Viertel jahrs schrift - 3 | 2022 Jahrgang 167 - NGZH
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Viertel jahrs 3 | 2022 schrift Jahrgang 167 der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich NGZH 4 Naturoase statt In Tössriederen bei Eglisau konnte ein neues Naturschutzgebiet geschaffen Öltanklager werden, das seltenen Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten wird.
E DI T O R I A L Brief des Präsidenten Am 4. Juli fand die Hauptversammlung in der EAWAG in Dübendorf statt. Trotz der interes- santen Führung durch Forschungsanlagen und das Raumklimasystem des Institutes befanden sich ausser dem Vorstand nur 7 Mitglieder der NGZH (1,5 Prozent) unter den Besucherinnen und Besuchern. Für mich bedeutet dieses ver- schwindend kleine Interesse, dass wir eine neue Form der statuarisch obligatorischen Ver- anstaltung finden sollten. Anbieten würde sich eine Kombination der Hauptversammlung mit einem Vortrag oder man könnte sie als eigenständige Online-Ver- anstaltung organisieren. Gerne würde ich Re- Andri Bryner von der EAWAG (Mitte) erklärt aktionen der Mitglieder auf diese Vorschläge den Vorstandsmitgliedern René Oetterli und erhalten. Rita Gobet im Anschluss an die Hauptver- sammlung Forschungsanlagen im gekühlten Mit Podcasts neue Menschen ansprechen Kellergeschoss der EAWAG. (Bild Fritz An der Vorstandsitzung vom 24. August konnte Gassmann) der Social-Media-Beauftragte René Oetterli mitteilen, dass unsere Gesellschaft von der SCNAT einen ausserordentlichen Zusatzkredit gemacht haben. Es ist deshalb wichtig, dass von Fr. 8000 zugesprochen bekam für ein Pro- wir von allen Mitgliedern, die an den Vorträgen jekt «Wissenschaftliche NGZH Podcasts». teilnehmen möchten, eine Email-Adresse be- Lesen Sie den Bericht über die neue Ini- kommen an sekretariat@ngzh.ch. tiative in diesem Heft auf Seite 19. Da diese Diejenigen Mitglieder, die bereits früher Form der Kommunikation nachweislich bei der Vortragseinladungen per Email erhalten ha- jungen Generation ankommt, ist auch die ben, brauchen sich nicht neu anzumelden. SCNAT interessiert an den Erfahrungen, die Wir hoffen, durch eine Verknüpfung von Vor- wir mit diesem neuen Gefäss machen werden. trägen und Podcasts insbesondere bei den Wir sind zudem in Kontakt mit der Aar- Online-Vorträgen viele junge Teilnehmende gauischen Naturforschenden Gesellschaft zu gewinnen. (ANG), die 2020 acht Episoden eines Pod- Fritz Gassmann casts «andersch kompliziert!?» produziert hat. Wenn Sie Beispiele hören möchten, gehen Sie auf www.ang.ch und suchen Sie den Link zu den ANG Podcasts auf Spotify. Vorträge online und onsite Der Vorstand hat an derselben Sitzung dem Entwurf der Vortragsreihe 2022 zugestimmt, die in diesem Heft auf Seite 18 vorgestellt wird. Alle Vorträge (ob onsite oder online) werden Naturforschende eine Woche zum voraus via Email angekündigt, Gesellschaft in Zürich wie wir dies in der vergangenen Vortragsreihe www.ngzh.ch
FO R S C H U N G BU L L E T I N — A KT U E L L — VO RT R AG S R E I H E 18 Ein flexibles Programm, das Raum 4 Eine neue für Aktuelles schafft Naturoase — PODCASTS 19 Ein neuer NGZH-Kanal für Junge 8 Ein grosszügiges Legat für den und Junggebliebene Naturschutz — BU C H BE S P R E C H U N G — P H yS I K I M A L LTAG 20 Drei prägende Figuren für den Naturschutz 10 Fraktale Dimensionen − Bedeutung und Anwendungen 22 IMPRESSUM — DA S E x P E R I M E N T 14 Ein Grundpfeiler wissenschaftlicher 23 AG E N DA Methodik — A S T RO N O M I E 17 Die hohen Erwartungen werden erfüllt AU S D E M A RC H I V Die NGZH verfügt über ein reichhaltiges Archiv an interessanten Publikationen, die im Laufe ihrer langen Geschichte veröffentlicht wurden. Das umfangreiche Material ist auf unserer Webseite frei zugänglich. Alle Dokumente und auch die Aufzeichnungen der Online-Vorträge vom letzten Winter finden sich unter: www.ngzh.ch/publikationen Titelbild: Der nördliche Bereich des gut 4 Hektaren grossen Grundstücks in Tössriederen konnte 2021 aufgewertet werden. Der südliche, direkt vom Tanklager betroffene Bereich (grüne Hangfläche links im Bild) wurde bereits 2019 aufgewertet. (Bild: Beat Hauenstein / naturfotograf.ch)
4 FO R S C H U N G — A ktuell Naturoase statt Öltanklager Das Öltanklager in Tössriederen bei stoffreiche Oberboden abgeführt wurde, statt wie- Eglisau ist Geschichte. 2018 bis 2019 der auf der Fläche verteilt zu werden. wurde es von den Betreibern rückge- baut. Pro Natura Zürich packte die Magerwiesen und Kleingewässer Chance, das gut vier Hektaren grosse Der nun magere Boden wurde mit artenreichem Areal direkt am Rhein zu erwerben Schnittgut aus der Region begrünt, so dass vielfäl- und ökologisch aufzuwerten. Nun füllt tige trockene und feuchte Magerwiesen entstehen sich das neue Naturschutzgebiet mit können. Sie sind ein Hotspot für unzählige Insek- Leben. ten, Vögel und Pflanzen. Besonders seltene und be- drohte Pflanzenarten wurden von Hand eingesät Um die Landesversorgung mit Treib- und Brenn- und einzelne gar angepflanzt. stoffen zu sichern, liess Migros-Gründer Gottlieb Zum erworbenen Grundstück gehört auch Duttweiler in den 1950er-Jahren am Rhein bei Eg- ein nördlicher Teil, der bis anhin als Weide genutzt lisau ein riesiges Tanklager errichten: Knapp 200 wurde. 2021 konnte Pro Natura Zürich auch diesen Tanks mit einem Volumen zwischen 150 und 600 Bereich aufwerten: Neben trockenen und feuchten Kubikmetern wurden in den Boden verlegt. Um das Magerwiesen entstanden Gewässer für Amphibien, Areal vor allfälligen Bombardierungen aus der Luft Libellen und weitere seltene Arten, welche auf die- zu schützen, wurde es zusätzlich mit den zu der Zeitse heute raren Lebensräume angewiesen sind. beliebten Exoten wie Kaukasischer Flügelnuss (Pte- rocarya fraxinifolia) und Essigbäumen (Rhus typhi- Aufwändige Bauarbeiten na) parkähnlich begrünt. Selbst ein Sprenghaus Für die Aufwertungsarbeiten waren wir auf trockene stand bereit, damit im Falle einer Invasion das La- Bedingungen angewiesen. Wegen der häufigen Nie- ger nicht dem Feind überlassen werden musste. derschläge im Sommer 2021 mussten die Bauarbeiten häufig unterbrochen werden; insgesamt dauerten sie Grosses Altlastenrisiko letztlich knapp vier Monate. Mehrere 1000 Kubikme- Der Standort direkt am Flussufer wurde bewusst ter des früher aufgefüllten Bodens wurden