SIEGT DAS ONLINEGESCHÄFT? - IHK Hochrhein-Bodensee
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OKTOBER 2013 Buchhandel SCHWIERIGES GESCHÄFT Interview mit Helmut Nitschke zur SIEGT DAS Stromversorgung in Deutschland VERREGNETES GESCHÄFT ONLINEGESCHÄFT? Einzelhandel tritt im ersten Halbjahr auf der Stelle SÜSSES GESCHÄFT Sein Broterwerb ist süß: Porträt des Konfitürenchefs Thomas Faller Industrie- und Handelskammern Hochrhein-Bodensee Schwarzwald-Baar-Heuberg Südlicher Oberrhein
Ulrich Plankenhorn EDITORIAL Leitender Redakteur L iebe Leserinnen, liebe Leser, ein Abgesang auf das gedruckte Buch, ein Nachruf auf die Buchhandlung – das würde womöglich der Tenor des Titelthemas dieser Ausgabe über den südbadischen Buchhandel sein müssen. So jedenfalls unsere Vermutung vor Beginn der Recherchen unserer Redakteurin. Aber so einfach ist es nicht. Viele klassische Buchhandlungen können sich – wenn auch unter Einbußen – recht gut halten. Das gelingt ihnen mit ganz verschiedenen Rezepten, von der Op- timierung ihrer Online-Shops bis hin zur Ä nderung der Arbeitszeiten. Das Be- währte steht dabei neben Neuem. Die gelungene Mischung macht‘s (Seite 6). So scheint es langfristig auch auf dem deutschen Strommarkt zu sein. Siche- ren Strom wird es wohl nur mit einer Mischung aus regenerativer Energie und (möglicherweise) Gaskraftwerken zur Grundlasterzeugung geben. Und das Erneuerbare-Energien-Gesetz gehört dringend reformiert, um die Kosten nicht weiter explodieren zu lassen. Das Zauberwort aber lautet Energieeffizienz, der sparsame Umgang mit Strom. Das jedenfalls sind einige Erkenntnisse von Helmut Nitschke, viele Jahre Vorstand des E-Werks Mittelbaden und einer der Pioniere für den Einsatz alternativer Energien im regionalen Stromgeschäft. Kurz nach seiner Pensionierung haben wir im August ein Interview mit ihm geführt (Seite 14). Weltweite Expansion ist bei der Intersolar, einer der erfolgreichsten deutschen Messeentwicklungen der vergangenen Jahre, angesagt. Nach Freiburg und dann München folgten Ableger in den USA, China und Indien. Im September war jetzt auch Premiere in São Paolo (Seite 23). Und zum Schluss das (süße) Dessert: Thomas Faller, unser Kopf des Monats, ist Chef der gleichnamigen inzwischen 100-jährigen Konfitürenmanufaktur in Utzenfeld bei Schönau. Pünktlich zum Jubiläum hat der rührige Unternehmer den eigenen Laden deutlich vergrößert und ein Café eröffnet (Seite 56). Viel Spaß beim Lesen. Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013 1
OKTOBER Titelthema Buchhandel DIE BRANCHE HAT‘S NICHT LEICHT In Zeiten des Umbruchs haben die statio- nären Buchhändler ordentlich zu kämpfen. E-Books werden immer beliebter, und der Onlinehandel boomt – ganz vorne steht der Versandriese Amazon. Das führt zu Umsatzeinbußen, denen die Inhaber im Regierungsbezirk Freiburg mit unterschied- lichen Konzepten begegnen. Wir besuchten fünf von ihnen in Freiburg, Konstanz, Offenburg und Donaueschingen. SEITE 6 REGIOREPORT Neues aus dem IHK-Bezirk SEITE 25 INTERVIEW Helmut Nitschke zur Stromversorgung in Deutschland Als Chef des E-Werks Mittelbaden hatte Helmut Nitschke diesen regionalen Ener- gieversorger sehr früh auf regenerative Energien ausgerichtet. Kürzlich ist Nitschke in Ruhestand gegangen. Ein Gespräch mit ihm über das Erneuerbare-Energien- Gesetz, die Auswirkungen der derzeitigen Subventionierungen von grünem Strom und den Ausstieg aus der Energieverschwendung auf. SEITE 14 Den Ausgaben Südlicher Oberrhein und Hochrhein Bodensee liegen Prospekte der ernst + könig GmbH in Freiburg bei. Der Regionalausgabe Schw.-Baar-Heuberg liegt ein Flyer von Limberger, Fuchs & Koch in Villingen Schwenningen bei. Ebenfalls liegen der Regional-Ausgabe teilweise Beilagen der Julius Hofe GmbH + Co. KG in Lüdenscheid bei. 2 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
INHALT FIRMEN 4 PANORAMA Hollister‘s Motorcycles Motorräder nach Maß: Seit 25 6 TITEL Jahren baut Hollister‘s-Inhaber Volker Sichler in Zimmern-Horgen mit 12 INNOVATION seinem Drei-Mann-Team sogenannte Custombikes. 14 INTERVIEW SEITE 42 16 RECHT 18 UMWELT 19 BILDUNG 20 STEUERN 22 HANDEL 23 MESSEN 25 REGIO REPORT 42 FIRMEN EINZELHANDEL Verregnetes Geschäft Hollister‘s Motorcycles [42] Udo Zier, Erdrich Umform- technik [43] Wasserkraft Volk [45] Grieshaber Logistics Den südbadischen Einzelhändlern hat das nasskalte Frühjahr das Geschäft ver- Group [46] Kleyling Spedition, Ristelhueber Spedition [47] regnet: Umsätze und Erträge seien in den ersten sechs Monaten zum Teil zurück- Ganter Interior [48] Gruner, SWEG [51] EBM-Pabst, gegangen, berichtete jüngst der Handelsverband. Im Schnitt stieg der Umsatz Kammerer Gewindetechnik [52] Koehler Group [53] Belle, Sprachschule Inlingua [54] zwischen Baden-Baden und Bodensee um gerademal 0,4 Prozent. SEITE 19 56 PERSONALIEN Kopf des Monats: Thomas Faller KOPF DES MONATS Volker Feldkamp Christoph Strobel Rudolf Matkovic Lars Feld Karl Bähr Christian Rüdt Konfitürenchef Thomas Faller Über fünfzig verschiedene Konfitüresorten, 57 IMPRESSUM Honig, Müsli und Zubehör fürs Büffet verkauft die Konfitürenmanufaktur Faller aus 66 BÖRSEN Utzenfeld im Wiesental. Thomas Faller führt das Familienunternehmen, das dieses Jahr 68 BÜCHER 100 Jahre alt wird, in dritter Generation. Ein Porträt des Frühstücksexperten. SEITE 56 72 MIT SPITZER FEDER Themen der Titelseite EventNow12_Anz_IHK_185x21_DV.indd 9 10.12.12 09:54 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013 3
Panorama Bild: yahyaikiz - Fotolia.com Fachkräftemangel Migranten mit Potenzial Das Thema Fachkräftemangel beschäftigt die Wirtschaft. Einen neuen Blickwinkel darauf soll die Veranstaltung „explore diversity“ am 7. Novem- ber in Freiburg eröffnen. Dabei stehen die Potenziale junger Menschen mit Migrationsbiografie, die schon in Deutschland leben, im Mittelpunkt. Die Leiterin des Swiss Institute for Educational Issues in Bern, Margrit Stamm, eröffnet mit ihrem Vortrag „Black Box: Migranten mit Potenzial“die Veran- staltung. Zu den Referenten zählen auch Aygül Özkan, ehemalige Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Integration in Niedersachsen, Suat Bakir, Ge- schäftsführer der türkisch-deutschen IHK, und Cihan Sügür, Vorstandsmit- glied der Plattform Türkisch-Deutscher Akademiker und Studierenden. Ihr gemeinsames Thema ist, wie sich dem Fachkräftemangel durch den Abbau von Zugangsbarrieren und in der Begleitung in Schule, Studium sowie beim Einstieg in den Arbeitsmarkt entgegenwirken lässt. Die Veranstaltung wird von der Hochschule Furtwangen mit dem Projekt „TREFFER“ der Fakultät