Zukunft - Universität Innsbruck

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Zukunft - Universität Innsbruck
Ausgabe 2/2020, 12. Jg.

                                                                   zukunft
zukunft forschung 02 | 20

                                                                      forschung

                            IDEEN UMSETZEN
                            thema: unternehmertum fördern | physik: chemische prozesse beobachten
                            betriebswirtschaft: bilanzkontrolle | pädagogik: gemeinsam lernen | covid-19:
                            sinn als stresspuffer | theologie: karl rahner & die bibel | ökologie: kreislaufwirtschaft

                                              DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNS­BRUCK
Zukunft - Universität Innsbruck
2   zukunft forschung 02/20   Foto: Andreas Friedle
Zukunft - Universität Innsbruck
EDITORIAL

                                         LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

D
        ie Pandemie stellt uns alle vor große Herausforde-                    ihre Ideen unternehmerisch nutzen und so direkt der Wirtschaft
        rungen. Auch die Universität ist hier ständig bestrebt, ei-           und Gesellschaft unseres Landes zu Gute kommen lassen.   Auch
                                                                                                                                    Minion
        nerseits den Betrieb von Forschung und Lehre aufrecht-                stellen wir Ihnen vor, mit welchen Maßnahmen wir das Un-

                                                                                                                   DE
zuerhalten und andererseits die Gesundheit von Studierenden                   ternehmertum sowohl unter den Studierenden als auch unter
und Mitarbeiter*innen bestmöglich zu schützen. Jenseits dieser                unseren Wissenschaftler*innen in vielfältiger Weise fördern.
akuten Notwendigkeiten müssen wir uns aber auch Gedanken
über die Zeiten nach der COVID-Krise machen. Denn die dras-                   Neben dem Schwerpunktthema finden Sie in diesem Heft wie-
tischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie werden                          der viele weitere Beispiele für die erfolgreiche Arbeit an   unserer
                                                                                                                                       PEFC zertifiziert
                                                                                                                                       Dieses Produkt
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in vielen Bereichen unserer Gesellschaft deutliche Spuren hin-                Universität. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektürenachhaltig und
                                                                                                                                       stammt aus                  stammt aus
                                                                                                                                                                   nachhaltig
terlassen. Die Wissenschaftler*innen der Universität Innsbruck                freuen uns über Ihre Fragen und Anregungen. Bleiben           Sie  undge-
                                                                                                                                       bewirtschafteten
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                                                                                                                                                                   bewirtschafteten
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                                                                                                                                       kontrollierten              kontrollierten
setzen sich schon jetzt intensiv mit den wirtschaftlichen und                 sund!                                                    Quellen                     Quellen

gesellschaftlichen Folgen der Pandemie auseinander und schaf-                                                                                  www.pefc.at         www.pefc.at

fen damit die Basis für Lösungen in der Zukunft.

Im Schwerpunkt dieser Ausgabe unseres Forschungsmagazins
widmen wir uns einem Thema, das nach der Pandemie von
besonderer Bedeutung sein wird: der Innovationskraft und dem
Unternehmertum. Diese fördern wir an unserer Universität in
besonderem Maße, und wir wollen Ihnen hier einige Beispiele                                                          TILMANN MÄRK, REKTOR
geben, wie Forscher*innen unserer Universität ihr Wissen und                                    ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG
                                                                                                                                                Myriad

  IMPRESSUM
  Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Inns­bruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Inns­bruck, www.uibk.ac.at
  Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf), Mag. Eva Fessler (ef)
  Kontakt: public-relations@uibk.ac.at                                                                                                         PEFC zertifiziert   PEFC zertifiziert
                                                                                                                                               Dieses Produkt      Dieses Produkt
  Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Inns­bruck, www.kultig.at                           stammt aus          stammt aus
  Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Lisa Marchl, MSc (lm), Daniela Pümpel, MA       nachhaltig          nachhaltig
                                                                                                                                               bewirtschafteten    bewirtschafteten
  (dp), Mag. Susanne Röck (sr) Layout & Bildbearbeitung: Lara Hochreiter, Florian Koch                                                         Wäldern und         Wäldern und
                                                                                                                                               kontrollierten      kontrollierten
  Lektorat & Anzeigen: MMag. Theresa Rass Fotos: Andreas Friedle, Universität Inns­bruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz                           Quellen             Quellen
                                                                                                                                               www.pefc.at         www.pefc.at

Foto: Uni Inns­bruck                                                                                                                zukunft forschung 02/20             3
Zukunft - Universität Innsbruck
BILD DER
WISSENSCHAFT
Zukunft - Universität Innsbruck
INHALT

     TITELTHEMA                                                                                                                     8
     FISHPROTECTOR. Barbara Brinkmeier revolutioniert mit einem
     neuen Seilrechen die Möglichkeiten im Bereich des Fischschutzes. 8

     DISCOVAR. Augmented Reality von der Stange könnte einen
     Mehrwert für Museen und deren Besucher ergeben.12

     AQT. Das Spin-off will den ersten kommerziellen Q
                                                     ­ uantencomputer
     verwirklichen – das Konzept stammt von Innsbrucker Physikern.  14
                                                                                                                              TITELTHEMA. Akademische Forschung eröffnet neue
     SPIDER-CONNECTOR. Holz als Baustoff spielt bei großvolumigen                                                             Einsichten in Natur und Gesellschaft, sehr oft entstehen
     Bauten noch keine große Rolle – eine Entwicklung von Roland                                                              dabei auch konkrete Ideen für die Praxis. Wie solche
     Maderebner soll das nun ändern.                                                                          16             Ideen an der Uni Innsbruck umgesetzt werden, unter-
                                                                                                                              sucht ZUKUNFT FORSCHUNG in dieser Ausgabe.
     TEXIBLE. Das Spin-off entwickelt ­intelligente Textilien, die Grund-
     lagen ­entstanden am I­ nstitut für Textilchemie und Textilphysik.18
                                                                                                                                26

     FORSCHUNG
     STANDORT. Warum die Unternehmensgruppe Getzner auf enge
     Zusammenarbeit mit Universitäten setzt, erklärt Georg Comploj, ehe-
     maliger Geschäftsführer der Holding Getzner, Mutter & Cie.     22

     CHEMIE. Kathrin Breuker hat einen Mechanismus entschlüsselt,                                                             PHYSIK. Roland Wester lässt in seinem Labor
     der für die Vermehrung des HI-Virus zentral ist.                                                         30             ­Ionen auf Moleküle prallen und will nun in die-
                                                                                                                              sen Ionen-Molekül-Reaktionen nach Effekten der
     DIGITALISIERUNG. Editionen wandern zunehmend in den                                                                       ­Quantenmechanik suchen.
     digitalen Raum – das eröffnet auch neue Möglichkeiten.                                                   30
                                                                                                                                36
     PÄDAGOGIK. Thomas Hoffmann will Kinder mit Behinderung
     besser in den Chemieunterricht einbeziehen.                                                              32

     WIRTSCHAFT. Der Wirecard-Bilanzskandal hat die ­zuständigen
     Prüfstellen in die Kritik gebracht. Warum sie dennoch wichtig
     sind, wissen Pia Meusburger und Christoph Pelger.                                                        34

     ÖKOLOGIE. Anke Bockreis und Martin Stuchtey setzen bei der Beseiti-
     gung von Plastikmüll auf das Konzept der Kreislaufwirtschaft.  38                                                       PSYCHOLOGIE. Die Corona-Krise hat auch massive
                                                                                                                              psychische Folgen. Sinnforscherin Tatjana Schnell
     THEOLOGIE. Karl Rahner prägte die Theologie des 20. J­ ahrhunderts.                                                      untersucht seit Beginn der Krise die Auswirkungen
     Innsbrucker Forscher untersuchen nun sein V
                                               ­ erhältnis zur Bibel.  42                                                    auf das psychische Wohlergehen.

