Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4

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Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
AUSGABE 4 | 2020

   Vereint
   1990 – 2020
   30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
Themen

Seite 6–7                                Seite 12–13                                       Seite 26–27

WISSENSHAUS                              NEUE NUTZER                                       30 JAHRE
Das Alte Gymnasium in                    auf dem Flugplatz                                 Handel und Wandel
neuem Glanz

Seite 29                                 Seite 35                                          Seite 39

FONTANE                                  LAUBSACK-                                         RÜCKBLICK
Es geht weiter!                                                                            Eine Klinik im Wandel
                                         AUSGABE
                                         startet am 19.10.2020

NEUES RUPPIN Das Stadtmagazin            Neuruppiner Wohnungsbaugesellschaft mbH           Ruppiner Kliniken GmbH – Hochschulklinikum der
Information kommunaler Unternehmen       Kränzliner Straße 32a, 16816 Neuruppin            Medizinischen Hochschule Brandenburg
                                         T: 03391 8407-0, www.nwg-neuruppin.de             Fehrbelliner Straße 38, 16816 Neuruppin
Stadtwerke Neuruppin GmbH                GF: Robert Liefke                                 T: 03391 39-0, www.ruppiner-kliniken.de
Heinrich-Rau-Straße 3, 16816 Neuruppin                                                     GF: Dr. Gunnar Pietzner, Dr. Matthias Voth
T: 03391 511-0, www.swn.de               Grundstücks- und Wohnungsbaugenossenschaft
GF: Joachim Zindler, Thoralf Uebach      Neuruppin eG                                      AWU Abfallwirtschafts-Union
                                         Präsidentenstraße 85, 16816 Neuruppin             Ostprignitz-Ruppin GmbH
Fontanestadt Neuruppin                   T: 03391 398417, www.gwg-neuruppin.de             Ahornallee 10, 16818 Märkisch Linden / OT Werder
Kulturkirche | Kulturhaus                Vorstand: Marina Stoltz, Franka Delert            T: 033920 502-0, www.awu-opr.de
Karl-Marx-Straße 103, 16816 Neuruppin                                                      GF: Matthias Noa
T: 03391 355 53 00                       WBG Neuruppin e.G. Karl Friedrich Schinkel
www.kulturhaus-neuruppin.de              Anna-Hausen-Straße 14, 16816 Neuruppin            Fotos: Sebastian Haerter, Bolko Bouché, Museum (15),
Leiter: Andreas Vockrodt                 T: 03391 84010, www.wbg-neuruppin.de              Matthias Klenke (7), REG Petruscke-Juhre (40), Stadt
                                         Vorstand: Frank Borchert, Gudrun Bamberg          Neuruppin (4), Peter Elstermann (18), InKom (22),
Ostprignitz-Ruppiner                                                                       Uwe Hasselmann (23), Quartiersmanagement (25)
Personennahverkehrsgesellschaft mbH      InKom Neuruppin GmbH – Wirtschaftsförderung und
Perleberger Str. 64, 16866 Kyritz        Stadtmarketing für die Fontanestadt Neuruppin     Gesamtherstellung:
T: 033971 3086-0, www.orp-busse.de       Trenckmannstr. 35, 16816 Neuruppin                STEFFEN MEDIA GmbH
GF: Ulrich Steffen                       T: 03391 82209-0, www.inkom-neuruppin.de          Friedland I Berlin I Usedom
                                         GF: Axel Leben                                    www.steffen-media.de
Sparkasse Ostprignitz-Ruppin
Fontaneplatz 1, 16816 Neuruppin                                                            Ihr Draht zur Redaktion:
T: 03391 811720, www.sparkasse-opr.de                                                      Sebastian Haerter, STEFFEN MEDIA GmbH
Vors. des Vorstands: Markus Rück                                                           sebastian.haerter@steffen-media.de
                                                                                           T: 039601 274-34

2        NEUESRUPPIN 04/2020
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
��������

LIEBE NEURUPPINERINNEN
UND NEURUPPINER,
je nach Jahrgang erinnern Sie sich
mehr oder weniger gut daran, wie
unsere Stadt 1990 aussah. Mir selbst
sind die Bilder noch sehr präsent. Als
gebürtiger Neuruppiner habe ich mich
schon immer glücklich geschätzt, in
einer der lebens- und liebenswertesten
Städte leben zu können.
Viele Orte in unserem damaligen
Stadtbild, die aus heutiger Sicht nicht
zu den schönsten zählten, waren für
uns Normalität und haben sich über
die Jahre enorm entwickelt. Nicht um-
sonst trotzen wir dem Trend des länd-
lichen Raums und halten unsere Ein-
wohner*innenzahlen stabil. Und nicht
umsonst wählen zahlreiche Tourist*in-
nen unsere Region gezielt als Urlaubs-
destination aus. Ob 2019 durch die gel-
be fontane.200-Brille betrachtet oder
in diesem Jahr mit stylischer Mund-
Nasen-Bedeckung: Neuruppin ist „mit
Abstand“ die schönste Stadt!
Und dieses Ergebnis kommt nicht von
ungefähr. Zahlreiche Akteure haben in
den letzten drei Jahrzehnten dazu bei-
getragen, das Beste aus dieser Stadt he-
rauszuholen - und tun es noch. Dabei
nehmen wir vieles, das sich zum Positi-
ven entwickelt, fast als selbstverständ-
lich hin. In der vorliegenden Broschü-
re wollen wir daher beispielhaft und
aus ganz verschiedenen Blickwinkeln
aufzeigen, wie sich die Fontanestadt
Neuruppin seit der Wende verändert
hat. Lassen Sie sich von den Themen
überraschen, erinnern Sie sich und er-
fahren Sie vielleicht noch unbekannte
Hintergründe.
Ich wünsche Ihnen nun viel Freude
auf dieser kleinen Zeitreise durch Neu-
ruppin! Und wenn Sie das Heft aufbe-
wahren und es in 10 Jahren erneut zur
Hand nehmen, werden Sie überrascht
sein, wie viel Neues sich auch in dieser
Zeit entwickelt haben wird.                Bürgermeister Jens-Peter Golde

Herzliche Grüße
Ihr Jens-Peter Golde
Bürgermeister

                                                                            NEUESRUPPIN 04/2020   3
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
30 Jahre freie Entwicklung

BÜRGERNAHE
STADTVERWALTUNG
Cornelia Diehr leitet das Bürgerbüro
der Stadtverwaltung. Die insgesamt
sechs Beschäftigen sorgen dafür, dass
Einwohnerinnen und Einwohner mit
Reisepässen und Personalausweisen,
Führerscheinen und Zulassungen ver-
sorgt werden. Aber das ist noch längst
nicht alles.

Das Bürgerbüro ist seit 2001 im da-
mals neu eröffneten Rathaus A unter-
gebracht. Es ist das Aushängeschild
einer bürgernahen Verwaltung. Wer
ein Anliegen hat, kann ohne Termin
kommen, die Wartezeit beträgt selten         Cornelia Diehr leitet das Bürgerbüro der Stadtverwaltung.
länger als zehn Minuten. Geöffnet
ist an allen Arbeitstagen, außer mitt-
wochs. Außerdem jeden 1. Sonnabend
im Monat. (Wegen der Corona-Vor-
schriften aktuell abweichende Rege-
lungen).

Cornelia Diehr hat das Bürgerbüro
mit aufgebaut. Sie arbeitete bis 1991
in einer städtischen Kita. Weil die Kin-
derzahl damals drastisch zurückging,
bot die Verwaltung Erzieherinnen ei-
nen Wechsel an. Einige übernahmen
neue Aufgaben, andere reduzierten
freiwillig ihre Stundenzahl. Dadurch
waren keine Entlassungen nötig.

Die erste Aufgabe für Cornelia Diehr
war die Übernahme der Einwohner-             Blick in das Gebäude während der Sanierung.
meldedatei von der Polizei. Diese war
zuvor für das Meldewesen zuständig         Das Bürgerbüro ist mehrfach umgezo-               Laufe der Zeit immer mehr Aufgaben
und gab auch Pässe und Ausweise            gen, bis es 2001 ins neu eröffnete Rat-           übernommen, dazu gehörte ab 2009
aus. Eine weitere Sonderaufgabe for-       haus Karl-Liebknecht-Straße 33–34                 das Entgegennehmen von Fahrerlaub-
derte die Beschäftigten in dieser Zeit:    (Haus A) kam. Haus B wurde schon ab               nisanträgen und ab 2013 die Ände-
Die Einführung der Lohnsteuerkarten.       1994 von der Stadtverwaltung genutzt.             rung von Kfz-Zulassungen. Die belieb-
Die automatisch erstellten Karten ent-     Die kommunale Nutzung des früheren                ten NP-Kennzeichen gibt es übrigens
hielten zwar die Steuerklassen, aber       Garnisonslazaretts ist ein Beispiel für           erst seit 2016 wieder. Außerdem kas-
keine Angaben zur Kirchensteuer.           gelungene Konversion. Teile der alten             siert das Bürgerbüro Kitabeiträge und
„Wir mussten diese Anfang 1992 mit         Kasernenmauer und ein Ein-Mann-                   Hundesteuer. Seit 2015 arbeitet das
der Schreibmaschine eintippen. Es          Bunker am Rande des Parkplatzes                   Bürgerbüro fast komplett digital. Aus-
bildeten sich lange Warteschlangen.“,      erinnern noch an diese Zeit. Die Be-              drucke gibt es nur noch für die Bürger
erinnert sich die Sachgebietsleiterin.     schäftigten des Bürgerbüros haben im              – als Beleg.

