3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...

Die Seite wird erstellt Hendrik Bertram
 
WEITER LESEN
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Amtliches Schulblatt des Kantons Bern
Bildungs- und Kulturdirektion (BKD)
Feuille officielle scolaire du canton de Berne
                                                             3.20
Direction de l’instruction publique et de la culture (INC)
Juni / Juin / www.bkd.be.ch

An Krisen wachsen | Grandir avec la crise
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Inhalt | Sommaire

           Politischer Kommentar |                                           Volksschule |
           Regard politique                                                  Ecole obligatoire
     4     Mit Kreativität und Wertschätzung
           durch die Krise
                                                                        30   Neues Lehrmittel: mit «Tocca a te!»
                                                                             in die Zukunft des Italienischunterrichts

     5     Un nouveau regard grâce à la pandémie
                                                                        33   Magazin | Magazine

     7 Magazin | Magazine                                                    Mittelschule/Berufsbildung |
                                                                             Ecoles moyennes/
           Thema | Dossier:                                                  Formation professionnelle
           An Krisen wachsen |
           Grandir avec la crise                                        38   Neupositionierung Fachmittelschulen:
                                                                             «Die Reform ist tief­greifend, aber sinnvoll»

10         Zwischen Angst und Aufbruch Wir alle werden                  41   Magazin | Magazine

           nachhaltig beeinflusst durch die Erfahrungen während
           der Coronakrise. Das macht bewusst, wie privilegiert
           wir sind.                                                         PHBern – aktuell
14         «Kinder haben nun nicht nur schulischen,
           ­sondern auch sozialen Nachholbedarf»
            Peter Sonderegger, Leiter der kantonalen Erziehungs-        42   Neugierde und ­lebenslanges Lernen aus
                                                                             ­Leidenschaft: Interview mit dem Dozenten
            beratung, spricht im Interview über die Folgen der Krise.         und Forscher M
                                                                                           ­ arco Adamina

18         Die Lehren aus dem Fernunterricht
           Inwiefern w
                     ­ erden die Erfahrungen des Fernunter-             45   Tandem-Projekt zur Sprachenvielfalt
                                                                             im Klassenzimmer
           richts den «Normalbetrieb» prägen? Wir haben bei
           Lehrpersonen nachgefragt.
                                                                        46   Konsekutiver Master: «Das Studium ist ­intensiv,
                                                                             aber auch sehr spannend»
20         Les leçons de l’enseignement à distance
           Nous avons interrogé des écoles pour savoir quelles
           expériences ont le plus marqué les enseignants
                                                                        49   CAS Unterricht entwickeln mit neuem Studien-
                                                                             plan: «Ich will Lernsprünge ermöglichen!»
           et enseignantes.
                                                                        50   Langzeitevaluation der Intensiv­weiterbildungen:

24         Lehrstellensuche: dranbleiben – trotz Corona-
           krise Mit verschiedenen Massnahmen hilft der Kanton
                                                                             Selbstwirksamkeit steigt, ­Zufriedenheit auch

           jenen, die jetzt noch keine Lehrstelle haben.
                                                                        53 Weiterbildung |
26         Places d’apprentissage : continuer à chercher
           Il reste des places d’apprentissage à pourvoir à
           ­compter de l’été 2020.
                                                                           Formation continue

           Porträt | Portrait                                           57 Amtliches Schulblatt |
                                                                           Feuille officielle scolaire
28         Res Zimmermann:
           «Lehren und Lernen ist Beziehungsarbeit»

2                                                                                                                EDUCATION 3.20
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Editorial

                WENN DIE
               ­PANDEMIE-FIKTION
                REALITÄT WIRD
               Seit ich zum ersten Mal den US-Kinofilm «Outbreak» (1995) ge-
               sehen hatte, hatte ich folgende Schreckensvorstellung von einer
               Pandemie: Ein Virus springt von einem Äffchen auf Menschen
               über, verbreitet sich in Windeseile auf der ganzen Welt, und
               jeder, der keinen knallgelben Schutzanzug trägt, stirbt. Irgendein
               Heldenteam rund um Dustin Hoffman forscht emsig am Gegen­
               mittel und rettet schliesslich die Menschheit über Nacht. Sie
               ­sehen: In einigen Aspekten hat mir die Coronakrise Ängste
                ­genommen. Dafür habe ich realisiert, dass sich eine solche Aus-

          14     nahmesituation nicht so schnell lösen lässt – Expertinnen und
                 Experten rechnen etwa mit einer monate-, wenn nicht jahre­
                 langen Entwicklungszeit für einen COVID-19-Impfstoff. Vor allem
                 aber habe ich gestaunt, wie schnell die Menschheit am selben
                 Strick ziehen kann, wenn es die Krise erfordert. Ich wünsche
                 mir, dass wir alle daraus unsere Lehren ziehen – und in Zukunft
                 auch anderen Problemen geeint entgegentreten.

               QUAND LA
               RÉALITÉ RATTRAPE
               LA FICTION
28             Depuis que j’ai vu le film américain « Alerte ! » (1995) pour la pre-
               mière fois, j’avais dans la tête un scénario d’horreur : un virus
               passe du singe à l’homme, se propage rapidement aux quatre
               coins de la planète et quiconque ne porte pas de combinaison
               de protection jaune canari décède. Des héros et héroïnes

          38   autour de Dustin Hoffman entreprennent ensuite des recherches
               intenses pour trouver un antidote et sauvent finalement l’huma­
               nité du jour au lendemain. Vous voyez, la pandémie du corona-
               virus m’a ôté certaines craintes. En revanche, j’ai réalisé qu’une
               telle situation ne pouvait pas se résoudre aussi rapidement ; les
               experts et expertes estiment que nous disposerons d’un vaccin
               dans plusieurs mois, voire plusieurs années. J’ai aussi été sur-
               prise par la rapidité avec laquelle les êtres humains ont pu unir
               leurs efforts en temps de crise. J’espère que nous en tirerons
               tous des leçons et que nous pourrons, à l’avenir aussi, faire front
               commun face aux autres problèmes.

               Stefanie Christ, stefanie.christ@be.ch
               Redaktorin EDUCATION | Rédactrice EDUCATION

     EDUCATION 3.203
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Politischer Kommentar | Regard politique

MIT KREATIVITÄT UND
WERTSCHÄTZUNG DURCH
DIE KRISE
Christine Häsler, Bildungs- und Kulturdirektorin
christine.haesler@be.ch

