werde heute Nacht einen Traum an- entwicklung und vollendender Text- ausrüstung im Bett und den von uns laut geln!“. präsentation. Übungen wie das „Auto- ausgesprochenen, besagten Satz, der sich Die neu gewonnenen Informationen matische Schreiben“, bei welchem man aus unwissender Ferne wie die Einla- sorgten für Erheiterung, nicht aber für 20 Minuten ohne Pause zu exzentrischer dung zum nächtlichen Fischfang anhört. Antworten. Musik seine Gedanken auf Papier bringt Um intensiver an meinen eigenen Bei der alt bekannten Stuhlrunde, in und abstrakte Worte, die Tordis minüt- Träumen festzuhalten, habe ich be- der zu Anfang der organisatorische Ver- lich in die Schreiberschaft warf, mit ein- schlossen mein FSJ Kultur in der Ge- lauf des Seminars besprochen wird, baut, füllten unseren schriftstelleri- denkstätte Schillstraße auf ein halbes umhüllten uns mit Watte und Wortfet- schen Erfahrungsreichtum. Auch das Jahr zu verkürzen und werde mich ab zen wie „Herzensmut“ oder „Hoffnungs- Klima innerhalb der Gruppe war mit- März 2009 ausgiebig um die Vorberei- schimmer“ beklebte Wände. In dieser reißend. Wir hörten, wir lobten, wir tung meines Studiums kümmern. pittoresken Kulisse gaben wir uns der kritisierten, wir verbesserten und vor Ich danke für die Zusammenarbeit euphorischen Predigt der Seminar- allem empfanden wir gegenseitige An- und viele gute Erfahrungen! leitung hin, stellten das viele Fragen erkennung für die verschiedenartigen und Zweifeln ein und öffneten die Au- Schreibkreationen. In unserer Kreativ- Laura Hofmann gen für eine unbekannte, prickelnde werkstatt entstanden in vier Tagen zwei Sphäre. große Geschichten, bei denen der
10 Rundbrief 1/09 Anmerkungen zur Novemberrevolution Im November vergangenen Jahres annahme: Der Streik der Seestreitkräf- Braunschweig. Als Titel seiner „Anmer- erschien der Sammelband „Von der Mo- te wäre nicht der Beginn einer Revolu- kungen“ wählt Ohnezeit eine Aussage narchie zur Demokratie. Anmerkungen tion sondern nur einer Streikbewegung des auch als Historiker bekannten The- zur Novemberrevolution 1918/19 in für den Frieden gewesen. Eine Kapitel- ologen und Philosophen Ernst Troeltsch: Braunschweig und im Reich“. In der überschrift lautet dann auch „Der ver- „Kein Mann tot für Kaiser und Reich!“ Einleitung wird der Anspruch an diese deckte Militärstreik im Heer“ und die Troeltsch meinte diesen Ausspruch nicht „Anmerkungen“ formuliert: Ziel sei es, Charakterisierung der politischen Be- als Aufforderung, sondern wollte „die Ereignisse des November 1918 und wegung als „Streik“ wiederholt sich in angesichts des fehlenden Widerstands deren Folgen in der allgemeinen Wahr- verschiedenen Überschriften. Eine ab- gegen die Revolution seine Verwunde- nehmung von überlieferten Mythen zu schließende Zusammenfassung zeigt in rung ausdrücken. Ohnezeit kommt am befreien und den Blick stärker zu den zwölf Punkten noch einmal, wie der Ende seiner Ausführungen zu dem Ergebnissen der historischen Forschung Autor den Verlauf sieht. Wer sich über Schluss: „Das bürgerlich- konservative zu lenken.