Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4

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Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH   4 | 2018

Tagesschulen: Von Malatelier bis Piratenschiff
Die Krux mit der Notengebung
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
Entspricht dem
                                                      Lehrplan 21

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Klett und Balmer Verlag
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
4 | 2018
EDITORIAL

                                                      Guten Schultag!

Ausgabe 4 | 2018 | 27. März 2018                      Sie sind bunt, originell und vielfältig – die Rede ist von den Familienmodellen,
Zeitschrift des LCH, 163. Jahrgang der
Schweizer Lehrerinnen­ und Lehrerzeitung (SLZ)
                                                      in denen die Kinder von heute aufwachsen. Sie leben mit verheirateten oder
BILDUNG SCHWEIZ erscheint 11 Mal jährlich             unverheirateten Eltern zusammen, mit alleinstehenden Müttern oder Vätern,
                                                      in Patchworkfamilien oder gar mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren. Und
Impressum
                                                      dennoch: Das klassische Familienmodell mit verheirateten Eltern hat längst
                                                      nicht ausgedient. Noch immer bildet es mit knapp 74 Prozent die grosse Mehr­
Herausgeber/Verlag
Dachverband Lehrerinnen und Lehrer                    heit der Familienhaushalte, wie die Erhebung des Bundesamts für Statistik
Schweiz LCH                                           aus dem Jahr 2016 zeigt.Seit 1970 ist diese Zahl nahezu unverändert geblieben,
• Beat W. Zemp, Zentralpräsident
• Franziska Peterhans, Zentralsekretärin              währenddem sich aber die Einelternhaushalte mehr als verdoppelt haben. Sie
• Beat A. Schwendimann, Leiter der Pädagogischen      machen inzwischen rund 15 Prozent der Familienhaushalte aus. In den ver­
  Arbeitsstelle LCH
                                                      gangenen 20 bis 30 Jahren hat sich nicht nur die Familienstruktur verändert,
Zentralsekretariat und Redaktion                      sondern auch die Nachfrage der Wirtschaft nach qualifizierten Arbeitskräften
Pfingstweidstrasse 16, 8005 Zürich
Telefon 044 315 54 54, Fax 044 311 83 15
                                                      ist gestiegen. Parallel dazu sind immer mehr Frauen erwerbstätig. Der Bedarf
E­Mail: bildungschweiz@LCH.ch                         an familien­ und schulergänzender Kinderbetreuung ist folglich grösser
Internet: www.LCH.ch, www.bildungschweiz.ch
Erreichbar Mo–Do, 8–12 Uhr und 13.30–16.45 Uhr,
                                                      geworden. Der Ausbau ganztägiger Bildungs­ und Betreuungsangebote in der
Fr bis 16 Uhr                                         Schweiz hat im europäischen Vergleich allerdings eher spät eingesetzt.
Redaktion
• Belinda Meier (bm), Leitende Redaktorin             Tagesschulen sind eine Form solcher Bildungs­ und Betreuungsangebote.
• Deborah Conversano (dc), Redaktorin Print/Online    BILDUNG SCHWEIZ widmet ihnen eine neue Serie, die hiermit startet. Die
• Maximiliano Wepfer (mw), Redaktor Print/Online
• Fiona Feuz (ff), Redaktorin Print/Online            Redaktion wird verschiedene Tagesschulen in der Deutschschweiz besuchen
Ständige Mitarbeit: Adrian Albisser (Bildungsnetz),   und Einblick in die Vielfalt ihrer Ausgestaltung und Organisation ermöglichen.
Claudia Baumberger, Sandro Fiscalini (Cartoon),
Peter Krebs, Christian Urech, Roger Wehrli, Christa   Aktuelle Projekte sowie Gespräche mit Lehr­, Betreuungs­ und Leitungs­
Wüthrich                                              personen zeigen zudem die Herausforderungen sowie mögliche Wege der
Abonnemente/Adressen                                  Schulentwicklung auf. Das Interview mit Christine Flitner, Präsidentin des
Bestellungen/Adressänderungen:                        Verbands Bildung und Betreuung Schweiz, über das derzeitige Tagesschul­
Zentralsekretariat LCH, 044 315 54 54,
adressen@LCH.ch                                       angebot sowie dessen Potenzial und Mängel (S. 15) bildet den Auftakt. Wie
Adressänderungen auch im Internet:                    kreativ und spielerisch die Kinder in einer Tagesschule begleitet und betreut
www.bildungschweiz.ch
Für Aktivmitglieder des LCH ist das                   werden, nimmt darüber hinaus die farbenfrohe Reportage zur Berner Tages­
Abonnement im Verbandsbeitrag                         schule Bitzius ins Visier (S. 18).
(CHF 74.– pro Jahr) inbegriffen
Jahresabonnement für Nichtmitglieder:
Schweiz CHF 108.50, Ausland CHF 183.50                Nicht kreativ und spielerisch, sondern ausschliesslich leistungsorientiert
Einzelexemplar CHF 10.25, ab dem 8. Expl.
CHF 7.20 (jeweils plus Porto und MwSt.)               zeigen sich demgegenüber die Schülerinnen und Schüler in Singapur. Drill,
                                                      Druck und Disziplin heisst die dortige Devise, wie der Beitrag auf Seite 28
Dienstleistungen                                      klarmacht. Immerhin mit Erfolg – in der aktuellen PISA­Studie ist Singapur
Bestellungen/Administration: Zentralsekretariat
LCH, 044 315 54 54, adressen@LCH.ch                   Spitzenreiter. Kehrseite der Medaille: Kreativität und Innovation bleiben
Reisedienst: Monika Grau, m.grau@LCH.ch
                                                      auf der Strecke. Suizide bei Jugendlichen infolge schulischen Versagens
Inserate/Druck                                        sind ebenfalls keine Seltenheit. Ob ein Umdenken jetzt noch möglich ist?
Inserateverkauf: Martin Traber, Fachmedien,
Zürichsee Werbe AG, Tel. 044 928 56 09
martin.traber@fachmedien.ch                           Wer Kinder fördern will, muss deren Leistungen angemessen beurteilen und
Mediadaten: www.bildungschweiz.ch                     dokumentieren können. Das ist
Druck: FO­Zürisee, 8132 Egg ZH
ISSN 1424­6880 Verkaufte Auflage:                     anspruchsvoll. Der Beitrag «Ein
42 722 Exemplare (WEMF/SW­Beglaubigung)               ‹Ungenügend› für die Ziffernnote»
                                                      (S. 22) zeigt auf, wo die Noten an
                                                      ihre Grenzen stossen und was
                                                      praktikable und sinnvolle Alter­
                                                      nativen sind. Gute Lektüre!

                                                      Belinda Meier
                                                      Leitende Redaktorin
                                                                                               Redaktorin Belinda Meier (l.) im Interview mit Christine Flitner,
                                                                                               Präsidentin des Verbands Bildung und Betreuung Schweiz.
                                                                                               Foto: Philipp Baer
                                                                                                                                                             3
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
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                7   SSAB­Tagung: Die Chancen und
                Risiken von künstlicher Intelligenz
                für das Bildungswesen.

                                          12     Zum Auftakt der
                                          neuen Serie «Tagesschule»:
                                          ein Interview mit Christine
                                          Flitner und vielschichtige
                                          Einblicke in die Tagesschule
                                          Bitzius in Bern.

                                                             32    Das
                                                             Schaulager in
                                                             Münchenstein
                                                             zeigt Bruce
                                                             Nauman.