     RUBRIKEN
     EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: DAS AUGE EINER SCHWARZEN SOLDATENFLIEGE 4 | NEUBERUFUNG: JOHANNES HOFF 6 | FUNDGRUBE VER­GANGEN­­HEIT: DAS
     HERBARIUM DES INSTITUTS FÜR BOTANIK 7 | MELDUNGEN 22 + 41 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: MAYARA SIVERIO LIMA 48 | SPRUNGBRETT INNS­
     BRUCK: URSULA DAXECKER 49 | ESSAY: OPEN SCIENCE – WISSENSCHAFTLICHES WISSEN VERWERTBAR MACHEN von Leonhard Dobusch 50

Auf Augenhöhe mit der Schwarzen Soldatenfliege arbeiten Forsche-                                           der Larven im Detail geklärt, könnten diese industriell gezüchtet und
rinnen und Forscher von den Instituten für Mikrobiologie und Öko-                                          als proteinreiches und nachhaltiges Futtermittel eingesetzt werden. Be-
logie. Sie untersuchen in mehreren Projekten den Einsatz der Solda-                                        kannt ist bereits, dass symbiontisch lebende Mikroorganismen auf ihrer
tenfliegen-Larve in der Bioabfallverwertung: Sind die Zusammenhänge                                        Haut und im Darm die Larven gesund halten, obwohl sie auf und von
zwischen der Nahrungszusammensetzung und dem Darm-Mikrobiom                                                verdorbenem Bioabfall leben.

     Fotos: Andreas Friedle (2), Michael Gunz (1); COVERFOTO: Rothoblaas; BILD DER WISSENSCHAFT: Wolfgang Dibiasi/dibiasiwelt.com
                                                                                                                                                                    zukunft forschung 02/20   5
Zukunft - Universität Innsbruck
NEUBERUFUNG

                       DER WEG INS
                   POSTDIGITALE ZEITALTER
           Als neuer Professor für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät will Johannes Hoff
               ­spirituelle Praktiken als Ressource für den aktuellen Transformationsprozess begreifen.

    M
               it der Digitalisierung hat die
               Moderne eine technologische
               Ausformung erreicht, die für
    Johannes Hoff den tiefgreifendsten ge-
    sellschaftlichen Wandel seit der Einfüh-
    rung der phonetischen Schrift mit sich
    bringt. Hoff hat sich in seiner Habilitation
    intensiv mit dem spätmittelalterlichen
    Mystiker, Philosophen und Bischof von
    Brixen Nikolaus von Kues beschäftigt.
    In der Auseinandersetzung mit seinem
    Werk hat er gelernt, die vormoderne Phi-
    losophie nicht durch die moderne Brille
    zu lesen, sondern aus ihrer Entstehungs-                                                        JOHANNES N. HOFF wurde 1962 in
    zeit heraus zu begreifen. „Vieles, was           formatikern und Fachleuten aus den Neu-        Trier geboren. Er studierte Philosophie und
    wir als selbstverständlich annehmen, ist         rowissenschaften zusammen und traf auf         Theologie an den Universitäten Tübingen
    überhaupt nicht selbstverständlich und           einem Diskussionspodium auch seine spä-        und Bonn. Von 1995 bis 2006 war er
    in der Geschichte eigentlich aus Zufällen        tere Ehefrau, Sarah Spiekermann, die den       wissenschaftlicher Assistent an der Uni
    heraus entstanden“, sagt Hoff: „Ich habe         Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und        Tübingen; von 2007 bis 2013 Professor
    versucht, die logische Rationalität des          Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität     für philosophische Theologie am David‘s
    Nikolaus von Kues als eine Denkform zu           Wien innehat und sich mit digitaler Ethik      College der University of Wales und von
    rekonstruieren, die uns erlaubt, bestimmte       beschäftigt. Gemeinsam mit anderen Phi-        2013 bis 2018 Professor für Systematische
    Holzwege der Moderne kritisch zu über-           losophen haben sie 2017 ein Manifest wi-       und Philosophische Theologie an der Uni-
    arbeiten und zu überdenken.“ Mit diesem          der den Transhumanismus veröffentlicht.        versity of London. Seit 2018 ist er Senior
    Zugang war Hoff in Deutschland eher ein                                                         Research Associate am Von Hügel Institute
    Exot. „Es war, als ob ich auf der falschen                Selbsttechnologien                    der University of Cambridge und Honorar-
    Straßenseite fahre“, erzählt der Theologe        Die digitale Transformation steht auch im      professor an der University of Durham,
    und Philosoph, der nach Abschluss der            Zentrum seines im nächsten Frühjahr er-        seit 2020 Professor für Dogmatik an der
    Habilitation nach England ging. „Als ich         scheinenden Buches zur Verteidigung des        Universität Innsbruck. 
    dort ankam, habe ich gesehen, dass ich           Heiligen. Es stellt die Frage, wie wir mit
    doch kein Geisterfahrer bin.“                    Technik umgehen, wenn wir begriffen ha-
       Schon in seiner Auseinandersetzung mit        ben, dass sich nicht alles auf das Techni-   Lebensnerv christlicher Dogmatik zu ent-
    mathematischen Schriften des Nikolaus            sche reduzieren lässt. Johannes Hoff, der    decken. In diesen sieht Hoff den Schlüssel
    von Kues ist Johannes Hoff auf die Frage         auch mit führenden Vertretern zeitgenös-     zu einer kritischen Revision des modern-
    gestoßen: Lässt sich wirklich alles digitali-    sischer Kunst – wie dem 2011 verstorbe-      humanistischen Menschenbildes. In Inns-
    sieren? „Das Zeitalter der Digitalisierung       nen Performance-Künstler Christoph           bruck möchte Johannes Hoff nicht nur die
    begann im 15. und 16. Jahrhundert. Wir           Schlingensief – zusammenarbeitet, stellt     Studierenden und seine Kollegen, sondern
    treten eigentlich nicht in das digitale, son-    die Frage an die Religion, was sie für die   auch die breitere Öffentlichkeit auf den
    dern jetzt in das postdigitale Zeitalter ein“,   Herausforderung, eine zivilisierte Lebens-   historisch beispiellosen Epochenumbruch
    sagt Hoff. „Wenn man alles digitalisiert         form im digitalen Zeitalter zu entwickeln,   der Digitalen Revolution vorbereiten, de-
    hat, stellt man nämlich fest, dass irgend-       anzubieten hat. In diesem Sinn versucht      ren Tragweite seiner Meinung nach nicht
    etwas unter die Räder gekommen ist.“ Der         er, das holistische Denken des Christen-     nur von Kirchen und Geisteswissenschaf-
    Digitalisierung war auch sein Forschungs-        tums des ersten Jahrtausends von seinen      ten, sondern auch von politischen und zi-
    programm in den vergangenen fünf Jahren          modernen Übermalungen zu befreien und        vilreligiösen Verantwortungsträgern un-
    gewidmet. Dabei arbeitete er eng mit In-         in spirituellen „Selbsttechnologien“ den     terschätzt wird.                    cf

6   zukunft forschung 02/20                                                                                                   Foto: Universität Innsbruck
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FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

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                       GEPRESSTE ZEITZEUGEN
                  Die Sammlung von getrockneten, gepressten, etikettierten und meist auf Papierbögen
                   aufgeklebten Pflanzen des Instituts für Botanik umfasst weit über 100.000 Objekte.

E
      in Metallschrank ähnelt dem an-         spruch einer Inventarisierung, das Ziel,
      deren, doch Konrad Pagitz weiß,         eine gesamte Flora zu dokumentieren
      welchen er zu öffnen hat. Er zieht      – sowohl gesammelt als auch geschrie-
an einer Lade, nimmt eine Mappe he-           ben – bildete sich im 19. Jahrhundert,
raus, öffnet sie und hält behutsam ein        vor allem in der zweiten Hälfte heraus.
Blatt in der Hand. Carex heleonastes, die     1804/05 beschrieb etwa Franz Schöpfer
Schlenken-Segge, gesammelt und archi-         die Flora Oenipontana, in einem annä-        SAMMLUNGSSTÜCKE:
viert vom Botaniker Rudolf Seeger (1888-      hernd 50-Jahr-Rhythmus, so Pagitz, folg-      1 Carex heleonastes, Schlenken-Segge:

