Zukunft des Wirtschaftsstandorts

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Zukunft des Wirtschaftsstandorts
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                                                                                             2021

                                                                  In dieser Ausgabe mit Beilage
                                                                  > Gottlieber Spezialitäten AG

Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Kanton muss in Innovationspotenzial investieren > Seite 4

Digital & Innovation Campus Thurgau
Das Projekt nimmt konkrete Formen an > Seite 6

Beziehungen zur EU
Erosion der Bilateralen ist keine Option für die Wirtschaft > Seite 28
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
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Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Editorial   /3

Politische Ziele sind mit starken
Allianzen besser zu erreichen
Geschätzte Leserinnen und Leser,               wieder eine vermisste Normalität zurück-       Abwicklung der Quellensteuer im Kanton
geschätzte Mitglieder der IHK Thurgau          zubringen – und das ist gut. Zum Glück gibt    Thurgau» für erheblich erklärt. Die IHK hat
                                               es aber auch ein Leben neben dem Virus. In     sich zusammen mit dem Gewerbeverband
Leider müssen wir uns nach wie vor mit Co-     der vorliegenden Ausgabe unseres Mitglie-      (TGV) dafür eingesetzt. Zudem stimmte das
vid-19 beschäftigen – gesellschaftlich wie     dermagazins widmen wir uns stark dem           Bundesparlament in der Herbstsession
auch politisch. Am 28. November wird das       Thema Innovation. Der Thurgau gilt nicht       endlich für die Aufhebung der Industriezöl-
Schweizer Stimmvolk zum zweiten Mal            als Hochburg für Innovation. Zu Unrecht,       le. Dies führt zu finanziellen und administ-
über ein Referendum zum Covid-Gesetz           wenn man Produkte und Entwicklungen            rativen Entlastungen, von welchen vor al-
abstimmen. Im Juni wurde das Gesetz be-        von Thurgauer Unternehmen betrachtet.          lem KMU profitieren. Die IHK Thurgau hat
reits mit über 60 % gutgeheissen. Es ist       Jedoch braucht es in den kommenden Jah-        zusammen mit anderen Wirtschaftsver-
wichtig, dass die Mehrheit des Souveräns                                                      bänden während mehreren Sessionen wie-
auch im November ein Ja zum Gesetz bzw.                                                       derkehrend darauf hingewirkt. Schliesslich
ein Nein zum Referendum in die Urne legen                                                     hat sich die IHK zusammen mit dem TGV
wird. Die IHK hat ebenfalls die Ja-Parole                                                     und dem Verband Thurgauer Landwirt-
beschlossen und bestreitet mit einer brei-                                                    schaft (VTL) mit Bezug auf das kantonale
ten Thurgauer Allianz die zugehörige Kam-                                                     Budget 2022 für eine Senkung des Steuer-
pagne. Im Ja-Komitee sind neben der IHK,                                                      fusses von bisher 117 auf neu 107 Prozent
dem Thurgauer Gewerbeverband, dem                                                             ausgesprochen. Aufgrund des grossen
Thurgau Tourismus auch die Thurgauer                                                          Nettovermögens des Kantons, prall gefüll-
Sektionen von FDP, SP, Die Mitte, Grüne,                                                      ter Fonds und stetig hohen Erträgen macht
GLP und EVP vertreten. Dieser Schulter-                                                       es Sinn, so alle Thurgauer Steuerzahlerin-
schluss der Vernunft ist beachtlich und                                                       nen und Steuerzahler zu entlasten.
zeigt, dass sich ein Grossteil der Bevölke-                                                   Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen,
rung und der Wirtschaft hinter die beste-                                                     dass wir zusammen mit unseren Kollegin-
henden Schutz- und Unterstützungsmass-                                                        nen und Kollegen der IHK St.Gallen-Appen-
nahmen stellt.                                 ren einen merkbaren Schub nach vorne, um       zell das Thema «Bilaterale Verträge mit der
Es ist ein wichtiges Zeichen, dass wir zu-     den Anschluss nicht zu verlieren und das       EU» wieder aufgenommen haben. Nach
sammen auftreten, denn politische Gra-         Image von Mostindien zu einem spannen-         dem Abbruch der Verhandlungen zum Insti-
benkämpfe und absurde Freiheitsdiskurse        den Standort zu ändern, der smarte Köpfe       tutionellen Rahmenabkommen durch den
bringen uns in dieser Sache nicht weiter. Es   anzuziehen vermag. Umso wichtiger ist es,      Bundesrat im vergangenen Mai zeigen sich
geht nur gemeinsam – gegen das Virus und       dass wir das Innovationspotenzial des Kan-     bereits erste negative Auswirkungen auf
nicht gegen anders Denkende. Das Gesetz        tons nun stärken und ausbauen. Innovative      die Schweizer Wirtschaft. Der vom Bundes-
ist vernünftig ausgestaltet und erlaubt so     Unternehmerinnen und Unternehmer aus           rat skizzierte Weg zu den Weiterentwick-
viel mehr, als es in allen anderen Ländern     dem Kanton, die Gründung des Innovati-         lungen der Bilateralen Verträge ist ungenü-
um uns herum der Fall ist. Sie dürften wis-    onsparks Ost in St.Gallen und vor allem die    gend und mutlos. Die export- und handel-
sen, als liberaler Wirtschaftsverband sind     Entwicklung des von der IHK angestosse-        sorientierten Unternehmen, die einen
wir bei den ersten, die Eingriffe des Staats   nen Projekts «Digital & Innovation Campus      grossen Teil zum BIP beitragen, brauchen
in die Privatwirtschaft, unnötige Regulie-     Thurgau» sind wichtige Elemente, um die        Klarheit und Sicherheit, was den Zugang
rungen und undemokratische Entwicklun-         Standortattraktivität des Kantons weiter-      zum europäischen Binnenmarkt anbelangt.
gen an den Pranger stellen. Dabei haben        zuentwickeln.                                  Es muss uns gelingen, dieses mutmasslich
wir auch die Massnahmen des Bundesrats         Auf politischer Ebene hat die Arbeit der IHK   «heisse Eisen» nun wieder in die Hand zu
immer kritisch hinterfragt und werden dies     in den vergangenen Monaten Früchte ge-         nehmen und die innenpolitische Blockade
auch weiter tun. Aber im vorliegenden Fall     tragen. Im Grossen Rat wurde die Motion        endlich zu überwinden.
macht das Gesetz Sinn und es hilft uns,        «Wirtschaftsfreundliche, unbürokratische        Jérôme Müggler / Direktor IHK Thurgau
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Schwerpunkt      /4

Innovationsstandort Thurgau:
ein Traum oder bald Realität?
Der Thurgau gilt nicht als Hochburg für Innovation. Zu Unrecht, wenn man Produkte und Entwick-
lungen von Thurgauer Unternehmen betrachtet. Jedoch braucht es in den kommenden Jahren
­einen merkbaren Schub nach vorne, um den Anschluss nicht zu verlieren und das Image von
 ­Mostindien zu einem spannenden Standort zu ändern, der smarte Köpfe anzuziehen vermag.

