09/22 Gewerkschaft der Polizei
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09 Inhalt Innenleben Kommentiert Vor Ort 2 Wir präsentieren: die digitale DP 23 Den Herbst nutzen 33 GdP unterstreicht Forderung nach mehr Personal 3 danke. 34 Worauf es jetzt ankommt! 4 Sattelfest, charmant, souverän Gelesen Hingeschaut 7 Politisches Ehrenamt im Fokus 40 Anti-Stress-Trainer 12 Rückenwind 8 Die Wartenden 21 GdP-Positionspapier Im Gespräch 40 Eure Meinung Funkstreifenwagen im Blick 5 Das Vertrauen in die Polizei ist 40 Impressum 24 Dann habe ich den Minister einfach verdient eingeladen 16 Manchmal wird ein Katz-und- 38 Berlin – immer eine Reise wert! Maus-Spiel mit uns Personalräten ausprobiert 30 In diesem Beruf verfassungsfeindlich Nachruf sein? Geht nicht! 20 Gedenken an Manfred Stock
2 DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 DP Innenleben Voraussichtlich ab Anfang September erhältlich bei: VORHANG AUF UND TUSCH! Wir präsentieren: die digitale DP Michael Zielasko und Antje Kleuker D a ist sie, die „DP DEUTSCHE POLI- digitale GdP-Mitgliedermagazin ist für die Printausgabe zu verzichten und sich alterna- ZEI“. Die Gewerkschaft der Polizei meisten Endgeräte optimiert und bietet so- tiv ihre digitale DP als pdf-Dokument zusen- (GdP), der VERLAG DEUTSCHE POLI- mit einen sehr guten Lesekomfort. Selbst- den zu lassen, haben wir bereits Ende Au- ZEILITERATUR GMBH (VDP) und natürlich verständlich sind neben dem Bundesteil alle gust in einem Newsletter gebeten, sich die auch Ihre und Eure DP-Redaktion präsen- Landes- und Bezirksjournale dort abrufbar. DP-App auf ihr Endgerät zu laden. tieren rechtzeitig zum 27. Ordentlichen GdP- Um das DP-Digital-Erlebnis möglichst Die nunmehr zum Download vorliegende Bundeskongress die aktuelle DP-September- vielen Kolleginnen und Kollegen einfach App stellt den aktuellen Entwicklungsstand ausgabe erstmalig als zeitgemäßes, digitales und ohne Hürden zu ermöglichen, wird zu- dar. Sie ist keine finale Version. Magazin. nächst für eine noch nicht befristete Test- Die digitale DP steht als App in den Stores phase auf ein Login-Verfahren verzichtet. Über ein konstruktives Feedback zu Ihrer/ als iOS- und Android-Version unter „DP Mitgliedern, die womöglich schon seit Eurer digitalen DP unter der E-Mail-Adresse DEUTSCHE POLIZEI“ zur Verfügung. Das Dezember 2021 die Option nutzen, auf die redaktion@gdp.de freuen wir uns. I
3 Innenleben danke. Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Foto: Kay Herschelmann/GdP
4 DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 DP Innenleben M VERHANDLUNGSLEITUNG GESCHULT itte Juni fand sich das VHL-Team Sattelfest, in Berlin im Trainingslager ein. Als Coach fungierten Bundesge- werkschaftssekretärin Alberdina Körner sowie die Autorin dieses Beitrages. Für das charmant, richtige Umfeld sorgte Organisationssekretä- rin Tanja Richter. In dem hybriden Seminar ging es in erster Linie um das Vermitteln relevanter Satzungsinhalte sowie Regelun- souverän gen der sogenannten Versammlungs- und Sitzungsordnung. Wichtig ist zudem, dass die Verhandlungsleitung im Team agiert und funktioniert. Die Mitglieder der Verhandlungsleitung sind nach dem Vorschlagsrecht des Bun- desvorstandes bestimmt worden und wer- Ohne Verhandlungsleitung kein Bundeskongress. Auch nicht der den gemäß Paragraf 13 Absatz 5 der Satzung anstehende 27. Ordentliche Bundeskongress der Gewerkschaft der vom Bundeskongress gewählt. Um eine möglichst große Diversität zu Polizei (GdP) in Berlin. „FÜR UNS. FÜR MORGEN“ wollen die gewährleisten, ist die Vorauswahl auf Vol- designierten Mitglieder der Verhandlungsleitung (VHL) durch die ker Huß (Nordrhein-Westfahlen), Angeli- Veranstaltung führen. ka Kunert (Niedersachen), Andreas Kro- pius (Schleswig-Holstein), Karin Schäfer (Hessen), Martin Götze (Sachsen-Anhalt), Martin Meisen (Bundespolizei) und Sabri- na Kunz (Rheinland-Pflanz) als designier- Vera Mohr te Mitglieder der Verhandlungsleitung ge- fallen. Kollegin Kunz soll das Team „VHL“ anführen. Im Kongresseinsatz werden die VHL-An- fänger von dem großen Wissens- und Erfah- rungsschatz der „diensterfahreneren“ Kolle- ginnen und Kollegen profitieren. Denn die Aufgaben, die eine Verhandlungsleitung be- wältigen muss, sind vielfältig. Sie moderiert die Veranstaltung, führt durch die Tagesord- nung, darunter die Wahlen der oder des neu- en Bundesvorsitzenden und des neuen Ge- schäftsführenden Bundesvorstandes (GBV), und geleitet die Delegierten durch das Herz- stück des Bundeskongresses: die Antragbe- ratung. Um dort sattelfest zu sein, wurden die Schulungsteilnehmenden zu den Themen Wahlen und Abstimmungen, insbesondere zum Abstimmungsmodus über die Anträge und dem komplexen Abstimmungsverfah- ren sowie den jeweiligen Mehrheitserforder- nissen fit gemacht. Die VHL sorgt auch für Ordnung und ei- nen geregelten Kongressablauf. Vorausset- zung ist dabei das Bewahren eines küh- len Kopfes und eine charmant-souveräne Form von Durchsetzungsfähigkeit, zum Foto: Bensmail Beispiel beim Überziehen von Redezei- Konzentriert: die designierte „VHL-Teamchefin“ Sabrina Kunz. ten. Na dann … I