abgetra- gewählt. In den 1950er-Jahren bestanden Pläne, gen, damit auch in diesem Bereich magere Bedingun- den Rhein bis zum Bodensee schiffbar zu machen. gen entstehen konnten. Um die Lastwagenfahrten Eglisau sollte zum Rheinhafen von Zürich werden. durch Tössriederen zu reduzieren, verwendeten wir Doch dazu kam es nie: Die Tanks wurden bis in die das Material möglichst wieder vor Ort: Mit den Wur- 1970er-Jahre von Lastwagen aus befüllt – danach zeln und Steinen haben wir Strukturen für Kleintiere blieben sie leer, weil die Anlage nicht rentierte und geschaffen und mit dem Lehm den Teich abgedich- sich der beim Bau erwartete Versorgungsengpass tet. Den nährstoffreichen Oberboden haben wir auf nicht abzeichnete. einem angrenzenden Acker ausgebracht und so wie- Die Tanks blieben jedoch im Boden und bil- der der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt. deten ein beträchtliches Altlastenrisiko. Vor rund vier Jahren einigten sich der Kanton, die Gemeinde, Magerwiesen sind selten geworden die Migrol AG und der zwischenzeitliche Grundei- Magerwiesen gehören zu den artenreichsten Le- gentümer auf einen Totalrückbau. Dieser war be- bensräumen der Schweiz. Auf einem Quadratme- reits weit fortgeschritten, als Pro Natura Zürich als ter können über 50 Pflanzenarten vorkommen. Käuferin ins Spiel kam. Dank eines Legats an die Deshalb erstaunt es nicht, dass sie ein wahres Pa- Akademie der Naturwissenschaften Schweiz radies für unzählige Tiere wie Heuschrecken, (SCNAT), das diese grosszügigerweise zur Verfü- Schmetterlinge, Käfer und Spinnen sind. Mager- gung gestellt hat, konnte Pro Natura Zürich das wiesen sind in der Schweiz rar geworden, weswe- Grundstück erwerben (Details dazu finden sich im gen viele Arten, die auf diesen Lebensraum ange- Bericht von Rolf Rutishauser auf S. 8). Pro Natura wiesen sind, heute ebenfalls selten oder gar bedroht Zürich konnte gerade noch erwirken, dasss der nähr- sind. Damit die Wiesen mager bleiben, ist es wich-
5 Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH Oben: Tagsüber dösen Laubfrösche gerne auf Hochstauden oder Sträuchern. Die seltenen Amphibien bekommen in Tössriederen nun ein neues Habitat.(Bild: Barbara Leuthold) Unten: Die Gelbbauchunke hat die neuen Möglichkeiten in Tössriederen schnell für sich entdeckt. Sie hat einen auffälligen Bauch, doch von oben ist sie gut getarnt. (Bild: Pro Natura) tig, dass sie regelmässig gemäht werden und das serinsekten und keine Fische entwickeln, die gerne Schnittgut abgeführt wird. Idealerweise geschieht Laich und Kaulquappen fressen. Aus diesem Grund diese Pflege gestaffelt, so dass immer Altgras als haben wir beim Teich einen Ablass gebaut, über den Deckung, Nahrung und Fortpflanzungsstätte für das Gewässer im Herbst entleert werden kann. die Bewohner vorhanden ist. Tierische Überraschung Lebensraum für den Laubfrosch Der Baggerführer staunte nicht schlecht, als sich in Mit dem grossen Teich entstand ein ideales Fort- einer kleinen Sondiergrube, die während der Bauar- pflanzungsgewässer für den Laubfrosch (Hyla arbo- beiten angelegt worden war, innert weniger Tage rea). Dieser gilt in der Schweiz als stark gefährdet. Gelbbauchunken (Bombina variegata) einfanden. Hauptgrund ist neben der Zerschneidung der Land- Diese Amphibienart gilt in der Schweiz als gefähr- schaft durch Strassen und Siedlungen das Verschwin- det; ihre Bestände sind besonders im letzten Viertel- den von geeigneten Laichgewässern. Diese sollten jahrhundert stark zurückgegangen. Weil sich die regelmässig über die Wintermonate trockenfallen. wassergefüllte Grube an ungünstiger Lage befand, Dadurch können sich in den Gewässern wenig Was- wurde am Waldrand ein geeignetes Unkengewässer
6 FO R S C H U N G — A ktuell Der Laubibach wurde aus seiner Betonhalbschale befreit und fliesst neu geschwungen durch das Gelände. (Bild: Beat Hauenstein / naturfotograf.ch) angelegt, das von den Tieren auch sofort sehr gut Sträucher für die Biodiversität angenommen wurde. Bereits im letzten Sommer Von Hecken können viele Arten profitieren: Vögel konnten sich im neuen Gewässer viele hundert klei- finden in ihnen Nahrung, Deckung und Nistmög- ne Unken entwickeln. lichkeiten, und viele Insekten wie Wildbienen und Schmetterlinge saugen gerne an den Blüten der Strukturen für Reptilien Sträucher. Einige Schmetterlingsarten legen ihre Erst vor wenigen Jahren haben umfangreiche mor- Eier ausschliesslich auf bestimmten Heckensträu- phologische und genetische Untersuchen ergeben, chern ab. Aber auch der Laubfrosch schätzt diese dass in der Schweiz zwei Arten der Ringelnatter Strukturen. Er kann dank seinen Haftballen an Fin- vorkommen: Neben der Barrenringelnatter (Natrix gern und Zehen ausgezeichnet klettern und lebt helvetica), welche den grössten Teil der Schweiz gerne auf Gehölzen. Aus diesen Gründen pflanzten besiedelt, kommt im Nordosten des Landes die wir im Gebiet einige Hecken. Unterstützt wurden Nördliche Ringelnatter (Natrix natrix) vor. Diese wir dabei von tatkräftigen Schülerinnen und Schü- beiden Arten wurden bis anhin lediglich als Unter- lern aus Eglisau. arten unterschieden. Dass wir es im neuen Naturschutzgebiet mit Aufforstung ist Pflicht der selteneren und stärker bedrohten Nördlichen Weil das Areal in den letzten Jahrzehnten nicht un- Ringelnatter zu tun haben, konnte ein Fund bei den terhalten wurde, konnte sich auf knapp einer Hek- Vorbereitungen der Bauarbeiten bestätigen. Selbst- tare Wald ausbreiten. Für den Rückbau der unter- verständlich wollen wir auch dem Vorkommen die- irdischen Tanks wurde dieser gerodet. Mit der ser Art gerecht werden. So wurden aus Wurzelstö- Übernahme des Grundstücks hat Pro Natura Zü- cken grosse Aufwärm- und Versteckplätze gebaut rich auch die Pflicht übernommen, diesen Wald und mit dem anfallenden Schnittgut sollen Eiabla- wieder aufzuforsten. geplätze geschaffen werden. Zusätzlich haben wir Vertiefte Gespräche mit der Abteilung Wald zwei mehrere Quadratmeter grosse unterirdische des Kantons haben ergeben, dass ein Rodungsge- Steinstrukturen gebaut, welche auch als Sonnen- such – dieses wäre nötig, um auf die Wiederauf- und Überwinterungsplätze für die im Gebiet vor- forstung zu verzichten – nicht bewilligt würde. Auch kommende Zauneidechse (Lacerta agilis) dienen. verschiedene Vorschläge für weitere Ersatzmass-