Wirtschaftsinformatik organisiert. TREFFER steht für TRaining, Erfolg, For- dern, FördERn und richtet sich mit zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen seit Januar 2012 an Studierende mit Migrationshintergrund. Veranstaltungsort ist der Peterhofkeller, Niemenstraße 10 in Freiburg. Be- ginn ist 18 Uhr, Ende gegen 21.30 Uhr. Die Veranstaltung ist kostenfrei. www.erfolgreich.hs-furtwangen.de GEWERBLICHE WIRTSCHAFT IN ZAHLEN 2013 Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten Kreis, Land, Betriebe Beschäftigte Umsatz Ausland IHK- und Regierungsbezirk (in 1000) (in Mio Euro) (in Mio Euro) Mai Juni Juli Mai Juni Juli Mai Juni Juli Mai Juni Juli Stadtkreis Freiburg 43 43 43 9 9 9 182 191 191 107 112 115 Breisgau-Hochschwarzwald 89 90 90 16 16 16 252 268 283 136 148 146 Emmendingen 65 64 64 11 11 12 156 173 181 89 101 103 Ortenaukreis 210 210 210 43 43 43 846 982 974 348 434 394 Südlicher Oberrhein 407 407 407 79 79 80 1437 1613 1629 679 794 758 Rottweil 107 107 107 19 19 19 337 373 402 156 185 198 Schwarzwald-Baar-Kreis 144 144 145 25 25 25 352 440 401 138 213 148 Tuttlingen 124 124 124 27 26 27 420 452 486 217 229 249 Schwarzwald-Baar-Heuberg 375 375 376 71 71 72 1108 1266 1289 511 627 596 Konstanz 77 77 77 16 16 16 418 437 439 215 226 225 Lörrach 93 93 93 18 18 18 378 399 407 213 232 236 Waldshut 56 56 56 12 12 12 240 253 265 84 88 96 Hochrhein-Bodensee 226 226 226 46 46 46 1036 1089 1112 511 547 557 Regierungsbezirk Freiburg 1008 1008 1009 196 196 198 3580 3968 4029 1701 1968 1911 Baden-Württemberg 4316 4312 4311 1081 1081 1093 23565 25170 26174 12977 13696 14169 Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, die Angaben sind gerundet und ohne Gewähr (WiS 10/2013) 4 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
Europawahl 2014 IHK-Börsen Termin steht fest VERBrAUCHERPREIS-INDEX Kostenfreier Service Die Bundesregierung hat Sonntag, den 25. Deutschland August 2013 Die Industrie- und Handelskammern bie- Mai 2014 zum Wahltag für die Europawahl ten ihren Mitgliedsunternehmen mit den festgelegt. In den anderen EU-Mitglied- sogenannten Börsen, die auch in dieser staaten finden die Wahlen traditionell 106,1 + 1,5 % Zeitschrift erscheinen, die Möglichkeit, an einem Wochentag statt. Mit der Eu- Angebote und Nachfragen zu den The- ropawahl werden die 751 Abgeordneten Veränderung men Existenzgründung und Nachfolge, Index zum Vorjahr des Europäischen Parlaments bestimmt. Handelsvertretung, Kooperation sowie Deutschland stellt 96 Abgeordnete. Wahl- Beteiligung zusammenzubringen. Firmen berechtigt sind alle Angehörigen eines 105,6 + 1,4 % können nach Inseraten suchen oder selbst EU-Mitgliedstaats, die mindestens 18 einen Eintrag einstellen. Die IHK fungiert Jahre alt sind. Jeder Wähler hat nur eine Baden-Württemberg August 2013 als neutraler Partner ohne wirtschaftli- Stimme. In Deutschland gilt für die Wah- ches Interesse – die Kleinanzeigen sind Basisjahr 2010=100 len das Verhältniswahlrecht sowie eine Quelle: Statistisches Landesamt (Angaben ohne Gewähr) ein kostenfreier Service. Alle Anzeigen Drei-Prozent-Klausel.ste erscheinen mit Chiffre-Nummer, sodass persönliche Daten nicht erkennbar sind. Die Antworten gehen direkt bei den IHK‘s Elsässische Weinwirtschaft ein und werden an die Inserenten weiter- geleitet. In dieser Ausgabe erscheinen die Stabiler Absatz bei mehr Exporten Börsen ab Seite 66.wis Knapp 1,05 Millionen Hektoliter Weine kontrollierter Ursprungsabfüllungen (AOC) in Flaschen haben die elsässischen Winzer nach Angaben des Weinwirtschaftsverbands Frauen in MINt-Berufen 2012 abgesetzt. Das bedeutet nach drei Jahren mit Rückgängen wieder eine leichte Zunahme von 0,3 Prozent. Im ersten Halbjahr dieses Jahres ist der Absatz allerdings Vorbilder gesucht gegenüber dem Vorjahreszeitraum wieder einen halben Prozentpunkt gesunken. Der Gesamtumsatz belief sich 2012 auf rund 513 Millionen Euro, ein Plus von 4 Prozent. Das Land Baden-Württemberg hat einen Etwa ein Viertel der Flaschen oder 265.200 Hektoliter gingen in den Export (Plus 1,9 Wettbewerb gestartet, um Unternehmen Prozent). Zu den Wachstumsmärkten zählen Japan, China und Russland. Der meiste und regionale Initiativen zu finden, die als elsässische Wein ging nach Belgien; Deutschland ist das zweitwichigste Exportland. Vorbilder für Frauen in den sogenannetn Die gesamte Anbaufläche im Elsass umfasst über 15.500 Hektar. 2012 wurden hier MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, über 1,12 Millionen Hektoliter Wein produziert, 3,4 Prozent weniger als 2011.epm Naturwissenschaft und Technik) gelten können. „Wir möchten diese vorbildli- Bild: Andreas Krommer chen Konzepte auszeichnen und bekannt machen“, sagt Wirtschaftsminister Nils Schmid. Denn angesichts des Fachkräf- temangels könnten Unternehmen es sich nicht mehr leisten, auf qualifizierte Frau- en zu verzichten. Unternehmen, die sich an dem Wettbewerb beteiligen wollen, können ihre Maßnahmen und Projekte in den drei Kategorien „Berufsorientierung und Recruiting“, „Wiedereinstieg von Frauen in den Beruf“ sowie „Personal- entwicklung und -bindung“ einreichen. Außerdem gibt es die Sonderkategorie „Regionale Initiativen zur Förderung von Frauen in MINT-Berufen“ für Koopera- tionsprojekte. Die Gewinner erhalten einen öffentlichkeitswirksamen Auftritt auf einer großen Karrieremesse in Baden- Diese drei Jungen Damen werben für elsässischen Wein: Weinkönigin Aurelie Schneider (21, Württemberg am Stand des Ministeri- Mitte) kommt aus Eguisheim südlich von Colmar und steht kurz vor dem Abschluss ihrer Lehre als ums. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis Marketing-Fachfrau beim Weingut der Stadt Colmar. Ihr zur Seite stehen die Weinprinzessinnen 30. November. Charlène Spettel (18, links) Abiturientin aus Mittelwihr, und Elise Wespiser (22) aus Hunawihr, die in Straßburg Jura studiert. Alle drei stammen aus Winzerfamilien. www.mint-frauen-bw.de Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013 5