4      NEUESRUPPIN 04/2020
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
30 Jahre freie Entwicklung

                                                                                                       Heute werden alle Sitzungs-
                                                                                                       unterlagen online verschickt bzw.
                                                                                                       können im Internet unter https://
  Dr. Ekkehard Paris war der erste frei gewählte Stadtverordnetenvorsteher.                            neuruppin.ratsinfomanagement.
                                                                                                       net/ oder per App heruntergeladen
                                                                                                       werden.

ZEIT DES AUFBRUCHS                                                                                     Auch die Bevölkerung kann sich
                                                                                                       im Internet oder per App über
                                                    sich: „Das war relativ einfach, denn alle          Sitzungstermine, Sitzungsunterla-
                                                                                                       gen und die gefassten Beschlüsse
„Wir wollten keine Vorteile sondern ha-             wollten die Stadt voranbringen. Es gab
                                                                                                       informieren. Auch ein Newsletter
ben Kommunalpolitik aus Überzeugung                 noch Mehrheiten über Parteigrenzen
                                                                                                       kann abonniert werden.
gemacht“, so beschreibt Dr. Ekkehard                hinweg.“ Die wichtigsten Beschlüsse
Paris die Aufbruchstimmung in der ers-              in dieser Zeit seien die Gründung der
ten frei gewählten Stadtverordnetenver-             NWG und der Stadtwerke gewesen.
sammlung von Neuruppin.                             Paris: „Ich habe mich sehr dafür ein-
                                                    gesetzt, weil die Stadt damit Einfluss-     zu 100 Seiten dick. Die Versammlun-
                                                    möglichkeiten bekommt.“                     gen dauerten bis in den späten Abend.
Die Wahlen waren am 6. Mai 1990,                                                                Oft kam Dr. Ekkehard Paris in der Mit-
am 31. Mai fand die konstituierende                 Zu den Umgangsformen der Abge-              tagspause ins Rathaus, um Vorlagen
Sitzung in der Musikschule statt und                ordneten gehörten auch regelmäßige          zu unterschreiben und Absprachen zu
schon am 18. Juni folgte die erste re-              Treffen der Fraktionsvorsitzenden. Sie      treffen. Telefonieren war bis 1992 noch
guläre Sitzung. Das Tempo zeigt, wie                fanden sonnabends im Alten Kasino           mit Hindernissen verbunden. Die Ver-
groß der Wille der Stadtverordneten                 „bei Goldes“ statt. Missverständnisse       bindungen innerhalb des Rathauses
war, das Leben in Neuruppin neu zu                  konnten ausgeräumt und Konsens in           wurden per Hand gestöpselt.
gestalten. Unter ihnen der Zahnarzt Dr.             wichtigen Fragen hergestellt werden.
Ekkehard Paris. „Ich war ein Gegner                 Die ersten Sitzungsprotokolle bestehen      Dr. Ekkehard Paris gab 1993 sein Amt
der Regierungspolitik der DDR. Jetzt                nur aus wenigen Seiten. Erst später,        als Stadtverordnetenvorsteher ab. In
wollte ich Veränderungen durchsetzen                als die Stadtverwaltung einen von Bad       der zweiten Wahlperiode trat er für Pro
helfen“, berichtet er.                              Kreuznach geschenkten Profi-Kopierer        Ruppin an, er war insgesamt 22 Jah-
                                                    einsetzen konnte, bekamen die Abge-         re Stadtverordneter. Er sagt: „Helmut
Dr. Paris leitete als Stadtverordneten-             ordneten vorab die Beschlussvorlagen.       Kohl hat uns damals blühende Land-
vorsteher die Sitzungen und sorgte für              In den folgenden Wahlperioden waren         schaften versprochen. Für Neuruppin
die Einhaltung der Regeln. Er erinnert              die Sitzungsunterlagen dann schon bis       trifft das zu.“

                                                                                                             NEUESRUPPIN 04/2020     5
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
30 Jahre freie Entwicklung

DAS NEUE HAUS DES WISSENS
Das Alte Gymnasium war das erste
öffentliche Gebäude, das nach dem
Stadtbrand von 1787 wiederaufgebaut
wurde. Es ist das repräsentativste Ge-
bäude und es liegt auf dem mittleren
der drei großen Stadtplätze. Bildung
hatte bei Friedrich Wilhelm II. einen
hohen Stellenwert. Baudezernent Arne
Krohn: „Mit der denkmalgerechten Sa-
nierung und der Nutzung als Haus des
Wissens und der Kultur stehen wir in
einer guten Tradition.“

Civibus Aevi Futuri (den Bürgern
der künftigen Zeit) steht über dem
Haupteingang. Heute sind die Kreis-
musikschule, die Städtische Jugend-
kunstschule und die Stadtbibliothek
die wichtigsten Nutzer. Einige Räume
stehen der Medizinischen Hochschule
Brandenburg zur Verfügung, die Mon-
tessori-Grundschule ist im Nachbar-
haus. Arne Krohn: „Die Entwicklung
zum Haus des Wissens und der Kultur
bringt Leben in die Innenstadt. Die El-
tern kommen mit ihren Kindern, sie
gehen zwischendurch in die Geschäf-
te oder nutzen die Cafés. Wir haben
dieses Ziel schon mit Umgestaltung
des Schulplatzes verfolgt.“

Von 2009 bis 2011 wurde das Alte
Gymnasium in mehreren Abschnitten
saniert, gefördert durch die Europäi-
sche Union. Die Musikschule kam als
erstes dran. „Wir haben jetzt einen         Das Alte Gymnasium - eine erste Adresse für Bildung und Kultur.
lichtdurchfluteten Saal. Die großen
Glastüren können wir öffnen und bei       hat ihren Hauptsitz in Neuruppin und               Gericke ist von Anfang an dabei, Leite-
Veranstaltungen den Hof einbezie-         Zweigstellen in Kyritz, Wittstock und              rin Andrea Plagemann seit 1983. „Wir
hen.“, sagt Harald Boelk. Er war 1968     Rheinsberg. Insgesamt 900 Kinder                   waren zwischen 2001 und 2011 in der
Musikschüler in Neuruppin, später         und Erwachsene werden von 32 Lehr-                 Bilderbogenpassage untergebracht. Es
dort Lehrer und seit 2004 ist er der      kräften unterrichtet. „Ein Instrument              ist schön, wieder zurück zu sein“, sagt
Leiter der Musikschule. Harald Boelk      lernen ist Arbeit, aber wir wollen,                Andrea Plagemann. Sie ist stolz dar-
erinnert sich: „Das Gebäude wurde in      dass der Spaß dabei nicht zu kurz                  auf, wie sich die Bibliothek seitdem
den 1970er Jahren schon einmal um-        kommt“, lautet die Devise von Harald               entwickelt hat. Die Zahl der regelmä-
gebaut. Damals war in der Mitte die       Boelk. Gemeinsames Musizieren und                  ßigen Leserinnen und Leser ist von
Erweiterte Oberschule. Weil die ma-       Auftritte tragen dazu bei.                         700 auf 2000 gestiegen. Mit dem Um-
rode Decke mit Baumstämmen abge-                                                             zug wurde die Verbuchung von „Zet-
stützt werden musste, nannten wir sie     Seit 1982 ist die Stadtbibliothek im               telwirtschaft“ auf RFID-Codes umge-
Baumschule.“ Die Kreismusikschule         Alten Gymnasium zu Hause. Gudrun                   stellt. Ausleihe und Rückgabe können

6      NEUESRUPPIN 04/2020
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
30 Jahre freie Entwicklung

     Gudrun Gericke &                         Alexandra Christ                                       Harald Bölk
     Andrea Plagemann                                Leiterin der                               Leiter der Kreismusik
                                                                                                                     schule
         Mitarbeiterin und                       Jugendkunstschule
                         ben den
   Bibliotheksleiterin ha
         Umbau miterlebt

wahlweise auch in Selbstbedienung
erledigt werden. Andrea Plagemann:
„Wir haben mehr Zeit, Bücher zu emp-
fehlen oder Tipps für die Suche zu
geben.“

Alexandra Christ leitet seit 2016 die
Jugendkunstschule. Tanz, Theater,
Popmusik und Kunst werden in Kur-
sen, Workshops und Projekten ange-
boten. Seit 2014 ist die Jugendkunst-
schule staatlich anerkannt. Das ist mit
Qualitätsanforderungen verbunden,
aber auch mit einer festen Förderung
aus Landesmitteln. Vor allem Kinder
und Jugendliche nutzen die Einrich-       Das Alte Gymnasium erstrahlt wieder in neuem Glanz.
tung. 400 sind angemeldet, davon al-
lein 250 in den verschiedenen Tanz-
gruppen. „Wir haben ein supertolles
Haus, man sieht, dass der Stadt die
Kultur am Herzen liegt“, sagt die Lei-
terin.