7 Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH Der neu erstellte Weiher kann dank eines Grundablasses im Winter geleert werden. (Bild: Beat Hauenstein / naturfotograf.ch) nahmen lehnte der Kanton ab. Entsprechend wird angrenzenden Wander- und Veloweges ist das Pro Natura Zürich diesen Herbst dieser Pflicht Schutzgebiet gut erreichbar. nachkommen. Geplant ist ein lichter Föhrenbe- stand mit einer reduzierten artenreichen Strauch- schicht und einem breiten Übergangsbereich von Entwicklung braucht Zeit Magerwiese zu Wald. Die Gelbbauchunke ist eine typische Pionierart. So besiedelt sie bevorzugt neu entstandene, noch ve- Angepasste Pflege getationsarme Lebensräume und Gewässer, welche Damit sich das Gebiet optimal entwickeln kann, ist in diesem Stadium für die meisten anderen Pflan- insbesondere in der Anfangszeit aber auch in Zu- zen- und Tierarten noch nicht attraktiv sind. Dabei kunft eine den Zielarten angepasste Pflege notwen- können insbesondere die Jungtiere für die Besied- dig. Neben der gestaffelten Mahd müssen auch die lung neuer Gewässer weite Distanzen zurücklegen. Gewässer und die weiteren geschaffenen Strukturen Ausgewachsene Tiere hingegen können auch über unterhalten werden. Auch Neophyten und Proble- mehrere Jahre ohne Fortpflanzungserfolg an einem marten wie Brombeeren müssen regelmässig gejä- Standort verharren und auf das Entstehen eines tet werden. Neben dem eigenen Grundstück be- neuen geeigneten Gewässers warten. Bei vielen an- rücksichtigen wir dabei auch angrenzende Flächen. deren Arten dauert der Besiedlungsprozess hinge- So wächst im nahen Wald nach wie vor die Kauka- gen etwas länger. So wird es auch bei den Wiesen sische Flügelnuss und auch der Sommerflieder einige Jahre dauern, bis sie sich entwickelt haben. (Buddleja davidii) und der Essigbaum sind weit ver- Die Bedingungen sind so geschaffen, dass in eini- breitet. gen Jahren auch Orchideen gedeihen können. Und natürlich hofft Pro Natura Zürich, dass dann bei Der Mensch ist willkommen Abendspaziergängen dem Konzert des Laubfroschs Die Wege entlang des Rheins sind ein wichtiger Er- gelauscht werden kann. holungsraum für den Menschen. Dem wollten wir Nora Hug Rechnung tragen: Wir haben deshalb einen Tram- Die Autorin ist Schutzgebietsverantwortliche bei pelpfad erstellt, der einen guten Einblick in die neu Pro Natura Zürich. geschaffenen Lebensräume ermöglicht. Dank des
8 FO R S C H U N G — A ktuell Ein grosszügiges Legat für den Naturschutz In Nora Hugs Bericht Naturoase statt Öltanklager fin- Erwerb des Tössriederen-Areals einzusetzen und es det sich auf Seite 4 der Satz: «Dank eines Legats an Pro Natura zu schenken. die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz Wichtige Geländearbeiten des nun der Pro (SCNAT), das diese grosszügigerweise zur Verfügung Natura Zürich gehörenden Gebiets wurden unter gestellt hat, konnte Pro Natura Zürich das Grundstück der Leitung von Pro Natura Zürich und Andreas Keel erwerben.» ausgeführt. Nora Hugs Bericht Naturoase statt Öltan- Wer steckt hinter dem geheimnisvollen klager zeigt, dass das ehemalige Tanklager auf dem SCNAT-Legat? Wie kam es dazu, dass dieses SCNAT- besten Weg ist, zu einem Naturschutzgebiet zu wer- Legat für den Kauf und die biologische Aufwertung den. Wie lange es dauern wird, bis sich auf dem Are- des ehemaligen Migrol-Tanklagers am Rhein bei al am Rheinhang bei Tössriederen die seltenen Ar- Eglisau verwendet wurde? Und weshalb erscheint ten dauerhaft angesiedelt haben, wird die Zukunft dieser Bericht überhaupt in den Vierteljahrsschrif- weisen. ten der NGZH? Um einen Eindruck vom Pionierstadium der Die naturliebende Frau Rosa Helene Kaiser Vegetation zu erhalten, traf sich die Helene-Kaiser- geb. Frey, von Zürich und Eglisau ZH, geboren am 15. Kommission ein letztes Mal im April 2022 auf dem Januar 1914, gestorben am 20. Dezember 2014, ver- aufgewerteten Tössriederen-Areal. Weitere floris- machte eine halbe Million Franken als Legat der Aka- tische und faunistische Eindrücke vor Ort stammen demie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT). von einer gemeinsamen Begehung Mitte Juni 2022 Dem Wunsch der Verstorbenen entsprechend sollten durch Stefan Ungricht (Vizepräsident NGZH), zu- mit dem Legat im Raum Eglisau eines oder mehrere sammen mit Andreas Keel, seiner Mitarbeiterin Naturschutzprojekte gefördert werden. Christine Tanner und mir. Zur Evaluation passender Naturschutzpro- Rolf Rutishauser jekte wurde unter SCNAT-Leitung die sogenannte Der Autor war Vertreter der NGZH in der nun auf- gelösten Helene-Kaiser-Kommission Helene-Kaiser-Kommission geschaffen. Ehrenamt- lich arbeiteten darin Vertreter von SCNAT, NGZH, Vogelwarte Sempach und Pro Natura Zürich mit. Als Kommissionspräsident amtete Stefan Eggen- berg, der Direktor von Info Flora. Schon früh wurde als Berater Andreas Keel vom Ökobüro Aceras angefragt, bei der Evaluation mitzuwirken. Er wusste von der bereits laufenden Sanierung des unterirdischen Migrol-Öltanklagers in Eglisau-Tössriederen, einem 4 Hektaren grossen Areal direkt am Rhein. Auf Keels Anraten kam die Helene-Kaiser-Kommission zum Schluss, dass das Legat für den Kauf und die biologische Aufwertung dieses Areals zu verwenden sei. Bei der Begehung im Juni 2022 zeigt sich, dass sich auf dem aufgewerteten Areal Tössriederen Es folgten Sitzungen mit Vertretern von Mi- bereits eine vielfältige Fauna und Flora etabliert grol sowie mit Gemeindevertretern von Eglisau. hat: 1) Kurzschwänziger Bläuling (Cupido argiades) Dazu kamen Verhandlungen mit kantonalen Äm- auf Wiesenschotenklee; 2) Grosse Pechlibelle (Ischnura elegans); 3) Fuchs-Segge (Carex vulpina); tern und mit dem zwischenzeitlichen Besitzer des 4) Männchen des Südlichen Blaupfeils (Orthetrum Geländes, einem Architekten, der es vor Jahren der brunneum); 5) Winzling des Kleinen Tausendgülden- Migrol abgekauft hatte und deshalb auch entschä- krauts (Centaurium pulchellum); 6) Andreas Keel (l.) und Stefan Ungricht bei der Besichtigung des digt werden wollte. Daraufhin entschied der SCNAT- Terrains; 7) Lauchschrecke (Mecostethus para- Vorstand bewusst, das Helene-Kaiser-Legat zum pleurus). (Bilder: A. Keel, C. Tanner, R. Rutishauser)
