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www.ssoar.info Das Ende der Aufklärung: der internationale Widerstand gegen das Recht auf Familienplanung Kröger, Inga; Olst, Nienke van; Klingholz, Reiner Monographie / monograph Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: SSG Sozialwissenschaften, USB Köln Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Kröger, I., Olst, N. v., & Klingholz, R. (2004). Das Ende der Aufklärung: der internationale Widerstand gegen das Recht auf Familienplanung. Berlin: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168- ssoar-321645 Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine This document is made available under Deposit Licence (No Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, non- Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, transferable, individual and limited right to using this document. persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses This document is solely intended for your personal, non- Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für commercial use. All of the copies of this documents must retain den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. all copyright information and other information regarding legal Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle protection. You are not allowed to alter this document in any Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument document in public, to perform, distribute or otherwise use the nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie document in public. dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke By using this particular document, you accept the above-stated vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder conditions of use. anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an.
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Kröger, van Olst, Klingholz · Das Ende der Aufklärung Inga Kröger, Nienke van Olst, Reiner Klingholz Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Markgrafenstraße 37 10117 Berlin Das Ende der Aufklärung www.berlin-institut.org Der internationale Widerstand gegen das Recht auf Familienplanung Berlin-Institut +++ Abstinenz, Treue und Kondome +++ der Kampf gegen Aids +++ US-Regierung gegen Familienplanung +++ christliche Grundwerte +++ Fundamentalisten und Lobbyisten +++ der Zusammenhang zwischen Bevölkerung und Entwicklung +++ das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung +++++++ ++ die demografische Dividende +++ die Rettung von Sitte und Moral +++ der Vatikan und die Frauenrolle +++ die Welt zwischen Bevölkerungswachstum und Schwund +++ Abstinenz, Treue und Kondome +++ der Kampf gegen Aids +++ Krisenregion südliches Afrika +++ christliche Grundwerte +++++
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Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Inga Kröger, Nienke van Olst, Reiner Klingholz Das Ende der Aufklärung Der internationale Widerstand gegen das Recht auf Familienplanung
Impressum Herausgeber: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Markgrafenstraße 37 10117 Berlin Telefon 030 223248-44/-45 Telefax 030 223248-46 e-mail: info@berlin-institut.org www.berlin-institut.org Autoren: Inga Kröger, Nienke van Olst, Reiner Klingholz Beratung: Hans Fleisch, Carl Haub, Catherina Hinz, Steffen Kröhnert Gestaltung: Traktor, Köln Druck: Gebrüder Kopp GmbH & Co. KG, Köln
INHALT WIE BEVÖLKERUNG, ENTWICKLUNG UND FAMILIENPLANUNG MITEINANDER ZUSAMMENHÄNGEN ................................................................................................ 4 1 – DER LANGE WEG NACH KAIRO .................................................................................................... 7 2 – KARTENTEIL: ZUR LAGE DER WELT.......................................................................................... 11 3 – WER UNTERLÄUFT DEN KONSENS VON KAIRO UND WARUM? ........................................30 4 – WIE VERHÜTUNG IN DEN USA ZUM POLITIKUM WURDE .................................................. 41 5 – DIE ROLLE DER USA AUF DER INTERNATIONALEN BÜHNE................................................49 6 – OPFER DER OPPOSITION ........................................................................................................... 55 7 – EUROPA UND DER KONSENS VON KAIRO............................................................................... 62 GLOSSAR................................................................................................................................................66 DATEN ZUR WELTBEVÖLKERUNG ....................................................................................................68 ANMERKUNGEN UND QUELLEN........................................................................................................ 76
WIE BEVÖLKERUNG, ENTWICKLUNG UND FAMILIENPLANUNG MITEINANDER ZUSAMMENHÄNGEN Für viele Frauen und Männer sind moderne Viele Entwicklungsländer haben zehn Jahre wirkungen auf die internationale Sicherheit. Mittel zur Empfängnisverhütung und Familien- nach Kairo in Sachen Gleichstellung und Denn Menschen ohne Einkommen, ohne Bil- planung in den letzten Jahrzehnten zu einer Familienplanung große Fortschritte gemacht. dung, ohne Arbeit, letztlich ohne Perspektive Selbstverständlichkeit geworden. Einen gene- Andere weisen noch enorme Defizite auf. lassen sich leicht von Demagogen und Funda- rellen Anspruch darauf hat bereits im Jahr Die ärmsten unter ihnen, etwa der Tschad, mentalisten aller Art instrumentalisieren. 1968 die UN-Menschenrechtskonferenz in Sierra Leone, Afghanistan oder Jemen, liegen Teheran formuliert: „Eltern haben das Grund- bei den Indikatoren für Bildung, Gesundheits- Länder, die in den vergangenen Jahrzehnten recht, frei und verantwortlich die Zahl und dienste und Frauenrechte im globalen Ver- dem fatalen Kreislauf aus Armut und Unter- den Altersabstand ihrer Kinder selbst zu gleich weit abgeschlagen auf den hintersten entwicklung entkommen sind – vor allem in bestimmen.