«Liebe Kinder, wir vermissen euch» stand in grossen Lettern am             haben im Homeoffice einige Eltern erkannt, was Lehrpersonen
Schulhaus in Kandergrund. Und am Schulhaus Wilderswil, in dem              täglich leisten. Corona war ein Anstoss zur Kreativität und zu
ich vor Jahren die Sekundarschule besuchte, hing ein Banner mit            ­einem neuen, wertschätzenden Miteinander. Das haben Sie als
den Worten «Ohni öich fägt’s nid!». Es ging ans Herz, die unüber-           Lehrpersonen sehr gut verstanden und vorgelebt.
sehbaren Grussbotschaften der Lehrpersonen an die Schülerin-                    Ich danke Ihnen herzlich – für Ihr Engagement, Ihre Verläss-
nen und Schüler zu sehen.                                                   lichkeit und Ihre Zuversicht, mit der Sie diese Krise bis anhin ge-
      Das soziale Miteinander in der Klassengemeinschaft ist ein            meistert haben!
wichtiger Teil der Schule. Schülerinnen und Schüler nehmen An-
teil an den Erlebnissen der Klassenkolleginnen oder -kollegen,
geben sich gegenseitig Zeichen der Anerkennung oder teilen die
Begeisterung für eine gemeinsame Idee. Diese Vielfalt der Ge-
fühle ist es, die wir im Homeoffice in der Phase des Lockdowns
besonders vermisst haben.
      Blicken wir zurück: Im März mussten Sie als Lehrperson bei-
nahe von einem Tag auf den andern auf Fernunterricht umstel-
len – eine besondere Herausforderung. Sie sind diese Aufgabe
mit viel Initiative und Ideenreichtum angegangen. Lernen auf Dis-
tanz verlangt viel Flexibilität und den Mut, neue digitale Formen
des Lernens zu testen. Vielleicht war diese Phase auch ein Ge-
winn für Sie und hat Sie zu neuen Unterrichtsideen inspiriert.
      Ich fand es bewegend, zu erleben, welch kreative und manch-
mal unkonventionelle Lösungen Lehrpersonen erfanden, um die
persönlichen Beziehungen zu den Schülerinnen und Schülern
aufrechtzuerhalten. So rief eine Lehrperson die Schülerinnen und
Schüler dazu auf, Selfies zu machen und zu schreiben, wie es
­ihnen ging. Eine andere Lehrperson schrieb ihnen einen Brief, um
 zu zeigen, wie einsam sie sich ohne die Klasse fühlte.
      Was bleibt aus dieser Zeit des Getrenntseins und der Iso­
 lierung haften? Wie wird die Schule nach dieser Erfahrung des
 Fernunterrichts ins neue Schuljahr starten? Und in welche Nor­
 malität werden wir zurückkommen?
      Ich bin mir sicher, dass die erfahrene Extremsituation einen
 nachhaltigen Einfluss auf den Schulalltag und unser Zusammen-
 leben haben und unsere Generation prägen wird. Die Hygiene-
 massnahmen und das Abstandhalten werden uns weiter beglei-
 ten. Wir können das Virus als Signal verstehen, mehr Sorge zum
 Mitmenschen und zur Gesundheit von uns allen zu tragen.
      In der Isolation realisierten wir, wie wichtig es ist, soziale Be-
 ziehungen zu pflegen. Einige Schülerinnen und Schüler haben
 Briefe an die eigenen Grosseltern geschrieben – eine glänzende
 Idee. Sie ist bezeichnend für die erlebte Solidarität. Und vielleicht

4                                                                                                                             EDUCATION 3.20
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Politischer Kommentar | Regard politique

                                                                            UN NOUVEAU
                                                                         REGARD GRÂCE À
                                                                            LA PANDÉMIE
                                                                                Christine Häsler, Directrice de l’instruction publique et de la culture
                                                                                                                              christine.haesler@be.ch

Le message « Chers enfants, vous nous manquez » en grosses                     La vie sociale au sein de la classe est un élément important
lettres ornait le bâtiment de l’école de Kandergrund. L’établisse-             de l’école. Les élèves prennent part aux événements de la vie
ment de Wilderswil, où j’ai fréquenté l’école secondaire il y a des            de leurs camarades de classe, expriment des signes de recon-
années, affichait une bannière avec les mots « Ohni öich fägt’s                naissance ou s’engagent avec enthousiasme pour une idée com-
nid! » (Sans vous, on s’ennuie !). Ces messages manifestes des                 mune. Cette diversité des sentiments a particulièrement manqué
enseignants et enseignantes à l’adresse de leurs élèves sont par-              durant le confinement.
ticulièrement touchants.                                                            Revenons en arrière : en mars, vous avez dû, chers ensei-
                                                                              gnants et enseignantes, passer de l’enseignement présentiel à
                                                                              l’enseignement à distance pratiquement du jour au lendemain –
                                                                              un véritable défi. Vous vous êtes attelés à cette tâche avec
                                                                              ­beaucoup d’initiative et de créativité. L’enseignement à distance
                                                                               exige beaucoup de flexibilité et le courage de tester de nouvelles
                                                                               solutions d’apprentissage numériques. Peut-être cette phase
                                                                               vous aura-t-elle aussi apporté de nouvelles idées pour votre
                                                                            ­enseignement.
                                                                                    J’ai trouvé particulièrement touchant de voir l’inventivité dont
                                                                               vous avez fait preuve et les solutions peu conventionnelles que
                                                                               vous avez trouvées afin de maintenir une relation personnelle
                                                                               avec vos élèves. Ainsi, un enseignant a invité ses élèves à faire
                                                                               des selfies et à décrire l’état d’esprit dans lequel ils se trouvaient.
                                                                               Une autre enseignante a écrit une lettre à ses élèves pour leur
                                                                               exprimer combien elle se sentait seule sans eux.
                                                                                    Que restera-t-il de cette période de séparation et d’isole-
                                                                               ment ? Comment la prochaine année scolaire commencera-t-elle
                                                                               après cette expérience de l’enseignement à distance ? Quelle
                                                                             normalité allons-nous retrouver ?
                                                                                    Je suis persuadée que la situation exceptionnelle que nous
                                                                             vivons actuellement aura un impact durable sur le quotidien
                                                                             ­scolaire et sur notre vie commune. Elle marquera les générations
                                                                              actuelles. Les mesures d’hygiène et de distanciation sociale
                                                                              continueront de nous accompagner. Ce virus peut être le signal
                                                                              soulignant la nécessité de se préoccuper davantage de son pro-
                                                                               chain et de la santé de tous et de toutes.
                                                                                    Durant le confinement, nous avons réalisé combien les rela-
                                                                               tions sociales étaient importantes. Certains élèves ont écrit des
                                                                               lettres à leurs grands-parents – une excellente idée, caractéris-
                                                                               tique de l’élan de solidarité vécu. Peut-être certains parents ont-ils
                                            Photo : Pia Neuenschwander

                                                                               compris la portée du travail accompli chaque jour par les ensei-
                                                                               gnants et enseignantes. La pandémie nous a conduits à faire
                                                                               preuve de créativité et à porter un regard empreint d’estime sur
                                                                               les autres. Vous, enseignants et enseignantes, l’avez bien com-
                                                                               pris et avez montré l’exemple.
                                                                                    Je vous remercie de tout cœur – pour votre engagement,
                                                                               votre fiabilité et l’assurance dont vous avez fait preuve jusque-là
                                                                               dans cette situation particulièrement difficile.

EDUCATION 3.205
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Magazin | Magazine

Unter der Lupe

FÜNF FRAGEN AN IVO KUMMER
1. Wenn Sie an Ihre Schulzeit denken,
was kommt Ihnen als Erstes in den                                                          IVO KUMMER,
Sinn? Der stolze Erstklässler mit einem                                                      geboren 1959 in Solothurn, studierte
Schulranzen aus Kuhfell (leider «glatt»                                                       ­Germanistik und Journalistik an der
statt «gekraust») und dem Geruch                                                                Universität Fribourg. Nach Tätigkeiten
frisch riechender Caran-d’Ache-Farb-                                                             als Journalist, Mediensprecher
stifte im warmen Frühlingslicht auf                                                               und Leiter einer Filmproduktions­
dem Weg in das Unbekannte.                                                                        firma engagierte er sich von 1989
2. Welcher Lehrperson würden                                                                       bis 2011 als Direktor der Solo­
Sie rückblickend eine Sechs ge-                                                                    thurner Filmtage. Seit August 2011
ben, und warum? Mindestens drei                                                                   ist er Filmchef des Bundesamts
Lehrern: Pater Eugen lehrte mich als                                                              für Kultur (BAK).
jungen Gymnasiasten die Tiefe der
Lyrik, Toni Schaller als Deutschlehrer                                                           Foto: zvg
die Verführung der Prosa, und ­      Peter
­Sicher als Lehrperson für bildne­risches
 Gestalten tröstete mich mit guten Noten
 über das Missratene in den mathema­tischen                                              4. Was ist das Wichtigste, was Kinder und
 Fächern hinweg. 3. Inwiefern hat Ihnen die                                            Jugendliche heute im Kindergarten oder in
 Schule geholfen, Chef der Sektion Film beim                                     der Schule lernen sollten? Respekt, Achtung und
 BAK zu werden? Meine prägende Begegnung mit Kino war                  die Hilfsbereitschaft, Schwächere zu un­terstützen, um dasselbe
 in der Klosterschule Engelberg. Der Film «If» (1968, Lindsay          zurückzubekommen, wenn man selbst darauf angewiesen ist.
 ­Anderson) provozierte eine «Revolution» im Theatersaal bei uns       5. Wären Sie eine gute Lehrperson? Aus Sicht der Schul-
  Schülern. Die Filmvorführung wurde abgebrochen. Da spürte            klasse vielleicht schon. Aus Sicht der Schulleitung vermutlich
  ich als Jüngling: Hey, Film ist mehr als Unterhaltung, er ist Auf-   nicht: Während meines Studiums schaffte ich exakt ein Vikariat.
  klärung, er ist Emanzipation. Da will ich hin! Während des Stu­      Trotz öfteren Bewerbungen meinerseits. Ich war offenbar zu
  diums an der Uni Fribourg wurde ich mit dem Schweizer Film ­in-      ­basisdemokratisch unterwegs. Ganz im Sinne der Schülerinnen
  fiziert, und mein beruflicher Werdegang war somit vorgezeichnet.      und Schüler. Das war damals nicht gefragt.