1917). Ohne Seeger wüsste man nichts          ten weitere Werke zur heimischen Pflan-      Historische Zeitzeugen – trotz gezielter
vom Vorkommen der Schlenken-Segge in          zenwelt. Das damalige Wissen der Zeit        Suche ohne aktuellen Nachweis gilt die
Nordtirol – sie ist eine von rund 120.000     wurde in den Werken zusammengetra-           Art heute in Nordtirol als ausgestorben.
bis 130.000 Objekten, die das Herbarium       gen. „Für diesen Zeitraum gibt es auch       Ohne Belegmaterial würde man das Vor-
des Instituts für Botanik umfasst. „Der       viel physisches Material in Sammlungen.      kommen in Tirol grundsätzlich anzweifeln.
Großteil davon ist historisch“, sagt Her-     Das ermöglicht uns, das Geschriebene          2 Hieracium levicaule ssp. vitulimontis,

barium-Kurator Pagitz, „einzelne unserer      mit dem Gesammelten abzugleichen“,           Glattstängel-Habichtskraut: Herbarmate-
Belege gehen bis 1770 zurück, ab dem 19.      erläutert Pagitz.                            rial „lebt“ – historische und aktuelle Noti-
Jahrhundert wird es mehr, intensiv ge-           Die gesammelten Objekte können aber       zen zeugen von aktiver Arbeit am Material
sammelt wurde ab 1850. Das Herbarium          noch mehr: sie sind „gepresste Zeitzeu-      und wissenschaftlichem Austausch.
spiegelt auch die Interessen der Sammler      gen“ ausgestorbener Pflanzen; sie sind        3 Eragrostis cilianens, Groß-Liebes-

wider, aber hauptsächlich stammen die         mögliches Beweismaterial für Fehlbe-         gras: Fehlschlag – die Art ist ein Beispiel
Objekte aus Tirol, dem Gebiet der k.u.k-      stimmungen; sie sind Ausgangspunkt           für nicht erfolgreiche Neophyten in der
Monarchie und dem Mittelmeerraum.“            von Forschungsarbeiten. Voraussetzung        Tiroler Flora. Das kurze, nur wenige Jahre
                                              ist, man kann sie „lesen“. Pagitz: „Natür-   umfassende Gastspiel an der historischen
    Nicht nur Aufbewahrungsort                lich verblassen die Farben. An Strukturen    Rauch’schen Bahn in Mühlau ist durch.
Der Wille zur Dokumentation, aber auch        kann man an ihnen aber alles nachvoll-       Aufsammlungen von Murr dokumentiert.
ein ästhetischer Aspekt – es ist für Pagitz   ziehen.“ Die Innsbrucker Sammlung             4 Gentiana pneumonanthe, Lungen-

eine Art „Zwittersituation“, welche die       wird ständig erweitert, es zeigen sich da-   Enzian: Der Lungen-Enzian zählt zu den
Anlegung von Herbarien förderte. Etwa         bei die Spezialisierungen der Forscherin-    seltenen Arten in der Tiroler Flora und wie
Sammlungen von Kräutern, um Gesund-           nen und Forscher. Man habe, meint Pa-        viele andere Arten, die extensiv genutzte
heitsrelevantes festzuhalten, aber auch       gitz, daher die wohl größte aktuelle         Feuchtflächen besiedeln, kommt er regel-
zum Strauß „gebundene“ gepresste Blu-         Sammlung der Planzengattung Rubus der        mäßig unter die Räder bzw. das Messer.
men. Frühe Herbarien aus dem 16./17.          Ostalpen am Institut – Brombeeren sind       Hier dokumentiert mit einer Aufsammlung
Jahrhundert hatten auch nicht den An-         eines seiner Forschungsgebiete.  ah         aus einer frisch gemähten Feuchtwiese.

Fotos: Konrad Pagitz                                                                                              zukunft forschung 02/20   7
Zukunft - Universität Innsbruck
8   zukunft forschung 02/20   Foto: Andreas Friedle
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EINSATZ FÜR DIE FISCHE
                   Wasserkraft ökologisch vertretbar machen, stand von Beginn an im Forschungsinteresse
                    der Bauingenieurin Barbara Brinkmeier. Mit dem von ihr und ihrem Team entwickelten
               Seilrechen FishProtector wurden die Möglichkeiten im Bereich des Fischschutzes revolutioniert.

Foto: Andreas Friedle                                                                            zukunft forschung 02/20   9
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TITELTHEMA

     DER FISHPROTECTOR soll

                                     W
     Fische davon abhalten, in die             asserkraft steht für sauberen Strom,     meier ein Problem, das bisher bei der Konzep-
     Turbinen von Wasserkraftwer-              hat allerdings nach wie vor auch         tion von Wasserkraftanlagen wenig Beachtung
     ken zu schwimmen.                         negative Auswirkungen auf die Ge-        fand. „Fischschutz war für die Betreiber weder
                                     wässerökologie. Vor allem für Fische, die fluss-   aus ökologischer noch aus rechtlicher Sicht von
                                     abwärts schwimmen, können die Turbinen             Bedeutung.“
                                     der Kraftwerke zur tödlichen Gefahr werden.           Mit der Einführung der Europäischen Was-
                                     „Da der Schutz der Fische bis dato in Öster-       serrahmenrichtlinie könnte sich dies nun aller-
                                     reich noch nicht gesetzlich vorgeschrieben ist,    dings ändern. „Die Richtlinie besagt, dass ein
                                     wurde diesem Problem lange keine Beachtung         guter ökologischer Zustand in den Gewässern
                                     geschenkt“, erklärt Barbara Brinkmeier. Die        erreicht werden muss. Dazu zählt auch der
                                     Bauingenieurin beschäftigt sich schon seit ihrer   Fischschutz“, verdeutlicht Brinkmeier. Auch
                                     Dissertation mit Forschungsfragen, die Wasser-     wenn die Europäische Richtlinie noch in die
                                     kraftwerke ökologisch verträglicher machen         nationalen Gesetzgebungen implementiert
                                     sollen. Nun steht sie kurz vor der Gründung        werden muss, haben die Forscher*innen bereits
                                     einer GmbH, die dieses Ziel verfolgt.              eine Lösung gefunden, die dem Fischschutz
                                                                                        dient, ohne die Effizienz des Kraftwerks zu
                                              Barriere & Leitfunktion                   mindern.
                                     Bestehende Rechenanlagen – vertikal ange-             Unter der Leitung von Markus Aufleger
                                     brachte Metallstäbe – vor den Turbinen der         haben Barbara Brinkmeier, Ruben Tutzer und
                                     Wasserkraftwerke dienen derzeit dem Schutz         Jonas Haug vom Arbeitsbereich für Wasserbau
                                     der Turbinen vor Treibgut, das vor allem bei       am Institut für Infrastruktur einen Seilrechen
                                     Hochwasserereignissen eingetragen wird.            entwickelt, der aus horizontal gespannten
                                     „Um Fische am Durchschwimmen zu hin-               Stahlseilen besteht. Diese lassen sich auch oh-
                                     dern, müssten die Abstände der einzelnen           ne im Gewässer schwierig zu verwirklichende
                                     Rechenstäbe viel geringer sein, was wiederum       Träger über Flussläufe spannen. Neben der
                                     negative Auswirkungen wie zum Beispiel grö-        mechanischen Barriere setzen die Wissen-
                                     ßere hydraulische Verluste hätte und somit die     schaftler*innen bei ihrer Entwicklung auch auf
                                     Effizienz des Kraftwerks
                                     schmälern würde. Zudem
                                                                   „Indem wir die Seile unter Strom setzen, erzeugen wir
                                     würde ein engerer Ab-
                                     stand zwischen den Stä-
                                                                     ein elektrisches Feld im Wasser. Dieses ist so ­gering,
                                     ben dazu führen, dass der       dass es keine Gefahr für die Fische darstellt, sie
                                     Rechen oft verlegt wird“,       ­nehmen es allerdings wahr, was dazu führt, dass sie
                                     schildert Barbara Brink-         gar nicht erst zu den Seilen schwimmen. Barbara Brinkmeier

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TITELTHEMA

IM BAYRISCHEN Wertach soll sich der FishProtector im Praxistest beweisen.