10 FO R S C H U N G — P h ysik im A lltag Fraktale Dimensionen − Bedeutung und Anwendungen Wie lang ist die Küste des Zürichsees? derweise auch die Dimension einer Kante der Bo- Die Antwort auf diese banal erschei- denplatte korrekt wieder. Um die Kantenlinie mit nende Frage eröffnete in den 1960er- denselben Quadraten zuzudecken, brauchen wir Jahren eine neuartige Beschreibung N = 1, 2, 4 und 8 Quadrate, deren Kanten k = 1, 2, 4 von Strukturen in den Naturwissen- und 8 mal kleiner sind als diejenigen der Bodenplat- schaften wie auch in der Medizin. Der te. Die Dimension wird nun offensichtlich D = 1 und folgende Artikel beschreibt die Verall- stimmt mit unseren Erwartungen überein. gemeinerung des Dimensionsbegriffs Testen wir noch die Dimension eines Eckpunk- von ganzen auf gebrochene Zahlen und tes der Bodenplatte. Unabhängig von der Grösse der zeigt Beispiele für deren Verwendbar- Quadrate brauchen wir nur N = 1 Quadrat, um den keit in der Botanik und der Physik. Punkt zuzudecken. Der einzige Exponent D, der für alle k zu N = 1 führt, ist D = 0, was ebenfalls korrekt Das Problem bei der Messung der Küstenlinie des ist. Diese Methode funktioniert auch für jede höhere Zürichsees liegt beim verwendeten Massstab. Misst Dimension als 2 und wird in der Wissenschaft als man die Länge der Küstenlinie auf einer Karte «box counting method» bezeichnet. 1:100 000 mit einem ein Zentimeter langen Stück eines Zündholzes, wird man eine Länge in Kilome- Die Kochsche Monsterkurve tern erhalten. Mit 1:25 000er-Karten wird man mit Der schwedische Mathematiker Helge von Koch demselben Zündholzstück jedoch eine grössere Ge- hat 1904 eine überall stetige aber nirgendwo dif- samtlänge messen, da auch viermal kleinere Buchten ferenzierbare Kurve vorgestellt. Ohne es zu wissen, berücksichtigt werden. Mit Hilfe von Satellitenbil- hat er damit eines der ersten fraktalen Objekte be- dern würde die Küstenlänge nochmals wesentlich schrieben. Es handelt sich um die folgende itera- grösser, weil nun Strukturen von etwa einem Meter tive Konstruktionsanleitung: Eine beliebige Stre- Durchmesser sichtbar sind. Zu noch kleineren Mass- cke (Abb. 1a) wird in drei Teilstücke geteilt und das stäben kann man bei Seen nicht gehen, weil Wellen mittlere Teilstück (Abb. 1b) wird danach durch zwei die Küstenlänge dauernd verändern würden. Die gleiche Teilstücke ersetzt, sodass eine Zacke ent- Frage lautet nun, wie man eine Dimension definie- steht (Abb 1c). ren könnte, die beliebigen Massstäben zwischen 1000 Beim nächsten Schritt wird dasselbe Verfah- und 1 Meter gerecht würde. ren auf die nun vier Teilstrecken angewendet. Bei jedem Iterationsschritt wird die Gesamtlänge der Li- Eigenschaften von glatten Strukturen Betrachten wir eine quadratische Bodenplatte mit 40 cm Kantenlänge und fragen uns, wieviele Papier- quadrate mit Kantenlängen von 40, 20, 10 und 5 cm es brauchen würde, um die Bodenplatte vollständig zuzudecken. Offensichtlich wären diese Zahlen N = 1, 4, 16, 64 für Quadrate mit Kantenlängen, die k = 1, 2, 4 und 8 mal kleiner sind als diejenigen der Boden- platte. Die Beziehung zwischen N und k lautet also N = kD mit D = 2. Wir definieren nun D als Dimensi- Abb. 1: Erster Iterationsschritt zur Konstruktion on der Fläche der Bodenplatte, die mit der intuitiv einer Koch Kurve. Nach unendlich vielen erwarteten Dimension übereinstimmt. Schritten befände sich eine Spitze an jeder Stelle, die Kurve wäre also nirgends differenzier- Interessant ist jedoch, dass wir die obige bar. Ihre Länge innerhalb der hellblauen Fläche Relation nach D auflösen können mit dem Resultat wäre unendlich gross und ihre fraktale Dimension D = Log N / Log k. Diese Formel gibt überraschen- betrüge 1,2619… (Bild: F. Gassmann)
11 Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH Abb. 2: Schwarz-Weiss-Scan eines Farnblattes und Resultat der «box counting method» mit k = 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512. Die Anzahl N(k) Quadrate, die zur vollständigen Abdeckung nötig sind, ergibt doppelt logarithmisch dargestellt fast exakt eine Gerade mit Steigung 3,79/2,11 = 1,8. Dies ist die fraktale Dimension der Umrisslinie des Blattes. Dabei ist 2,11 = Log(128) und 3,79 = Log(6119). Eine Verkleinerung der Kantenlän- ge der Quadrate um den Faktor k = 128 hat bewirkt, dass N(k) = 6119 Quadrate zur Abdeckung nötig wurden und nicht nur 128 wie im Falle einer geraden Linie mit Dimension D=1. (Bild und Rechnung: F. Gassmann) nie um den Faktor 4/3 grösser und nach unendlich Umrisslinie von Farnkraut vielen Schritten wird sie unendlich lang. Eine unend- Stellvertretend für sehr viele natürliche Strukturen, lich lange Linie innerhalb des hellblauen Rechtecks wie beispielsweise diejenigen von Broccoli, Schnee- (Abb. 1c) wurde vor gut einem Jahrhundert als Mons- flocken, Salzkristallen oder Staubpartikeln, betrach- ter empfunden. ten wir Farnkraut aus dem Garten des Autors. Der Mathematiker Benoît Mandelbrot hat Abb. 2 zeigt ein typisches Exemplar, dessen für solche Gebilde 1975 den Begriff Fraktale ein- Umrissdimension mit Hilfe der «box counting me- geführt, der Bezug nimmt auf deren gebrochene thod» bestimmt wurde. Dazu wurde das Farnkraut Dimensionen. Für die Koch Kurve ergibt sich eine mit Hilfe eines Scanners in ein hochaufgelöstes Dimension analog der obigen Definition zu D = Schwarz-Weiss Computerbild (ohne Grautöne) um- Log 4 / Log 3 = 1,2619…, die zwischen der üblichen gewandelt, das hernach durch ein entsprechendes Dimension einer Linie und derjenigen einer Fläche Programm mit immer kleineren Quadraten abge- liegt. deckt wurde. Die Funktion N(k) ist in doppelt loga- Die fraktale Dimension der Koch Kurve kann rithmischer Darstellung im untersuchten Intervall genau bestimmt werden, weil es sich um eine streng zwischen etwa 200 mm (Blattdurchmesser, k = 1) selbstähnliche Struktur handelt, d.h. dieselbe Za- und 0,4 mm (29 = 512 mal kleinere Kantenlänge, k = cke erscheint in immer kleinerer Ausführung un- 9) fast perfekt linear. Die Steigung dieser Geraden endlich oft. Auch die «box counting method» ergä- beträgt 1,8 und wird als fraktale Dimension der Um- be dasselbe Resultat, allerdings müsste bis zu risslinie des Blattes bezeichnet. Sie ist wesentlich enorm kleinen Quadraten gerechnet werden, um grösser als die Dimension der Koch Kurve, weil die die Genauigkeit von 4 Stellen nach dem Komma Farn-Finger im Vergleich zu den kurzen und flachen zu erreichen. Koch-Spitzen viel länger sind.