Jérôme Müggler                            wichtig, dass wir im Thurgau beginnen,     Fachkräftemangel und Abwanderung
                                          uns damit auseinanderzusetzen, für         von Jungen
Unlängst wurde in der Thurgauer Zei-      was wir stehen wollen, für was der Kan-    Für die Industrie- und Handelskammer
tung die Diskussion darüber angestos-     ton bekannt sein soll, was wir zu bieten   Thurgau ist die Entwicklung des Wohn-
sen, ob sich der Kanton Thurgau gegen     haben und wie man das Ganze an die         und Arbeitsorts Thurgau ein Schlüssel-
aussen schlecht verkaufe und welche       Restschweiz kommunizieren möchte.          thema. Mit der Zukunftsagenda geben
Symbolik dem Apfel für das Ländliche      Genauso wie sich das mutmassliche          wir uns zusammen mit der IHK St.Gal-
zwischen Hörnli und Bodensee zukom-       Apfel- oder Landwirtschaftsimage über      len-Appenzell einen Ziel- und Orientie-
me. Die Geschichte des ehemaligen         Jahre entwickelt hat, wird eine Image-     rungsrahmen für die Entwicklung der
Untertanengebiets, das Fehlen eines
­                                         korrektur oder eine Ergänzung des Bilds    Kernregion Ostschweiz vor, in welcher
urbanen Zentrums und das Selbstver-       seine Zeit und den Effort einer koordi-    der Thurgau eine zentrale Rolle spielt.
ständnis von gewissen Teilen der Bevöl-   nierten, strategisch ausgerichteten        Verschiedene Zielkorridore helfen den
kerung kann man in diesem Zusam-          Kampagne benötigen. Diese muss vom         Fokus auf relevante Entwicklungen zu
menhang diskutieren. Es ist gut und       gesamten Kanton getragen werden.           legen. Dazu gehören die Stärkung eines
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Schwerpunkt      /5
innovationsfreundlichen Umfelds so-       der in Forschung und Entwicklung täti-       und Hochschulen auf. Er fokussiert auf
wie die Förderung digitaler Kompeten-     gen Personen, die Anzahl erfolgreicher       die Innovationsschwerpunkte Gesund-
zen. Beide sind unerlässlich, wenn es     Startups, Unternehmensgründungen             heit, Digitalisierung von Geschäftsmo-
um die Weiterentwicklung einer Region     oder die in diesen Unternehmen neu ge-       dellen sowie Maschinen-, Elektro- und
und die Stärkung der Wettbewerbsfä-       schaffenen Stellen. Dem Thurgau at-          Metallindustrie. Auf Forschungsseite
higkeit geht. Obwohl der Thurgau von      testiert die UBS zurzeit kein allzu gros-    sind im Themenbereich «Gesundheits-
Jahr zu Jahr mehr Einwohner hat,          ses Innovationspotenzial. Gerade mal         und Medizintechnik» die Empa St.Gal-
zeichnet ihn im gleichen Moment ein       auf Platz 20 schafft es unser Kanton in      len und das Kantonsspital St.Gallen
überdurchschnittlicher hoher Mangel       der Publikation in diesem Bereich. Da-       eingebunden. Im Bereich «MEM-Indus-
an Fachkräften sowie die Abwanderung      neben ist zu erwähnen, dass der              trie» wird die Forschungsleistung von
von jungen Menschen aus. Folglich ar-     Thurgau in anderen Bereichen wie
                                          ­                                            der Ostschweizer Fachhochschule so-
beiten Thurgauerinnen und Thurgauer       Staats­finanzen oder Kostenumfeld            wie von der Forschungsanstalt RhySe-
sowie Zuzüger immer mehr ausserhalb       überdurchschnittlich gut abschneidet.        arch in Buchs mit eingebracht. Die Uni-
der Kantonsgrenzen.                                                                    versität St.Gallen steuert dabei ihre
                                            Technologieforum unterstützt               wissenschaftliche Kompetenz bei der
Wettbewerbsfaktoren verändern sich        ­Unternehmer                                 Entwicklung neuer Dienstleistungen,
Wörtlich übersetzt bedeutet Innovation      Verschiedene Initiativen zielen auf die    Prozesse und Geschäftsmodelle bei.
«Neuerung» oder «Veränderung». Doch         Innovationsförderung ab und Institutio-
allein durch eine solche Übersetzung       nen im und um den Thurgau können ei-        Innovationsförderung mit
erklärt sich nicht, was mit dem Begriff    nen Startpunkt für Innovation bieten.       eigenen Stärken
Innovation überhaupt gemeint ist. Inno-    Das Thurgauer Technologieforum bietet       Gerade weil es dem Thurgau finanziell
vation ist ein Vorgang, welcher durch      an Informationsanlässen oder Innova­        so gut geht, tut er gut daran, selbst ide-
Anwendung neuer Verfahren, der Ein-        tioncoachings interessierten Unter­         ale Rahmenbedingungen zu schaffen,
führung neuer Technologien oder der        nehmerinnen und Unternehmern die            die das Innovationspotanzial von Unter-
Etablierung erfolgreicher Ideen einen      Möglichkeit, tiefer in die Materie einzu-   nehmen oder kreativen Köpfen unter-
Bereich, ein Produkt oder eine Dienst-     tauchen. An den Veranstaltungen ler-        stützen oder aktivieren können. Es ist
leistung erneuert und auf den neuesten     nen Interessierte innovative Denkan-        deshalb notwendig, dass der Kanton
Stand bringt. Die Wettbewerbsfaktoren      sätze und ungewohnte, teils äusserst        eine eigene Institution erhält, welche
von Unternehmen befinden sich seit ei-     erfrischende, theoretische Modelle          die Fähigkeit, Neues zu schaffen und
niger Zeit im Umbruch. Liessen sich        ­kennen. Sehr konkret behandelt das In-     dies zu vermarkten, aktiv fördert. Der
Wettbewerbsvorteile früher vor allem        novationsforum Ernährungswirtschaft,       «Digital & Innovation Campus Thurgau»,
auf Faktoren wie Kosten und Qualität        das am 3. Dezember 2021 zum zweiten        der 2018 von der IHK angestossen und
zurückführen, ist es heute und in Zu-       Mal stattfinden wird, den Themenkreis.     über die vergangenen zwölf Monate
kunft zusätzlich die Innovationfähig-       Das Forum ist eine Tagung im Bereich       konkretisiert wurde, soll für den Kanton
keit. Unabhängig davon, ob sich die         Agri-Food zur Förderung des Wissens-       und seine Unternehmen ein sogenann-
Wirtschaftslage gerade in einem Auf-        und Technologietransfers in Tänikon        ter Leuchtturm werden. Mit einer
schwung oder einer Rezession befindet.      zugunsten der ganzen Wertschöp-            direkten Verbindung zur Universität
                                                                                       ­
Entsprechend gehören die Begriffe In-       fungskette von Lebensmitteln. Es ist       Konstanz und der Konstanzer Fach-
novation und Kreativität zu den häufig      erfreulich, dass Agroscope im Thurgau      hochschule HTWG kann erstklassiges
verwendeten Begriffen in Geschäftslei-      die Forschung im Bereich Smart Far-        akademisches Wissen und angewandte
tungen.                                     ming ausbaut. Smart-Farming-Techno-        Forschung im Thurgau ­genutzt werden.
                                            logien bieten breite Möglichkeiten der     Am gleichen Ort wird ein Innovationsla-
Im letzten Viertel der Tabelle              Datenerfassung und -verarbeitung –         bor die Anlaufstelle für neue Ideen und
Der kantonale Wettwerbsindikator der        für sämtliche Produktionsressourcen        Startups werden. Der Thurgauer Cam-
UBS misst als eines von acht Feldern        sowie entlang der gesamten Wert-           pus hat neben den erwähnten Initiati-
das Innovationspotenzial eines Kan-         schöpfungskette.                           ven beste Voraussetzungen, um sich in
tons. Gemäss UBS beruhen unterneh-                                                     einem wachsenden Netzwerk zu etab-
merischer Fortschritt und der Erhalt      St.Galler Initiative mit                     lieren und mit eigenen Schwerpunkten
wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit     Thurgauer Beteiligung                        zu überzeugen. Das im Campus behei-
auf Innovation. Branchencluster (hohe     Im September konnte in St.Gallen der         matete «Thurgauer Institut für Digitale
regionale Konzentrationen von Be-         Innovationspark Ost gegründet werden.        Transformation» soll unter Berücksich-
schäftigten in voneinander abhängigen     Zu den 21 Gründungsaktionären gehö-          tigung der Beziehung zwischen Mensch
Branchen), die Anzahl Patentanmel-        ren der Kanton Thurgau sowie unsere          und Technologie das Vertrauen im Um-
dungen und die Höhe der Venture-Capi-     Industrie- und Handelskammer, die mit        gang mit Künstlicher Intelligenz oder
tal-Investitionen zeigen das Potenzial    Dr. Beat Hirt auch den Thurgauer Ver-        Big Data fördern. Beides sind Themen,
für zukünftige Wettbewerbsvorteile, die   treter im Verwaltungsrat stellt. Der In-     welche für Industrie und Gewerbe in
aus Innovationen erwachsen. Weitere       novationspark Ost nimmt die Kernkom-         den kommenden Jahren sehr relevant
Indikatoren sind gemäss UBS der Anteil    petenzen der Ostschweizer Wirtschaft         sein werden.
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Schwerpunkt    /6

Digital & Innovation Campus
nimmt konkrete Formen an
Damit der Thurgau den Anschluss an die Entwicklungen der Zeit nicht verliert, muss er insbeson-
dere beim Innovationspotenzial sowie im Umgang mit der digitalen Transformation grosse Schritte
nach vorne machen. Die Initiative der IHK Thurgau hilft mit und kommt dabei der Bevölkerung, den
Unternehmen, Bildungseinrichtungen und der Verwaltung mit konkreten Angeboten zugute.