“ Das Buch führt drei Auto- die Revolution in Braunschweig nach Lager blieb mehrheitlich bei seiner Ab- ren zusammen, die zu vier Aspekten ihre neuestem Quellenstand informieren lehnung der parlamentarischen Demo- „Anmerkungen“ entwickeln. Dietrich möchte, sollte allein wegen dieser Dar- kratie und trug so zum Niedergang der Kuessner schreibt über Mythen und bietung die 14,90 Euro für das Buch auf- ersten Republik und der späteren Macht- Legenden sowie über die evangelische bringen. übernahme bei“ (S. 131). Landeskirche, Wulf Otte untersucht die Ohnezeits Beitrag hat zu selten Be- bürgerliche Braunschweigische Landes- Dietrich Kuessner, Maik Ohnezeit, züge zu Braunschweig und macht es zeitung und Maik Ohnezeit das bürger- Wulf Otte: Von der Monarchie dem Leser schwer nachzuvollziehen, wie lich-konservative Lager. zur Demokratie. Anmerkun- sich aus dem konservativ-bürgerlichen Kuessners erster Beitrag hat den Ti- gen zur Novemberrevolution Lager mit der DVP doch eine Partei he- tel „Braunschweiger Novemberrevoluti- 1918/19 in Braunschweig und rausbilden konnte, die sich zur Weima- on. Mythos und Wirklichkeit“. Er ist mit im Reich, Wendeburg (Verlag rer Demokratie bekannte, an mehreren 58 Seiten der längste Beitrag des Buches. Uwe Krebs) 2008 Regierungen beteiligt war und mit Aus der Betitelung könnte man durchaus Gustav Stresemann einen herausragen- eine Auflistung gängiger Legenden und Der Beitrag „Die (gelesene) Revoluti- den Außenminister und Reichskanzler Mythen erwarten und anschließend die on 1918/19. Zur Berichterstattung der stellte. Der Abschnitt ist dennoch reich Gegenüberstellung der historischen Fak- Braunschweigischen Landeszeitung“ an Fakten und flüssig geschrieben. ten. Kuessner fasst aber die Deutungen von Wulf Otte schließt sich an. Die Dietrich Kuessner, der evangelischer zu zwei Komplexen zusammen. Auf der Landeszeitung war das führende bür- Pfarrer war und durch seine Arbeiten politischen Rechten war es die Vorstel- gerliche Tagesblatt in Braunschweig. zur regionalen Kirchengeschichte be- lung der „bolschewistischen Sturzwelle“, 1880 gegründet, war sie bis zur Revolu- kannt geworden ist, nimmt im letzten d.h. die Behauptung, dass russische Agi- tion 1918 das inoffizielle Organ der Na- Beitrag „Die braunschweigische Lan- tatoren die deutschen Matrosen aufge- tionalliberalen. Ottes Anliegen ist es, deskirche und die sogenannte Novem- hetzt und so den nahen Endsieg verhin- „Argumentationslinien herauszuarbei- berrevolution 1918“ seine Charakte- dert hätten. Auf der Linken kennzeich- ten“ (S. 81), wie diese Zeitung über die risierung der politischen Ereignisse als net der Stolz auf die besondere Radikali- Revolution berichtete. Er füllt damit Streikbewegung wieder auf. Die tät der Braunschweiger Arbeiterschaft eine bestehende Forschungslücke zur Braunschweigische Landeskirche hat in einen solchen Mythos, der von der Rech- Pressegeschichte, beschränkt sich der Revolution enorm an Einfluss und ten in der Weise geteilt wurde, als sie allerdings auf die Landeszeitung, „die Macht verloren. Sie verlor die Schulauf- diese Radikalität gerade als besondere rechts-konservative und links orientier- sicht, sie musste künftig die Trennung Schande empfanden. Kuessner unter- te Presse werden ausgeblendet“ (S.81). von Staat und Kirche hinnehmen. Sie sucht nun nicht die Entstehung dieser Otte weist durch Zeitungsausschnitte verlor in der Person des Herzogs