Ihre Vorgängerin, Monika Meichsner,
hat zusammen mit Gritt Maruschke,
Liane Behlert und weiteren enga-
gierten Lehrkräften die Jugendkunst-
schule aufgebaut: „Der Zuspruch von
Kindern und Eltern hat uns 1990 zur
Gründung ermutigt.“ Bis heute wird
die Jugendkunstschule von einem För-
derverein unterstützt, in dem Monika
Meichsner mitarbeitet. Frank Matthus
ist der Vereinsvorsitzende.               Das Gebäude wurde komplett entkernt und bekam eine neue Raumaufteilung.

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30 Jahre freie Entwicklung

SCHULLANDSCHAFT IM WANDEL
Die Schullandschaft in Neuruppin ist
seit 1990 in Bewegung: Es gibt ein Auf
und Ab der Schülerzahlen, Schulen in
freier Trägerschaft, neue Schultypen
und neue Bildungskonzepte. Sozial-
dezernent Thomas Fengler: „Die Eltern
können heute unter vielen unterschied-
lichen Angeboten auswählen. Das macht
den Schulstandort Neuruppin attraktiv.“
Aktuell saniert die Stadt die Wilhelm-
Gentz-Schule, dann werden alle Schul-
gebäude auf zeitgemäßem Stand sein.

Die FontaneSchule wurde gerade zum
zweiten Mal modernisiert, sie ist seit
2018 ein Schulzentrum. Es gibt eine
Grundschule – zurzeit mit den Klas-
sen 1 bis 3 – und eine Oberschule ab         Die FontaneSchule hat einen neuen Spielplatz bekommen.
Klasse 7. Für die Kleinen wurden Lern-
inseln und Horträume eingerichtet.         gut, jetzt Schulzentrum zu sein: „Den           ken in der Praxis haben. Ohne dieses
Außerdem bekam die Schule Akustik-         Kindern fällt der Übergang in die Se-           Angebot würden sie die Schule wahr-
decken, um den Geräuschpegel zu re-        kundarstufe leichter. Sie kennen ihre           scheinlich ohne Abschluss verlassen
duzieren, eine Digitalausstattung und      Lehrer schon“.                                  müssen.
WLAN, die Sporthalle wurde saniert
und die Fassade neu gestaltet.             Die Fontaneschule ist offen für alle.           Vier verschiedene Abschlüsse können
                                           Sie ist eine Ganztagsschule und eine            an der FontaneSchule gemacht wer-
Das Gebäude der FontaneSchule ge-          „Schule für Gemeinsames Lernen“,                den. „Für viele Eltern ist das erklä-
hört der NWG, die es bereits einmal        also auch für Kinder mit besonderem             rungsbedürftig. Es ist unsere Aufgabe,
im Jahre 2000 umfassend moderni-           Förderbedarf. Außerdem gibt es „Pro-            sie zu beraten, welcher Weg für ihr
sierte. Den schönen Sportplatz können      duktives Lernen“ in Klasse 9. Wer dort          Kind der Beste ist. Wir orientieren auf
auch die Kinder aus dem Wohngebiet         mitmacht, ist zwei Tage pro Woche in            erreichbare Berufsziele“, sagt Angela
nutzen. Angela Rohwer ist seit 2004        der Schule und drei Tage zum Prak-              Rohwer. Die Schule hat einen guten
an der FontaneSchule Lehrerin und          tikum in einem Betrieb. Produktives             Ruf, die Grundschulklassen sind voll
seit 2017 Schulleiterin. Sie findet es     Lernen ist für Lernende, die ihre Stär-         ausgelastet.

INDIVIDUELLE AUFGABEN
Mathias Jäkel ist seit 2017 Schulleiter.   ein. Auch die Begabten werden ge-               den sofort in die Klassen integriert.
Seine Grundschule „Karl Liebknecht“        fördert, indem sie nicht einfach mehr           Die meisten von ihnen sind schon in
kennt er noch aus Schülerperspekti-        Aufgaben lösen, sondern Aufgaben,               Deutschland geboren und waren hier
ve. Er wurde 1995 in die „Karli“ ein-      die sie interessieren.“                         im Kindergarten“, sagt der Schullei-
geschult, als sie noch eine Gebäude-       Auch die Karl-Liebknecht-Schule ist             ter. Seine Grundschule wurde 2009
hälfte der FontaneSchule belegte.          eine „Schule für Gemeinsames Ler-               saniert und sie sieht heute noch wie
Was hat sich in den 25 Jahren verän-       nen“. Dort lernen Kinder mit unter-             frisch renoviert aus. Mathias Jäkel
dert? „Wir arbeiten heute individuel-      schiedlichen körperlichen Handicaps             sagt: „Die Lehrkräfte, die Hausmeis-
ler. Bei der Einführung in ein Thema       oder mit Leistungseinschränkungen               ter und die Sekretärin achten sehr
steht der Lehrer vor der Klasse, aber      in bestimmten Fächern. Der Förderbe-            darauf, dass es so bleibt.“ Und genau
bei den Aufgaben gehen wir auf die         darf bei Deutsch als Fremdsprache ist           diesen Satz hat auch Angela Rohwer
unterschiedlichen Leistungsniveaus         kleiner geworden. „Diese Kinder wer-            für ihre FontaneSchule gesagt.

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30 Jahre freie Entwicklung

SPORT UND SPIEL IM FORUM
Nach rund zwei Jahren Umbauzeit
konnten die Kinder der Kita Kunterbunt
2012 eine komplett neu gestaltete Ein-
richtung in Besitz nehmen. Die Kita in
der Artur-Becker-Straße ist nicht nur
schöner geworden, die Kinder haben
jetzt auch mehr Möglichkeiten, ihre
Talente zu entfalten. Herzstück der Kita
ist ein großer, lichtdurchfluteter Raum,
der die beiden sanierten Gebäudeflügel
verbindet.

„Wir nennen diesen Bereich Forum,
es ist das Highlight unserer Einrich-
tung“, berichtet Kita-Leiterin Ute
Hinze. Die Kinder treiben dort Sport,
spielen und bekommen im Kinderres-
taurant ihr Mittagessen.                     Kita-Leiterin Ute Hinze im neuen Verbindungsbau.

Ute Hinze ist seit 2007 Kita-Leiterin,     Haus bewegen und zwischen verschie-              derung stehen unter anderem Bücher
zuvor war sie fast 18 Jahre Kindergärt-    denen Angeboten wählen. Für die Be-              und Lernspiele zur Verfügung.
nerin in Wuthenow. Die Stadt konnte        wegung gibt es einen Turn- und einen
Fördermittel vom Land bekommen             Tanzraum sowie einen großzügigen                 Die Kita Kunterbunt ist mit 223 Plät-
und investierte insgesamt knapp vier       Spielplatz. Auch im gläsernen Verbin-            zen eine der größten von neun städti-
Millionen Euro, der Umbau dauerte          dungsbau sind Spielgeräte aufgebaut,             schen Kitas. Sozialdezernent Thomas
fast zwei Jahre. Ute Hinze ist sehr zu-    mit denen die Motorik gefördert wird.            Fengler: „Wir können insgesamt etwa
frieden mit dem Ergebnis. „Wir konn-       Das sind zum Beispiel Podeste und                800 Kinder aufnehmen. In den sie-
ten dem Architekten unsere Wünsche         Tore, die immer wieder neu angeord-              ben Kitas von freien Trägern sind es
mitteilen. Die bodentiefen Fenster wa-     net zum Klettern oder Durchkriechen              etwa noch einmal so viele.“ Seit eini-
ren zum Beispiel unsere Idee. „Jetzt       anregen.                                         gen Jahren steigt der Bedarf an Kita-
können die Kinder ihren Eltern einen                                                        plätzen wieder deutlich an. Thomas
Abschiedsgruß zuwinken“, erzählt die       Es gibt noch mehr Felder, auf denen              Fengler rechnet damit, dass das noch
Kita-Leiterin.                             die Kita aktiv ist, das sind Sprachför-          einige Zeit so anhält. Darum wollen
                                           derung und gesunde Ernährung. Die                mehrere freie Träger ihre Einrichtun-
Die Kita Kunterbunt hat den Schwer-        Kinder bewirtschaften ein Gemüse-                gen erweitern. Die Stadt plant für ihre
punkt Bewegung. Die Kinder können          beet und bereiten die Ernte in einer             Kita in Gildenhall einen Neubau mit
sich – in normalen Zeiten – frei im        Kinderküche zu. Für die Sprachför-               mehr Plätzen als bisher.