                           22    Ziffernnoten
                           sind unzulänglich.
                           Und jetzt?

    35     Dokumentarfilm
    «Eldorado» über die
    gefährliche Flucht von
    Afrika nach Europa.                   Fotos auf diesen Seiten: Marlène Loges,
                                          Fiona Feuz, Belinda Meier, Dorothy Zeidman
                                          (© Bruce Nauman), Massimo Sestini

                                          Titelbild: Ein beliebter Ort für kreatives Schaffen
                                          – das Malatelier der Tagesschule Bitzius.
                                          Foto: Fiona Feuz

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INHALT

                AKTUELL

              7 «Künstliche Intelligenz kann Wissen erweitern»
              8 Klarer Support für Lehrplan 21 in Bern und Zürich
              9 Finanzkompetenzen spielerisch stärken und gezielt vertiefen
             11 Lieblings­App: YouTube

                TAGESSCHULEN

             12 Tagesschulen – wo stehen wir?
             15 «Viel pädagogisches Potenzial liegt brach»
             18 Piraten an der Schule

                BEURTEILUNG

             22 Ein «Ungenügend» für die Ziffernnote
             25 «Chancengerechtigkeit wird nicht von allen gewünscht»

                BILDUNG INTERNATIONAL

             28 Weltklasse auf Sinnsuche

                RUBRIKEN

              3 IMPRESSUM
             31 BILDUNGSNETZ
             32 AUSSTELLUNG
             35 BÜCHER UND MEDIEN
             37 VERLAG LCH
             40 MEHRWERT LCH
             42 REISEN LCH
             44 BILDUNGSMARKT
             47 3 FRAGEN AN ... | BILDUNG SCHWEIZ demnächst

  850 Lehrstellen in 25 Berufen | www.login.org

                                                                              5
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
berggasthof.ch

                                                 E I Z
                                  H W
                            S   C
                        I E      T !
                       D EG hrshaus.
                         L I erke
                       F u im V
                          Ne

                 Teachers Day am 2. Mai 2018 im Verkehrshaus.
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
4 | 2018
AKTUELL

«Künstliche Intelligenz kann Wissen
erweitern, nicht Menschen ersetzen»
Elon Musk warnt vor ihr, Stephen Hawking fürchtete sich vor ihr, Mark Zuckerberg
setzt sich für sie ein: die künstliche Intelligenz. An der SSAB­Tagung in Bern vom
15. März 2018 stand sie im Zentrum. Analysiert haben die Teilnehmenden insbeson­
dere die Chancen und Risiken von künstlicher Intelligenz für das Bildungswesen.

In Science­Fiction­Filmen wird            Intelligenz könnte auf allen          Virtuelle Lernassistenzen          Beispiel, ob künstliche Intelli­
künstliche Intelligenz oft in             Stufen Anwendung finden. Von          Nicht nur in den USA wird          genz auch Chancengleichheit
Form von Robotern dargestellt,            der Schulleitung über die Lehr­       künstliche Intelligenz in der      fördern könne. «Eindeutig
die die Menschheit besiegen               personen bis hin zu den Schü­         Bildung eingesetzt. Auch in der    kann man dies noch nicht
oder versklaven. Doch wie                 lerinnen und Schülern», so Vey.       «Informatikausbildung 4.0» in      sagen, weil dazu die Daten
sieht die Wirklichkeit aus?               Für Lehrpersonen stehe be­            Bern plant man, künstliche         fehlen», erklärte Vey. Es gebe
«2018 ist ein entscheidendes              reits ein sogenannter Teacher         Intelligenz in die Ausbildung zu   aber schon verschiedene Pro­
Jahr, denn ab diesem Jahr wird            Advisor zur Verfügung. Diesen         integrieren. Ein entsprechen­      jekte in diesem Bereich. Stefan
künstliche Intelligenz überall            hat IBM entwickelt und er steht       des Pilotprojekt ist in der Auf­   Kopp, Leiter der Arbeitsgruppe
zu finden sein», erklärte Karin           bereits in den USA im Einsatz.        bauphase. Dies verriet Markus      «Kognitive Systeme und sozia­
Vey, Innovations­ und Trend­              Sein Ziel: Lehrpersonen beim          Nufer, Programmleiter Infor­       le Interaktion» an der Universi­
expertin des ThinkLab von IBM             Unterrichten zu unterstützen          matikausbildung 4.0, im            tät Bielefeld, stellte dazu in
Research, in ihrem Eröffnungs­            und ihnen Unterrichtsmaterial,        anschliessenden Referat. In        seinem Referat das EU­Projekt
referat an der Tagung der                 Strategien und Ratschläge zu          diesem Pilotprojekt werden         «L2TOR» und den sozialen
Schweizerischen Stiftung für              vermitteln. Dabei sammelt die         sogenannte virtuelle Lernas­       Roboter Nao vor, der Kindern
audiovisuelle Bildungsangebo­             künstliche Intelligenz im Hin­        sistenzen eingesetzt. Dies ins­    im jüngsten Alter die Sprache
te SSAB. In einem kurzen Film             tergrund Informationen, um die        besondere, um die Ausbildung       spielerisch beibringt.
zeigte sie, wie künstliche Intel­         Plattform laufend zu optimie­         mehr auf die Berufsschülerin­
ligenz bereits jetzt im Alltag            ren. Der Teacher Advisor wurde        nen und ­schüler auszurichten      Risiken bestehen
genutzt wird: Eine blinde                 gemeinsam mit Lehrpersonen            und die Steigerung des indivi­     Nicht zuletzt nach der Aussage
Studentin kann sich mithilfe              entwickelt. «Künstliche Intelli­      duellen Lernerfolgs zu ermög­      des Unternehmers Elon Musk,
von künstlicher Intelligenz auf           genzen können immer nur in            lichen. «Der virtuelle Lernas­     der künstliche Intelligenz als
dem Schulhof orientieren.                 Kooperationen entstehen»,             sistent kennt den Lernstand        gefährlicher als Atombomben
Über Kopfhörer, die mit ihrem             sagte Vey. «IBM hat vielleicht        der Studentinnen und Studen­       bezeichnete, wurden auch die
Smartphone verbunden sind,                das technische Wissen, aber           ten, er kann sie unterstützen      Risiken an der Tagung thema­
weist ihr eine Stimme den Weg.            man benötigt die inhaltlichen         und über die ganze Zeit beglei­    tisiert. «Auch wenn solche
Die Stimme sagt ihr auch, ob              Daten, um künstliche Intelli­         ten», betonte er.                  bestehen, ist die Wahrschein­
sie die Personen kennt, denen             genzen herzustellen.»                                                    lichkeit gering, dass künstliche
sie begegnet, und welche Pro­                                                   Joachim M. Buhmann, Profes­        Intelligenzen bewusst denken
dukte in der Cafeteria zur Aus­           Vey ist sich sicher: Künstliche       sor am Institut für Maschinel­     werden», so Vey. Sie hielt auch
wahl stehen. Dabei wird klar:             Intelligenz wird Lehrpersonen         les Lernen der ETH Zürich,         fest: «Künstliche Intelligenzen
Die künstliche Intelligenz ist            nicht ersetzen. Dennoch sollte        fokussierte in seinem Referat      können das Wissen von Men­
ihre ständige Begleiterin.                sich die Bildung in Zukunft           auf die Vorteile von künstlicher   schen erweitern, nicht aber
                                          mehr auf komplementäre                Intelligenz bei der Beurteilung:   den Menschen ersetzen.» Sie
Lehrpersonen im Unterricht                Bereiche ausrichten: «Künstle­        «Anstelle von Prüfungen könn­      widerspricht damit dem kürz­
unterstützen                              rische Bildung sollte mehr im         ten künstliche Intelligenzen       lich verstorbenen, renommier­
Doch wie kann künstliche                  Vordergrund stehen, das wer­          für Lerntools eingesetzt wer­      ten Physiker Stephen Hawk­
Intelligenz in der Bildung ein­           den die Maschinen nicht               den, die den Lernprozess eines     ing, der dies prophezeite. Vey
gesetzt werden? «Künstliche               erlernen.»                            Schülers während eines             betonte aber, dass ethische
                                                                                Semesters festhalten, damit        Regeln, Transparenz und
                                                                                Lehrpersonen diesen bewer­         Rahmenbedingungen bei der
                                                                                ten können.» An der Universi­      Entwicklung zwingend seien.
                                                                                tät Harvard werde dies bereits     Buhmann ergänzte dies: «Die
                                                                                praktiziert. Dabei wurde fest­     Daten bestimmen die künst­
                                                                                gestellt, dass die Studentin­      lichen Intelligenzen, deshalb
                                                                                nen und Studenten die Bewer­       braucht es ethische Regeln zur
                                                                                tung über diese virtuellen         Sammlung von Daten.» Am
                                                                                Lerntools als fairer empfinden     Ende der SSAB­Tagung wurde
                                                                                als Prüfungen, so Buhmann.         klar: Im Bereich der künst­
                                                                                Zudem hätten sie das Wissen        lichen Intelligenz wird trotz
                                                                                zu Semesterende besser             Risiken noch viel geschehen –
                                                                                verinnerlicht.                     auch im Bildungswesen.