                                                          Von der Maturaarbeit zum Buch

                                                           BLICK IN DIE TEENAGER-SEELE
                                                            Für ihre Maturaarbeit hat sich die Berner Gymnasiastin Ronja Fankhauser
                                                            dem Thema «Erwachsen werden» angenommen und dafür zahlreiche Tage-
                                                             bucheinträge von Teenagern ausgewertet. Für ihre Arbeit hat die Autorin
                                                             die Endnote 6 erhalten. Die fachbegleitende Expertin schrieb dazu: «Ihrer
                                                             Intuition folgend, hat Ronja Fankhauser eine beeindruckende Studie über
                                                              die Gefühle von Teenagern geschrieben, die in Umfang und Tiefe weit über
                                                              die Anforderungen einer Maturaarbeit hinausgeht.» Nun gibt der Berner
                                                              Lokwort Verlag einen Teil als Buch heraus. Zahlreiche Originaldokumente
                                                               berichten von dem, was sich in unserer Gesellschaft rund ums Tage­
                                                               buchschreiben abspielt, vor allem aber schildern die prägnanten Auf-
                                                                zeichnungen das Erwachsenwerden als ständige Achterbahnfahrten.
                                                                 Themen der Ich-Findung kommen zur Sprache, Dramen übers B     ­ eliebt-
                                                                 und Verliebtsein, Aussagen zu Rollen, die man auf dem oft h ­ olprigen
                                                                 Weg der Adoleszenz unterschiedlich gern spielte.

                                                                 Ronja Fankhauser: «Tagebuchtage Tagebuchnächte.
                                                                 Übers Erwachsenwerden», 130 Seiten, Lokwort Verlag, Bern
  Foto: zvg

EDUCATION 3.207
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Magazin | Magazine

                                                                                                Schulhaus, Molkereistrasse 18, Zollikofen,
                                                                                                nach der Restaurierung 2018
                                                                                                Foto: © by Büro L64

                                      Schulhaus, Molkereistrasse 18, Zollikofen, ca. 1982/83
                                                                                    Foto: zvg

     Schulhäuser im Kanton Bern

     WEICHKÄSE UND HOCHBAUMSAUSER
     Eine Serie der kantonalen Denkmalpflege
     Die Landwirtschaftliche Schule Rütti bei Zollikofen wurde 1860               sauser» serviert. Nach der Schliessung der Molkereischule im
     gegründet. In unmittelbarer Nähe befand sich von 1887 bis 2003               Jahr 2004 wurde das Schulgebäude vom INFORAMA (Bildungs-,
     auch die Molkereischule. Obschon grosse Probleme in der Land-                Beratungs- und Tagungszentrum) übernommen. Heute werden
     und Milchwirtschaft den Anstoss zu ihrer Gründung gegeben                    hier Klassen der beruflichen Grundbildung und der Höheren Be-
     ­hatten, lehnte das Volk die Molkereischule 1886 an der Urne ab.             rufsbildung in Landwirtschaft unterrichtet. Nebst verschiedenen
      Gegen den Willen des Volkes beschloss der Grosse Rat je-                    Massnahmen in den letzten Jahrzehnten erfolgte kürzlich die
      doch ein Jahr später, der Rütti eine Molkereiabteilung anzu­                Umgestaltung der Umgebung. Zuletzt wurden 2018 im Dach­
                                                                                  ­
      gliedern. Das hier präsentierte Schulhaus von 1928, ein währ-               geschoss mit seiner dreifenstrigen Lukarne Gruppenräume ein-
      schafter Bau mit eindrücklicher Eingangsgestaltung, stellt einen            gebaut. Dabei hat man mit wenigen Eingriffen sehr viel erreicht.
      wichtigen Teil der Erweiterung der Molkereischule dar. Das Ge-              Gleichzeitig erfolgte die Restaurierung des Korridors. Die neue
      bäude wurde im Frühjahr 1929 eingeweiht. Die ehemaligen Rütti­              Gestaltung lehnt sich dabei an eine zur Bauzeit übliche Farb­
      schüler lud man zur Besichtigung der erweiterten Molkereischule             gebung an. Die Pendeltür und das Innenfenster gegen das Trep-
      ein. Gemäss einem Protokoll wurden dabei «saftiger Schinken,                penhaus rüstete man mit Brandschutzglas auf, um den heutigen
      Produkte der neu errichteten Weichkäserei und Hochbaum­                     Vorgaben gerecht zu werden.

                                                    Ausstellung

                                                    MEHR VERSTÄNDNIS FÜR ­R ABENVÖGEL
                                                    Warum sind Rabenvögel teilweise so verhasst oder gar gefürchtet? Wie viele Unterarten
                                                    gibt es? Was für berühmte «Rollen» spielen die Krähen in der Kultur? Diesen und vielen
                                                    weiteren Fragen geht die Ausstellung «Corvo» im Infozentrum Eichholz in Bern nach. Die
                                                    Ausstellung ist noch bis am 25. Oktober 2020 jeweils Mittwoch, Samstag und Sonntag
                                                    von 13.30 bis 17.30 Uhr geöffnet. Für Schulen und Gruppen sind Führungen auch aus-
                                                    serhalb dieser Zeiten jederzeit möglich. Im Vorfeld der Ausstellung über Schweizer
                                                    ­Rabenvögel bereits lokale Berühmtheit erlangt haben Jungtiere aus ­Wabern: Eine Web-
                                                     cam filmte live ein Saatkrähenpaar während der Brut und Aufzucht. Wer die beeindru-
                                                     ckenden Einblicke verpasst hat und wissen möchte, wie viele der ursprünglich vier Jung-
                                                     tiere herangereift sind, kann dies im Archiv der Ausstellungswebsite nachschauen:

                                                    www.kraehennest.ch
Foto: zvg

     8                                                                                                                                      EDUCATION 3.20
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Thema | Dossier

                  Mit der 14-jährigen Schülerin
                  Lou durch die Coronakrise:
                  Für EDUCATION hat sie ihren Alltag
                  in der Ausnah m ezeit doku m entiert.
                  Etwa ihren «Umzug» vo m Schul-
                  zim m er in die Ho m eschool.

10                                                       EDUCATION 3.20
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Thema | Dossier

                                                  An Krisen wachsen

  ZWISCHEN
 ANGST UND
  AUFBRUCH
  In den vergangenen Monaten haben wir durch die Coronakrise
  viel über uns gelernt – als Individuum, aber auch als Gesellschaft.
  Der Schulbetrieb hat sich zum Teil nachhaltig verändert, wir liessen
  ­Solidarität und Rücksichtnahme walten oder lernten, Langeweile
   oder Ängste besser auszuhalten. Doch was wird davon im «Normal-
   betrieb» haften bleiben?