  Die Kita vor der Sanierung.                                        Die Kita Kunterbunt mit ihren charakteristischen Schaufenstern.

                                                                                                             NEUESRUPPIN 04/2020       9
Vereint 1990 - 2020 30 Jahre Deutsche Einheit in Neuruppin - AUSGABE 4
30 Jahre freie Entwicklung

                                                                                                Internationale
                                                                                                Städtepartnerschaften
                                                                                                • 	Certaldo (Italien) seit 1968,
                                                                                                     Aktivitäten: Certaldofest alle zwei
  Hannelore Gußmann war 1990 bei der ersten Abgeordnetenreise nach Bad Kreuznach dabei.              Jahre, Jugendaustausch, Kulturaus-
                                                                                                     tausch
                                                                                                • 	Nymburk (Tschechien) seit 1972,

BEGEGNUNG                                                                                            Aktivitäten: Bürgerfahrten
                                                                                                • 	Babimost (Polen) seit 2005,
                                                                                                     Aktivitäten: Bürgerfahrten,
auf Augenhöhe                                                                                        Landfrauen-Begegnungen,
                                                                                                     Kunstprojekte
                                                Wertschätzung begegneten. Anders
„Ich habe in Bad Kreuznach Menschen             als bei uns, wo der Bürgermeister die
kennengelernt, die uns respektvoll, in-         Politik bestimmte.“ Für die Neurup-
teressiert und mit großer Hilfsbereit-          pinerin war der Besuch im Michelin-       Magdalena Yanshin organisiert in der
schaft begegnet sind“, sagt Hannelore           Reifenwerk spannend. Sie erkundigte       Stadtverwaltung die Zusammenarbeit
Gußmann. Sie reiste vom 14. bis 17. Fe-         sich beim Betriebsrat nach seiner Tä-     mit den Partnerstädten. Sie verweist
bruar 1990 mit der ersten Neuruppiner           tigkeit, denn unabhängige Personal-       darauf, dass es von Anfang an auch
Delegation in die Partnerstadt. Kurz zu-        vertretungen gab es in der DDR nicht.     einen intensiven bürgerschaftlichen
vor, am 22. Januar, wurde in Neuruppin          Hannelore Gußmann war dann von            Austausch gegeben hat. Es gibt Bür-
die Städtepartnerschaft unterzeichnet.          1990 bis 2003 Personalratsvorsitzen-      gerfahrten, gemeinsame Sportveran-
                                                de bzw. Betriebsratsvorsitzende der       staltungen und Kulturbegegnungen
                                                Ruppiner Kliniken.                        mit den Nachwuchs Bigbands beider
Als die Städtepartnerschaft ange-                                                         Städte. Sie treffen sich abwechselnd in
bahnt wurde, stand die Mauer noch.              Außerdem war sie von 1998 bis 2003        Bad Kreuznach und Neuruppin.
Nun aber hatten sich die Vorzeichen             Stadtverordnete, dann aber SPD-Mit-
geändert. Der offiziellen Neuruppi-             glied, weil sie die Arbeitnehmerrechte    Das Weinfest ist eine feste Größe im
ner Delegation gehörten auch die                dort besser vertreten sah. Sie reiste     Neuruppiner Kulturkalender. Die Win-
neuen Kräfte an, Reinhold Dzienian              bis 2015 insgesamt viermal mit einer      zerbetriebe von der Nahe präsentieren
vom Neuen Forum sowie Inge und                  offiziellen Delegation nach Bad Kreuz-    ihre Weine. Im Gegenzug ist die Neu-
Frank Wehrmann für die SDP. Han-                nach. „Das Verhältnis hat sich in der     ruppiner Kochakademie mit Wildspe-
nelore Gußmann gehörte damals der               Zeit gewandelt. Wir wollten damals        zialitäten beim Nikolausmarkt in Bad
NDPD an.                                        vor allem lernen und haben Wissen         Kreuznach dabei. Vereinsvorsitzen-
                                                dankbar aufgenommen. Die jungen           der Holger Wizisk sagt: „Sie warten
Hannelore Gußmann erinnert sich:                Mitreisenden sind anders. Sie sind        dort schon auf uns. Sie lieben unse-
„Mir fiel auf, dass die Verwaltungsan-          selbstbewusster geworden, es ist fast     ren Grünkohl mit Knacker. Es sind
gestellten ihren Abgeordneten großer            eine Begegnung auf Augenhöhe.“            Freundschaften entstanden.“

10     NEUESRUPPIN 04/2020
30 Jahre freie Entwicklung

NEURUPPIN BLEIBT BUNT
Für den 1. September 2007 – den Welt-
friedenstag – hatte eine rechtsextre-
mistische Organisation zu einer De-
monstration aufgerufen. „Es waren 40
bis 50 Neonazis gekommen, denen wir
uns mit 1000 Menschen entgegenge-
stellt haben. Das waren nicht nur Linke,
die bürgerliche Mitte ging auf die Stra-
ße“, berichtet Martin Osinski, Sprecher
des Bündnis Neuruppin bleibt bunt.

In den 1990er Jahren hatten rechts-
gerichtete Jugendliche in Neuruppin
mehrfach Linke angegriffen, durch
Gespräche und verstärkte Jugend-
sozialarbeit kehrte jedoch Ruhe ein.
Deswegen heißt es auch: Neuruppin
BLEIBT bunt. Der bündnisgrüne Ab-
geordnete Wolfgang Freese brachte            Martin Osinski ist Sprecher von Neuruppin bleibt bunt.
den Namensvorschlag ein. Die Ini-
tiatoren telefonierten auch gleich los,    pierungen statt, darunter ein NPD-                 dagegenhalten. Damit ist Neuruppin
um ein breites Bündnis zustande zu         Bundesparteitag am 12. November                    vielen Menschen positiv in Erinne-
bringen. Das gelang innerhalb von          2011. Neuruppin bleibt bunt stellte                rung.“ Das Bündnis Neuruppin bleibt
einer Woche. 43 Persönlichkeiten un-       sich jedes Mal dagegen, mit Demons-                bunt ist weiterhin aktiv und besetzt
terzeichneten den Aufruf zur Gegen-        trationen, Sitzblockaden, Plakaten,                historische Daten mit eigenen Veran-
demonstration, unter ihnen Bürger-         aber auch einem Volksfest und einem                staltungen. Das sind zum Beispiel der
meister Jens-Peter Golde und Landrat       Fahrradkorso. Martin Osinski: „Die                 1. September und der 9. November.
Christian Gilde.                           Rechtsextremisten wollten in Neu-                  Osinski: „Es ist unser Anliegen, die
                                           ruppin Fuß fassen. Sie haben nicht                 Erinnerungskultur hochzuhalten. Wir
Bis 2012 fanden in Neuruppin noch          damit gerechnet, dass sich die Bürger              wollen damit verhindern, dass Rechte
fünf Veranstaltungen rechter Grup-         einer kleinen Stadt so geschlossen                 diese Daten für sich missbrauchen.“

EINSTELLUNGEN HINTERFRAGEN
Mit Vorträgen, Filmen und Lesungen         len. Viele sind aber auf der Suche. Ich
gibt Jugendwart Eckhard Häßler im          frage dann, wie sie zu ihrer Einstellung
Café Hinterhof/ev. Jugendzentrum           gekommen sind, und versuche, ein
immer wieder Anstoß zur Diskussion         Nachdenken anzuregen. So handhaben
über Rechts. Er sagt: „Ich komme aus       es auch viele Mitglieder der Jungen Ge-
der Friedensbewegung und war in der        meinde in ihrem Umfeld – und zwar
DDR Totalverweigerer. Mit meinem           sehr selbstbewusst.“ Das Café Hinter-
christlichen Hintergrund lehne ich         hof bekam 1992 seinen Namen. Damals
Krieg, Menschenverachtung und all          hatten Rechtsradikale in Rheinsberg
das ab, wofür die Rechten stehen.“         Asylbewerber angegriffen. Das Café
Trotzdem ist er mit Jugendlichen aus       Hinterhof sollte ein Raum werden, wo
rechten Umfeld öfter im Gespräch. „Es      sich Menschen aus anderen Ländern
lässt sich schwer diskutieren, wenn        angstfrei treffen und ihre Projekte ver-             Eckhard Häßler leitet das Jugendzentrum
verhärtete Positionen aufeinanderpral-     wirklichen können.                                 Café Hinterhof.