TITEL Herausforderung Buchhandel Zeiten des Umbruchs Das zunehmende Onlinegeschäft durch den Versandriesen Amazon, die Konkurrenz durch große Ketten wie Thalia und die immer beliebter werdenden E-Books haben die klassischen Buchhändler herausgefordert. In den vergangenen zehn Jahren musste etwa ein Viertel der inhabergeführten Buchhandlungen in Deutschland schließen. Inzwischen sind die Buchhandelsketten der Großkonzerne wieder auf dem Rückzug. Sie trennen sich von unrentablen Filialen, die sie neu eröffnet oder aufgekauft hatten. Manche dieser Buchhandlungen hatten eine lange Tradition. Unsere Redakteurin Elisabeth Weidling besuchte fünf unabhängige Buchhandlungen im Regierungsbezirk Freiburg und fragte deren Geschäftsführer, mit welchen Konzepten sie der schwierigen Lage in ihrer Branche begegnen. U m in der gebeutelten Branche überleben zu können, müs- Jura und Design/Architektur spezialisiert. Weil das Thema Ko- sen sich die klassischen Buchhändler etwas einfallen las- chen immer wichtiger wird, wurde die entsprechende Fläche sen. Sie müssen einen Mehrwert bieten, damit Kunden verdoppelt. Die Kinder- und Jugendbücher sind vor einem Jahr nicht ins Internet abwandern. Das Konstanzer Bücherschiff, ins Erdgeschoss umgezogen, damit sie barrierefrei erreichbar eine traditionsreiche Buchhandlung in der Altstadt, schlägt sich sind. Regelmäßig macht der Buchhändler mit seinen Kollegen wacker, um den richtigen Kurs zu halten. Die Buchhandlung einen Rundgang durch die Räume, um zu diskutieren, was noch hat in der Region Kultstatus erreicht. Sie funktioniere wie der besser gemacht werden kann. Zehn Mitarbeiter hat Söhnen, Wochenmarkt, sagt der Buchhändler Joachim Söhnen. „Wir die jedoch nicht alle in Vollzeit arbeiten. haben unheimlich viele Stammkunden. Die Leute unterhalten sich untereinander und mit uns. Sie erzählen uns von ihrem Urlaub, ihrem Nachwuchs und auch ihren Sorgen. Manche Fa- Amazon hinterlässt Spuren milien kommen schon seit Generationen“, berichtet er. Seine Der Erfolg des Konkurrenten Amazon habe dazu geführt, „dass Kundenkontakte reichen bis nach Südkorea oder Brasilien – ehe- es die Buchhandelsbranche so schwer hat“, bedauert der Kons- malige Konstanzer Studenten und Professoren kaufen weiterhin tanzer. „Da gibt es ganz schlimme Geschichten. Es gibt Inhaber, bei Söhnen ein. Er schreibt ihnen sogar handschriftliche Briefe die haben ihre Buchhandlungen als Altersvorsorge aufgebaut und und nimmt sich keinen Urlaub, wenn sie in Konstanz sind. Sei- dachten, sie können sie irgendwann abgeben. Die Rechnung ne Mutter Margareta Söhnen-Meder gründete 1958 die Buch- geht nicht auf, und sie stehen in ihren Läden, bis sie nicht mehr handlung in der Paradiesstraße, an der sie bis heute 48 Prozent laufen können oder gehen sogar Pleite“, sagt Söhnen. 2011 habe Anteil hält. Zwei Prozent der Firma gehören Joachim Söhnens es eine Insolvenzspitze in der deutschen Buchhandelslandschaft Vater, dem Juristen Rüdiger Söhnen. Die restlichen 50 Prozent gegeben, viele inhabergeführte Buchhandlungen mussten schlie- hält der Junior. Seit 2000 ist der 47-Jährige geschäftsführender ßen. Auch er musste einschneidende Änderungen vornehmen. Gesellschafter. Mit seinen Eltern, seiner Ehefrau Nicole und der Zunächst habe er alle Arbeitsabläufe unter die Lupe genommen Prokuristin Monika Dörr spricht er alle wichtigen Veränderungen und optimiert. Mit den Verlagen wurde über Konditionen verhan- durch. delt. Die Reserven wurden minimiert bis zu dem Punkt hin, dass Oft sei auch seine Patentante Sybille von Pufendorf-Gather im Regale abgesägt wurden. Das Lager im zweiten Obergeschoss Geschäft, die mit seiner Mutter die Buchhandlung aufgebaut wurde zugunsten der Büroräume abgeschafft. „Wir kaufen zu- hat. Zwar arbeiten die beiden älteren Damen nicht mehr offiziell dem gezielter ein.“ Reserven seien nicht bei jedem Titel nötig, mit, atmen aber gerne den Duft von frisch gedruckten Büchern. da die Verlagsauslieferungen und Großhändler sehr schnell seien. Das Fachwerkhaus mit der Aufschrift „Haus zum Affen“ hat „Vor einem Jahr hatten wir noch bei einer 38 Stundenwoche 37 Charme. Innen fällt der Blick auf alte Balken, eine Holztrep- Tage Jahresurlaub – das ließ sich in der Situation, in der sich der pe führt ins Obergeschoss. Der besondere Reiz der kleinen Buchhandel befindet, nicht mehr umsetzen. Seit letztem Jahr Buchhandlung liegt in der individuellen Beratung und dem arbeiten wir 40 Stunden in der Woche und haben immer noch ausgefallenen Sortiment. „Wir lesen sehr viel und unterhalten 32 Tage Urlaub (im Buchhandel ist der Samstag ein Arbeitstag, uns im Kollegenkreis ständig über Bücher.“ Jede der über 300 sodass bei einer 6-Tage-Woche auch sechs Tage Urlaub beantragt Verlagsvorschauen wird zweimal jährlich ausgewertet – circa werden müssen). Ich musste neues Personal suchen, das diese 90.000 Bücher erscheinen pro Jahr. Buchpreisverleihungen Veränderungen mitmacht.“ Die Hälfte trennte sich, obwohl bei werden online verfolgt, um dann zeitnah zu bestellen. Neben ihm die Arbeitsbedingungen oft besser seien als bei den großen dem Schwerpunkt Belletristik hat sich die Buchhandlung auf Buchhandelsketten. 6 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
Behaupten sich in schwierigen Zeiten für Buchhändler: Joachim Söhnen, geschäftsführender Gesellschafter der Buchhandlung „Bücher- schiff Konstanz“ (rechts), Axel Beurer, Inhaber der Morys Hofbuch- handlung mit Hauptsitz in Donaueschingen (unten) und Barbara Roth, Inhaberin der Buchhandlung Gustav Roth in Offenburg. Wie viele seiner Kollegen relauncht der Buchhändler aktuell seine fünf heruntergeschraubt. „Eine Zeitlang habe ich es übertrieben“, Homepage. Seit 1996 bestellen Kunden vermehrt Bücher online. gesteht er. „Da hatte ich bis zu 20 Veranstaltungen im Jahr.“ Das Inzwischen gehen täglich bis zu 60 Buchbestellungen ein. „Das brachte ihn an seine Grenzen, denn Überstunden waren an der ist nicht mehr wegzudenken. Aufgrund der Buchpreisbindung Tagesordnung. Ulrich Wickert, Udo Jürgens und Martin Suter, sind wir genauso günstig wie Amazon. Wir liefern schnell und Konstantin Wecker und Ruth Maria Kubitschek gehörten zu den portofrei.“ Auch E-Books werden angeboten, die Links für den prominenten Gastautoren. Letztere wohnt am Bodensee und geht Download bekommen die Kunden per E-Mail zugeschickt. Die in der Buchhandlung ein und aus. Bücher können sie im Geschäft abholen oder sich nach Hause zusenden lassen. Die Portofreiheit tue den Buchhandlungen aber weh. Angeboten werde diese Option nur, weil man im Wettbe- Hoffnung auf stagnierenden Onlinehandel werb mit Amazon stehe. Die E-Books lassen sich auch an der Wie viele seiner Kollegen ist Söhnen mit seiner Buchhandlung Kasse bezahlen, für Kunden, die online keine Bezahlung abwi- auf Facebook vertreten und verschickt Newsletter zur Kunden- ckeln möchten. E-Books sind vor allem bei Urlaubern beliebt. bindung. Der Inhaber beteiligt sich außerdem an regionalen Ver- Pro Woche verkauft Söhnen einen E-Book-Reader. Verdienen anstaltungen, stattet Grundschulklassen mit Bücherkoffern aus würde er „keinen Cent daran“, das gehöre zum guten Service. und lädt zu Führungen ein. „Wir haben im Jahr inzwischen zehn Zum guten Service gehöre es auch, sich Zeit für die Kunden zu Schulklassen im Haus“, berichtet er. In diesem Jahr habe er sich nehmen. Deshalb hat er die Zahl der Lesungen in diesem Jahr auf verstärkt und „erfolgreich“ der Akquise von Firmenkunden Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013 7