12 FO R S C H U N G — P h ysik im A lltag Abb. 3: Messung der fraktalen Dimension der Elektrodenoberfläche eines Supercaps. a) Ausschnitt von 600 mal 300 Mikrometern aus dem Querschnitt durch eine Supercap-Doppelelektrode. Der helle Streifen ist die 30 Mikrometer dicke metallische Trägerfolie, die insgesamt 0,1 m breit und 2 m lang ist. Die grüne Harzfüllung dient der Stabilisierung der empfindlichen Kohlenstoffstruktur, um sie beim Schneiden nicht zu zerstören. Anstelle der Harzfüllung dient im funktionierenden Supercap ein Salzionen enthaltendes organisches Lösungsmittel als Elektrolyt. b) Von Hand nachgezeichnete Umrisslinie der Kohlenstoffstruktur überlagert mit einem Gitter bestehend aus 16 x 8 = 128 Quadraten. Die N = 56 hellblau gefärbten Quadrate decken die Umrisslinie vollständig ab. Für dieses Beispiel ist der Verkleinerungsfaktor der Kantenlänge der Quadrate k = 11,3 (Wurzel aus 128). c) Die elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt Oberflächen-Rauhigkeit auch im Mikrometer-Massstab und stützt die Vermutung, dass sich die fraktale Dimension unverändert bis in die Nanometer-Grössenordnung fortsetzt. d) Die doppelt logarithmische Darstellung für N als Funktion von k ergibt angenähert eine Gerade mit der Steigung D = 1,6. D ist die fraktale Dimension der Kohlenstoff-Umrisslinie, D+1 diejenige der Kohlenstoff-Ober- fläche. Der mit b) markierte Punkt entspricht dem unter b) gezeigten Abdeckungs-Gitter mit 128 Quadraten. (Bild aus Gassmann et al. 2003) Grosse Oberflächen in Physik und Elektroden mit Oberflächen A und dazwischenlie- Chemie gender Isolationsschicht mit Dicke d. Seine Kapazität Oberflächen haben überragende Bedeutung zum ist C = ε0 ε A/d, wobei ε0 eine Naturkonstante ist und Beispiel bei Katalysatoren, bei der Adsorption von ε die stoffabhängige Dielektrizitätskonstante der Iso- Gasen in Gasmasken oder bei Elektroden von Batte- lationsschicht bedeutet. Die Masseinheit Farad von rien und Kondensatoren. Der Autor hat am Paul Scher- C wurde nach dem englischen Wissenschaftler Mi- rer Institut im Zusammenhang mit der Entwicklung chael Faraday (1791 - 1867) benannt und Kapazitäts- von Supercaps, d.h. Kondensatoren mit sehr grosser werte sind üblicherweise sehr kleine Zahlen, wenn Kapazität (Gassmann et al. 2003), die fraktale Dimen- A/d in Metern gemessen wird. Deshalb werden Ka- sion der Oberflächen von Elektroden untersucht. pazitäten meist in nF (nano-Farad) oder μF (mikro- In der Elektronik sind drei Arten passiver Bau- Farad) angegeben. elemente von grundlegender Bedeutung: Widerstän- Die gespeicherte Energie E = ½ C U2 ist sehr de (Masseinheit Ohm), Kondensatoren (Ladungs- klein und beträgt selbst für einen grossen Konden- speicher, Kapazität mit Masseinheit Farad) und sator mit C = 8000 μF bei einer angelegten Spannung Induktivitäten (meist Spulen, Induktivität mit Mass- U = 2,5 Volt nur 0,025 Ws (Wattsekunden oder Joule). einheit Henry). Ein Kondensator besteht aus zwei Mit dieser Energie könnte man eine Masse von 1 kg
13 Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH nur um 2,5 Millimeter anheben oder eine 2,5 Watt Diese Spezifikationen erlauben interessante Anwen- LED-Lampe während einer Hundertstelsekunde zum dungen in vielen technischen Bereichen wie Netz- Leuchten bringen. stabilisatoren, Überbrückung zwischen Netzausfall Als Energie-Zwischenspeicher zur Überbrü- und Inbetriebnahme von Notstromaggregaten, Glät- ckung von Netz-Spannungsschwankungen oder tung von Stromspitzen, die beim Anfahren grosser für Leistungsreserven in Elektroautos kommen Elektromotoren entstehen, Rekuperierung von Brems- herkömmliche Kondensatoren deshalb nicht in energie oder Bereitstellung von Zusatzschub in Elek- Frage. trofahrzeugen, etc. Bei den die Kapazität bestimmenden Para- metern ε und d sind bei herkömmlichen Elektrolyt- Schlussbetrachtung kondensatoren keine wesentlichen Optimierungen Der vorliegende Artikel gibt die Grundidee einer mehr möglich. Einzig bei der Elektrodenfläche A komplizierten mathematischen Konstruktion mit können durch den Übergang auf fraktale Oberflä- einfach verständlichen Anwendungen. Neben der chen revolutionäre Erfolge erzielt werden. Abb. 3 gut nachvollziehbaren «box counting method» gibt es zeigt einen Querschnitt durch eine Kohlenstoff- jedoch etwa 10 weitere Dimensions-Definitionen, Elektrode und die mit Hilfe der «box counting me- die bei bestimmten Anwendungsfällen zu unter- thod» bestimmte fraktale Dimension der Umrissli- schiedlichen Resultaten führen können. Alle Metho- nie von 1,6 im Massstabs-Intervall von 600 bis etwa den liefern aber für Punkte, Geraden und Ebenen die 1 Mikrometer. Dimensionen 0, 1 und 2 und alle stimmen für kom- Da sich in diesem gegen 3 Dekaden grossen pakte exakt affin-selbstähnliche mathematische Intervall in der doppelt logarithmischen Darstellung Strukturen überein. eine fast perfekte Gerade ergab, durfte angenom- Das Konzept der fraktalen Dimension ist der- men werden, dass die fraktale Dimension von 1,6 art flexibel anwendbar, dass es heute in praktisch al- auch näherungsweise für den gesamten Bereich von len naturwissenschaftlichen Gebieten verwendet 0,1 m (Breite des 2 m langen Metallfolienstreifens, wird. In der Physik sind Anwendungen in der Astro- der die poröse Elektrodenstruktur trägt) bis zu ei- nomie, Akustik, in den Erdwissenschaften, bei me- nem Nanometer (Grösse der Mikroporen) gilt. chanischen Reibungsvorgängen oder elektrischen Der Oberflächen-Vergrösserungsfaktor des Kontaktwiderständen häufig. In der Chemie sind 0,2 m2 grossen Elektrodenstreifens ergibt sich damit Fraktale im Zusammenhang mit elektrochemischen über die 8 Zehnerpotenzen des Längenintervalls zu Prozessen, diffusionslimitierter Aggregation, Korro- 108 x 0,6 ≈ 60 000. 1 Die für die Kapazität massgeben- sionserscheinungen oder Oberflächenbeschaffen- de aktive Oberfläche beträgt also 0,2 x 60 000 m2 = heiten anzutreffen. In der Biologie ist es hilfreich, 12 000 m2 und entspricht etwa einem sehr grossen Strukturen von Ökosystemen oder Lebewesen (Or- Fussballfeld. gane, Gewebe) mit Hilfe fraktaler Dimensionen zu Entsprechend dazu vergrössert sich auch die charakterisieren. In der Medizin spielen Fraktale vor Kapazität, die mehrere Tausend Farad erreichen kann. allem in der diagnostischen Bildgebung und in der Die bei 2,5 Volt in einem 2000 Farad Supercap ge- Neurologie eine wichtige Rolle. Ganz allgemein sind speicherte Energie ist gut 6 Kilowattsekunden. In ei- Attraktoren (quasistabile Zustände) in komplexen nem Modul mit 200 solchen Supercaps könnte also nichtlinearen Systemen (z.B. globales Klimasystem) über 1,2 Megawattsekunden Energie gespeichert wer- komplizierte Strukturen mit fraktaler Dimension. den, was ausreichen würde, um eine Tonne um 120 Fritz Gassmann Meter anzuheben oder einen 1000 Watt Elektromo- Literatur tor während 20 Minuten zu betreiben. Dazu kommt Gassmann F., Kötz R. & Wokaun A. 2003. die Eigenschaft von Kondensatoren, praktisch ins- Supercapacitors boost the fuel cell car. Europhysics News 34(5): 176-180. tantan sehr grosse Ströme liefern zu können. 1 Begründung: Die Umrisslinie hat die Dimension 1,6. Die aktive Elektrodenoberfläche hat also die Dimension 2,6. Dies sind 0,6 Dimensionseinheiten mehr als die Dimension des glatten Elektrodenträgerstreifens. Jede Zehnerpotenz des Längeninter- valls vergrössert also die Oberfläche um 100,6 = 3,98 und 3,988 ≈ 60 000.