                                                                                Chancengleichheit fördern          Fiona Feuz
                                                                                Neben den Präsentationen zu
                                                                                aktuellen Projekten mit künst­     Weiter im Netz
                                                                                licher Intelligenz tauchten aus    www.ssab­online.ch
                                                                                dem Publikum immer wieder          www.teacheradvisor.com
                                                                                kritische Fragen auf. So zum       www.l2tor.eu
Karin Vey und Stefan Kopp stellen sich kritischen Fragen. Foto: Marlène Loges

                                                                                                                                                 7
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
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Klarer Support für Lehrplan 21
in Bern und Zürich
Die «No Billag»­Initiative fand kein Gehör beim Stimmvolk: Sie wurde
deutlich abgelehnt. Ebenfalls keine Chance hatten zwei kantonale
Volksinitiativen in Bern und in Zürich, die mehr Mitsprache für die
Umsetzung von Lehrplänen einforderten.

Am Abstimmungssonntag vom         dums das Volk darüber
4. März 2018 haben die Stimm­     abstimmen sollte. Damit
berechtigten die «No Billag»­     wären die Inhalte des Lehr­
Initiative überraschend deut­     plans zum Spielball politischer
lich mit 71,6 Prozent             Interessen geworden. Mit der
Nein­Stimmen bachab               Ablehnung wird der Lehrplan
geschickt. Der LCH begrüsst       weiterhin vom Bildungsrat
dieses klare Resultat, mit dem    erlassen, ein aus Fachleuten
der Service public und die        der Schule, Wirtschaft und
Medienvielfalt in allen Sprach­   Wissenschaft zusammenge­
regionen gestützt werden. For­    setztes Fachgremium. «Das
mate wie das Schulfernsehen       Resultat ist ein Bekenntnis zur
«SRF mySchool», die durch die     Stabilität an den Schulen»,
Annahme der Vorlage gefähr­       sagte Bildungsdirektorin und
det gewesen wären, können         EDK­Präsidentin Silvia Steiner.
nun weiterhin produziert
werden.                           Bern: Lehrplan kommt nicht
                                                                    Die Stimmberechtigten in Bern und Zürich haben dem Lehrplan 21 Rücken­
                                  vors Volk                         deckung gegeben. Foto: Thinkstock/bizoo_n
Zürich: Bildungsrat erlässt       Gleichzeitig mit Zürich und mit
weiterhin den Lehrplan            dem ähnlichen Verhältnis von
Auf kantonaler Ebene standen      76,7 Prozent lehnte das Berner    des Kantons Bern die Umset­           Beat W. Zemp, Zentralpräsi­
zwei Vorlagen zur Abstim­         Stimmvolk die praktisch gleich    zung des Lehrplans 21 weiter­         dent LCH, freut sich über die
mung, die die Einführung des      lautende Initiative «Für demo­    führen. Der definitiven Einfüh­       deutlichen Volksentscheide:
Lehrplans 21 verhindern woll­     kratische Mitsprache – Lehr­      rung ab August 2018 steht             «Wir haben inzwischen neun
ten. Im Kanton Zürich wurde       pläne vors Volk!» ab. Diese       nichts mehr im Weg.                   kantonale Volksabstimmungen
die Volksinitiative «Lehrplan     hatte ebenfalls gefordert, dass                                         zum Lehrplan 21 gewonnen.»
vors Volk» mit 76,4 Prozent       der Grosse Rat die Lehrpläne      Zürich und Bern ordnen sich           Nun sind einzig in Graubünden
wuchtig verworfen. Diese hatte    genehmigen und dem fakulta­       mit ihren Abstimmungsergeb­           zwei eingereichte Initiativen
verlangt, dass künftig der Kan­   tiven Referendum unterstellen     nissen in eine Reihe von Kan­         zum Lehrplan 21 noch hängig.
tonsrat den Lehrplan genehmi­     sollte. Nach der Ablehnung        tonen ein, die Angriffe auf den
gen und im Fall eines Referen­    kann die Erziehungsdirektion      Lehrplan 21 verhindert haben.         Maximiliano Wepfer

DIGITALISIERUNG                   dels für die eigene Funktion      sowohl auf der Prozessebene           Arbeitskraft. Jedoch gehen die
                                  und das Unternehmen zu            als auch auf der emotionalen          befragten Fach­ und Füh­
Digitaler Wandel                  befragen und Handlungsemp­        Ebene aktiv begleitet werden          rungskräfte von einem deutli­
im Arbeitsalltag                  fehlungen zu erfahren.            sollten. Mitarbeitende erhal­         chen Strukturwandel aus. So
                                                                    ten dadurch die Möglichkeit,          werden vermutlich IT­Berufe
Für den zweiten Teil der Studie   Auf emotionaler Ebene             offen Befürchtungen und               und generell die Gruppe der
«Der Mensch in der Arbeits­       begleiten                         Ängste anzusprechen.                  Hochqualifizierten vermehrt
welt 4.0» des IAP Institut für    Die Ergebnisse zeigen, dass                                             nachgefragt, während Berufe
Angewandte Psychologie der        die befragten Personen die        Kein Ersatz menschlicher              in der Produktion, Logistik,
ZHAW wurden 23 Fach­ und          Digitalisierung als Treiber für   Arbeitskraft                          Administration und Kundenbe­
Führungskräfte aus unter­         die berufliche Karriereent­       Die Mehrheit der interviewten         ratung potenziell am meisten
schiedlichen Branchen und         wicklung einstufen. Sie sind      Expertinnen und Experten pro­         von Umstrukturierungen
Unternehmen der Schweiz           aber von der zunehmenden          gnostiziert, dass keine Stellen       betroffen sein werden. Die
dazu befragt, wie sie die Ver­    Geschwindigkeit des Wandels       in grossem Umfang im eigenen          Befragten sind sich darin einig,
änderungen in der Arbeitswelt     verunsichert, insbesondere in     Unternehmen abgebaut wer­             dass für die Arbeitswelt 4.0
4.0 durch Digitalisierung und     Bezug auf die Richtung des        den. Sie sehen den Menschen           neue, erfolgskritische Qualifi­
Automatisierung erleben und       digitalen Wandels, die zuneh­     auch in Zukunft als integralen        kationen und Kompetenzen,
beurteilen. Ziel der Studie war   mende Komplexität von             Bestandteil der Produktions­          wie zum Beispiel Verände­
es, Expertinnen und Experten      Arbeitsprozessen und die          und Arbeitswelt. Der fortbe­          rungsbereitschaft und inter­
aus den Bereichen Führung,        Arbeitsplatzsicherheit. Daher     stehende Fachkräftemangel             kulturelle Kompetenzen, defi­
Human Resources Manage­           betonen viele der Befragten       und die zunehmende Komple­            niert werden müssen. Weiter
ment, Ausbildung/Personal­        die Notwendigkeit, den digita­    xität in der Mensch­Maschine­         ist es notwendig, Aus­ und
entwicklung und Technologie­      len Wandel als zielorientierten   Interaktion sprechen aus ihrer        Weiterbildungsmassnahmen
management zu ihrer Ein­          Change­Prozess anzusehen, in      Sicht gegen einen umfangrei­          für betroffene Berufsgruppen
schätzung des digitalen Wan­      dem die Mitarbeitenden            chen Ersatz menschlicher              festzulegen. (pd/mw)

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Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
4 | 2018
AKTUELL

Finanzkompetenzen spielerisch
stärken und gezielt vertiefen
Das digitale Lernspiel «FinanceMission Heroes» wurde 2016 lanciert und trägt
seither an vielen Schulen erfolgreich dazu bei, Schülerinnen und Schüler für
Geldfragen fit zu machen. Nun hat es Zuwachs erhalten: Neu steht ein Arbeitsheft
inklusive Begleitkommentar und Lektionsvorschläge zur Verfügung.