  Stefanie Christ / Fotos: büro z

EDUCATION 3.2011
3.20 Amtliches Schulblatt des Kantons Bern Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) Feuille officielle scolaire du canton de Berne Direction de ...
Thema | Dossier

              Auf ein mal ersetzen Bildschirm e
              das Klassenzim m er. Aufgaben
              werden online gelöst, der Aus-
              tausch mit den Lehrpersonen und
              der Klasse erfolgt über Co m puter-
              program m e.

Ich stehe neben meinem vierjährigen Kind am Lavabo, wir wa-                               zahlreich aus dem brüchigen Asphalt spriessen – und die unter
schen uns beide die Hände. Ich will meine bereits trocknen, da                            normalen Umständen längst plattgetreten worden wären. In
sagt das Kind: «Nein Mami, du musst noch oben, zwischen den                               ­Wales beleben wilde Ziegen die leergefegten Strassen, und Ko­
Fingern und die Daumen waschen.» Verwirrt nicke ich. Noch vor                              joten dringen in San Francisco immer weiter zum Stadtzentrum
wenigen Monaten endete jedes Händewaschen des Kindes in                                    vor.1 Und längst haben Satellitenaufnahmen die Runde gemacht,
­einem mittelschweren Wasserschaden, und nun weiss es dank                                 die zeigen, wie sich der verschmutzte Luftraum erholt. Dies sind
 der Coronakrise besser über Hygienemassnahmen Bescheid                                    die schönen Bilder, die den vielen traurigen Aufnahmen von italie­
 als ich. Ob Sicherheitsvorkehrungen, Quarantäne oder Mass­                                nischen Spitalabteilungen, beatmeten Erkrankten und Massen­
 nahmenlockerung: Je länger wir uns mit der Pandemie und ihren                             gräbern vor den Toren New Yorks gegenüberstehen. Bilder, die
 Folgen auseinandersetzen müssen, desto grösser scheinen mir                               am Anfang schockierten – und an die wir uns doch schnell ge-
 die Schritte, die das Kind macht. Es wächst nicht nur in der Krise,                       wöhnt haben. Der Grund liegt in der Desensibilisierung.
 es wächst auch an der Krise. Wie wir alle.                                                     «Starke emotionale Zustände kann der Organismus nicht
     Auch die Natur «wächst»: Die Medien zeigen Bilder von bun-                            über längere Zeit aushalten, und deshalb ist es grundsätzlich
 ten Blumen, die dank den ausbleibenden Fussgängerscharen                                  ­adaptiv, das heisst für das Überleben sinnvoll, dass sich die In­
                                                                                            tensität von Gefühlsreaktionen mit der Zeit abschwächt und das
                                                                                            emotionale Erleben auf ein weniger extremes Niveau zurückgeht»,
                                                                                            beschreibt Barbara Krahé, Professorin für Sozialpsychologie an
                                                                                            der Universität Potsdam, den Prozess.2 So lernten viele von uns
1     Vgl. https://www.nytimes.com/2020/04/01/science/coronavirus-animals-­
      wildlife-goats.html                                                                während des Lockdowns, Langeweile oder Ängste besser aus­
2     Barbara Krahé: «Abstumpfung gegenüber Gewalt und Leid. Auswirkungen                zuhalten oder gar zu bekämpfen. Diesen Effekt an sich selbst
      des Konsums gewalthaltiger Medien», in: Leidfaden, Heft 1/2015, S. 28–32           zu beobachten, kann beruhigend wirken. Das Vertrauen in die
3     www.erz.be.ch/fernunterricht
4     Raffael Kalisch: «Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen»,   ­eigene Kraft wird gestärkt, und man realisiert, warum Menschen
      Berlin Verlag, 2017, S. 227 (eBook)                                                 in Krisensituationen so viel aushalten können.

12                                                                                                                                          EDUCATION 3.20
Thema | Dossier

Veränderter Unterricht
Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler mussten in den            wurden, umso grösser erschien mir persönlich die Kluft zwischen
vergangenen Monaten ebenfalls über sich hinauswachsen. Seit           der Coronakrise in unserer privilegierten Welt und jener in ge­
Langem ist die Digitalisierung des Unterrichts ein Thema, und je      beutelten Regionen. Oder zwischen anderen Katastrophen, die
nach Gemeinde oder Stufe ist sie mehr oder weniger fortge­            zuweilen von Toilettenpapier-Glossen aus den Medien verdrängt
schritten. Manchmal vereinfachen die neuen Möglichkeiten den          wurden: Hungersnot, Glaubenskriege, Klimakatastrophe – alles
Schulbetrieb, an anderen Orten müssen erst einige Hürden über-        Krisen, gegen die es nie einen Impfstoff geben wird und die ein
wunden werden. In den vergangenen Monaten hat die digitale            Vielfaches an Opfern fordern beziehungsweise fordern werden.
Entwicklung über alle Klassen hinweg notgedrungen einen                    Im besten Fall können wir die durch die Krise gelebte, ver-
Sprung erlebt. Die Bildungs- und Kulturdirektion hat auf der Web-     stärkte Solidarität in den Nach-Corona-Alltag retten. Langzeit­
site entsprechende Hilfsmaterialien publiziert und den Fernunter-     studien zu diesem sogenannten «posttraumatischen Wachstum»
richts-Leitfaden für die Volksschule überarbeitet.3 Das Angebot       konnten aufzeigen, dass Menschen nach einer überstandenen
auf www.educlasse.ch für die Schulen im französischsprachigen         Krise «das Leben mehr wertschätzen, es nicht länger für selbst-
Kantonsteil wurde ebenfalls aktualisiert und verzeichnet grosse       verständlich nehmen und jeden Tag voll auskosten. Die Forscher
Zugriffsraten. Auf einmal ersetzte der Computer­bildschirm das        stellten zudem fest, dass viele nun besser als vorher in der Lage
Klassenzimmer, und interaktive Lernprogramme kamen über­              waren, befriedigende zwischenmenschliche Bindungen einzu­
proportional häufig zum Einsatz. Aber es zeichnete sich auch ab,      gehen.»4 Die Zeit wird zeigen, wie stark wir an der Coronakrise
wie wichtig der persönliche Kontakt im Unterricht ist. Welche         gewachsen sind – und in welche Verhaltensmuster wir nur allzu
Methoden und Projekte aus der Coronazeit sich im «Normal­
­                                                                     schnell zurückfallen.
betrieb» durchsetzen könnten, lesen Sie auf den Seiten 18 bis 20.