14 FO R S C H U N G — Das E x periment Ein Grundpfeiler wissenschaftlicher Methodik Experimente sind für den wissenchaft- esoterischer oder religiöser unterscheidet. Eine Aus- lichen Fortschritt unbadingbar. Ohne sage wird wissenschaftlich nur dann als diskussi- sie wären viele wichtige Erkenntnisse, onswürdige Theorie angesehen, wenn sie durch ein denen wir unser heutiges modernes Experiment empirisch überprüft, beziehungsweise Leben verdanken, nicht möglich besser formuliert: widerlegt werden kann. gewesen. Eine neue Rubrik will die Des Weiteren bedeutet der Begriff im schu- Leistungen früherer Forscherinnen lischen Kontext vereinfachend oft nur die Veran- und Forscher würdigen, die mit ihren schaulichung theoretischen Lehrstoffs durch von Experimenten diesen Fortschritt erst der Lehrperson oder die Schülerschaft selber durch- ermöglicht haben. geführte Prozeduren naturwissenschaftlicher oder psychologischer Natur. Begriffsklärung Der Begriff Experiment stammt vom lateinischen ex- Alhazens optische Experimente periri (in Erfahrung bringen) ab und wird als das la- Die ersten, an die moderne naturwissenschaftliche teinische experimentum im Sinne von «Probe, Ver- Methodik erinnernden Versuche, welche breite Be- such, Überprüfung» angewandt. kanntheit erlangten, wurden vom arabischen Ma- In der Naturphilosophie des Altertums be- thematiker Alhazen (auch Al-Haytham; 965-1040) deutet der Begriff grundsätzlich nur die Beobach- auf dem Gebiet der Optik durchgeführt. Angeregt tung eines Vorgangs, während er darüberhinaus im durch die ptolemäischen Erörterungen zur Mathe- modernen, naturwissenschaftlichen Kontext als matik der Optik experimentierte er mit verschiede- eine methodisch angelegte Untersuchung zur em- nen Glaslinsen in einer Camera obscura und gelangte pirischen Gewinnung von Information über den zu so zur wissenschaftlich fundierten Schlussfolgerung, untersuchenden Vorgang definiert ist. dass die damals vorherrschende Erklärung des Seh- Das Experiment ist ein Grundpfeiler wissen- vorgangs durch Sehstrahlen nach Platon und Euklid schaftlicher Methodik und wohl das wichtigste Werk- falsch sein musste. zeug zur Überprüfung, Erweiterung oder Verwer- Sein «Buch der Optik» (arab.: Kitāb al-Manāẓir; fung von bestehenden Hypothesen und Theorien. lat.: De Aspectibus) fasste seine empirisch gestützten Es ist der entscheidende Faktor, welcher wissen- Schlussfolgerungen, wie die ersten optischen Ge- schaftliche Erkenntnis von (natur)philosophischer, setze oder die Prinzipien von Lichtreflexion und Anatomische Darstellung des menschlichen Sehsystems in Alhazens Kitāb al-Manāẓir (1493). (Bild aus McQuaid (2019))
15 Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH Vereinfachte graphische Darstellung naturwissenschaftlich-forschender Tätigkeit (umgangssprachlich oft als wissenschaftliche Methode bezeichnet. (Bild: R. Oetterli) -brechung, zusammen. Seine Linsen-Experimente ihm bekanntlich einiges an Unannehmlichkeiten bildeten die Grundlage für die bald darauf entwi- bescherte. Ein weithin verbreiteter Irrtum – natur- ckelten Brillen und sein Buch galt bis tief in die Zeit wissenschaftshistorische Fake News sozusagen – ist, der Renaissance hinein als Massstab «wissenschaft- dass Gallileo die von ihm beschriebenen Experi- licher» Vorgehensweise – auch wenn es diesen Be- mente gar nicht durchgeführt habe. Dieser inzwi- griff so noch nicht gab. schen widerlegte Vorwurf geht in erster Linie auf Zusätzlich zu seinen mathematischen, opti- das vielzitierte Experiment zum freien Fall verschie- schen und astronomischen Arbeiten, veröffentlich- den schwerer Kugeln vom schiefen Turm von Pisa te Alhazen seine wissenschafts-methodologischen zurück, welche er tatsächlich nie selber durchge- Überlegungen zu induktiv-experimentellen Versu- führt hat – was er allerdings auch nie behauptet hät- chen und legte somit das Fundament, auf welchem te. Andere Experimente, wie die für die Aufklärung im Europa der Aufklärung dann Persönlichkeiten der Fallgesetze genauso grundlegenden Experimen- wie Francis Bacon oder Robert Boyle die moderne te in der schiefen Ebene, hat er nämlich sehr wohl wissenschaftliche Methodik entwickelten. durchgeführt, was aus den erst in den 1960er-Jahren studierten handschriftlichen Messprotokollen her- Galileos Experimente zum Fallen von vorgeht. Objekten Galilleo Gallilei (1564-1642) wird gemeinhin als Es gibt verschiedene «Typen» von der Begründer der modernen Naturwissenschaften Experimenten angesehen. Seiner Methodik zufolge sollten Beob- Gallileos Experimente zum Fallverhalten entspricht achtungen anhand geplanter Experimente mit mög- einem Typ Experiment, der primär durch Samm- lichst genauen Messungen quantifiziert werden lung von (Mess)daten und deren anschliessender und diese Messergebnisse dann mit den Mitteln Auswertung zu einer Gesetzmässigkeit führt. An- der Mathematik analysiert werden. Diesen empi- dere Beispiele für diesen Typ wären Keplers Ge- risch gestützten Ergebnissen sei in jedem Fall Vor- setze der Planetenbewegung, die auf Brahes ast- rang zu geben vor rein philosophisch oder theolo- ronomischen Messungen basierten, oder die gisch begründeten Aussagen – eine Ansicht, die Evolutionstheorie, die auf den umfassenden Auf-
16 FO R S C H U N G — Das E x periment zeichnungen Darwins zum Beispiel über die Vari- nen Ferien Petrischalen aussortierte und dabei auf abilität der Tierarten fusst. etwas Seltsames stiess. Das Zeitalter der Antibioti- Ein anderer Typ Experiment basiert auf ei- ka hatte begonnen. nem strategisch oft faszinierenden experimentellen Aufbau zum Zweck der Prüfung oder Widerlegung Die wundervolle Welt der Experimente einer bestehenden Hypothese oder Theorie. Auch Die Welt der Experimente ist voll von atemberau- hier, wie bei aller wissenschaftlichen Betätigung, bend cleveren Ideen. Einstein hatte in seiner Gra- ist Messgenauigkeit unabdingbar. Als Beispiel hier- vitationstheorie, die erst viele Jahre später als all- für wären wohl Lavoisiers Oxidationsexperimente gemeine Relativitätstheorie weltbekannt werden zu nennen, durch welche er mittels sehr genauer sollte, vorausgesagt, dass und um wieviel sich Licht- Wägedaten nicht nur die damals vorherrschende strahlen eines Sterns um eine genügend grosse Gra- Phlogistontheorie widerlegen konnte, sondern auch vitationsquelle biegen. Wie aber sollte man diese gleich die Ära der modernen Chemie einläutete. Behauptung prüfen, wenn genügend schwere Mas- sen nur in Form von Sonnen vorkommen und deren Früchte des technologischen Fort- Licht das zu messende Licht eines Sterns dahinter schritts um Grössenordnungen überstrahlt? Oder: Wie lässt Es gibt den Typ Experiment, welchem stets eine sich die Vorstellungswelt eines Schimpansen erfor- technologische Neuerung vorangeht. Im 17. Jahr- schen, wo doch eine sprachliche Kommunikation hundert schreitet zum Beispiel die Linsentechnolo- mit ihm ausgeschlossen ist? Wie kann man nach- gie