Ein paar Klicks und die trendi­    der Finanzkompetenzen bei         Neu:Arbeitsheft zur Vertiefung
gen Kleidungsstücke landen         Jugendlichen ein. Um die          Begleitend zum Lernspiel ist
im Warenkorb. Noch ein paar        Umsetzung im Unterricht           neu ein Arbeitsheft für Schüle­
Klicks mehr und sie sind           voranzutreiben, hat er im Mai     rinnen und Schüler erschienen.
gekauft. Online­Shopping­Por­      2016 zusammen mit dem             Dieses besteht aus neun
tale laden geradezu ein, schnell   Syndicat des enseignants          Lernaufgaben zu Themen wie
und unkompliziert via Kredit­      romands SER und dem Ver­          Budget, Gebrauchs­ und Ver­
karte einzukaufen. Ebenso          band der Schweizer Kantonal­      brauchsgüter, Anschaffungs­
werben auch Elektronikhan­         banken den Verein Finance­        und Folgekosten,Kaufverhalten
delsketten mit den neusten         Mission gegründet. Kurze Zeit     und Finanzentscheide. Die
Produkten, die komfortabel         später hat der Verein das erste   Aufgaben beziehen sich zum          In «FinanceMission Heroes» rettet
mit Leasing­ und Abzahlungs­       spielerische Lernangebot für      einen auf das Spiel, zum ande­      der Held nachts die Stadt.
verträgen erworben werden          die Sekundarstufe I entwickelt    ren zielen sie darauf ab, Lern­
können. Die Gefahr, sich zu        und kostenlos zur Verfügung       erfahrungen in den Alltag zu
verschulden, ist gross – insbe­    gestellt: «FinanceMission         transferieren. Der Begleitkom­
sondere bei Jugendlichen und       Heroes». Dieses digitale Lern­    mentar führt in das Lehr­ und
jungen Erwachsenen. Ein ver­       spiel fördert die strategischen   Lernangebot ein und stellt den
antwortungsvoller Umgang mit       und planerischen Fähigkeiten      Bezug zum Lehrplan 21 her. Die
Geld will deshalb gelernt sein.    von Jugendlichen, sensibili­      zusätzlichen Lektionsvorschläge
                                   siert im Umgang mit Geld und      unterstützen schliesslich den
Spielend zum Finanzprofi!          macht zugleich Spass. Es steht    direkten Einsatz im Unterricht.
Der erweiterte Fachbereich         als browserbasiertes Online­      Arbeitsheft und Begleitkom­
«Wirtschaft, Arbeit, Haushalt»     Game, als Download­Version        mentar stehen als PDF auf der
trägt dem Bedürfnis nach einer     für PC und Mac sowie als App      Website www.financemission.ch
verbesserten ökonomischen          für iOS und Android zur Verfü­    zum Download bereit. Das
Bildung der Schülerinnen und       gung. Viele Schulen haben das     Arbeitsheft kann zudem
Schüler Rechnung. Der Dach­        Spiel seit der Lancierung         gedruckt in Klassensätzen
verband Lehrerinnen und Leh­       erfolgreich im Unterricht ein­    bestellt werden – kostenlos.
rer Schweiz LCH setzt sich seit    gesetzt (vgl. BILDUNG                                                 Das neue Arbeitsheft enthält neun
vielen Jahren für die Stärkung     SCHWEIZ 11 | 2017, S. 27/28).     Belinda Meier                       Lernaufgaben.

HEILPÄDAGOGISCHE                   und Trägerschaften.Die Berufs­    markt und in der Gesellschaft       bedarfsgerechte Kompetenzen
FRÜHERZIEHUNG                      verbände fordern für die Stär­    geprägt. Die Folgen der Digita­     vermittle, horizontal und verti­
                                   kung der Heilpädagogischen        lisierung, der steigenden           kal durchlässig, national wie
Qualität stärken!                  Früherziehung eine möglichst      beruflichen Mobilität oder des      international anerkannt und
Kinder mit Behinderungen,          grosse fachliche Kompetenz in     demografischen Wandels stellen      stets auf dem neusten Stand
Entwicklungsauffälligkeiten        der Ausgestaltung der Arbeit.     neue Anforderung an Fachkräfte      sei. Mit der Verabschiedung
sowie gefährdete Kinder im         Dies betrifft sowohl die Wahl     und Unternehmen und müssen          des Leitbilds ist der Strategie­
Vorschulalter und ihre Familien    des Durchführungsortes, die       frühzeitig erkannt werden.          prozess Berufsbildung 2030 in
werden in der Schweiz durch        Frequenz und Dauer, als auch      Antworten darauf liefert das        die Implementierungsphase
die Heilpädagogische Früher­       die Einteilung nach Förderung     Leitbild «Berufsbildung 2030»,      übergegangen. Die Implemen­
ziehung unterstützt und geför­     und Beratung. Zudem müssen        welches das Staatssekretariat       tierung des Leitbilds folgt dem
dert. Der Berufsverband Heil­      genügend zeitliche Ressourcen     für Bildung, Forschung und          Prinzip «Vom Allgemeinen ins
pädagogische Früherziehung         für die Qualitätssicherung, die   Innovation SBFI zusammen            Konkrete». Basierend auf dem
der deutschen, italienischen       Reflexion und die Zusammen­       mit den Verbundpartnern Ende        Leitbild wurde das Programm
und rätoromanischen Schweiz        hangsarbeiten vorhanden sein.     Januar 2018 verabschiedet           mit Stossrichtungen entwickelt.
(BVF) und die Association          Die Qualitätsstandards können     hat. Es skizziert ein Idealbild     Zu den Stossrichtungen entwi­
Romande des Praticiens en          unter www.frueherziehung.ch       und die anzustrebende Realität      ckeln die Verbundpartner nun
Service Educatif Itinérant         heruntergeladen werden. (pd)      (Vision), beschreibt den Auf­       Projekte. (pd)
(ARPSEI) haben zusammen                                              trag (Mission) und definiert die
erstmals und für die ganze                                           Handlungsfelder (strategische
Schweiz gültige «Qualitäts­        BERUFSBILDUNG 2030                Leitlinien). Kurz: Es schafft die   Weiter im Netz
standards für die Heilpädago­                                        Basis für das gemeinsame und        Die Medienmitteilung zur Ver­
gische Früherziehung» veröf­       Leitbild                          zielorientierte Handeln der         abschiedung, das Leitbild und
fentlicht. Sie richten sich an     verabschiedet                     Verbundpartner Bund, Kanto­         das Programm mit Stossrich­
Fachpersonen der Heilpädago­                                         ne und Wirtschaft. In den zehn      tungen sind unter www.sbfi.ch
gischen Früherziehung, Anbie­      Die Berufsbildung wird von den    Leitlinien heisst es beispiels­     abrufbar.
ter, Kostenträger, Behörden        Entwicklungen auf dem Arbeits­    weise, dass die Berufsbildung

                                                                                                                                         9
Tagesschulen:Von Malatelier bis Piratenschiff Die Krux mit der Notengebung - Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH 4
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Musik-Alben, einzelne Lieder, Playbacks,
Singspiele, Lied- und Klaviernoten

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                                                                     Vom subtropischen Palmenstrand über die Gletscherwelt der
Jedes Lied einzeln                                                         Eiszeit bis zum Beginn der modernen Schweiz
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www.andrewbond.ch                                                                                    www.gletschergarten.ch

                                                AUF DER SUCHE
                                                  NACH DEM

                                               STIL 1850 bis 1900
                                                        Informationen zu
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                                                     sowie Unterlagen zum
                                                          Download auf:
                                                                                                         – 15.7.2018
                                                     www.landesmuseum.ch                                www.landesmuseum.ch
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AKTUELL

Lieblings­App:YouTube
Die MIKE­Studie 2017 der Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften zeigt, dass Kinder rege
Smartphones und Tablets nutzen, jedoch immer noch
lieber draussen spielen und Sport treiben.