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 5 Im Gespräch Foto: RK Klare Positionen sind das Markenzeichen des Kollegen Dietmar Schilff. GdP-VIZE GEHT „VOM PLATZ” beitragen, dass einiges für unsere Kollegin- Das Vertrauen nen und Kollegen verbessert wurde. Den- noch gibt es etliche weitere Baustellen, die endlich abgeräumt werden müssen. in die Polizei DP: In einem Lied von Trude Herr heißt es: Niemals geht man so ganz. Schilff: Das kenne ich und finde es auch sehr ist verdient schön. Die GdP ist für mich wie eine Familie, insofern werde ich nie ganz gehen. Auf der gewerkschaftlichen Ebene kann ich von nun an zwar nur noch eingeschränkt unterstüt- Dietmar Schilff ist seit über 42 Jahren Mitglied in der Gewerkschaft zen, andere in den letzten Jahren entstande- der Polizei (GdP). Wenn diese Ausgabe erscheint, sind es noch zwei ne Netzwerke werde ich aber weiter für unse- re wichtige und gute Sache nutzen. Wochen, bis der Fußballfan seinen Platz als stellvertretender Bundesvorsitzender im Geschäftsführenden GdP-Bundesvorstand DP: Du darfst ruhig ein bisschen senti- freimachen wird. Ein DP-Gespräch über Wehmut, mental werden. Schilff: Ein bisschen Wehmut ist natürlich Widerstandsfähigkeit und Weckerpannen. dabei, wenn man nach so langer Zeit Ämter abgibt. Vor allem, wenn man diese sehr ger- Michael Zielasko ne ausgeübt hat. Aber ich bin ja in Braun- schweig weiter ehrenamtlich aktiv, sodass ich bis zu meiner Pensionierung mit dann 62 Jahren im Februar 2024 und auch darüber DP: Lieber Kollege Schilff: Du warst in glaubst Du, wie wird der Tag danach? hinaus nicht einrosten werde. Und bis dahin Deinem Niedersachsen während Dei- Dietmar Schilff: Alles hat seine Zeit. Ich habe ich auch noch in der Polizei ein Projekt ner langen Amtszeit sehr präsent. Nun konnte mit vielen anderen Aktiven in Nie- vor, bei dem es um die transparente Darstel- verlässt Du auch die Bundesebene. Was dersachsen und auf der Bundesebene dazu lung polizeilicher Arbeit geht.
6 DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 DP DP: Würdest Du den gewerkschaftlichen nenministers Boris Pistorius haben wir die- Vieles passiert auch aus Dummheit. Zu ent- Weg erneut einschlagen? sen Begriff mit Inhalt und Leben gefüllt. Die- schuldigen ist das natürlich auch nicht, Schilff: Ja, selbstverständlich. Ich engagiere ser niedersächsische Weg des Polizeischut- trotzdem ist nicht jede oder jeder gleich ras- mich seit 1982 in der Gewerkschaft der Poli- zes für die Demokratie ist ein Schlüssel- und sistisch. Ich lehne daher prinzipiell jede zei. Vor 40 Jahren habe ich bei der JUNGEN Erfolgsprojekt, das mittlerweile von vielen Art von Vorverurteilungen sowie pauscha- GRUPPE (GdP) in der Polizeischule Hanno- Ländern übernommen wird. le Vorwürfe ab. Wenn aber ausermittelt ist versch Münden mit Gewerkschaftsarbeit be- und sich herausstellt, dass der- oder dieje- gonnen. Durch meine Aktivitäten, aber na- DP: Warum ist dieses Projekt so wichtig? nige tatsächlich rassistische Grundmuster türlich auch durch den einen oder anderen Schilff: Die heutige Polizei ist die demokra- pflegt und sich damit gegen die Demokratie glücklichen Umstand, bekam ich die groß- tischste, die wir je hatten. Nicht, dass sie und unsere Werte stellt, müssen eindeutige artige Chance, die Funktionen, die ich über nach der schrecklichen Nazizeit zu Beginn Konsequenzen erfolgen. die Jahre innehatte, auszuüben. Unter dem einer neuen Zeit und mit fortlaufender de- Strich waren es viele gute Erlebnisse und mokratischer Aus- und Fortbildung jemals DP: Als die Kanzlerin ging, sagte sie, sie fast noch wichtiger, ich habe etliche wun- undemokratisch war, aber es ist absolut be- werde jetzt mehr lesen und dann dabei derbare Menschen kennengelernt, aller- merkenswert, wenn bei alldem, was heute wohl einschlafen. Welche Pläne hast Du? dings auch ein paar richtig schwierige oder auf die Kolleginnen und Kollegen einpras- Schilff: Der Vergleich mit der Kanzlerin komische Charaktere. selt, sie sehr konsequent die wichtige, bür- hinkt, unter anderem, weil sie acht Jahre gernahe Polizeiarbeit leisten. Die Polizei ver- älter ist, da kann man offensichtlich schon DP: Was hättest Du – in der Rückschau – dient sich dadurch das Vertrauen der Bevöl- mal früher müde werden (lacht). Bei der Po- womöglich anders gemacht? kerung jeden Tag aufs Neue. lizei habe ich ja noch einen Vertrag bis Feb- Schilff: Das kann ich jetzt gar nicht sagen. ruar 2024, und ich habe vor, diesen auch zu Darüber werde ich aber dann in meinem ge- DP: Und über das Projekt hinaus? erfüllen. Weiterhin engagiere ich mich seit werkschaftlichen Ruhestand nachdenken. Schilff: Die Polizei muss durch Aus- und vielen Jahren in meinem Stadtbezirk und Fortbildung, durch Auseinandersetzung mit in der Stadt Braunschweig kommunalpoli- DP: Du hast die GdP-Kampagne der Geschichte, durch Vorbilder, durch gu- tisch, zudem ehrenamtlich bei der Arbei- „#100für100“ ins Leben gerufen. Braucht tes Führungsverhalten, durch positive Grup- terwohlfahrt sowie in unserem Dorfverein, es häufiger