Kulturelle Aufarbeitung
Zum Umgang einer Gesellschaft mit Krisensituationen gehört
auch die kulturelle Aufarbeitung. Blicken wir zurück auf die jün­     SYNTHÈSE : ENTRE PEUR
gere Zeitgeschichte: Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner und
Erich Heckel schufen während und unmittelbar nach dem Ersten
                                                                      ET NOUVEAU DÉPART
Weltkrieg Grafiken und Gemälde, die Eindrücke von der Kriegs-           Nous nous habituons tous à vivre avec le coronavirus. La ques-
front der breiten Öffentlichkeit zugänglich machten. Bis heute wird     tion de la numérisation de l’enseignement fait débat depuis
der Holocaust literarisch aufgearbeitet, Tagebücher wie jenes von       ­longtemps, mais les enseignants et enseignantes et les élèves
Anne Frank gehören ebenso zur Schullektüre wie Klassiker von             ont dû franchir le pas ces derniers mois. Pendant le confine-
Paul Celan, Alfred Andersch oder Ingeborg Bachmann. Die ak­              ment, les enfants, adolescents et adolescentes ont, en outre,
tuelle Flüchtlingskrise prägt durch Filme wie Markus Imhoofs             appris à mieux gérer l’ennui ou leurs craintes. Même si beau-
«Eldorado» oder Maggie Perens «Die Farbe des Ozeans» das
­                                                                        coup d’entre eux restent rationnels face à leur quotidien sous
­zeitkritische Autorenkino. Dank dem technischen Fortschritt und         l’égide du coronavirus, certains ont peur, ne se sentent pas
 den modernen Verbreitungsmethoden erfolgt die Aufarbeitung              en sécurité et font des cauchemars. Suffit-il de leur expliquer la
 ­immer schneller – so lagen die ersten Coronafilme und -bücher          situation ou bien d’autres mesures sont-elles nécessaires ?
  schon vor, ehe die Schulen ihre Tore wieder geöffnet hatten.          Nous avons parlé de ce sujet avec les services psychologiques
      Die Auseinandersetzung mit kulturellen Werken kann Kinder         pour enfants et adolescents (cf. page 14-16). D’autres problé­
  und Jugendliche darin unterstützen, Krisen zu verarbeiten. Viele      matiques, très concrètes, peuvent aussi préoccuper les élèves,
  Kinder reagieren zwar gelassen, neugierig und rational auf den        comme la question suivante : trouverai-je une place d’apprentis-
  Corona-Alltag, bei anderen gehören Angst, Verunsi­cherung und       sage dans la situation actuelle ? Pour en savoir plus sur la
  Albträume zu dieser Zeit. Reicht es, den Kindern und Jugendli-      ­situation des élèves en fin de scolarité en cette année scolaire
  chen die Sachlage zu erklären, oder braucht es weitere Massnah-      hors du commun, rendez-vous à la page 26/27.
  men? Wir haben diese Fragen mit der Erziehungsberatung des                  Il est par ailleurs important de comprendre et de prendre
  Kantons thematisiert, und für den Abteilungsleiter Peter Sonder-     au sérieux les peurs et les doutes que chacun de nous ressent.
  egger ist klar: «Wenn die Kinder spüren, dass die Eltern sich mit    Après tout, la plupart d’entre nous vivent pour la première fois, et
  der Situation gut arrangieren können, haben auch sie weniger         peut-être pour la dernière, une pandémie. Il va donc de soi que
  Angst. Zudem ist es wichtig, echte Antworten auf ihre Fragen zu      le besoin d’information est élevé. On peut toutefois se demander
  geben» (siehe Seiten 14–16). Auch ganz konkrete Frage­stellun-       quelle est la bonne mesure en la matière. Quand je vois le
gen können belasten, etwa: Finde ich in der jetzigen Situation         nombre de témoignages sur le télétravail publiés par des per-
eine Lehrstelle? Wie diese Situation für Schulabgängerinnen            sonnes du milieu bourgeois, je me rends compte à quel point
und Schulabgänger in diesem aussergewöhnlichen Jahr aus-               le fossé est grand entre notre monde privilégié et les régions
sieht, ­erfahren Sie auf den Seiten 24/25.                             ­défavorisées. Ou entre les autres catastrophes occultées par
                                                                        les médias et la crise du papier toilette qui fait la une. La famine,
Privilegierte Krisengesellschaft                                        les guerres de religion, le changement climatique : nous n’aurons
Es ist wichtig, die Ängste und Unsicherheiten aller wahr- und           jamais de vaccin pour toutes ces crises qui font ou feront un
ernst zu nehmen, immerhin ist es für die meisten von uns die            grand nombre de victimes.
­erste und vielleicht einzige Pandemie, die wir miterleben. Und               Dans le meilleur des cas, nous pourrons conserver la solida-
 dass vor diesem Hintergrund das Kommunikationsbedürfnis              rité suscitée et renforcée par la crise du coronavirus. Des études
 gross ist, erklärt sich von selbst. Doch über das richtige Mit­      au long cours sur la croissance post-traumatique ont montré que
 teilungsmass darf durchaus gestritten werden. Kaum ein Kultur-       les personnes qui ont surmonté une situation difficile accordent
 schaffender, kaum eine Journalistin, kaum ein Blogger, kaum eine     plus de valeur à la vie, ne la prennent plus pour acquise et pro-
 Influencerin, kaum ein Facebook-Freund, der oder die ihren Co­       fitent pleinement de chaque jour. Le temps nous dira à quel point
 rona-Alltag nicht medial ausgeschlachtet hätte. Je mehr Erfah-       cette crise nous aura fait grandir.
 rungsberichte aus hübsch eingerichteten Homeoffices publiziert

EDUCATION 3.2013
Thema | Dossier

An Krisen wachsen

«KINDER HABEN NUN
NICHT NUR SCHULISCHEN,
SONDERN AUCH SOZIALEN
NACHHOLBEDARF»
Interview: Tina Uhlmann
Fotos: Sam Bosshard
                          Wie nimmt man einem Kind die Angst vor der Pandemie?
                          Was macht soziale Isolation mit Jugendlichen? Und worauf sollten
                          ­Familien und Schulen achten, wenn es nun heisst, Schritt für
                           Schritt in eine neue Normalität zu finden? Peter Sonderegger,
                           ­Leiter der Berner Erziehungsberatung, steht Rede und Antwort.

14                                                                             EDUCATION 3.20
Thema | Dossier

                                                     Peter Sonderegger, Leiter der Erziehungsberatung: «Als die Schulen schlossen, haben wir proaktiv reagiert
                                                                                    und unsere Bereitschaft signalisiert, in dieser Ausnahmesituation zu helfen.»

Mitte März sind in der Schweiz die              Manche Eltern hatte Mühe, ihre Kinder zu
Schulen geschlossen worden.                     Hause zum Lernen zu motivieren. Je län-                  PETER SONDEREGGER,
Home­schooling und Fernunterricht               ger der Fernunterricht dauerte, desto                    54, ist seit 2018 Leiter der Erziehungs­
haben Eltern und Lehrpersonen                   schwieriger wurde es. Oft war auch der                   beratung bei der Bildungs- und Kultur­
stark gefordert. Sind Sie und Ihr               Bewegungsmangel ein Thema, der unter                     direktion des Kantons Bern. Zuvor war er
Team auf der Erziehungsberatung                 an­derem zu Aggressionen führte. Bei eini-               in leitender Funktion bei der Dienststelle
überrollt worden, Herr Sonderegger?             gen Familien ist die Situation eskaliert, es             Volksschulbildung im Kanton Luzern tätig.
Peter Sonderegger Nein, das ist nicht           kam zu Gewalt. Allerdings waren die meis-                Der ausgebildete Primarlehrer und Schul-
passiert. Aber es gab natürlich schon An-       ten dieser Familien uns bereits bekannt. Es              psychologe ist Vater dreier erwachsener
fragen. Als die Schulen schlossen, haben        gibt ja nicht plötzlich massenhaft dysfunk-              Kinder und lebt in der Nähe von Luzern.
wir proaktiv reagiert und auch den Schu-        tionale Familien. Wo aber schon vor der
len unsere Bereitschaft signalisiert, in die-   COVID-19-Krise eine schwierige S   ­ ituation
ser Ausnahmesituation zu helfen. Auf der        bestand, ist sie in den letzten Wochen oft
Website haben wir ein Merkblatt für Eltern      noch verschärft worden.                                  beschäftigt. Es gibt aber auch positive
aufgeschaltet, zudem sind alle Anfragen im      Haben sich in diesem Zusammen-                           Folgen: Viele Schülerinnen und Schüler
                                                                                                         ­
Zusammenhang mit COVID-19 prioritär             hang auch Lehrpersonen bei Ihnen                         haben punkto selbstständiges Arbeiten
behandelt worden. Aber die Mehrheit der         gemeldet?                                                Fortschritte gemacht.
                                                                                                         Wie steht es um die kleineren
                                                                                                         ­Kinder? Können sie die abstrakte
                                                                                                          Bedrohung durch ein unsichtbares
                                                                                                          Virus vergessen, wenn sie gut
«Die Mehrheit der Familien hat die                                                                        in der Familie eingebettet sind?
Situation super gemeistert. Es war eine                                                                   Vergessen sicher nicht, da die einschrän-
                                                                                                          kenden Massnahmen ja auch sie treffen.
­Minderheit, die bei uns Rat suchte.»                                                                     Sie dürfen nicht mehr zu den Grosseltern,
Peter Sonderegger                                                                                         nicht mehr mit anderen Kindern draussen
                                                                                                          spielen. Was der Grund dafür ist, kümmert
                                                                                                          sie weniger, aber der veränderte Alltag
                                                                                                          ­beschäftigt und verunsichert sie. Beson-
                                                                                                           ders, wenn sie die Angst der Erwachsenen
 Familien hat die Situation super gemeis-       Ja, es gab einzelne Fälle, in denen Kin-                   spüren.
 tert. Es war eine Minderheit, die damit        der im Fernunterricht gar nicht mehr er-                   Wie kann man Kindern im Aus­
 Prob­leme hatte und bei uns Rat suchte.        reicht werden konnten. Generell ist mit                    nahmezustand die Angst nehmen?
 Was für Probleme sind an die                   dem Homeschooling das Thema Chan-                          Indem man bei sich selbst anfängt, um die
­Erziehungsberatung herangetragen               cengerechtigkeit wieder in den Vorder-                     Bedrohung nicht übermächtig werden zu
 worden?                                        grund gerückt, das hat viele Lehrpersonen                  lassen. Dazu gehört, den Medienkonsum