TITEL gewidmet. Das Rechnungsgeschäft mache immerhin 40 Prozent indem sie ein Buch für die Musiktage mitherausgibt. Vor des Umsatzes aus. Mit den Umsätzen ist der Buchhändler insge- fünf Jahren übernahm Klaus Beurers Sohn Axel die Buch- samt zufrieden. Er hat schnell reagiert, als er bemerkte, dass die handlung oder besser, die Buchhandlungen. Im Laufe der Kosten für Bestand und Personal nicht mehr zum Umsatz passten. Jahre kamen Filialen in Villingen, Bad Dürrheim, Furtwan- Seine Hoffnung ist, dass der Umsatz – wie im ersten Halbjahr gen und Freiburg hinzu. Eine Filiale in Schwenningen wur- 2013 – weiterhin ausgebaut werden könne „und der Druck, den de wieder abgestoßen, da sie sich als wirtschaftlich nicht Amazon und Co. auf die Branche ausüben, stagnieren wird“. rentabel erwiesen hatte. Die in Donaueschingen wurde Erfreulich für Söhnen ist die Entwicklung des Schweizer Franken. auf das Doppelte vergrößert. Alle, bis auf die in Freiburg, Seit 2011 hat er deutlich mehr Schweizer Kunden und dadurch tragen den Namen Morys Hofbuchhandlung. Sie bieten ein auch den Großbrand in der Nachbarschaft vor ein paar Jahren Vollsortiment und wie die meisten Buchhandlungen auch ei- trotz Krise im Buchhandel überlebt. Der Verkauf in seiner Buch- nige Non-Books an. Alex Beurers Vater, inzwischen über 70 handlung war in diesem Zeitraum durch die Baustellen in der Jahre alt, steht immer noch mit Leidenschaft im Laden am Umgebung beeinträchtigt gewesen. Hauptsitz in Donaueschingen. Schon mehrfach wurden ihm Buchhandlungen zum Kauf angebo- An allen Standorten gibt es Konkurrenz. Die Filiale in Freiburg ten, aber er will die Liebe und Aufmerksamkeit zum Bücherschiff firmiert unter „Buchhandlung Vogel“ und befindet sich an der nicht teilen. Zudem sei es ein riskantes Geschäft. Pädagogischen Hochschule, sie ist daher auf pädagogische Die familiengeführte Tübinger Buchhandelskette „Osiander“ ist Literatur spezialisiert. Alle anderen Geschäfte liegen zentral, in Konstanz mit drei Filialen der größte Konkurrent. Sie übernahm entweder in der Fußgängerzone oder im Stadtzentrum. vor etwa zehn Jahren die traditionsreiche Konstanzer Buchhand- Trotz der pessimistischen Stimmung, die gerade im Buchhandel lung „Gess“. Mit zentral organisierten Lesungen positioniert sie verbreitet wird, ist Beurer zufrieden. „Das Lied des Händlers ist sich erfolgreich auf dem Markt. Zwar soll laut boersenblatt.net die Klage“, sagt der Junior lachend. Es könnte immer besser (Internetseite des Branchenverbands) die osianderische Universi- sein. Die Situation ändere sich im Buchhandel ständig, eine tätsbuchhandlung auf der Morgenstelle in Tübingen geschlossen Buchhandlung mache zu, die andere wieder auf. Seiner Ansicht werden, dafür hat das schwäbische Familienunternehmen, das nach haben es die Kleineren schwerer als die Großen. Allgemein rund 30 Dependancen führt, vor Kurzem im neuen Frankfurter Ein- sei der Buchhandel „ja schon sehr in der Bevölkerung verwur- kaufszentrum „Skyline Plaza“ eine weitere Dependance eröffnet. zelt“. Ganz anders als in Ländern wie England oder den USA. Dort gibt es wie auch in der Schweiz keine Buchpreisbindung, D ie Hofbuchhandlung in Donaueschingen ist als Lieferant wodurch Preiskämpfe ausgelöst werden. Bücher werden dort für die fürstliche Familie entstanden. Sie besteht seit teilweise zu Schleuderpreisen an der Tankstelle verscherbelt. 1871. Der Buchhändler Klaus Beurer übernahm 1975 die Marketing-Aktionen wie eine Lesenacht unter dem Motto Morys Hofbuchhandlung und behielt den Namen des Vor- „Einschließen und Genießen“ (Schmökerabende, an denen gängers bei. Otto Mory engagierte sich stark in der Stadt – ein die Kunden zwei, drei Stunden in der Buchhandlung „ein- Vorbild für Beurer. Deshalb ist das Besondere an der Buch- geschlossen“ werden, um sich bei Snacks und Getränken handlung bis heute, dass sie sich am Stadtleben beteiligt und in Ruhe umzuschauen und am Ende auch Bücher kaufen bei kulturellen Veranstaltungen mitwirkt. Mal als Sponsor, mal, können), Kochen mit GU-Ratgeberinnen, oder Aktionen für Kinder zur Leseförderung kämen sehr gut an. ZAHLEN ZUM BUCHHANDEL Online und offline – beides vereinen Ein Blick in den jährlich im August erscheinenden Bericht des Branchen- Anfang des Jahres hat der gelernte Buchhändler Axel verbands Börsenverein des Deutschen Buchhandels „Buch und Buch- Beurer seine Mitarbeiterin Adrien G. Czar, die zuvor Teil- handel in Zahlen 2013“ zeigt, dass der Umsatz des gesamten deutschen zeit gearbeitet hatte, als 100 Prozent-Kraft im Marketing Buchmarkts stagnierend bis rückläufig ist. Erneut ist dieser mit minus eingesetzt. 28 Mitarbeiter sind insgesamt beschäftigt, 0,8 Prozent (2011: 1,4 Prozent) 2012 zurückgegangen. 9,52 Milliarden einige in Teilzeit. Czar kümmert sich um die Moderni- Euro haben dem Bericht zufolge Buchhandlungen und Verlage 2012 mit sierung der Internetseite, den Facebook-Auftritt und Büchern und Fachzeitschriften umgesetzt. betreut die Entwicklung einer App für den Online-Shop Der Sortimentsbuchhandel setzte 3,7 Prozent der Buchhandlungen. „Ich beobachte das Kundenverhal- weniger als im Vorjahr um. Das sind nach ten. Wir müssen darauf reagieren, dass immer mehr ins Verbandsschätzungen 4,7 Milliarden Euro. Onlinegeschäft abwandern und unsere Bücher online in Der Internetbuchhandel glänzte hingegen unserem Shop besser vermarkten“, stellt die Quereinstei- mit einem Plus von satten zehn Prozent. 16,5 gerin im Marketing fest. Bis 18 Uhr könne man bestellen, Prozent des gesamten Buchhandelsumsatzes am nächsten Morgen um 9 Uhr seien die Bücher abholbe- werden im Internet erwirtschaftet. E-Books reit. Auch E-Books werden angeboten. Alle Bestände sind machten im Geschäftsjahr 2012 nur 2,4 online erfasst und lassen sich anzeigen, sodass der Kunde Prozent aus. Allerdings hat sich der E-Book-Umsatzanteil am Publikums- sehe, ob er sein Buch in der Buchhandlung gleich abholen Buchmarkt (privater Bedarf ohne Schul- und Fachbücher) verdreifacht. Die könne, sagt der 36-jährige Inhaber. Zahl der Einzelhändler mit Büchern, Zeitschriften und Zeitungen beziffert Der Konkurrent Osiander in Villingen-Schwenningen bietet – das Statistische Bundesamt auf 6.693 (Stand: 2011). - ew anders als die Morys Hofbuchhandlungen – Lesungen an. Osi- ander kaufte vor einiger Zeit die Buchhandlung Hügle in Villingen, 8 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
