Viertel jahrs schrift - 3 | 2022 Jahrgang 167 - NGZH

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Viertel jahrs schrift - 3 | 2022 Jahrgang 167 - NGZH
Viertel
jahrs                 3 | 2022

schrift
                      Jahrgang 167
                      der Naturforschenden Gesellschaft
                      in Zürich NGZH

4   Naturoase statt   In Tössriederen bei Eglisau konnte ein
                      neues Naturschutzgebiet geschaffen
    Öltanklager       werden, das seltenen Tieren und
                      Pflanzen Lebensraum bieten wird.
Viertel jahrs schrift - 3 | 2022 Jahrgang 167 - NGZH
E DI T O R I A L

      Brief des
      Präsidenten
Am 4. Juli fand die Hauptversammlung in der
EAWAG in Dübendorf statt. Trotz der interes-
santen Führung durch Forschungsanlagen und
das Raumklimasystem des Institutes befanden
sich ausser dem Vorstand nur 7 Mitglieder der
NGZH (1,5 Prozent) unter den Besucherinnen
und Besuchern. Für mich bedeutet dieses ver-
schwindend kleine Interesse, dass wir eine
neue Form der statuarisch obligatorischen Ver-
anstaltung finden sollten.
      Anbieten würde sich eine Kombination
der Hauptversammlung mit einem Vortrag oder
man könnte sie als eigenständige Online-Ver-
anstaltung organisieren. Gerne würde ich Re-            Andri Bryner von der EAWAG (Mitte) erklärt
aktionen der Mitglieder auf diese Vorschläge            den Vorstandsmitgliedern René Oetterli und
erhalten.                                               Rita Gobet im Anschluss an die Hauptver-
                                                        sammlung Forschungsanlagen im gekühlten
       Mit Podcasts neue Menschen ansprechen            Kellergeschoss der EAWAG. (Bild Fritz
An der Vorstandsitzung vom 24. August konnte            Gassmann)
der Social-Media-Beauftragte René Oetterli
mitteilen, dass unsere Gesellschaft von der
SCNAT einen ausserordentlichen Zusatzkredit         gemacht haben. Es ist deshalb wichtig, dass
von Fr. 8000 zugesprochen bekam für ein Pro-        wir von allen Mitgliedern, die an den Vorträgen
jekt «Wissenschaftliche NGZH Podcasts».             teilnehmen möchten, eine Email-Adresse be-
       Lesen Sie den Bericht über die neue Ini-     kommen an sekretariat@ngzh.ch.
tiative in diesem Heft auf Seite 19. Da diese             Diejenigen Mitglieder, die bereits früher
Form der Kommunikation nachweislich bei der         Vortragseinladungen per Email erhalten ha-
jungen Generation ankommt, ist auch die             ben, brauchen sich nicht neu anzumelden.
SCNAT interessiert an den Erfahrungen, die          Wir hoffen, durch eine Verknüpfung von Vor-
wir mit diesem neuen Gefäss machen werden.          trägen und Podcasts insbesondere bei den
       Wir sind zudem in Kontakt mit der Aar-       Online-Vorträgen viele junge Teilnehmende
gauischen Naturforschenden Gesellschaft             zu gewinnen.
(ANG), die 2020 acht Episoden eines Pod-                  Fritz Gassmann
casts «andersch kompliziert!?» produziert hat.
Wenn Sie Beispiele hören möchten, gehen Sie
auf www.ang.ch und suchen Sie den Link zu
den ANG Podcasts auf Spotify.

       Vorträge online und onsite
Der Vorstand hat an derselben Sitzung dem
Entwurf der Vortragsreihe 2022 zugestimmt,
die in diesem Heft auf Seite 18 vorgestellt wird.
Alle Vorträge (ob onsite oder online) werden              Naturforschende
eine Woche zum voraus via Email angekündigt,              Gesellschaft in Zürich
wie wir dies in der vergangenen Vortragsreihe             www.ngzh.ch
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FO R S C H U N G                                           BU L L E T I N

         — A KT U E L L                                             — VO RT R AG S R E I H E
                                                               18   Ein flexibles Programm, das Raum
4        Eine neue                                                  für Aktuelles schafft

         Naturoase
                                                                    — PODCASTS
                                                               19   Ein neuer NGZH-Kanal für Junge
8        Ein grosszügiges Legat für den                             und Junggebliebene
         Naturschutz

                                                                    — BU C H BE S P R E C H U N G
         — P H yS I K I M A L LTAG                             20   Drei prägende Figuren für den Naturschutz
10       Fraktale Dimensionen − Bedeutung
         und Anwendungen
                                                               22   IMPRESSUM

         — DA S E x P E R I M E N T
14       Ein Grundpfeiler wissenschaftlicher                   23   AG E N DA
         Methodik

         — A S T RO N O M I E
17       Die hohen Erwartungen werden erfüllt

    AU S D E M A RC H I V
    Die NGZH verfügt über ein reichhaltiges Archiv an
    interessanten Publikationen, die im Laufe ihrer langen
    Geschichte veröffentlicht wurden. Das umfangreiche
    Material ist auf unserer Webseite frei zugänglich.

    Alle Dokumente und auch die Aufzeichnungen der
    Online-Vorträge vom letzten Winter finden sich unter:
    www.ngzh.ch/publikationen

         Titelbild: Der nördliche Bereich des gut 4 Hektaren
         grossen Grundstücks in Tössriederen konnte 2021
         aufgewertet werden. Der südliche, direkt vom
         Tanklager betroffene Bereich (grüne Hangfläche
         links im Bild) wurde bereits 2019 aufgewertet.
         (Bild: Beat Hauenstein / naturfotograf.ch)
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      Naturoase statt Öltanklager
      Das Öltanklager in Tössriederen bei           stoffreiche Oberboden abgeführt wurde, statt wie-
      Eglisau ist Geschichte. 2018 bis 2019         der auf der Fläche verteilt zu werden.
      wurde es von den Betreibern rückge-
      baut. Pro Natura Zürich packte die                    Magerwiesen und Kleingewässer
      Chance, das gut vier Hektaren grosse          Der nun magere Boden wurde mit artenreichem
      Areal direkt am Rhein zu erwerben             Schnittgut aus der Region begrünt, so dass vielfäl-
      und ökologisch aufzuwerten. Nun füllt         tige trockene und feuchte Magerwiesen entstehen
      sich das neue Naturschutzgebiet mit           können. Sie sind ein Hotspot für unzählige Insek-
      Leben.                                        ten, Vögel und Pflanzen. Besonders seltene und be-
                                                    drohte Pflanzenarten wurden von Hand eingesät
Um die Landesversorgung mit Treib- und Brenn-       und einzelne gar angepflanzt.
stoffen zu sichern, liess Migros-Gründer Gottlieb           Zum erworbenen Grundstück gehört auch
Duttweiler in den 1950er-Jahren am Rhein bei Eg-    ein nördlicher Teil, der bis anhin als Weide genutzt
lisau ein riesiges Tanklager errichten: Knapp 200   wurde. 2021 konnte Pro Natura Zürich auch diesen
Tanks mit einem Volumen zwischen 150 und 600        Bereich aufwerten: Neben trockenen und feuchten
Kubikmetern wurden in den Boden verlegt. Um das     Magerwiesen entstanden Gewässer für Amphibien,
Areal vor allfälligen Bombardierungen aus der Luft  Libellen und weitere seltene Arten, welche auf die-
zu schützen, wurde es zusätzlich mit den zu der Zeitse heute raren Lebensräume angewiesen sind.
beliebten Exoten wie Kaukasischer Flügelnuss (Pte-
rocarya fraxinifolia) und Essigbäumen (Rhus typhi-            Aufwändige Bauarbeiten
na) parkähnlich begrünt. Selbst ein Sprenghaus Für die Aufwertungsarbeiten waren wir auf trockene
stand bereit, damit im Falle einer Invasion das La- Bedingungen angewiesen. Wegen der häufigen Nie-
ger nicht dem Feind überlassen werden musste.         derschläge im Sommer 2021 mussten die Bauarbeiten
                                                      häufig unterbrochen werden; insgesamt dauerten sie
       Grosses Altlastenrisiko                        letztlich knapp vier Monate. Mehrere 1000 Kubikme-
Der Standort direkt am Flussufer wurde bewusst ter des früher aufgefüllten Bodens wurden abgetra-
gewählt. In den 1950er-Jahren bestanden Pläne, gen, damit auch in diesem Bereich magere Bedingun-
den Rhein bis zum Bodensee schiffbar zu machen. gen entstehen konnten. Um die Lastwagenfahrten
Eglisau sollte zum Rheinhafen von Zürich werden. durch Tössriederen zu reduzieren, verwendeten wir
Doch dazu kam es nie: Die Tanks wurden bis in die das Material möglichst wieder vor Ort: Mit den Wur-
1970er-Jahre von Lastwagen aus befüllt – danach zeln und Steinen haben wir Strukturen für Kleintiere
blieben sie leer, weil die Anlage nicht rentierte und geschaffen und mit dem Lehm den Teich abgedich-
sich der beim Bau erwartete Versorgungsengpass tet. Den nährstoffreichen Oberboden haben wir auf
nicht abzeichnete.                                    einem angrenzenden Acker ausgebracht und so wie-
       Die Tanks blieben jedoch im Boden und bil- der der Landwirtschaft zur Verfügung gestellt.
deten ein beträchtliches Altlastenrisiko. Vor rund
vier Jahren einigten sich der Kanton, die Gemeinde,           Magerwiesen sind selten geworden
die Migrol AG und der zwischenzeitliche Grundei- Magerwiesen gehören zu den artenreichsten Le-
gentümer auf einen Totalrückbau. Dieser war be- bensräumen der Schweiz. Auf einem Quadratme-
reits weit fortgeschritten, als Pro Natura Zürich als ter können über 50 Pflanzenarten vorkommen.
Käuferin ins Spiel kam. Dank eines Legats an die Deshalb erstaunt es nicht, dass sie ein wahres Pa-
Akademie der Naturwissenschaften Schweiz radies für unzählige Tiere wie Heuschrecken,
(SCNAT), das diese grosszügigerweise zur Verfü- Schmetterlinge, Käfer und Spinnen sind. Mager-
gung gestellt hat, konnte Pro Natura Zürich das wiesen sind in der Schweiz rar geworden, weswe-
Grundstück erwerben (Details dazu finden sich im gen viele Arten, die auf diesen Lebensraum ange-
Bericht von Rolf Rutishauser auf S. 8). Pro Natura wiesen sind, heute ebenfalls selten oder gar bedroht
Zürich konnte gerade noch erwirken, dasss der nähr- sind. Damit die Wiesen mager bleiben, ist es wich-
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      Oben: Tagsüber dösen Laubfrösche gerne auf Hochstauden oder Sträuchern. Die seltenen Amphibien
      bekommen in Tössriederen nun ein neues Habitat.(Bild: Barbara Leuthold)
      Unten: Die Gelbbauchunke hat die neuen Möglichkeiten in Tössriederen schnell für sich entdeckt. Sie hat
      einen auffälligen Bauch, doch von oben ist sie gut getarnt. (Bild: Pro Natura)