EDUCATION 3.2015
Thema | Dossier

einzuschränken, den Tag gut zu strukturie-       gezeichnet hatten. Es wird sich zeigen,         Nun werden diese Einschränkungen
ren, für genügend Bewegung zu sorgen.            was wir im Sinne von Positive Learning da-      nach und nach aufgehoben. Was
Wenn die Kinder spüren, dass die Eltern          raus ziehen können.                             könnten Stolpersteine sein auf dem
sich mit der Situation gut arrangieren           Die Krise als Chance?                           Weg in eine neue Normalität?
können, haben auch sie weniger Angst.
­                                                Das möchte ich so absolut nicht sagen.          Wir können nicht einfach tun, als ob nichts
Zudem ist es wichtig, echte Antworten auf        Menschen wurden krank, Menschen star-           gewesen wäre. Beispiel Schule: Sich jetzt
ihre Fragen zu geben. Man kann etwa              ben. Viele wurden hart getroffen. Aber          nur aufs Nachholen von versäumtem Stoff
da­
­  rauf hinweisen, dass das Risiko, an           ­gerade Familien haben auch gute Erfah-         oder auf die Durchführung verschobe-
                                                                                                 ner Prüfungen zu konzentrieren, ist sicher
                                                                                                 falsch. Lehrerinnen und Lehrer müssen
                                                                                                 der Tatsache Rechnung tragen, dass die
                                                                                                 Kinder isoliert waren und nicht nur schuli-
                                                                                                 schen, sondern auch sozialen Nachhol­
«Mich hat erstaunt und beeindruckt,                                                              bedarf haben. Das Erlebte sollte gemein-
wie anpassungsfähig der Mensch ist.»                                                             sam aufgearbeitet werden. Und mit Blick
                                                                                                 auf die Zukunft müssen wir alle uns fragen,
Peter Sonderegger
                                                                                                 was wir beibehalten wollen und was nicht.
                                                                                                 Was nehmen Sie persönlich mit
                                                                                                 aus der Krise?
                                                                                                 Mich hat erstaunt und beeindruckt, wie
                                                                                                 anpassungsfähig der Mensch ist. Kinder,
­ OVID-19 zu erkranken, gering ist, wenn
C                                                rungen machen können. Noch nie waren            Eltern und Lehrpersonen, denen ich beruf-
man die Hygieneregeln befolgt. Und dass          so viele Väter mit ihren Kindern draussen       lich und privat begegnet bin, haben das
nur wenige Menschen daran sterben.               unterwegs. Das schöne Wetter half da            bewiesen und kreative Lösungen für ihre
Dass es nicht guttut, sich nonstop               ­natürlich mit. Weniger Hektik und Stress,      jeweilige Situation gefunden. Es ist gut, die
Coronanachrichten reinzuziehen,                   mehr Zusammensein, auch daheim: Wie            eigenen Ressourcen zu kennen, zu wissen:
haben die meisten Leute rasch                     schön das sein kann, haben manche              Wir sind auch krisentauglich. Und solida-
­realisiert und sich eingeschränkt.               ­Familien erst durch die verordneten Ein-      risch. Ich persönlich bin sicher, dass wir ge­
 Was für eine Rolle spielen denn                   schränkungen entdeckt.                        stärkt aus dieser Pandemie hervorgehen.
 ­Social Media in der Krise?
  Für Jugendlich waren die sozialen Medien
  in den letzten Wochen natürlich ein Segen.
  Weil für sie Gleichaltrige meist wichtiger      SYNTHÈSE : « LES ENFANTS N’ONT PAS DU
  sind als die Familie, hat die soziale Isola­
  tion sie besonders hart getroffen. Dank
                                                  ­RETARD À R
                                                            ­ ATTRAPER QUE DANS LE DOMAINE
  Social Media konnten sie trotzdem mitein-        SCOLAIRE MAIS AUSSI DANS LE DOMAINE
  ander in Kontakt bleiben, auch gruppen-
  weise.
                                                 ­SOCIAL »
  Kann ein Videochat die persönliche              Peter Sonderegger, responsable des Services psychologiques pour enfants et adoles-
  Begegnung ersetzen?                             cents (SPE) du canton de Berne, s’exprime sur la pandémie du coronavirus : « Certains
  Sicher nicht, aber es ist eine willkommene      parents ont eu de la peine à motiver leurs enfants à étudier à la maison. Plus la période
  Notlösung. Ich weiss von einigen Eltern,        d’enseignement à distance durait, plus cela devenait difficile. Souvent, le manque
  die ihren jugendlichen Kindern während          ­d’activité physique a été un problème car il a entraîné une certaine agressivité. Dans
  der Isolation mehr Zeit am Handy zuge-           certaines familles, la situation a empiré jusqu’à la violence. Toutefois, nous connaissions
  standen haben also sonst. Das war ange-          déjà la plupart de ces familles. Les dysfonctionnements n’apparaissent pas soudaine-
  sichts der Ausnahmesituation wohl richtig.       ment en masse. Mais pour les familles déjà en difficulté avant la crise du coronavirus,
  Andererseits wurden über die sozialen Me­        la situation s’est souvent aggravée ces dernières semaines. Dans certains cas, les
  dien auch viele falsche Informationen im         ­enfants n’étaient plus joignables durant l’enseignement à distance. De manière générale,
  Umlauf gesetzt, die wildesten Verschwö-           l’enseignement à distance a fait renaître la question de l’égalité des chances, qui a
  rungstheorien. Es gebe in der Schweiz             ­préoccupé beaucoup d’enseignants et d’enseignantes. Mais il y a eu des effets positifs :
  viel mehr COVID-19-Infizierte und -Tote als        de nombreux élèves ont fait des progrès en termes d’autonomie.
  offiziell bestätigt, der Bundesrat wolle es              Les parents peuvent rassurer les enfants en évitant eux-mêmes de laisser la peur
  nur nicht sagen – solche Sachen halt. Das          prendre des proportions démesurées. Pour ce faire, il faut que les enfants aient un
  schürt natürlich Angst.                            ­accès limité aux médias, structurent leur journée et soient actifs physiquement. S’ils
  Eine Gratwanderung also, der                        perçoivent que leurs parents s’accommodent bien de la situation, ils auront moins peur.
  ­Umgang mit Social Media. Aber ist                  Par ailleurs, il est important de donner de vraies réponses aux questions des enfants.
   er das nicht immer? Hat die Corona-                Il est possible par exemple de leur expliquer que le risque de tomber malade est
   krise nicht einfach viele Dinge                    moindre si on respecte les règles d’hygiène. Ou encore de leur préciser que peu de
   ­verdeutlicht und Entwicklungen                    personnes décèdent suite à une infection due au coronavirus.
    ­beschleunigt, die schon im Gang                       Il ne faut pas faire comme si de rien n’était. Prenons l’exemple des écoles : se
     waren?                                      concentrer maintenant sur le rattrapage de matière manquée ou sur l’organisation
     Das kann durchaus sein, auch im schuli-     d’examens décalés serait une erreur. Les enseignants et enseignantes doivent
     schen Bereich, wo man sehr schnell neue     prendre en considération le fait que les enfants ont été isolés et qu’ils n’ont pas du
     Strukturen und Abläufe konkretisiert hat,   ­retard à rattraper que dans le domaine scolaire mais aussi dans le domaine social. » ?
     die sich zum Teil schon vor der Krise ab-

