Themen Menschenrechte - Deine, meine, unsere - Diakonie Österreich
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Themen Diakonische Information Nr. 189-3/19 Dei me ne, uns ine, ere Deine, meine, unsere Menschenrechte WORD RAP Wolfgang Benedek: Word-Rap Unser Auftrag: Filmkritik Menschenrechte in Gefahr? Chris Lohner Rechte schützen Frauenwahlrecht Seite 10 Seite 14 Seite 17 Seite 22
EDITORIAL Eine Brücke bauen Die Menschenrechte sind für die Diakonie Maßstab unserer täglichen Arbeit. V on Mensch zu Mensch eine Brücke bauen“ – ich habe dieses Sing-Spiel als Kind geliebt. Zwei Kinder sind sich gegenübergestanden, haben einander die Hän- de gereicht, sie hochgehalten, so eine Brücke Gott hat den Menschen nach seinem Bild ge- schaffen. Wir alle sind Geschöpfe Gottes und als solche gleichermaßen mit Würde und Wert ausgestat- gebaut und gesungen: „Von Mensch zu Mensch tet – unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfar- eine Brücke bauen, dem anderen tief in die be, Religion, sexueller Orientierung, etc. Augen schauen. In jedem Menschen das Gute sehen und nicht an ihm vorübergehen.“ Noch Die Diakonie setzt sich für Menschenrechte ein. grundlegender hätten wir singen können: „In Menschenrechte sind uns aber auch Richt- jedem Menschen den Menschen sehen.“ schnur in unserer täglichen Arbeit mit Menschen auf der Flucht, mit Pflegebedarf, mit Behinde- In jedem Menschen den Menschen sehen – das rung und in sozialen Notlagen. Wir nehmen Maß ist die Kernidee der Menschenrechte: an ihnen und lassen uns von ihnen in Anspruch „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und nehmen. Mehr dazu lesen Sie in diesem Heft. Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Ge- wissen begabt und sollen einander im Geist der Ich wünsche eine spannende und erhellende Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit) begegnen.“ Lektüre! So formuliert es die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ in „Und Gott schuf Artikel 1. Dieses Dokument aus den Menschen zu dem Jahr 1948 ist aus den Schre- seinem Bilde.“ cken des Nazi-Terrors entstanden und für unser heutiges Verständ- (1 Mose 1,27) nis der Menschenrechte grund Ihre Pfarrerin Maria Katharina Moser legend. Direktorin der Diakonie Österreich In der christlichen Tradition – die sich in ihrer Geschichte, das muss man dazuerzählen, nicht immer leicht getan hat mit der Idee der Men- schenrechte, Sklaverei gerechtfertigt, Folter ak- zeptiert und die Menschenrechtserklärungen des 18. Jahrhundert abgelehnt hat – kommt die Kernidee der Menschenrechte in der Rede von der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen zum Ausdruck. AN DIESEM HEFT ✏ Julia Bähr, Karin Brandstötter, Nina Hechenberger Hannelore Kleiss, Sonja Kölich, MITGEARBEITET HABEN Katharina Meichenitsch, Roberta Rastl, Christoph Riedl, Daniela Scharer, Sara Scheiflinger, Martin Schenk 2 Themen
INHALT Inhalt 4 16 „Was bedeutet Freiheit für dich?“ „In die Schule gehen kann jedeR! Freiheit bedeutet in der Regel für jeden etwas Es gibt ja das Recht auf Bildung.“ anderes. Sechs Menschen berichten von ihrer Freiheit. Stimmt’s? Mythen, Märchen und Pauschalansichten. 6 17 Grundrechte oder Werte? Rechte zu schützen ist unser Auftrag Was ist von einer Wertedebatte zu halten, die Fachkommentar von Nina Hechenberger. Menschenrechte missachtet und Armut erhöht? 18 9 Die Welt in Zahlen Wissen Fachbegriffe zum Thema Rechte. 19 Buchtipps | Best of EUrope 10 „Rechtspopulisten haben einen 20 engen Menschenrechtsbegriff“ „Jeder Mensch hat das Recht Interview mit Prof. Wolfgang Benedek. auf ein faires Gerichtsverfahren“ AsylwerberInnen benötigen eine Rechtsberatung und 13 eine Vertretung vor Gericht, die Partei für sie ergreift. Projekte #QualifyForHope, Frauenberatungsstelle, 21 Integrationsklassen für die Oberstufe. Kurz gemeldet 14 22 „Rechte sind auf der Welt sehr In einem Land vor unserer Zeit unterschiedlich verteilt“ „Die göttliche Ordnung“ erzählt im Kino vom späten Word-Rap mit Chris Lohner. Erwachen der Schweiz in Sachen Gleichberechtigung. 15 Ich möchte ... Spendenkonto Diakonie: Zwei Frauen sprechen über ihr Leben, IBAN AT492011128711966399 ihre Hoffnungen und Ziele. BIC GIBAATWWXXX IMPRESSUM: Medieninhaber, Herausgeber und Redaktion: Diakonie Österreich, ZVR-Zahl: 023242603. Redaktion: Dr.in Roberta Rastl-Kircher (Leitung), Mag.a Katharina Meichenitsch, Mag.a Sara Scheiflinger, Mag. Martin Schenk. Alle: 1090 Wien, Albert Schweitzer Haus, Schwarzspanierstraße 13. Tel.: (0)1 409 80 01, Fax: (01) 409 80 01-20, E-Mail: diakonie@diakonie.at, Internet: www.diakonie.at. Verlagsort: Wien. Geschäftsführung Diakonie Österreich: Pfr.in Dr.in Maria Katharina Moser. Mag. Martin Schenk. Grafik-Design: Info-Media Verlag für Informationsmedien GmbH/Evelyn Felber-Weninger, Volksgartenstraße 5, 1010 Wien. Druckerei: Druckerei Paul Gerin GmbH & Co KG, Gerinstraße 1–3, 2120 Wolkersdorf. Fotos: Cover: Diakonie/Lukas Plank; S. 2: Diakonie/Rainsborough; S. 3: Diakonie/Lukas Plank, Diakoniewerk Erdberg/Nadja Meister, AmberMed/Nadja Meister; S. 4–5: Diakonie; S. 6–8: Diakonie/Lukas Plank; S. 9: iStockphoto.com; S. 10–12: Lena Prehal; S. 13: Nadja Meister. iStockphoto.com, QualifyForHope; S. 14: Bubu Dujmic, Inge Prader; S. 15: Diakonie; S. 16: iStockphoto.com (2); S. 17: AmberMed/Nadja Meister (2), Julia Hager; S. 18: Diakonie/Lukas Plank, iStockphoto.com (2); S. 19: Chris Grodotzki/Sea-Watch.org; S. 20: Diakonie; S. 21: Nadja Meister, Manfred Schusser, Florian Hoflehner; S. 22–23: Filmladen/AlamodeFilm. Die Diakonische Information bringt Sachinformationen und Nachrichten zur Diakonie der Evangelischen Kirchen. Die gendersensible Schreibweise ist uns ein wichtiges Anliegen. Der Bezug ist kostenlos. DVR: 041 8056 (201). Gedruckt nach der Richtlinie „Schadstoffarme Druckerzeugnisse des Österreichischen Umweltzeichens“. Umweltzeichen (UWZ 756) Themen 3