eine Verhaltensbarriere. „Indem wir die Seile        versität Innsbruck ein europäisches Patent an,
unter Strom setzen, erzeugen wir ein elektri-        das 2016 zur Erteilung gebracht werden konn-
sches Feld im Wasser. Dieses ist so gering, dass     te und seither von der Universität finanziert
es keine Gefahr für die Fische darstellt, sie neh-   wird. Bei der Einreichung für ein FFG Spin-off
men es allerdings wahr, was dazu führt, dass         Fellowships zur Förderung von Ausgründun-
sie gar nicht erst zu den Seilen schwimmen.          gen wurde Brinkmeier 2017 von den Mitarbei-
So bekommt das System zudem eine gewisse             ter*innen aus dem projekt.service.büro und
Leitfunktion, da die Fische den Seilen folgen,       der Transferstelle intensiv unterstützt. Die Be-
bis sie in einem Bypass abgeleitet werden und        mühungen waren von Erfolg gekrönt und das
so das Kraftwerk umschwimmen können“, be-            Projekt HYFISH mit 500.000 Euro gefördert.
schreibt Barbara Brinkmeier die Entwicklung,            „Dieses Programm und zahlreiche Angebo-
die mittlerweile auch patentiert ist.                te an der Uni Innsbruck haben mich sehr gut
   Nachdem mittlerweile sowohl Deutschland           auf die Unternehmensgründung vorbereitet“,
als auch die Schweiz den Fischschutz vor Was-        sagt Brinkmeier. Neben dem patentierten Seil-
serkraftwerken gesetzlich vorschreiben, wollen       rechen haben die Wissenschaftler*innen mitt-
Brinkmeier und Aufleger das von ihnen ent-           lerweile auch die Schutzrechte für ein System
wickelte System nun auch vertreiben. Erste           beantragt, mit dem bestehende Rechenanlagen
Pilotanlagen sind gebaut und die Gründung            unter Strom gesetzt werden können. „Damit
einer GmbH ist mit Jahresbeginn 2021 geplant.        könnten Kraftwerksbetreiber bestehende Re-
Um mit dem Produkt auch auf dem österrei-            chenanlagen, die bisher nur dem Turbinen-
chischen Markt erfolgreich sein zu können, be-       schutz dienten, auch für den Fischschutz auf-
darf es allerdings noch einiger Überzeugungs-        rüsten“, erklärt Brinkmeier.
arbeit. „In Österreich wurde die Europäische            Dass sie und ihr Team am Arbeitsbereich für
Wasserrahmenrichtlinie in Bezug auf den              Wasserbau Problemlöser sind, zeigt auch ihr
Fischschutz mit der Begründung noch nicht            aktuellstes Projekt: Bei der elektrischen Aus-
in die nationale Gesetzgebung implementiert,         rüstung des Systems gibt es noch Anpassungs-
dass es keine technisch geeignete Möglichkeit        bedarf beim Korrosionsschutz und in Sicher-        BARBARA BRINKMEIER,
dafür gibt – das müssen wir jetzt widerlegen“,       heitsfragen. In Kooperation mit dem Innsbruck      geboren 1981 in Villach,
so Brinkmeier.                                       Power Electronics Lab am Institut für Mecha-       studierte Bauingenieurwissen-
                                                     tronik wird nun gemeinsam nach praktikablen        schaften an der Technischen
      Unternehmerin durch Zufall                     Lösungsansätzen gesucht. „Die Universität          Universität Graz. Im Anschluss
Der Weg zum eigenen Unternehmen war bei              bietet uns hier optimale Möglichkeiten inter-      promovierte sie im Fach-
der Bauingenieurin nicht vorgezeichnet: „Ich         disziplinär zu arbeiten. Neben unserem Wissen      gebiet Wasserkraft an der
wusste relativ schnell nach meinem Dokto-            im Bereich der Bauingenieurwissenschaften          Universität Innsbruck. Seit
rat, dass der klassische Weg an der Univer-          haben wir uns mittlerweile auch sehr detailliert   2012 ist Barbara Brinkmeier
sität nicht meine erste Wahl ist, dass ich ein       in die Themenbereiche Fischbiologie und Elek-      am Arbeitsbereich Wasserbau
Unternehmen gründen werde, ist allerdings            trotechnik eingearbeitet und arbeiten auch er-     am Institut für Infrastruktur
auch eher dem Zufall geschuldet.“ Nachdem            folgreich mit Kolleginnen und Kollegen ande-       der Uni Innsbruck tätig. Ihre
der Seilrechen entwickelt und entsprechend           rer Disziplinen zusammen“, so Barbara Brink-       Arbeit wurde bereits mehrfach
getestet war, wurde der Weg zur Unterneh-            meier. Derzeit unterziehen die Wissenschaft-       ausgezeichnet, unter anderem
mensgründung klarer. Um der Forscherin und           ler*innen ihren FishProtector in einer Pilotan-    mit dem Tiroler Businessplan-
ihrem Team einen sicheren Markteintritt und          lage an der Wertach in Bayern dem Praxistest,      wettbewerb adventure X 2019
Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten            künftig soll er Fischen vor vielen Wasserkraft-    und dem zweiten Platz beim
am Markt zu ermöglichen, meldete die Uni-            anlagen das Leben retten.                sr       NEPTUN Wasserpreis 2019.

                                                                                                                   zukunft forschung 02/20   11
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                          AUGMENTED REALITY
                           VON DER STANGE
                   Brigit Danthine und Gerald Hiebel machen sich für die Darstellung von a­ rchäologischen
                ­Forschungsergebnissen semantische Datennetzwerke ­zunutze. Daraus könnte sich auch ein
                                     Mehrwert für Museen und deren Besucher ergeben.

     D
             ie Informationstafel ist schon län-      am Institut für Archäologien, die Situa-     und Erkenntnisse in der Aufbereitung
             ger in die Jahre gekommen, der           tion. Gemeinsam mit ihrem Fachkolle-         und Darstellung von archäologischen
             Audioguide eigentlich auch be-           gen Gerald Hiebel, der auch am Digital       Forschungsergebnissen Museen zur Ver-
     reits überholt. Die Erwartungen an einen        ­Science Center (DiSC) beschäftigt ist, hat   fügung stellen könnte. „Wir arbeiten
     Museumsbesuch steigen ebenso wie die             sie 2020 beim Startup.Tirol.Award mit ih-    bereits seit einiger Zeit mit relationalen
     technischen Möglichkeiten der Informati-         rer Geschäftsidee „DiscovAR“ einen ers-      Daten und gehen sogar einen Schritt da-
     onsaufbereitung. In vielen großen Muse-          ten Lösungsvorschlag für dieses Dilemma      rüber ­hinaus, indem wir unsere Daten
     en wie zum Beispiel dem British Museum           präsentiert und dafür den 4. Platz errun-    mit semantischen Netzwerken repräsen-
     oder dem Bayerischen Nationalmuseum              gen. Der Weg dorthin war ein für Geistes-    tieren. Die Zusammenhänge zwischen
     hat Augmented Reality (AR) als Vermitt-          wissenschaftler eher ungewöhnlicher, wie     historischen Ereignissen, Fundstücken,
     lungskonzept Einzug gehalten: Die Besu-          sich Danthine und Hiebel einig sind.         Fundplätzen, Personen und unseren
     cherinnen und Besucher können zu be-                Über die Teilnahme an den regelmäßi-      wissenschaftlichen Analysen sind – so
                                                      gen Treffen des Doktoranden- und Post-
                                                      doktoranden-Netzwerkes RESI sind die
                                                      beiden im InnCubator-Programm für
                                                      Gründerinnen und Gründer gelandet.
                                                      „Ich war irgendwie immer der Meinung,
                                                      solche Programme sind nur für Natur-
                                                      wissenschaftler und Techniker. Ich hätte
                                                      mir nicht gedacht, dass es da auch für
                                                      Geisteswissenschaftler Möglichkeiten
                                                      gibt“, meint Danthine, die schließlich von
                                                      Gründungsberater*innen vom Gegenteil
                                                      überzeugt wurde: „Und wir haben uns
                                                      für den InnCubator beworben.“
     „Wir haben die Idee stark                                                                    „Wenn man sich auf eine
                                                         In der Unternehmensschmiede der
       ­konkretisiert und an einer                    Universität Innsbruck und der Tiroler          ­Gründung einlässt, muss man
        ­entsprechenden Kommunikation                 Wirtschaftskammer entstand dann die             sie auf der Prioritätenliste ganz
         und Präsentation bei möglichen               konkrete Idee zu „DiscovAR“, einem              nach oben setzen. Das war ein
         Kunden gearbeitet.“      Brigit Danthine    neuartigen und nutzerfreundlichen Tool,         Lehrstück für uns.“          Gerald Hiebel
                                                      das es Museen ermöglichen soll, mittels
     stimmten Ausstellungsobjekten Videos,            AR Geschichten über ihre Objekte zu er-      glauben wir – so viel besser abbildbar“,
     3D-Modelle, Animationen oder interak-            zählen. Und das zu einem auch für klei-      erläutert Gerald Hiebel. „Auch Museen
     tive Karten und Spiele über eine App auf         nere und kleine Museen leistbaren Preis.     haben solche Daten; Know-how, Zeit und
     dem Smartphone abrufen. Für kleinere             Ist das Tool einmal gekauft, kann man es     Geld zur weiteren Aufbereitung fehlen
     Museen ist es allerdings schwierig, auf          für jede Ausstellung wieder neu mit In-      aber oft.“
     diesen Zug aufzuspringen.                        halten bespielen, so das Konzept.              Bis vor zwei Jahren gingen seine Über-
        „Die Umsetzung von Augmented-                                                              legungen allerdings nicht sehr weit über
     Reality-Konzepten ist mit einem hohen                Forschung weiterdenken                   ein vages „Da könnte man mal was ma-
     Kosten- und Zeitaufwand verbunden               Gerald Hiebel, der ursprünglich aus dem       chen“ hinaus. Denn Forschungsprojekte,
     und wird meist extern und für jede Aus-         Arbeitsbereich Vermessung und Geoin-          so bedauert er, enden meist, wenn die
     stellung neu zugekauft“, schildert Brigit       formation kommt, denkt schon länger           Grundlagenforschung abgeschlossen ist.
     Danthine, Archäologin und Doktorandin           darüber nach, wie man die Erfahrungen         Auslöser für ein Weiterdenken war die