initiative Meilensteine dieser pendynamik und durch Kontakte zu Organi- der gerade in die Fußball-Bezirksliga aufge- Art? sationen und Zusammenschlüsse außerhalb stiegen ist. Und ich plane das Kinderhospiz Schilff: Die Kampagne war unendlich wich- der Polizei ihre Widerstandskraft gegenüber Löwenherz, auch durch das Nutzen meines tig, und auch hier stelle ich fest, dass so ein antidemokratischen Umtrieben stärken. Üb- Netzwerkes, in meiner Heimatstadt Braun- Vorhaben nur mit vielen motivierten Akteu- rigens wäre es sehr sinnvoll, die vielen an- schweig stärker in das öffentliche Bewusst- ren und einem engagierten Kernteam gelin- tirassistischen Initiativen darzustellen, in sein zu bringen. Diese sehr wichtige Institu- gen kann. Ich bin der festen Überzeugung, denen sich Polizeibeschäftigte engagieren. tion verdient es, wie natürlich viele andere dass öffentliche Kampagnen notwendig auch, noch intensiver unterstützt zu wer- sind, um die Bevölkerung, die ja zum Glück DP: Trotzdem wird immer wieder über den. Und dann gibt es noch Fußball, Motor- großes Vertrauen in die Polizei hat, weiter rechtsextremistische Tendenzen in den rad fahren, Gitarre spielen, Kultur, Treffen mit ins Boot zu holen und der Politik so die Reihen der Polizei berichtet. mit Familie und Freunden, Reisen und et- Augen für dringend erforderliche Verbesse- Schilff: Die Existenz rechter Chatgruppen in liche andere schöne Dinge, für die man viel rungen zu öffnen. der Polizei ist absolut schlimm. Auch wenn zu wenig Zeit hatte. daran nur eine Promillezahl der Polizeibe- DP: Du hast Dich ebenso für eine Unver- schäftigten beteiligt ist, schadet dies unse- DP: Menschen, die Dich kennen, wissen einbarkeit einer AfD – mit der GdP-Mit- rem guten Ruf als Polizei insgesamt. Und um Deine Fußballleidenschaft. Warum gliedschaft stark gemacht – mit Erfolg diese Vorgänge schaden jeder und jedem Eintracht Braunschweig? – und in diesem Zusammenhang den einzelnen Polizeibeschäftigten und stär- Schilff: Die Frage verstehe ich nicht wirklich Begriff der „demokratischen Resilienz“ ken diejenigen, die es mit der Polizei sowie- (lacht). „Braunschweig ist der beste Fußball- geprägt. Was gibt es noch zu tun? so nicht gut meinen. Für die nicht seltenen, club der Welt in den Farben blau und gelb“, Schilff: Das ist etwas zu viel der Ehre. Den pauschalen Rassismusvorwürfe einiger ge- so heißt es in einem Fanlied. Auch wenn es Begriff der demokratischen Resilienz hat genüber der Polizei hierzulande, bedeutet nicht immer leicht ist, Fan der Eintracht zu mein lieber Kollege, der niedersächsische dies Wasser auf die Mühlen polizeikritischer sein, aber in Braunschweig sagt man „Ein- Polizeihistoriker Dirk Götting, geprägt. Ge- und polizeihassender Gruppierungen. mal Löwe, immer Löwe“. Ich bin in dieser meinsam mit mir als Initiator und mit star- Stadt geboren, hier aufgewachsen, bin mit ker Unterstützung des niedersächsischen DP: Was tun, wenn Beschäftigte auffällig Okerwasser getauft, meine Frau und ich Landespolizeipräsidiums, der Polizeiakade- werden? sind seit Jahren Vereinsmitglieder, und wir mie Niedersachsen, unserer regionalen GdP, Schilff: Diese sehr wenigen Polizeibeschäf- haben seit rund 20 Jahren eine Dauerkarte. dem Polizeihauptpersonalrat Niedersachsen tigten haben selbstverständlich auch das Zudem saß ich 1967 schon als fünfjähriger und einem sehr starken Engagement des In- Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Knirps gemeinsam mit meinem großen Bru-
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 7 Innenleben der Martin im Stadion auf den Knien unse- res Vaters, als Braunschweig Meister wur- de. Leider lange her, aber wie gesagt, ein- mal Löwe, immer Löwe. DP: Wir sind ja unter uns: Verrätst Du uns den aus Deiner Sicht peinlichsten Mo- ment deiner gewerkschaftlichen Lauf- bahn? Schilff: Da fällt mir ein, dass ich vor wirk- lich langer Zeit, Anfang der 1990er-Jahre war das, den Beginn des GdP-Bundeskon- gresses in Dresden in meinem Hotelzimmer verschlafen habe. Die Batterien meines We- ckers waren leer. Ich war damals als Lei- ter für die niedersächsische Delegation ein- geteilt. Als ich wach wurde und realisier- te, dass ich ziemlich spät dran bin, war ich Foto: JG von einer Sekunde zur anderen schweißge- badet. Erreichen konnte ich auch nieman- den, da es Handys noch nicht gab. Es war (v.l.): Niedersachsens GdP-Chef Kevin Komolka und Bundesjugendvorsitzende Jennifer Otto. mir tatsächlich sehr peinlich, als ich mich aus dem etwas entfernten Hotel aufmachte, „KLEINES“ FÜHRUNGSKRÄFTE-TRAINING um mit einer guten Stunde Verspätung im Kongresszentrum anzukommen – natürlich geduscht. Der weitere Verlauf des Kongres- ses lief dann deutlich positiver. Politisches Ehrenamt DP: Noch eines, was sollten GdP-Spitzen- funktionäre auf jeden Fall tun, und was im Fokus tunlichst bleiben lassen? Schilff: Es mag banal klingen, aber es ist Nach der Corona-Zwangspause trafen sich Mitte Juli Kolleginnen und Kollegen wichtig, auch echte Freunde außerhalb aus acht Landesbezirken und dem Bezirk Bundeskriminalamt zum sogenannten