tig, dass sie regelmässig gemäht werden und das          serinsekten und keine Fische entwickeln, die gerne
Schnittgut abgeführt wird. Idealerweise geschieht        Laich und Kaulquappen fressen. Aus diesem Grund
diese Pflege gestaffelt, so dass immer Altgras als       haben wir beim Teich einen Ablass gebaut, über den
Deckung, Nahrung und Fortpflanzungsstätte für            das Gewässer im Herbst entleert werden kann.
die Bewohner vorhanden ist.
                                                                 Tierische Überraschung
       Lebensraum für den Laubfrosch                     Der Baggerführer staunte nicht schlecht, als sich in
Mit dem grossen Teich entstand ein ideales Fort-         einer kleinen Sondiergrube, die während der Bauar-
pflanzungsgewässer für den Laubfrosch (Hyla arbo-        beiten angelegt worden war, innert weniger Tage
rea). Dieser gilt in der Schweiz als stark gefährdet.    Gelbbauchunken (Bombina variegata) einfanden.
Hauptgrund ist neben der Zerschneidung der Land-         Diese Amphibienart gilt in der Schweiz als gefähr-
schaft durch Strassen und Siedlungen das Verschwin-      det; ihre Bestände sind besonders im letzten Viertel-
den von geeigneten Laichgewässern. Diese sollten         jahrhundert stark zurückgegangen. Weil sich die
regelmässig über die Wintermonate trockenfallen.         wassergefüllte Grube an ungünstiger Lage befand,
Dadurch können sich in den Gewässern wenig Was-          wurde am Waldrand ein geeignetes Unkengewässer
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    Der Laubibach wurde aus seiner Betonhalbschale befreit und fliesst neu geschwungen durch das Gelände.
    (Bild: Beat Hauenstein / naturfotograf.ch)

angelegt, das von den Tieren auch sofort sehr gut         Sträucher für die Biodiversität
angenommen wurde. Bereits im letzten Sommer Von Hecken können viele Arten profitieren: Vögel
konnten sich im neuen Gewässer viele hundert klei- finden in ihnen Nahrung, Deckung und Nistmög-
ne Unken entwickeln.                               lichkeiten, und viele Insekten wie Wildbienen und
                                                   Schmetterlinge saugen gerne an den Blüten der
       Strukturen für Reptilien                    Sträucher. Einige Schmetterlingsarten legen ihre
Erst vor wenigen Jahren haben umfangreiche mor- Eier ausschliesslich auf bestimmten Heckensträu-
phologische und genetische Untersuchen ergeben, chern ab. Aber auch der Laubfrosch schätzt diese
dass in der Schweiz zwei Arten der Ringelnatter Strukturen. Er kann dank seinen Haftballen an Fin-
vorkommen: Neben der Barrenringelnatter (Natrix gern und Zehen ausgezeichnet klettern und lebt
helvetica), welche den grössten Teil der Schweiz gerne auf Gehölzen. Aus diesen Gründen pflanzten
besiedelt, kommt im Nordosten des Landes die wir im Gebiet einige Hecken. Unterstützt wurden
Nördliche Ringelnatter (Natrix natrix) vor. Diese wir dabei von tatkräftigen Schülerinnen und Schü-
beiden Arten wurden bis anhin lediglich als Unter- lern aus Eglisau.
arten unterschieden.
       Dass wir es im neuen Naturschutzgebiet mit         Aufforstung ist Pflicht
der selteneren und stärker bedrohten Nördlichen Weil das Areal in den letzten Jahrzehnten nicht un-
Ringelnatter zu tun haben, konnte ein Fund bei den terhalten wurde, konnte sich auf knapp einer Hek-
Vorbereitungen der Bauarbeiten bestätigen. Selbst- tare Wald ausbreiten. Für den Rückbau der unter-
verständlich wollen wir auch dem Vorkommen die- irdischen Tanks wurde dieser gerodet. Mit der
ser Art gerecht werden. So wurden aus Wurzelstö- Übernahme des Grundstücks hat Pro Natura Zü-
cken grosse Aufwärm- und Versteckplätze gebaut rich auch die Pflicht übernommen, diesen Wald
und mit dem anfallenden Schnittgut sollen Eiabla- wieder aufzuforsten.
geplätze geschaffen werden. Zusätzlich haben wir          Vertiefte Gespräche mit der Abteilung Wald
zwei mehrere Quadratmeter grosse unterirdische des Kantons haben ergeben, dass ein Rodungsge-
Steinstrukturen gebaut, welche auch als Sonnen- such – dieses wäre nötig, um auf die Wiederauf-
und Überwinterungsplätze für die im Gebiet vor- forstung zu verzichten – nicht bewilligt würde. Auch
kommende Zauneidechse (Lacerta agilis) dienen.     verschiedene Vorschläge für weitere Ersatzmass-
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    Der neu erstellte Weiher kann dank eines Grundablasses im Winter geleert werden. (Bild: Beat Hauenstein /
    naturfotograf.ch)