Von Jérôme Müggler                         zu lesen ist, kommt der Innovationsfä-     ein physischer Raum geschaffen, in
                                           higkeit eine zentrale Rolle für die Wei-   dem kreative Köpfe und Unternehmen
Seit Ende 2020 arbeitet die IHK Thurgau    terentwicklung des Wohn- und Arbeits-      aus der Region neue Produkte, Dienst-
intensiv daran, die Projektidee «Digital   orts Thurgau zu. Zudem zeigt eine im       leistungen und Ideen andenken, aus-
Campus Thurgau» in eine konkrete und       Sommer gemachte Umfrage bei Mit-           probieren und entwickeln können. Da-
umsetzbare Form zu bringen. Das Pro-       gliedern der IHK und dem Gewerbever-       für braucht es eine Umgebung, welche
jekt ist auch im Rennen um Fördergeld-     band, dass eine Nachfrage zur Innovati-    das Kreativpotenzial der Beteiligten
er aus den TKB-Millionen und wurde im      onsförderung besteht.                      unterstützt und alle erdenklichen
Bericht des Regierungsrats vom 13.                                                    Workshop-Methoden zulässt.
April 2021 als Grossprojekt zur Förde-     Raum für neue Ideen und Produkte           Es braucht dazu mehr als einen einfa-
rung empfohlen. Aufgrund der konkre-       Fünf Hauptbereiche zeichnen den Digi-      chen, weissen Raum mit Tisch, Stühlen
ten Ausgestaltung des Campus trägt er      tal & Innovation Campus Thurgau (DICT)     und Whiteboards, der wenig inspirie-
mitterweile den Namen «Digital & Inno-     aus: Innovation, angewandte For-           rend wirkt. Daneben soll der Campus
vation Campus Thurgau». Wie in der         schung, Technologie, Bildung und Netz-     modularen Raum für Startups oder
vorliegenden Ausgabe dieses Magazins       werk. Mit einem Innovationslabor wird      Hochschul-Spinoffs bieten, die eine
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Schwerpunkt      /7
erste, einfache Arbeitsumgebung benö-       wenn man beispielsweise die Abstim-         ierlichen Betreuung. Rund die Hälfte
tigen.                                      mung über die Elektronische Identi-         der Nachtwuchstalente sind übrigens
                                            tätskarte heranzieht. Eine solche ID        Mädchen.
Ort für angewandte Forschung                wäre allerdings dringend benötigt, um
Mit dem Thurgauer Institut für Digitale     Verwaltungsprozesse oder Online-            Kommunikationsnetz und sichere
Transformation (TIDiT) bringt der Cam-      Dienstleistungen sicher abwickeln zu        Cloud-Lösungen
pus akademisches Fachwissen und an-         können. Wirtschaftliches Wachstum           Als erster Technologiepartner ist die
gewandte Forschung der beiden Kons-         und gesellschaftlicher Fortschritt kön-     EKT im Aufbau des Digital & Innovation
tanzer Hochschulen in den Thurgau.          nen sich daher verlangsamen oder blei-      Campus Thurgau involviert. Sowohl im
Das im Kanton etablierte Format sol-        ben gar aus. Für den Thurgau besteht        Lenkungsausschuss als auch im Teil-
cher Institute würde erstmalig zusam-       nun die Chance, die digitale Transfor-      projekt sitzen Vertreter des EKT, was die
men mit der Universität und der HWTG        mation für sich so zu gestalten, dass sie   Kompetenz aus dem Kanton für den
gemeinsam zur Anwendung kommen.             den Kanton als Lebensraum und als           Kanton unterstreicht. Wenn man von di-
Das TIDiT stellt bei Fragestellungen        Wirtschaftsstandort stärkt.                 gitaler Transformation spricht, kommt
rund um digitale Technologien den                                                       man nicht um leistungsfähige Daten-
Menschen in den Mittelpunkt. Dafür          IT-Nachwuchs aus der Umgebung               netzwerke und die sichere Speicherung
bieten sich für den Start drei aktuelle     Die DICT-Projektleitung ist zudem im        von Daten herum. Das EKT-Teilprojekt
Themen an: vertrauenswürdige Künstli-       guten Gespräch mit dem Projekt «ICT         erarbeitet die Grundlagen für das soge-
che Intelligenz, Datensicherheit und        Scouts», die im Campus ihr zuhause im       nannte «EduNet.tg». Dabei steht die
-integrität sowie Privatsphäre im Um-       Thurgau finden sollen. Dieses Pro-          Förderung der Mobilität von Forschen-
gang mit Informationstechnologien.          gramm berücksichtigt zwei Aspekte:          den, Lehrkräften, Studierenden und
Diese spielen bei neuen, digitalen Lö-      Zuerst werden in halbtägigen Informa-       Schülerinnen und Schülern am DICT und
sungen für die gesamte Bevölkerung          tik-Workshops junge Talente direkt in       interessierten Thurgauer Schulen durch
sowie für die Wirtschaft eine zentrale      den 7. Klassen der Volksschulen aufge-      Umsetzung durchgängiger Lösungen für
Rolle – bereits heute und in Zukunft        spürt. Diese werden danach während          Vernetzung, Identitätsmanagement bei
erst recht. Damit entsteht ein Leucht-      rund drei Jahren an einem der ICT Cam-      Logins und Kollaboration im Vorder-
turm im Thurgau mit überregionaler          pus Standorte in diversen Bereichen         grund. Ein Ziel ist es, ein kantonsweites,
Ausstrahlung, der spannend für die Zu-      der Informations- und Kommunikati-          geschütztes      IT-Kommunikationsnetz
sammenarbeit und Vernetzung mit an-         onstechnologie kontinuierlich geför-        und eine breitbandige, zuverlässige Da-
deren Institutionen sein wird.              dert. Letztendlich werden sie mit den       tenverbindung für Bildungseinrichtun-
                                            Lehrbetrieben und höheren Bildungs-         gen zu etablieren. Zudem werden Vor-
Vertrauen für Neues schaffen                anstalten aktiv vernetzt. ICT Scouts ist    aussetzungen und Lösungen für einen
Es gibt aktuell viel Unsicherheit im Ver-   eine grundlegend neue Art der Informa-      sicheren, datenschutzkonformen Be-
ständnis und im Umgang mit Informati-       tik-Talentfindung und -förderung. Es ist    trieb von Cloud-Plattformen geschaf-
onstechnologien. Der Graben zwischen        das einzige Förderprogramm in der           fen. Gerade letzteres ist auch für
diesen Technologien und ihrer Akzep-        Schweiz mit einem systematischen            Thurgauer Unternehmen und das Ge-
tanz in der Gesellschaft wird grösser,      Selektionsverfahren und einer kontinu-      werbe sehr interessant.
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Schwerpunkt      /8

Kommen die ICT Scouts
bald auch in den Thurgau?
«ICT Scouts & Campus» ist ein nationales MINT-Förderprogramm, welches vor fünf Jahren in
der Nordwestschweiz startete und mittlerweile an sieben Standorten in der Schweiz, darunter
auch in St. Gallen, etabliert ist. Schon bald könnte ein Standort für die ICT Scouts auch im
Thurgau starten.