16                                                                                                                           EDUCATION 3.20
Thema | Dossier

Social Media statt Pausen-
platz: Freundschaften
pflegt Lou während
des Lockdow ns über das
Smartphone.

EDUCATION 3.2017
Thema | Dossier

An Krisen wachsen

DIE LEHREN AUS DEM
FERNUNTERRICHT
Aufgezeichnet
von Stefanie Christ
                                  Während des Lockdowns haben sich bestehende Entwicklungen
                                  beschleunigt, und Lehrpersonen mussten mit viel kreativem
                                  ­Spielraum einen neuen, mehrheitlich digitalen Unterricht gestalten.
                                   Welche Erfahrungen haben sie dabei am meisten geprägt,
                                   und was wird künftig auch im «Normalbetrieb» nachhallen?

«WENN DIE ERSTEN                              Zudem wurde auch der Wunsch nach                  fahrungen aus dem Distanzunterricht in
                                              mehr ‹bildschirmfreien› Aufträgen laut, um        den Präsenzunterricht einfliessen. Etwa
BYOD-KLASSEN                                  Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen,           die Erfahrung, dass einzelne Schülerinnen
­STARTEN, MÜSSEN                              Rücken- und Augenprobleme zu mildern.             und Schüler, die sich im mündlichen Un-
                                              Für die Schülerinnen und Schüler war das          terricht im Klassenzimmer wenig beteili-
 WIR NICHT VON                                Schwierigste die Selbstdisziplin, die Ver-        gen, im Chat auf einmal aktiv mitdisku­
 VORNE ANFANGEN»                              antwortung fürs eigene Lernen und auch            tieren, oder die zahlreichen Ideen, wie
                                              die fehlenden Kontakte zu Gleich­altrigen.        man ein Thema eben mal ganz anders an-
 ANNETTE SALM,                                      Viele Lehrpersonen haben bereits vor        gehen kann. Das Gefühl, gemeinsam eine
Konrektorin Gymnasium Biel-Seeland,           der Schulschliessung mit Tools wie One-           schwierige Situation gemeistert zu haben,
Fachmittelschule und Wirtschaftsmittel-       Note oder Teams gearbeitet – einfach eher         verbindet und stärkt das gegenseitige Ver-
schule                                        ergänzend als hauptsächlich. Die Schul-E-         trauen. Und wenn im August 2020 die ers-
                                              Mail-Adresse ist seit Längerem ein etab-          ten BYOD-Klassen starten, müssen wir in
«Nebst der Vermittlung der Lerninhalte        lierter Kommunikationskanal. Die grösste          der Didaktik nicht ganz vorne anfangen:
war uns vor allem wichtig, keinen Schüler,    Herausforderung war die veränderte Di-            ‹Rücke zwei Felder vor›.»
keine Schülerin zu ‹verlieren›. Wie sollten   daktik, auf die niemand wirklich vorbereitet
wir wissen, in welcher Situation sie sich     war. Mal einen Auftrag per Mail erteilen,
nun zu Hause befinden? Darum führten wir      das hat jeder schon mal gemacht. Aber ein
schon früh im Fernunterricht eine Auswer-     Thema neu einführen, Inhalte diskutieren
tung durch.                                   am Bildschirm und das während Wo-
    Besonders hervorzuheben ist, dass         chen – das hat kaum jemand schon so                DEN INDIVIDUELLEN
die Schülerinnen und Schüler im Grossen       ­erlebt. Auf einmal fühlt man sich wie im
und Ganzen mit der neuen Lernsituation         ‹Leiterlispiel›: Gehe drei Felder zurück. Ler-
                                                                                                 BEDÜRFNISSEN
eher gut zurechtgekommen sind. Viele           ne neu, was ‹guter Unterricht› bedeutet.         ­GERECHT WERDEN
konnten zu Hause ungestört lernen und               Wir werden uns in Zukunft sicher ver-
arbeiten, und sie wussten, dass sie bei        tieft mit den Konzepten ‹flipped class-          CARMELA SCHMID,
Verständnisproblemen die Möglichkeit hat-      room› und ‹blended learning› auseinander-        Leiterin Heilpädagogische Schule
ten, Fragen zu stellen. Knapp die Hälfte       setzen. Die meisten – sowohl Schülerinnen        der Region Thun
der Schülerinnen und Schüler empfand die       und Schüler als auch Lehrpersonen – wer-
Zeit zur Fertigstellung der Aufträge in den    den die Vorteile des Präsenzunterrichts          «Der gelebte Umgang mit der Vielfalt an
Lektionen als zu gering. Hier zeigte sich,     wieder anders schätzen: die non- und pa-         der Heilpädagogischen Schule erforderte
dass die Planung des Unterrichts anders        raverbalen Signale, die die Kommunika­           auch in dieser ausserordentlichen Situa­
angegangen werden muss. Die Schüle­            tion so viel reicher machen, die Möglich-        tion eine individuelle Gestaltung des Fern-
rinnen und Schüler brauchen mehr Zeit          keit, ein Experiment durchzuführen, und          unterrichts. Wir mussten mit jedem Kind
für die Aufträge. Einige schrieben, dass       nicht zuletzt auch die informellen Pausen-       prüfen, welche Aufgaben es wie, wann
sie beim eigenständigen Lernen mehr Zeit       gespräche, die Teil der Beziehungskultur         und mit welcher Unterstützung erledigen
zum Verstehen und Vertiefen brauchten.         sind. Allerdings können auch positive Er-        konnte. Dafür standen wir in intensivem

18                                                                                                                         EDUCATION 3.20
Thema | Dossier

 Unter den wachsam en Augen
 der Lehrpersonen findet
 der Fernunterricht statt,
 etwa im Gestalten.