nahmen lehnte der Kanton ab. Entsprechend wird angrenzenden Wander- und Veloweges ist das
Pro Natura Zürich diesen Herbst dieser Pflicht Schutzgebiet gut erreichbar.
nachkommen. Geplant ist ein lichter Föhrenbe-
stand mit einer reduzierten artenreichen Strauch-
schicht und einem breiten Übergangsbereich von               Entwicklung braucht Zeit
Magerwiese zu Wald.                                   Die Gelbbauchunke ist eine typische Pionierart. So
                                                      besiedelt sie bevorzugt neu entstandene, noch ve-
       Angepasste Pflege                              getationsarme Lebensräume und Gewässer, welche
Damit sich das Gebiet optimal entwickeln kann, ist in diesem Stadium für die meisten anderen Pflan-
insbesondere in der Anfangszeit aber auch in Zu- zen- und Tierarten noch nicht attraktiv sind. Dabei
kunft eine den Zielarten angepasste Pflege notwen- können insbesondere die Jungtiere für die Besied-
dig. Neben der gestaffelten Mahd müssen auch die lung neuer Gewässer weite Distanzen zurücklegen.
Gewässer und die weiteren geschaffenen Strukturen Ausgewachsene Tiere hingegen können auch über
unterhalten werden. Auch Neophyten und Proble- mehrere Jahre ohne Fortpflanzungserfolg an einem
marten wie Brombeeren müssen regelmässig gejä- Standort verharren und auf das Entstehen eines
tet werden. Neben dem eigenen Grundstück be- neuen geeigneten Gewässers warten. Bei vielen an-
rücksichtigen wir dabei auch angrenzende Flächen. deren Arten dauert der Besiedlungsprozess hinge-
So wächst im nahen Wald nach wie vor die Kauka- gen etwas länger. So wird es auch bei den Wiesen
sische Flügelnuss und auch der Sommerflieder einige Jahre dauern, bis sie sich entwickelt haben.
(Buddleja davidii) und der Essigbaum sind weit ver- Die Bedingungen sind so geschaffen, dass in eini-
breitet.                                              gen Jahren auch Orchideen gedeihen können. Und
                                                      natürlich hofft Pro Natura Zürich, dass dann bei
       Der Mensch ist willkommen                      Abendspaziergängen dem Konzert des Laubfroschs
Die Wege entlang des Rheins sind ein wichtiger Er- gelauscht werden kann.
holungsraum für den Menschen. Dem wollten wir                Nora Hug
Rechnung tragen: Wir haben deshalb einen Tram-               Die Autorin ist Schutzgebietsverantwortliche bei
pelpfad erstellt, der einen guten Einblick in die neu        Pro Natura Zürich.

geschaffenen Lebensräume ermöglicht. Dank des
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      Ein grosszügiges Legat für den
      Naturschutz
In Nora Hugs Bericht Naturoase statt Öltanklager fin-   Erwerb des Tössriederen-Areals einzusetzen und es
det sich auf Seite 4 der Satz: «Dank eines Legats an    Pro Natura zu schenken.
die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz                    Wichtige Geländearbeiten des nun der Pro
(SCNAT), das diese grosszügigerweise zur Verfügung      Natura Zürich gehörenden Gebiets wurden unter
gestellt hat, konnte Pro Natura Zürich das Grundstück   der Leitung von Pro Natura Zürich und Andreas Keel
erwerben.»                                              ausgeführt. Nora Hugs Bericht Naturoase statt Öltan-
        Wer steckt hinter dem geheimnisvollen           klager zeigt, dass das ehemalige Tanklager auf dem
SCNAT-Legat? Wie kam es dazu, dass dieses SCNAT-        besten Weg ist, zu einem Naturschutzgebiet zu wer-
Legat für den Kauf und die biologische Aufwertung       den. Wie lange es dauern wird, bis sich auf dem Are-
des ehemaligen Migrol-Tanklagers am Rhein bei           al am Rheinhang bei Tössriederen die seltenen Ar-
Eglisau verwendet wurde? Und weshalb erscheint          ten dauerhaft angesiedelt haben, wird die Zukunft
dieser Bericht überhaupt in den Vierteljahrsschrif-     weisen.
ten der NGZH?                                                   Um einen Eindruck vom Pionierstadium der
        Die naturliebende Frau Rosa Helene Kaiser       Vegetation zu erhalten, traf sich die Helene-Kaiser-
geb. Frey, von Zürich und Eglisau ZH, geboren am 15.    Kommission ein letztes Mal im April 2022 auf dem
Januar 1914, gestorben am 20. Dezember 2014, ver-       aufgewerteten Tössriederen-Areal. Weitere floris-
machte eine halbe Million Franken als Legat der Aka-    tische und faunistische Eindrücke vor Ort stammen
demie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT).          von einer gemeinsamen Begehung Mitte Juni 2022
Dem Wunsch der Verstorbenen entsprechend sollten        durch Stefan Ungricht (Vizepräsident NGZH), zu-
mit dem Legat im Raum Eglisau eines oder mehrere        sammen mit Andreas Keel, seiner Mitarbeiterin
Naturschutzprojekte gefördert werden.                   Christine Tanner und mir.
        Zur Evaluation passender Naturschutzpro-              Rolf Rutishauser
jekte wurde unter SCNAT-Leitung die sogenannte                Der Autor war Vertreter der NGZH in der nun auf-
                                                              gelösten Helene-Kaiser-Kommission
Helene-Kaiser-Kommission geschaffen. Ehrenamt-
lich arbeiteten darin Vertreter von SCNAT, NGZH,
Vogelwarte Sempach und Pro Natura Zürich mit.
Als Kommissionspräsident amtete Stefan Eggen-
berg, der Direktor von Info Flora.
        Schon früh wurde als Berater Andreas Keel
vom Ökobüro Aceras angefragt, bei der Evaluation
mitzuwirken. Er wusste von der bereits laufenden
Sanierung des unterirdischen Migrol-Öltanklagers
in Eglisau-Tössriederen, einem 4 Hektaren grossen
Areal direkt am Rhein. Auf Keels Anraten kam die
Helene-Kaiser-Kommission zum Schluss, dass das
Legat für den Kauf und die biologische Aufwertung
dieses Areals zu verwenden sei.                               Bei der Begehung im Juni 2022 zeigt sich, dass
                                                              sich auf dem aufgewerteten Areal Tössriederen
        Es folgten Sitzungen mit Vertretern von Mi-           bereits eine vielfältige Fauna und Flora etabliert
grol sowie mit Gemeindevertretern von Eglisau.                hat: 1) Kurzschwänziger Bläuling (Cupido argiades)
Dazu kamen Verhandlungen mit kantonalen Äm-                   auf Wiesenschotenklee; 2) Grosse Pechlibelle
                                                              (Ischnura elegans); 3) Fuchs-Segge (Carex vulpina);
tern und mit dem zwischenzeitlichen Besitzer des              4) Männchen des Südlichen Blaupfeils (Orthetrum
Geländes, einem Architekten, der es vor Jahren der            brunneum); 5) Winzling des Kleinen Tausendgülden-
Migrol abgekauft hatte und deshalb auch entschä-              krauts (Centaurium pulchellum); 6) Andreas Keel
                                                              (l.) und Stefan Ungricht bei der Besichtigung des
digt werden wollte. Daraufhin entschied der SCNAT-            Terrains; 7) Lauchschrecke (Mecostethus para-
Vorstand bewusst, das Helene-Kaiser-Legat zum                 pleurus). (Bilder: A. Keel, C. Tanner, R. Rutishauser)
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    3                                     4                        5

    6                                                              7
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       — P h ysik im A lltag