PORTRÄTS Was bedeutet Freiheit für dich? Freiheit wird als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Sie bedeutet aber für jeden etwas anderes. DOMINIK ALTURBAN „Für mich gehören Freiheit und Bildung untrennbar zusammen. Freiheit heißt deshalb für mich, Kinder und Jugendliche im Schulalltag zu unterstützen, ihre Freiheit leben zu können. Das gilt für alle Kinder, ungeachtet ihres sozialen und kulturellen Umfeldes. Diesem Grundsatz ver- suchen wir am ERG Donaustadt bestmöglich zu folgen, weshalb wir in Zusammenarbeit mit der Diakonie Bildung und der Bildungsdirektion Wien Inklusion auch in der Oberstufe möglich gemacht haben. Vom gemeinsamen bzw. gegenseitigen Lernen profitieren alle unsere Schüle- rinnen und Schüler am Evangelischen Realgymnasium.“ Dominik Alturban hat seinen Zivildienst in der Hans Radl Schule in Wien absolviert, wo er Kinder und Jugendliche mit Behinderung während des Schulalltags unterstützt hat. Diese Erfahrung war ausschlaggebend dafür, dass er Sonderpädagoge wurde. Nach acht Schuljahren an einer Polytechnischen Schule wechselte er ans ERG Donau stadt, eine Schule der Diakonie Bildung in Wien. CARMEN AICHERN „Freiheit ist für mich ein Zustand, in dem ich mich selbst- wirksam erlebe, Mut habe, meinen Träumen, Wünschen und dem in mir schlummernden Potenzial Raum zu geben. In Einrichtungen der Jugendhilfe, wo ich arbeite, fühlen sich Menschen oft ‚unfrei‘, fremdbestimmt – gefangen und blockiert. Ein zentrales Thema in meiner Arbeit ist es, den Raum zu wahren, in dem sie selbst gestalterisch aktiv wer- den können. Es gilt, einen Rahmen zu schaffen, der Sicher- heit gibt, damit Jugendliche ihre eigene Identität zeigen und letztendlich leben können – auch wenn diese außer- halb des gesellschaftlich oder familiär ‚Zugeschriebenen‘ oder ‚Erwünschten‘ liegt.“ Carmen Aichern arbeitet seit 16 Jahren als Sozialpäda- gogin für das Diakonie Zentrum Spattstraße. Sie leitet die Einzelwohnbetreuung „Step-in“. 4 Themen
PORTRÄTS MARTIN REIDINGER NAJMEH „Freiheit bedeutet für mich, „In Afghanistan haben Frau- wenn ich mein Leben nach en viel weniger Rechte als meinen Vorstellungen ge- in Österreich. Frauen müs- stalten und umsetzen kann. sen das tun, was ein Mann Ein Leben in einer Einrich- sagt. Weil wir im Iran keine tung wäre für mich nicht Ausweise hatten, hatten wir (mehr) vorstellbar. Auch dort auch keine Rechte. Wir empfinde ich mein Leben in konnten nicht in die Schule einer eigenen Wohnung in gehen. Wenn wir schlecht Linz als ein Stück Freiheit, behandelt wurden, hat uns obwohl ich mich sonst eher die Polizei nicht beschützt. als ‚Landei‘ oder ‚Land- Freiheit bedeutet für mich, mensch‘ beschreiben würde. Besonders wichtig zu erwäh- dass ich selbst entscheiden kann, was ich mache. Ich nen sind meine guten Freundinnen und Freunde, die mich kann meine Meinung sagen, ohne Angst zu haben, dass ermutigt und bestärkt haben auf meinem Weg in die Frei- ich beschimpft oder geschlagen werde. Ich will als Frau heit, die mir diese Freiheit zugetraut haben.“ selbst wählen, mit wem ich zusammenlebe, welche Kleider ich anziehe, welchen Sport ich mache. Freiheit bedeutet Der 41-jährige gebürtige Mühlviertler Martin Reidinger für mich, selbst entscheiden zu können, was ich arbeiten arbeitet seit Dezember 2015 als Peer-Berater im Diako- werde.“ niewerk in Oberösterreich. Selbst körperlich beeinträch- tigt, begleitet und unterstützt Reidinger Menschen mit Najmeh ist 21 Jahre alt und stammt aus Afghanistan. Als Behinderung. sie sieben war, wurde ihr Vater getötet. Mit ihrer Mutter flüchtete sie in den Iran. Seit drei Jahren lebt sie in Öster- reich und wohnt zusammen mit ihrer Schwester und ihrem Sohn in einem Wohnprojekt der Diakonie de La Tour in Villach. JÜRGEN CEPLAK „Freiheit bedeutet für mich selbstständig und selbstbe- stimmt zu sein. Kunst be- deutet für mich Freude und QELIA LAUGERTA Freiheit. Kunst ist das freie „Schon nach wenigen Gestalten, viele Ideen künst- Wochen in Österreich lerisch umzusetzen und wurde mir klar, was ausdrücken zu können. Ich Freiheit bedeutet, was liebe an der Kunst meine es bedeutet, ein freier Freiheit. Ich kann zeichnen, Mensch zu sein: Hier malen und Texte schreiben. kann ich offen über Ich denke viel in meinen Bil- meine Gefühle spre- dern und schreibe meine Gedanken auf, dann fühle ich mich chen. Auch ist es mir in frei. Freiheit ist wie den Wind im Gesicht zu spüren, unendli- Freiheit möglich, einen che Freude, ein Gefühl wie das rauschende Meer. Freiheit ist Mann zu lieben, den Leben.“ meine Familie nicht ak- zeptiert, und ein angstfreies Leben auch nach der Tren- Der 51-jährige Jürgen Ceplak philosophiert gerne über nung von ihm zu führen. Ich fühle mich als freier Mensch, das Leben und die Dinge, die er um sich wahrnimmt. Er lebe ohne Religionszugehörigkeit, kann mich nach mei- textet und zeichnet im Atelier de La Tour in Treffen am nem Geschmack kleiden und auch essen, was ich will – Ossiacher See und ist dort zudem Werkstattsprecher. In alles ohne Angst, dass mein Leben dabei in Gefahr ist.“ den letzten Jahren hat sich Ceplak vermehrt dem Zeich- nen mit Tuschestift und dem „verlorenen Farbdruck“ Qelia Laugerta wurde 1998 in Albanien geboren und gewidmet. In seinen Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit flüchtete im Dezember 2016 mit ihren Geschwistern und Tuschestift erzeugt er im Nebeneinander von filigranen ihrer Mutter nach Österreich. Sie lebte in einer Einrich- Strichen und schwarzen Flächen Abwechslung und tung für Menschen auf der Flucht und engagiert sich Spannung. ehrenamtlich im Haus für Senioren in Mauerkirchen. Themen 5
Grundrechte SCHWERPUNKT oder Werte? D ie Menschenrechte sind ins Gerede gekommen: Immer kreativer wird versucht, immer größere Gruppen von Menschen zu Menschen zweiter Klasse zu machen. Weltweit, nicht nur in Österreich. Grundsätze, die über Jahrzehnte zu unserem festen Wertefundament gezählt haben, werden plötzlich in Frage gestellt. Gibt es eine Pflicht zur Rettung von Menschenleben? Auch für Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer in Seenot „Die Menschenrechte sind derzeit bedroht geraten? Dürfen Menschen in Länder abge- wie noch nie seit 1945.“ Das sagt der renom- schoben werden, in denen Bürgerkriege toben? mierte Völkerrechtler Manfred Nowak. „Wir be- Ein Widerspruch fällt in diesem Zusammen- finden uns in der tiefsten Krise von Menschen- hang besonders auf: Während Menschenrech- rechten, Demokratie und Rechtsstaat seit dem te im Kontext von Asyl zunehmend ausgehe- Ende des Zweiten Weltkriegs“, so der langjäh- belt werden und soziale Grundrechte bei den rige Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung unter Menschenrechte und ehemalige UN-Sonder- Druck kommen, wird in fast jeder Diskussion, berichterstatter für Folter weiter. Verletzt wor- in beinahe jeder Rede, in jedem zweiten Zei- den seien Menschenrechte auch schon in den tungsartikel auf „unsere Werte“ gepocht. Im vergangenen Jahrzehnten, „aber jetzt werden gleichen Atemzug werden ethische und mora- „Grundsätze, die sie zum Teil in ihrer Basis in Frage gestellt“, lische Haltungen wie Empathie, Anerkennung über Jahrzehnte warnt Nowak. oder Gleichbehandlung diskreditiert, aber zu unserem festen Ähnlich formuliert es auch sein Kollege „Werte“ eingefordert und hochgehalten. Wertefundament Wolfgang Benedek, Völkerrechtsprofessor aus Eine irritierende Entwicklung Graz (siehe Interview Seite 10): „Wir sind gezählt haben, durchaus in einer Situation, in der Menschen- Je mehr über Werte gesprochen wird, desto werden plötzlich rechte international bedroht sind. Umso wich- weniger scheinen verfassungsrechtlich veran- in Frage gestellt.“ tiger sind und werden sie!“ kerte Menschenrechte eine Rolle zu spielen. In Österreich wurde zuletzt durch kreative Dabei war es doch immer genau umgekehrt: Gesetzgebung versucht, verschiedene Bevöl- Unsere wichtigsten Werte sind die unteilbaren kerungsgruppen gegeneinander aufzubringen. Menschenrechte. Man denke an die „Sozialschmarotzer“-Debat- „Die Werte, auf die sich die Union gründet, te zur Mindestsicherung, die ständigen Ver- sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, schärfungen im Asylrecht bis hin zur Umbe- Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit nennung von Erstaufnahmezentren in und die Wahrung der Menschenrechte ein- „Ausreisezentren“ oder die Absenkung des schließlich der Rechte der Personen, die Min- Stundenlohns für Asylsuchende auf 1,50 Euro. derheiten angehören. Diese Werte sind allen 6 Themen