“ Die meisten Nationen haben Rängen. Lateinamerika und Südostasien – haben sich darüber hinaus die Gleichberechtigung dieses Krisenpotential durchweg verloren.2 von Frauen und Männern ins Grundgesetz Die wirtschaftliche Genesung verlief dabei in geschrieben, um beiden Geschlechtern glei- Das Chaospotential der allen Fällen parallel mit einem veränderten che Rechte auf Bildung und gleiche Chancen armen Länder Rollenverständnis der Frauen in der Gesell- im Berufsleben zu ermöglichen. schaft. Wo immer Frauen mehr Rechte, sowie Über eine halbe Million Mädchen und Frauen Zugang zu Schule, Ausbildung und Gesund- Die „Internationale Konferenz über Bevölke- sterben jährlich an Komplikationen im Zu- heitsdiensten erlangen, bekommen sie später rung und Entwicklung“, im Jahr 1994 von den sammenhang mit einer Schwangerschaft – zu und vor allem weniger Kinder. Diese profitie- Vereinten Nationen in Kairo einberufen, hat 99 Prozent in den Entwicklungsländern.1 ren ihrerseits von neuen Optionen, beson- diese Ansprüche sowie weitere international 350.000 der Opfer stammen aus nur 13 ders die Mädchen: Deren Einschulungsraten anerkannte Individualrechte zu einem Recht Staaten. In diesen Ländern liegen die Gebur- steigen, ihr Gesundheits- und Bildungsstand auf reproduktive Selbstbestimmung gebün- tenraten weltweit am höchsten. Die ökono- verbessert sich. Ermöglicht wird diese Ent- delt. Es soll Paaren die bestmögliche Voraus- mische Entwicklung kann dort nicht mit dem wicklung überall dort, wo Mittel und Informa- setzung schaffen, gesunde Kinder zu bekom- Bevölkerungswachstum Schritt halten. Wo tionen zur Familienplanung zur Verfügung men. Es soll die Menschenwürde und die immer die Zahl der Menschen schneller stehen. „Der Schlüssel zu einem langsame- Gesundheit potentieller Eltern schützen. Alle wächst als die Wirtschaftsleistung, sinkt der ren und ausgewogeneren Bevölkerungs- anwesenden Staaten haben dem Schluss- Lebensstandard und die Armut nimmt zu. wachstum liegt in der Frage, ob es den einzel- dokument von Kairo damals ausnahmslos Diese Entwicklung überfordert die Gesell- nen Frauen und Männern möglich ist, nur zugestimmt. schaft, das politische System und natürliche so viele Kinder zu haben, wie sie auch wirk- Ressourcen wie Ackerland und Trinkwasser. lich möchten“, schreibt dazu Nafis Sadik, Es ist deshalb kein Zufall, dass die Länder die langjährige Generalsekretärin des UN- mit den höchsten Geburtenraten häufig unter Bevölkerungsfonds (UNFPA).3 politischen, wirtschaftlichen und ökolo- gischen Problemen leiden. Staaten wie Afghanistan, Somalia, aber auch die palästi- nensischen Autonomiegebiete besitzen nicht zuletzt des hohen Wachstums wegen ein großes Chaospotential – mit enormen Aus- 4 Das Ende der Aufklärung
EINLEITUNG Aber wohin führt am Ende diese Entwick- Genau dies fordern inzwischen verschieden- So verständlich die Sorge konservativer lung? Die Industrienationen haben den Weg ste Gruppen in vielen Ländern und auf dem religiöser Kreise um einen Werteverlust in aufgezeigt: Dort sind Frauen heutzutage weit- internationalen Parkett. Die katholische der modernen Gesellschaft ist: Die Konzepte, gehend gleichberechtigt und werden immer Kirche hat immer deutlich gemacht, dass diesen Verfall aufzuhalten, scheinen nicht mehr in den Arbeitsmarkt integriert. Schüle- sie den offenen Umgang mit Sexualität und zu funktionieren. Es gebe wenig Hinweise rinnen und Studentinnen nutzen das Bildungs- Familienplanungsmitteln für zu freizügig hält. darauf, dass der Abstinenz-Ansatz die ge- angebot mittlerweile besser als ihre männ- Aber auch andere christliche Gruppen vor wünschte Wirkung zeige, stellen verschiede- lichen Kollegen. Und die Geburtenraten sind allem in den Vereinigten Staaten setzen sich ne Reports des US-Gesundheitsamtes und immer weiter zurück gegangen. In Deutsch- seit einiger Zeit gegen Aufklärungsunterricht eines Expertenteams des „US Institute of land beispielsweise auf 1,3 Kinder je Frau, für Jugendliche, gegen Pille und Kondom Medicine“ fest und sprechen sich ausdrück- eine Ziffer, die bei weitem nicht ausreicht, um und für sexuelle Abstinenz bis zur Ehe ein. lich für die Wiedereinführung von Aufklä- eine stabile Bevölkerungszahl zu garantieren. Aus diesen Bewegungen heraus hat sich ein rungsunterricht aus.7 Die Folgen des demografischen Wandels: Die massiver Widerstand, ein internationales Gesellschaft altert, weil es an Nachwuchs Netzwerk gegen die auf der „Internationalen mangelt, die Renten- und Sozialsysteme Konferenz über Bevölkerung und Entwick- Wissen fördert Verantwortung funktionieren nicht mehr und die Bevölke- lung“ in Kairo 1994 gefassten Beschlüsse rung beginnt zu schrumpfen. Nachdem sich entwickelt. Der britische „Lancet“, eines der angesehen- die Welt lange um eine „Bevölkerungsexplo- sten Medizin-Fachblätter der Welt, schreibt sion“ gesorgt hat, fürchten die entwickelten Was wollen diese Gruppen? In den Vereinig- dazu: „Jungen Menschen die vollständige und Staaten mittlerweile die Implosion. Alle ten Staaten etwa sorgen sie sich um die hohe korrekte Information über Sexualität, Verhü- Industrienationen müssen sich mit diesem Zahl von Teenager-Schwangerschaften und tung und das Vermeiden von Geschlechts- Phänomen auseinandersetzen, wenn auch die Infektionsraten von Geschlechtskrank- krankheiten vorzuenthalten, setzt sie nicht in unterschiedlichem Maße: Während Frank- heiten, vor allem von Aids, um Armut und nur unnötigen Gefahren aus, sondern droht reich oder Großbritannien von dem Schwund wachsende Kriminalität. Den Kern dieser ihr Vertrauen in die wichtigsten gesellschaft- so gut wie nicht betroffen sind, werden ihn Probleme sehen sie im moralischen Zerfall lichen Institutionen zu untergraben: in Schu- Japan und Südkorea, aber auch viele ost- der Gesellschaft, im Verlust von Werten, in len, in das Gesundheitssystem und die Regie- europäische Staaten besonders dramatisch sexueller Freizügigkeit, der durch Aufklärung rungsbeamten. Nur wenn man Jugendlichen erleben. und Familienplanung Vorschub geleistet alle notwendigen Informationen liefert, damit werde. sie eigene Entscheidungen treffen können, werden sie sich auch verantwortungsvoll Die Folgen der Emanzipation Diese Initiativen, die sich vorwiegend aus entscheiden.