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ANHAND DES ARCHÄOLOGISCHEN Museums der Uni Innsbruck zeigen Brigit Danthine und Gerald Hiebel die Möglichkeiten und die
Funktionsweise. Wichtig ist ihnen die einfache Bedienbarkeit des Tools, denn in kleinen Museen mangelt es oft an Budget, Personal und Zeit.

Teilnahme am InnCubator. „Wir haben            tiert hat. Potenzielle Kunden gäbe es laut         Eine Erkenntnis haben die Wissen-
die Idee stark konkretisiert und an einer      ihrer Marktanalyse durchaus, und einzel-        schaftler aber auch gemacht. „Wenn man
entsprechenden Kommunikation und               ne Museen haben in Gesprächen bereits           sich auf eine Gründung einlässt, muss
Präsentation bei möglichen Kunden gear-        Interesse signalisiert. Um DiscovAR als         man sie auf der Prioritätenliste ganz nach
beitet. Natürlich haben wir uns auch mit       fertiges Produkt zu realisieren und auf         oben setzen. Das war ein Lehrstück für
Aspekten wie Marktgröße auseinander-           den Markt zu bringen, sind außerdem fi-         uns. Wir haben gedacht, dass dies auch
setzen müssen“, beschreibt Danthine, die       nanzielle Mittel für die Entwicklung der        neben laufenden Forschungsprojekten
von der Unternehmensschmiede profi-            IT-Infrastruktur nötig.                         realisierbar ist“, berichten die beiden. Aus
                                                                                               diesem Grund ist derzeit noch offen, wie
                                                                                               und wann es mit DiscovAR weitergeht,
  MENSCHEN KÖNNEN Informationen aus dem Kontext erschließen und bauen unbe-                    denn derzeit lässt die Arbeit an aktuellen
  wusst Verknüpfungen zwischen verschiedenen Informationsquellen auf. Maschinen muss           Forschungsprojekten zu wenig Spiel-
  diese Fähigkeit erst beigebracht werden. Daten werden für Maschinen les- und verwert-        raum. Gerald Hiebel hofft aber auf die
  bar, indem mithilfe von Knowledge-Graphen ein sogenanntes semantisches Netzwerk              Genehmigung eines Forschungsvorha-
  darübergelegt wird. Google verwendet beispielsweise semantische Netzwerke. Gibt man          bens in Kooperation mit dem Naturhisto-
  zum Beispiel einen Begriff wie Washington ein, so erhält man nicht nur Treffer, in denen     rischen Museum und den Ausgrabungen
  das Wort vorkommt, sondern auch eine geclusterte Unterscheidung zwischen der Haupt-          in Hallstatt, wo es u. a. auch um die Prä-
  stadt, dem Bundesstaat oder dem Präsidenten und jeweils unterschiedlichen Informatio-        sentation und Aufbereitung von Daten in
  nen von Texten bis hin zu Karten und Flugverbindungen.                                       semantischen Netzwerken geht.  ef

                                                                                                                        zukunft forschung 02/20   13
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     THOMAS MONZ: „AQT konzentriert sich auf die Hardware. Mit Software-Partnern loten wir aus, in welche Anwendungsrichtung es gehen soll.“

          QUANTEN FÜR DIE PRAXIS
         Vor 25 Jahren schlugen ­Innsbrucker Physiker vor, Quantencomputer basierend auf einer Ionenfalle
         zu realisieren. Das Quanten-Spin-off AQT will nun nach diesem Konzept den ersten kommerziellen
                                         ­Quantencomputer verwirklichen.

     D
             ie neuen Büroräumlichkeiten sind          Erste Überlegungen, Quantencomputer        Stück für Stück näher rückte, und Thomas
             gerade bezogen, corona-bedingt          nicht nur fürs Labor, sondern auch für die   Monz, selbst wissenschaftlicher Mitarbei-
             sind sie nur schütter besetzt – und     Praxis zu bauen, kamen 2016 auf, „bald       ter am Institut für Experimentalphysik
     doch hält Thomas Monz, Geschäftsfüh-            haben wir aber gemerkt, dass wir ohne        der Universität Innsbruck. Das Jahr 2017
     rer der Alpine Quantum Technologies             Firmengründung nicht weiterkommen,           nutzte man zur Erstellung eines Business-
     GmbH, kurz und knackig AQT genannt,             dass wir keine Verträge abschließen, ja      plans und zur Klärung der Frage, wie
     fest: „Eigentlich braucht‘s schon wieder        nicht einmal Räumlichkeiten anmieten         denn ein Team auszusehen habe. Bald
     was Größeres. Stand Anfang November             können“, sagt Monz. Wir, das sind der        war klar: Es braucht Personen mit Quan-
     sind wir zwölf Mitarbeiter.“ Noch nicht         Theoretische Physiker und Quantencom-        tenphysik- und Industriehintergrund. Fi-
     ganz drei Jahre ist es her, dass die AQT als    puter-Vordenker Peter Zoller, der Experi-    nanzielle Unterstützung beim Schritt ins
     wohl erstes Quantentechnologieunterneh-         mentalphysiker Rainer Blatt, der im Labor    Unternehmertum bekam man durch eine
     men Österreichs gegründet wurde. Das            der Realisierung eines Quantencomputers      Preseed-Förderung der aws. 2018 war –
     ehrgeizige Ziel: der Bau eines kommer-                                                       neben der inhaltlichen Arbeit – das Jahr
     ziellen Quantencomputers. 1995 wurde                                                         der Verhandlungen, galt es doch, sich mit
                                                     „Wir können uns gegenüber
     erstmals ein auf einer Ionenfalle basie-                                                     der Universität Innsbruck und der Öster-
     rendes Konzept eines Quantencomputers
                                                       ­US-Firmen wie Google, IBM                 reichischen Akademie der Wissenschaften
     vorgestellt (siehe Infobox Seite 15), 25 Jah-      oder Intel behaupten. Im                  über die Verwertung der dort erbrachten
     re später hat die von AQT realisierte Ver-         akademischen­Bereich machen               wissenschaftlichen Arbeiten zu einigen.
     sion (derzeit) in zwei Serverracks Platz.          wir das seit 20 Jahren.“ Thomas Monz     „Im Frühjahr 2019 waren die IP-Verträ-