SCHWERPUNKT Was ist von einer Wertedebatte zu halten, die Menschenrechte missachtet und Armut erhöht? VON CHRISTOPH RIEDL UND MARTIN SCHENK Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemein- menschenrechtlich bedenkliche Gesetze be- sam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskrimi- schließen. nierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität 2. Genau hinsehen: Die Existenzkürzungen be- und die Gleichheit von Frauen und Männern treffen in erster Linie Hiesige und schon längst auszeichnet.“ (Artikel 2 des EU-Vertrags) Dagewesene. Sie richten sich gegen Familien, Alleinerziehende, PensionistInnen, Menschen Kürzung der Mindestsicherung mit gesundheitlichen Problemen oder Behin- „Besonders Der Verfassungsgerichtshof hat die Kürzung derungen, gegen ArbeitnehmerInnen und Ar- der Mindestsicherung in Niederösterreich auf- beitssuchende gleichermaßen. unglaubwürdig gehoben. Das Gesetz verfehle „seinen eigent Besonders unglaubwürdig machen sich die- machen sich lichen Zweck, nämlich die Vermeidung und jenigen, die ständig von „Werten“ sprechen, diejenigen, die Bekämpfung von sozialen Notlagen bei hilfs- aber den zentralen Wert der Menschenrechte ständig von bedürftigen Personen“, sagt der Verfassungs- missachten. „Die Menschenrechte sind die gerichtshof. Bekämpft werden nicht mehr die Basis für eine friedliche, aber auch prosperie- ‚Werten‘ sprechen, Ungerechtigkeit und die Armut, sondern immer rende Gesellschaft, und Werte wie Frieden, To- aber den zentralen stärker die Armen und diejenigen, die sich auf leranz, Menschenrechte und Demokratie sind Wert der Menschen die Seite der Betroffenen stellen. es wert, gelebt zu werden“, wirbt Manfred No- rechte missachten.“ Die UN-Menschenrechtskommissarin Mi- wak für eine stärkere Verankerung in unserem chelle Bachelet zeigt sich in einem aktuellen Bewusstsein. Bericht über Österreich über den schwinden- Die Regierenden zeigen auf „die Flüchtlinge“, den Platz, den die Zusammenarbeit zwischen die Bedingungen verschärfen sie aber für alle. Regierung und zivilgesellschaftlichen Akteuren Zu einem eleganten Trickdieb gehört ja auch inzwischen einnimmt, sehr besorgt. Sie appel- immer einer, der blendet und ablenkt, während liert an Österreich, diese zu stärken und weiter der andere die Brieftasche stiehlt. Die „Auslän- auszubauen, anstatt sie einzuschränken. der“ werden ins Spiel gebracht, weil die Regie- renden sonst die Kürzungen nicht durchsetzen Was wir daraus lernen sollten könnten. Das ist natürlich besonders perfide, 1. Verfassung und Menschenrechte sind nicht wenn als Sündenböcke diejenigen ausgewählt für „die anderen“, sondern für uns alle da. Als werden, die am wehrlosesten sind. unsere gemeinsamen Werte – gerade bei Min- derheiten und Armutsbetroffenen. Daher sollte Stigmatisierung ermöglicht Spaltung gelten: nicht „schauen, was geht“ und sehen- Mit ihrer Stigmatisierung lässt sich die Gesell- den Auges verfassungsrechtlich und auch schaft unter dem Gejohle der Boulevardmedien u Themen 7
SCHWERPUNKT u vortrefflich spalten. Eine gut inszenierte Neidde- seine Finger gelegt. Viele der von der Troika in batte lässt die eine marginalisierte Gruppe glau- der Finanzkrise aufgezwungenen Maßnahmen ben, die andere sei verantwortlich für die Kür- in Griechenland oder Spanien stehen in klarem zung des Überlebensnotwendigsten. Konflikt mit europäischem Recht, insbesondere der Sozialcharta. Dazu gehören verschlechterte Feindbild EU medizinische Versorgung samt höherer Kinder- Bei dieser Gelegenheit lässt sich gleich auch sterblichkeit, das Schließen von Schulen oder noch ein weiteres Feindbild bedienen: die EU. der starke Rückbau des Lohntarifsystems. Da die „Indexierung“ der Familienbeihilfe, die Hätte es eine Bindung an die europäischen hauptsächlich 24-Stunden-Betreuerinnen aus Grundrechte gegeben, wären Mindestlöhne Osteuropa trifft, genauso dem EU-Recht wider- nicht eingefroren worden, Renten nicht unter die spricht wie die Kürzungen der Sozialhilfe bei an- Armutsgrenze gefallen, Unterkünfte bezahlbar erkannten Flüchtlingen, kann nach der Verurtei- geblieben und der Zugang zu wesentlichen me- lung Österreichs wieder „die EU“ gegeißelt dizinischen und pharmazeutischen Produkten werden. nicht eingeschränkt worden. „Im Reich der Schuld an den Kürzungen ist dann die EU, die Zwecke hat alles eine Diskriminierung von Ausländern nicht zu- Das Maß für Werte ist der Preis lässt, und nicht die österreichische Politik, die Wird über Werte gesprochen, um über Men- entweder einen die Sozialleistungen nur senkt, um eine imagi- schenrechte zu schweigen? Es gibt Hinweise Preis oder eine nierte Zuwanderung ins Sozialsystem zu unter- darauf. Der Begriff der Werte kommt nicht aus Würde.“ binden. der Ethik, sondern aus der Ökonomie. Der Wert Immanuel Kant Faktum aber ist: Keiner alten Frau, keinem gibt das Gewicht an, das wir einem Gegenstand Menschen mit Behinderung, keinem Niedrig- zuerkennen, wie wir ihn bewerten, mit wie viel lohnbezieher geht es jetzt besser. Im Gegenteil. Geld wir ihn aufwiegen. Das übliche Maß für Die Pläne zur Abschaffung der Notstandshilfe, Werte ist der Preis. zur Streichung der Hilfen am Arbeitsmarkt oder „Im Reich der Zwecke hat alles entweder einen zu den Kürzungen für chronisch Kranke belas- Preis oder eine Würde“, formulierte der Königs- ten gerade diejenigen, denen durch die Be- berger Philosoph Immanuel Kant. Und sein Wie- schwörung des imaginierten Ausländer-Feind- ner Kollege Konrad Paul Liessmann ergänzt: bildes Gerechtigkeit versprochen wurde. „Die Suche nach Werten, die Frage, wo sich Dabei sind die Asylantragszahlen derzeit auf Werte bilden, die Behauptung, es müsse eine einem historischen Tiefststand angelangt und Werterziehung geben, die Interpretation der werden heuer mit rund 11.000 Anträgen viel- Menschenrechte als Werte, die ideologische leicht den niedrigsten Wert seit über 20 Jahren Rede von Wertgemeinschaften: All das deutet erreichen. an, dass man an der Würde des Menschen kein Was ist von einer Wertedebatte zu halten, die Interesse mehr hat, sondern im Begriff ist, seine Menschenrechte missachtet und Armut erhöht? Präferenzen und die zugrunde liegenden zweck- In diese Wunde hat auch das Europaparlament orientierten Wertmaßstäbe durchzusetzen.“ 8 Themen