“8 dem Lager der Christlichen Rechten rekrutie- Ist die Entwicklung zu immer niedrigeren ren, haben in den Vereinigten Staaten mittler- Studien zufolge sammelt rund die Hälfte aller Kinderzahlen also falsch? Haben es die weile großen Einfluss erlangt: Für ein Drittel 15- bis 19-jährigen Amerikanerinnen und modernen Gesellschaften übertrieben mit der amerikanischen Schüler gibt es statt des Amerikaner sexuelle Erfahrungen – unabhän- der Emanzipation der Frauen? Ist die Forde- früher obligatorischen Aufklärungsunter- gig davon, ob sie zur Abstinenz angehalten rung nach einem Ende der Diskriminierung richts nur noch die reine Lehre der sexuellen werden oder nicht.9 Wenn aber der Appell von Frauen zu einer Gleichmacherei verkom- Abstinenz. Die republikanische Regierung an die Enthaltsamkeit schon im eigenen men, die biologische Unterschiede zwischen unter dem Präsidenten George W. Bush hat Lande scheitert, wie sollte er in Entwicklungs- Frau und Mann sträflich ignoriert, wie es im darüber hinaus seit Amtsantritt die gesamten ländern wie dem Kongo oder Indien befolgt Juli 2004 die vatikanische Glaubenskongre- für den Bevölkerungsfonds der Vereinten werden, wo ganz andere kulturelle und gation in einem „Schreiben an die Bischöfe Nationen vorgesehenen US-Mittel in Höhe soziale Einflussgrößen eine Rolle spielen? der katholischen Kirche über die Zusammen- von 93 Millionen US-Dollar blockiert. Die Wo armutsbedingte Prostitution an der Tages- arbeit von Frau und Mann in der Kirche und in Leidtragenden sind die Entwicklungsländer, ordnung ist, wo viele Mädchen jung und der Welt“ bemängelt?4 Sollte man jetzt das wo sich der Bedarf an Familienplanung ange- gegen ihren Willen verheiratet werden und Rad der Emanzipation zurückdrehen, um sichts steigender Nachfrage und wachsender wo oft große Altersunterschiede zwischen Schlimmeres zu vermeiden, die gesellschaft- Bevölkerung in den nächsten zehn Jahre mehr Sexualpartnern existieren, die es Frauen liche Rolle von Frau und Mann wieder stärker als verdoppeln wird.5, 6 schwer machen, abstinent zu bleiben, selbst trennen, Familienplanung beenden? wenn sie es wollen. Wie sollen sich die Berlin-Institut 5
Menschen vor Aids und ungewollten Schwan- akzeptiert, wo sich auch Väter um Klein- Das Dossier „Das Ende der Aufklärung“ gerschaften schützen, wenn man ihnen Auf- kinder kümmern, wo Beziehungen ohne beschreibt die Widerstände gegen die Verein- klärung und Verhütungsmittel sowie Kon- Trauschein und Kinder aus diesen Beziehun- barungen von Kairo und gibt einen Überblick dome gegen HIV-Übertragung vorenthält? gen als normal gelten, liegen die Kinder- über Befürworter und Gegner von Familien- zahlen deutlich höher als in Ländern, in planung und Sexualaufklärung. Es soll einen Der Aufruf zur sexuellen Enthaltsamkeit ist denen dies nicht der Fall ist. So werden in Diskussionsbeitrag liefern in dem hochkom- eine theoretisch perfekte Lösung. Wer genug Schweden über die Hälfte aller Kinder von plexen Themenfeld von Moral, gesellschaft- Vernunft besitzt und abstinent lebt, kann unverheirateten Müttern geboren. In Frank- lichen Werten, Armutsbekämpfung, Entwick- weder schwanger werden, noch sich über reich wird es Frauen mit Kindern, auch von lung, Gesundheit und Familie.10 Geschlechtsverkehr mit Aids anstecken. Aber Seiten des Staates, leicht gemacht, berufs- dieser Ansatz ignoriert die menschliche tätig zu sein. Andererseits achtet die öffent- Berlin, im August 2004 Natur, die nicht so perfekt ist wie die Theorie. liche Moral in Italien oder Griechenland Und Sexualität gehört nun einmal aus rein ledige Mütter immer noch gering. Die Erwar- Dr. Reiner Klingholz biologischen Gründen zur menschlichen tung der Gesellschaft und das eher tradi- Direktor Natur. Eine realistische Gesundheitspolitik tionelle Frauenbild der Männer führt in Berlin-Institut für Bevölkerung kann nicht davon ausgehen, dass die Industriegesellschaften ganz offensichtlich und Entwicklung Menschen nur das tun, was idealerweise dazu, dass sich Frauen seltener auf das zu tun wäre. Abenteuer Kind einlassen. Entsprechend liegen die Kinderzahlen in Frankreich und Schweden um rund 60 beziehungsweise Die Welt zwischen Schrumpfung 30 Prozent über denen der beiden südeuro- und Wachstum päischen Länder. Vermutlich ist es nicht die Emanzipation der Die reiche und die arme Welt haben ihre Frauen, die die moralische Ordnung und eigenen Probleme mit der demografischen den demografischen Bestand der modernen Entwicklung. Denn eine Gesellschaft, die zu Nationen bedroht. Nicht jene Industrie- wenig Kinder hat, ist langfristig dem Nieder- staaten haben die niedrigsten Kinderzahlen, gang geweiht. Und eine, die ihr hohes Be- in denen die Frauen besonders selbstbewusst völkerungswachstum nicht verkraften kann, sind, sondern jene, in denen der Grad der ruiniert sich ebenfalls. Beide Phänomene Emanzipation von Frauen und Gesellschaft behindern eine nachhaltige Entwicklung. am weitesten auseinander klafft. Wo die Die zunehmende Spaltung der Welt in demo- gesamte Gesellschaft liberal eingestellt ist grafische Schrumpfungs- und Wachstums- und etwa die Berufstätigkeit von Frauen zonen verstärkt obendrein die Migrati- onsströme und bedroht die internationale Sicherheit. Die daraus erwachsenden Kon- flikte sind schwer zu lösen – aber kaum durch eine sexuelle Konterrevolution und einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten. Die auf der „Internationalen Konferenz über Bevöl- kerung und Entwicklung“ vor zehn Jahren verabschiedeten Konzepte sind da vermutlich besser geeignet. Der Konsens von Kairo und die daraus abgeleiteten Maßnahmen haben Lebensbedingungen und Zukunftsaussichten von Millionen Menschen verbessert. 6 Das Ende der Aufklärung
DER LANGE WEG 1 NACH KAIRO DER LANGE WEG NACH KAIRO Auf der von den Vereinten Nationen ein- Für hunderte Millionen von Menschen in Teile des Aktionsprogramms zu Protokoll berufenen Internationalen Konferenz über den weniger entwickelten Ländern sind all gegeben. Trotzdem hatten schließlich alle 179 Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) diese vermeintlichen Selbstverständlich- teilnehmenden Länder dem erarbeiteten von Kairo im Jahre 1994 anerkannte die keiten bis heute unerreichbar. Es mangelt Schlussdokument zugestimmt. Staatengemeinschaft erstmals ein Recht an Information, und die Mittel zur Verhü- auf „reproduktive Gesundheit“. Das heißt: tung von Geschlechtskrankheiten und uner- Das Aktionsprogramm verkörperte einen auf umfassendes Wohlergehen in allen wünschten Schwangerschaften sind oft Wendepunkt in der Geschichte der Bevölke- Belangen von Sexualität, Familienplanung, nur schwer zugänglich. Lückenhafte medi- rungspolitik: Erstmals rückte die Staatenge- Schwangerschaft und Geburt – für alle. zinische Betreuung führt zu hoher Mütter- meinschaft ausdrücklich von der Idee ab, Die Selbstbestimmung über die eigene und Säuglingssterblichkeit. Gleichzeitig Regierungen sollten von oben herab abstrak- Fortpflanzung musste über Jahrhunderte weisen die Bevölkerungswachstumskurven te demografische Vorgaben erlassen, also die erstritten werden. Die Kairoer Konferenz dieser Länder am steilsten nach oben (siehe Bevölkerungsentwicklung nach Plan durch- markierte in diesem Prozess einen histo- Karten ab Seite 11). setzen. Stattdessen standen Maßnahmen im rischen Meilenstein. Doch kaum war der Mittelpunkt, die