                                                                                                             NEUESRUPPIN 04/2020          11
30 Jahre freie Entwicklung

  Der Berliner Jannes Siems hat in Neuruppin das Fliegen erlernt.

NEUE NUTZER
auf dem Flugplatz
                                                    Segelflugverein                           zierskantine, die noch aus Zeiten der
Was hat sich auf dem Neuruppiner Flug-              Ja, es wird noch geflogen in Neurup-      Fliegerschule stammt. „Der Umzug von
platz getan? Hans Schaefer und Axel Le-             pin. Jannes Siems ist Vorsitzender        Molchow nach Neuruppin war 1996“,
ben kennen sich dort besonders gut aus              des Flugtechnischen Vereins Spandau       berichtet Stefan Scheufler, der heute
und stellen die neuen Nutzer vor. Hans              1924 e. V. Gerade landet er mit seinem    gemeinsam mit Heiko Ebert den Be-
Schaefer war von 2006 bis 2014 für die              Segelflugzeug auf einem Rasenstück        trieb führt. „Das Gebäude hatte einen
Konversion im Ruppiner Land zuständig,              weit im Norden des Platzes. Jannes        Tarnanstrich, es sah heruntergekom-
ab 2007 war er außerdem Geschäfts-                  Siems ist seit 2002 Vereinsmitglied,      men aus, aber die Substanz war gut.“
führer bei der InKom. Seit 2016 ist er im           seine ersten Flugstunden machte er        Sogar die Flügeltür zum Speisesaal ist
Ruhestand, Axel Leben wurde sein Nach-              bereits in Neuruppin. Die Segelflug-      noch erhalten. Dort ist heute die Werk-
folger.                                             zeuge werden fast geräuschlos mit         statt.
                                                    einer Seilwinde auf Höhe gebracht. Es
                                                    gibt sogar eine Vereinbarung, dass ihre
1994 hatten die letzten sowjetischen                Platzrunde nicht über die Musikersied-
Flieger das Flugplatzgelände verlas-                lung geht, um die Bewohner nicht zu
sen und sogar Teile der Rollbahn mit-               stören. An Wochentagen weiden Scha-
genommen. Sie ließen aber Altlasten                 fe auf der Landebahn. Eine Win-win-Si-
– Treibstoffe, Altöl und Lösungsmit-                tuation. Die Schafe halten das Gras auf
tel – zurück. Die Brandenburgische                  der Landebahn kurz und verhindern
Bodengesellschaft räumte nach dem                   die Versteppung.
Abzug der Militärs das Gröbste weg.
Für die Fläche des künftigen Gewerbe-               Dachklempnerei Klaus Scheufler
gebietes Flugplatz erfolgte 2011 eine               Der erste Gewerbebetrieb auf dem Ge-
Bodenuntersuchung mit Magnetfeld-                   lände war die Dachklempnerei Klaus            Ein historisches Foto aus dem Album der
Sensoren. Nochmals fiel containerwei-               Scheufler. Das Molchower Unterneh-        Firma Scheufler, die ehemalige Offizierskantine
                                                                                              ist hier noch mit Tarnfarbe gestrichen.
se Schrott an, darunter auch Munition.              men kaufte 1994 die ehemalige Offi-

12     NEUESRUPPIN 04/2020
30 Jahre freie Entwicklung

  Heiko Ebert und Stefan Scheufler schätzen am Standort vor allem die       Mario Cuba (Mitte) führt Axel Leben und Hans Schäfer durch sein Unter-
Nähe zur Autobahn.                                                        nehmen.

Stefan Scheufler: „Ich bin seit 1998              Cuba Kunststofftechnik beschäftigt.                 wurde im Dezember 2006 fertig-
im Unternehmen und habe hier auch                 Der Umzug nach Neuruppin im Jahr                    gestellt. Silvio Pohl ist seitdem der
gelernt. Die Dachklempnerei besteht               2017 wirkte sich positiv aus. „Wir kön-             Neuruppiner Betriebsstättenleiter. Er
aber schon seit 1984. Mein Vater Klaus            nen in die Fläche wachsen und finden                sagt: „Wir stellen Menschen mit den
Scheufler beschäftigte damals vier                leichter qualifiziertes Personal und “,             unterschiedlichsten Behinderungen
oder fünf Mitarbeiter. Nach 1990 ist              sagt Mario Cuba.                                    ein. Es ist nicht so leicht, für jeden
das Unternehmen schnell bis auf 28                                                                    die richtige Aufgabe zu finden, aber
Mitarbeiter gewachsen.“ Zu den beson-             Stephanus Werkstätten                               ist gelingt. Heute beschäftigen die
ders spannenden Aufträgen in dieser               Mit den Stephanus Werkstätten hat                   Stephanus Werkstätten in Neuruppin
Zeit zählten das Sparkassengebäude                auch eine große Behinderteneinrich-                 185 Menschen. Etwa 50 Unternehmen
am Fontaneplatz und die Pfarrkirche.              tung auf dem Flugplatz ihren Sitz.                  in der Region gehören zu den ständi-
Heute ist die Firma Scheufler oft in              Peter Abraham erinnert sich an die                  gen Auftraggebern.
Berlin tätig. „Die gute Anbindung an              alten Werkstätten, die 1991 im Bullen-
die Autobahn ist ein großer Vorteil für           winkel eröffnet wurden: „Bis 1990 gab               InKom-Geschäftsführer Axel Leben:
uns“, sagt Stefan Scheufler.                      es in den Betrieben noch Abteilungen                „Die Stephanus Werkstätten sind
                                                  mit geschützten Arbeitsplätzen. Aber                Partner der Industrie. Sie sind in Neu-
Cuba Kunststofftechnik                            die Erzeugnisse waren plötzlich nicht               ruppin gut vernetzt. Außerdem haben
Seit 2017 ist die Firma Cuba Kunst-               mehr gefragt. Für die Beschäftigten                 sie ein eigenes Produkt entwickelt.
stofftechnik im Gewerbegebiet Flug-               war das eine große psychische Be-                   Die Umhängetasche „Ruppi Bag“ aus
platz Nord zu Hause. Firmenchef Ma-               lastung. Peter Abraham konnte beim                  LKW-Planen von Technoplan ist zu ih-
rio Cuba führt Hans Schäfer und Axel              Land Mittel für den Neubau auf dem                  rem Markenzeichen für unsere Stadt
Leben durch eine moderne Werkhalle:               Flugplatzeinwerben, das Gebäude                     geworden.“
„Wir haben eine voll digitalisierte Pro-
duktion – von der Auftragserteilung
bis zur Auslieferung.“ Die Spritzguss-
automaten arbeiten in drei Schichten
und sind robotergesteuert. Sie pres-
sen Kunststoffgranulat unter Wärme
und mit einem enormen Druck in die
Formen. Die Werkteile finden in Elek-
trogeräten, Autos und zahlreichen
Maschinen Anwendung. Vater Diet-
mar Cuba gründete das Unternehmen
1990 in Köpernitz bei Rheinsberg als
Ein-Mann-Betrieb und entwickelte es
erfolgreich. 2008 kaufte Mario Cuba
das Unternehmen, Vater Dietmar
arbeitet als Angestellter weiterhin
mit. 31 Mitarbeiter sind jetzt bei der               Silvio Pohl (links) und Peter Abraham im Gespräch mit Werkstatt-Mitarbeiter Jens Trebbin.

                                                                                                                       NEUESRUPPIN 04/2020       13
30 Jahre freie Entwicklung

FÜR EINE
FREIE
HEIDE
Das Aus für den Bombenabwurfplatz
in der Kyritz-Ruppiner Heide ist das Er-
gebnis einer erfolgreichen Kooperation
unterschiedlicher Kräfte: Bürgerschaft,
Wirtschaft und Kommunen. Das brach-
te die Bundeswehr schließlich zum
Aufgeben.

Die erste Demonstration fand am
15. August 1992 statt, kurz nach-
dem die Bundeswehr ihr Übungs-
platzkonzept verkündet hatte. Noch
im gleichen Monat gründete sich die
Bürgerinitiative FREIe HEIDe. Sie ab-
solvierte einen Marathon mit insge-
samt 113 Protestwanderungen, Oster-
märschen und vielen Aktionen.