WISSEN I S S EN W gBürgerliche und politische Rechte und Recht auf Bildung sorgen wir uns nicht“ – solche Sie beinhalten die Abwehrrechte des Individuums gegen „Deals“ widersprechen dem Geist der Menschenrechts- den Staat. Sie sollen Freiräume für das Individuum garan- konvention. tieren und im Falle einer Inhaftierung die Integrität der Per- son und ein faires Gerichtsverfahren sichern. Hier geht es gDie Menschenrechtsdokumente um das Diskriminierungsverbot, das Recht auf Leben, das Neben der „Universellen Erklärung der Menschenrechte“ Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung, gibt es folgende Menschenrechtsdokumente, die für alle das Verbot der Sklaverei, die Gedanken- und Religions- Staaten, die ihnen beigetreten sind, völkerrechtlich ver- freiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Vereini- bindlich sind. gungs- und Versammlungsfreiheit, den Schutz der Privat- Dazu gehören: sphäre und des Familienlebens, das Recht auf ein faires • der Sozialpakt (Internationaler Pakt über Gerichtsverfahren. wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) • der Zivilpakt (Internationaler Pakt über bürgerliche gSoziale Rechte und politische Rechte) Die sozialen Menschenrechte sollen das Individuum vor • die Rassendiskriminierungskonvention Ausbeutung schützen und ihm das Recht auf Teilhabe am • die Frauenrechtskonvention gesellschaftlichen Reichtum garantieren. Sie decken die • die Antifolterkonvention Ansprüche des Individuums auf Nahrung, Obdach, Ge- • die Kinderrechtskonvention sundheitsversorgung, Bildung und soziale Sicherheit ab. • die Wanderarbeiterkonvention Auf internationaler Ebene sind die Sozialrechte zuerst • die Behindertenrechtskonvention 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, • die Konvention gegen Verschwindenlassen dann verbindlicher 1960 in der Europäischen Sozialcharta • Die Völkermordkonvention und 1966 im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, und soziale und kulturelle Rechte festgeschrieben worden. • die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK): vom Europarat 1950 als „Konvention zum Schutz der gAlle Menschenrechte für alle Menschenrechte und Grundfreiheiten“ beschlossen. Die große Menschenrechts-Weltkonferenz der UNO 1993 Damit wurde in Europa ein völkerrechtlich verbindlicher in Wien hat die Verwobenheit der Menschenrechte unter- Menschenrechtsschutz geschaffen. Die Rechte der einander und miteinander betont. „Ihr bekommt ein Dach EMRK können beim Europäischen Gerichtshof für über den Kopf, dafür gibt es keine Redefreiheit“ oder „Ihr Menschenrechte in Straßburg von jeder Person habt ein Recht auf Privatsphäre, aber um gute Schulen eingeklagt werden. Themen 9
INTERVIEW „Rechtspopulisten haben einen engen Menschenrechtsbegriff“ EIN INTERVIEW MIT PROF. WOLFGANG BENEDEK 10 Themen
INTERVIEW ? Herr Prof. Benedek, sind Menschenrech- onen und UNHCR als so gefährlich wie nie- te noch zeitgemäß? Für wen sind Menschen- mals zuvor eingeschätzt wird und dennoch rechte eigentlich da? die Schutzquote in Österreich kontinuierlich Wolfgang Benedek: Menschenrechte sind für sinkt? alle Menschen da, und besonders wichtig sind Das ist politisch bedingt. Regierungen haben sie für „vulnerable people“, also solche Perso- Angst, dass die Rechtspopulisten profitieren nen, die besonders verletzlich sind. Wir sind könnten, also schiebt man lieber selbst ab, da- durchaus in einer Situation, in der Menschen- mit der Druck von rechts nachlässt. Die Asylsu- rechte international bedroht sind. Umso wichti- chenden aus Afghanistan ger sind und werden sie. sind, wenn man es zy- nisch formulieren will, be- ? Sind Menschenrechte in Gefahr, zum sonders geeignet, die Spielball der Politik zu werden? Ängste in der Bevölke- Menschenrechte sind zu oft Spielball der Politik. rung zu bedienen. Es ist bei Rechtspopulisten üblich – und das sollte einen gar nicht überraschen –, dass diese ? Nur ein österreichi- einen engeren Menschenrechtsbegriff haben. sches oder doch ein eu- Es sind aber heute zunehmend mehr Menschen ropäisches Phänomen? in verletzlichen Lebenssituationen und deshalb Die Situation ist in Europa ist auch die Notwendigkeit und Bedeutung der sehr unterschiedlich. Es Menschenrechte gestiegen. gibt Länder in Europa, die gar niemanden nach Af- ? Gibt es eine völkerrechtliche Verpflich- ghanistan zurückschie- tung zur Seenotrettung? ben, weil sie das als Ver- Die gibt es eindeutig. Insbesondere nach der stoß gegen das Non-Refoulement-Gebot Wolfgang Benedek im Gespräch mit Christoph Riedl Seerechtskonvention. Wenn ein Schiff Schiff- (Rückschiebeverbot) erachten. Dazu kommt, brüchigen begegnet, besteht eine völkerrecht dass die EU viel Geld in ein Abkommen mit Af- liche Verpflichtung zur Rettung. Die EU hat mit ghanistan gesteckt hat und dafür eine Gegen- Unterstützung Italiens sehr viel Geld in die leistung erwartet. Dabei will man nicht wahrneh- Schulung und den Aufbau der libyschen Küs- men, wie schlecht die Situation in Afghanistan tenwache investiert. Inzwischen ist aber nicht inzwischen geworden ist. nur bekannt geworden, was in den Flüchtlings- lagern dort passiert, sondern auch, dass das ? Gibt es eine Wertigkeit der Menschen- Land immer mehr im Bürgerkrieg versinkt. rechte oder sind sie gleichrangig? Sprich: Steht das Fremdenrecht über dem Recht auf ? Was macht das mit der Verpflichtung, Ge- Privat- und Familienleben? rettete in einen sicheren Hafen bringen zu Grundsätzlich sind alle Menschenrechte gleich- müssen? rangig. Das Fremdenrecht ist ja kein Rechtsbe- Es gibt kaum noch jemanden, der behaupten reich der Menschenrechte. Die Europäische würde, Gerettete nach Libyen zurückzubringen, Menschenrechtskonvention (EMRK) steht in Ös- würde die völkerrechtliche Verpflichtung zur Ver- terreich im Verfassungsrang und steht über dem bringung in einen sicheren Hafen erfüllen. Das Asyl- und Fremdenrecht. Das Recht auf Famili- ist eigentlich ausgeschlossen. Dennoch ver- en- und Privatleben steht von der Rangordnung sucht Italien, diese Fiktion aufrechtzuerhalten, über dem einfachgesetzlichen Recht des Asyl- und deshalb wird Italien auch als Völkerrechts- rechts. verletzer an den Pranger gestellt. Es ist das Recht von privaten Rettungsschiffen, völker- ? Warum können dann Musterbeispiele an rechtswidrige Anweisungen aus Italien zu igno- Integration abgeschoben werden, bevor ihre rieren. Die EU rutscht nach der Einstellung der Bleiberechtsverfahren rechtskräftig ent- eigenen Seenotrettungsmission auf Betreiben schieden sind? Italiens in eine Situation, wo sie sich der Kompli- Die Gerichte haben hier der Exekutive relativ viel zenschaft der Völkerrechtsverletzung schuldig Spielraum gelassen. Es ist aber entweder eine macht, und wird dafür zu Recht kritisiert. Gesetzeslücke oder ein Widerspruch in der Rechtssystematik, wenn jemand abgeschoben ? Wie erklären Sie sich, dass die Lage in werden kann, bevor die Berufungsverhandlung Afghanistan von Menschenrechtsorganisati- überhaupt stattgefunden hat. u Themen 11