von den individuellen Bedürf- im Konsens gefasste Beschluss erreicht, Das Aktionsprogramm, das die Staaten- nissen von Frauen und Männern ausgehen. regte sich Widerstand gegen das „Recht gemeinschaft zum Abschluss der Internatio- Der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) bezeich- auf reproduktive Gesundheit“. Zehn Jahre nalen Konferenz über Bevölkerung und net das Aktionsprogramm deshalb als histo- später ist die Übereinkunft von Kairo Entwicklung 1994 in Kairo verabschiedete, rischen „Meilenstein“, nicht nur für die Bevöl- ernsthaft gefährdet. sollte dieses Ungleichgewicht ändern: Das kerungs- und Entwicklungspolitik, sondern Recht auf „reproduktive Gesundheit“ wurde vor allem auch für die Rechte der Frauen.5 zur künftigen Grundlage der internationalen 1.1 Aufklärung, Verhütung und Bevölkerungspolitik erklärt. Aus der Kairoer Definition von reproduktiver Gesundheit für alle Gesundheit (siehe Kasten) geht unmittelbar hervor, dass den Frauen besonderes Augen- Pille oder Enthaltsamkeit, Kondom oder 1.2 Das Aktionsprogramm merk gilt. Das Aktionsprogramm betont denn Kalendermethode – für die meisten Bewoh- von Kairo – ein historischer auch die wichtige Rolle der Frauen für eine ner der Industrienationen ist es selbstver- Meilenstein balancierte Bevölkerungsentwicklung. Ein ständlich, dass sie aus einem breiten Ange- ganzes Kapitel in dem Schlussdokument der bot von Familienplanungsmethoden wählen Die Kairoer Konferenz war von den Vereinten Konferenz ist allein der Gleichberechtigung und frei über die Zahl der Kinder entscheiden Nationen (UN) einberufen worden. Bis auf der Geschlechter, der Gleichstellung und können, die sie in die Welt setzen wollen. wenige Ausnahmen hatten alle UN-Mitglied- Stärkung der Frauen gewidmet: Frauen sollen Frauen werden während Schwangerschaft staaten Delegationen in die ägyptische künftig rund um den Globus in die Lage ver- und Geburt routinemäßig medizinisch Metropole entsandt.4 Das Aktionsprogramm, setzt werden, über die Anzahl ihrer Kinder zu versorgt, Neugeborene von Hebammen und das die Teilnehmer nach intensiven Verhand- entscheiden. Sie sollen Zugang zu Bildung Ärzten überwacht. Und es gilt hierzulande lungen schließlich annahmen, umfasste 115 erhalten, Eigentum erwerben, Kredite aufneh- als normal, dass Jugendliche umfassend über Seiten und war als politische Leitlinie für die men und Erbrechte geltend machen können. Sexualität wie auch über vorbeugende Maß- nachfolgenden 20 Jahre gedacht, also bis Jede Form der Diskriminierung, Misshandlung nahmen gegen Aids und Geschlechtskrank- 2015. Zwar hatten der Vatikan, das einzige und Ausbeutung von Frauen soll beseitigt heiten aufgeklärt werden. Nicht-Vollmitglied mit ständigem Beobachter werden. bei den Vereinten Nationen, und einige Staaten, vorwiegend lateinamerikanische und arabische, Vorbehalte gegen einzelne Berlin-Institut 7
Auch diese Forderungen beziehen sich vor- Reproduktive Gesundheit wiegend auf weniger entwickelte Länder, während sie für Bewohnerinnen der indu- Der Begriff stammt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und klingt sperrig. Doch strialisierten Welt zumindest auf dem Papier er signalisiert ein Verständnis von Gesundheit, das weitaus mehr umfasst als etwa das verwirklicht sind. Allerdings ist dies auch Recht auf Familienplanung, das die Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen hier, an historischen Zeiträumen gemessen, (UN) in Teheran schon 1968 definiert hatte.1 Denn, so die grundlegende Erkenntnis der eine recht neue Errungenschaft. Der „Weg Bevölkerungskonferenz von Kairo 1994, mit dem Bereitstellen von Verhütungsmitteln ist nach Kairo“ war lang, steinig und voller es nicht getan. Auch Beratung zu allen Belangen der Fortpflanzung (Reproduktion) und zu Kehrtwendungen. sexuell übertragbaren Krankheiten reicht allein nicht aus. Im Zentrum des Rechts auf reproduktive Gesundheit steht „ein Zustand uneingeschränkten körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ bei allem, was mit Fortpflanzung zu tun hat. 1.3 Traditionelles Wissen – ausgerottet und neu entdeckt Reproduktive Gesundheit bedeutet, so steht es im Kapitel 7 des Kairoer Aktionspro- gramms, „dass Menschen ein befriedigendes und ungefährliches Sexualleben haben kön- Vor fünftausend Jahren riet der chinesische nen und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung und die freie Entscheidung darüber ha- Kaiser Shen Nung Männern, mit möglichst ben, ob, wann und wie oft sie hiervon Gebrauch machen wollen. In diese letzte Bedingung vielen Frauen zu schlafen, ohne zu ejakulie- eingeschlossen sind das Recht von Männern und Frauen, informiert zu werden und Zugang ren, um Lebenskraft für die Zeugung männ- zu sicheren, wirksamen, erschwinglichen und akzeptablen Familienplanungsmethoden licher Nachkommen zu sammeln; Mädchen ihrer Wahl (...) zu haben (...), und das Recht auf Zugang zu angemessenen Gesundheits- wurden oft nach ihrer Geburt getötet.6 Die diensten, die es Frauen ermöglichen, eine Schwangerschaft und Entbindung sicher zu Bibel erzählt von Onan, der das Weib seines überstehen, und die für Paare die bestmöglichen Voraussetzungen schaffen, dass sie ein toten Bruders nicht schwängern wollte und gesundes Kind bekommen.“2 deshalb, wenn er ihr beiwohnte, seinen Samen „auf die Erde fallen“ ließ.7 Ganz wichtig: Der Schwangerschaftsabbruch, so hält das Aktionsprogramm an anderer Stelle ebenso dezidiert fest, sollte „auf keinen Fall als eine Familienplanungsmethode ge- Diese Praktiken weisen darauf hin, dass der fördert werden“. Wenn jedoch ein Abbruch stattfindet und dieser nicht gegen das jeweilige Wunsch nach Familienplanung uralt ist. Eben- nationale Gesetz verstößt, soll er „ungefährlich“ sein. Das heißt, er sollte von sachkundiger so alt dürfte das Bestreben sein, Familien- Hand und unter hygienischen Bedingungen durchgeführt werden, um die Gesundheit der planung human zu gestalten. Im Verlauf der betroffenen Frau nicht zu gefährden.3 Jahrtausende sammelten die Menschen viel- fältige Kenntnisse, die es ihnen erlaubten, ihre Fortpflanzung effektiver zu kontrollieren. pflanzung und Verhütungsmethoden im alten zur Unterdrückung des Lasters“, ein Gesetz Solches Wissen interessierte vor allem die Europa weitgehend verloren. Im Gegensatz durchgesetzt, das den „Vertrieb, Transport Frauen. Sie mussten allzeit damit rechnen, etwa zu Afrika, wo es sich teilweise auch oder Import von obszönem, unzüchtigem von der nächsten Schwangerschaft über- nach der Kolonialisierung hielt, blieb es bis oder schlüpfrigem