Von Dominik Strobel / ICT Scouts           Welt entdecken und mit den Campus          Worten des Ausbildungsleiters der
                                           Coaches eine Beziehung aufbauen kön-       Endress+Hauser Process Solutions AG:
Wer bei ICT Scouts & Campus an Fuss-       nen. Dies ermöglicht es dem ICT Cam-       «So einfach wie hier haben wir noch nie
ball denkt, ist ziemlich nah dran. «Wenn   pus am Ende auch, die Talente mit den      rekrutiert. In zwei Stunden haben wir,
es im Fussball funktioniert, warum         Lehrbetrieben zu vernetzen.                mit minimalem Personalaufwand, mehr
wenden wir es dann nicht dort an, wo                                                  gute Kandidaten und Kandidatinnen
uns der Schuh wirklich drückt, nämlich     MINT-Nachwuchs finden war                  kennengelernt als in einer ganzen Wo-
in der Berufsbildung», dachte sich Rolf    noch nie so einfach                        che an einer Berufsmesse.» Dazu muss
Schaub, damals Leiter Informatik der       Die Vorteile für die Lehrbetriebe liegen   noch gesagt sein, dass es Mitgliedern
gewerblich-industriellen Berufsfach-       auf der Hand. Sie profitieren von einer    des Fördervereins jederzeit möglich ist,
schule Muttenz.                            grösseren Auswahl an vorselektierten       im ICT Campus ungehindert nach Talen-
                                           MINT-Talenten auf höherem Niveau mit       ten Ausschau zu halten.
Grundlegend neue Art der                   dokumentierten Kompetenzen und             Aber auch für die partizipierenden
MINT-Talentfindung und -förderung          nachgewiesener Motivation zu massiv        Schulen hat das Scouting Vorteile: Es
Das Konzept ist schnell erklärt. Soge-     tieferen Kosten. Thomas Köchli von der     deckt Kompetenzen aus dem Bereich
nannte ICT Scouts besuchen die Volks-      Adfinis AG aus Zürich beschreibt dies      Medien & Informatik des Lehrplans 21
schulen und entdecken mithilfe eines       so: «Wir wenden bei diesen Kandidaten      ab, unterstützt und ergänzt die berufli-
an den Lehrplan 21 angepassten Pro-        ein verkürztes Auswahlverfahren an,        che Orientierung im MINT-Bereich, ver-
grammier Workshops latente Feuer                                                            ursacht insbesondere bei leis-
für die digitale Welt. Wer dieses                                                           tungsschwächeren Schülerinnen
Feuer hat, wird in den ICT Campus                                                           und Schülern oft eine markante
eingeladen. Entscheidend ist die                                                            schulische Motivations- und
Systematik des Scoutings. Es fin-                                                           Leistungssteigerung und unter-
det keine Vorselektion oder Einla-                                                          stützt diese sowie Lehrpersonen
dung statt. Nur indem jeweils gan-                                                          bei schulischen Abschlussarbei-
ze Klassen besucht werden,                                                                  ten zu MINT-Themen. Weil auch
werden auch die verborgenen Ta-                                                             der Thurgau in naher Zukunft
lente gefunden. Damit sind vor al-                                                          wohl mehr ICT & MINT-Fachleute
lem, aber nicht nur, die annähernd                                                          als Profifussballer braucht, hofft
50 Prozent Mädchen gemeint, welche         weil wir wissen, dass viele der für uns    der Förderverein, im Rahmen der Ver-
im ICT Campus mitmachen. Bei diesem        wichtigen Qualitäten für alle Kandida-     gabe des Partizipationserlöses der
steht die Kontinuität im Vordergrund.      ten gegeben sind. Im Vergleich mit         TKB, auf die beantragten 200 000 Fran-
Es ist, wiederum vor allem bei den Mäd-    Schulabgängern ohne ICT Campus Hin-        ken für den Aufbau des nächsten ICT
chen, von entscheidender Bedeutung,        tergrund sind sie völlig überlegen. Man    Campus Standorts im Kanton.
dass sie über eine längere Zeitdauer       startet mit ihnen auf einem ganz ande-
hinweg mit Gleichgesinnten die digitale    ren Niveau in eine Lehre.» Oder in den     www.ict-scouts.ch
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Innovation   /9

Die vertrauenswürdige Kette:
Blockchain und Datenintegrität
Mit OriginStamp erhält die Blockchain-Technologie Einzug in den Unternehmensalltag. Das Kreuz-
linger Unternehmen bringt mit seiner Innovation neue Ansätze zur Herstellung von Daten­integrität.
Ein Konzept, das sowohl für Erfindungen als auch für Briefmarken interessant ist und grosses
Potenzial für das Marketing mitbringt.

Von Matteo Ferigutti                          anderem bei der Post Liechtenstein oder    schützen, die man nicht patentieren
                                              FujiSeal in Japan. Die von OriginStamp     lassen möchte. «OriginStamp erstellt
Wie lässt sich aus dem Potenzial der          erstellten und verwalteten Blockchain-     einen digitalen Timestamp für das Do-
Blockchain ein Wettbewerbsvorteil für         Timestamps sorgen dabei für mathema-       kument und verankert ihn als Hash in
Unternehmen generieren? Wie kann man          tisch prüfbare Datenintegrität. Das        drei öffentlichen Blockchains», erklärt
eine einfache Schnittstelle zur Block-        schafft Vertrauen in die digitale Trans-   Kisters. Blockchain – ein für Laien
chain schaffen, die ohne grosse Vor-          formation und die eigenen Prozesse.        kryptischer Begriff, hinter welchem
kenntnisse nutzbar ist, und schnell einen                                                sich ein enormes Potenzial verbirgt.
deutlichen Mehrwert gegenüber bisheri-        Erfindungen schützen –                     Eine Blockchain kann man sich als eine
gen Lösungen liefert? Es sind solche Fra-     auch ohne Patent                           Kette von Datenpaketen (Hashes ge-
gen, die Friedrich Kisters, CEO der Origin-   Für Unternehmen ist dieser Nachweis        nannt) vorstellen, welche öffentlich
Stamp AG aus Kreuzlingen, zu seinen           der Existenz eines Dokuments zu einem      einsehbar ist. Anstatt effektiver Ereig-
innovativen Blockchain-Projekten an-          bestimmten Zeitpunkt in vielen Berei-      nisse à la «Frau Meier hat die Erfindung
treiben. Seine Thurgauer Technologie ist      chen von grossem Interesse. Beispiels-     gespeichert, dann hat Herr Müller das
bereits heute weltweit im Einsatz, unter      weise kann man so eine Erfindung           Sitzungsprotokoll abgelegt», werden
Zukunft des Wirtschaftsstandorts
Innovation    /10
                                                                                              Inhalt ständig reicher und wertvoller»,
                                                                                              führt Kisters aus. Zurzeit seien nur
                                                                                              neue Briefmarken mit einer hinterleg-
                                                                                              ten digitalen Geschichte erhältlich. Die
                                                                                              Technologie soll jedoch bald auch auf
                                                                                              alte Briefmarken angewendet werden
                                                                                              können.