die aus Altersgründen aufgegeben wurde. Für Lesungen genüg- ten die finanziellen Mittel und der Platz in den eher kleinen Morys Buchhandlungen nicht, deshalb seien andere Aktivitäten umso wichtiger, erklären Beurer und Czar. Für die Kunden mit persön- licher Beratung vor Ort zu sein und sie zu überraschen – das sei nach wie vor der Mehrwert der stationären Buchhandlung. „Was wir in letzter Zeit oft erleben, ist, dass Kunden etwas bei Amazon gesehen haben und es dann bei uns im Laden kaufen“, stellt die Marketingfrau fest. Den neuesten Entwicklungen wird Rechnung getragen, der E-Book-Reader „PocketBook“ verkauft. Anders als Amazons „Kindle“ ist das Gerät offen, das heißt, E-Books lassen sich in unterschiedlichen Formaten lesen. Der Kindle läuft nur mit E-Books von Amazon. Es gibt eine Reihe von E-Book-Readern und unterschiedliche E-Book-Formate. Als „Riesendurcheinander“ bezeichnet Czar diese Zeit des Umbruchs. „Unsere Aufgabe ist es, den Kunden alles zu erklären.“ Beurer ist der Ansicht, Buchhandlungen haben ihren Stellenwert in der Gesellschaft verändert. Sie hätten sich von Informations- quellen hin zu Stöber-Orten entwickelt – das würde sich in der Zukunft verstärken. Deutlich macht das auch die Tatsache, dass Konstantin Klingberg lässt sich von der schlechten Stimmung in der der Brockhaus nicht mehr in Printform erscheint. Online-Nach- Branche nicht beirren. Der Buchhändler hat vor einem Jahr die Buchhand- schlagewerke liegen im Trend. Dennoch, wirklich seriöse Informa- lung Klingberg für Kinder- und Jugendliteratur in der Freiburger Wiehre tion erhalte man nach wie vor überwiegend aus Büchern, findet er. eröffnet. Inzwischen verkauft er auch Bücher für Erwachsene und hofft auf Stammkundschaft aus dem Quartier. E ine ebenfalls über 100 Jahre alte Tradition hat die Buch- handlung Gustav Roth in Offenburg. Sie ist seit 116 Jah- ren in Familienbesitz, Barbara Roth führt sie in der vierten Das Papierbuch werde aber fortbestehen, weil es viele Bereiche Bilder: Weidling, daniilantiq2010 – Fotolia.com, Montage: Falkenstein Generation. Ihr Slogan: „Roth ist die Liebe zum Buch.“ Mehre- gäbe, die sich elektronisch nicht ersetzen ließen, etwa hochwertig re Auszeichnungen konnte Offenburgs größte Buchhandlung gedruckte Bildbände. Von Studenten habe sie außerdem erfah- bisher einheimsen – zuletzt den bundesweiten Titel „Buch- ren, dass diese besser mit gedruckten Büchern lernten, weil sie handlung des Jahres 2011/2012“ sowie den „BookMarkt darin markieren könnten und schneller einen Überblick über den Award“ in Gold für die 111-jährige Jubiläumsaktion. Gewürdigt Stoff gewännen. wurde auf der Frankfurter Buchmesse das besondere Engage- ment im Marketing. Die Inhaberin und eine Mitarbeiterin wid- Mit Beratung und Präsenz punkten men sich verstärkt diesem Thema, „das ganze Team ist mit Internetseiten mit Online-Shop gebe es im Buchhandel schon dabei“. Die Farbe Rot zieht sich durch die ganze Buchhandlung länger, sagt die 46-jährige Inhaberin. Seit 2000 habe die Buch- und auf Werbematerialien ist der rote Schwung eines aufge- handlung Roth eine Internetseite und seit 2011 auch eine Fa- schlagenen Buchs gedruckt. Sogar einen Roth-Wein gibt es. cebook-Seite. Was sich jedoch wesentlich verändere, sei das Seit einem Jahr außerdem eine Kundenkarte, die ähnlich wie Kaufverhalten der Kunden. „Jetzt ist es ja so, dass ganz viele das Paybackkarten-System funktioniert – über 2.500 wurden Menschen nicht nur die Bücher, sondern generell – auch ihr Bett, zur Freude der Chefin bereits verteilt. ihre Kleidung oder Lebensmittel – im Internet kaufen. Die Gesell- Mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen ist die Offenbur- schaft befindet sich im Umbruch.“ Noch kämen viele lesebe- ger Buchhandlung ins Stadtgeschehen integriert. Die Buchhänd- geisterten Menschen in den Laden. Sie wisse aber nicht, ob die lerin betrachtet ihr Haus als einen Treffpunkt. Etliche Lesungen Teenager von heute in zehn Jahren sagten „Ich geh einkaufen“ und Aktionen veranstaltet sie mit ihrem 20-köpfigen Team, und meinten damit dann das Surfen im Internet. „Dieser Heraus- dazu erscheint halbjährlich das Veranstaltungsprogramm. Die forderung müssen wir uns stellen und vermitteln: Wir sind nicht Kunden kommen gerne in die Buchhandlung und schätzen die die verstaubten antiquierten Buchhändler, sondern dein Partner Beratung. Sogar eine „Leselust-Feier“ zur Goldenen Hochzeit rund ums Lesen, egal mit welchem Medium“, sagt die Buch- wurde von einem Kunden für dessen Eltern in dem Geschäft händlerin mit fester Stimme. Roth verkauft wie Söhnen E-Book- in der Fußgängerzone ausgerichtet. Regelmäßig sind Schul- Reader, dazu E-Books – die Nachfrage nehme zu. „Wir staunen, klassen zu Besuch, die Buchhandlung setzt sich stark für die wir haben im letzten Weihnachtsgeschäft fast 80 E- Book-Reader Leseförderung ein. verkauft. Die Verkaufszahlen steigen vor Urlauben oder vor be- Durch Plakataktionen mit der Aufschrift „Ohne uns würde et- sonderen Anlässen wie Ostern.“ Aktuell rät sie ihren Kunden, was fehlen“ regt Roth die Kunden zum Nachdenken an. Den die Buchmesse im Oktober mit den neuen Geräten abzuwarten. Entwicklungen in der Branche steht sie offen gegenüber. „Es Roth kann sich vorstellen, dass es in Zukunft weniger Buchhand- wird künftig eine Mischung aus digitalen und analogen Büchern lungen geben wird und dass die, die es gibt, etwas Zusätzliches geben“, prognostiziert die Buchhändlerin. Was sie feststellt: „E- bieten müssen, damit die Menschen sagen: „Da komme ich Reader werden günstiger, nicht zuletzt, weil Amazon Dumping- hin.“ Mit ihrem Umsatz ist sie momentan zufrieden. Wichtig sei preise startete und die anderen mitziehen müssen“, stellt sie fest. aktuell, was in Offenburg passiere. Negative Auswirkungen Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013 9