       Fraktale Dimensionen − Bedeutung
       und Anwendungen
       Wie lang ist die Küste des Zürichsees?          derweise auch die Dimension einer Kante der Bo-
       Die Antwort auf diese banal erschei-            denplatte korrekt wieder. Um die Kantenlinie mit
       nende Frage eröffnete in den 1960er-            denselben Quadraten zuzudecken, brauchen wir
       Jahren eine neuartige Beschreibung              N = 1, 2, 4 und 8 Quadrate, deren Kanten k = 1, 2, 4
       von Strukturen in den Naturwissen-              und 8 mal kleiner sind als diejenigen der Bodenplat-
       schaften wie auch in der Medizin. Der           te. Die Dimension wird nun offensichtlich D = 1 und
       folgende Artikel beschreibt die Verall-         stimmt mit unseren Erwartungen überein.
       gemeinerung des Dimensionsbegriffs                      Testen wir noch die Dimension eines Eckpunk-
       von ganzen auf gebrochene Zahlen und            tes der Bodenplatte. Unabhängig von der Grösse der
       zeigt Beispiele für deren Verwendbar-           Quadrate brauchen wir nur N = 1 Quadrat, um den
       keit in der Botanik und der Physik.             Punkt zuzudecken. Der einzige Exponent D, der für
                                                       alle k zu N = 1 führt, ist D = 0, was ebenfalls korrekt
Das Problem bei der Messung der Küstenlinie des ist. Diese Methode funktioniert auch für jede höhere
Zürichsees liegt beim verwendeten Massstab. Misst Dimension als 2 und wird in der Wissenschaft als
man die Länge der Küstenlinie auf einer Karte «box counting method» bezeichnet.
1:100 000 mit einem ein Zentimeter langen Stück
eines Zündholzes, wird man eine Länge in Kilome-               Die Kochsche Monsterkurve
tern erhalten. Mit 1:25 000er-Karten wird man mit Der schwedische Mathematiker Helge von Koch
demselben Zündholzstück jedoch eine grössere Ge- hat 1904 eine überall stetige aber nirgendwo dif-
samtlänge messen, da auch viermal kleinere Buchten ferenzierbare Kurve vorgestellt. Ohne es zu wissen,
berücksichtigt werden. Mit Hilfe von Satellitenbil- hat er damit eines der ersten fraktalen Objekte be-
dern würde die Küstenlänge nochmals wesentlich schrieben. Es handelt sich um die folgende itera-
grösser, weil nun Strukturen von etwa einem Meter tive Konstruktionsanleitung: Eine beliebige Stre-
Durchmesser sichtbar sind. Zu noch kleineren Mass- cke (Abb. 1a) wird in drei Teilstücke geteilt und das
stäben kann man bei Seen nicht gehen, weil Wellen mittlere Teilstück (Abb. 1b) wird danach durch zwei
die Küstenlänge dauernd verändern würden. Die gleiche Teilstücke ersetzt, sodass eine Zacke ent-
Frage lautet nun, wie man eine Dimension definie- steht (Abb 1c).
ren könnte, die beliebigen Massstäben zwischen 1000            Beim nächsten Schritt wird dasselbe Verfah-
und 1 Meter gerecht würde.                             ren auf die nun vier Teilstrecken angewendet. Bei
                                                       jedem Iterationsschritt wird die Gesamtlänge der Li-
        Eigenschaften von glatten Strukturen
Betrachten wir eine quadratische Bodenplatte mit
40 cm Kantenlänge und fragen uns, wieviele Papier-
quadrate mit Kantenlängen von 40, 20, 10 und 5 cm
es brauchen würde, um die Bodenplatte vollständig
zuzudecken. Offensichtlich wären diese Zahlen N =
1, 4, 16, 64 für Quadrate mit Kantenlängen, die k = 1,
2, 4 und 8 mal kleiner sind als diejenigen der Boden-
platte. Die Beziehung zwischen N und k lautet also
N = kD mit D = 2. Wir definieren nun D als Dimensi-
                                                               Abb. 1: Erster Iterationsschritt zur Konstruktion
on der Fläche der Bodenplatte, die mit der intuitiv            einer Koch Kurve. Nach unendlich vielen
erwarteten Dimension übereinstimmt.                            Schritten befände sich eine Spitze an jeder
                                                               Stelle, die Kurve wäre also nirgends differenzier-
        Interessant ist jedoch, dass wir die obige
                                                               bar. Ihre Länge innerhalb der hellblauen Fläche
Relation nach D auflösen können mit dem Resultat               wäre unendlich gross und ihre fraktale Dimension
D = Log N / Log k. Diese Formel gibt überraschen-              betrüge 1,2619… (Bild: F. Gassmann)
11    Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH

      Abb. 2: Schwarz-Weiss-Scan eines Farnblattes und Resultat der «box counting method» mit k = 1, 2, 4, 8, 16,
      32, 64, 128, 256, 512. Die Anzahl N(k) Quadrate, die zur vollständigen Abdeckung nötig sind, ergibt doppelt
      logarithmisch dargestellt fast exakt eine Gerade mit Steigung 3,79/2,11 = 1,8. Dies ist die fraktale Dimension
      der Umrisslinie des Blattes. Dabei ist 2,11 = Log(128) und 3,79 = Log(6119). Eine Verkleinerung der Kantenlän-
      ge der Quadrate um den Faktor k = 128 hat bewirkt, dass N(k) = 6119 Quadrate zur Abdeckung nötig wurden
      und nicht nur 128 wie im Falle einer geraden Linie mit Dimension D=1. (Bild und Rechnung: F. Gassmann)

nie um den Faktor 4/3 grösser und nach unendlich                   Umrisslinie von Farnkraut
vielen Schritten wird sie unendlich lang. Eine unend-      Stellvertretend für sehr viele natürliche Strukturen,
lich lange Linie innerhalb des hellblauen Rechtecks        wie beispielsweise diejenigen von Broccoli, Schnee-
(Abb. 1c) wurde vor gut einem Jahrhundert als Mons-        flocken, Salzkristallen oder Staubpartikeln, betrach-
ter empfunden.                                             ten wir Farnkraut aus dem Garten des Autors.
        Der Mathematiker Benoît Mandelbrot hat                     Abb. 2 zeigt ein typisches Exemplar, dessen
für solche Gebilde 1975 den Begriff Fraktale ein-          Umrissdimension mit Hilfe der «box counting me-
geführt, der Bezug nimmt auf deren gebrochene              thod» bestimmt wurde. Dazu wurde das Farnkraut
Dimensionen. Für die Koch Kurve ergibt sich eine           mit Hilfe eines Scanners in ein hochaufgelöstes
Dimension analog der obigen Definition zu D =              Schwarz-Weiss Computerbild (ohne Grautöne) um-
Log 4 / Log 3 = 1,2619…, die zwischen der üblichen         gewandelt, das hernach durch ein entsprechendes
Dimension einer Linie und derjenigen einer Fläche          Programm mit immer kleineren Quadraten abge-
liegt.                                                     deckt wurde. Die Funktion N(k) ist in doppelt loga-
        Die fraktale Dimension der Koch Kurve kann         rithmischer Darstellung im untersuchten Intervall
genau bestimmt werden, weil es sich um eine streng         zwischen etwa 200 mm (Blattdurchmesser, k = 1)
selbstähnliche Struktur handelt, d.h. dieselbe Za-         und 0,4 mm (29 = 512 mal kleinere Kantenlänge, k =
cke erscheint in immer kleinerer Ausführung un-            9) fast perfekt linear. Die Steigung dieser Geraden
endlich oft. Auch die «box counting method» ergä-          beträgt 1,8 und wird als fraktale Dimension der Um-
be dasselbe Resultat, allerdings müsste bis zu             risslinie des Blattes bezeichnet. Sie ist wesentlich
enorm kleinen Quadraten gerechnet werden, um               grösser als die Dimension der Koch Kurve, weil die
die Genauigkeit von 4 Stellen nach dem Komma               Farn-Finger im Vergleich zu den kurzen und flachen
zu erreichen.                                              Koch-Spitzen viel länger sind.
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       — P h ysik im A lltag

       Abb. 3: Messung der fraktalen Dimension der Elektrodenoberfläche eines Supercaps.
       a) Ausschnitt von 600 mal 300 Mikrometern aus dem Querschnitt durch eine Supercap-Doppelelektrode.
       Der helle Streifen ist die 30 Mikrometer dicke metallische Trägerfolie, die insgesamt 0,1 m breit und 2 m lang
       ist. Die grüne Harzfüllung dient der Stabilisierung der empfindlichen Kohlenstoffstruktur, um sie beim
       Schneiden nicht zu zerstören. Anstelle der Harzfüllung dient im funktionierenden Supercap ein Salzionen
       enthaltendes organisches Lösungsmittel als Elektrolyt.
       b) Von Hand nachgezeichnete Umrisslinie der Kohlenstoffstruktur überlagert mit einem Gitter bestehend aus
       16 x 8 = 128 Quadraten. Die N = 56 hellblau gefärbten Quadrate decken die Umrisslinie vollständig ab. Für
       dieses Beispiel ist der Verkleinerungsfaktor der Kantenlänge der Quadrate k = 11,3 (Wurzel aus 128).
       c) Die elektronenmikroskopische Aufnahme zeigt Oberflächen-Rauhigkeit auch im Mikrometer-Massstab und
       stützt die Vermutung, dass sich die fraktale Dimension unverändert bis in die Nanometer-Grössenordnung
       fortsetzt.
       d) Die doppelt logarithmische Darstellung für N als Funktion von k ergibt angenähert eine Gerade mit der
       Steigung D = 1,6. D ist die fraktale Dimension der Kohlenstoff-Umrisslinie, D+1 diejenige der Kohlenstoff-Ober-
       fläche. Der mit b) markierte Punkt entspricht dem unter b) gezeigten Abdeckungs-Gitter mit 128 Quadraten.
       (Bild aus Gassmann et al. 2003)