                                                                                              Wertsteigerung der Produkte dank
                                                                                              vertrauenswürdiger Informationen
                                                                                              Eine weitere Einsatzmöglichkeit sieht
                                                                                              Kisters im Marketing. So könne man die
                                                                                              einzelnen Produktionsschritte mit ei-
                                                                                              nem SQR-Code auf dem fertigen End-
                                                                                              produkt hinterlegen und so dem Kun-
                                                                                              den zugänglich machen. «Wenn der
                                                                                              Kunde die Produktionsbedingungen
                                                                                              und die Herkunft seines Produkts digi-
                                                                                              tal überprüfen kann, schafft dies Ver-
                                                                                              trauen in das Produkt», meint Kisters.
                                                                                              Beispielsweise kann man so bei einem
                                                                                              seltenen Sammlerstück seine Vorbesit-
                                                                                              zer erfassen und hinterlegen. «Zu je-
                                                                                              dem Produkt könnte man digital dessen
                                                                                              Geschichte erzählen und den Kunden
                                                                                              individuell ansprechen», sagt Kisters.
                                                                                              Durch die Verbindung digitaler und phy-
Friedrich Kisters, CEO der OriginStamp AG aus Kreuzlingen.                                    sischer Komponenten eines Produkts
                                                                                              gewinne dieses an Tiefe und Profil.
                                                                                              Dank der Blockchain geschähe dies
die Hashes dieser Dateien mit all ihren           findung ist somit wie ein Grundbuch-        nachvollziehbar und unveränderlich.
verschlüsselten Informationen nach-               eintrag unwiderruflich und nachweis-
einander in die Blockchain eingefügt.             lich in der Blockchain hinterlegt.          Thurgauer Silicon Valley?
                                                                                              Für Kisters steht fest, dass Vertrauen in
Secure by design                                  Blockchain-Zeitstempel im Einsatz           die Technologie und in das Unterneh-
Wenn man nun ein Datenpaket in die                bei der Post Liechtenstein                  men grossen Einfluss auf den Kaufent-
Blockchain einfügt, wird dieses bei al-           Ein konkretes Anwendungsbeispiel lie-       scheid der Kunden haben. «Die Schweiz
len Netzwerkteilnehmern als nächste               fert die von der Philatelie Lichtenstein    hat weltweit ein Image als zuverlässig
Folge der Blockchain hinterlegt und so-           und OriginStamp lancierte Briefmarke        und vertrauenswürdig – eine USP, die
mit bezeugt. «Der Fingerabdruck wird              4.0. Die Briefmarke wird mit einem          es einzusetzen gilt», meint er. Vertrau-
weltweit auf viele tausend Rechner ver-           SQR-Code ausgestattet, auf welchem          en könne man schaffen, indem man ei-
teilt, welche dann Zeugen dafür sind,             die Geschichte der Briefmarke digital       nen Schritt aus dem Digitalen mache
seit wann exakt dieser Datensatz exis-            und in einer Blockchain gesichert hin-      und versuche, das Physische einzubin-
tiert hat», führt Kisters aus. Die Daten-         terlegt ist. «Das Ziel war es, die physi-   den. Der Thurgau könne sich dank sol-
kette (daher der Name Blockchain) wird            sche Briefmarke mit der digitalen Welt      cher Ansätze neu positionieren. «Der
um ein weiteres Glied erweitert. Jede             zu verbinden, um sowohl die bestehen-       Thurgau ist digital betrachtet kein
Veränderung an der Kette müsste nun               de als auch eine neue Generation von        Randkanton, sondern ein zentraler
von einer Mehrheit der vielen tausend             Briefmarkensammlern anzusprechen»,          Player», sagt Kisters. Mit dem auch
Rechnern wieder bezeugt werden. Die               so Kisters. Mit den hinterlegten Infor-     dank der IHK geplanten Institut für digi-
Kette ist also praktisch unveränderlich.          mationen lässt sich die Briefmarke auf      tale Transformation, dem Verein Smar-
«Um eine solche Änderung durchzufüh-              ihre Echtheit und ihre Vorbesitzer über-    terThurgau, dem Bürgerportal des Kan-
ren, wäre eine immense Rechenleistung             prüfen. Aus der Idee entstand ein gene-     tons und der meinThurgau AG bewege
mit enormem Strombedarf nötig, was                rationenübergreifendes Konzept: Der         sich der Kanton in die richtige Richtung.
technisch und logistisch fast unmöglich           Grossvater liefert das Wissen zur Brief-    Deshalb ist Kisters überzeugt: «Wenn
ist», sagt Kisters. Die Datei hinter dem          marke, der Enkel das Wissen zur neuen       der Schulterschluss zwischen Digitali-
Timestamp verbleibt ausschliesslich               Technologie. «Auf diese Weise gelingt       tät und Realität in Zusammenarbeit mit
beim Unternehmen und ist daher opti-              ein Wissenstransfer und die Briefmarke      der Industrie gelingt, könnte die Boden-
mal geschützt. Der Timestamp der Er-              wird durch ihren individuellen digitalen    seeregion zum ‹Silicon Lake› werden.»
Politik   /11

Erfolgreicher Einsatz für
die Anliegen der Wirtschaft
Die IHK Thurgau setzt sich in der Politik aktiv und wirksam für die Anliegen der Unternehmerinnen
und Unternehmer ein. Im vergangenen Quartal konnten diesbezüglich einige wichtige Erfolge
vermeldet werden. Sie finden hier eine kurze Übersicht über die aktuellsten Themen und
Forderungen der IHK.

                                                                                   Wirtschaftsfreundliche
                                                                                   ­Abwicklung der Quellensteuer
                                                                                    Der Grosse Rat hat die Motion «Wirt-
                                                                                    schaftsfreundliche,     unbürokrati-
                                                                                    sche Abwicklung der Quellensteuer
                                                                                    im Kanton Thurgau» für erheblich
                                                                                    erklärt. Die IHK Thurgau begrüsst
                                                                                    diese Praxisanpassung bei der Quel-
                                                                                    lensteuer, welche vielen Firmen aus
                                                                                    Handel, Industrie und Gewerbe den
                                                                                    administrativen Aufwand markant
                                                                                    erleichtert und die Grundlage für ei-
                                                                                    nen effizienteren Verwaltungspro-
                                                                                    zess legt. Sie hatte sich vor der De-
   Senkung des kantonalen Steuer-           aus. Aufgrund des grossen Nettover-     batte im Grossen Rat diesbezüglich
   fusses um 10 %                           mögens des Kantons, prall gefüllter     mit einem Schreiben an die Kan-
   Gemeinsam mit dem Thurgauer Ge-          Fonds und stetig hohen Erträgen         tonsrätinnen und Kantonsräte ge-
   werbeverband (TGV) und dem Ver-          macht es Sinn, so alle Thurgauer        wandt.
   band Thurgauer Landwirtschaft (VTL)                       Steuerzahlerinnen
   spricht sich die IHK Thurgau mit Be-                      und Steuerzahler
   zug auf das kantonale Budget 2022                         zu entlasten.
   für eine Senkung des Steuerfusses                                               Abbau der Industriezölle
   von bisher 117 auf neu 107 Prozent                                              Das Parlament stimmte in der
                                                                                   Herbstsession 2021 dem Abbau der
                                                                                   Industriezölle zu. Die Aufhebung der
                                                                                   Industriezölle führt zu finanziellen
   Freigabe der Kohäsionsmilliarde          lung der Beziehungen mit der EU, um    und administrativen Entlastungen,
   Die IHK Thurgau hatte sich vor der       gemeinsam die Themen Forschung,        von denen vor allem die KMU sowie
   Herbstsession 2021 des nationalen        Zusammenarbeit im Strombereich         das Gewerbe profitieren. Die IHK
   Parlaments gemeinsam mit 50 weite-       oder Erasmus anzugehen. Das Parla-     Thur­gau hatte sich gemeinsam mit
   ren Verbänden aus Wirtschaft, Gesell-                    ment ist der Empfeh-                    anderen Verbänden
   schaft und Wissenschaft für eine                         lung gefolgt und hat                    für den Industrie-
   ­Freigabe der Kohäsionsmilliarde ein-                    die Freigabe be-                        zollabbau      einge-
    gesetzt. Sie erachtet diesen Schritt                    schlossen.                              setzt und ist erfreut
    als essenziell für die Weiterentwick-                                                           über den Entscheid.
Politik   /12

Ja zum Covid-19-Gesetz –
Nein zur Pflegeinitiative
Mit der Pflegeinitiative und dem Referendum zum Covid-19-Gesetz stimmt das Schweizer Stimm-
volk am 28. November über zwei Vorlagen ab, welche durch die Pandemie in den Fokus der allge-
meinen Aufmerksamkeit gelangten. Bei beiden Initiativen gilt es jedoch, sich nicht vom aktuellen
Geschehen zu kurzsichtigen Entscheidungen verleiten zu lassen.

                                                                                                       Rückwirkende Annullierung bringt
                                                                                                       grosse Unsicherheiten mit sich
                                                                                                       Die rechtliche Situation ist vergleichbar
                                                                                                       mit der Abstimmung im vergangenen
                                                                                                       Juli. Das Stimmvolk stimmt über be-
                                                                                                       reits geltendes Recht ab, wobei ein ne-
                                                                                                       gativer Entscheid bereits getätigten
                                                                                                       Ausgaben und Entscheiden des Bun-
                                                                                                       desrats die Rechtsgrundlage entziehen
                                                                                                       würde. Was dann geschähe, ist schwer
                                                                                                       vorauszusehen, weil es so eine Situati-
                                                                                                       on noch nie gab. Dies schafft zusätzli-
                                                                                                       che Unsicherheiten für Betriebe und
                                                                                                       Arbeitnehmende, welche im Zuge der
                                                                                                       Pandemie auf die Soforthilfe des Bun-
                                                                                                       des zurückgreifen mussten. Gerade in
                                                                                                       der jetzigen Erholungsphase, in wel-
(v.l.n.r.): Die breite Thurgauer Allianz für ein Ja zum Covid-Gesetz: Jérôme Müggler (IHK),            cher die Konjunkturindikatoren opti-
Paul Rutishauser (Die Mitte), Martina Pfiffner-Müller (FDP, TGV), Kurt Egger (Grüne), Nina Schläfli,   mistisch stimmen, ist die rechtliche Un-
SP) Stefan Leuthold (GLP), Wolfgang Ackerknecht (EVP), Rolf Müller Thurgau Tourismus.                  sicherheit durch das Referendum ein
                                                                                                       schädlicher Faktor.