Freiburgs größte Buchhandlung Rombach, die auch in Lahr vertre- ten ist, engagiert sich kulturell – Investitionen dieser Art sind von einem Onlineversand wie Amazon nicht zu erwarten, unterstreicht die Marketingleiterin Elke Sieben- rock. Sie und Giso Oertel von der Geschäftsführung präsentieren auf dem Bild Buchtitel von Autoren, die zu Lesungen eingeladen sind (Peter Stamm und Alex Capus). könnte ein Einkaufscenter in der Innenstadt haben – über setzt er auf das gute alte Buch. Veränderungen nimmt er Schritt einen Bau wird derzeit diskutiert. Vor einigen Jahren brachte für Schritt – je nach Kundenbedürfnissen – vor. Zahlreiche Veran- der zur Douglas-Gruppe gehörende expandierende Großkonzern staltungen für Kinder und Erwachsene laufen und fänden großen Thalia sie und andere Buchhändler unter Druck. Ihr wurde ange- Anklang. Nächstes Jahr werde er sagen können, ob es die richtige boten, das Geschäft zu verkaufen oder als Franchise von Thalia Entscheidung war, die leer stehende 100 Quadratmeter große weiterzuführen. Roth lehnte ab, um nicht ihre Unabhängigkeit zu Ladenfläche spontan zu mieten, um dort eine Buchhandlung zu verlieren und weiterhin selbst entscheiden zu können, welche eröffnen. Er hatte sie zufällig entdeckt. Das Weihnachtsgeschäft Bücher sie einkauft. Ihr wurde gedroht, man werde sehen, wer sei entscheidend, weil im Buchhandel zu diesem Zeitpunkt der besser ist. Thalia sei dann aber doch nicht gekommen. „Weil Umsatz für die mauen Monate des kommenden Jahres generiert sie kein geeignetes Ladenlokal gefunden haben.“ Stattdessen werden müsse. sind sie nach Kehl, wo sie im Frühjahr ihre Filiale aus Rentabili- „Ich reagiere oft antizyklisch“, bemerkt der gebürtige Schwabe. tätsgründen wieder schließen mussten. Bei Thalia werden nach Klar müsse man das alles beobachten. Natürlich zeichne die Bran- einem Bericht auf boersenblatt.net zurzeit Flächen optimiert und che ein düsteres Bild von der Entwicklung des Buchmarkts, man unrentable Filialen dicht gemacht. Thalia verfügt weltweit über dürfe das auch nicht verharmlosen. Jedoch glaube er, dass gerade mehr als 300 Läden, ist dort zu lesen. in den Nicht-1A-Lagen wie in der Hildastraße die Menschen im Viertel dankbar seien, eine Buchhandlung ums Eck zu haben. V or einem Jahr eröffnete Konstantin Klingberg im Freibur- Seine Hoffnung ist, die Buchliebhaber aus der Wiehre als Stamm- ger Stadtteil Wiehre die gleichnamige Buchhandlung kunden zu gewinnen. Es ist seine zweite eigene Buchhandlung. Klingberg, die auf Kinder- und Jugendliteratur speziali- Zuvor hatte er schon einmal eine sehr kleine Kinder- und Jugend- siert ist. Inzwischen führt der 37-Jährige aber auch Literatur für buchhandlung in Emmendingen, ging dann aber für einige Jahre Erwachsene, weil in der Regel Kunden, die Bücher verschen- nach Wien, wo er in einer Kunstbuchhandlung arbeitete. Neben ken, selbst gerne lesen. Mit der Buchmesse soll das Sortiment Kinder- und Jugendliteratur begeistert ihn Kunst/Design und Ar- erweitert werden. Seine Kunden schätzen die individuelle Be- chitektur – so kommt es, dass („als Experiment“) auch Bücher ratung. Die sei ja bei Amazon eher oberflächlich, sagt Kling- aus dieser Richtung im Laden vorzufinden sind. Stammkunden berg. „Weil die einfach Kundenstatistiken durchlaufen lassen.“ aus dem nahe gelegenen Elsass und der Schweiz hat er bereits, A-Verlage stünden im Vordergrund, doch der Buchmarkt habe die regelmäßig Design-Bücher bei ihm kaufen. mehr zu bieten als nur die Bestseller. Der Altbau mit dem knar- Eine Institution in Freiburg ist die Buchhandlung Rombach, renden Holzboden wirkt gemütlich, das schöne Holzschaukel- die 1978 als eine der ersten Großflächenbuchhandlungen in pferd neben dem Eingang zieht sicherlich Kinderblicke auf sich. Deutschland eröffnete. Sie gehört zur Firmengruppe Rombach, Die Buchhandlung besteht aus drei kleinen Räumen, im zwei- zu der auch der Rombach Verlag und ein Druckzentrum zählen. ten steht die Kunst im Vordergrund. Zur Zeit hängen Gemälde Auf vier Etagen wird ein Buch-Vollsortiment mit einer großen von Dischler, Schnarrenberger und Hauptmann an der Wand. Kalender- und einer Klassik-CD-Abteilung angeboten. Rombach Sie stehen zum Verkauf. „Ein Freiburger Sammler möchte sei- positioniert sich als Omni-Channel-Buchhandlung, das heißt nicht ne Sammlung auflösen“, erklärt Klingberg. Im Hinterzimmer nur das klassische stationäre Sortiment, sondern auch andere sind noch mehr Bilder archiviert. Bereiche werden „bespielt“, erklärt die Marketingleiterin Elke Als Ein-Mann-Unternehmen läuft der Betrieb allmählich an, im Siebenrock. So vertreibt Rombach zusätzlich über den eigenen Herbst/Winter plant der Buchhändler, Aushilfen einzustellen. Die Online-Shop, beliefert Bibliotheken, große Firmen und Sozietäten Homepage ist im Aufbau – das was bereits sichtbar ist, wirkt und bietet Dienstleistungen wie Bibliotheksverwaltungsprogram- künstlerisch und individuell. So soll auch der Online-Shop werden, me an. Auch auf Messen und Kongressen ist die Buchhandlung über den Klingberg ausgewählte Bücher präsentieren will. Jedes vor Ort. In Lahr befindet sich seit 2000 eine zweite Rombach- Buch lasse sich aber auch per E-Mail bis Ladenschluss über Nacht Filiale, außerdem gehört seit 1996 die Walthari Buchhandlung in bestellen. Eine Facebook-Seite gibt es bisher noch nicht. E-Books der Universität zur Firmengruppe Rombach. Die Buchhandlung möchte der Buchhändler vorerst keine anbieten. Für den Anfang bringt sich ins Kulturleben der Stadt ein und ist stark vernetzt. Das 10 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
TITEL sei unabdingbar um zu überleben, sagt Siebenrock. Das Haus Erweiterung im vergangenen Jahr habe sich das Volumen der sei „ein Treffpunkt mitten in der Stadt – und das wird auch so Onlinebestellungen verdoppelt, berichtet Oertel, neue Features bleiben“, ist sich Giso Oertel aus der Geschäftsführung sicher. Die wie die Abfrage der Verfügbarkeit eines Buchs in den Buchhand- Buchhandlung beteilige sich bei einer Reihe von Veranstaltungen lungen lassen sich seither nutzen. Im Vergleich zum Geschäft im und stelle ein umfangreiches eigenes Programm mit Lesungen, Laden handle es sich aber noch um einen kleinen Wert. Kochabenden und vielem mehr auf die Beine. Die Schaufenster Nach Ladenschluss hängt ein Schild im Schaufenster mit dem werden entsprechend regional laufender Themen und Veranstal- Hinweis, dass die Kunden rund um die Uhr im Online-Shop be- tungen dekoriert. Auf Facebook werden die neuesten Veranstal- stellen können. „Wir wünschen uns, dass die Menschen regio- tungen angekündigt und darüberhinaus andere Themen wie etwa nal einkaufen und den Klick in der Stadt lassen, um eine aktive der Tod des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki thematisiert. Innenstadt zu erhalten“, betont Siebenrock. „Kultur ist nur dort, Ein Teil des Budgets laufe an die Kunden zurück: Theatertickets wo die Menschen entscheiden, dass sie Geld ausgeben.