Offline­Aktivitäten wie Spielen
und Sport bleiben auch im
                                       dieses mindestens einmal pro
                                       Woche, wenn es eigentlich
                                                                          WEITERBILDUNGEN                    WAS, WANN, WO
digitalen Zeitalter die belieb­        bereits schlafen sollte. Das       Sommerkurse
                                                                                                             Resilienzförderung
testen Freizeitbeschäftigun­           Internet, das von 86 Prozent       swch.ch
gen für Kinder. Rund 90 Pro­           der Kinder mindestens ab und                                          Die Tagung zur Gesundheits­
zent der Kinder spielen                zu genutzt wird, kann eben­        Vom 9. bis 20. Juli 2018 finden    förderung vom 16. Mai 2018 in
mindestens einmal pro Woche            falls problematisch sein.          die 127. Sommerkurse von           Emmen behandelt die Resi­
draussen. Dies ergab die               13 Prozent der Mittelstufen­       Schule und Weiterbildung           lienzförderung von Schülerin­
MIKE­Studie 2017 (Medien,              kinder haben sich bereits ein­     Schweiz swch.ch statt. Die         nen und Schülern. Die Tagung
Interaktion, Kinder, Eltern),          mal online belästigt gefühlt.      Teilnehmenden der Sommer­          geht den Fragen nach, was
welche die Mediennutzung                                                  kurse erwartet ein vielfältiges    Kinder im psychischen Bereich
von Kindern zwischen 6 und             Rolle der Eltern ist relevant      Kursangebot. Die Kurse sind        gesund hält und wie diese
13 Jahren untersuchte.                 Da das Medienverhalten der         umsetzungsorientiert, nach         Fähigkeiten, Kompetenzen und
79 Prozent der Kinder nutzen           Eltern dasjenige der Kinder        dem Motto «im Juli trainiert,      Eigenschaften erweitert wer­
mindestens ab und zu das               beeinflusst, haben Eltern eine     getestet, für gut befunden und     den können. Die Dienststelle
Smartphone. Jedes zweite               wichtige Vorbildfunktion. Die      im August umgesetzt».              Volksschulbildung des Kan­
Kind besitzt sogar ein eigenes.        Studie empfiehlt daher Eltern,                                        tons Luzern organisiert die
Auch das Tablet ist beliebt:           bei der Mediennutzung ihrer        Wer beruflich in der Ausbil­       Tagung. Sie besteht aus einem
76 Prozent der Kinder nutzen           Kinder auf die Nutzungsdauer       dung tätig ist, möchte in seiner   Hauptreferat und sechs Work­
es hin und wieder, eines von           und auf altersgerechte Inhalte     Arbeit kompetent sein. Weiter­     shops. Weitere Informationen:
drei Kindern hat ein eigenes           zu achten. Sie sollten entspre­    bildungen schaffen dabei           www.volksschulbildung.lu.ch
Gerät.                                 chende Regeln festlegen, wie       einen Mehrwert, gerade für
                                       beispielsweise einen komplet­      Studierende. Doch auch für
Gamen und Kommunikation                ten Verzicht auf Bildschirme       erfahrene Lehrpersonen sind        Familie aus Eritrea
Mit den Mobiltelefonen spie­           im Kinderzimmer, um negative       Weiterbildungen von hoher          Das Bildungszentrum Kinder­
len die Kinder Games, schauen          Auswirkungen auf das Wohl­         Bedeutung. Denn Kompeten­          betreuung bke organisiert am
Online­Videos, hören Musik             befinden der Kinder zu ver­        zen hat man nicht für alle Zeit,   24. Mai 2018 in Zürich ein
und tauschen Nachrichten               ringern.                           man muss sie laufend               Referat zu Familie und Erzie­
aus. YouTube ist die Lieblings­                                           aktualisieren.                     hung von Menschen aus Eri­
App der 6­ bis 13­Jährigen,            Zweite Ausgabe der Studie                                             trea. Dabei werden Unter­
noch vor WhatsApp, Instagram           Für die MIKE­Studie 2017 wur­      Kaum eine Berufsgruppe ist         schiede und Gemeinsamkeiten
und Snapchat. Grundsätzlich            den über 1000 Kinder im Alter      dabei unmittelbarer mit den        zwischen eritreischen und
bevorzugen Mädchen eher                zwischen 6 und 13 Jahren und       gesellschaftlichen Verände­        Schweizer Familien vorge­
Kommunikations­Apps, Kna­              über 600 Elternteile in den drei   rungen konfrontiert als Lehr­      stellt. Eine Fragerunde bildet
ben eher Game­Apps. Zwei               grossen Sprachregionen der         personen. Veränderungen, wie       den Abschluss den Anlasses.
Drittel aller Kinder gamen min­        Schweiz befragt. Die Studie ist    etwa die Digitalisierung, wir­     Weitere Informationen und
destens einmal pro Woche, ein          von der Zürcher Hochschule         ken sich direkt auf den Unter­     Anmeldung: www.bke.ch
Drittel beinahe täglich. Diese         für Angewandte Wissen­             richt aus. Gleichzeitig sind die
Nutzung birgt auch Risiken:            schaften nach 2015 bereits         Kinder und Jugendlichen ihrer­
Rund jedes dritte Kind mit             zum zweiten Mal durchgeführt       seits durch Erziehungsstile        Swiss­ und Worlddidac
eigenem Mobiltelefon nutzt             worden. (pd/mw)                    und den privaten Medienkon­        Vom 7. bis 9. November 2018
                                                                          sum geprägt.                       finden die Bildungsmessen
                                                                                                             Swissdidac und Worlddidac in
                                                                          Schule und Weiterbildung           Bern statt. In diesem Jahr ste­
                                                                          Schweiz swch.ch bietet in          hen sie unter dem Schwer­
                                                                          Weinfelden 150 verschiedene        punkt Digitalisierung. Rund
                                                                          Weiterbildungskurse an, um         270 Anbieter stellen ihre Pro­
                                                                          Kompetenzen gerade in der          dukte und Dienstleistungen
                                                                          Digitalisierung weiterzuentwi­     vor. Auch kommen an den
                                                                          ckeln, Erfahrungen mit Lehr­       diesjährigen Fachmessen
                                                                          personen anderer Kantone           drei weitere Themen hinzu:
                                                                          auszutauschen und die eige­        barrierefreies Lernen, ausser­
                                                                          nen Ressourcen für den Wan­        schulische Lernorte und
                                                                          del in der Schule zu stärken.      Gesundheit. Der Dachverband
                                                                          Neben den Weiterbildungen          Lehrerinnen und Lehrer
                                                                          erwartet die Teinehmenden          Schweiz LCH wird mit einem
                                                                          vom 9. bis 20. Juli 2018 auch      Stand ebenfalls vertreten sein.
                                                                          ein attraktives Rahmenpro­         Weitere Informationen:
                                                                          gramm. (pd)                        www.swissdidac­bern.ch
Zwei Drittel aller Kinder gamen mindestens einmal pro Woche.
Foto: Thinkstock/Wavebreakmedia Ltd

                                                                                                                                         11
Tagesschulen – wo stehen wir?

Text: Belinda Meier   Sind sie die Zukunft oder ein zusätzliches Angebot? BILDUNG SCHWEIZ
Foto: Fiona Feuz
                      widmet den Tagesschulen in der Schweiz ab dieser Ausgabe eine Serie.
                      Deren Beiträge beleuchten aktuelle Entwicklungen, zeigen Probleme
                      auf, stellen Fragen zur Umsetzung, Organisation und Qualität und
                      versuchen ebenso auch Antworten zu liefern.
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TAGESSCHULEN