ihr re- Vorstellungen, sondern beschreibt sehr auf, wie sich das Tagesblatt peu à peu gionales Oberhaupt, und in der Rätezeit fundiert, ausführlich und fast immer in einem Auf und Ab und Hin und Her wurde der Religionsunterricht aus der durch Quellen belegt den Verlauf der allmählich zu einer pro-republikani- Schule verbannt. Revolution, sowohl in der Stadt, als auch schen Zeitung entwickelte, die sich zum Kuessner gelingt es, kenntnisreich im Herzogtum bzw. Freistaat. Mit Fak- neuen Staat bekannte. Otte kommt zu und übersichtlich darzustellen, wie die ten widerlegt er die angesprochenen dem Schluss, dass die Landeszeitung evangelische Kirche diesen Macht- Mythen und Legenden, ohne noch einmal meistens objektiver über die revolutio- verlust verkraftete und wie sie aus der explizit auf sie einzugehen. Auffällig ist, nären Ereignisse berichtete als die lin- Konfrontation allmählich zu einer Koo- dass er die Abläufe in den Kreis- und ke Presse. peration überging. Kleinstädten des Freistaats – teilweise Im dritten Beitrag des Sammelban- Eine umfassende Bibliografie von auch in den Dörfern – gleichwertig zu des beschreibt Maik Ohnezeit das Ver- Maik Ohnezeit „Die Novemberrevoluti- denen in der Hauptstadt stellt. Seine halten des von Otte ausgesparten on 1918/19 im Reich und Braunschweig häufigste Quelle ist dabei die Schöninger rechts-konservativen Lagers. Er be- in der wissenschaftlichen Literatur“ Zeitung. Gleich an den Anfang stellt er schreibt dieses Verhalten für das Reich, schließt die Veröffentlichung ab. seine kontrovers zu diskutierende Haupt- nur selten bringt er Beispiele aus Joachim Schulze
Rundbrief 1/09 11 Biegel kann alles besser (?) Mit einiger Überraschung entnahm Zusätzliche Quellen zur Geschichte der ser Mäzenin beruht sicherlich auf dem ich der Braunschweiger Zeitung vom 2. Stiftung sind von ihm nicht ermittelt Umstand, dass Amalie Löbbecke die ein- Dezember 2008, dass die Mansfeld- worden. Hinzugekommen sind zig bekannt gebliebene Vertreterin der Löbbecke-Stiftung eine neue Stiftungs- allerdings 25 Druckseiten, die die gegen- Gründerinnen ist. Aus der Kenntnis der chronik herausgegeben und als Autor wärtige Arbeit der sozialen Einrichtung Gründungsunterlagen erscheint es un- dafür den bisherigen Leiter des Landes- beschreiben. gerechtfertigt, Amalie Löbbecke in die- museums, Prof. Dr. Gerd Biegel, gewon- Die Darstellung der Stiftungs- ser Weise hervorzuheben, da ihr Enga- nen habe. Meine Überraschung rührte geschichte, die im Umfang nicht wesent- gement für den Volkskindergarten nicht daher, dass ich im Jahr 2000 im Auf- lich mehr Text umfasst als das frühere das ihrer Mitgründerinnen übertraf. trag der Stiftung in einem halbjährigen Buch, ist etwas anders gegliedert und Warum der jüdische Arzt David Mans- Arbeitsprozess bereits eine derartige setzt zum Teil andere Schwerpunkte, feld als Geschäftsführer der Stiftung bei Darstellung verfasst hatte, die unter folgt aber über weite Phasen dem Auf- Biegel sehr kurz kommt, ist von den dem Titel „Hirsegrütze und Pizza – Die bau, den ich 2000 gewählt hatte. Ein historischen Vorgängen her auch nicht Geschichte des Volkskindergartens und inhaltlicher Dissens besteht nicht. zu erklären. - Eine zweite Auslassung der