14   zukunft forschung 02/20                                                                                                   Fotos: Andreas Friedle
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ge unter Dach und Fach“, erzählt Monz,           DER BAUPLAN FÜR einen Ionenfallen-           Rechenleistung: „Die größten derzeitigen
mit dem „Freedom to Operate“ und den             Quantencomputer und eine schaltungs-         Rechner können 50 Qubits gerade noch
ersten zwei Mitarbeitern ging man auf In-        basierte Quantencomputerarchitektur im       simulieren.“ Denn Qubits können – im
vestorensuche.                                   Allgemeinen basiert auf einem Konzept,       Gegensatz zu Bits, die nur den Zustand
   „Schlussendlich war das Angebot der           das 1995 an der Universität Innsbruck        [1] oder [0] annehmen können – gleichzei-
FFG und der Universität Innsbruck das            von den Theoretischen Physikern Peter        tig im Zustand [1] und [0] sein bzw. auch
beste für uns“, sagt Monz. Die FFG betei-        Zoller und Ignacio Cirac (heute Max-         in theoretisch unendlich vielen Zustän-
ligte sich mit fünf Millionen Euro aus Mit-      Planck-Institut für Quantenoptik in          den dazwischen. Mit zwei Bits kann man
teln der Nationalstiftung für Forschung          Garching) vorgestellt wurde. Im Jahr         folglich nur vier Kombinationen (0-0, 0-1,
und Technologieentwicklung an der                2005 gelang es dem Team des Innsbru-         1-0, 1-1), sprich Zahlen darstellen, die vie-
AQT, die Universität Innsbruck ebenfalls         cker Experimentalphysikers Rainer Blatt,     len Möglichkeiten der Qubits lassen die
mit fünf Millionen über die Leistungs-           erstmals acht Qubits auf kontrollierte Art   Rechenleistung eines Quantencomputers
vereinbarung mit dem Bund. Ebenso am             und Weise zu verschränken und damit          extrem ansteigen.
Spin-off beteiligt ist die Tiroler Industriel-   ein „Quantenbyte“ zu erzeugen. 2011             Leistungen, die für große Rechenzent-
lenvereinigung. „Sie unterstützt die Inns-       verschränkten sie 14 Qubits, inzwischen      ren, im Bereich der Finanzwirtschaft, der
brucker Quantenphysik schon seit 20 Jah-         können 20 bis hin zu 50 Qubits kontrol-      Chemie oder der Materialwissenschaft in-
ren und ist bei uns eingestiegen, bevor die      liert werden. In den letzten Jahren kamen    teressant sind. „Wir verfügen inzwischen
IP-Verträge fixiert waren“, betont Monz.         von Innsbrucker Forscherinnen und            über eine Maschine, die sehr vielverspre-
Auch international machte das junge              Forschern regelmäßig neue Vorschläge,        chend ist“, sagt Monz salopp. Mit Soft-
Unternehmen auf sich aufmerksam: 2020            die zur Realisierung eines Quantencom-       warepartnern wird derzeit eruiert, wel-
gab das Weltwirtschaftsforum wie jedes           puters beitragen sollen – und wurden in      cher Bereich am lukrativsten ist und wel-
Jahr seine Auswahl von über 100 der viel-        Experimenten umgesetzt. Die Fortschritte,    che Adaptionen – z. B. Anzahl der Qubits
versprechendsten Technologie-Pioniere            welche die Innsbrucker Quantenspe-           – es dafür benötigt. Das Ergebnis soll in
bekannt – darunter war AQT das einzige           zialistinnen und -spezialisten erzielten,    einen Demonstrator einfließen, mit dem
österreichische Unternehmen.                     schlagen sich auch in der Hardware nie-      man kommendes Jahr potenziellen Kun-
                                                 der. Fanden die ersten Experimente noch      den zeigen will, „was das Ding kann.“
 Vielversprechende Technologie                   auf zwei billardtischgroßen Tischen statt,   Monz nennt ein – fiktives – Beispiel aus
Doch was ist an der Innsbrucker Techno-          findet der Quantencomputer von AQT in        der Finanzwirtschaft: „Die Analyse von
logie derart vielversprechend? Bei auf           zwei „klassischen“ Serverracks Platz.        Aktienportfolios ist klassisch rechenauf-
Ionenfallen basierenden Quantencom-                                                           wendig – wir wollen Lösungen im Bruch-
putern werden einzelne geladene Atome                                                         teil einer Sekunde anbieten.“
in Vakuumkammern – bei Temperaturen                                                              Auch in der modularen Bauweise sieht
nahe Null Kelvin – gefangen. „Das Coo-                                                        Thomas Monz einen unternehmerischen
le daran ist“, erläutert Monz, „dass wir                                                      Aspekt. Der Rechner ist aufgebaut wie
diese tiefen Temperaturen in der Falle                                                        eine klassische Stereoanlage, die einzel-
mit Laserkühlung von außen durch ein                                                          nen, komprimierten Komponenten – Pro-
kleines Fenster erzeugen können. Unser                                                        zessor, Lasereinheit, Stabilisator, Vertei-
Quantencomputer kann also bei Raum-                                                           ler… – passen in ein Serverrack: „Das ist
temperatur betrieben werden. Andere                                                           interessant, falls jemand nur eine dieser
Technologien benötigen einen ‚Kühl-                                                           Komponenten benötigt.“ Vom AQT-
schrank‘, in denen der Rechner arbeitet.“                                                     Know-how soll auch die Universität
Eine Folge: Der Quantenrechner arbeitet                                                       Innsbruck profitieren. „Wir stehen als
extrem sparsam, der Stromverbrauch ent-                                                       Industriepartner für gemeinsame Projek-
spricht „grob dem eines Wasserkochers“.                                                       te zur Verfügung“, erläutert der AQT-Ge-
Ein weiterer Vorteil liegt in der Methode.                                                    schäftsführer. Zwei solcher Kooperatio-
Monz: „Wir fangen im Vakuum Ionen,                                                            nen – eines mit dem Institut für Experi-
können z. B mit fünf anfangen, dann                                                           mentalphysik und dem Institut für Theo-
sechs, dann sieben – wir müssen an der                                                        retische Physik, das andere mit Experi-
Hardware nichts ändern.“                                                                      mentalphysikern und Mechatronikern –
    Jedes derart gefangene Ion repräsen-                                                      wurden von der FFG schon genehmigt.
tiert ein Qubit, welches einzeln durch                                                        „Gemeinsam gelingt es uns, an der Spitze
präzise Laserpulse manipuliert und ge-                                                        zu bleiben“, ist Monz überzeugt, ebenso,
messen wird. Bei 20 solcher Qubits steht                                                      dass man sich gegenüber US-Größen wie
AQT derzeit, langfristig will man 50                                                          Google, IBM oder Intel behaupten kann:
­Qubits kontrollieren. 50 Qubits mögen                                                        „Im akademischen Bereich machen wir
 in Zeiten von Mega-, Giga- und Terabyte                                                      das seit 20 Jahren. Und in Innsbruck kön-
 wenig klingen, doch der Experimental-                                                        nen wir auf einer Basis aufbauen, die
 physiker Monz veranschaulicht deren                                                          sonst keiner hat.“                   ah

                                                                                                                       zukunft forschung 02/20   15
TITELTHEMA

                  HOCH HINAUS MIT HOLZ
       Holz als Baustoff spielt bei großvolumigen Bauten noch keine große Rolle, auch wenn die Entwicklung
       im Ingenieurholzbau in den letzten 20 Jahren rasant vorangegangen ist. Eine Entwicklung von Roland
                 Maderebner vom Arbeitsbereich für Holzbau der Uni Innsbruck soll das nun ändern.

                                                                                           entsprochen hätten. Zusätzlich haben
                                                                                           punktuelle Lagerungen auch den Vorteil,
                                                                                           flexiblere Gebäudenutzungen zu ermög-
                                                                                           lichen sowie durch den Wegfall der Un-
                                                                                           terzüge auch Bauhöhen einzusparen und
                                                                                           Leitungsführungen wesentlich zu verein-
                                                                                           fachen“, beschreibt Roland Maderebner.
                                                                                              Nach seinem Wechsel an den Arbeits-
                                                                                           bereich Holzbau der Universität Inns-
                                                                                           bruck stellte er sich dann die Frage, ob
                                                                                           diese Bauweise nicht auch aus Holz rea-
                                                                                           lisierbar wäre. Damit war der Impuls für
                                                                                           seine Erfindung, das Holzverbindungs-
                                                                                           system Spider-Connector, gegeben. „Vom
                                                                                           ersten Entwurf bis zur Marktreife des
                                                                                           Systems hat es rund zehn Jahre gedauert.
                                                                                           Als ich die Idee schrittweise der wissen-
                                                                                           schaftlichen Community, aber auch er-
                                                                                           fahrenen Holzbauingenieur*innen prä-
                                                                                           sentiert habe, waren einige begeistert. Es
                                                                                           gab aber auch viele Gegenstimmen, die
                                                                                           mir vorwarfen, zu sehr wie ein Betonbau-
                                                                                           er zu denken“, blickt Roland Maderebner
                                                                                           zurück. Nachdem mit viel persönlichem
                                                                                           Einsatz ein erster Prototyp des neuarti-
                                                                                           gen Holzverbindungssystems gebaut
                                                                                           wurde, belegten erste Tests im Labor
                                                                                           aber, dass es funktioniert.