Montagmorgen, 7.35 Uhr. Es klingelt an der Haustür. Die          Deutschschweiz ganztägige Bildungs­ und Betreuungsange­
achtjährige Liliane öffnet die Tür und begrüsst freudig ihre     bote auch als «familienergänzende Kinderbetreuung», «schul­
Freundin Nicole. Sie schliesst kurzerhand den Reissverschluss    ergänzende Kinderbetreuung» oder als «Tagesstrukturen»
ihrer Jacke, schlüpft in die Stiefel, schnallt den Schulranzen   bezeichnet. Die Schweizerische Konferenz der kantonalen
auf den Rücken und verabschiedet sich von ihrer Mutter,          Erziehungsdirektoren (EDK) und die Konferenz der kanto­
die den beiden noch hinterherwinkt. Zu Fuss machen sich          nalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) ver­
Liliane und Nicole auf zum nahe gelegenen Schulhaus, wo der      wenden den Begriff «Tagesstrukturen». In ihrer gemeinsamen
Unterricht pünktlich um 8.00 Uhr startet. Die beiden Mäd­        Erklärung vom 13. März 2008 heisst es: «Tagesstrukturen
chen sind Nachbarinnen und Schulkameradinnen zugleich.           bezeichnen die Gesamtheit an bedarfsgerechten Betreuungs­
Den Schulweg legen sie meistens viermal täglich zurück,          angeboten für Kinder und Jugendliche ab Geburt bis zum
zweimal vor­ und zweimal nachmittags. Zu Mittag kehren           Ende der obligatorischen Schule (im Bereich der Sonderpäd­
sie nach Hause zurück, wo sie gemeinsam mit ihren Eltern         agogik bis 20 Jahre) ausserhalb der Familie». Tagesstrukturen
zu Mittag essen.                                                 umfassen demnach Angebote an frühkindlicher Bildung und
   Ein Tagesablauf wie der von Liliane und Nicole war vor        solche für Schulkinder. Ersteres können Krippen und Kin­
30 Jahren noch weitverbreitet. Er war fest verknüpft mit         dertagesstätten sein, Letzteres Mittagstische, Tagesschulen,
einem traditionellen Familienmodell, in dem mehrheitlich         Tagesschulangebote, Schülerclubs, Horte etc. Tagesschulen
das Elternhaus für die Betreuung der Kinder besorgt war.         sind demnach eine Form von ganztägigen Bildungs­ und
Dieses Modell hat sich in den letzten Jahrzehnten allerdings     Betreuungsangeboten für Kinder im Schulalter.
stark verändert. Aufgrund gesellschaflicher Veränderungen,
einer erhöhten Nachfrage der Wirtschaft nach qualifizier­        Mehrheit: Offene Tagesschulen
ten Arbeitskräften und einer Zunahme von erwerbstätigen          Schüpbach unterscheidet zwei Hauptformen von Tagesschu­
Frauen ist die Nachfrage nach neuen schulischen Zeitstruk­       len, die in der Deutschschweiz auftreten: die offenen und
turen gestiegen. Dies führte – hauptsächlich in den vergange­    die gebundenen Tagesschulen. In gebundenen Tagesschulen
nen 15 Jahren – zum Ausbau von ganztägigen Bildungs­ und         sind die Schülerinnen und Schüler verpflichtet, auch an
Betreuungsangeboten in der Schweiz. Richtungsweisend             ausserunterrichtlichen Angeboten teilzunehmen. In offe­
für diesen Ausbau war das HarmoS­Konkordat. Artikel 11           nen Tagesschulen hingegen steht für Lernende nebst dem
verpflichtet die beigetretenen Kantone dazu, den Primar­         Unterricht ein modulares Bildungs­ und Betreuungsangebot
schulunterricht vorzugsweise in Blockzeiten anzubieten und       bereit, das sie freiwillig nutzen können. Gemäss dem For­
ein bedarfsgerechtes Angebot an Tagesstrukturen zu grund­        schungsüberblick von Regula Windlinger «Von ‹Unterricht
sätzlich kostenpflichtigen Konditionen zur Verfügung zu          und Betreuung› zur Tagesschule. Wie wachsen Schule und
stellen. Das Konkordat trat am 1. August 2009 in Kraft, sehr     Betreuung zu einem Ganzen zusammen?» existieren in der
auch zur Freude des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer          Schweiz nur ganz wenige gebundene Tagesschulen, in denen
Schweiz LCH, der sich vorgängig stark für die Aufnahme           der Unterricht und die Betreuung in ein gemeinsames päda­
dieser Bedingungen im Konkordat eingesetzt hatte. Bis heute      gogisches Konzept eingebunden sind. Die Mehrheit bilden
sind 15 Kantone beigetreten. Da die Bildungshoheit bei den       ganz klar die offenen oder modularen Tagesschulen. «Dies,
Kantonen liegt, bestehen keine einheitlichen Richtlinien zur     weil eine grosse Mehrheit der Bevölkerung auf eine Freiwil­
Ausgestaltung solcher Bildungs­ und Betreuungsangebote.          ligkeit des Angebots besteht», so Zemp. «In Zürich, wo teils
Eine Frist zur Umsetzung des Artikels gibt es ebenso wenig.      gebundene Tagesschulen im Aufbau sind, zeigt sich aber
«Daher bleibt das Angebot insgesamt noch unvollständig und       auch, dass gerade sie zunehmend an Anhängerschaft – auch
lückenhaft», stellt Beat W. Zemp, Zentralpräsident LCH, fest.    unter den Lehrpersonen – gewinnen.»
Städte wie Bern, Zürich, Basel, Lausanne und Genf seien             Mit Blick auf die heutige Ausgestaltung und Organisation
allerdings bereits jetzt gut aufgestellt.                        von Tagesschulen befinden sich Deutschland, Österreich
                                                                 und die Schweiz im europäischen Vergleich noch immer im
Tagesschulen: Eine Form von Tagesstrukturen                      Rückstand. Während die ganztägige Betreuung in Kinder­
So unterschiedlich die Angebote sind, so vielfältig sind auch    gärten, Vor­ und Grundschulen in fast allen europäischen
die Begriffe, die sie beschreiben. Gemäss den Ausführungen       Staaten der Normalfall darstelle, sei das ganztägige Ange­
der Pädagogikprofessorin Marianne Schüpbach im Kapitel           bot im deutschsprachigen Raum noch immer nicht ausrei­
«Was ist eine Tagesschule?» des erst kürzlich erschienenen       chend, erklärt etwa Karen Hagemann, die die historische
Sammelbands «Tagesschulen. Ein Überblick» werden in der          Entwicklung der Kinderbetreuung in Europa untersucht