Der Kreistagsabgeordnete Wolfgang
Freese war als Tontechniker fast im-
mer dabei. Er gab auch den Anstoß            Wolfgang Freese war bei fast jeder Veranstaltung der FREIen HEIDe für die Tontechnik verant-
für die Gründung einer Unterneh-           wortlich.
merinitiative. „Wir brauchten Geld
für Gutachten, Konzepte und gute           den-Schießplatz aus. 260 Kommu-                    2007 vor dem Verwaltungsgericht in
Anwälte vor Gericht. Das konnte die        nalpolitiker aus fünf angrenzenden                 Potsdam. In einer Musterklage von
FREIe HEIDe nicht allein tragen.“ Er       Landkreisen unterschreiben 2005                    Unternehmern ging es um wirtschaft-
musste nicht lange reden. Am 6. Fe-        einen Offenen Brief an den Bundes-                 liche Schäden durch den Übungsbe-
bruar 2004 gründete sich die Unter-        kanzler. 2010 vereinbarten Vertreter               trieb. Der Richter verlangte von der
nehmervereinigung PRO HEIDE. Vor-          der betroffenen Kommunen mit den                   Bundeswehr ein formelles Planungs-
standsmitglied Prof. Klaus Günther:        Bürgerinitiativen die Gründung einer               verfahren, bei dem alle Einwendun-
„Die FREIe HEIDe konzentrierte sich        Kommunalen Arbeitsgemeinschaft.                    gen berücksichtigt werden sollten.
auf den Protest gegen die Bundes-                                                             Das war mit Verweis auf die Landes-
wehr, PRO HEIDE zeigte die Nachteile       Jens-Peter Golde war Vorstandsvorsit-              verteidigung bisher nicht geschehen.
der militärischen Nutzung anhand           zender von PRO HEIDE und geschäfts-
wissenschaftlicher Untersuchungen          führender Vorsitzender der kommu-                  Am 29. November 2007 forderte
auf.“ Der Bombenabwurfplatz hätte          nalen Arbeitsgemeinschaft. Er sagt:                der Bundesrechnungshof dann vom
die Region 15 000 Arbeitsplätze ge-        „Es war eine Aufgabenteilung. Die                  Verteidigungsministerium, auf den
kostet und gravierende Folgen für          Kommunen planten die schrittweise                  Übungsplatz zu verzichten, da der
die Volkswirtschaft gehabt. Das war        Nutzbarmachung von Teilen der Lie-                 Bedarf nicht mehr vorhanden sei. Am
durch Stellungnahmen verschiedener         genschaft. Die Arbeitsgemeinschaft                 9. Juli 2009 schließlich erklärte Bun-
Ämter und Behörden belegt.                 entwickelte wirtschaftlich tragfähige              desverteidigungsminister Franz-Josef
                                           Lösungen als Alternative zur Bundes-               Jung den Verzicht auf die Nutzung
In Erklärungen sprachen sich die Par-      wehr.“ 15 Mal scheiterte die Bundes-               der Kyritz-Ruppiner Heide als Luft-/
lamente gegen den geplanten Luft-Bo-       wehr vor Gericht, zuletzt am 31. Juli              Bodenschießplatz.“

14     NEUESRUPPIN 04/2020
30 Jahre freie Entwicklung

KEIN ELFENBEINTURM
Mit der Einweihung des Erweiterungs-
baus im Januar 2015 kann das Museum
seinen Besuchern eine neue Qualität
bieten. Was das bedeutet, erklärt Maja
Peers-Oeljeschläger. Die erfahrene His-
torikerin leitet seit Oktober 2016 das
Museum.

„Wir sind ein lebendiges Museum,
kein Elfenbeinturm. Wir beziehen die
Stadtbevölkerung in unsere Arbeit
ein.“ Aktuelles Beispiel ist die neue
Wechselausstellung zum 30. Jahres-
tag der Deutschen Einheit, die unter
anderem mit Fotos von Eckhard Hand-
ke gestaltet wurde. Menschen aus            Schülerprojekt in der Steindruckwerkstatt.
Neuruppin berichten in Zeitzeugen-
interviews über die bewegte Nach-
wendezeit. Die Ausstellung wird am
3. Oktober eröffnet.

Maja Peers-Oeljeschläger: „Wir haben
im Januar 2020 eine Veranstaltungs-
reihe unter dem Titel Museumsgeflüs-
ter begonnen und die Bevölkerung
dazu eingeladen, über die Zukunft
des Museums zu diskutieren. Wir wol-
len herausfinden, welche Themen für
die Menschen besonders interessant
sind. Wir möchten mit unseren Aus-
stellungen und Veranstaltungen gern
verschiedenste Besuchergruppen er-
reichen.“ So ein Dialog mit der Bevöl-      Museumsleiterin Maja Peers-Oeljeschläger.
kerung ist zum Beispiel beim Projekt
„Durcheinander“ (2016–2018) oder          Zuge der Neugestaltung des Museums             gezeigt werden. Die Leihgeber hätten
mit der Ausstellung zum 150-jährigen      im Altbau eine Steindruck- und eine            sie uns sonst nicht zur Verfügung ge-
Bestehen der Freiwilligen Feuerwehr       Letterndruckwerkstatt einrichten. Er-          stellt“, sagt Maja Peers-Oeljeschläger.
Neuruppin (2017) gelungen.                wachsene und Kinder nutzen sie regel-          Auch die Bilderbogen gehören zu den
                                          mäßig. Dort werden Einführungen in             gefährdeten Exponaten. Sie waren für
Mit Fertigstellung des Anbaus wurde       die Drucktechniken und mehrtägige              das einfache Volk gemacht und sind
auch der Museumshof für die Gäste ge-     Kurse für Schülergruppen angeboten.            auf billigstem Papier gedruckt. Durch
öffnet und kann für Veranstaltungen       Mit der Leitausstellung „fontane.200/          den Ankauf einer privaten Sammlung
genutzt werden. Der Tempelgarten          Autor“ zog das Museum im Fontane-              in den 1990er Jahren hatte das Mu-
hat eine weitere Pforte erhalten. Das     jahr 2019 über 36 000 Besucher an.             seum seinen Bestand auf über 12 000
Museum und das wiederhergestellte         „Diese Ausstellung wäre ohne den               unterschiedliche Bogen erweitert. Da-
Gartendenkmal rücken dadurch enger        Neubau nicht möglich gewesen. Er ist           runter sind auch Exemplare aus Süd-
zusammen. Die attraktiven Veran-          klimatisiert und die Exponate sind vor         deutschland und vielen Ländern Euro-
staltungen des Tempelgartenvereins        Tageslicht geschützt. Damit können             pas. Insgesamt investierten die EU,
strahlen auf das Museum ab – und          auch empfindliche Ausstellungsstü-             der Bund und das Land etwa sieben
umgekehrt. Das Museum konnte im           cke wie die Handschriften Fontanes             Millionen Euro.

                                                                                                      NEUESRUPPIN 04/2020    15
30 Jahre freie Entwicklung

DIE STIFTUNG
SOZIALES NEURUPPIN
Nur gemeinsam können wir etwas erreichen!
Seit 2008 fördert die Stiftung Soziales
Neuruppin die Jugendarbeit, die Kul-
tur, den Sport und weitere Leistungen
der Wohlfahrtspflege. Sie trägt damit
zur Erhaltung und Verbesserung der
sozialen, kulturellen und sportlichen
Infrastruktur der Fontanestadt bei.
Die Förderung erfolgt vorwiegend
durch die Zahlung von Zuschüssen
an Vereine und Verbände, soziale Ein-
richtungen und andere Vereinigungen,
die Aufgaben im Sinne des Stiftungs-
zwecks erfüllen. Von 2008 bis 2019
vertrat Margarete Jungblut, ehemalige
Beigeordnete des Bürgermeisters der
Fontanestadt Neuruppin, die Stiftung
als Vorsitzende des Kuratoriums. Im
letzten Jahr übernahm dann Andreas
Haake den Vorsitz.                             Margarete Jungblut war lange Kuratoriums-Vorsitzende, Sebastian Svenßon unterstützt die
Sind auch Sie ehrenamtlich im Verein        Stiftung Soziales Neuruppin als Mitarbeiter der Kämmerei.
tätig und haben wundervolle Projekte,
bei denen es noch an den finanziellen       an. Die so erwirtschafteten Überschüs-            MEHR DAZU:
Mitteln zur Umsetzung scheitert? Das        se werden für einen gemeinnützigen                Bankverbindung der
Antragsformular sowie weitere Infor-        Zweck ausgegeben. Das gestiftete Ver-             Stiftung Soziales Neuruppin:
mationen finden Sie unter: https://         mögen selbst muss als Grundkapital                Sparkasse Ostprignitz-Ruppin
www.neuruppin.de/bildung-soziales/          der Stiftung erhalten bleiben. Spenden            IBAN: DE96 1605 0202 1720 0458 91
soziales/stiftung-soziales-neuruppin.       kommen direkt den Antragstellern zu               BIC: WELADED1OPR
html.                                       Gute.                                             Verwendungszweck: Spende bzw.
Das Prinzip einer gemeinnützigen Stif-      Um möglichst viele Projekte mit den               Zustiftung Stiftung Soziales Neuruppin
tung ist einfach: Eine Stifterin oder ein   benötigten finanziellen Mitteln unter-
Stifter bringt Vermögen in eine Stif-       stützen zu können, freut sich die Stif-           Ansprechpartnerin:
tung ein. Diese legt das ihr übertragene    tung natürlich über jede Spende oder              Juliane Schlüter, T: 03391 355-165
Vermögen sicher und gewinnbringend          Zustiftung.                                       juliane.schlueter@stadtneuruppin.de