Von Matteo Ferigutti                                 tifikats geschaffen. Vor allem Letzteres          Das Zertifikat als Alternative
                                                     hat durch die Entwicklung der Pande-              zum Lockdown
Das Referendum zielt mit                             mie an Aktualität gewonnen und dürfte             Der erweiterte Einsatz des Zertifikats
der Schrotflinte auf das Zertifikat                  bei der Entscheidung vieler Abstim-               in Bars und Restaurants sowie Frei-
Nach der Abstimmung über die erste                   menden eine wichtige Rolle spielen. Al-           zeit-, Sport- und Unterhaltungsbetrie-
Version des Gesetzes vom vergangenen                 lerdings wurden auch Änderungen am                be und Veranstaltungen im Innenbe-
Juni richtet sich dieses Referendum ge-              Gesetz vorgenommen, welche Härtefäl-              reich wurde von der Bevölkerung sehr
gen die Änderungen des Gesetzes, wel-                le, die Arbeitslosenversicherung sowie            gut akzeptiert. Der Bundesrat hat mit
che das Parlament in der Frühlingsses-               die Regelungen für Veranstaltungen be-            dem bis zum 24. Januar 2022 befriste-
sion im März 2021 beschlossen hat.                   treffen. Diese unterstehen ebenfalls              ten Einsatz des Zertifikats den durch
Durch die Änderungen wurden unter                    diesem Referendum, welches sich ei-               das Covid-19-Gesetz geschaffenen
anderem die rechtlichen Grundlagen                   gentlich gegen das Zertifikat richtet,            Rahmen genutzt, um einer zwischen-
für das Contact-Tracing, die Impfkam-                jedoch grosse Kollateralschäden verur-            zeitlichen Überlastung des Gesund-
pagne sowie den Einsatz des Covid-Zer-               sachen könnte.                                    heitssystems entgegenzuwirken. Das
Politik   /13
Zertifikat bietet dadurch eine Alternati-   die konkrete Umsetzung zum Erreichen      sundheitskosten. Für die berufliche
ve zu härteren Massnahmen wie Be-           ihrer Ziele zu definieren. Die vorge-     Entwicklung im Sinne von Aus- und
triebsschliessungen und Lockdowns,          schlagenen Massnahmen gingen dem          Weiterbildungen des Pflegepersonals
was der Wirtschaft und letztendlich         Parlament zu weit, weshalb es einen in-   sind jedoch die Bildungsakteure und
auch der Gesellschaft zugutekommt.          direkten Gegenvorschlag auf Gesetzes­     nicht der Bundesrat zuständig.
Mit dem Zertifikat können bestehende        ebene ausgearbeitet hat, welcher bei
Schutzkonzepte weiter verbessert wer-       Ablehnung der Initiative automatisch in   Berufsspezifisches Arbeitsrecht
den und Arbeitnehmende können wei-          Kraft tritt.                              ­gehört nicht in die Verfassung
testgehend ohne Restriktionen ihrer                                                    Bundesrat und Parlament halten die
Arbeit nachgehen. Aus diesen Gründen        Gegenvorschlag übernimmt                   aktuelle Abgeltung der Pflegeleistun-
sagt die IHK Ja zum Covid-19-Gesetz         Kernanliegen der Initiative               gen für angemessen, weshalb eine Än-
und lehnt das Referendum ab.                Im direkten Gegenvorschlag werden die     derung ebendieser nicht in den indirek-
                                            zentralen Anliegen der Initiative umge-   ten Gegenvorschlag miteinbezogen
Pflegeinitiative geht zu weit               setzt, ohne übermässige Kosten für        wurde. Zurecht weist der Bundesrat
Die Pflegeinitiative will einen Pflege-     den Steuerzahler zu verursachen. So       darauf hin, dass Arbeitsbedingungen
notstand verhindern, der gemäss den         würde durch den Gegenvorschlag eine       und Löhne im Pflegebereich in die Zu-
Angaben der Initianten ohne Eingriff        Ausbildungsoffensive im Umfang von        ständigkeit der Kantone, der Sozial-
durch den Bundesrat droht. Die Initiati-    einer Milliarde Schweizer Franken ein-    partner sowie der einzelnen Betriebe
ve beauftragt den Bundesrat mit der         geleitet. Mit der Umsetzung der direk-    fallen. Es stellt sich ausserdem die Fra-
Umsetzung einer Ausbildungsoffensive        ten Abrechnung gewisser Pflegeleis-       ge, ob die Verfassung als gesetzgeben-
und Massnahmen zur Verbesserung der         tungen zulasten der Krankenkassen         des Dokument mit grundlegendem
beruflichen Arbeitsbedingungen für          wird ein weiteres Kernelement umge-       Charakter der richtige Ort ist, um die
Pflegende. Dadurch möchte die Initiati-     setzt, versehen jedoch mit einem          angemessene Entschädigung für eine
ve den Beruf attraktiver gestalten und      ­Kostenkontrollmechanismus und einer      spezifische Berufsgruppe zu regeln.
die Qualität der Pflegeleistungen stei-      Zulassungsbeschränkung bei über-         Aus diesen Gründen lehnt die IHK die
gern. Dabei verpasst es die Initiative,      durchschnittlich ansteigenden Ge-        Pflegeinitiative ab.

      Breite Thurgauer Allianz sagt
          zum Covid-Gesetz

             Internationale Reisen sowie kulturelle
             und gesellschaftliche Anlässe sind nur dank
             diesem Gesetz wieder möglich.

                                                                                             zum
             Die finanzielle Unterstützung für Härtefälle
             und besonders betroffene Branchen fielen
             bei einem Nein ersatzlos weg.

             Das Covid-Gesetz ist der Schlüssel zur                                       covid-19
             Freiheit – die Alternative sind Lockdowns
             und Einschränkungen.                                                         gesetz
Politik   /14

IHK fasst Parolen für Februar:
Stempelsteuer abschaffen
Mit den ausstehenden Abstimmungen im November vor Augen hat die Industrie- und Handels-
kammer Thurgau bereits zwei Parolen für die Abstimmungen im Februar 2022 gefasst. Sie befür-
wortet die Abschaffung der Stempelsteuer und lehnt die Initiative zum Tier- und Menschenver-
suchsverbot ab. Beide Parolen sind im Sinne einer modernen, liberalen Wirtschaftspolitik.