der Polizei und der GdP zu haben. Mit de- kleinen Führungskräfte-Training der JUNGEN GRUPPE (GdP) in Hannover – nen kannst du dich über dienstfremde Din- endlich wieder in Präsenz. ge unterhalten, zum Beispiel über den bes- ten Fußballclub der Welt in den Farben blau und gelb, und man sollte den Beginn eines Frauke Ziegler, JUNGE GRUPPE (GdP) Rheinland-Pfalz Bundeskongresses nicht verschlafen (lacht). Nein, im Ernst, man muss sich immer bewusst sein, dass gewerkschaftliche Erfol- ge durch viele erzielt werden, insbesonde- re auch im Verbund mit den wichtigen Per- sonalräten. Na klar, hat man seinen eigenen G emeinsam mit dem Bundesjugendleiter der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Pa- trice Thurow, und Ramin Kalali Emghani, quise“, die Aktivierung aktueller Mitglieder und Wirkungen des föderalen Aufbaus der Polizei ein. Anteil daran, aber nichts schafft man allein. ehemaliger stellvertretender Bundesjugend- Für eine Stippvisite reiste die GdP-Bundes- Es war eine spannende und auch sehr schö- vorsitzender, erörterten die Teilnehmenden jugendvorsitzende Jennifer Otto an. Sie stieg ne Zeit, aber wie ich schon eingangs sagte, Grundlagen und Gestaltungsmöglichkeiten gleich in die Diskussionen ein und konnte alles hat seine Zeit. Ich wünsche allen Ak- gewerkschaftspolitischer Jugendarbeit, in an mancher Stelle hilfreiche Tipps aus ihrer tiven auf allen Ebenen weiter viel Engage- deren Fokus insbesondere das politische langjährigen Erfahrung in der Funktion als ment und Spaß bei ihrem notwendigen und Ehrenamt stand. Intensiv setzten sich die Landesjugendvorsitzende der GdP in Rhein- wichtigen Einsatz für unsere gute Sache. jungen Gewerkschafterinnen und Gewerk- land-Pfalz anbringen. Otto ermutigte die Teil- schafter mit den Strukturen der GdP und ih- nehmenden neue Herausforderungen in ih- DP: Lieber Dietmar, vielen Dank für die- rer Satzung – auch mit Blick auf den Aufbau ren Ländern und Bezirken anzugehen. Auch ses Gespräch und andere zuvor. Dir alles der Polizeien hierzulande – auseinander. der niedersächsische GdP-Landesvorsitzen- Gute. Man sieht sich … Breiteren Raum nahmen zudem Beratungen de, Kevin Komolka, stattete einen Besuch über die „Herausforderung Mitgliederak- ab. I
8 Innenleben EIN JAHR NACH DER FLUTKATASTROPHE Die Wartenden Foto: Alex Ponickau Es lässt sich nur erahnen, mit welch gewaltiger Kraft die Flut den Familien-Bulli fortgeschwemmt hat.
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 9 wenige Zentimeter entfernt. „Natürlich woll- Der nordrhein-westfälische Polizeibeamte Alexander (Alex) Ponickau ten wir helfen. Es trennten uns etwa zehn ist Teil der AG „Großschadensereignisse der Gewerkschaft der Meter. Aber es war völlig unmöglich, dort hinzugelangen.“ Die Feuerwehr scheitert Polizei (GdP)“. Der stellvertretende Vorsitzende des GdP- später mit einem Leiterwagen. Hubschrau- Bezirksverbandes Aus- und Fortbildung aus Nordrhein-Westfalen ber sind nicht da. Einen Rettungsversuch erlebte mit seiner Familie die Flutkatastrophe des 14. Juli 2021 in aus der Luft gibt es in dieser Nacht nicht. Am Morgen schaffen es die Bewohner, den seinem Haus in Bad Münstereifel – direkt über der Erft. In DP lässt Balkon zu verlassen. Dann stürzt auch die- der Kollege die Nacht Revue passieren. ser ein. „Es war wirklich bizarr, dass sprich- wörtlich rettende Ufer zwar vor Augen, aber keine Chance zu haben, die Distanz zu über- winden. Als Erwachsener nicht und mit Kin- dern auf dem Arm erst recht nicht.“ Michael Zielasko Nur noch eine Ruine Im ersten Licht zieht sich das Wasser zü- „An dem Tag, als es losging, war ich gera- gig zurück. „Für uns eine Erlösung. Wir wa- de in Selm, gefühlt am anderen Ende Nord- Kein Zurück mehr ren nicht mehr gefangen und konnten wie- rhein-Westfalens. Ich war dort an einem der raus. Eine schöne Erfahrung, auch wenn Auswahlverfahren beteiligt. Irgendwann „In unserem Haus war eine Garage inte- das jetzt vielleicht komisch klingt.“ Poni- rief meine Frau an. Der Strom sei abgestellt griert, wir haben die Kinder einfach ins Auto ckau und dessen Nachbar gehen zum Haus worden, sagte sie.“ gesetzt und wollten los. Die Straße, über die des Kollegen. Das ist bereits in weiten Teilen Es stellt sich schnell heraus, dass nicht ich eine gute Stunde zuvor gekommen war, eingestürzt. Die komplette Rückwand hat es nur Ponickaus Haus betroffen ist, sondern stand da schon einen halben Meter unter ein paar Stunden zuvor erwischt. „Wir konn- ganz Bad Münstereifel, der Wohnort des Wasser, sodass wir nicht mehr rausgekom- ten noch ein paar Sachen sehen, die weg- Kollegen. Gedanken macht er sich trotzdem men sind.“ Der erste Plan ist, die Nacht im geschwommen sind. Ja, und dann knickten nicht weiter. „Dann fuhr ich in Selm los. Es Auto zu verbringen. Vielleicht kommen noch auch das Dach und die Dachterrasse weg.“ hat heftig geregnet.