INTERVIEW ? Wie könnte man das Problem lösen? Man braucht Lösungen, die für alle akzeptabel sind. Ich plädiere hier für einen finanziellen Aus- gleich. Wenn Ungarn keine muslimischen und Polen überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen will, dann sollen sie zahlen. Die Aufnahme eines Flüchtlings sollte allerdings finanziell so attraktiv gemacht werden, dass es sich auszahlt für den Aufnahmestaat. Der EU-Vertrag ist voll mit Soli- daritätsklauseln, die nicht eingehalten werden. Vielleicht könnte über diesen Weg etwas erreicht werden. ? Welche menschenrechtlichen Hindernis- se bestehen bei der Durchführung von Asyl- verfahren außerhalb Europas? Die Chancen, dass das funktionieren kann, sind äußerst gering. Es gibt natürlich schon Externa- lisierungen, die sinnvoll sind. Wenn die Türkei Zahlungen aus Europa erhält und damit Flücht- u ? Muss die Rechtsvertretung im Asylverfah- linge versorgt, spricht nichts dagegen. Die Tür- ren unabhängig sein oder kann das auch kei dafür allerdings zum sicheren Drittland zu durch das Innenministerium wie geplant in erklären, war ein peinlicher rechtlicher Ausrut- „Ich bin überzeugt, einer „Bundesagentur“ organisiert werden? scher der EU. Da ist man an die Grenzen der Man kann nicht von vornherein sagen, dass es Biegsamkeit des Rechts gegangen. Offensicht- dass wir in Europa absolut völkerrechtswidrig ist, wenn Rechtsbe- lich war der Druck hier sehr groß. ein gemeinsames ratung staatlich organisiert ist. Die Unabhängig- Asylsystem mit keit der Rechtsberatung ist jedoch zu gewähr- ? Ist aus menschenrechtlicher Sicht der harmonisierten leisten. Und da kommt es dann stark auf die freie Zugang für Asylsuchende zur Zivilge- Umstände an, wie das organisiert wird. Ich teile sellschaft nötig oder kann der Kontakt auch Bedingungen die Befürchtung, dass die Unabhängigkeit in ei- unterbunden werden? brauchen.“ ner Bundesagentur leiden wird. Wenn die Man findet natürlich kein Menschenrecht, in Wolfgang Benedek Rechtsberatung eine Vertretung auf Wunsch ei- dem die Funktion der Zivilgesellschaft verankert nes Klienten bzw. einer Klientin verweigern wür- wäre. Man kann aber sagen, dass sowohl die de, wäre das nicht mehr durch die EU-Richtlinie europäische Praxis als auch die österreichische gedeckt. Die Rechtsberatung muss eine Vertre- Praxis als auch die UNO bisher die Bedeutung tung inkludieren. Die Entscheidung darüber, ob der Zivilgesellschaft sehr hoch angesetzt haben. eine Beschwerde eingebracht wird, liegt beim Das heißt, alle relevanten Akteure haben immer Mandanten oder der Mandantin und nicht bei wieder bekräftigt, wie wichtig es ist, dass die Zi- der Rechtsberatung. vilgesellschaft in diesem Bereich eine Rolle als wichtiger Akteur spielen kann. ? Brauchen wir ein gemeinsames europäi- sches Asylsystem? ? Wie wichtig ist die Watchdog-Funktion Ich bin überzeugt, dass wir in Europa ein ge- der NGOs für die Wahrung der Menschen- meinsames Asylsystem mit harmonisierten Be- rechte? dingungen brauchen. Wir haben jedoch gerade Ich selbst war zehn Jahre lang als Vertreter der einen Trend zur Resouveränisierung (also die Caritas im Menschenrechtsbeirat tätig, der je Tendenz, dass die Nationalstaaten immer mehr zur Hälfte aus Vertreterinnen und Vertretern der politische Entscheidungen auf nationaler Ebene Regierung und der Zivilgesellschaft bestand. treffen wollen), der dem entgegenläuft. Aber ge- Damit wird anerkannt, dass die Zivilgesellschaft rade im Zusammenhang mit dem Asylrecht eine wichtige Rolle hat. In diesem Kontext ist die braucht es die europäische Ebene. Wir haben Rolle der Zivilgesellschaft anerkannt, in anderen das Dilemma, dass einige Staaten sich aufgrund Kontexten wird versucht, die Rolle der Zivilge- ihres innenpolitischen Kalküls europäischen sellschaft zu reduzieren, weil man sie als Gegner Lösungen widersetzen und damit auch durch- seiner politischen Ziele betrachtet. Dagegen kommen. muss man ankämpfen! 12 Themen
PROJEKTE #QualifyForHope Basisbildung, Allgemeinbildung sowie Persönlichkeitsbildung für junge Menschen. J ugendliche, speziell Mädchen und junge Frauen mit Mi- grationshintergrund, benötigen Unterstützung bei der Heranführung an das österreichische (Aus-)Bildungssys- tem und den Arbeitsmarkt. „Qualify For Hope“ bietet ihnen die Möglichkeit, ihre schulischen Fertigkeiten und Kompe- tenzen selbst zu erarbeiten. Ziel ist es, dass sie sich in der Lage sehen, ihr Leben in Zukunft selbst zu gestalten. Die jungen Frauen können Berufsorientierung, Coaching, Be- ratung und Training in Anspruch nehmen. So gelingt ihnen der Einstieg ins weiterführende Ausbildungssystem oder ins Berufsleben. www.qualifyforhope.at Für einen gelungenen Einstieg in Ausbildung oder Berufsleben Frauenberatungsstelle Vorzeigeprojekt Unterstützung für Frauen mit Fluchterfahrung. Integrationsklassen für die Oberstufe. F rauen, die mit ih- ren Kindern, der ganzen Familie oder I ntegrationsklassen sind ein bedeutender Schritt in Richtung Inklusion und auch alleine auf der Integration. Allerdings ist Flucht nach Öster- es damit meist nach dem reich kommen, brau- Ende der Schulpflicht chen Orientierung vorbei, denn diese Klas- und Unterstützung sen werden nur bis zur bei vielen Themen. 9. Schulstufe geführt. Das Die offene Frauen bedeutet für Schüler/innen mit Lernschwäche, die eine in- beratung macht es klusive Unterstufe besuchen konnten, das Ende ihre schu- möglich, dass indivi- lischen Bildung mit 15 Jahren. duell auf diese Frau- Im Realgymnasium der Diakonie in Wien-Donaustadt en und ihre Anliegen können Kinder und Jugendliche mit Behinderungen die eingegangen werden Oberstufe im Klassenverband weiter besuchen, und wer- Hilfe für Frauen mit dem komplexen Verwaltungsapparat kann. In Österreich den – wenn möglich – nach dem Lehrplan des Oberstufen- werden die Frauen -realgymnasiums unterrichtet. „In der Volksschule hatte etwa mit einem komplexen Verwaltungsapparat konfron- ich keine gute Zeit. Aber hier wird auf alle Rücksicht ge- tiert und müssen unterschiedliche, für sie schwer ver- nommen, da hat das Lernen sogar angefangen, Spaß zu ständliche Formulare ausfüllen. „Im Mittelpunkt steht meist machen.“ Maya geht in die 6. Klasse. Sie hat Dyskalkulie der Spracherwerb. Aber auch das Interesse an unserem und hat auch die Unterstufe in der Integrationsklasse be- Schulsystem ist groß“, betont Birgit Koller, Leiterin der sucht. Im Klassenverband fühlt sie sich sehr wohl. Und so Frauenberatungsstelle. „Es ist für die Frauen zum Beispiel geht es auch ihrem Klassenkollegen Moritz, der kein Inte- nicht leicht, für ihre Kinder die richtige Schulform zu finden, grationsschüler ist und die I-Klasse sehr gerne besucht: weil es schon schwer genug ist, das Schulsystem zu „Wenn ich Unterstützung brauche, bekomme ich sie auch durchblicken. Genauso wie das Gesundheitssystem, das – das ist schon super. Sonst gibt es kaum Unterschiede zu System der Berufsausbildungen etc.“, so die Beraterin. den ‚normalen‘ Klassen, die ich früher besucht habe. Oder Hier bekommen die Frauen jetzt Unterstützung. doch – die Leute in meiner Klasse sind sehr hilfsbereit und unterstützend.“ https://fluechtlingsdienst.diakonie.at/einrichtung/ frauenberatung-wien www.erg-donaustadt.at Themen 13