“ Die werden an der Kasse verkauft, Anzeigen in Orchesterprogram- Zahl der verkauften E-Books und E-Reader steigt. Der Verkauf sei men geschaltet und Fachschafts- sowie Schülerzeitungen be- saisonal schwankend. Im Weihnachtsgeschäft vergangenes Jahr zuschusst. „Ein Onlinehändler wie Amazon macht keine Kultur, seien teilweise über 100 E-Reader pro Woche verkauft worden. keine Leseförderung vor Ort“, unterstreicht die Marketingexper- Die Buchhandlung Herder & Thalia, ebenfalls in der Innen- tin. „Wir investieren viel an diesem sogenannten ‚Marktplatz‘.“ stadt, ist ein direkter Konkurrent. Den hätte es aber schon immer Freiburg sei attraktiv, und dies nicht nur für die Freiburger, sondern gegeben, sagen Oertel und Siebenrock. Anfangs firmierte die für viele Menschen aus den umliegenden Gemeinden sowie Tou- Buchhandlung nach der Übernahme von Thalia 1996 weiterhin risten. Wie in Offenburg, ist auch in Freiburg das Umfeld für den unter dem Namen des ehemaligen Besitzers, dem renommierten Einzelhandel wichtig: Kommendes Jahr ist eine Großbaustelle in Freiburger Verlag Herder. Wohl aus Imagegründen – der Name der Fußgängerzone geplant. Die Einzelhändler, darunter Rombach, Herder stand für das christliche Bildungsbürgertum, erklärt Sie- versuchen mit der Händlervereinigung „Z‘Friburg in der Stadt“ benrock. Im Gegensatz zur Anfangszeit biete Thalia jedoch kaum gemeinsam mit der VAG und der Badenova an einer Lösung zu noch Veranstaltungen an. Das könnte an den wirtschaftlichen arbeiten, um die Erreichbarkeit der Innenstadt zu sichern. Problemen des Großkonzerns liegen. „Vom Sonnenschein zum Sorgenkind von Douglas: Bei Thalia hat es in den vergangenen zwei Jahren einen Ruck gegeben – die Umsätze purzeln, Tra- Umsatzrückgänge durch Digitalisierung ditionsstandorte werden aufgegeben“ ist auf boersenblatt.net Die Buchhandelsbranche ist stark im Umbruch, und diese Ent- nachzulesen. Zuletzt zog sich Thalia aus dem Mietvertrag einer wicklung geht auch an Freiburg nicht spurlos vorbei. Die Umsätze Ladenfläche im Sparkassen-Neubau, der gerade ein paar Häuser sind in den letzten Jahren nicht gestiegen. Vor allem im Bereich weiter erstellt wird, zurück (siehe WiS 4/2013). der Fachliteratur gingen die Umsätze zurück, da die Universi- Dass das Buch beziehungsweise die Buchhandlungen eines Ta- tätsbibliotheken zunehmend Lizenzen für E-Books direkt bei den ges ganz verschwinden könnten, glaubt keiner der befragten Verlagen einkaufen. Buchhändler. Die Haptik eines Buchs könne kein E-Book ersetzen, Wie die meisten anderen Buchhandlungen hat Rombach die sind sich alle einig. Der bibliophile Kunde werde dem Buchhandel Homepage modernisiert. Über den Online-Shop lassen sich E- treu bleiben. Unberechenbar bleibt, wie sich die folgenden Ge- Books und alle Bücher und Medien bestellen sowie portofrei nerationen entwickeln. Die ständige Online-Verfügbarkeit kostet innerhalb Deutschlands nach Hause schicken. Nach der Shop- eine Menge Zeit. Elisabeth Weidling
innovation Bild: Stauke - Fotolia.com ERFINDERBERATUNG Die IHK Schwarzwald-Baar-Heu- berg, Romäusring 4, VS-Villingen, bietet Erfinderberatungen jeweils am zweiten Dienstag im Monat von 14 bis 17 Uhr an. Nächste Termine sind 8. Oktober und 12. November. Anmeldung: Geschäftsbereich Inno- vation, Umwelt und International der IHK, Telefon 07721 922-181 (Manue- la Bertz) oder Fax 07721 922-182. Neue Wege zu modernen Dienstleistungen Die IHK Hochrhein-Bodensee bie- tet die kosten lose Beratung in der Projektstart für Regel am ersten Donnerstag im Mo- nat von 14 bis 17 Uhr an. Ein Patent- breiten Wissenstransfer anwalt berät in Einzelgesprächen im Kammergebäude (Schützenstraße 8). W ie können Unternehmen ihre Produkte erfolgreich mit Dienstleistungen kombinieren? Welche Möglichkeiten von Dienstleistungen zum Ausbau des Geschäftsmodells gibt es? Nächste Termine: 17. Oktober und Fragen wie diese wollen Wirtschafts- und Finanzminister Nils 14. November. Anmeldung: Referat Schmid sowie Peter Kulitz, Präsident des Baden-Württembergi- Technologie/Innovation, Claudia Veit, schen Industrie- und Handelskammertags, und Joachim Möhr- Telefon 07531 2860-127, Fax 07531 le, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags, am 14. Oktober im Stuttgarter Neuen Schloss mit Vertretern 2860-168. aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen erörtern. Die Veranstaltung der Baden-Württemberg Stiftung steht unter dem Die IHK Südlicher Ober- Titel „Neue Wege zu modernen Dienstleistungen“. Zielgruppen rhein, Hauptgeschäftsstelle Lahr, sind dienstleistungsorientierte mittelständische Unternehmer, Berater aus Kammern und Verbänden sowie Weiterbildungs- Lotzbeckstraße 31, 77933 Lahr, bietet experten und andere Multiplikatoren. Erfinderberatungen immer am dritten Präsentiert wird ein von der Baden-Württemberg Stiftung he- Donnerstag im Monat an. Nächste rausgegebener Methoden-Leitfaden mit unternehmerischen Termine: 17. Oktober und 21. No- Fallbeispielen und praxiserprobten Transferinstrumenten zur Entwicklung von Dienstleistungen im Mittelstand, der den Ver- vember. Anmeldung: Patrick Pohnke, anstaltungstitel „Neue Wege zu modernen Dienstleistungen“ Telefon 07821 2703-631, Fax 07821 vorwegnimmt. Die Publikation komprimiert die wichtigsten 2703-777. praktischen Erfahrungen in mittelständischen Unternehmen und erfolgreiche Transferformate mehrerer Forschungspro- jekte, die von der Baden-Württemberg Stiftung im Rahmen Der nächste Beratungstermin beim ihres Programms „Wissenstransfer Dienstleistungsforschung“ WVIB (Wirschaftsverband Industriel- finanziert wurden. ler Unternehmen Baden e.V.), Merz- Ziel der Stiftung und des Finanz- und Wirtschaftsministeriums hauser Straße 118, Freiburg, findet ist es, die Stärken der Wirtschaft zu unterstützen und im Dienst- leistungsbereich die gleiche Exzellenz zu erreichen, die das Land am 5. November statt. In Zusammen- im industriellen Produktionsbereich bereits auszeichnet. Zu den arbeit mit Patentanwälten des Lan- Referenten zählen neben Schmid der Zukunftsforscher Mat- des werden ratsuchenden Erfindern thias Horx und der Leiter des Stuttgarter Fraunhofer Instituts Möglichkeiten, Wege und Kosten für für Arbeitswirtschaft und Organisation sowie des Instituts für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement, Professor Recherchen sowie Gebrauchsmuster- Dieter Spath. wis und Patent schutz gezeigt. Anmel- dung: Telefon 0761 4567-0. ANmelDUNg Bis 11. Oktober per E-Mail: mangold-ruck@bwstiftung.de oder Fax 0711 248476-53 12 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