       Grosse Oberflächen in Physik und                      Elektroden mit Oberflächen A und dazwischenlie-
       Chemie                                                gender Isolationsschicht mit Dicke d. Seine Kapazität
Oberflächen haben überragende Bedeutung zum                  ist C = ε0 ε A/d, wobei ε0 eine Naturkonstante ist und
Beispiel bei Katalysatoren, bei der Adsorption von           ε die stoffabhängige Dielektrizitätskonstante der Iso-
Gasen in Gasmasken oder bei Elektroden von Batte-            lationsschicht bedeutet. Die Masseinheit Farad von
rien und Kondensatoren. Der Autor hat am Paul Scher-         C wurde nach dem englischen Wissenschaftler Mi-
rer Institut im Zusammenhang mit der Entwicklung             chael Faraday (1791 - 1867) benannt und Kapazitäts-
von Supercaps, d.h. Kondensatoren mit sehr grosser           werte sind üblicherweise sehr kleine Zahlen, wenn
Kapazität (Gassmann et al. 2003), die fraktale Dimen-        A/d in Metern gemessen wird. Deshalb werden Ka-
sion der Oberflächen von Elektroden untersucht.              pazitäten meist in nF (nano-Farad) oder μF (mikro-
       In der Elektronik sind drei Arten passiver Bau-       Farad) angegeben.
elemente von grundlegender Bedeutung: Widerstän-                     Die gespeicherte Energie E = ½ C U2 ist sehr
de (Masseinheit Ohm), Kondensatoren (Ladungs-                klein und beträgt selbst für einen grossen Konden-
speicher, Kapazität mit Masseinheit Farad) und               sator mit C = 8000 μF bei einer angelegten Spannung
Induktivitäten (meist Spulen, Induktivität mit Mass-         U = 2,5 Volt nur 0,025 Ws (Wattsekunden oder Joule).
einheit Henry). Ein Kondensator besteht aus zwei             Mit dieser Energie könnte man eine Masse von 1 kg
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nur um 2,5 Millimeter anheben oder eine 2,5 Watt                    Diese Spezifikationen erlauben interessante Anwen-
LED-Lampe während einer Hundertstelsekunde zum                      dungen in vielen technischen Bereichen wie Netz-
Leuchten bringen.                                                   stabilisatoren, Überbrückung zwischen Netzausfall
        Als Energie-Zwischenspeicher zur Überbrü-                   und Inbetriebnahme von Notstromaggregaten, Glät-
ckung von Netz-Spannungsschwankungen oder                           tung von Stromspitzen, die beim Anfahren grosser
für Leistungsreserven in Elektroautos kommen                        Elektromotoren entstehen, Rekuperierung von Brems-
herkömmliche Kondensatoren deshalb nicht in                         energie oder Bereitstellung von Zusatzschub in Elek-
Frage.                                                              trofahrzeugen, etc.
        Bei den die Kapazität bestimmenden Para-
metern ε und d sind bei herkömmlichen Elektrolyt-                           Schlussbetrachtung
kondensatoren keine wesentlichen Optimierungen                      Der vorliegende Artikel gibt die Grundidee einer
mehr möglich. Einzig bei der Elektrodenfläche A                     komplizierten mathematischen Konstruktion mit
können durch den Übergang auf fraktale Oberflä-                     einfach verständlichen Anwendungen. Neben der
chen revolutionäre Erfolge erzielt werden. Abb. 3                   gut nachvollziehbaren «box counting method» gibt es
zeigt einen Querschnitt durch eine Kohlenstoff-                     jedoch etwa 10 weitere Dimensions-Definitionen,
Elektrode und die mit Hilfe der «box counting me-                   die bei bestimmten Anwendungsfällen zu unter-
thod» bestimmte fraktale Dimension der Umrissli-                    schiedlichen Resultaten führen können. Alle Metho-
nie von 1,6 im Massstabs-Intervall von 600 bis etwa                 den liefern aber für Punkte, Geraden und Ebenen die
1 Mikrometer.                                                       Dimensionen 0, 1 und 2 und alle stimmen für kom-
        Da sich in diesem gegen 3 Dekaden grossen                   pakte exakt affin-selbstähnliche mathematische
Intervall in der doppelt logarithmischen Darstellung                Strukturen überein.
eine fast perfekte Gerade ergab, durfte angenom-                            Das Konzept der fraktalen Dimension ist der-
men werden, dass die fraktale Dimension von 1,6                     art flexibel anwendbar, dass es heute in praktisch al-
auch näherungsweise für den gesamten Bereich von                    len naturwissenschaftlichen Gebieten verwendet
0,1 m (Breite des 2 m langen Metallfolienstreifens,                 wird. In der Physik sind Anwendungen in der Astro-
der die poröse Elektrodenstruktur trägt) bis zu ei-                 nomie, Akustik, in den Erdwissenschaften, bei me-
nem Nanometer (Grösse der Mikroporen) gilt.                         chanischen Reibungsvorgängen oder elektrischen
        Der Oberflächen-Vergrösserungsfaktor des                    Kontaktwiderständen häufig. In der Chemie sind
0,2 m2 grossen Elektrodenstreifens ergibt sich damit                Fraktale im Zusammenhang mit elektrochemischen
über die 8 Zehnerpotenzen des Längenintervalls zu                   Prozessen, diffusionslimitierter Aggregation, Korro-
108 x 0,6 ≈ 60 000. 1 Die für die Kapazität massgeben-              sionserscheinungen oder Oberflächenbeschaffen-
de aktive Oberfläche beträgt also 0,2 x 60 000 m2 =                 heiten anzutreffen. In der Biologie ist es hilfreich,
12 000 m2 und entspricht etwa einem sehr grossen                    Strukturen von Ökosystemen oder Lebewesen (Or-
Fussballfeld.                                                       gane, Gewebe) mit Hilfe fraktaler Dimensionen zu
        Entsprechend dazu vergrössert sich auch die                 charakterisieren. In der Medizin spielen Fraktale vor
Kapazität, die mehrere Tausend Farad erreichen kann.                allem in der diagnostischen Bildgebung und in der
Die bei 2,5 Volt in einem 2000 Farad Supercap ge-                   Neurologie eine wichtige Rolle. Ganz allgemein sind
speicherte Energie ist gut 6 Kilowattsekunden. In ei-               Attraktoren (quasistabile Zustände) in komplexen
nem Modul mit 200 solchen Supercaps könnte also                     nichtlinearen Systemen (z.B. globales Klimasystem)
über 1,2 Megawattsekunden Energie gespeichert wer-                  komplizierte Strukturen mit fraktaler Dimension.
den, was ausreichen würde, um eine Tonne um 120                            Fritz Gassmann
Meter anzuheben oder einen 1000 Watt Elektromo-                            Literatur
tor während 20 Minuten zu betreiben. Dazu kommt                            Gassmann F., Kötz R. & Wokaun A. 2003.
die Eigenschaft von Kondensatoren, praktisch ins-                          Supercapacitors boost the fuel cell car. Europhysics
                                                                           News 34(5): 176-180.
tantan sehr grosse Ströme liefern zu können.

1 Begründung: Die Umrisslinie hat die Dimension 1,6. Die aktive
Elektrodenoberfläche hat also die Dimension 2,6. Dies sind 0,6
Dimensionseinheiten mehr als die Dimension des glatten
Elektrodenträgerstreifens. Jede Zehnerpotenz des Längeninter-
valls vergrössert also die Oberfläche um 100,6 = 3,98 und 3,988 ≈
60 000.
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      — Das E x periment