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 hat. «Unterdessen haben sich Deutschland und Österreich         • Externe Unterstützung: Sie beinhaltet gemeinsame
 im Gegensatz zur Schweiz allerdings in Bewegung gesetzt.          Weiterbildungen für Lehr­ und Betreuungspersonen.
 Sie haben grosse Projekte zur Förderung von Tagesschulen        • Ausbildung: Die ganztägige Bildung ist Bestandteil der
 umgesetzt», wendet Christine Flitner, Präsidentin des Ver­        Ausbildung der verschiedenen Berufsgruppen.
 bands Bildung und Betreuung Schweiz, ein (vgl. Interview
 S. 15). Für das derzeitige Tagesschulangebot in der Schweiz     Was die Ausbildung von Lehrpersonen betrifft, so haben
 fordert sie, dass Bildung und Betreuung noch näher zusam­       Anfragen bei Pädagogischen Hochschulen im deutschspra­
 menrücken, damit auch die pädagogischen Möglichkeiten in        chigen Raum ergeben, dass die Bildung in Tagesschulen ganz
 den ausserschulischen Sequenzen besser ausgeschöpft wer­        unterschiedlich darin einfliesst. Während sie in der Nordwest­
 den können. Windlinger weist in ihrem Forschungsüberblick       schweiz, in Fribourg, St. Gallen, Schwyz und Zug wenig bis
 darauf hin, dass gebundene Tagesschulen die Verzahnung          gar nicht behandelt wird, gibt es in Schaffhausen und Luzern
von Bildung und Betreuung sowie die Möglichkeit der fle­         vereinzelte Module oder Themenbereiche, in denen die Orga­
xiblen Zeitstrukturierung zwar besser nutzen, aber ebenfalls     nisation und die Kooperationen in Tagesschulen ebenso wie
 nicht im Geringsten ausschöpfen. «Die Frage nach dem            bildungspolitische Fragen Platz erhalten. Die PHZH und die
‹besseren› oder ‹effektiveren› Modell lässt sich also zurzeit    PHBern sind diejenigen Hochschulen mit dem breitesten
 nicht abschliessend beantworten», so ihr Fazit. Für Ursula      Angebot. Sie verfügen über vielfältige Ausbildungsgefässe, in
Rellstab, Publizistin und Wegbereiterin der Tagesschulen         denen die Themen über Tagesschulen unter verschiedenen
 in der Schweiz, führt die offene Tagesschule längerfristig      Gesichtspunkten vertieft werden.
 zu Schwierigkeiten: «Die grosse, für Familien attraktive,
Flexibilität wird für die Schulen zum Problem – zum admi­        Start zur Serie «Tagesschulen»
 nistrativen, organisatorischen, räumlichen und nicht zuletzt    Wie das Bildungs­ und Betreuungsangebot in der Deutsch­
 zum pädagogischen», stellt sie in ihrem Dossier «Wege           schweiz ausgestaltet ist, welche Angebote und Formen von
von Tagesstrukturen zu Tagesschulen» fest. Was es ihrer          Tagesschulen existieren und wie dieselben organisiert sind,
 und auch Flitners Meinung nach in der Schweiz dringend          wird BILDUNG SCHWEIZ in einer Serie, die hiermit startet,
 braucht, um die Entwicklung, Organisation und Koordina­         unter die Lupe nehmen. Die Redaktion wird Tagesschulen
 tion von Tagesstrukturen und Tagesschulen systematisch          besuchen und mit Lehr­, Betreuungs­ und Leitungspersonen
voranzutreiben, ist ein Kompetenzzentrum.                        sprechen. Auch kommen Experten zu Wort, die unter ande­
                                                                 rem zur Entwicklung von Tagesschulen, Qualitätssicherung,
Erfolgreiche Kooperationen und Qualitätssicherung                Architektur und Zusammenarbeit mit Partnern und Eltern
Die offene und noch viel mehr die gebundende Tagesschule         Auskünfte und Anregungen geben werden. Zum Auftakt hat
mit pädagogischem Konzept, das Unterricht und Betreuung          BILDUNG SCHWEIZ mit Christine Flitner, Präsidentin des
einschliesst, gehen mit vielen Neuerungen in Bezug auf Orga­     Verbands Bildung und Betreuung Schweiz, über das derzei­
nisation, Personal und Lernkultur einher. Die Qualität des       tige Tagesschulangebot, dessen Potenzial und Problematik
pädagogischen Angebots ist dabei ein zentraler Faktor für den    gesprochen und zeigt, was Kinder in der Tagesschule Bitzius
Erfolg von Tagesschulen. «Die Qualität muss sichergestellt       in Bern erleben und wie sie betreut werden. ■
werden. Deshalb stehen auch die Kantone in der Pflicht, für
gute Gelingensbedingungen aktiv zu sorgen», fordert Zemp.
Eine funktionierende Kooperation zwischen Betreuungs­ und        Weiter im Text
Lehrpersonen ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung. In der   Karen Hagemann und Konrad Jarausch (Hg.): «Halbtags oder Ganz­
                                                                 tags? Zeitpolitiken von Kinderbetreuung und Schule nach 1945 im
Forschungsliteratur finden sich für Deutschland, Österreich
                                                                 europäischen Vergleich». Beltz Juventa, Weinheim, 2015.
und die Schweiz mehrheitlich dieselben Faktoren, die eine
                                                                 Ursula Rellstab: «Wege von Tagesstrukturen zu Tagesschulen. Ein
gelingende Kooperation begünstigen:
                                                                 Dossier mit Beispielen und Vorschlägen». Zürich, 2016.
• Schulleitung: Sie leistet Überzeugungsarbeit, fördert
                                                                 Marianne Schüpbach, Lukas Frei, Wim Nieuwenboom (Hg.): «Tages­
   inner­ und ausserschulische Kooperationen und richtet
                                                                 schulen. Ein Überblick». Springer Verlag für Sozialwissenschaften,
   wenn möglich eine Steuergruppe ein.                           Wiesbaden, 2018.
• Strukturelle Rahmenbedingungen: Sie umfassen Ziele,
                                                                 Regula Windlinger: «Von ‹Unterricht plus Betreuung› zur Tages­
   Kooperationsverträge und Ressourcen.                          schule. Wie wachsen Schule und Betreuung zu einem Ganzen
• Personal: Dieses ist qualifiziert, hat einen klaren Auftrag    zusammen? Forschungsüberblick und Literaturanalyse». Verfasst
   und zeigt Innovations­ und Kooperationsbereitschaft.          im Auftrag von Bildung und Betreuung und der PHBern, 2016.

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TAGESSCHULEN

«Viel pädagogisches Potenzial liegt brach»
Grössere Förderprozesse stehen zwar noch aus, dennoch hat sich die schulergänzende Tagesbetreuung in der
Schweiz in den vergangenen zehn Jahren stark weiterentwickelt. Christine Flitner, Präsidentin des Verbands
Bildung und Betreuung Schweiz, ist von den Tagesschulen als Schulen der Zukunft überzeugt. Welche Hürden
noch zu meistern sind und weshalb ein gezieltes Vorgehen auf nationaler Ebene notwendig ist, erklärt sie im
Interview mit BILDUNG SCHWEIZ.

BILDUNG SCHWEIZ: Frau Flitner, wieso           Gibt es weitere Hürden, welche die                    Entwicklung von Tagesschulen in der
hinken Deutschland, Österreich und die         Entwicklung behindern?                                Schweiz.
Schweiz in Sachen Tagesschulen den             Die Schweizerische Konferenz der kan­
meisten anderen europäischen Staaten           tonalen Erziehungsdirektoren EDK ist                  Weshalb?
hinterher?                                     meiner Ansicht nach zu unbeweglich und                Sie bindet die pädagogischen Möglich­
CHRISTINE FLITNER: In Deutschland,             sieht es auch nicht als ihre Aufgabe an,              keiten der Tagesschulen stark zurück.
Österreich und der Schweiz bildete wäh­        in dieser Angelegenheit Massnahmen zu                 Das pädagogische Rhythmisieren, das
rend langer Zeit ein traditionelles Fami­      ergreifen. Schliesslich ist die Tatsache, dass        mit Tagesschulen möglich ist und auch
lienbild die Grundlage der Schulpolitik. Es    die Entwicklung von Tagesschulen mehr­                einen grossen Mehrwert bietet, ist nicht
bedeutete, dass Kinder vormittags Unter­       heitlich als soziale Aufgabe und nicht als            realisierbar. Die Gesellschaft, aber auch
richt hatten, zu Hause zu Mittag assen und     Bildungsaufgabe betrachtet wird, ebenfalls            die Politik hält an den Blöcken und darin
nachmittags teilweise frei oder nochmals       hinderlich für den Prozess.                           eingeschlossen auch am Stundenplan mit
eine kürzere Sequenz Unterricht hatten.                                                              Lektionen im 45­Minuten­Takt fest. Eben­
In England, Frankreich und den skandi­         Welche Formen von Tagesschulen haben                  falls ist ihr die Freiwilligkeit des Angebots,
navischen Ländern ging man demgegen­           wir in der Schweiz?                                   dass also Module für Betreuung und Frei­
über schon sehr früh von der berufstätigen     Es gibt praktisch nur eine Form von                   zeit nach Bedarf gewählt werden können,
Mutter aus. An dieser Idee ausgerichtet zog    Tagesschulen, nämlich diejenige mit einem             ganz wichtig.
sich der Schulunterricht ebenfalls schon       modularen oder offenen System. Dabei
sehr früh in den Nachmittag hinein, Mittag­    spielt es keine Rolle, ob die Betreuung               Die Freiwilligkeit ist für die Eltern aber
essen in der Schule inklusive. Unterdessen     ausserhalb oder innerhalb der Schule                  eher ein Vorteil. Oder nicht?
haben sich Deutschland und Österreich          stattfindet. Kennzeichnend für diese                  Vordergründig ja. Sie zementiert aber
im Gegensatz zur Schweiz allerdings            Form: Unterrichts­ und Betreuungsblö­                 diese strikte Trennung, die letztlich auch
in Bewegung gesetzt. Sie haben grosse          cke sind klar voneinander getrennt. Fast              die Zusammenarbeit zwischen Schule
Projekte zur Förderung von Tagesschu­          vernachlässigbar sind demgegenüber                    und Betreuung erschwert. Eine bessere
len umgesetzt, die auch Wirkung zeigen.        die gebundenen Tagesschulen, in denen                 Verzahnung der beiden Bereiche würde
Dieser Prozess steht in der Schweiz noch       Unterricht und Betreuung Teile eines                  gute Synergien schaffen und in Bezug auf
aus.                                           gemeinsamen pädagogischen Konzepts                    Unterrichtsgestaltung und Unterrichts­
                                               bilden. Das gibt es kaum – jedenfalls was             formen mehr Vielfalt ermöglichen. Das
Was verhindert oder verlangsamt diesen         die öffentliche Schule angeht. Die strikte            Blockdenken ist zudem mitverantwort­
Prozess hierzulande?                           Trennung von Schule und Betreuung bei                 lich dafür, dass die Arbeitsbedingungen
Das traditionelle Familienbild ist teilweise   der modularen Tagesschule ist gleichzeitig            des Betreuungspersonals nicht sonderlich
immer noch eine Hürde. Diese Vorstellung       eine der grossen Schwierigkeiten in der               attraktiv sind. Dieses verfügt oft über sehr
geht aber mehr und mehr zurück. Keine
Hürde, das möchte ich ausdrücklich beto­
nen, ist die föderale Struktur in unserem
Land. Sie wird oft für fehlende oder zu
langsame Entwicklungen verantwortlich
gemacht. Sowohl Deutschland als auch
Österreich haben eine föderale Struktur,
in der die Bildungsverantwortung in den
Bundesländern liegt. Trotzdem haben sie
es geschafft, die Entwicklung von Tages­
schulen voranzutreiben. Was vor diesem
Hintergrund jedoch in der Schweiz fehlt,
ist ein gezieltes Vorgehen auf nationaler
Ebene.