“ Auch an den Tagen zu- 20 Zentimeter Wasser, denken sie. Diese An- Ponickau stutzt. Ein junges Pärchen vor regnet es ausgiebig. „Meine Fahrtzeit nahme erweist sich als falsch. „In unser kommt ihm entgegen, in der Hand Dinge, beträgt in der Regel zwei Stunden, aber ich Haus zurück konnten wir jedenfalls nicht. die ihm gehören. „Die fragen mich auch konnte später schon nicht mehr von der Au- Es lag auch auf der Hand, dass das Gebäu- noch, ob das mein Haus ist und klauen tobahn aus mein Haus ansteuern. Die Si- de der Wasserwucht irgendwann nicht mehr ganz stumpf das Spielzeug meiner Kinder.“ tuation, wie sie sich später darstellte, war standhalten würde. Wir kamen schlicht nicht Der Kollege reagiert nicht. Ihm ist das in die- mir zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht weg.“ Das Auto scheidet als Option aus. Die sem Moment gleichgültig. Er ist froh, dass bewusst. Ich habe halt gedacht, okay, bei Nachbarn, schräg gegenüber, erweisen sich seine Familie und er die Flut überlebt ha- dem Regen ist irgendein Bach in einem Vor- als Rettung. Die Lage verschärft sich weiter, ben. Mit dem Tunnelblick richtet er seinen ort übergelaufen, und das ist es.“ Über ei- rasant steigt das Wasser, der Druck. Fokus darauf, jetzt irgendwie weiterzuma- nen Umweg gelangt der Kollege nach Bad „In der ersten Phase machst du dir noch chen. Der erste Gedanke: weg von hier. Doch Münstereifel. „Wir hatten direkt in der In- Gedanken über die Gegenstände im Haus, wie? „Die Straßen waren komplett zerstört, nenstadt gewohnt. Die dortige Hauptstraße was gerade alles kaputt geht.“ Das Wasser ich habe nicht einen Pflasterstein mehr gese- konnte ich gegen 19:00 Uhr noch befahren. steigt weiter. Gegen 21:00 Uhr stürzt das hen.“ Ponickau hat noch einen Zweitwagen. Ich habe sogar den Einkauf aus dem Auto Haus neben dem des Kollegen ein. Er beob- „Kurioserweise habe ich den in der Nähe des genommen.“ achtet dies vom Balkon. „In zwei Sekunden Bahnhofs geparkt.“ Der liegt etwas höher, Ponickaus Haus steht auf einer die Erft war das weg“. Ponickau atmet tief durch, das Auto steht noch da. „Zu diesem Zeit- überspannenden Brücke. Selbst bei Schmel- trinkt einen Schluck. „Wie ein Kartenhaus punkt hatte ich meine Familie, den Zweit- ze oder starken Regenfällen bleiben dort im- ist das Gebäude zusammengefallen. Es ist wagen, mein Portemonnaie und ein Handy.“ mer noch zwei bis drei Meter Abstand bis ein Wunder, dass die sechs Bewohner mit Der Kollege nutzt einen kleinen Schleichweg zur Wasseroberfläche. „Völlig unproblema- dem Leben davon gekommen sind.“ Im kriti- aus der Stadt. „Wir wären dort sonst wieder tisch, aber an diesem Tag bat mich meine schen Moment stehen diese auf einem unter- gefangen gewesen.“ Frau, doch einmal gucken zu gehen.“ Viel- mauerten Balkon in der ersten Etage. Wäh- Mit dem Auto fahren sie zu Freunden in leicht noch einen Zentimeter macht er aus. rend um sie herum alles einstürzt, bleibt einen Nachbarort. Die wohnen auf einem „Das war der Moment, als mir klar wurde, der Balkon unversehrt. Die Bewohner blei- Berg. Staunend nimmt er zur Kenntnis, dass wir müssen hier weg.“ ben unverletzt, doch das Wasser ist nur noch seine Freunde über den extremen Verlauf
10 Foto: Alex Ponickau Ponickaus Familienhaus: Übrig blieb eine Ruine. der letzten Nacht nicht viel mitbekommen haben. Einen Tag später tut Ponickau in ei- nem Vorort von Euskirchen eine Ferienwoh- „ te Mal meine Dienststelle kontaktiert habe.“ Am Ende nimmt er seinen kompletten Jah- resurlaub. „Später habe ich erfahren, dass nung auf. Das dringliche Problem, schnell sich die Kolleginnen und Kollegen im Poli- eine Unterkunft zu finden, ist zunächst ge- Die fragen mich auch zeihauptpersonalrat umgehend dafür stark klärt. Die Wohnung ist klein. Hauptsache noch, ob das mein Haus gemacht haben, die Sonderurlaubsverord- ein Dach über dem Kopf, denkt er. nung entsprechend anzupassen.“ Je nach ist und klauen ganz Betroffenheit werden nun bis zu 20 Sonder- stumpf das Spielzeug urlaubstage bereitgestellt. Ponickau kriegt Die Bauern packen an das erst später mit. Der Kollege ist sich so meiner Kinder. kurz nach der Flut den Gefahren weiterer „Man muss sich vorstellen, dass wir zu die- Einstürze nicht bewusst. „Als Polizist hät- sem Zeitpunkt nicht telefonieren konnten, te ich die Leute von der Gefahrenstelle weg- Internet gab es auch keines. Kommunizieren geschickt, als Betroffener blendest du das war richtig schwierig.“ Bis eine spürbare Po- werden. „Es war beeindruckend, wie schnell aus.“ Aus der ersten Etage ist noch einiges zu lizeipräsenz vor Ort ist, vergehen zwei oder sich da Menschen zusammengefunden ha- gebrauchen. „Das Schlimmste war, dass ich drei Tage. „Aber ich will den Kollegen, da ben, und jeder versucht hat, seine Talente alle Familienfotos auf Festplatten im Erdge- auf keinen Fall einen Vorwurf machen. Ers- einzusetzen.“ schoss hatte.“ Vieles ist weg. tens kam man nach Bad Münstereifel nicht Ponickau ist Realist. Er weiß, dass er und wirklich rein, und dann war da ja auch die seine Familie nicht mehr in das Haus über schiere Menge von Einsätzen in anderen be- der Erft zurückkehren werden. „Du denkst Komplexe Hilfsangebote troffenen Orten.