Kontakt mit den Eltern, das Bedürfnis             Stand zu bringen. Wir mussten verständ­         Arbeiten und Aufgaben. Viele Jugendliche
nach Austausch war auf allen Seiten zum           liche Hilfestellungen und klare Anwei­          haben sich mit grossem Interesse auf die
Teil sehr gross.                                  sungen kommunizieren, da viele unserer          verschiedenen medialen Möglichkeiten ein­
       Mit viel Kreativität haben die Lehrper-    Schülerinnen und Schüler auf eine gut           gelassen und sich neue Kommunikations-
sonen den Fernunterricht sichergestellt.          strukturierte Arbeitsplatzsituation ange-       möglichkeiten angeeignet. Eine Chance,
Sehr beliebt bei den Schülerinnen und             wiesen sind. Für manche Eltern war es           die es auch zukünftig zu nutzen gilt.»
Schülern waren die Aufgabenpäckchen,              schwierig, ihr Kind die ganze Woche zu
die ihnen die Lehrpersonen nach Hause             betreuen. Während der ganzen Schul-
­schickten oder vorbeibrachten. So konn-          schliessung stand darum auch ein Be­
 ten sie etwas in physischer Form auspa-          treuungsangebot der Schule zur Verfü-
 cken. Die Aufträge zu den Unterrichts­           gung. Schülerinnen und Schüler wurden           DER PERSÖNLICHE
 fächern, geknüpft an die individuellen Lern-     parallel zum Fernunterricht in der Schule
 inhalte vor der Coronakrise, sowie die so-       unterrichtet und betreut. Anfänglich waren
                                                                                                  KONTAKT ALS ROTER
 zialen Kontakte wurden aber auch über            es vier bis fünf Kinder, die an einzelnen       UNTERRICHTSFADEN
 Briefe, Telefonate oder digitale Plattformen     Halbtagen in der Schule waren. Der Be-
 vergeben beziehungsweise gepflegt. Auch          treuungsbedarf ist während des Lock-            SIMONA CATTANEO,
 Anregungen und Aufträge für tägliche             downs stetig gestiegen.                         Ko-Schulleiterin und Fachlehrerin TTG
 ­Arbeiten im und rund ums Haus wurden                 Wie wir aus den Rückmeldungen              Schule Kirchberg
  weitergegeben. So wurde gepflanzt, geba-        schliessen können, haben die Schülerin-
  cken, es wurden Rezepte nachgekocht             nen und Schüler, aber auch ihre Eltern          «Es gibt doch einen Grund, warum wir
  oder alltägliche Haushalts­arbeiten erledigt.   sehr positiv auf die verschiedensten An­        Lehrerpersonen den Beruf gewählt haben:
  Die Schülerinnen und Schüler konnten Lie-       gebote zum Fernunterricht reagiert und          Wir wollen die Schülerinnen und Schüler
  der, Geschichten, Tänze und Ähnliches auf       fühlten sich unterstützt. Das Vertrauen         begleiten und unterstützen. Ein grosser
  Videos aufnehmen und über die Padlet-           wurde gestärkt und die Beziehungsqua­           Teil des Lernens und der Motivation läuft
  Pinnwand miteinander teilen. Auf diese          lität intensiviert. Die meisten Kinder haben    über persönliche Beziehung. Wenn diese
  Weise konnte der Klassenzusammenhalt            sich flexibel auf die neue Situation einge-     im Klassenzimmer über so lange Zeit weg-
  virtuell aufrecht erhalten werden.              lassen und sehr viel geleistet, sich viel zu-   fällt, muss der Kontakt anders aufrecht­
       Eine grosse Herausforderung war es,        getraut und Spass gehabt. Mit Stolz prä-        erhalten werden. Darum setzten wir wäh-
  alle Beteiligten auf denselben technischen      sentierten sie ihre zu Hause erledigten         rend des Fernunterrichts auf wöchentliche

EDUCATION 3.2019
Thema | Dossier

Telefonate mit den Schülerinnen und Schü­       haben etwa nach zehn Tagen Fern­unterricht      der Coronazeit nun auffallend gesunken.
lern. Während dieser konnte in Wechsel-         alle Klassenlehrerinnen und -lehrer ange-       So können sich zum Beispiel einige Kolle-
wirkung erfragt, gelobt, erzählt, geklagt       rufen, um nachzufragen, wie es ihnen geht.      ginnen und Kollegen vorstellen, Lehrfilme
oder erklärt werden. Und die Lehrperso-         Sie nutzten dieses Gespräch, um das eine        für die Erarbeitung wichtiger Kompetenzen
nen konnten auf individuelle Bedürfnisse        oder andere einzubringen, nachzufragen,         auch künftig zu erstellen und sie für die
eingehen. Diese Nähe hätten wir allein mit      Bedenken zu deponieren und Erlebtes aus         Klasse digital zugänglich zu machen.
digitalen Medien nicht hingekriegt.             dem neuen Berufsalltag zu erzählen.                 Ich kann mir nicht vorstellen, dass der
    Die Lehrpersonen in unserem Kolle­              Die Grundpfeiler der Digitalisierung        Fernunterricht den Unterricht verstärkt
gium hatten von Anfang an auch regel-           wurden bei uns an der Schule während der        prä­gen wird. Wieso auch? Für Fernunter-
mässigen persönlichen Kontakt mit den           letzten Jahre sanft, stetig und bestimmt        richt braucht es erhebliche Gründe, unsere
Eltern. Schon nur die Länge der Telefonate      eingeschlagen. Die Hemmschwelle, digi­          Schule soll ein Ort der Begegnung sein,
lässt darauf schliessen, dass dies ge-          tale Medien kennenzulernen, auszuprobie-        und zwar der Begegnung im klassischen,
schätzt wurden. Meine Ko-Leiterin und ich       ren und im Unterricht einzusetzen, ist in       altmodischen, aber auch bewährten Sinn.»

Grandir avec la crise

LES LEÇONS DE L’ENSEIGNE-
MENT À DISTANCE
Propos recueillis par Stefanie Christ                                  J’ai personnellement largement profité des nouvelles fonctionna-
                                                                       lités mises en place par les concepteurs du site educlasse.ch,
Durant le confinement, les dernières évolutions ont                    notamment du module d’échange simple et sécurisé de docu-
été accélérées et les enseignants et enseignantes                      ments et de messages entre élèves et enseignant-e-s. Comme
                                                                       mes élèves connaissaient déjà bien le site pour l’avoir régulière-
ont dû faire preuve de beaucoup de créativité pour
                                                                       ment utilisé en classe, il a été assez aisé pour moi de leur expli-
mettre en place un nouvel enseignement sur une                         quer ‹ à distance › ce nouveau moyen de communication. D’autant
base principalement numérique. Nous avons inter­                       plus que les concepteurs avaient également mis à disposition des
rogé des écoles pour savoir quelles expériences                        tutoriels d’explication clairs et précis sur leur site. Il a juste fallu
                                                                       prêter deux ordinateurs portables à deux familles qui n’en possé-
ont le plus marqué les enseignants et enseignantes
                                                                       daient pas à la maison.
et quels aspects pourraient se poursuivre à l’avenir                        Actuellement, ce module d’échange, qui a été lancé au début
dans le contexte d’un retour à la normale.                             du confinement, est mon principal canal de transmission du tra-
                                                                       vail donné à la maison. Mes élèves y consultent le travail à faire,
                                                                       peuvent imprimer ou non les documents mis à disposition, écou-
                                                                       ter des audios ou voir des vidéos. Une autre partie très pratique
EDUCLASSE.CH : MISE À L’ESSAI                                          de ce module est la discussion privée avec l’enseignant-e. Les
                                                                       petits inconvénients sont dus au fait qu’il n’y a pas de possibilités
MILENA MERAZZI,                                                        d’afficher certains travaux reçus en retour afin qu’ils soient visibles
enseignante à l’école primaire de Reconvilier                          par toute la classe (dessins ou défis réalisés, par exemple), que
                                                                       l’enseignant-e ne peut pas publier plusieurs documents sur un
« Je pense que l’ensemble des directions et enseignant-e-s ont été     même travail, ou encore qu’il n’y a pas d’endroit spécifique pour
très réactifs pour répondre à la demande de l’Instruction publique     ‹ discuter › avec toute la classe. Malgré tout, les avantages de ce
de mettre en place rapidement un enseignement à distance de            site l’emportent largement sur ces légers inconvénients.
qualité. Les deux premières semaines ont été très mouvementées              Je pense qu’après la crise, ceux qui bénéficieront d’Edu-
avec l’organisation de groupes de classe via WhatsApp et e-mails,      classe sont ceux qui l’auront pratiqué régulièrement : les élèves
la mise en place d’Educlasse avec l’attribution des codes d’accès      et les enseignants seront très à l’aise avec ce site et l’utiliser
pour les élèves et le choix des activités à proposer à ces derniers.   comme ressource sera une évidence. »

20                                                                                                                           EDUCATION 3.20
Sie können auch lesen