Material“ in den USA rascht zu werden, auch wenn ihr Körper sich ins Industriezeitalter hinein auf wenige untersagte und ausdrücklich auch Mittel noch kaum von der letzten Geburt erholt „Geheimnisträger“ beschränkt, vornehmlich zur „Verhütung von Schwangerschaft“ hatte und die Ernährung der Kinderschar auf Ärzte und Apotheker. einschloss. Kummer bereitete. Kein Wunder also, dass es vorwiegend Frauen waren, die bei Bedarf die In den USA galt das Wissen um empfängnis- Margaret Sanger, eine Pionierin der amerika- richtigen Kräutlein kannten, aber auch bei verhütende Methoden noch zu Beginn nischen Frauenbewegung, eröffnete am 16. Schwangerschaft, Entbindung und Nachsorge des 20. Jahrhunderts als „Geheimnis der Oktober 1916 im New Yorker Bezirk Brooklyn mit Rat und Tat halfen. Die „weisen Frauen“ Reichen“. Ärzte durften zwar darüber infor- die erste Beratungsstelle für Geburtenkontrol- des europäischen Mittelalters boten all diese mieren. Arme konnten sich jedoch keinen le in den Vereinigten Staaten. Sanger hatte Dienste für die reproduktive Gesundheit an. Praxisbesuch leisten. Und anderswo waren das Elend der Frauen und Kinder als Kranken- Verhütungsmittel nicht erhältlich. 1873 schwester in der Lower East Side erlebt: Mit der Hexenverfolgung und dem gleich- hatte ein Postinspekteur namens Anthony In den engen Mietskasernen lebten dicht zeitigen Aufkommen der von Männern domi- Comstock, Vorsitzender der „Gesellschaft gedrängt italienische und jüdische Immi- nierten medizinischen Profession ging das granten, arm und unwissend. Syphilis und überlieferte Wissen über Fruchtbarkeit, Fort- 8 Das Ende der Aufklärung
Gonorrhoe grassierten, ausgezehrte Frauen Dank der Pille konnten Frauen erstmals in der rungstrieb durch Ehelosigkeit und Enthalt- bekamen ein Kind nach dem anderen, viele Geschichte der Menschheit ganz allein über samkeit zu zügeln, bis die Versorgung mit erlitten Fehlgeburten oder starben an den ihre Fortpflanzung bestimmen. Der „Pillen- Nahrung gesichert sei. Folgen unsachgemäß durchgeführter Aborte. knick“, als deutliches Absinken der Geburten- raten in den USA, in Deutschland und ande- Malthus hatte das Produktionspotential einer DER LANGE WEG So war der Andrang auf die Beratungsstelle ren westeuropäischen Ländern sichtbar, zunehmend intensivierten Agrarwirtschaft NACH KAIRO groß. Doch schon nach zehn Tagen schloss steht für das Zusammentreffen zweier Ereig- weit unterschätzt. Und er konnte nicht ahnen, die Polizei sie wieder. Sanger wurde zu nisse: Erstens der Verfügbarkeit eines effi- dass im 19. Jahrhundert Millionen Menschen 30 Tagen Gefängnis verurteilt. Sie gab sich zienten, ausschließlich in der Hand der Frau in die Neue Welt auswanderten und damit jedoch nicht geschlagen. Dank ihrer Hart- liegenden Verhütungsmittels. Und zweitens das alte Europa vom demografischen Druck näckigkeit erreichte sie, dass im Staat der veränderten Rolle der Frau in der Gesell- befreiten. Dennoch lag er mit seiner Ein- New York das Verbot, Verhütungsmittel zu schaft und ihrer zunehmenden Integration schätzung richtig, dass ungebremstes Bevöl- vertreiben, praktisch aufgehoben wurde. in den Arbeitsprozess. kerungswachstum in einer begrenzten Welt Und schließlich 1938, dass die Regierung zu Problemen führt.10 Roosevelt das bundesweite Comstock-Gesetz Margaret Sanger und ihre Mitstreiterinnen außer Kraft setzte. Gleichzeitig entschied hatten eine bedeutende gesellschaftliche 1804, zu Malthus‘ Lebzeiten, hatte die sich die amerikanische Ärzte-Organisation Neuerung angeschoben, deren endgültige Menschheit die erste Milliarde erreicht. 1927 (American Medical Association) , Geburten- Etablierung sich in dem Schlussdokument der war bereits die zweite Milliarde voll. Als 1945 kontrolle als normalen Bestandteil medizi- Kairoer Konferenz von 1994 widerspiegelt: die Vereinten Nationen gegründet wurden, nischer Tätigkeit anzuerkennen. Und die vie- Die Befreiung der Sexualität von der Angst lebten – trotz der vielen Opfer zweier Welt- len regionalen Geburtenkontroll-Ligen, die vor unerwünschter Schwangerschaft. Von kriege und der Grippe-Pandemie von 1918, durch Sangers unermüdliches Agieren ange- dieser kann allerdings ein Großteil der Frauen und trotz massiver Geburtenrückgänge wäh- regt oder von ihr selbst aufgebaut worden in den weniger entwickelten Ländern bis rend der Kriege und während der Weltwirt- waren, schlossen sich zur Planned Parent- heute nur träumen. schaftskrise – bereits 2,5 Milliarden Men- hood Federation of America zusammen. schen auf dem Planeten. Die Erdbevölkerung wuchs schneller und schneller, und ein Ende In den Niederlanden war bereits Ende des 19. 1.4 Die Familienplanung hält der Beschleunigung war nicht abzusehen. Jahrhunderts die weltweit erste Verhütungs- Einzug in die Bevölkerungspolitik klinik gegründet worden. 1918 eröffnete Allerdings war schon damals offensichtlich, Marie Stopes in London die erste Beratungs- Vorkämpferinnen der Geburtenkontrolle wie dass der Löwenanteil des Wachstums auf das klinik für Empfängnisverhütung.8 Margaret Sanger hatten zunächst vor allem Konto der weniger entwickelten Länder ging. die Gesundheitsgefährdung der Frauen durch In den Industriestaaten stagnierten die Netto- Unter anderem als Folge von Aufklärung und ungewollte Schwangerschaften und das Geburtenzahlen oder gingen sogar zurück, Familienplanung sank im Verlauf des 20. soziale Elend im Visier. Doch Anfang des die Kinderzahlen je Frau sanken. Ob dieser Jahrhunderts die Kinder- und Müttersterblich- 20. Jahrhunderts lieferte ihnen der Neo- Diskrepanz zwischen entwickelter und wenig keit, und die Lebenserwartung der Frauen Malthusianismus ein weiteres, gewichtiges entwickelter Welt entbrannte in den 1950er stieg deutlich an. Anfang der 1950er Jahre Argument: Die drohende „Übervölkerung“ Jahren, insbesondere in den Industrieländern, war es wiederum die amerikanische Vor- des Planeten. und dort vor allem in den USA, eine intensive kämpferin Margaret Sanger, die mit dem Geld Diskussion darüber, wie das Bevölkerungs- einer ebenso kämpferischen Millionärsgattin Der englische Pastor und Nationalökonom wachstum in den armen Regionen der Erde den Reproduktionsbiologen Gregory Pincus Thomas Robert Malthus (1766 – 1834) hatte gebremst werden könnte. Die Bevölkerungs- damit beauftragte, nach einem oral einzu- beobachtet, wie rasant die Bevölkerung politik, bis dahin eher als Aufgabe jedes nehmenden Verhütungsmittel zu forschen. Europas seit Beginn der Neuzeit anstieg. einzelnen souveränen Staates betrachtet, Sie gab damit den entscheidenden Anstoß Wenn die Menschheit weiter exponentiell wurde damit zum internationalen Thema. zur Entwicklung der „Pille“, die von 1960 an anwachse, prophezeite er, könne die Land- ihren Siegeszug durch die (industrialisierte) wirtschaft nicht mithalten, da deren Erträge Da in den Industriestaaten wachsender Wohl- Welt antrat.9 sich nur in arithmetischen Schritten steigern stand mit sinkenden Kinderzahlen einherge- ließen. Das müsse zwangsläufig in Hungers- gangen war, herrschte in dieser Diskussion nöten, Epidemien und Massenelend enden, mehr oder weniger Einigkeit darüber, dass die folgerte Malthus und empfahl, den Vermeh- Berlin-Institut 9