WORD-RAP WORD RAP MIT CHRIS LOHNER „Rechte sind auf der Welt sehr unterschiedlich verteilt“ FREIHEIT VISION ... ist durchaus ein dehnbarer Begriff, weil er Ich wünsche mir eine Welt, in der es immer auch mal jemand anderen ein wenig, irgendwann nirgends mehr kriegerische auch durchaus liebevoll, einschränken kann. Auseinandersetzungen gibt. GLEICHHEIT LUXUS CHRIS LOHNER wurde am 10. Juli 1943 in Wien ... bedeutet für mich, mit anderen Menschen ... sind für mich alle Dinge, die man nicht geboren. Ihr Schauspiel respektvoll umzugehen, egal woher jemand kaufen kann. studium finanzierte sie kommt, was er ist und was er kann. sich als Fotomodell. SCHÖNSTER ERFOLG Regisseur Georg Lhotzky, BRÜDERLICHKEIT (ODER NATÜRLICH der sie in einem Werbespot ... bedeutet für mich, immer noch da zu sein, sah, holte sie dann für ihre SCHWESTERLICHKEIT ODER BEIDES) mich am Leben zu erfreuen, und das gesund erste Fernsehrolle ... heißt für mich mit anderen teilen, verstehen, und munter, mit einem wachen und kritischen in einem Krimi. annehmen, geben und nehmen und auch und neugierigen Geist. 1973 hatte sie ihren ersten respektieren. Auftritt als Fernseh ERSTREBENSWERT sprecherin beim ORF. Eine RECHTE ... ist es, seine Mitte zu finden. „Beziehung“, die 30 Jahre halten sollte. ... sind auf dieser Welt sehr unterschiedlich verteilt, werden auch unterschiedlich wahrge- LEBENSMOTTO Mittlerweile ist sie als nommen und unterschiedlich verteidigt oder Jeder Tag ist kostbar, daher auch jeden Tag Journalistin, Schauspielerin, Buchautorin und Moderatorin auch gar nicht. Da gibt es noch viel zu tun. genießen und ihn sinnvoll erfüllen. im Einsatz und seit Jahrzehnten auch die VORBILDER ZUSAMMENLEBEN Stimme der ÖBB auf allen ... habe ich keine. ... egal in welcher Formation, ist eine der Bahnhöfen Österreichs. schwierigen Aufgaben im Leben. Funktioniert ENTBEHRLICH im besten Fall mit Verständnis, Empathie, Streitereien, schlechte Manieren und liebloser Geduld, Liebe und Achtung. Umgang mit allen lebenden Geschöpfen. 14 Themen
DIAKONIE WÖRTLICH „Ich bin froh, selbstständig zu sein“ Irene Friedl Was ich gut kann, ist Becherguglhupf Ich bin jetzt selbstständig und wohne backen. Einmal wollte ich mir Honig- allein. Zuerst habe ich mit zwei weiteren milch machen und dann hab ich überse- Damen in einer Frauen-WG gewohnt. hen, dass ich beim Herd bleiben muss. Jetzt wohne ich in einer eigenen Woh- Und dann hatte ich richtig Panik. Da nung in „LeNa“, das ist die „Lebendige brauch ich dann Hilfe. Nachbarschaft“, die gehört zur Diakonie. Ich hab auch eine Assistentin, die mir Ich bin froh, dass ich selbständig lebe. hilft mit Banksachen, mit Arztsachen Ich bekomme öfter Besuch in meiner und beim Gewand-Einkaufen und so. Wohnung von meiner leiblichen Mutter, Wenn ich Schwierigkeiten hab, dann hilft von den Pflegeeltern. Besonders schön mir in der Arbeit oft die Psychologin. ist beim Selbstständig-Leben, dass man seine Ruh hat, Und da, wo ich wohne, gibt es zwei Frauen, die auch hel- wenn man heimkommt. Manchmal muss ich auch mit aller- fen können, wenn notwendig. Ich kann mit ihnen reden, hand Sachen zurechtkommen. Zum Beispiel, wenn es wenn ich mit den Nachbarn nicht ganz zurechtkomm. Schwierigkeiten mit den Nachbarn gibt. Dann reden die mit den Nachbarn. „Ich möchte erfolgreich sein“ Sofia Lavvaf Ich komme aus dem Iran, bin seit sechs Jahren in Österreich und wohne in St. Pölten. Zurzeit gehe ich in die HAK. Ich habe momentan keine Zeit für andere Dinge als für die Schule, die verlangt viel von mir. Und am Wochen- ende arbeite ich. Ich musste mit dem Sport aufhören, weil ich im Sommer gearbeitet habe, und jetzt muss ich viel lernen. Ich habe es einfach nicht so leicht wie österreichische Kinder. Ich muss immer viermal so viel lernen. Die müssen gar nicht so viel Vielleicht passiert so etwas nicht nur Ausländern. Vielleicht lernen. Es werden einfach Unterschiede gemacht. passiert es auch Österreichern. Aber ich denke, das kommt eher selten vor. Wenn sich die Eltern um ihr Kind nicht In der NMS waren viele, die keine Österreicherinnen und kümmern, es viel auf der Straße ist, es nicht so gut aufge- Österreicher sind. Aber ich und ein anderer Junge waren hoben ist, da kann das auch passieren. Aber mit normalen die einzigen, die nicht hier geboren sind. Der andere Junge Kindern wird das nie passieren. Oder auch mit solchen, die war aus Ungarn und er konnte das Alphabet. Mein Start schon länger da sind, wird das sicher nicht passieren. war schon schwieriger. Es gab Situationen, da hat die gan- ze Klasse und auch die Lehrerin über mich gelacht. Und Aber auch wenn ich es nicht ganz leicht habe – ich hab ein dann wurden meine Noten immer schlechter. Ziel, nämlich Erfolg zu haben, und ich werde es erreichen. Themen 15
STIMMT’S? In die Schule gehen kann jedeR! Es gibt ja das Recht auf Bildung. Vom Recht in der Theorie – zum Ausschluss in der Praxis. D VON SARA SCHEIFLINGER ie Schule beginnt für Tausende Schü- pen und Stufen, die einen Ausschluss für viele lerinnen und Schüler in Österreich Personen (z. B. Rollstuhlfahrer/innen) darstellen, wieder im September. Wenig Beach- gibt es eine Reihe anderer Barrieren, die die Zu- tung finden dabei jene, für die es nicht so selbst- gänglichkeit beeinflussen und auch einschrän- verständlich ist, in die Schule zu gehen. Jene, ken: die keinen Schulplatz erhalten, oder jene, die • Altersgrenzen (Stichwort: schulpflichtiges Alter) nicht den Bildungsweg gehen können, den sie • Schulen oder Kindergärten, für die (viel) be- gehen wollten oder könnten: Kinder und Ju- zahlt werden muss gendliche mit Fluchterfahrung, mit Behinderung, • Der Wohnort hat einen großen Einfluss. mit chronischer Krankheit, Kinder und Jugendli- • Mobilität & ihre Leistbarkeit che, die aus Familien mit niedrigen Einkommen • Die finanziellen Mittel generell: Schulausflüge, oder einem sozial benachteiligten Umfeld stam- Materialien, Geschenke für Geburtstage sind men. keine Kleinigkeit für Familien mit niedrigen Ein- Trotz österreichweiter Schulpflicht und trotz kommen. Artikel 26 der Erklärung der Menschenrechte, Angemessenheit bezieht sich wiederum auf