interview mit Helmut Nitschke zur Stromversorgung in Deutschland „Keine Regierung hat bisher das EEG sinnvoll angepasst“ Herr Nitschke, Sie haben bereits im Jahr 2003 mit ihrem Amtsamtritt begonnen, das E-Werk Mittelbaden auf regenerative Energien auszu- richten. Was hat Sie dazu bewegt? Ich gehöre zu der Generation, die sich vom Bericht des Club of Rome Anfang der siebziger Jahre über die Grenzen des Wachstums und die Endlichkeit vie- ler Bodenschätze – und dazu gehören eben vor allem die fossilen Brennstof- fe – stark und nachhaltig hat beeindrucken lassen. An der Erkenntnis ändern Helmut Nitschke (63) war zehn Jahre lang Al- auch ständig neue Funde an Erdgas und Erdöl nichts, nur der Zeitpunkt, leinvorstand des e-Werks mittelbaden mit Sitz in wann diese zu Ende sein werden, verzögert sich. Mir war deshalb klar, dass lahr. Das Unternehmen versorgt den größten Teil man sich langfristig auf regenerative Energien wird konzentrieren müssen. des Ortenaukreises mit Strom, erzielt einen Um- satz von circa 260 millionen euro und beschäf- Als Unternehmer und Schwabe machen Sie da aber Einschränkungen? tigt knapp 300 mitarbeiter. Bevor Nitschke zum Einschränkung ist nicht das richtige Wort, Voraussetzung ist das bessere: e-Werk kam, war er in verschiedenen Unterneh- Ökologisch Sinnvolles muss mit ökonomisch Notwendigem ausgewogen men der Branche in esslingen, Stuttgart und lud- werden. Man darf nie drauzahlen müssen. Von dieser Grundidee konnte ich wigsburg tätig. Der elektroingenieur hat das lah- meinen Aufsichtsrat früh überzeugen. rer Unternehmen zusammen mit den eigentümern (die Städte lahr und Offenburg sowie die enBW) Und nach diesem Grundsatz haben Sie in den vergangenen zehn Jah- sehr früh auf regenerative energien ausgerichtet. ren gehandelt? Zum 1. Juli 2013 trat er in den Ruhestand. Ja. Wobei man bei der regenerativen Energieerzeugung immer mit deren Vo- latilität rechnen muss. Die Renditeerwartungen sind deshalb geringer als bei der fossilen Stromerzeugung, zum Beispiel auch bei den Wasserkraftwerken in der Kinzig. Insbesondere bei der Planung von Windkraftanlagen, mit deren Bau wir jetzt auf der Prechtaler Schanze beginnen wollen, ist speziell in un- serer windschwachen Region größte Sorgfalt notwendig. Wir haben deshalb nicht unerhebliche Mittel in eigene modernste Windmessanlagen gelenkt und entsprechende Fachingenieure eingestellt, um zu gewährleisten, dass wir die richtigen Standorte finden. Wie weit sind Sie mit der regenerativen Energieerzeugung im Versor- gungsgebiet des E-Werks gekommen? Immerhin so weit, dass – unter Einschluss der privaten regenerativen Energieeinspeiser – genügend Strom alternativ erzeugt wird, um damit rein rechnerisch alle privaten Haushalte, die unsere Kunden sind, versorgen zu können. Strom wird in Deutschland immer teurer. Läuft da etwas aus dem Ruder? Das Grundproblem ist, dass jeder jederzeit überall soviel alternativen Strom produzieren kann und ins Netz einspeisen darf wie er will, egal ob der Strom benötigt wird. Keine Regierung hat bislang eine sinnvolle Anpassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) durchgeführt. Wie könnte die aussehen? Die „Anschubsubvention“ für regenerative Energie war und ist richtig. Mittlerweile erfolgt jedoch eine „Rendite-Subventionierung“. Man sollte dort subventionieren, wo der Strom auch benötigt wird und nicht über unsinnig lange Distanzen ins Netz eingespeist werden muss. Ferner sollte – vor allem solange nicht genügend Energiespeicher zur Verfügung stehen – nur dann bezahlt werden, wenn der Strom auch benötigt wird. Und die Rendite muss flexibel sein, das heißt, an marktübliche Zinsen angepasst werden. Die Ren- dite zum Beispiel von PV-Anlagen hat sich bei uns abgekoppelt vom Markt und ist ein wesentlicher Kostentreiber für die EEG-Umlage und diese ist in den letzten Jahre explodiert; 50 Prozent des endgültigen Strompreises sind inzwischen Steuern, Abgaben und EEG-Umlage. 14 Wirtschaft im Südwesten 10 / 2013
Für Sie hat der Strompreis auch eine soziale Komponente? Also keine Bürgerbeteiligung? Ja natürlich. Es gibt derzeit Gewinner und Verlierer. Gewinner Doch, doch, aber in einem anderen Sinn. Wir haben jetzt den sind diejenigen, die es sich leisten können, Strom zu produzie- mündigen Bürger, wenn Sie so wollen oft auch den „vollmün- ren und die Subvention des EEG zu nutzen. Verlierer sind die digen“, der sich überall meldet und einschaltet. Es ist richtig, vielen Mieter – häufig mit kleinen Einkommen – in Deutsch- Bürger zu beteiligen, deren Willen zu respektieren. Das bedeutet land, die die hohen Preise dann letztendlich bezahlen und allerdings auch, dass man nach Wegen suchen muss, wie man keinen Ausgleich dafür haben. Das gilt auch für die meisten Akzeptanz gewinnen kann. Das ist jedoch bei direkt Betroffenen Wirtschaftsbetriebe. Darin steckt ein hohes Konfliktpotenzial. sehr schwierig, wie Sie das beispielsweise an den geplanten Speicherkraftwerken wie Atdorf sehen. Der Bürger wehrt sich Wir haben derzeit auch das Problem, wer den Strom zur gegen zehn Jahre Baustelle und dann zehn Jahre Renaturierung, Verfügung stellt, wenn die Sonne nicht scheint und der das ist ihm zu lang, auch wenn das Projekt danach sehr schön Wind nicht bläst. Außerdem scheinen neue Leitungen aussehen kann, wie wir das am Schluchsee beobachten können. von den Windkraftanlagen im Norden zu den Industrie- zentren im Süden Deutschlands kaum durchsetzbar. Wie Und die Lösung? denken Sie darüber? Die liegt für mich langfristig darin, sich auf die Energieeinspa- Ich glaube, dass wir mittel- bis langfristig mit Gaskraftwerken rung zu konzentrieren und zwar in allen Bereichen. „Ausstieg die Reserve vorhalten müssen. Die USA werden vermutlich aus der Energieverschwendung“ ist für mich genauso wichtig in wenigen Jahren aufgrund des Frackings von Ölschiefer wie der „Ausstieg aus der Kernenergieerzeugung“. Da gibt es energieautark sein. Das wird den Gaspreis dämpfen und ein riesiges Potenzial, wozu aber eine ganze Generation über Gaskraftwerke werden wieder profitabel. Die Speicherung viele Jahre hin erzogen werden muss. Ich kann mir deshalb und Regelung der regenerativen Energieerzeugung ist ferner vorstellen, Energieeinsparung sogar zum Schulfach zu erklären. eine ungeheuere Herausforderung. Wie die Leitungsproble- Und das Bewusstsein in den Betrieben und Verwaltungen muss matik zu lösen sein wird, bleibt offen. Ich halte den derzeitigen noch sehr geschärft werden. Auch die Energieversorger werden Vorschlag von Minister Altmaier, die betroffenen Bewohner lernen müssen, mit diesem Thema proaktiv umzugehen und der entsprechenden Gegenden mit Anteilsscheinen finanziell sich künftig zunehmend mehr auf Energiedienstleistungen zu an den Leitungen zu beteiligen, für wenig erfolgversprechend. konzentrieren. upl ANZEIGE
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