Menschen sich auch in armen Gegenden Einfluss der Einzelne auf das Gesamt-Öko- einen groben Finanzierungsplan (siehe Kapi- automatisch für kleinere Familien entschei- system ausübe, wie viele Rohstoffe er ver- tel 6). Wie erwähnt, wurde das Aktionspro- den würden, wenn die ökonomischen Bedin- brauche und wie viele Schadstoffe er dabei gramm – trotz der ausdrücklichen Vorbehalte gungen sich verbesserten. Auf welche Art produziere. So betrachtet, sind die Industrie- einiger Länder – einstimmig verabschiedet. Ehepaare die Zahl ihrer Kinder beschränkten, nationen weit über ihre Tragfähigkeit hinaus Doch mit dem Konsensbeschluss der interna- galt zunächst als sekundär; den eventuellen bevölkert, auch wenn die Bevölkerung dort tionalen Staatengemeinschaft war der Wider- Bedarf an Verhütungsmitteln würde dann der nicht mehr wächst. Die Entwicklungsländer stand gegen die reproduktiven Rechte nicht Markt schon regeln. Indessen musste man gelten dagegen als „übervölkert“, wenn die aus der Welt geschafft. bald feststellen, dass sich weder die Wirt- Zahl der Menschen zu Lasten der natürlichen schaft noch der Markt für Verhütungsmittel Ressourcen wächst, wenn dieses Wachstum In den letzten Jahren hat er sogar massiv wie gewünscht entwickelten. Von Mitte der eine wirtschaftliche Entwicklung verhindert zugenommen. Nicht nur in Ländern, wo die 1960er Jahre an verlegte sich die Bevölke- und die politische Stabilität gefährdet.13 Scharia gilt, die auf dem Koran gründende rungspolitik in Entwicklungsländern deshalb Rechtsordnung, die den Frauen eine unter- hauptsächlich auf Programme, die über Industrie- und Entwicklungsländer trügen geordnete Stellung zuweist. Sondern auch in Familienplanung aufklärten und Zugang zu gemeinsam die Verantwortung für eine nach- konservativ-katholisch geprägten Staaten Verhütungsmitteln verschafften. Weil die haltige Entwicklung, schrieb denn auch die wie den Philippinen und in Industrienationen Regierungen der Entwicklungsländer dafür als Vorbereitung auf Kairo einberufene Euro- wie den USA. Dort wenden sich meist religiös kaum Geld hatten, war massive Unterstüt- päische Bevölkerungskonferenz 1993 in fundierte Lobbygruppen gegen die reproduk- zung durch die staatliche Entwicklungshilfe ihren Empfehlungen für Kairo: „Gemeinsame tive Selbstbestimmung. der Industrieländer und durch internationale Ziele sollten darin bestehen, Konsum- und Organisationen nötig.11 Produktionsmethoden zu fördern, die der Diese Position ist nicht neu. Seit dem Amts- Umweltzerstörung entgegenwirken, und eine antritt der republikanischen Regierung Bush Die Kairoer UN-Konferenz von 1994 war die soziale und wirtschaftliche Entwicklung zu im Jahre 2001 stößt sie jedoch auch an dritte politische Konferenz der Vereinten ermöglichen, welche die Grundbedürfnisse höchster Stelle vermehrt auf Gehör und Zu- Nationen zu Fragen der Weltbevölkerung. Das zu erfüllen vermag und bessere Lebensbedin- stimmung. Der Widerstand gegen die repro- erste Mal hatte sich die Staatengemeinschaft gungen und angemessene Geburtenziffern duktiven Rechte, der sich auch in Europa 1974 in Bukarest versammelt, dann noch herbeiführt.“ 14 formiert, äußert sich nicht nur im Versuch, einmal 1984 in Mexiko-Stadt. In Bukarest den bereits erreichten Konsens erneut zur wurde darüber gestritten, ob wirtschaftliche Kairo 1994 markiert jedoch auch eine Neu- Diskussion zu stellen. Er macht sich auch Entwicklung oder Familienplanung den bes- orientierung in der Konzeption von Familien- praktisch bemerkbar: Am schwersten wiegt, seren Lösungsansatz biete, das Problem des planungsprogrammen: Die Idee, Entwicklung dass die Gelder, die in Kairo von den Indu- Bevölkerungswachstums zu lösen. In Mexiko- sei „die beste Pille“, rückte etwas in den striestaaten zugesagt worden waren, nicht im Stadt wurde vor allem darüber diskutiert, wie Hintergrund. Der Anspruch auf körperliche versprochenen Umfang fließen. Sie werden viel Souveränität den einzelnen Staaten bei Unversehrtheit als fundamentales Menschen- zurückgehalten, eingefroren oder massiv der Durchsetzung bevölkerungspolitischer recht und die Stärkung der Frauenrolle stan- gekürzt. Erschwerend kommt hinzu, dass Ziele zukomme und wieviel Autonomie ande- den jetzt als Mittel im Kampf gegen rapides selbst Geberländer, die hinter den Zielen von rerseits Ehepaare bei der Familienplanung Bevölkerungswachstum an erster Stelle. Kairo stehen, ihren finanziellen Zusagen nur besäßen.12 zögerlich nachkommen, unter anderem weil die Ressourcen knapper geworden sind oder 1992 rückte der „Erdgipfel“ von Rio de 1.5 Widerstand trotz reproduktive Gesundheit nicht die oberste Janeiro, wie die UN-Konferenz über Umwelt Konsensbeschluss Priorität besitzt. Fazit: Zehn Jahre nach der und Entwicklung inoffiziell genannt wurde, Kairoer Konferenz ist das Aktionsprogramm einen weiteren Aspekt in das öffentliche Das Aktionsprogramm von Kairo galt als von einer Umsetzung weit entfernt. Bewusstsein: Umwelt und Bevölkerungs- Dokument, auf das sich die Menschen zur wachstum sind miteinander verknüpft. Allein Durchsetzung ihrer Rechte rund um die Fort- die Zahl der Menschen mache den Planeten pflanzung berufen können. Es legt klare Ziele noch nicht „voll“, lautete die Erkenntnis von fest und listet Maßnahmen auf, mit denen Rio. Vielmehr komme es darauf an, welchen Regierungen wie auch nichtstaatliche Organi- sationen bis hin zu lokalen Gruppen auf diese Ziele hin arbeiten können. Es enthält sogar 10 Das Ende der Aufklärung