derart voran, dass erste Mikroskope gebaut wer- weisen, ob Licht nun ein Teilchen, eine Welle oder den können und auf einmal erschliesst sich dem beides gleichzeitig oder nichts von beidem ist? Wie Experimentator eine ganz neue Welt. Da gibt es Mi- lässt sich das Konzept des freien Willens experimen- kroorganismen. Eine Entdeckung, die schliesslich tell erforschen? Wie hat Herschel infrarotes Licht zur Keimtheorie und einer kompletten Neuorien- nachgewiesen, obwohl man es nicht sehen kann? tierung der Medizin führt. Da zeigt sich, dass Leben Dieser Beitrag ist der Startschuss für eine aus Zellen besteht. Das Erbgut wird entdeckt und vierteljährliche Kolumne über die wundervolle Welt nach vielen experimentellen Schlussfolgerungen der Experimente – die grossen Durchbrüche und die heilen wir heute die ersten Erbkrankheiten mit Gen- genial ausgeheckten Ideen dahinter. Auch die Fal- therapien. len sollen beschrieben werden, in die man als Ex- Ein anderes Beispiel für eine technische Neu- perimentator tappen kann und die die Aussagekraft erung wäre das Cyclotron – Vorläufer heutiger Teil- eines Experiments zunichte machen – wie grandio- chenbeschleuniger. Es führt nicht nur zur Erweite- se Fehlüberlegungen, Voreingenommenheit oder rung des Periodensystems um viele neue Elemente, sogar bewusster Betrug. es verwandelt auch das gemütliche Stelldichein der Es soll von den grossen Momenten der Ge- damals bekannten subatomaren Partikel Elektron, schichte unserer Zunft berichtet werden. Aber es Proton und Neutron in ein Tohuwabohu aus einer soll immer auch Platz dafür bleiben, aktuelle Expe- Vielzahl neuer Teilchenarten, welche wild durchei- rimente in ihren Kontext zu stellen, zu evaluieren nander nach einer weit umfassenderen theoreti- und zu erklären. Ich hoffe Sie freuen sich gleicher- schen Grundlage schreien, dem heutigen Standard- massen darauf, diese Rubrik zu lesen, wie ich mich modell der Teilchenphysik. darauf freue, sie zu schreiben. Schliesslich wäre da noch der Typ Experi- René M. Oetterli ment, der durch die Kombination aus Zufall und Der Autor ist Chemielehrer am MNG Rämibühl und einem wachen Geist zu wissenschaftlichen Erdbe- Fachverantwortlicher Chemie am ScienceLab der Universität Zürich. Darüber hinaus erforscht er am ben führt. So wie bei Becquerel, der an einem kal- Chemiedepartement der Universität Zürich ten Februarnachmittag 1886 seine Uransalze zur historische und neue Farbpigmente. Seite legte, weil sich die für seine beabsichtigten Literatur Experimente notwendige Sonne einfach nicht zei- McQuaid R. OD. 2019. Ibn al-Haytham, the Arab gen wollte. Kurz darauf entdeckt er die Radioakti- who brought Greek optics into focus for Latin Europe. Adv. Ophthalmol. Vis. Syst., 9(2), 44-51 vität. Oder Fleming, der nach der Rückkehr aus sei-
17 FO R S C H U N G — A S T RO N O M I E Die hohen Erwartungen werden erfüllt Ein neues Kapitel in der Erforschung des Weltalls, NGC 3324 im Carina-Nebel. Das JWST hat dieses das sollte mit der Inbetriebname des neuen James- Bild im infraroten Licht aufgenommen und enthüllt Webb-Weltraum-Teleskops (JWST) beginnen. Und damit zum ersten Mal bisher unsichtbare Bereiche nun, wenige Wochen nach dem Beginn der wissen- der Sternentstehung. Auch nähergelegene Objekte schaftlichen Messungen zeigt sich: Das 10 Milliar- wie der Planet Jupiter (links oben) können mit dem den US-Dollar teure Teleskop übertrifft bereits jetzt neuen Teleskop nun noch detaillierter untersucht sämtliche Erwartungen. So zeigen beispielsweise die werden. Das JWST soll auch Hinweise liefern, ob es ersten Bilder, welche die Nasa Mitte Juli veröffentlich auf anderen Planeten Leben geben könnte. Erste hat, eindrücklich, mit welcher Schärfe sich das All Messungen beim Riesen-Exoplaneten WASP-39 b mit dem JWST vermessen lässt, wie das Bild mit den zeigen, dass es in dessen Atmosphäre Kohlendioxid fünf Galaxien oben rechts illustriert. geben muss. Damit steigen die Hoffnungen, auch bei Die Landschaft aus «Bergen» und «Tälern» kleineren, erdähnlicheren Planeten dereinst eine auf dem unteren Bild ist in Wirklichkeit der Rand ei- Atmospühre nachweisen zu können. nes nahen, jungen Sternentstehungsgebiets namens Bilder: NASA, ESA, CSA, and STScI
18 BU L L E T I N — Vortragsreihe Ein flexibles Programm, das Raum für Aktuelles schafft Zwischen November 2021 und März 2022 haben wir versuchsweise 14 Online-Vorträge realisiert und wurden durch die vielen begeis- terten Kommentare von NGZH-Mitgliedern positiv überrascht. Vielfach wurde der Wunsch ausgedrückt, dieses Format mindestens teil- weise beizubehalten. Wir werden deshalb im November und Dezember 2022 vorwiegend Online-Vorträge organisieren und nur diejenigen Vorträge in einem Hörsaal anbieten, die mit Besichtigun- gen oder Demonstrationen verbunden sind, die eine Präsenz erfordern. Wie bei der letzten Vortragsreihe wer- Rahel Grange entwickelt in ihrer Forschung den die Online-Vorträge aufgezeichnet und in unter anderem Nanokügelchen, die rotes überarbeiteter und etwas gestraffter Form ei- Laserlicht durch Frequenzverdopplung in nige Tage später auf unserer Homepage ab- blaues Licht um wandeln. (Bild: Jolanda rufbar sein. Wer am Vortragsabend verhindert Müller / ETH Zürich) war, kann so am Vortrag auch später teilneh- men, aber natürlich nicht an der Diskussion. Der Link «Vorträge» befindet sich unter Vortragsthemen (Änderungen vorbehalten) «Publikationen» auf unserer Homepage www. Das provisorische Vortragsprogramm sieht ngzh.ch. Auf dieser Internetseite findet sich folgende Themen und Referentinnen und Re- auch ein Hinweis, wie Sie an den Vorträgen ferenten vor: teilnehmen können. Präsenz-Vorträge werden nicht aufgezeichnet. Prof. Dr. Rachel Grange, ETH Zürich > Nichtlineare Optik und Anwendungen in Te- Einladungen zu den Vorträgen lekommunikation und Quantencomputern Um eine hohe Flexibilität zu gewährleisten, die es erlaubt, aktuelle Ereignisse zu berücksich- Dr. René Oetterli, Universität Zürich und tigen, auf Wünsche der Vortragsteilnehmen- Vorstand NGZH den einzugehen und spontane Anmeldungen > Die Rolle der Chemie bei den Anfängen des zur Präsentation eines Vortrages aufzuneh- Lebens men, werden wir kein Vortragsprogramm ver- > Atemberaubende Strukturen in der supra- senden, sondern die Vorträge jeweils in der molekularen Chemie Vorwoche ankündigen und am Vortragstag ein > Schönheit in den Naturwissenschaften Erinnerungsmail versenden. Für diejenigen Mitglieder, die sich für Dr. Fritz Gassmann, Vorstand NGZH die Vorträge interessieren, ist es deshalb un- > Die Schrödinger-Gleichung und ihre Bedeu- erlässlich, dass sie uns ihre E-Mail-Adresse tung für Wissenschaft und Praxis bekannt geben. Falls Sie bisher von uns noch > Relationen zwischen Raum, Zeit, Energie keine elektronsichen Vortrags-Einladungen und Masse erhalten haben, schicken Sie uns bitte ein E- Mail an sekretariat@ngzh.ch. Wir werden Sie dann regelmässig auf dem Laufenden halten.