Von Matteo Ferigutti                     Schweiz. Diese kommt im Bericht von          Zuge der Pandemie in vielen Betrieben
                                         2020 zum Schluss: «Die Emissionsab-          stark beansprucht. Dabei konnten die
Unter der Stempelsteuer versteht man     gabe benachteiligt die Finanzierung mit      vom Bundesrat beschlossenen Sofort-
drei verschiedene Abgaben, die Unter-    Eigenkapital gegenüber der Fremdfi-          massnahmen für neue Fremdkapital-
nehmen an den Staat zu entrichten        nanzierung.»                                 kredite zwar Liquiditätsengpässe über-
haben: die Emissionsabgabe auf der
­                                                                                     brücken, die Verluste gingen aber
Ausgabe von Wertpapieren, die Um-        Eigenkapital schafft Sicherheit              dennoch zulasten des Eigenkapitals. In
satzabgabe beim Handel mit Wertpa-       Die Emissionsabgabe ist ein Hindernis        der Folge mussten zahlreiche Unter-
pieren und der Versicherungsstempel      für innovative Investitionen, weil sie ri-   nehmen neues Eigenkapital aufneh-
auf Versicherungsprämien. In der Früh-   sikotragendes Eigenkapital belastet.         men, um eine Überschuldung zu ver-
lingssession 2021 beschloss das Parla-   Das Eigenkapital dient bekanntlich als       meiden.
ment, die Emissionsabgabe abzuschaf-     Sicherheitskapital, um entstandene
fen und folgte damit dem Vorschlag       Verluste abzufedern. Es dient somit der      Unternehmen aktiv entlasten
des Bundesrats. Dessen Einschätzun-      Resilienz der Unternehmen und letzt-         Diese an sich wünschenswerte Siche-
gen beruhen auf dem Bericht einer        lich der Sicherung von Arbeitsplätzen.       rung der Unternehmensfinanzen wird
E xpertengruppe zum Steuerstandort
­                                        Diese Eigenkapitalpolster wurden im          durch die Emissionsabgabe unnötiger-
Politik   /15
weise belastet und dadurch im Ver-         die unter Anwendung von Tier- oder         setzt somit den zentralen Faktor für Er-
gleich zur weniger sicheren Fremdfi-       Menschenversuchen entwickelt wur-          folg und Wohlstand in unserem Land
nanzierung unattraktiver. Es ist zudem     den. Damit hätte die Initiative weitrei-   aufs Spiel. Unternehmen und For-
augenfällig, dass die Abgabe die Unter-    chende negative Auswirkungen auf die       schungsinstitute müssten Teile ihrer
nehmen genau dann am stärksten be-         medizinische Versorgung der Schweiz,       Aktivitäten auslagern oder die Schweiz
lastet, wenn die Wirtschaft in einer Re-   die Industrie und den Schweizer For-       ganz verlassen. Am Ende wäre also we-
zession steckt und die Unternehmen         schungsplatz. In der Schweiz sind For-     der Tieren noch Menschen geholfen,
auf neues Eigenkapital angewiesen          schende bereits heute verpflichtet,        denn durch die Annahme der Initiative
sind. Besonders hohe Einkünfte ver-        Tierversuche auf ein Minimum zu be-        würde die Forschung nicht mehr in der
buchte die Emissionsabgabe ausge-          schränken und wenn immer möglich           Schweiz stattfinden, sondern müsste
rechnet in den Krisenjahren 2001 (375      Alternativmethoden zu wählen. Unter
                                           ­                                          ins Ausland verlagert werden, wo die
Mio.) und 2008 (365 Mio.). Die Emissi-     Beteiligung der Industrie und der Hoch-    Standards zum Tierschutz sehr oft
onsabgabe behindert unnötig die Auf-       schulen konnte im Zuge der 3R-Bestre-      niedriger sind als in der Schweiz. Mit
nahme von neuem Eigenkapital und           bungen (Refine, Reduce, Replace) die       dem Verbot der Einfuhr gewisser Pro-
sorgt zu einem falschen Zeitpunkt für      Anzahl Tierversuche seit den 1980er-       dukte bricht die Schweiz zudem mit gel-
zusätzliche Belastungen für die Wirt-      Jahren bereits um 70 Prozent gesenkt       tenden internationalen Verträgen, wor-
schaft, weshalb sie abgeschafft wer-       werden. Zusätzlich hat der Bundesrat       aufhin Vergeltungsmassnahmen nicht
den muss.                                  kürzlich ein mit 20 Millionen Franken      auszuschliessen wären. Damit würde
                                           dotiertes Forschungsprogramm zur           die Schweizer Exportindustrie in ihrem
Gängige Praxis schützt                     Weiterentwicklung der 3R-Prinzipien        Aufschwung nach der Pandemie ge-
Mensch und Tier                            lanciert, um Tierversuche weiter zu re-    bremst – mit schädlichen Auswirkun-
Die Volksinitiative «Ja zum Tier- und      duzieren und die Versuche weniger be-      gen auf die Gesamtwirtschaft. Zudem
Menschenversuchsverbot» fordert ein        lastend zu gestalten.                      stellt ein Importverbot einen massiven
vollumfängliches Verbot von Tierversu-                                                Eingriff in die Schweizer Wirtschafts-
chen und von Forschung am Menschen.        Forschungsstandort schützen                freiheit dar, weshalb die IHK die Initiati-
Ausserdem sollen Einfuhr und Handel        Die Initiative schwächt den Forschungs-    ve ablehnt.
sämtlicher Produkte verboten werden,       und Innovationsstandort Schweiz und

Parolen der IHK Thurgau zur Abstimmung vom 28. November 2021

Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)»                                                   NEIN

COVID-19-Gesetz                                                                                                   JA

Parolen der IHK zur Abstimmung vom 13. Februar 2022

Volksinitiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot –
Ja zu Forschungswegen mit Impulsen für Sicherheit und Fortschritt»                                            NEIN

Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben (StG)                                                         JA
Politik   /16

Sorgenfalten bei Ostschweizer
Hochschulen werden tiefer
Die Schweizer Forschung sieht sich als Geisel in einem politischen Spiel. Die Rektorenkonferenz
der schweizerischen Hochschulen wählte drastische Worte in ihrer Reaktion auf den Abbruch der
Verhandlungen zum Rahmenabkommen. Der Forschungsplatz Schweiz bekommt die Folgen des
Abbruchs unmittelbar zu spüren.

Von Matteo Ferigutti                    200 Universitäten und die Schweiz hat    nen EU-Forschungsprogramm «Horizon
                                        eines der besten Forschungssysteme       2020» noch als voll assoziiert, wird sie
 Für die internationale Forschungs­     überhaupt. Die Stärken des Schweizer     beim Nachfolger «Horizon Europe» nur
 zusammenarbeit ist die Schweiz seit    Hochschulplatzes sind eng mit der in-    noch als nicht assoziierter Drittstaat
 jeher eine gute Adresse. Schweizer     ternationalen Ausrichtung der For-       teilnehmen können. Die Gespräche
 Forschende beteiligen sich rege an
 ­                                      schung verknüpft, welche durch die ge-   über die Assoziierung wurden von der
­internationalen Forschungsprojekten,   scheiterten Verhandlungen um das         EU an den Erfolg des Rahmenabkom-
 sieben Schweizer Universitäten sind    Rahmenabkommen gefährdet wird.           mens geknüpft und konsequenterweise
 Stammgäste unter den weltweit besten   Denn galt die Schweiz beim ausgelaufe-   nicht aufgenommen.
Politik   /17
Weniger Fördermittel –
sinkender Einfluss
Die Auswirkungen dieser Abstufung
sind unmittelbar spürbar. «Schweizer
Forschende und Unternehmen können
europäische Projekte nicht mehr koor-
dinieren», sagt Prof. Dr. Priska Sieber,
Rektorin der Pädagogischen Hochschu-
le Kreuzlingen. Im Rahmen von «Hori-
zon 2020» hätten 1185 wissenschaftli-
che Projekte unter Schweizer Leitung
stattgefunden. Diese seien zu 40 Pro-
zent mit Fördermitteln aus den ERC-
Grants der EU gefördert worden – mehr
als eine Milliarde Franken Fördermittel,
die nun unerreichbar werden. «Ein Pro-
jekt zu koordinieren bedeutet, die zu-
künftigen Prioritäten der europäischen
Forschung mitzubestimmen und damit
die Entwicklung des Forschungs- und
Innovationsraums auf kontinentaler
Ebene zu gestalten», so Sieber. Doch
nicht nur die Hochschulen seien von der