                                                                                              Punktgestützte Flachdecken
                                                                                           Der Spider-Connector – der Name ergibt
                                                                                           sich aus den acht Extremitäten: sechs Ar-
                                                                                           me, Stützenkopf und Stützenfuß – besteht
                                                                                           aus Stahl und ist vor allem als Verstär-
                                                                                           kungsmaßnahme für Konstruktionen in
                                                                                           Brettsperrholzbauweise gedacht. „Dabei
                                                                                           handelt es sich um Platten aus mehre-
     DER SPIDER-CONNECTOR ermöglicht punktgestützte Flachdecken in Holzbauweise.           ren rechtwinklig miteinander verleim-
                                                                                           ten Holzlamellen, die im Holzbau neben

     R
            oland Maderebner hat früher viel    decken aus Beton gebaut. Dabei handelt     Wandscheiben heute vor allem für De-
            betoniert. Dass dies seine Denk-    es sich um Deckensysteme, die lediglich    ckenkonstruktionen eingesetzt werden“,
            weise beeinflusst hat, wurde ihm    „punktförmig“ auf Stützen und ohne Un-     erklärt Maderebner. Bisher wurden reine
     von Kritikern seiner Erfindung – dem       terzüge hergestellt werden. „Meist haben   Holzdecken, die lediglich auf Stützen auf-
     Spider-Connector – oft vorgeworfen. Als    wir uns aufgrund der Formensprache für     gelagert sind, immer mit Hilfe von Trä-
     promovierter Bauingenieur, der unter an-   Beton entscheiden müssen, da vor allem     gerbalken mit einem Abstand von bis zu
     derem auch im Tunnelbau tätig war, hat     bei mehrgeschoßigen Büro- und Wohn-        sechs Metern errichtet. Mit dem Spider-
     er als selbstständiger Baumeister immer    bauten Unterzüge vielfach nicht den äs-    Connector ist es nun möglich, Brettsperr-
     wieder sogenannte punktgestützte Flach-    thetischen Ansprüchen der Architektur      holzplatten ohne Unterzüge nur auf Stüt-

16   zukunft forschung 02/20                                                                                Fotos: Andreas Friedle (2), Rothoblaas (1)
TITELTHEMA

zen mit Abständen von bis zu 7,5 x 7,5       zu leisten, war ich mittlerweile gewohnt
Meter zu realisieren. „Für Architekt*in-     und so ist es mir gelungen, vier der größ-
nen bedeutet das flexiblere Gestaltungs-     ten Brettsperrholzhersteller – Binderholz,
möglichkeiten für Räume; Bauherr*innen       Stora Enso, Hasslacher und KLH – mit ins
sparen dadurch Kosten, weil Trägerkons-      Boot zu holen. Ich habe dann in Summe
truktionen wegfallen. Zudem können           75 Kubikmeter Brettsperrholz für weitere
mithilfe punktgestützter Flachdecken         Tests erhalten“, beschreibt Maderebner.
bei gleicher Bauhöhe zum Beispiel zehn
Geschoße realisiert werden, wo hingegen              Punktuelle Tragkraft
bei herkömmlichen Holzbauweisen mit          Mit seinem Kollegen Bernhard Maurer
Unterzügen nur neun möglich wären“,          sowie dem Team der Technischen Ver-            ROLAND MADEREBNER, geboren
erläutert Maderebner die Vorteile.           suchs- und Forschungsanstalt der Uni-          1980 in Schladming, studierte Bauinge-
   Nachdem die ersten Tests seines Proto-    versität fand er perfekte Bedingungen,         nieurwissenschaften an der Universität
typs gezeigt haben, dass die Idee funk-      um seine Erfindung im Team weiterzu-           Innsbruck und war in diversen Planungs-
tionieren könnte, lag allerdings noch ein    entwickeln und experimentell untersu-          büros, im Tunnelbau sowie als selbststän-
langer Weg vor dem Bauingenieur. „Die        chen zu können. Durch Prüfungen an             diger Baumeister tätig. 2010 begann er
                                             Bauteilen konnte dann auch gezeigt wer-        am Arbeitsbereich Holzbau am Institut für
„Die Einwerbung von Mitteln,               den, dass der Spider-Connector besser          Konstruktion und Materialwissenschaf-
 um ein marktreifes Produkt                  funktioniert, als die Berechnungen vor-        ten zu arbeiten und ist seit 2018 zudem
                                             hergesagt haben. „In unseren Rechen-           stellvertretender Leiter der akkreditierten
 zu ­entwickeln, war mitunter
                                             modellen sind wir davon ausgegangen,           Technischen Versuchs- und Forschungs-
 eine der schwierigsten aber                 dass der Spider-Connector eine definitive      anstalt an der Universität Innsbruck. Mit
 auch wichtigsten Aufgaben im                Erhöhung der Belastbarkeit rechtwinklig        seiner Erfindung, dem Spider-Connector,
 ­gesamten Entwicklungsprozess.“             zur Plattenebene von rund 100 Prozent          gewann er bereits mehrere Preise, unter
                        Roland Maderebner   bringen wird. Das Experiment hat dann          anderem den Cast Award 2015 und den
                                             sogar eine Erhöhung im Vergleich zur           Structural Timber Award United Kingdom
Einwerbung von Mitteln, um ein markt-        unverstärkten Platte um rund 250 Pro-          2019.
reifes Produkt zu entwickeln, war mit-       zent gezeigt“, erklärt Roland Mader­
unter eine der schwierigsten, aber auch      ebner. Konkret heißt das, dass mit dem
wichtigsten Aufgaben im gesamten Ent-        Spider-Connector in Gebäuden bei einer          Mit diesen Ergebnissen konnte der
wicklungsprozess“, erklärt er. Schließlich   Deckenlast von rund 1.000 kg/m² rein         Wissenschaftler dann auch die letzten
war er aber auch dabei erfolgreich und       theoretisch ein gesamtes Deckenfeld von      Kritiker überzeugen. Die Entwicklung
erhielt eine Förderzusage der Österreichi-   50 m² nur mit einer Stützen-Querschnitts-    bis zur Marktreife sowie der Zulassung
schen Forschungsförderungsgesellschaft       fläche von 200 x 200 mm aufgelagert          dauerte dann weitere drei Jahre, in denen
FFG gemeinsam mit dem Projektpartner         werden kann – ein absolutes Novum im         Roland Maderebner einen Großfeldver-
Rothoblaas Srl. Daran geknüpft war al-       Holzbau. Durch das spezielle Design des      such zum Schwingungsverhalten durch-
lerdings auch die Bedingung, sämtliches      Verbinders können zusätzlich senkrech-       führte, Patentanträge schrieb und weitere
Holzmaterial, das für die Versuche benö-     te Lasten bis zu 750 Tonnen von darüber      Verbesserungen und Optimierungen zur
tigt wurde, nicht aus diesen Fördermit-      liegenden Geschoßen von Stütze zu Stüt-      Reduktion der Produktionskosten des
teln zu finanzieren. „Überzeugungsarbeit     ze weitergeleitet werden.                    Verbinders vornahm. Denn um Holzde-
                                                                                          cken mit mehreren Metern Spannweite
                                                                                          zu konstruieren, müssen die Brettsperr-
                                                                                          holzplatten, die nicht unmittelbar auf
                                                                                          den Stützen aufliegen, an den Platten-
                                                                                          kanten Stoß an Stoß biege- und schub-
                                                                                          steif miteinander verbunden werden. Um
                                                                                          dies zu lösen, folgte eine Reihe weiterer
                                                                                          Entwicklungen, die mittlerweile eben-
                                                                                          falls zum Patent angemeldet wurden.
                                                                                             Ein erstes Gewerbegebäude mit einem
                                                                                          Stützenraster von 7 x 7 Meter wurde in Ti-
                                                                                          rol gemeinsam mit ATP Planungs- und
                                                                                          Beteiligungs AG sowie der ausführenden
                                                                                          Firma HTB Baugesellschaft m. b. H. bereits
                                                                                          mit dem Spider-Connector realisiert und
                                                                                          gilt in der Branche als Weltrekord. Weitere
SEINEN NAMEN verdankt der Spider-Connector seinen acht Extremitäten: sechs Arme           Gebäude in Deutschland, Italien und Nor-
sowie Stützenkopf und Stützenfuß.                                                         wegen sind bereits in Planung.      sr

                                                                                                                   zukunft forschung 02/20   17
TITELTHEMA

                                                      WASCHECHTE
                                                       GRÜNDER
                                        Das Uni-Spin-off TEXIBLE vertreibt und entwickelt intelligente Textilien.
                                       Die Grundlagen dafür ­entstanden am Forschungsinstitut für Textilchemie
                                       und Textilphysik, wo Thomas Fröis forschte, bevor er sich 2016 entschied,
                                                         ein eigenes Unternehmen zur gründen.