19 BU L L E T I N — P odcasts Ein neuer NGZH-Kanal für Junge und Junggebliebene René Oetterli ist seit Januar 2020 Mitglied oder Kurzvorträge und Kommentare zu aktuel- unseres Vorstandes. Er betreut bisher den len und historisch bedeutenden Forschungsthe- NGZH-Auftritt auf den sozialen Medien (Face- men und -durchbrüchen enthalten und grob in book und Instagram). Er ist Chemielehrer am folgende Kategorien eingeteilt werden können: Mathematisch Naturwissenschaftlichen Gym- > Porträts von Forschenden mit Verbindung zu nasium Rämibühl (MNG) und Fachverantwort- Zürich und Umgebung (auch historisch) licher Chemie am Science Lab der Universität > Naturwissenschaftsthemen mit Verbindung Zürich. zu Zürich und Umgebung (auch historisch) Er beteiligt sich auch am naturwissen- > Naturwissenschaftsthemen von allgemeiner schaftlichen Dialog mit der breiten Öffentlich- Bedeutung weltweit (Nobelpreise, Entde- keit auf allen Altersstufen, beispielsweise an ckungen, Theorien, wichtige Anwendungen der Kinderuniversität (Co-Leitung des Chemie- wissenschaftlicher Erkenntnisse) workshops seit 2017), der Scientifica (Physik- > Themen zum besseren Verständnis der heu- und Chemie-Experimentalvorlesungen), am tigen technischen Anwendungen Zukunftstag, am Science Alumni Family Day, am Science and Nature Festival auf dem Irchel, Stellenwert dieses Pilotprojektes für die an der Paulusakademie. Daneben gibt er auch Zukunft der NGZH öffentliche Vorträge. Alle traditionellen Kommunikationskanäle der Diesen Sommer hat er zusammen mit NGZH werden von den heutigen Mitgliedern Nicole Dettwiler und dem NGZH-Präsidenten geschätzt und deshalb will niemand diese preis- ein Gesuch an die SCNAT im Rahmen einer geben. Doch leider verfängt kein einziger tradi- Ausschreibung für Zusatzkredite gestellt und tioneller Kanal bei der jungen Generation – eine einen Kredit von Fr. 8000 erhalten, um ein Pi- typische No-future-Situation! Der einzig gang- lotprojekt für einen wöchentlichen wissen- bare Weg scheint uns nach vielen Diskussionen schaftlichen NGZH-Podcast zu realisieren. Um und Überlegungen ein verstärktes Engagement genügend Zeit für die Entwicklung seriöser Po- in den sozialen Medien zu sein. dcasts zu gewinnen, hat er sein Lehrpensum Betrachtet man das Spektrum der Mög- um einige Wochenstunden reduziert. lichkeiten in diesem Bereich erscheint einleuch- tend, dass wissenschaftliche Podcasts dasje- Ziele des Projektes nige Mittel sind, das am besten zur Gesellschaft René Oetterli wird sich beraten lassen über den passt und entsprechende Ineressierte innerhalb geeigneten Anschaffungsumfang für Podcast- der jungen Generation ansprechen dürfte. produktionen und dann die notwendige Infra- Dieses Pilotprojekt ist deshalb von gro- struktur aufbauen. Anschliessend wird er einen ssem Interesse für die NGZH. Durch eine noch regelmässigen naturwissenschaftlichen NGZH- zu entwickelnde Kombination mit der Online- Podcast planen und realisieren. Dazu gehören Vortragsreihe könnten zudem beide Aktivitäten Recherchen, die Organisation der Aufnahmen gegenseitig voneinander profitieren. sowie Veröffentlichung der Podcasts. Die Bei- träge sollen runtergeladen werden können über Spotify, die Standardapplikation für Podcast- Interessierte. Die Podcasts sollen die Gebiete Physik, Mathematik, Biologie, Chemie, Erdwissenschaf- ten, Umweltwissenschaften und Medizin abde- cken. Sie sollen Interviews mit Forschenden
20 BU L L E T I N — Buchbesprechung Drei prägende Figuren für den Naturschutz Die Notwendigkeit von Landschafts-, Natur- Mario F. Broggi erinnert sich an Erich Kessler und Artenschutz wird heute in der Schweiz kaum als Ansprechpartner im BUWAL (heute BAFU): mehr in Frage gestellt. Das war nicht immer so. «Mit der Beauftragung für das Flachmoorinven- Das vorliegende Buch ist drei Persönlichkeiten tar der Schweiz ab 1986 ergab sich eine länge- gewidmet, die den Natur- und Heimatschutz re Zusammenarbeit. Er begleitete das grosse der Schweiz seit den 1960er-Jahren wesent- Werk mit zeitweise über 40 Beschäftigten von lich mitgeprägt haben: dem Sekundarlehrer und Seiten des Bundes. Sein Sachverstand, unauf- (ab 1970) BUWAL-Mitarbeiter Erich Kessler dringlich in väterlichem Ton eingebracht, be- (1928 – 2007), dem ETH-Professor für Vege- eindruckte.» tationskunde und Pflanzenökologie Frank Klötz- Josef Fischer (Geschäftsführer Stiftung li (1934 – 2020) und dem an der Universität Reusstal) schreibt über Erich Kessler, der in den Zürich lehrenden Tierökologen Bernhard Nie- Jahren 1969, 1981 und 1993 bereits alle Vor- vergelt (1935 – 2021). Alle drei schufen ein kommen der Sibirischen Schwertlilie (Iris sibi- Fundament, auf dem Fachleute ihre Natur- rica) im Aargauer Reusstal quantitativ erfasste: schutzarbeit aufbauen konnten. «Sein Meisterwerk hat er der Nachwelt mit sei- Die Biografien von Kessler, Klötzli und ner Untersuchung zur Bestandsentwicklung der Nievergelt werden in diesem Buch in einen um- Streuwiesen und Iris sibirica-Vorkommen hin- weltpolitischen Kontext gestellt. Es bleibt nicht terlassen. … Ein wegweisendes Monitoring, das beim Rückblick. Aus dem bisherigen Tun wer- jederzeit weitergeführt werden kann. … Erich den Naturschutzvisionen für die Schweiz aufge- Kessler ist für den Reusstaler Naturschutz der zeigt. Man spürt beim Lesen, dass die Autoren letzten 60 Jahre ohne Zweifel die prägendste Richard Maurer (ehemaliger Leiter Natur- und Person.» Landschaftsschutz im Aargau) und Mario F. Broggi (freischaffender Ökologe und früherer Bernhard Nievergelt war weit mehr als «nur» Direktor der WSL) die drei Experten persönlich Steinbockexperte und Mitglied der Wissen- gut gekannt haben. Zahlreiche Stimmen von schaftlichen Nationalpark-Kommission (1978- weiteren Naturschutz-Akteuren verleihen dem 1997). Karin Hindenlang, Geschäftsführerin Buch eine persönliche Note. Stiftung Wildnispark Zürich, genoss Bernhard Das vielschichtige Wirken von Kessler, als Lehrer an der Universität Zürich: «Von ihm Klötzli und Nievergelt kann mit wenigen Sätzen durfte ich lernen, wie Natur und Landschaft mit nicht genügend gewürdigt werden. So wähle ich ihren Bewohnern verstanden werden sollten, um einige Zitate aus, welche Appetit darauf machen einen respektvollen Umgang mit ihnen zu gestal- sollen, das ganze Buch zu lesen! ten. Er hat damit mein Leben und das von vielen Studierenden und Mitstreitern im Natur- und Erich Kessler sprach im Rahmen der Dankesre- Landschaftsschutz geprägt wie kein anderer.» de zur Verleihung des Grossen Binding-Preises Urs Kuhn und Fritz Hirt (†) als ehemalige für Natur- und Umweltschutz (Dezember 1990) Leiter der Fachstelle Naturschutz des Kantons folgende Worte: «Wir wollen nicht hoffen, dass Zürich betonen, dass das 1995 fertiggestellte ausserirdische Paläontologen dereinst den Men- Naturschutz-Gesamtkonzept vor allem von Bern- schen als Leitfossil einer geologischen Epoche hard Nievergelt initiiert worden war. Dazu er- charakterisieren müssen, in welcher ein mit Geist wähnen sie: «In der Expertenkommission trug und Vernunft ausgestattetes Wesen die einmali- auch Frank Klötzli, mit grossem Engagement und ge Chance verpasst hat, sich lebenserhaltend stimmgewaltig, zum Gelingen dieser Projektar- und schöpfungsbewusst in das faszinierende Evo- beit bei. Er ergänzte den eher leise auftretenden lutionsgehen dieser Erde einzufügen.» Bernhard in idealer Weise.»
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