AUF DEM WEG IN DIE SCHULDENFREIHEIT
Zu Beginn der 1990er Jahre hatte Neu-       kauf des Rathauses in der Wichmann-               nen Euro Schulden, 21 Millionen Euro
ruppin sehr viel investiert, gleichzeitig   straße Geld ein und sparte bei Investi-           sind getilgt. Die Verschuldung der Be-
waren die Steuereinnahmen noch sehr         tionen durch die Übertragung von zwei             völkerung beträgt derzeit 365 Euro pro
gering. 1995 wurde mit fast 32 Mil-         Schulen an die NWG. Niedrigzinsen,                Kopf der Bevölkerung.“ Trotz Sparens
lionen Euro Schulden der historische        steigende Steuereinnahmen sowie ein               werden pro Jahr durchschnittlich acht
Höchststand erreicht. Der neue Käm-         aktives Zinsmanagement ermöglich-                 bis zehn Millionen Euro investiert. Ein
merer Willi Göbke verordnete einen          ten eine kontinuierliche Tilgung der              aktuelles Projekt ist die Sanierung der
Sparkurs. Ein strategisches Ziel ist die    Kreditverbindlichkeiten. Thomas Du-               Wilhelm-Gentz-Schule, die bis 2022 für
vollständige Entschuldung der Stadt bis     malsky, seit 2018 Kämmerer, sagt: „Die            15 Millionen Euro geplant ist. Knapp
2030. Die Stadt nahm durch den Ver-         Stadt hat aktuell noch etwa 11 Millio-            zwei Drittel der Kosten trägt die Stadt.

16     NEUESRUPPIN 04/2020
30 Jahre freie Entwicklung

NEUES LEBEN
in der Pfarrkirche
                                             Westfalen-Lippe wechselte nach seiner
„Im Dach waren Löcher, die Turmspit-         Pensionierung 1995 als ehrenamtli-
ze hatte sich gesenkt, die Wände waren       cher Berater von der Kreisverwaltung
durchnässt“, so beschreibt Pfarrer Heinz     zur Stadt. Ein Jahr später stand auch
Karau den Zustand der Pfarrkirche im         eine Vereinbarung zwischen Stadt und
Jahr 1990. Ohne ihn wäre es wahrschein-      Kirche.
lich noch schlimmer gekommen. Der            Horst Zahl ist aktuell einer der Ge-
Pfarrer hatte im Dachstuhl Schüsseln         schäftsführer der gemeinsamen Ge-
und Wannen aufgestellt und ging sie re-      sellschaft Tourismusforum Neuruppin
gelmäßig leeren. 20 Jahre lang.              GmbH. Er berichtet: „Ihre Gründung            Pfarrer Heinz Karau mit Ehefrau Christiane.
                                             war nötig, um Kredite aufzunehmen
                                             und Fördermittel zu beantragen. Die
1969 trat Karau in der Stadtkirche           Stadt hält in der GmbH etwa zwei Drit-
St. Marien seine erste Pfarrstelle an.       tel der Anteile, die Kirche ein Drittel.“
1970 wurde die Kirche baupolizeilich         Kirche und Stadt besetzen bis heute je-
gesperrt, die Gemeinde zog in die Klos-      weils einen der beiden ehrenamtlichen
terkirche. Da es in der DDR damals           Geschäftsführerposten.
keine Kirchensteuer gab, war die Kir-        Bereits 1995 erlebten 1400 Menschen
che für den Erhalt ihrer Baudenkmale         in der damals noch unsanierten Kirche
auf Hilfe vom Staat angewiesen. Für          ein glanzvolles Konzert. Dann wurde
die Klosterkirche wurde diese gewährt,       sie noch einmal geschlossen und bis
für die Pfarrkirche nicht. „Ich hatte den    2002 aufwändig saniert. Dafür wurden
Eindruck, dass es den staatlichen Stel-      4,6 Millionen Euro eingesetzt. Die An-        Alt-Bürgermeister Otto Theel.
len egal war, wenn die Kirche verfällt“,     fangsjahre waren holprig. Für das Kon-
sagt Karau. Ihm war es nicht egal, auch      gress-Zentrum Pfarrkirche – in Verbin-
die Kirchengemeinde half mit Arbeits-        dung mit dem Hotelneubau – war die
einsätzen.                                   Auslastung zu gering. 2007 hieß die
Pfarrer Joachim Cierpka kam 1992 aus         Pfarrkirche dann offiziell Kulturkirche,
Westberlin nach Neuruppin. Der Theo-         aber zweimal wechselte der Betreiber.
loge mit PR-Erfahrung startete die Ak-       Der Neustart erfolgte 2011. Kultur-
tion „Rettet die Pfarrkirche.“. Jetzt wur-   kirche und Kulturhaus wurden als
de das Ausmaß der Schäden deutlich.          Einrichtungen der Stadt unter einer
Ab 1993 konnte die Erneuerung von            Leitung vereint. Das Programm sollte
Dach und Fassade beginnen. Das Land          unterschiedliche Gruppen ansprechen,
und die Bundesstiftung Denkmalpflege         damit sich beide Häuser nicht mehr
investierten rund 1,5 Millionen Euro.        gegenseitig Konkurrenz machen. Ab             Horst Zahl ist für das Gebäude verantwortlich.
1994 wurde Otto Theel als Bürgermeis-        2011 wurde dieses Konzept durch And-
ter gewählt und entwickelte zusammen         reas Vockrodt umgesetzt. Der studierte
mit Cierpka Ideen für den Umbau der          Kulturmanager verfügt über exzellente
Kirche zu einem Veranstaltungszen-           Kontakte in die Kulturszene und holt
trum. Die Kosten wurden von Exper-           hochkarätige Künstler nach Neurup-
ten auf fünf Millionen Euro geschätzt.       pin. Dabei geht es querbeet durch die
Otto Theel sagt: „Der Kirche war klar,       Genres. Neuruppin war mit der Pfarr-
dass sie die Sanierung und Erhalt von        kirche wiederholt überregional in den
zwei großen Kirchen nicht allein be-         Schlagzeilen, zum Beispiel mit der
wältigen kann.“ Weil er als PDS-Bür-         Präsentation von Malerei und Grafik
germeister bei den Ministerien in            des Schauspielers Armin Mueller-Stahl
Potsdam schlechte Karten hatte, holte        oder mit der Installation von 400 Fon-
er sich Unterstützung. Der erfahrene         tane-Figuren im Jahr 2016 durch den            Andreas Vockrodt ist Kulturmanager für
Verwaltungsjurist Franz Bender aus           Konzeptkünstler Ottmar Hörl.                Pfarrkirche und Stadtgarten.

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30 Jahre freie Entwicklung

  Sie vertreten die Interessen ihrer Ortsteile. Hinten links: David Kissner (Ortsvorsteher Molchow), Manfred Bruder (Ortsvorsteher Buskow), Michael
Peter (Ortsvorsteher Gühlen-Glienicke), Heidemarie Ahlers (Ortsvorsteherin Alt Ruppin), Wolfgang Händel (Ortsvorsteher Nietwerder),Frau Anita Ludwig
(Ortsvorsteherin Radensleben), Siegfried Pieper (Ortsvorsteher Karwe), Janett Mussel (Ortsvorsteherin Wulkow) Harald Krumhoff (Ortsvorsteher Stöffin);
Olaf Matschoss (Ortsvorsteher Gnewikow); Achim Fiedler (Ortsvorsteher Lichtenberg); Axel Noelte (Ortsvorsteher Wuthenow)