                                           Prof. Dr. Sieber, Rektorin der Pädagogischen Hochschule Kreuzlingen, ist besorgt über die lang-
  Artikelreihe zum Abbruch der             fristigen Folgen der ausbleibenden Assoziierung der Schweiz bei «Horizon Europe».
  Verhandlungen über das instituti-
  onelle Rahmenabkommen der
  Schweiz mit der EU                       Abstufung betroffen, sondern auch die              ber ausgeschlossen, da ihre Teilnahme
  Am 26. Mai 2021 hat der Bundesrat        KMU und die Industrie.                             nicht garantiert werden kann», sagt Eva
  die Verhandlungen mit der Europäi-                                                          Tschudi von der Fachhochschule OST.
  schen Union um ein Rahmenabkom-          Standort Schweiz verliert Attraktivität            Von der OST seien momentan noch ein-
  men definitiv für beendet erklärt. Die   Fast 25 Prozent der in Horizon 2020 ge-            zelne Institute an mehreren laufenden
  2013 aufgenommenen Verhandlun-           förderten Schweizer Projekte wurden                EU-Projekten und neuen Projektanträ-
  gen, an deren Erfolg die Europäische     von KMU geleitet, ein Anteil, der auf 36           gen beteiligt. Allerdings habe man
  Union verschiedene hängige Ver-          Prozent steigt, wenn man die Industrie             schon während der letzten Assoziie-
  handlungen und Abkommen knüpf-           mit einbezieht. «Diese direkte Förde-              rungsposse um «Horizon 2020» eine
  te, sind somit gescheitert. Da bisher    rung hat kein äquivalentes Instrument              Halbierung des internationalen For-
  keine Alternativlösung präsentiert       in der Schweiz», sagt Sieber. Die Ent-             schungsvolumens in der Schweiz fest-
  wurde, sehen sich Wirtschaft und         wicklung und Kommerzialisierung von                stellen können. Die Auswirkungen der
  Wissenschaft mit diversen Heraus-        Forschungsergebnissen speziell für                 anfänglichen Nicht-Assoziierung der
  forderungen konfrontiert. Als Stim-      KMU und die Industrie dürfte nun                   Schweiz bei «Horizon 2020» seien auch
  me der Exportwirtschaft beleuchten       schwieriger werden. Generell schadet               bei der Mobilität von Studierenden so-
  wir diese in einer Artikelreihe näher.   die Nichtassoziierung dem Schweizer                wie Forschenden – Stichwort «Eras-
  Im letzten FOKUS haben wir die Situ-     Wirtschaftsstandort. Die Attraktivität             mus+» – spürbar gewesen, was zu
  ation in der Medtech-Branche auf-        und Innovationskraft des Schweizer                 beidseitigem Know-how-Verlust ge-
  gezeigt. Diese kämpft seit Ende Mai      Forschungsplatzes werden dadurch                   führt habe. Prof. Dr. Sieber folgert, dass
  mit steigenden Kosten durch zu-          wesentlich geschwächt, wodurch die                 die Schweizer Regierung alles daran
  sätzliche bürokratische Hürden,          Schweiz im internationalen Standort-               setzen müsste, ein Rahmenabkommen
  nachdem die gegenseitige Anerken-        wettbewerb an Boden verliert. Bereits              abzuschliessen, welches die EU als Be-
  nung von Konformitätsbewertungen         jetzt zeichnen sich schädliche Tenden-             dingung für eine volle Assoziierung der
  zwischen der Schweiz und der EU          zen in dieser Richtung im Forschungs-              Schweiz stellt. Die Drittklassigkeit der
  aufgehoben wurde. In der nächsten        betrieb ab.                                        Schweiz im europäischen Forschungs-
  Ausgabe des FOKUS wird es dann                                                              betrieb dürfte sich langfristig negativ
  um die Auswirkungen des Verhand-         Mit Rahmenabkommen Anschluss                       auf die Schweizer Wirtschaft auswir-
  lungsabbruchs auf den Strommarkt         wiederherstellen                                   ken. Wenn der Schweiz der Nachwuchs
  gehen.                                   «Schweizer Forschende werden teilwei-              an Toppersonal fehlt, werden die Inno-
                                           se von neuen Projekten sicherheitshal-             vation und Forschung in Zukunft leiden.
Aktuell          /18
                                                                                                                         3.
                                                                                                                         Dezember
                                                                                                                         2021
                                                                                                                         Tänikon
                            Smarte Lösungen für
                            nachhaltige Lebensmittel
                            Das Innovationsforum Ernährungswirtschaft fördert den Wissens- und Technologie-
                            transfer zugunsten der ganzen Wertschöpfungskette von Lebensmitteln.
                            Die Tagung richtet sich an Vertreterinnen und Vertreter aus Forschung, Industrie,
                            Gewerbe, Dienstleistung, Landwirtschaft, Politik und Verwaltung. Sie findet 2021
                            bereits zum zweiten Mal statt. Das Schwerpunktthema der zweiten Austragung ist
                            «Smarte Lösungen für nachhaltige Lebensmittel».

                            Keynotes

                            Dr. Thomas Nemecek                                               Dr. Urs Schenker
                            stellvertretender Forschungsgruppenleiter                        Sustainability Expert, Nestlé Research
                            Ökobilanzen, Agroscope

                            Thema                                                            Thema
                            Umweltwirkungen der Nahrungsmittel-                              Milchproduktion & Klimawandel
                            produktion und Ernährung                                         bei Nestlé

                            Weiteres Tagungsprogramm
                            Umfangreiches Programm mit 13 weiteren Beitragen von GVS Agrar AG, Swiss Future Farm, BBZ Arenenberg,
                            Steffen-Ris fenaco Genossenschaft, Verdunova AG, «Mehr als zwei», IP-SUISSE, OST – Ostschweizer Fachhochschule,
                            SwissShrimp AG, Agroscope, Startnetzwerk Thurgau und 1LIMS. Möglichkeit zum Austausch bei Stehlunch und Apéro.
                            Die Tagung dauert von 8.30 bis 15.45 Uhr, anschliessend Apéro.

                              Anmeldung und Programm unter                                   Veranstaltungsort
                              innovationsforum-ernaehrungswirtschaft.ch                      Swiss Future Farm
                                                                                             Tänikon 1, CH-8356 Ettenhausen
                                              Anmeldung bis
                                                                                             Teilnahmegebühr
                                              26. November 2021
                                                                                             CHF 80.-
                                                                                             Studierende gratis

veranstaltet durch
Innovationsboard Tänikon
Export   /19

Partnerschaftsabkommen
EFTA-Indonesien in Kraft
Im Hinblick auf das Inkrafttreten des Abkommens hat der Bundesrat am 24. September 2021 die
letzten notwendigen Verordnungsänderungen zur Umsetzung der im Abkommen vorgesehenen
Zollkonzessionen beschlossen. Das Abkommen soll zur Dynamisierung der Handelsbeziehungen
zwischen den EFTA-Staaten und Indonesien beitragen.

Das umfassende Wirtschaftspartner-
schaftsabkommen (CEPA) soll den
Marktzugang und die Rechtssicherheit
für den Handel mit Waren und Dienst-
leistungen verbessern. Für 98 Prozent
der heutigen Warenausfuhren der
Schweiz nach Indonesien werden nach
Ablauf der Zollabbaufristen sämtliche
Zölle wegfallen. Darüber hinaus umfasst
das Abkommen insbesondere Bestim-
mungen zu Investitionen, zum Schutz
des geistigen Eigentums, zum Abbau
nichttarifärer Handelshemmnisse, zum
Wettbewerb, zu Handelserleichterun-
gen, zu Handel und nach­   haltiger Ent-
wicklung sowie zur wirtschaftlichen Zu-    innerhalb eng beschränkter Kontingen-     Die EFTA hat als erste Partnerin in Euro-
sammenarbeit.                              te vor. Importeure können Palmöl je-      pa ein solches Abkommen mit Indonesi-
Die Bestimmungen des Kapitels Handel       doch nur dann präferenziell einführen,    en abgeschlossen. Das Abkommen er-
und nachhaltige Entwicklung schaffen       wenn sie nachweisen, dass es nachhal-     laubt es, bestehende und potenzielle
einen gemeinsamen und rechtlich ver-       tig produziert wurde.                     Diskriminierungen gegenüber aktuellen
bindlichen Referenzrahmen für die prä-                                               und zukünftigen Freihandelspartnern In-
ferenziellen Handelsbeziehungen und        Umfassendes und modernes Abkommen         donesiens abzubauen und zu vermeiden.
tragen dazu bei, dass die wirtschaftli-    Das Abkommen zwischen den EF-
chen Ziele des Abkommens Hand in           TA-Staaten (Island, Liechtenstein, Nor-   Handelspartner mit Potenzial
Hand mit den Zielen des Schutzes der       wegen, Schweiz) und Indonesien wurde      Indonesien ist die grösste Volkswirt-
Umwelt und der Arbeitsrechte gehen.        am 16. Dezember 2018 unterzeichnet,       schaft Südostasiens und bevölke-
Für das aus Nachhaltigkeitssicht be-       im Dezember 2019 von den Eidgenössi-      rungsmässig das viertgrösste Land der
sonders sensible Palmöl sieht das Ab-      schen Räten genehmigt und von der         Welt mit einer wachsenden Mittel-
kommen nur moderate Zollsenkungen          Stimmbevölkerung in der Abstimmung        schicht. Im Jahr 2020 rangierte Indone-
                                           vom 7. März 2021 gutgeheissen. Das        sien im fünften Rang unter den
                                           CEPA verbessert auf breiter Basis den     Handels­partnern der Schweiz in Süd-
 Weitere Informationen                     Marktzugang und die Rechtssicherheit      ostasien. Das Inkrafttreten des Abkom-
 finden Sie unter                          für die Wirtschaftsakteure und ent-       mens birgt ein grosses Potenzial für
 bit.ly/pem-info.                          spricht weitgehend den neueren, mit       Schweizer Wirtschaftsakteure, ihre
                                           Drittstaaten abgeschlossenen Abkom-       Wirtschafts- und Handelsbeziehungen
                                           men der EFTA-Staaten.                     mit diesem Partner zu verstärken.
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