“ Die Bauern in der näheren immer wieder darüber nach, das Haus wie- Umgebung packen sofort an. Mit schwerem deraufzubauen. Doch durch die speziel- Fast ein Jahr später ist für den Polizeibeam- Gerät füllen sie Löcher. Jetzt kommt man ei- le örtliche Lage hättest du wahrscheinlich ten aus Bad Münstereifel die Flutkatastrophe nigermaßen voran. Sehr schnell ereignen nie wieder eine ruhige Nacht gehabt.“ Rund noch lange nicht Geschichte. In manchen Ort- sich Plünderungen, eine Art Bürgerwehr for- zwei Wochen lang entrümpelt er das Haus schaften sieht es noch so aus wie ein, zwei miert sich. Diese besteht aus Menschen, die und müht sich, aus der Ruine Dinge zu ret- Tage nach der Flut. „Wir hatten ein Riesen- nicht vom Wasser betroffen sind. Der Trupp ten. „Zwei Tage nach der Flut hätte ich Ur- glück in der Katastrophe. Es dauerte nicht kontrolliert die einzige passierbare Straße laub gehabt. Auch so ein Ding. Eigentlich lange, bis wir in einem Nachbarort ein neues nach Bad Münstereifel. Sie soll vor allem für wollten wir mit den Kindern nach Italien. Haus gefunden haben. Andere jedoch konn- Bewohner und Rettungskräfte freigehalten Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das ers- ten bis heute noch nicht einmal anfangen zu
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 11 sanieren, geschweige denn mit dem Wieder- dem du irgendetwas reparieren würdest, aufbau beginnen. Viele leben zudem in einem kommst jedoch nicht zum Zuge, weil entwe- finanziellen Nirwana. Ich habe immer noch der der Zugang zum Gebäude oder gleich die meine Besoldung bekommen.“ Freunde Po- ganze Straße gesperrt ist. Oder man parkt nickaus, Gastronomen aus Bad Münstereifel, an der falschen Stelle und kriegt noch ein stehen indes vor dem kompletten Ruin. Deren Verwarnungsgeld aufgedrückt. Das ist teils Geldquelle ist durch die Flutschäden versiegt. echt bizarr.“ Die Regelungen zur Unterstützung, zur Womöglich auch deshalb, weil Bad Müns- Wiederaufbauhilfe sind sehr komplex: tereifel eine „Outlet-City“ ist. „Es ist zu spü- „Fünf Abende habe ich gebraucht, um die ren, dass das Verwaltungshandeln primär Formulare auszufüllen. Viele andere haben darauf ausgelegt ist, den Wirtschaftsbetrieb zu dieser Zeit noch nicht einmal einen PC ge- wieder zum Laufen zu bringen.“ Für die An- Foto: Zielasko habt. Es fängt schon damit an, dass man die wohner bleiben vor allem Probleme und die Steuernummern aller Hausbewohner eintra- Erft eine Gefahr. gen muss. Wie machst du das, wenn du kei- Alexander Ponickau ist Nordrhein-West- ne Unterlagen mehr hast? Du stößt da auch fale und seit rund 20 Jahren für die Ge- schnell auf Unverständnis.“ werkschaft der Polizei (GdP) aktiv. Der Wann? 44-jährige Polizeihauptkommissar be- gann seinen GdP-Weg in der JUNGEN Ponickau kann nicht erkennen, dass sinn- Unfassbare Solidarität GRUPPE (GdP). Er wirkte zudem als Ver- volle Lehren aus der Flut gezogen wer- trauensperson, war zunächst Schrift- den. „Tatsächlich wird der Fluss an eini- Die Kolleginnen und Kollegen unterstützen führer, später Vorsitzender der Kreis- gen Stellen sogar noch begradigt, als ihn Ponickau derweil. Die Hilfe und Spenden- gruppe Bezirk Brühl. Der fünffache in seinem natürlichen Bett fließen zu las- bereitschaft ist gigantisch. GdP-Kreisgrup- Familienvater amtiert momentan als sen. Außerdem laufen nach Bad Münster- pen organisieren Helfergruppen und Mate- stellvertretender Vorsitzender des GdP- eifel – die Stadt liegt in einem Tal – noch rial. Ein Auto hält, es kommt der Abrissham- Bezirksverbandes Aus- und Fortbildung einige Bäche. Der Hochwasserschutz müss- mer, der just gebraucht wird. und ist in mehreren örtlichen Personal- te doch viel weiter vorgelagert werden. Als „Das rührt mich noch heute an. Da sind räten sowie im Polizeihauptpersonalrat Anwohner kriegst du noch mit, dass das al- so viele vorbeigekommen, die einfach mal seines Landes vertreten. Ponickau ist les höchstens in der Planungsphase ist.“ Der sieben, acht Stunden angepackt haben. Ei- Teil der GdP-Arbeitsgruppe „Groß- Kollege zitiert die Worte eines guten Freun- nige haben mir bei Renovierungsarbeiten schadensereignisse“. des: „Alle, die dort noch wohnen, sind War- im neuen Haus geholfen. Dadurch konn- tende. Wartende auf die nächste Flut.“ I ten wir schneller einziehen. Das haben die Kolleginnen und Kollegen getan, obwohl sie teils 12-Stunden-Schichten hatten. Für mich der Ausdruck einer unfassbar großen Soli- darität.“ Ponickau schaut sich um. Überall bie- ten Menschen Hilfe an, greifen zur Schau- fel, stehen bis zu den Knien im Matsch oder Schutt. „Ohne diese Hilfe wären viele Be- troffene nicht einmal im Ansatz so weit wie heute, und wir auch nicht! Prinzipiell gibt es in der Katastrophe nichts schönes, dazu sind viel zu viele Menschen gestorben, doch die Gemeinschaft, die in der Nachphase ent- standen ist, die ist gigantisch.“ Bizarre Situationen Noch heute helfen vereinzelt Handwerker in den von der Flut betroffenen Gebieten frei- Foto: Alex Ponickau willig aus. Aber auch der Verwaltungsap- parat ist wieder komplett aktiv. „Du stehst dann als Freiwilliger vor einem Haus, in Das massiv drückende Wasser lässt die Rückwand des Hauses einstürzen.