NICHT GANZ DORF
UND NICHT GANZ STADT
                                                   gebracht war. Von 1983 bis 1991 war                 Signalwirkung. Krafft von dem Knese-
„Ich wohne in Neuruppin, aber in einem             sie Ortsbürgermeisterin. Sie ist heute              beck konnte einige Wirtschaftsgebäu-
Ortsteil. Dieser Ortsteil heißt Karwe. Das         Vorsitzende des Demokratischen Frau-                de vor dem Verfall retten und ließ in
soll nicht vergessen werden“, sagt Hei-            enbundes und stellvertretende Vor-                  den 1990er-Jahren im Grundriss der
demarie Petruschke. Im Jahre 2004 hat              sitzende des Parkvereins. Ihr ist der               früheren Ställe Wohnungen bauen.
Neuruppin 13 neue Ortsteile hinzube-               Zusammenhalt im Dorf wichtig, mit                   Jetzt kamen viele kulturinteressierte
kommen. Heute, 16 Jahre später, wollten            ihrem Frauenbund bietet sie darum                   Menschen in das Dorf. Oft ließen sie
wir herausfinden, wie sich das Leben im            einmal in der Woche eine Bastelstunde               sich von Theodor Fontane inspirieren,
Ortsteil Karwe anfühlt.                            für Kinder an. Und gerade hat sie an                der den Gutspark „seiner Länge nach
                                                   der Dorfstraße einen Bücherstand auf-               passiert“ und dann das Kesebecksche
                                                   gebaut: „Bücher sollte man nicht weg-               Herrenhaus beschrieben hat. Krafft
„Die Karwer fühlen sich bei Neurup-                werfen.“                                            von dem Knesebeck wollte schon lange
pin nicht schlecht aufgehoben“, denkt                                                                  den historischen Gutspark wiederher-
Heidemarie Petruschke. Sie selbst hät-             Krafft von dem Knesebeck ist Vorsit-                stellen. 2010 hatten Gartenarchitektur-
te ein eigenes Amt besser gefunden,                zender des Parkvereins. Der Nachfah-                Studenten dort Reste von Steinbänken
aber Wustrau-Altfriesack ließ sich von             re des berühmten Adelsgeschlechts                   und die ältesten Baumgruppen loka-
Fehrbellin werben. Für ein eigenes                 kam 1990 in die Gemeinde und hat                    lisiert. Danach bestimmten sie die
Seegemeinden-Amt war Einwohner-                    Teile des früheren Familienbesitzes                 früheren Sichtachsen. 2017 ließ der
zahl danach zu gering. Heidemarie Pe-              zurückgekauft. Er wohnt in einem                    Verein mit Hilfe von Spendengeld und
truschke kam als Flüchtlingskind nach              ausgebauten Pferdestall. Das Schloss                EU-Fördermitteln Wege anlegen und
Karwe. Sie wurde Lehrerin und unter-               wurde 1983 abgerissen, nachdem es                   die Sichtachsen wiederherstellen. 2019
richtete bis 1971 in der Grundschule,              viele Jahre leer stand und verfiel. Die             konnte der Park zusammen mit der
die im Knesebeckschen Schloss unter-               Rückkehr der Familie Knesebeck hatte                Ausstellung „Fontane trifft Knesebeck“

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eröffnet werden, 4000 Gäste sahen die
Ausstellung im Fontanejahr. „Im Park-
verein treffen Menschen aufeinander,
die sich sonst wahrscheinlich nie be-
gegnet wären. Manche geben Geld,
andere legen Hand an“, sagt von dem
Knesebeck. Das Miteinander von Stadt
und Land, Ost und West funktioniert.
Er erinnert an die Urbanisierung beim
Alten Fritz und sagt: „Zuzug hat immer
dazu geführt, dass Entwicklung er-
folgt. Eine Provinz ohne Zuzug ist zum
Sterben verurteilt“.

„Die Menschen ziehen her, weil Kar-
we am See liegt und wir noch eine
Gaststätte haben“, sagt der Orts-         Krafft von dem Knesebeck ist Vorsitzender des Parkvereins.
beiratsvorsitzende Siegfried Pieper.
Als Gemeindeplaner hat er ab 1990
die     Flächennutzungsplankonzepte
für Karwe, Lichtenberg, Gnewikow,
Nietwerder und Radensleben erstellt.
„Damals war es das Wichtigste, Eigen-
tumsfragen zu klären und in Karwe
Gewerbeflächen für Handwerker aus-
zuweisen. Danach erfolgte die In-
standsetzung und Modernisierung
vieler Häuser und Dächer“, berichtet
Pieper. Er selbst war von der Umge-
bung so begeistert, dass er einige Jah-
re später seinen ersten Wohnsitz in
Westberlin aufgab und herzog. 1999
wurde er als Ortsbeirats-Vorsitzender
gewählt. Karwe hat heute keine Land-
wirtschaft mehr. Die Menschen orien-
tieren sich Richtung Stadt, sie fahren    Heidemarie Petruschke leitet eine Frauengruppe.
dorthin zur Arbeit und zur Schule. 85
Prozent der Karwer Haushalte hat ein
Auto oder sogar zwei. „Natürlich sind
die Vereine gut für das Gemeindele-
ben. Aber auch dort fehlen die Jungen
und das Mittelalter“, sagt Pieper. Bei
den Ortsbeiratssitzungen funktioniert
das Dorfleben: Der Beirat hat zwar
nur drei Mitglieder, aber mindestens
50 Gäste kommen zu den Sitzungen.
„Wir bilden uns zu allem eine Mei-
nung und bringen sie in Neuruppin
an. Wenn 80 Prozent der Menschen
in der Stadt wohnen, geht dort der
Großteil des Geldes hin. Soweit klar.
Aber für den Ortsteil sind sinnstiften-
de Dinge wichtig: Kurze Wege für die
Kinder, die Kirche und die Kneipe so-
wie das Dorfgemeinschaftshaus.“           Dr. Siegfried Pieper ist der Ortsbeiratsvorsitzende.

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30 Jahre freie Entwicklung

EIN WORT GERÄT IN
VERGESSENHEIT
An der Stadtmauer, hinter der Klosterkir-
che, gibt es eine unscheinbare Tafel. Sie
ist leicht zu übersehen und die Schrift ist
klein, doch der Inhalt war bedeutsam.
Baudezernent Arne Krohn erläutert: „Die
Neuruppiner Erklärung vom 28. Mai 1991
ist die Grundlage für die Denkmalförde-
rung. Damit konnten wir unsere Altstadt
vor weiterem Verfall retten – so wie noch
weitere 300 Städte mit historischen
Stadtkernen in Ostdeutschland.“

Ein paar hundert Meter weiter, in der
Poststraße 31, betrieb Marco Leppin
zu dieser Zeit einen Kiosk. Der ge-             Dieter Exner und Mario Leppin in der Ausstellung Altes Handwerk in Neuruppin.
lernte Baufacharbeiter hatte das Haus
1987 für 16 000 DDR-Markt von seiner
Mutter gekauft und selbst renoviert.
1990 kündigte der damals 22-Jährige
seine Anstellung und eröffnete einen
Imbiss in einer leerstehenden Erdge-
schosswohnung. Daraus wurde eine
Lebensaufgabe. Marco Leppin brach-
te in seinen neuen Beruf als Gastwirt
handwerkliches Geschick und Liebe
für seine Heimatstadt ein. Er baute
den Imbiss Schritt für Schritt aus, so
dass sein Restaurant Klosterhof heute
vier Häuser und einen beachtlichen
Biergarten umfasst. Eines der Häuser
gehörte dem Tischlermeister Erhard
Becker, der 2009 gestorben ist. Das
war einer der letzten Handwerker im             Dieter Exner führt durch „seine“ Poststraße.
Viertel, berichtet Marco Leppin.
                                              In der Poststraße waren Gastwirte und             unten, bei den Fachwerkbauten, konn-
Der Gastwirt hat aus der Tischlerwerk-        Lebensmittelläden, Bäcker, Schuh-                 ten wir den Verfall nicht aufhalten.“ Zu
statt ein Event-Museum gemacht, dort          macher, Ofensetzer und eine Bettfe-               dieser Zeit hieß die Gegend Nachtja-
trifft sich regelmäßig der Stammtisch         dernreinigung. „Von denen ist keiner              ckenviertel. Keiner wollte dort hinzie-
Neuuppiner Geschichte, der        eine        reich gewesen. In der ganzen Stadt gab            hen, viele Häuser standen leer. Auch
Ausstellung über das Handwerk im              es so viele Gewerke, manchmal bis in              bei den privaten Hausbesitzern reich-
Quartier gestaltet hat. Der 88-jährige        die 1990er Jahre hinein, erinnert sich            ten die Mieteinnahmen nicht, um die
Dieter Exner hat daran mitgearbeitet.         Exner. „Und auf den Höfen befanden                Gebäude zu erhalten. Heute sind die
Gemeinsam schauen sich Marco Lep-             sich Karnickelställe, Kohlenschuppen,             unsanierten Häuser selten geworden.
pin und Dieter Exner eine Neuruppin-          Waschküchen und Klohäuschen.” Die-                Dieter Exner zeigt auf ein eingerüs-
Karte mit vielen farbigen Punkten an.         ter Exner ist gebürtiger Neuruppiner              tetes Fachwerkhaus und sagt: „Jetzt
Jeder Punkt ist steht für ein Gewerbe,        und war von 1974 bis 1986 Direktor                werden sogar Gebäude angefasst, die
die Farbe kennzeichnet die Branche.           der KWV. Rückblickend sagt er: „Hier              50 Jahren leer standen.

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