KARTENTEIL: 2 ZUR LAGE DER WELT KARTENTEIL Im vergangenen Jahrhundert hat die Einige Länder haben große Fortschritte auf Kein Ende des Wachstums Menschheit eine Bevölkerungsentwick- dem Weg zu einer nachhaltigen Bevölke- lung, aber auch eine Verbesserung ihrer rungsentwicklung gemacht, vor allem in In Sachen Bevölkerungsentwicklung steht Lebensumstände erlebt wie noch nie in der Südostasien und Lateinamerika. In Afrika ist der Erde – trotz niedriger Geburtenziffern Geschichte. Trotzdem lebt in absoluten dies nur wenigen Ländern gelungen. Zum Teil in den Industrienationen und sinkender Zahlen gemessen eine weit größere Zahl haben die Menschen dort sogar an Lebens- Kinderzahlen je Frau in fast allen Entwick- von Menschen in Armut als noch vor hun- qualität verloren. lungsländern – ein mehrfaches Milliarden- dert Jahren. Der Grund dafür ist der Kreis- wachstum noch bevor. Denn es gibt auf lauf aus Unterentwicklung, Krankheit, Erden mehr Menschen im Alter zwischen Ungleichheit, Bevölkerungswachstum Zusammenhänge werden Null und 15 Jahren als je zuvor in der Ge- und politischem Chaos. deutlich schichte. Über eine Milliarde Menschen ist heute im Alter zwischen 15 und 24 Jahren. Die Kairoer Weltbevölkerungskonferenz hat Die nachfolgenden neun Weltkarten zeigen, Diese Mütter und Väter von morgen werden 1994 eine Reihe von Bevölkerungs- und wo die entwicklungspolitischen Krisenherde für das fortgesetzte Bevölkerungswachstum Entwicklungszielen verabschiedet. So wurde der Welt liegen. Sie verdeutlichen auch die sorgen, auch wenn sie sich weniger Kinder den Ländern nahegelegt, für eine Gleich- Zusammenhänge zwischen Reichtum und wünschen als noch ihre Eltern. berechtigung der Geschlechter zu sorgen, vor Gesundheit, Bildungsstand und Aidsraten, allem Mädchen und Jungen den allgemeinen Frauenrechten, Lebenserwartung und Kinder- Zugang zu einer Grundschuleinrichtung zahlen. Die Darstellungen verdeutlichen, zu ermöglichen. Die Länder sollten sich be- dass die soziale Stellung der Frau in der mühen, die Sterblichkeitsraten von Müttern, Gesellschaft, ihre Wertschätzung und ihr Säuglingen und Kindern zu senken. Sie Rechtsstatus eine zentrale Rolle in allen sollten sicherstellen, dass alle Paare, die es Entwicklungsfragen spielt. wünschen, Zugang zu einer breiten Palette sicherer und verlässlicher Familienplanungs- Die Karten zeigen aber auch, dass sich die methoden erhalten. Entwicklung nicht zwangsläufig immer zum Besseren wendet: So steht einer generellen Steigerung der Lebenserwartung in den meisten Ländern der Welt eine erhöhte Sterb- lichkeit in Ländern gegenüber, die stark von Aids betroffen sind. Auf dem afrikanischen Kontinent ist Aids heute die häufigste Todes- ursache. Auch der soziale und wirtschaftliche Niedergang in einigen Ländern des ehema- ligen Ostblocks wirkt sich auf die Lebens- erwartung aus. In diesen Nationen droht ein fortschreitender Verfall öffentlicher Infra- struktur, was die Lebensbedingungen noch weiter verschlechtern könnte. Berlin-Institut 11
1 Wo Kinderkriegen lebensgefährlich ist Müttersterblichkeit Dank verbesserter ärztlicher Versorgung und hohem Lebensstandard sterben in einer Industrienation wie Deutschland je 100.000 Lebendgeburten heutzutage nur noch acht Mütter an den Folgen von Komplikationen einer Schwangerschaft. 1956 waren es noch GRÖNLAND (DÄNEMARK) 140 – ein Niveau, das heute das nordafrika- nische Entwicklungsland Algerien aufweist.1 USA Besonders hoch liegt die Müttersterblichkeit dort, wo bei schlechter Ernährungslage und unter unzureichenden hygienischen und KANADA medizinischen Bedingungen Frauen viele Kinder in kurzen Zeitabständen bekommen. Auch sehr junge Mütter sind aus biologischen Gründen besonders gefährdet. Verstärkt wird die Müttersterblichkeit noch durch eine USA gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen (siehe Seite 22). Ein Indiz dafür ist beispiels- weise eine hohe, weit über jener der Männer liegende Analphabetenrate. Umgekehrt geht die Müttersterblichkeit zurück, sobald Frauen BAHAMAS Zugang zu Schulen und Ausbildung bekom- MEXIKO DOMINIKANISCHE men (siehe Seite 20). Schlüsselfaktor ist KUBA REPUBLIK dabei die Sekundarschulbildung der Mütter.2 BELIZE JAMAICA HONDURAS HAITI PUERTO RICO (USA) KAP VERDE GUATEMALA EL SALVADOR NICARAGUA Generell sinkt das Risiko, in Entwicklungslän- PANAMA TRINIDAD UND TOBAGO COSTA RICA dern in Zusammenhang mit einer Schwanger- VENEZUELA GUYANA SURINAM schaft zu sterben, wenn Frauen insgesamt KOLUMBIEN FRANZÖSISCH GUYANA weniger Kinder bekommen (siehe Seite 26). Voraussetzung dafür sind unter anderem ECUADOR Informationen und Mittel zur Familienpla- nung. Sie ermöglichen es, sowohl die Zahl der Kinder zu bestimmen wie auch die Abstände PERU BRASILIEN zwischen zwei Geburten so weit auszudeh- nen, dass sich die Mütter ausreichend von BOLIVIEN den Strapazen einer Schwangerschaft erho- len können. In armen, unterentwickelten und PARAGUAY teilweise von Bürgerkriegen heimgesuchten Ländern wie Sierra Leone, Afghanistan oder Malawi enden rund zwei von 100 Schwanger- CHILE schaften tödlich für die Frauen. In Schweden, URUGUAY ARGENTINIEN dem Land mit der weltweit niedrigsten Müt- tersterblichkeit, ist die Gefahr tausend mal geringer. Dort müssen nur zwei von 100.000 Müttern mit dem Schlimmsten rechnen. 12 Das Ende der Aufklärung
KARTENTEIL ISLAND SCHWEDEN NORWEGEN FINNLAND RUSSLAND ESTLAND DÄNEMARK LETTLAND GROSS- BRITANNIEN RUS. LITAUEN NIEDER- IRLAND LANDE WEISSRUSSLAND POLEN DEUTSCHLAND BELGIEN TSCHECHIEN UKRAINE LUX. SLOWAKEI KASACHSTAN ÖSTERREICH MOLDAWIEN SCHWEIZ SLOWEN. UNGARN MONGOLEI FRANKREICH KROAT. RUMÄNIEN BOSN.& SERB. & HERZ. MONTEN. BULGARIEN GEORGIEN USBEKISTAN ALBAN. MAZEDON. KIRGISIEN PORTUGAL ITALIEN ARMENIEN ASER- SPANIEN BEIDSCHAN TURKMENISTAN NORDKOREA TÜRKEI TADSCHIKISTAN GRIECHENLAND SÜDKOREA JAPAN MALTA ZYPERN SYRIEN TUNESIEN AFGHANISTAN CHINA LIBANON IRAK IRAN MAROKKO ISRAEL JORDANIEN KUWAIT NEPAL BHUTAN ALGERIEN PAKISTAN LIBYEN BAHREIN ÄGYPTEN KATAR INDIEN WEST- SAUDI- VEREINIGTE SAHARA BANGLA- ARABIEN ARABISCHE TAIWAN EMIRATE DESCH INDIEN MYANMAR OMAN LAOS MAURETANIEN MALI NIGER ERITREA TSCHAD JEMEN THAILAND SENEGAL VIETNAM GAMBIA SUDAN BURKINA PHILIPPINEN FASO DSCHIBUTI KAMBODSCHA GUINEA BENIN NIGERIA ÄTHIOPIEN GHANA GUINEA- ZENTRALAFR. BISSAU SRI LANKA TOGO KAMERUN REPUBLIK SOMALIA BRUNEI LIBERIA MALAYSIA ÄQUAT. UGANDA SIERRA LEONE GUINEA ELFENBEINKÜSTE KONGO DEMO- KENIA SINGAPUR GABUN KRATISCHE RUANDA REPUBLIK BURUNDI Bis 42 Tage nach der Geburt INDONESIEN PAPUA KONGO NEU GUINEA TANSANIA gestorbene Mütter auf 100.000 Lebendgeburten im Jahr 2000 ANGOLA MALAWI SAMBIA 4 und weniger MOSAMBIK 5 bis 9 SIMBABWE MADAGASKAR NAMIBIA 10 bis 19 BOTSWANA 20 bis 49 AUSTRALIEN SWAZILAND 50 bis 99 LESOTHO 100 bis 249 SÜDAFRIKA 250 bis 999 1.000 bis 1.499 mehr als 1.499 keine Angaben NEUSEELAND Quelle: WHO, UNICEF, UNFPA Berlin-Institut 13