      Ein Grundpfeiler wissenschaftlicher
      Methodik
      Experimente sind für den wissenchaft-             esoterischer oder religiöser unterscheidet. Eine Aus-
      lichen Fortschritt unbadingbar. Ohne              sage wird wissenschaftlich nur dann als diskussi-
      sie wären viele wichtige Erkenntnisse,            onswürdige Theorie angesehen, wenn sie durch ein
      denen wir unser heutiges modernes                 Experiment empirisch überprüft, beziehungsweise
      Leben verdanken, nicht möglich                    besser formuliert: widerlegt werden kann.
      gewesen. Eine neue Rubrik will die                       Des Weiteren bedeutet der Begriff im schu-
      Leistungen früherer Forscherinnen                 lischen Kontext vereinfachend oft nur die Veran-
      und Forscher würdigen, die mit ihren              schaulichung theoretischen Lehrstoffs durch von
      Experimenten diesen Fortschritt erst              der Lehrperson oder die Schülerschaft selber durch-
      ermöglicht haben.                                 geführte Prozeduren naturwissenschaftlicher oder
                                                        psychologischer Natur.
        Begriffsklärung
Der Begriff Experiment stammt vom lateinischen ex-              Alhazens optische Experimente
periri (in Erfahrung bringen) ab und wird als das la-   Die ersten, an die moderne naturwissenschaftliche
teinische experimentum im Sinne von «Probe, Ver-        Methodik erinnernden Versuche, welche breite Be-
such, Überprüfung» angewandt.                           kanntheit erlangten, wurden vom arabischen Ma-
        In der Naturphilosophie des Altertums be-       thematiker Alhazen (auch Al-Haytham; 965-1040)
deutet der Begriff grundsätzlich nur die Beobach-       auf dem Gebiet der Optik durchgeführt. Angeregt
tung eines Vorgangs, während er darüberhinaus im        durch die ptolemäischen Erörterungen zur Mathe-
modernen, naturwissenschaftlichen Kontext als           matik der Optik experimentierte er mit verschiede-
eine methodisch angelegte Untersuchung zur em-          nen Glaslinsen in einer Camera obscura und gelangte
pirischen Gewinnung von Information über den zu         so zur wissenschaftlich fundierten Schlussfolgerung,
untersuchenden Vorgang definiert ist.                   dass die damals vorherrschende Erklärung des Seh-
        Das Experiment ist ein Grundpfeiler wissen-     vorgangs durch Sehstrahlen nach Platon und Euklid
schaftlicher Methodik und wohl das wichtigste Werk-     falsch sein musste.
zeug zur Überprüfung, Erweiterung oder Verwer-                  Sein «Buch der Optik» (arab.: Kitāb al-Manāẓir;
fung von bestehenden Hypothesen und Theorien.           lat.: De Aspectibus) fasste seine empirisch gestützten
Es ist der entscheidende Faktor, welcher wissen-        Schlussfolgerungen, wie die ersten optischen Ge-
schaftliche Erkenntnis von (natur)philosophischer,      setze oder die Prinzipien von Lichtreflexion und

                                                                            Anatomische Darstellung des
                                                                            menschlichen Sehsystems in
                                                                            Alhazens Kitāb al-Manāẓir (1493).
                                                                            (Bild aus McQuaid (2019))
15     Vierteljahrsschrift — 2 | 2022 — Jahrgang 167 — NGZH

       Vereinfachte graphische Darstellung naturwissenschaftlich-forschender Tätigkeit (umgangssprachlich oft als
       wissenschaftliche Methode bezeichnet. (Bild: R. Oetterli)

-brechung, zusammen. Seine Linsen-Experimente              ihm bekanntlich einiges an Unannehmlichkeiten
bildeten die Grundlage für die bald darauf entwi-          bescherte. Ein weithin verbreiteter Irrtum – natur-
ckelten Brillen und sein Buch galt bis tief in die Zeit    wissenschaftshistorische Fake News sozusagen – ist,
der Renaissance hinein als Massstab «wissenschaft-         dass Gallileo die von ihm beschriebenen Experi-
licher» Vorgehensweise – auch wenn es diesen Be-           mente gar nicht durchgeführt habe. Dieser inzwi-
griff so noch nicht gab.                                   schen widerlegte Vorwurf geht in erster Linie auf
        Zusätzlich zu seinen mathematischen, opti-         das vielzitierte Experiment zum freien Fall verschie-
schen und astronomischen Arbeiten, veröffentlich-          den schwerer Kugeln vom schiefen Turm von Pisa
te Alhazen seine wissenschafts-methodologischen            zurück, welche er tatsächlich nie selber durchge-
Überlegungen zu induktiv-experimentellen Versu-            führt hat – was er allerdings auch nie behauptet hät-
chen und legte somit das Fundament, auf welchem            te. Andere Experimente, wie die für die Aufklärung
im Europa der Aufklärung dann Persönlichkeiten             der Fallgesetze genauso grundlegenden Experimen-
wie Francis Bacon oder Robert Boyle die moderne            te in der schiefen Ebene, hat er nämlich sehr wohl
wissenschaftliche Methodik entwickelten.                   durchgeführt, was aus den erst in den 1960er-Jahren
                                                           studierten handschriftlichen Messprotokollen her-
       Galileos Experimente zum Fallen von                 vorgeht.
       Objekten
Galilleo Gallilei (1564-1642) wird gemeinhin als                  Es gibt verschiedene «Typen» von
der Begründer der modernen Naturwissenschaften                    Experimenten
angesehen. Seiner Methodik zufolge sollten Beob-           Gallileos Experimente zum Fallverhalten entspricht
achtungen anhand geplanter Experimente mit mög-            einem Typ Experiment, der primär durch Samm-
lichst genauen Messungen quantifiziert werden              lung von (Mess)daten und deren anschliessender
und diese Messergebnisse dann mit den Mitteln              Auswertung zu einer Gesetzmässigkeit führt. An-
der Mathematik analysiert werden. Diesen empi-             dere Beispiele für diesen Typ wären Keplers Ge-
risch gestützten Ergebnissen sei in jedem Fall Vor-        setze der Planetenbewegung, die auf Brahes ast-
rang zu geben vor rein philosophisch oder theolo-          ronomischen Messungen basierten, oder die
gisch begründeten Aussagen – eine Ansicht, die             Evolutionstheorie, die auf den umfassenden Auf-
16    FO R S C H U N G
      — Das E x periment

zeichnungen Darwins zum Beispiel über die Vari-         nen Ferien Petrischalen aussortierte und dabei auf
abilität der Tierarten fusst.                           etwas Seltsames stiess. Das Zeitalter der Antibioti-
       Ein anderer Typ Experiment basiert auf ei-       ka hatte begonnen.
nem strategisch oft faszinierenden experimentellen
Aufbau zum Zweck der Prüfung oder Widerlegung                   Die wundervolle Welt der Experimente
einer bestehenden Hypothese oder Theorie. Auch          Die Welt der Experimente ist voll von atemberau-
hier, wie bei aller wissenschaftlichen Betätigung,      bend cleveren Ideen. Einstein hatte in seiner Gra-
ist Messgenauigkeit unabdingbar. Als Beispiel hier-     vitationstheorie, die erst viele Jahre später als all-
für wären wohl Lavoisiers Oxidationsexperimente         gemeine Relativitätstheorie weltbekannt werden
zu nennen, durch welche er mittels sehr genauer         sollte, vorausgesagt, dass und um wieviel sich Licht-
Wägedaten nicht nur die damals vorherrschende           strahlen eines Sterns um eine genügend grosse Gra-
Phlogistontheorie widerlegen konnte, sondern auch       vitationsquelle biegen. Wie aber sollte man diese
gleich die Ära der modernen Chemie einläutete.          Behauptung prüfen, wenn genügend schwere Mas-
                                                        sen nur in Form von Sonnen vorkommen und deren
        Früchte des technologischen Fort-               Licht das zu messende Licht eines Sterns dahinter
        schritts                                        um Grössenordnungen überstrahlt? Oder: Wie lässt
Es gibt den Typ Experiment, welchem stets eine          sich die Vorstellungswelt eines Schimpansen erfor-
technologische Neuerung vorangeht. Im 17. Jahr-         schen, wo doch eine sprachliche Kommunikation
hundert schreitet zum Beispiel die Linsentechnolo-      mit ihm ausgeschlossen ist? Wie kann man nach-
gie derart voran, dass erste Mikroskope gebaut wer-     weisen, ob Licht nun ein Teilchen, eine Welle oder
den können und auf einmal erschliesst sich dem          beides gleichzeitig oder nichts von beidem ist? Wie
Experimentator eine ganz neue Welt. Da gibt es Mi-      lässt sich das Konzept des freien Willens experimen-
kroorganismen. Eine Entdeckung, die schliesslich        tell erforschen? Wie hat Herschel infrarotes Licht
zur Keimtheorie und einer kompletten Neuorien-          nachgewiesen, obwohl man es nicht sehen kann?
tierung der Medizin führt. Da zeigt sich, dass Leben            Dieser Beitrag ist der Startschuss für eine
aus Zellen besteht. Das Erbgut wird entdeckt und        vierteljährliche Kolumne über die wundervolle Welt
nach vielen experimentellen Schlussfolgerungen          der Experimente – die grossen Durchbrüche und die
heilen wir heute die ersten Erbkrankheiten mit Gen-     genial ausgeheckten Ideen dahinter. Auch die Fal-
therapien.                                              len sollen beschrieben werden, in die man als Ex-
        Ein anderes Beispiel für eine technische Neu-   perimentator tappen kann und die die Aussagekraft
erung wäre das Cyclotron – Vorläufer heutiger Teil-     eines Experiments zunichte machen – wie grandio-
chenbeschleuniger. Es führt nicht nur zur Erweite-      se Fehlüberlegungen, Voreingenommenheit oder
rung des Periodensystems um viele neue Elemente,        sogar bewusster Betrug.
es verwandelt auch das gemütliche Stelldichein der              Es soll von den grossen Momenten der Ge-
damals bekannten subatomaren Partikel Elektron,         schichte unserer Zunft berichtet werden. Aber es
Proton und Neutron in ein Tohuwabohu aus einer          soll immer auch Platz dafür bleiben, aktuelle Expe-
Vielzahl neuer Teilchenarten, welche wild durchei-      rimente in ihren Kontext zu stellen, zu evaluieren
nander nach einer weit umfassenderen theoreti-          und zu erklären. Ich hoffe Sie freuen sich gleicher-
schen Grundlage schreien, dem heutigen Standard-        massen darauf, diese Rubrik zu lesen, wie ich mich
modell der Teilchenphysik.                              darauf freue, sie zu schreiben.
        Schliesslich wäre da noch der Typ Experi-              René M. Oetterli
ment, der durch die Kombination aus Zufall und                 Der Autor ist Chemielehrer am MNG Rämibühl und
einem wachen Geist zu wissenschaftlichen Erdbe-                Fachverantwortlicher Chemie am ScienceLab der
                                                               Universität Zürich. Darüber hinaus erforscht er am
ben führt. So wie bei Becquerel, der an einem kal-             Chemiedepartement der Universität Zürich
ten Februarnachmittag 1886 seine Uransalze zur                 historische und neue Farbpigmente.
Seite legte, weil sich die für seine beabsichtigten            Literatur
Experimente notwendige Sonne einfach nicht zei-                McQuaid R. OD. 2019. Ibn al-Haytham, the Arab
gen wollte. Kurz darauf entdeckt er die Radioakti-             who brought Greek optics into focus for Latin
                                                               Europe. Adv. Ophthalmol. Vis. Syst., 9(2), 44-51
vität. Oder Fleming, der nach der Rückkehr aus sei-
17     FO R S C H U N G
       — A S T RO N O M I E