12 Hingeschaut Foto: privat Ein starkes Team: Janina Pape und Tochter Mara. M „ICH HABE EIN BEHINDERTES KIND“ it den Jahren kam Marcus Ebbecke Rückenwind immer langsamer voran. Schuld daran war nicht die steife Brise sei- ner Heimat an der schleswig-holsteinischen Küste. Vielmehr sorgte diese seltsame Sache namens Leben für zunehmenden Gegenwind bei der Bewältigung des Alltags. Das Netzwerk „Rückenwind“ in Schleswig-Holstein richtet sich Der Gruppenleiter der Wasserschutzpoli- an Polizistinnen und Polizisten, die Eltern behinderter Kinder sind. zei in Brunsbüttel ist verheiratet und dreifa- cher Vater. Sein ältester Sohn Tim hat beson- DP hat mit dem Initiator Marcus Ebbecke und Powerfrau dere Bedürfnisse. Der 20-jährige Epileptiker Janina Pape gesprochen – über psychische Gesundheit, Resilienz ist halbseitig gelähmt und auf einen Rollstuhl und die dunkle Seite der Polizeikultur. angewiesen. Im Alltag bedeutet das oft: Ohne Papa geht es nicht. Marcus hat keine Wahl. Er muss sich vierteilen: für den Dienst, für sei- ne Frau, seine zwei anderen Söhne und Tim. Danica Bensmail „Die meisten Leute haben keine Vorstellung davon, was das an Organisation und zeitli- chem Mehraufwand bedeutet“, sagt Marcus, seine Kollegin Janina nickt.
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 13 was mich belastet hat. Ich hatte lange Zeit seelsorge kommt im Juni 2015 das erste Tref- Alles unter einen Hut keine Möglichkeit, das loszuwerden.“ fen der Initiative „Rückenwind“ zustande. Es sei damals eine schwere und einsame „Seit der Gründung ist bei jedem Treffen ein Als 2005 die Luft zum ersten Mal dünner Zeit gewesen. „Ich hatte keinen, dem ich neues Mitglied mehr dabei. Beim letzten wurde, wandte sich Marcus an die Behin- mich anvertrauen konnte. Es gab keinen, der Treffen waren es sogar vier oder fünf“, freut dertenvertretung seiner Behörde. „Tim hat- nachvollziehen konnte, wie belastend mein er sich. Aktuell sei die Gruppe über 30 Mit- te einen längeren Krankenhausaufenthalt Alltag war“, sagt er. Seinen damaligen Kol- glieder groß. Seit der Gründung der Initiati- und eine sechswöchige Kur vor sich. Ich hat- legen ist er dennoch bis heute dankbar: „Die ve finden im Halbjahresrhythmus Treffen in te keine Ahnung, wie ich das mit der Arbeit haben viel aufgefangen und sind für mich Form von Workshops statt. Diese sind Teil unter einen Hut bringen sollte“, erinnert sich Streife gefahren“, sagt Marcus. Trotzdem sei des polizeilichen Fortbildungsprogramms Marcus. Statt Rat und Tat stieß er auf Schul- irgendwann einfach die Luft raus gewesen … der Gesundheitsprävention und werden als terzucken. Die Behindertenvertretung sei Lehrgang ausgeschrieben. an dieser Stelle nicht zuständig, sagte man „Als betroffene Eltern bilden wir ein ihm. Immerhin sei Marcus selbst doch ge- Diagnose: Netzwerk mit sehr breit gefächertem Wis- sund. Ach so, na dann … Burn-out sen und vielen Erfahrungen. Wir geben un- Er habe unbezahlten Urlaub genom- ser Wissen gern an Hilfesuchende und Inte- men, um seinen Sohn begleiten zu können, Beamtinnen und Beamte mit behinderten ressierte weiter“, sagt Janina. aber: „Wenn du länger als vier Wochen aus Kindern könnten nicht so einfach Überstun- dem Dienst bist, musst du dich selbst ver- den aufbauen, erklärt Marcus. „Ich habe sichern.“ mal ein halbes Jahr Tagesdienst gemacht Ein Quell der Kraft und war am Ende bei minus einhundert Stunden, weil mein Sohn eine Erkältung Das Netzwerk sei für alle Mitglieder ein ge- Runterschlucken, hatte. Ich müsste so jeden Tag zehn Stun- genseitiger Quell der Kraft. Dass man Ant- weitermachen den Dienst machen, um mal einen Tag frei worten auf Fragen bekomme, sei die mit Ab- zu haben.“ Zwei Jahre, eine Kur und einen stand größte Ressource der Gruppe. „Mir hat Der Druck zu funktionieren und es allen Reha-Besuch später ist Marcus leer. Alle. es sehr geholfen zu sehen, dass ich nicht al- recht zu machen sei gewaltig gewesen. Mar- Ausgebrannt. Diagnose: Burn-out. Ein bit- lein bin. Da fließen auch mal richtig viele cus erzählt: „Ich war damals noch auf dem teres Ende und gleichzeitig ein Anfang. Tränen, und das tut unglaublich gut“, un- Bezirksrevier. Bei einem Verkehrsunfall war terstreicht Janina. ich der erste vor Ort und habe bei dem ein- Die Polizistin und ihr Mann haben zwei geklemmten Unfallopfer gesessen. Ich habe Endlich behinderte Kinder. Janina erinnert sich: mit ihm gesprochen, während die Sanitäter Rückenwind „Mir ging es damals nicht anders. Ich hatte ihn operiert haben. Dann kommst du nach ganz viele unbeantwortete Fragen und habe Hause und deine Frau sagt dir: Es war ein Trotz aller Hindernisse und Rückschlä- mir gewünscht, dass es jemanden gibt, der beschissener Tag, mir geht es hundeelend. ge wagt Marcus einen zweiten Anlauf und mir beisteht. Aber da war niemand. Durch Ich habe dann einfach runtergeschluckt, sucht nach Verbündeten. Über die Polizei- Marcus Initiative ist das anders.“ Az brasstrikot 210x75+3 druck-1.pdf; s1; (210.00 x 75.00 mm); 05.Aug 2022 12:58:27; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ANZEIGE 11 Marken. 30 Autohäuser. 1 Team. www.brass-gruppe.de Geht’s ums Auto, geh’ zu brass.