Mansfeld-Löbbecke-Stiftung von Biegel widmet der Wiedergabe von Do- betrifft die ausführlicher beschriebene 1833“ veröffentlicht wurde. Kritik an kumenten aus dem Stiftungsarchiv Entwicklung eines neuen Verständnis- dieser Arbeit war mir nicht zu Ohren mehr Raum. Dieses mag die Anschau- ses der Kleinkinderpädagogik in der gekommen. Was mochte nach so kur- lichkeit für den wenig vorinformierten zweiten Hälfte der 19. Jahrhunderts, die zer Zeit die Stiftung, die heute vor allem Leser stärken, ähnlich wie die sehr im Volkskindergarten zunächst nicht auf dem Gebiet therapeutischer Jugend- stark ausgebauten Einführungen zum nachvollzogen wurde. Hier verweist einrichtungen tätig ist, zu einer Neu- jeweiligen Zeitkolorit in der Stadt Biegel auf mein Buch. schreibung ihrer Geschichte bewegt ha- Braunschweig. Insgesamt gesehen entsteht der Ein- ben, bzw. was konnte Biegel an zusätz- Dafür lässt Biegel einige Aspekte weg, druck, dass es nicht inhaltliche Gründe lichen Erkenntnissen gefunden haben? die auf mein Interesse gestoßen waren – gewesen sein können, die die Mansfeld- Die Lektüre der großzügig gestalte- so die Frage nach den Motivationen und Löbbecke-Stiftung zu einer Neu- ten 144-seitigen Neuveröffentlichung der gesellschaftlichen Stellung der verfassung ihrer Chronik veranlasst bietet nicht sehr viel an neuen Inhal- Gründerinnen und Gründer der als haben. ten, auch wenn der Text komplett neu „Pflegestätte für dürftige Kinder“ ins Frank Ehrhardt verfasst ist. Biegel hat im Wesentlichen Leben gerufenen Einrichtung. Er kon- mit den Unterlagen des historischen zentriert sich auf die Herausstellung von Stiftungsarchivs, die bereits durch mich Amalie Löbbecke als einer der Gründer- Gerd Biegel, Kinder – Bürger – Stiftung. ausgewertet waren, gearbeitet und be- innen und folgt damit der Stiftungs- Chronik der Mansfeld-Löbbecke-Stif- ruft sich ansonsten in den Anmerkun- traditionspflege der 1950er Jahre. Die tung 1833 – 2008. Braunschweig (Joh. gen in der Regel auf meine Darstellung. späte Benennung der Stiftung nach die- Heinr. Meyer Verlag) 2008. Der Maler Götz von Seckendorff Götz von Seckendorff (1889-1914) ist Mutter des Malers geschrieben hat. für Braunschweig und die Kunstwelt Etwa 150 Gemälde und Zeichnungen wieder zu entdecken. Sein Werk ist der von Götz von Seckendorff können als klassischen Moderne im Übergang vom Videoeinspielungen gezeigt werden. Impressionismus zum Expressionismus Aufführungen finden u.a. am 19., zuzurechnen. 1933 holten die National- 20., 21., 22. März 2009 jeweils 19.30 Uhr sozialisten zwei seiner Werke aus dem im Theatersaal des Restaurant Da Städtischen Museum und vernichteten Paolo–Lindenhof, Kasernenstraße 20 / sie als „entartete Kunst“. Ecke Humboldtstraße statt. Karten- Ein Theaterabend von Gilbert Holz- reservierungen für die dokumentarische gang und dem Theater Zeitraum mit Aufführung „Welch ein Wahnsinn!“ sind Annagerlinde Dodenhoff, Jürgen Beck- unter Gilbert.Holzgang@t-online.de mög- Rebholz und Hans Stallmach informiert lich. über den jungen Maler anhand seiner leidenschaftlichen Briefe, die zum Teil gespielt, zum Teil gelesen werden, und anhand einer „Lebensgeschichte“, die die Foto: Archiv Holzgang
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