       Die hohen Erwartungen werden erfüllt

Ein neues Kapitel in der Erforschung des Weltalls,        NGC 3324 im Carina-Nebel. Das JWST hat dieses
das sollte mit der Inbetriebname des neuen James-         Bild im infraroten Licht aufgenommen und enthüllt
Webb-Weltraum-Teleskops (JWST) beginnen. Und              damit zum ersten Mal bisher unsichtbare Bereiche
nun, wenige Wochen nach dem Beginn der wissen-            der Sternentstehung. Auch nähergelegene Objekte
schaftlichen Messungen zeigt sich: Das 10 Milliar-        wie der Planet Jupiter (links oben) können mit dem
den US-Dollar teure Teleskop übertrifft bereits jetzt     neuen Teleskop nun noch detaillierter untersucht
sämtliche Erwartungen. So zeigen beispielsweise die       werden. Das JWST soll auch Hinweise liefern, ob es
ersten Bilder, welche die Nasa Mitte Juli veröffentlich   auf anderen Planeten Leben geben könnte. Erste
hat, eindrücklich, mit welcher Schärfe sich das All       Messungen beim Riesen-Exoplaneten WASP-39 b
mit dem JWST vermessen lässt, wie das Bild mit den        zeigen, dass es in dessen Atmosphäre Kohlendioxid
fünf Galaxien oben rechts illustriert.                    geben muss. Damit steigen die Hoffnungen, auch bei
       Die Landschaft aus «Bergen» und «Tälern»           kleineren, erdähnlicheren Planeten dereinst eine
auf dem unteren Bild ist in Wirklichkeit der Rand ei-     Atmospühre nachweisen zu können.
nes nahen, jungen Sternentstehungsgebiets namens                Bilder: NASA, ESA, CSA, and STScI
18    BU L L E T I N
      — Vortragsreihe

Ein flexibles Programm, das Raum
für Aktuelles schafft
Zwischen November 2021 und März 2022
haben wir versuchsweise 14 Online-Vorträge
realisiert und wurden durch die vielen begeis-
terten Kommentare von NGZH-Mitgliedern
positiv überrascht. Vielfach wurde der Wunsch
ausgedrückt, dieses Format mindestens teil-
weise beizubehalten.
       Wir werden deshalb im November und
Dezember 2022 vorwiegend Online-Vorträge
organisieren und nur diejenigen Vorträge in
einem Hörsaal anbieten, die mit Besichtigun-
gen oder Demonstrationen verbunden sind,
die eine Präsenz erfordern.
       Wie bei der letzten Vortragsreihe wer-         Rahel Grange entwickelt in ihrer Forschung
den die Online-Vorträge aufgezeichnet und in          unter anderem Nanokügelchen, die rotes
überarbeiteter und etwas gestraffter Form ei-         Laserlicht durch Frequenzverdopplung in
nige Tage später auf unserer Homepage ab-             blaues Licht um wandeln. (Bild: Jolanda
rufbar sein. Wer am Vortragsabend verhindert          Müller / ETH Zürich)
war, kann so am Vortrag auch später teilneh-
men, aber natürlich nicht an der Diskussion.
       Der Link «Vorträge» befindet sich unter        Vortragsthemen (Änderungen vorbehalten)
«Publikationen» auf unserer Homepage www. Das provisorische Vortragsprogramm sieht
ngzh.ch. Auf dieser Internetseite findet sich folgende Themen und Referentinnen und Re-
auch ein Hinweis, wie Sie an den Vorträgen ferenten vor:
teilnehmen können. Präsenz-Vorträge werden
nicht aufgezeichnet.                                  Prof. Dr. Rachel Grange, ETH Zürich
                                                > Nichtlineare Optik und Anwendungen in Te-
       Einladungen zu den Vorträgen               lekommunikation und Quantencomputern
Um eine hohe Flexibilität zu gewährleisten, die
es erlaubt, aktuelle Ereignisse zu berücksich-        Dr. René Oetterli, Universität Zürich und
tigen, auf Wünsche der Vortragsteilnehmen-            Vorstand NGZH
den einzugehen und spontane Anmeldungen > Die Rolle der Chemie bei den Anfängen des
zur Präsentation eines Vortrages aufzuneh-        Lebens
men, werden wir kein Vortragsprogramm ver- > Atemberaubende Strukturen in der supra-
senden, sondern die Vorträge jeweils in der       molekularen Chemie
Vorwoche ankündigen und am Vortragstag ein > Schönheit in den Naturwissenschaften
Erinnerungsmail versenden.
       Für diejenigen Mitglieder, die sich für        Dr. Fritz Gassmann, Vorstand NGZH
die Vorträge interessieren, ist es deshalb un- > Die Schrödinger-Gleichung und ihre Bedeu-
erlässlich, dass sie uns ihre E-Mail-Adresse      tung für Wissenschaft und Praxis
bekannt geben. Falls Sie bisher von uns noch > Relationen zwischen Raum, Zeit, Energie
keine elektronsichen Vortrags-Einladungen         und Masse
erhalten haben, schicken Sie uns bitte ein E-
Mail an sekretariat@ngzh.ch. Wir werden Sie
dann regelmässig auf dem Laufenden halten.
19    BU L L E T I N
      — P odcasts