wo das Recht auf Bildung als ein Menschen- die Form und den Inhalt der Bildung. Hier geht recht definiert wurde, können viele dieser Kinder es auch um Methodik und Didaktik und die indi- nicht den Bildungsweg einschlagen, den sie von viduelle Förderung der Entwicklung von Kindern ihrem Talent her gehen könnten. Denn der Weg und Jugendlichen. von der Absichtserklärung zur konkreten Mög- Adaptierbarkeit bedeutet, dass sich Schule lichkeit für alle, die Schule zu besuchen, ist auch und Bildung an die Erfordernisse sich verän- heute noch lang und teils holprig. dernder Gesellschaften anpassen sollten – und nicht etwa umgekehrt: Das heißt, Kinder und Ju- Bildung muss zugänglich sein gendliche sollen nicht für die existierenden Ein europäisches Komitee, das sich mit Strukturen im Bildungswesen „passend“ ge- ökonomischen, sozialen und kulturellen macht werden, sondern ein Bildungssystem Rechten befasst, hat vier Dimensionen muss sich mit den Schüler/innen (mit)ändern. festgehalten, die entscheidend dafür Dies alles zeigt, dass ein Recht auf Bildung in sind, ob Bildung tatsächlich für jeden der Theorie oft noch keine bietet, diese in der möglich ist: Bildung muss verfügbar, zu- Praxis zu erhalten. gänglich, annehmbar und adaptierbar sein. Brücke zwischen Recht und Praxis Die Verfügbarkeit ist wohl am leich- Wie könnte diese Brücke zwischen Recht und testen zu prüfen: Ist eine Schule, ein Kin- Praxis gebaut werden? Gelebte Inklusion könn- dergarten vorhanden und funktionsfähig te eine Antwort sein. Ein inklusives Bildungssys- – ja oder nein? tem bietet allen Kindern und jungen Menschen Beim Thema Zugänglichkeit wird es die Möglichkeit, gemeinsam zu lernen. Wenn wir schon komplexer. Wann kann man davon Rahmenbedingungen für ein solches inklusives sprechen, dass Bildung wirklich zugäng- und solidarisches „Wir“ schaffen, wäre das ein lich ist – in mehrfachem Sinne? Neben guter Anfang. Dann könnten wir wirklich sagen: physischen Barrieren wie Eingangstrep- „In die Schule gehen kann echt jedeR.“ 16 Themen
FACHKOMMENTAR Rechte zu schützen ist unser Auftrag I n der humanitären Hilfe gilt das Hauptaugen- merk der raschen und bedingungslosen Hil- fe für Menschen, die von Katastrophen be- troffen sind. Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunamis und extreme Dürren, aber auch krie- Besonders schlimm aber trifft es Menschen mit Behinderung, wenn sie auf der Flucht sind. In den Aufnahmeländern sind sie oft aufgrund von fehlenden Versicherungen von medizinischen Leistungen ausgeschlossen. Auch in Flücht- gerische Auseinandersetzungen und Vertreibun- lingslagern in den angrenzenden Nachbarstaa- gen sind Bereiche, in denen die Diakonie Katas- ten wird oft auf die Bedürfnisse von Menschen trophenhilfe tätig wird. Hautfarbe, Religion, mit Behinderung vergessen. Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Alter spielen für uns keine Rolle: Wir helfen da, wo Menschen auf der Flucht MAG.A NINA HECHENBERGER die Not am größten ist – und das seit nunmehr Das führt dazu, dass zum Beispiel Kinder, die ist seit über zehn Jahren 50 Jahren. lediglich eine Sehschwäche haben, den Anfor- in den verschiedensten Die Verständigung auf gemeinsam gültige derungen in der Schule nicht gerecht werden. Bereichen der Entwick Rechtsnormen führt im täglichen Tun unwillkür- Wie auch, können sie doch die geschriebenen lungszusammenarbeit sowie der Katastrophenhilfe tätig. lich zum Thema Menschenrechte. Oft wird der Buchstaben an der Tafel gar nicht erst lesen und Seit September 2018 leitet nur scheinbar universell gültige Rechtsanspruch dementsprechend dem Unterricht nur schwer sie die Diakonie Katastro jedoch nicht eingehalten. Zum Beispiel wird oder gar nicht folgen. phenhilfe und „Brot für die Menschen mit Behinderung ihr Zugang zu den Hier hilft die Diakonie Katastrophenhilfe mit Welt“ in Österreich. Menschenrechten erschwert, wenn nicht gar unseren Partnerorganisationen vor Ort. Wir ma- ganz verwehrt – das Recht auf Bildung etwa, chen auf die Anliegen der Menschen mit Behin- das vielen Kindern mit Behinderung nicht zuge- derung aufmerksam und sorgen dafür, dass ihre standen wird. Stimme Gehör findet. Wir suchen Expertinnen und Experten vor Ort, die Hör- und Sehtests Nicht selbstverständliche Hilfe durchführen und sich anschließend um die An- Für uns sind es kleine Dinge, die diesen Zugang fertigung sowie das individuelle Anpassen der ermöglichen können und den Betroffenen hel- Hör- bzw. Sehbehelfe kümmern. fen, ihr Leben zu normalisieren. Hörgeräte oder Brillen zum Beispiel. In „unserer Welt“ ist es Der Mensch im Mittelpunkt ganz normal: Wenn man schlecht sieht oder Neben all dem technischen Know-how geht es schlecht hört, geht man zum Arzt bzw. zur Ärztin vor allem um den jeweiligen Menschen und das und lässt sich Brillen oder ein Hörgerät ver- Ernstnehmen seiner Bedürfnisse. Denn die Wür- schreiben. Dann wird das Behelfsmittel individu- de des Menschen ist unantastbar. Seine Rechte ell angepasst und „die Schwäche“ behoben. zu schützen ist unser Auftrag – den Zugang zu In vielen Gegenden der Welt ist das so nicht diesen Rechten zu gewährleisten ist unsere möglich. Selbst wenn die technischen Möglich- Pflicht. keiten vorhanden sind, stellt eine Beeinträchti- gung oft eine so große finanzielle Hürde dar, www.hilftvorort.at dass sie gar nicht erst behoben wird. Themen 17
ZAHLEN Die Welt in Zahlen Wahlrecht für Menschen mit Behinderung In Europa werden 800.000 Kinder haben ein Menschen mit Behinderung durch diverse Barrieren bei der Recht auf Bildung Ausübung ihres Wahlrechts behindert. 60 Mio. Kinder (6 bis 10 Jahre) werden 2030 nicht in die Schule gehen. Recht auf Schutz vor Krieg und Verfolgung Flüchtlinge 1998 35 Mio. 2018 70,8 Mio. Davon 3,5 Mio. Asylsuchende Recht auf Leben in Würde Frauenrechte Nicht-Inanspruchnahme der Mindestsicherung Schätzungen zufolge mussten sich mehr als 130 Mio. Frauen Beschneidungen unterziehen – vor allem in Afrika und in Drei von zehn Hilfsbedürftigen einigen Ländern des Nahen Ostens. nehmen Sozialhilfe nicht an, obwohl sie Anspruch hätten. Jedes Jahr sind 2 Mio. Mädchen der Gefahr der Beschneidungsriten ausgesetzt. Würden alle zehn die notwendige Hilfe nutzen, würde die Armuts gefährdung in Österreich um fast 1 % sinken. 18 Themen