2 Wo das Leben sehr schnell endet Säuglingssterblichkeit Wenn werdende Mütter schlecht versorgt sind, haben es die Nachkommen vom ersten Lebenstag an schwer. Ein Defizit an Proteinen und Vitaminen sowie Eisenmangel belasten viele Schwangere in den Entwicklungslän- dern so stark, dass ihre Föten schlecht ent- GRÖNLAND (DÄNEMARK) wickelt und mit verminderten Überlebens- chancen zur Welt kommen. In Bangladesch USA etwa wird rund ein Drittel aller Babys mit Untergewicht geboren.3 KANADA Wo viele Kinder in armen Familien um be- grenzte Ressourcen konkurrieren, bleibt oft für die Kleinsten am wenigsten. In einigen Teilen Asiens werden insbesondere Mädchen schlecht versorgt. Dies führt dazu, dass nicht USA nur Säuglinge, sondern auch Kinder in den ersten fünf Lebensjahren stark gefährdet sind. In Gebieten, wo Frauen wenig Möglich- keiten haben, über ihre eigene Sexualität selbst zu bestimmen, werden sie häufig un- BAHAMAS gewollt schwanger. Viele gebären dabei ein MEXIKO DOMINIKANISCHE Kind nach dem anderen, was wiederum die KUBA REPUBLIK Überlebenschance für Mutter und Nachwuchs BELIZE JAMAICA HONDURAS HAITI PUERTO RICO (USA) KAP VERDE senkt. Bildung spielt auch hier eine große GUATEMALA EL SALVADOR NICARAGUA Rolle, denn die Nutzung von Gesundheits- PANAMA TRINIDAD UND TOBAGO COSTA RICA diensten hängt in hohem Maße von dem VENEZUELA GUYANA SURINAM Bildungsgrad der Mütter ab. Dies ist auch in KOLUMBIEN FRANZÖSISCH GUYANA Industrienationen der Fall. So liegt die Säug- lings- und Kindersterblichkeit bei Kindern ECUADOR von Migranten aus weniger entwickelten Ländern meist deutlich höher als bei dem Nachwuchs der Alteingesessenen.4 PERU BRASILIEN In Sierra Leone stirbt jedes sechste Kind, BOLIVIEN bevor es ein Jahr alt wird. Ähnlich düster sieht es in Afghanistan, Liberia und Angola PARAGUAY aus. Die niedrigste Säuglingssterblichkeit der Welt mit weniger als drei Todesfällen je 1.000 Lebendgeburten verzeichnen Singa- CHILE pur, Island und Schweden. URUGUAY ARGENTINIEN 14 Das Ende der Aufklärung
KARTENTEIL ISLAND SCHWEDEN NORWEGEN FINNLAND RUSSLAND ESTLAND DÄNEMARK LETTLAND GROSS- BRITANNIEN RUS. LITAUEN NIEDER- IRLAND LANDE WEISSRUSSLAND POLEN DEUTSCHLAND BELGIEN TSCHECHIEN UKRAINE LUX. SLOWAKEI KASACHSTAN ÖSTERREICH MOLDAWIEN SCHWEIZ SLOWEN. UNGARN MONGOLEI FRANKREICH KROAT. RUMÄNIEN BOSN.& SERB. & HERZ. MONTEN. BULGARIEN GEORGIEN USBEKISTAN ALBAN. MAZEDON. KIRGISIEN PORTUGAL ITALIEN ARMENIEN ASER- SPANIEN BEIDSCHAN TURKMENISTAN NORDKOREA TÜRKEI TADSCHIKISTAN GRIECHENLAND SÜDKOREA JAPAN MALTA ZYPERN SYRIEN TUNESIEN AFGHANISTAN CHINA LIBANON IRAK IRAN MAROKKO ISRAEL JORDANIEN KUWAIT NEPAL BHUTAN ALGERIEN PAKISTAN LIBYEN BAHREIN ÄGYPTEN KATAR INDIEN WEST- SAUDI- VEREINIGTE SAHARA BANGLA- ARABIEN ARABISCHE TAIWAN EMIRATE DESCH INDIEN MYANMAR OMAN LAOS MAURETANIEN MALI NIGER ERITREA TSCHAD JEMEN THAILAND SENEGAL VIETNAM GAMBIA SUDAN BURKINA PHILIPPINEN FASO DSCHIBUTI KAMBODSCHA GUINEA BENIN NIGERIA ÄTHIOPIEN GHANA GUINEA- ZENTRALAFR. BISSAU SRI LANKA TOGO KAMERUN REPUBLIK SOMALIA BRUNEI LIBERIA MALAYSIA ÄQUAT. UGANDA SIERRA LEONE GUINEA ELFENBEINKÜSTE KONGO DEMO- KENIA SINGAPUR GABUN KRATISCHE RUANDA REPUBLIK BURUNDI INDONESIEN PAPUA KONGO NEU GUINEA TANSANIA Im ersten Lebensjahr gestorbene Kinder pro 1.000 Lebendgeburten ANGOLA MALAWI SAMBIA 4,9 und weniger SIMBABWE MOSAMBIK MADAGASKAR 5 bis 9,9 NAMIBIA BOTSWANA 10 bis 19,9 20 bis 39,9 AUSTRALIEN SWAZILAND 40 bis 59,9 LESOTHO SÜDAFRIKA 60 bis 99,9 100 bis 149,9 mehr als 149,9 keine Angaben Quelle: Population Reference Bureau, NEUSEELAND World Population Data Sheet 2004 Berlin-Institut 15
3 Wo die Familiengröße planbar ist Nutzung von Verhütungsmitteln Um allen Menschen das Recht zu gewähren, frei, informiert und verantwortungsbewusst über die Anzahl der Kinder und den zeitlichen Abstand zwischen den Schwangerschaften zu entscheiden, sind moderne und sichere Mittel zur Familienplanung vonnöten. In nahezu GRÖNLAND (DÄNEMARK) allen Industrienationen, aber auch in vielen Schwellenländern wie Indien, Brasilien oder USA Thailand nutzt ein Großteil aller Paare moder- ne Mittel und Methoden wie Pille, Kondom, Spirale oder Sterilisation. KANADA Angesichts eines hohen Bevölkerungswachs- tums wurden in vielen Ländern Südostasiens in den 1970er und 1980er Jahren mit großem Rückhalt der Regierungen und mit finanzieller USA Unterstützung der Weltbank Programme zur Familienplanung auf den Weg gebracht.5 Da- bei kam es etwa in Indien und China zum Teil zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch Zwangssterilisationen und -abtreibun- BAHAMAS gen. Die wirtschaftliche Entwicklung der so MEXIKO DOMINIKANISCHE KUBA genannten asiatischen Tigerstaaten wäre REPUBLIK ohne den anschließenden, deutlichen Rück- BELIZE JAMAICA HONDURAS HAITI PUERTO RICO (USA) KAP VERDE gang der Geburtenziffern nicht möglich gewe- GUATEMALA EL SALVADOR NICARAGUA sen. In Thailand etwa sank die Kinderzahl je PANAMA TRINIDAD UND TOBAGO COSTA RICA Frau zwischen 1965 und 1992 von 6,5 auf 2,2 VENEZUELA GUYANA SURINAM Kinder. Afrika blieb von diesem Programmen KOLUMBIEN FRANZÖSISCH GUYANA bis in die 1990er Jahre weitgehend ausge- schlossen, auch weil viele afrikanische Regie- Einen Sonderfall stellt Polen dar, ein Land, ECUADOR rungen damals noch eine geburtenfördernde in dem die Lehrmeinung der katholischen Politik vertraten. Unter anderem deshalb ist Kirche ein große Rolle spielt. Die Nutzung die Versorgungslage mit Mitteln zur Familien- moderner Verhütungsmittel liegt weit unter PERU BRASILIEN planung dort noch heute unzureichend. Weil dem Niveau anderer europäischer Länder. in diesen armen Ländern jedoch die Zahl der Der Schwangerschaftsabbruch ist verboten BOLIVIEN jungen Menschen im fortpflanzungsfähigen und Abtreibungen finden, offiziellen Zahlen Alter am stärksten wächst, wird sich der welt- zufolge, nur in sehr geringer Zahl und unter PARAGUAY weite Finanzbedarf für Sexualaufklärung und strenger medizinischer Indikation statt. Mittel zur Familienplanung für den Zeitraum Trotzdem liegt die Kinderzahl pro Frau ledig- 2000 bis 2015 mehr als verdoppeln.6 In Län- lich bei 1,3. Der Grund dafür könnte darin CHILE dern wie Somalia, dem Tschad, der Demokra- liegen, dass Frauen bei Befragungen über die URUGUAY ARGENTINIEN tischen Republik Kongo oder Sierra Leone Nutzung von Verhütungsmittel keine korrek- werden so gut wie keine Verhütungsmittel ten Aussagen machen. Studien gehen zudem genutzt. In allen diesen Staaten liegt die Kin- davon aus, dass jede dritte Schwangerschaft derzahl je Frau zwischen sechs und sieben. illegal unterbrochen wird.7 16 Das Ende der Aufklärung
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