     THOMAS FRÖIS und

                                      S
     Manuel Scheiderbauer (v. li.)          mart Textiles sind intelligente Textilpro-      „Ich bin 2011 an das Forschungsinstitut ge-
     entschieden sich 2016, Texible         dukte, in die häufig elektronische Appli-    kommen, um verschiedene Projekte für die
     zu gründen, um aus Proto-              kationen integriert sind. Sie leisten viel   von der Vorarlberger Stickerei-Wirtschaft in-
     typen reale Textilprodukte zu    mehr als konventionelle Textilien, müssen          itiierte Plattform Smart Embroideries umzu-
     machen.                          aber nichtsdestotrotz der Beanspruchung des        setzen“, erzählt Thomas Fröis, der eigentlich
                                      täglichen Gebrauchs standhalten. So wie das        Elektrotechniker ist. Die Stickerei-Wirtschaft
                                      Produkt-Flaggschiff von TEXIBLE, eine Bett-        – die im Ländle übrigens eine lange Tradi-
                                      einlage mit eingestickten Sensoren, die über       tion hat – wollte mit dieser Initiative die Ent-
                                      einen Sender einen Alarm auslöst, sobald sie       wicklung technischer Textilien vorantreiben.
                                      nass wird, und so die Pflege von Inkontinenz-      „Ich war damals das Bindeglied zwischen
                                      patienten erleichtert. Sie ist das Ergebnis und    den Stickern und dem Forschungsinstitut
                                      die Weiterentwicklung jahrelanger Forschung,       der Universität und u. a. für den beidseitigen
                                      die Thomas Fröis am Forschungsinstitut für         Know-how-Transfer verantwortlich“, so ­Fröis
                                      Textilchemie und Textilphysik der Universität      über seinen Einstieg in den Textilbereich.
                                      Innsbruck federführend durchgeführt hat.           Am Forschungsinstitut war er fünf Jahre an

18   zukunft forschung 02/20                                                                                                Fotos: Michael Gunz
TITELTHEMA

der Ausarbeitung verschiedener Prototypen
intelligenter Textilien sowie an der Entwick-
lung einer speziellen, inzwischen patentierten
Sticktechnologie beteiligt, die es ermöglicht,
Drähte und Materialien wie Glasfaser, Kup-
fer und Stahl mit Schiffchenstickmaschinen
zu verarbeiten.

     Zu schade für die Schublade
Die Ursprungsidee hinter der Zusammen-
arbeit zwischen Stickern und Forschern, die
Weiterverwertung der Prototypen durch die
Textilindustrie, war dann jedoch nicht so
leicht umsetzbar wie ursprünglich gedacht.
„Es war für mich sehr unbefriedigend, dass
die erarbeiteten Ergebnisse in der Schubla-
de liegen blieben“, begründet Thomas Fröis,
warum er gemeinsam mit seinem Kollegen
Manuel Scheiderbauer 2016 an die Gründung
eines eigenen Unternehmens gedacht hat.                                                                THOMAS FRÖIS, geboren
Was dem Prototypen der heute von TEXIBLE          neuen Weg zu gehen, wenn der eingeschlage-           1987 in Feldkirch, war nach
vertriebenen Betteinlage damals noch fehlte,      ne nicht funktioniert.“                              dem Abschluss der HTL für
war echte Alltagstauglichkeit. „Im Bereich           Die Frage, ob er in der Aufbauphase je dar-       Elektrotechnik mehrere Jahre
smarte Textilien wird ca. seit dem Jahr 2000      an gedacht hat, an das Forschungsinstitut zu-        Automatisierungsingenieur
geforscht, aber alles was es gab, war nicht       rückzukehren, beantwortet Thomas Fröis wie           bei einem Vorarlberger Intra-
wirklich waschbar und auch nicht besonders        folgt: „Ganz am Anfang war unsere Idee, dass         logistik-Unternehmen. 2011
anwenderfreundlich. Auch unser Prototyp           wir die Gründung neben der Anstellung her-           wechselte er an das For-
hat zunächst eher im Labor gut funktioniert“,     laufen lassen. Wir haben dann aber eine För-         schungsinstitut für Textilche-
räumt Fröis ein. „Bei der Gründung haben wir      derung bekommen, für die sich ein Gründer            mie und Textilphysik, wo er für
dann gesagt: Wir wollen reale Textilprodukte      verpflichten musste, zu 100 Prozent für das          Forschung und Entwicklung
machen und haben, aufbauend auf unserer           Unternehmen da zu sein. Damals hat mich              im Bereich Technische Textilien
Arbeit am Forschungsinstitut, die Betteinlage     das gestört, aber im Nachhinein war das ab-          zuständig war und nebenbei
bis zur Serienreife weiterentwickelt und TE-      solut richtig.“ Das „forscherische Arbeiten“         Wirtschaftsingenieurwesen an
XIBLE gegründet.“                                 am Institut hat ihm nicht nur viel gebracht,         der Fachhochschule Vorarlberg
                                                  sondern auch Spaß gemacht und ist ihm nach           studierte. 2016 gründete er
      100 Prozent fürs Gründen                    wie vor wichtig. Zwar sieht er Forschung             gemeinsam mit seinem Kol-
Wenn Thomas Fröis heute als Geschäftsführer       nicht als Hauptaufgabe von TEXIBLE, ge-              legen Manuel Scheiderbauer
diesen Gründungsmoment beschreibt, klingt         meinsam mit dem Forschungsinstitut für Tex-          TEXIBLE, in dem neben den
alles recht einfach – vor allem, wenn man sich    tilchemie und Textilphysik und anderen               Gründern noch eine weitere
vergegenwärtigt, dass TEXIBLE heute, vier         Hochschulen führt er jedoch anlassbezogen            Mitarbeiterin beschäftigt ist.
Jahre nach seiner Gründung, nicht nur er-         immer wieder Projekte durch. So zählt bei-
folgreich seine eigenen Produkte vermarktet,
sondern auch jede Menge Auftragsentwick-          „Es war für mich sehr
lung für andere Firmen durchführt. Immer-
                                                   unbefriedigend, dass die
hin kann TEXIBLE auf der eigenen Webseite
mit 129 entwickelten Prototypen werben.
                                                   erarbeiteten Ergebnisse in der
Doch die Unternehmensgeschichte hat auch           Schublade liegen blieben.“          Thomas Fröis

andere Seiten, wie er den ersten Eindruck
berichtigt: „Ich selbst hätte mir gedacht,        spielsweise die Alterung von intelligenten
dass alles viel schneller Fahrt aufnimmt und      Textilien zu den Themen, über die man noch
dass man sich mit einem neuen Produkt am          nicht genug weiß und die das TEXIBLE-Team
Pflegemarkt viel leichter positionieren kann.     beschäftigen. Die größte Herausforderung ist
Zeit- und Absatzpläne würde ich vor dem           für Thomas Fröis aber der Unternehmensauf-
jetzigen Erfahrungshintergrund wesentlich         bau selbst. Die Entscheidung, wann der rich-
pessimistischer anlegen“, meint er rückbli-       tige Zeitpunkt ist, um Personal einzustellen
ckend und ergänzt: „Es braucht schon jede         oder ob man zusätzliche Investoren hereinho-
Menge Knochenarbeit, Durchhaltevermögen           len will, sei immer eine Gratwanderung,
und vor allem aber auch die Flexibilität, einen   meint er.                             ef

                                                                                                                  zukunft forschung 02/20   19
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