Also braucht es trotzdem eine über­
geordnete Instanz?
Ja, eine Instanz, die die Richtung angibt
und die Entwicklungen anstösst und
fördert. Hier merkt man, dass es in der
Schweiz kein eigenes Bildungsdepartement
gibt, das sich auf nationaler Ebene mit der
obligatorischen Schule beschäftigt.
                                               Christine Flitner, Präsidentin des Verbands Bildung und Betreuung, sieht die Entwicklung der Tages­
                                               schulen durch die strikte Trennung von Bildung und Betreuung behindert. Fotos: Philipp Baer

                                                                                                                                                     15
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                                                  Deutschland und Österreich mit der             Welche Voraussetzungen müssen
                                                  Entwicklung von Ganztagesschulen das           gegeben sein, damit sich eine Schule
                                                  Ziel verfolgten, die Schulleistungen zu        überhaupt zu einer Tagesschule weiter­
                                                  verbessern, sehe ich in der Betreuung          entwickeln kann?
                                                  viel pädagogisches Potenzial brachlie­         Wir sind immer noch im Pionierstadium.
                                                  gen. Kinder könnten in den ausserschu­         Daher müssen Personen im Projekt invol­
                                                  lischen Sequenzen bei gut ausgebildetem        viert sein, die eine Tagesschule dringlich
                                                  Personal vielerlei soziale Kompetenzen         wollen und mit Herzblut an deren Umset­
                                                  entwickeln.                                    zung mitwirken. Weiter braucht es ein Pro­
                                                                                                 jektteam, in dem die Schulleitung vertreten
                                                  Als weiterer Vorteil einer Tagesschule         ist. Die Schulleitung selbst sollte motiviert
                                                  wird auch oft die Verknüpfung von              und gewillt sein, die Umsetzung voranzu­
                                                  Integration und Bildung genannt.               treiben. Noch besser wäre es, wenn sie
                                                  Stimmen Sie dem zu?                            das Dach der Projektorganisation bildet
                                                  Bestimmt ist es so, dass Kinder mit schwie­    und darunter Unterricht und Betreuung
                                                  rigen Voraussetzungen in Tagesschulen          eingeschlossen wären, denn dies begüns­
                                                  profitieren können. Unter den gegebenen        tigt die Kooperation sehr. Für eine gelin­
                                                  Umständen ist dieser Nutzen allerdings         gende Entwicklung ist es ebenfalls hilfreich,
                                                  noch kaum feststellbar. Den Grund dafür
                                                  habe ich bereits genannt: Die pädagogi­        «Die pädagogischen
                                                  schen Möglichkeiten werden nicht ausge­
Der Preis dürfe nicht zu hoch sein, sonst werde   schöpft. In diesem Zusammenhang sind           Möglichkeiten werden
das Angebot nur teilweise genutzt, so Flitner.    auch die Untersuchungsergebnisse von           nicht ausgeschöpft.»
                                                  Marianne Schüpbach, welche die schu­
                                                  lische Leistung von Tagesschulkindern          Austauschgefässe für Betreuungs­, Lehr­
kleine, teilweise auch sehr sonderbare Pen­       untersucht hat, falsch interpretiert wor­      und Schulleitungspersonen zu schaffen
sen. Betreuerinnen und Betreuer haben             den. Es hiess, die Tagesschulen nützten        und zu nutzen sowie auch die Eltern
des Weiteren nur eingeschränkte Möglich­          nichts. Das ist Unsinn. In der Studie wird     einzubeziehen. Unterdessen gibt es auch
keiten, pädagogisch mit den Kindern zu            klar, dass die Qualität und das Angebot        sehr viel hilfreiches Material, das einem die
arbeiten oder die Kinder über einen länge­        ausschlaggebend für den Bildungserfolg         Schritte in Richtung Tagesschule erleich­
ren Zeitraum zu begleiten. Die Betreuung          sind. Zusätzlich behaupte ich, dass dieser     tert. So hat die PH Zürich mit weiteren
wird zum «Aufpassen» degradiert. Das ist          auch vom Preis abhängt.                        Partnern das Arbeitsbuch «QuinTaS. Qua­
demotivierend und dürfte es wiederum                                                             lität in Tagesschulen/Tagsstrukturen» erar­
erschweren, geeignetes Personal zu finden.        Wie müsste die Preispolitik in                 beitet und vor einem Jahr herausgegeben.
                                                  Tagesschulen denn gestaltet sein?              QuinTaS gibt Leitlinien vor, mit denen
Wie kann man dem entgegenwirken?                  Die Preisgestaltung muss so sein, dass         sich Schulen in ihrer Weiterentwicklung
Es müsste möglich sein, nicht nur zerstü­         sowohl Mittelschichtsfamilien als auch         auseinandersetzen können, um eine auf
ckelte Teilzeitpensen anzubieten. Auch            Familien mit niedrigem Einkommen das           sie zugeschnittene Lösung zu finden. Das
ein 80­Prozent­Pensum, wenn nicht gar             Angebot wahrnehmen können. Integra­            scheint mir ein sehr guter Ansatz zu sein.
ein Vollzeitpensum sollte umsetzbar sein.         tion funktioniert letztlich nur, wenn die
Weiter ist es wichtig, dass auch das Betreu­      Schülerzusammensetzung durchmischt             Und welches sind die Herausforderungen,
ungspersonal inhaltlich mit den Kindern           ist. Die Realität sieht derzeit so aus, dass   mit denen man bei der Umsetzung einer
arbeiten kann. Kinder lernen nicht nur wäh­       jede Gemeinde selber festlegt, wie viel        Tagesschule konfrontiert ist?
rend des Unterrichts, auch in der betreuten       sie subventionieren möchte. Die meisten        Eine der grossen Hürden sind mit Sicher­
unterrichtsfreien Zeit findet Lernen, vor         Gemeinden wenden zudem ein vom Ein­            heit die Räumlichkeiten. Sie bilden ein
allem soziales Lernen, statt. Die meist sehr      kommen der Eltern abgestuftes Preismo­         zentrales Thema, das ganz am Anfang in
kurzen Betreuungssequenzen, aber auch             dell an. Der Punkt ist der: Ist der Preis zu   die Projektumsetzung einfliessen muss.
die ständig wechselnden Konstellationen           hoch, wird das Angebot nur teilweise oder      Eine Herausforderung ist auch die gelin­
der Schülerinnen und Schüler machen               gar nicht genutzt. Das ist schlecht für die    gende Kooperation zwischen Schul­ und
Fortschritte in diesem Bereich schwer.            Betreuung, schlecht für die Kinder und         Betreuungspersonal.
                                                  schlecht für die Qualität. Zu guter Letzt
Die Bildung müsste demnach stärker                führt dies auch zu Stress bei den Familien,    Wie könnte diese aussehen?
ins Betreuungsangebot einfliessen?                weil sie Beruf und Familienleben nur mit       Der Verband Bildung und Betreuung
Ja, es geht mir vorrangig um die nonfor­          grossem Organisationsaufwand bewältigen        schlägt beispielsweise vor, dass jedes Kind,
male Bildung in der Betreuung. Während            können.                                        das in der Tagesbetreuung ist, sowohl eine

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