Ein neuer NGZH-Kanal für Junge
und Junggebliebene
René Oetterli ist seit Januar 2020 Mitglied       oder Kurzvorträge und Kommentare zu aktuel-
unseres Vorstandes. Er betreut bisher den         len und historisch bedeutenden Forschungsthe-
NGZH-Auftritt auf den sozialen Medien (Face-      men und -durchbrüchen enthalten und grob in
book und Instagram). Er ist Chemielehrer am       folgende Kategorien eingeteilt werden können:
Mathematisch Naturwissenschaftlichen Gym-         > Porträts von Forschenden mit Verbindung zu
nasium Rämibühl (MNG) und Fachverantwort-           Zürich und Umgebung (auch historisch)
licher Chemie am Science Lab der Universität      > Naturwissenschaftsthemen mit Verbindung
Zürich.                                             zu Zürich und Umgebung (auch historisch)
       Er beteiligt sich auch am naturwissen-     > Naturwissenschaftsthemen von allgemeiner
schaftlichen Dialog mit der breiten Öffentlich-     Bedeutung weltweit (Nobelpreise, Entde-
keit auf allen Altersstufen, beispielsweise an      ckungen, Theorien, wichtige Anwendungen
der Kinderuniversität (Co-Leitung des Chemie-       wissenschaftlicher Erkenntnisse)
workshops seit 2017), der Scientifica (Physik-    > Themen zum besseren Verständnis der heu-
und Chemie-Experimentalvorlesungen), am             tigen technischen Anwendungen
Zukunftstag, am Science Alumni Family Day,
am Science and Nature Festival auf dem Irchel,           Stellenwert dieses Pilotprojektes für die
an der Paulusakademie. Daneben gibt er auch              Zukunft der NGZH
öffentliche Vorträge.                             Alle traditionellen Kommunikationskanäle der
       Diesen Sommer hat er zusammen mit          NGZH werden von den heutigen Mitgliedern
Nicole Dettwiler und dem NGZH-Präsidenten         geschätzt und deshalb will niemand diese preis-
ein Gesuch an die SCNAT im Rahmen einer           geben. Doch leider verfängt kein einziger tradi-
Ausschreibung für Zusatzkredite gestellt und      tioneller Kanal bei der jungen Generation – eine
einen Kredit von Fr. 8000 erhalten, um ein Pi-    typische No-future-Situation! Der einzig gang-
lotprojekt für einen wöchentlichen wissen-        bare Weg scheint uns nach vielen Diskussionen
schaftlichen NGZH-Podcast zu realisieren. Um      und Überlegungen ein verstärktes Engagement
genügend Zeit für die Entwicklung seriöser Po-    in den sozialen Medien zu sein.
dcasts zu gewinnen, hat er sein Lehrpensum               Betrachtet man das Spektrum der Mög-
um einige Wochenstunden reduziert.                lichkeiten in diesem Bereich erscheint einleuch-
                                                  tend, dass wissenschaftliche Podcasts dasje-
      Ziele des Projektes                         nige Mittel sind, das am besten zur Gesellschaft
René Oetterli wird sich beraten lassen über den   passt und entsprechende Ineressierte innerhalb
geeigneten Anschaffungsumfang für Podcast-        der jungen Generation ansprechen dürfte.
produktionen und dann die notwendige Infra-              Dieses Pilotprojekt ist deshalb von gro-
struktur aufbauen. Anschliessend wird er einen    ssem Interesse für die NGZH. Durch eine noch
regelmässigen naturwissenschaftlichen NGZH-       zu entwickelnde Kombination mit der Online-
Podcast planen und realisieren. Dazu gehören      Vortragsreihe könnten zudem beide Aktivitäten
Recherchen, die Organisation der Aufnahmen        gegenseitig voneinander profitieren.
sowie Veröffentlichung der Podcasts. Die Bei-
träge sollen runtergeladen werden können über
Spotify, die Standardapplikation für Podcast-
Interessierte.
      Die Podcasts sollen die Gebiete Physik,
Mathematik, Biologie, Chemie, Erdwissenschaf-
ten, Umweltwissenschaften und Medizin abde-
cken. Sie sollen Interviews mit Forschenden
20    BU L L E T I N
      — Buchbesprechung

Drei prägende Figuren für den
Naturschutz
Die Notwendigkeit von Landschafts-, Natur-          Mario F. Broggi erinnert sich an Erich Kessler
und Artenschutz wird heute in der Schweiz kaum      als Ansprechpartner im BUWAL (heute BAFU):
mehr in Frage gestellt. Das war nicht immer so.     «Mit der Beauftragung für das Flachmoorinven-
Das vorliegende Buch ist drei Persönlichkeiten      tar der Schweiz ab 1986 ergab sich eine länge-
gewidmet, die den Natur- und Heimatschutz           re Zusammenarbeit. Er begleitete das grosse
der Schweiz seit den 1960er-Jahren wesent-          Werk mit zeitweise über 40 Beschäftigten von
lich mitgeprägt haben: dem Sekundarlehrer und       Seiten des Bundes. Sein Sachverstand, unauf-
(ab 1970) BUWAL-Mitarbeiter Erich Kessler           dringlich in väterlichem Ton eingebracht, be-
(1928 – 2007), dem ETH-Professor für Vege-          eindruckte.»
tationskunde und Pflanzenökologie Frank Klötz-             Josef Fischer (Geschäftsführer Stiftung
li (1934 – 2020) und dem an der Universität         Reusstal) schreibt über Erich Kessler, der in den
Zürich lehrenden Tierökologen Bernhard Nie-         Jahren 1969, 1981 und 1993 bereits alle Vor-
vergelt (1935 – 2021). Alle drei schufen ein        kommen der Sibirischen Schwertlilie (Iris sibi-
Fundament, auf dem Fachleute ihre Natur-            rica) im Aargauer Reusstal quantitativ erfasste:
schutzarbeit aufbauen konnten.                      «Sein Meisterwerk hat er der Nachwelt mit sei-
       Die Biografien von Kessler, Klötzli und      ner Untersuchung zur Bestandsentwicklung der
Nievergelt werden in diesem Buch in einen um-       Streuwiesen und Iris sibirica-Vorkommen hin-
weltpolitischen Kontext gestellt. Es bleibt nicht   terlassen. … Ein wegweisendes Monitoring, das
beim Rückblick. Aus dem bisherigen Tun wer-         jederzeit weitergeführt werden kann. … Erich
den Naturschutzvisionen für die Schweiz aufge-      Kessler ist für den Reusstaler Naturschutz der
zeigt. Man spürt beim Lesen, dass die Autoren       letzten 60 Jahre ohne Zweifel die prägendste
Richard Maurer (ehemaliger Leiter Natur- und        Person.»
Landschaftsschutz im Aargau) und Mario F.
Broggi (freischaffender Ökologe und früherer        Bernhard Nievergelt war weit mehr als «nur»
Direktor der WSL) die drei Experten persönlich      Steinbockexperte und Mitglied der Wissen-
gut gekannt haben. Zahlreiche Stimmen von           schaftlichen Nationalpark-Kommission (1978-
weiteren Naturschutz-Akteuren verleihen dem         1997). Karin Hindenlang, Geschäftsführerin
Buch eine persönliche Note.                         Stiftung Wildnispark Zürich, genoss Bernhard
       Das vielschichtige Wirken von Kessler,       als Lehrer an der Universität Zürich: «Von ihm
Klötzli und Nievergelt kann mit wenigen Sätzen      durfte ich lernen, wie Natur und Landschaft mit
nicht genügend gewürdigt werden. So wähle ich       ihren Bewohnern verstanden werden sollten, um
einige Zitate aus, welche Appetit darauf machen     einen respektvollen Umgang mit ihnen zu gestal-
sollen, das ganze Buch zu lesen!                    ten. Er hat damit mein Leben und das von vielen
                                                    Studierenden und Mitstreitern im Natur- und
Erich Kessler sprach im Rahmen der Dankesre-        Landschaftsschutz geprägt wie kein anderer.»
de zur Verleihung des Grossen Binding-Preises              Urs Kuhn und Fritz Hirt (†) als ehemalige
für Natur- und Umweltschutz (Dezember 1990)         Leiter der Fachstelle Naturschutz des Kantons
folgende Worte: «Wir wollen nicht hoffen, dass      Zürich betonen, dass das 1995 fertiggestellte
ausserirdische Paläontologen dereinst den Men-      Naturschutz-Gesamtkonzept vor allem von Bern-
schen als Leitfossil einer geologischen Epoche      hard Nievergelt initiiert worden war. Dazu er-
charakterisieren müssen, in welcher ein mit Geist   wähnen sie: «In der Expertenkommission trug
und Vernunft ausgestattetes Wesen die einmali-      auch Frank Klötzli, mit grossem Engagement und
ge Chance verpasst hat, sich lebenserhaltend        stimmgewaltig, zum Gelingen dieser Projektar-
und schöpfungsbewusst in das faszinierende Evo-     beit bei. Er ergänzte den eher leise auftretenden
lutionsgehen dieser Erde einzufügen.»               Bernhard in idealer Weise.»
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