BÜCHER | EUROPA Buchtipps Best of EUrope Nachgefragt: Menschenrechte und Demokratie von Christine Schulz-Reiss (Autorin), Verena Ballhaus (Illustratorin) Kompetente Auskunft zum g Thema Menschenrechte und Demokratie gibt der neue Band der Sachbuchreihe Nachgefragt. Zugleich zeigt er auf, wie es um die Menschenrechte bei uns und in anderen Teilen der Welt bestellt ist und welche Möglichkeiten auch der eigene Alltag bietet, um Zivilcourage zu üben. Neben der Sea-Watch 3 soll ein weiteres Seenotrettungsschiff in See stechen Menschenrechte Menschenrechte Eine Antwort auf die wachsende KRITIK AN DER FLÜCHTLINGSPOLITIK DER EU Eine Antwort auf die wachsen ökonomische Ungleichheit de von Manfred Nowak ökonomische Ungleichheit Die Kirche als Manfred Nowak Auch wenn die soziale Ungleichheit keineswegs für alle Probleme der Welt g Seenotretterin K I UREN NT verantwortlich gemacht werden kann, so mmer mehr evangelische Christinnen und Christen O K N EDITIO mehren sich dennoch die Stimmen, die darin ein zentra- wollen nicht mehr hinnehmen, dass Menschen in Seenot les Problem des 21. Jahrhunderts sehen. einfach im Stich gelassen werden. Am Weltflüchtlingstag wurde deshalb beim deutschen evangelischen Kirchentag eine Resolution eingebracht. „Wir können nicht länger wegschauen, wir müssen handeln“, sagte der Ratsvorsit- zende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Junge Menschen und ihre Rechte Heinrich Bedford-Strohm. Er befürwortet den Vorschlag, von Gertrude Brinek ein weiteres Seenotrettungsschiff unter Beteiligung der Das Buch ist für junge Leute g EKD ins Mittelmeer zu schicken. Das Schiff sollte unter Be- geschrieben. Es bietet konkrete Hilfe teiligung der Kirchen von einem breiten zivilgesellschaftli- und Information, lotst durch die Begriffs- chen Bündnis getragen werden, sagte Bedford-Strohm. welt, erklärt den Rechtsstaat und seine Funktionen. Zahlreiche neu entwickelte Koalition der Willigen Infografiken machen es zu einem leicht benutzbaren Rat- „Es muss einen Mechanismus geben, der dieses unwürdige geber; der Serviceteil hilft Ratsuchenden und Betroffe- Drama verhindert, dass gerettete Menschen wochenlang nen, sich zurechtzufinden. auf Rettungsschiffen auf dem Meer ausharren müssen“, so der Ratsvorsitzende. Es könne nicht sein, dass dies durch die Unfähigkeit der EU-Partner, sich zu einigen, blockiert werde. „Wenn Europa an dieser Stelle versagt, darf es Achtung nicht sein, dass der Tod vieler Menschen im Mittelmeer die Abwertung hat System. Folge ist.“ Vom Ringen um Anerkennung, Bedford-Strohm plädiert dafür, dass sich willige EU- Wertschätzung und Würde Staaten zusammentun, die zur Rettung und Aufnahme von Armutskonferenz (Hrsg.) Flüchtlingen bereit sind. Dabei müsse man auch die Kom- Das Buch zeigt, wie wichtig ein g munen miteinbeziehen: „Es gibt viele Städte in Europa, die soziales Netz für uns alle ist, aber auch, was es heißt, ausdrücklich erklärt haben, dass sie zur Aufnahme von ge- wenn dieses Netz eingerissen und kaputt gemacht wird. retteten Flüchtlingen bereit sind“, sagte der Ratsvorsitzen- Die Beiträge machen die Abwertungsspirale wie soziale de der Evangelischen Kirche in Deutschland. Disqualifizierung und Ohnmachtserfahrungen ebenso zum Thema wie das Ringen um Anerkennung, Wertschätzung und Würde. www.ekd.de/manfred-rekowski-ekd-kritik- europaeische-fluechtlingspolitik-47721.htm Themen 19
DIAKONIE HAUTNAH Jeder Mensch hat das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren AsylwerberInnen benötigen eine Rechtsberatung und eine Vertretung vor Gericht, die Partei für sie ergreift. schreibt Yvonne ihre Tätigkeit. „Als Rechtbera- terin erkläre ich, welche Rechtsmittel gegen den Bescheid ergriffen werden können und ob die Yvonne Rogatsch (rechts) klärt ihre Klientinnen und Ergreifung dieser sinnvoll sind.“ I Klienten über den Inhalt der Asylbescheide auf „Die RechtsberaterInnen arbeiten sehr gewis- VON ROBERTA RASTL senhaft und übernehmen große Verantwortung“, brahim Khater arbeitet in der Rechtsbera- beschreibt Ibrahim die Arbeit seiner Kollegin. Er tung des Diakonie Flüchtlingsdiensts. Er ist selbst ist vor vier Jahren aus Syrien nach Öster- Teil eines vielbeschäftigten Teams aus Juris- reich geflüchtet und mittlerweile in der Adminis- Unabhängige Beratung im tInnen, ÜbersetzerInnen und Administrations- tration für alle Rechtsberatungsstellen der Dia- Asylverfahren gefährdet kräften, die dafür sorgen, dass AsylwerberInnen konie in Österreich tätig. Seine Aufgabe ist es, Die vergangene Regierung und MigrantInnen jene rechtliche Hilfe bekom- als Drehscheibe zwischen den KlientInnen und hat ein Gesetz erlassen, men, die ihnen zusteht. den Behörden für funktionierende Abläufe und dass sowohl die Unterbrin- Zum Beispiel nach einer negativen Entschei- Informationsflüsse zu sorgen. Er verbringt den gung (Grundversorgung) als dung im Asylverfahren, aber auch im Zulas- Tag am Telefon, sammelt Dokumente, schickt auch die Rechtsberatung im sungsverfahren und bei fremdenrechtlichen sie an die richtigen Stellen weiter. Diese Arbeit Asylverfahren, die bislang von unabhängigen gemeinnützigen Verfahren. Die Diakonie hat zwölf solcher Bera hat für Ibrahim große Bedeutung, wie er sagt. Hilfsorganisationen durch- tungsstellen in ganz Österreich. „Ich bin selber Flüchtling und kenne das Gefühl, geführt wurde, ab 2020/21 hilflos zu sein.“ von einer „Bundesagentur“ Die Angst vor der Abschiebung „Es ist unvorhersehbar, wie viele Menschen an Aufklärung und Hilfe übernommen werden soll. Die Diakonie, aber auch einem Beratungstag zu uns kommen und Bera- Yvonne Rogatsch formuliert es so: „Man tut sich namhafte RechtsexpertIn- tung benötigen. Im besten Fall sind wir in der als ÖsterreicherIn schon schwer, einen behördli- nen, sehen die unabhängige offenen Beratung zu zweit und können pro Tag chen Bescheid zu verstehen.“ Ist man hingegen Beratung im Asylverfahren rund 20 Personen beraten“, schildert Yvonne fremd in diesem Land, spricht man vielleicht die gefährdet, und warnen vor der Rogatsch die Situation, die sie in der Rechtsbe- Sprache noch nicht und ist mit behördlichen Umsetzung dieses Gesetzes. Die Liste der Warner und alle ratungsstelle des Diakonie-Flüchtlingsdienstes Gepflogenheiten nicht vertraut und kennt sich ihre Bedenken finden Sie hier: in Wien täglich vorfindet. Wenn sie in der Früh auch rechtlich nicht aus, dann ist es unmöglich, www.mwoe.at/recht-auf- durch das Wartezimmer in ihr Büro geht, ist die- den Bescheid zu verstehen. rechtsberatung ses oft bereits voll. Die Stimmung ist klamm. Je- „Und dann kommt ein Bescheid, der vielleicht der und jede hat Angst und lebt mit der Unsi- besagt, dass man nach Hause geschickt wird cherheit, womöglich nicht mehr lange hier in und dass alles umsonst war. Dann braucht man Sicherheit leben zu können. dringend jemanden, der einem helfen kann. „Meine Aufgabe ist es in erster Linie, den aktu- Oder zumindest erklären, warum das so ist. Man ellen Bescheid des Klienten oder der Klientin kann sich das vorstellen, in welche Ohnmacht anzusehen und zu erklären, was und warum das und Hilflosigkeit diese Menschen fallen würden, https://bit.ly/2KvcYTB Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in ers- wenn sie uns – die Rechtsberatung der Diakonie ter Instanz des Verfahrens entschieden hat“, be- – nicht mehr hätten“, macht Rogatsch klar. 20 Themen
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