14 DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 DP Foto: Sebastian Voesch Ohne Papa geht es nicht: Marcus und Sohn Tim. 2007 wird Janina zum ersten Mal Mut- dem Fußboden im Kinderzimmer geschla- sie in ihrem Zustand nicht arbeitsfähig ge- ter. „Unser Sohn Josh kam gesund zur Welt. fen habe, während mein Kind sich selbst be- wesen sei und habe sie krankgeschrieben. Erst mit neun Monaten wurde festgestellt, schäftigt hat.“ „Ansonsten hätte ich eine Betreuungskraft dass er sich nicht altersentsprechend ent- Mit Maras Geburt kann Janina die Dop- einstellen müssen, die mein Kind bei einer wickelt.“ Mit elf Monaten dann die schreck- pelbelastung nicht länger vor ihrem Dienst- lebensbedrohlichen Operation in die Klinik liche Nachricht: Ihr Sohn ist schwer körper- herrn geheim halten. Dabei gerät ihr Selbst- begleitet.“ lich und geistig behindert. Fünf Jahre Diag- verständnis als Polizistin mächtig ins Wan- nostik und viele Ärzte später ist die Ursache ken: „Jeder, der behinderte Kinder hat, bis heute weiterhin unklar. bäumt sich dreimal mehr auf und sagt: Ich Bitte helft mir! Janina und ihr Partner bekommen ein pack das alles. Bloß keine Schwäche zeigen. zweites Kind: „Unsere Tochter Mara hat au- Wir sind doch hier, um anderen zu helfen. Mit der Geburt ihrer Tochter hat das Schwei- genscheinlich dieselbe Behinderung, von Da kann ich doch nicht selbst Hilfe in An- gen ein Ende: „Ich bin nach Maras Geburt der man bis heute nicht weiß, was es ist. Josh spruch nehmen“, erinnert sie sich. an meinen Vorgesetzten herangetreten und hat laufen gelernt, Mara nicht. Sie sitzt im habe gesagt: Ich brauche Hilfe.“ Um den All- Rollstuhl. Beide Kinder können nicht spre- tag damals bewältigen zu können, hatten sie chen, beide Kinder können keine Gefahren Rotz und Schnodder und ihr Partner Sohn Josh bereits schweren einschätzen, sind inkontinent und müssen Herzens unter der Woche in ein betreutes gefüttert werden. Das war schon eine große So wie Marcus kennt auch Janina die Situa- Internat gegeben. „Die Wochenenden woll- Belastung.“ tion, den Dienst mit langwierigen Kranken- te ich aber unbedingt mit ihm verbringen“, hausaufenthalten der Kinder unter einen sagt Janina. „Im Schichtdienst wäre das so Hut bringen zu müssen. „Bei uns waren es nicht möglich gewesen, und zum ersten Mal Bloß keine Schwäche zeigen damals acht Wochen. Vom Sonderurlaub in meinem Leben habe ich die Karte gezo- war das nicht gedeckt. Es war nämlich ein gen: Ich habe zwei behinderte Kinder. Bit- Auf der Arbeit hielt sich Janina lange be- geplanter Klinikaufenthalt, keine spontan te helft mir.“ deckt. „Es wussten schon alle, dass ich ein aufgetretene Krankheit.“ Kind bekommen habe. Aber das mit der Be- Janina und ihr Mann hatten gerade ge- hinderung habe ich für mich behalten.“ baut. Acht Wochen lang auf ein zweites Ge- Besser könnte es kaum sein Sie habe so viele Nachtschichten wie mög- halt zu verzichten wäre unmöglich gewe- lich gemacht, um tagsüber für ihren Sohn sen. „Ich bin in meiner Verzweiflung zu un- Janina gelingt es, in den Innendienst ins da sein zu können. „Als meine Tagesmutter serem Polizeiarzt gegangen und habe Rotz Landespolizeiamt versetzt zu werden. Als mit einem Bandscheibenvorfall für fünf Mo- und Schnodder geheult“, erzählt die zwei- sogenannter Unterbringungsfall wird ihr nate ausfiel, war ich so kaputt, dass ich auf fache Mutter. Der Arzt habe erkannt, dass Antrag prioritär behandelt. Und Stück für
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 15 Stück sinkt der Druck. Geregelter Tages- lung nicht teilnehmen konnte, hieß es zum Marcus. Das Problem dabei: Die viel zitierte dienst und Gleitzeit helfen dabei. „Ich ar- Beispiel: Ja, sie zieht wieder ihren Behin- Polizeikultur. „Du giltst in unseren Reihen beite nur 30 Wochenstunden, vier Tage die dertenbonus. Das haben Kollegen mir ins als schwach, wenn du Probleme zugibst“, Woche. So kann ich freitags rechtzeitig mei- Gesicht gesagt. Ich hatte gar nicht die Kraft, sagt Marcus. Und irgendwie werde ein be- ne Kinder holen“, sagt sie und strahlt. „Ich etwas darauf zu erwidern. Ich habe mich hindertes Kind Teil der eigenen Schwäche. kann meine Arbeitszeit sehr frei gestalten. nur noch mit Tränen in den Augen abge- „Darum verschweigen das viele Kolleginnen Besser könnte es kaum sein.“ wendet.“ und Kollegen. Es kostet auch echt Überwin- Leider ein Einzelfall. Für die restlichen dung, das tatsächlich auszusprechen“, sagt Mitglieder der Gruppe ist es oft schwieriger. Janina. Zwar finde mittlerweile ein Wandel „Ich traue mich schon gar nicht mehr, da- Ihr habt doch alle keine Ahnung im Denken statt, doch nur sehr langsam und von zu erzählen – aus schlechtem Gewis- zögerlich. Janina und Marcus sind sich ei- sen“, sagt Janina. Viele Kollegen wüssten gar nicht, wovon sie nig: Das muss sich dringend und grundle- redeten, sagt Janina. „Ich hatte eine Kolle- gend ändern. Davon würden alle Polizistin- gin, die gerne gestichelt hat. Nach andert- nen und Polizisten langfristig gesundheit- Gestresst, gemobbt, halb Jahren habe ich sie zu mir nach Hau- lich profitieren. gebrochen? se eingeladen, damit sie sieht, wie mein Die beiden sind froh über den Austausch Tag ausschaut.“ Damit, dass die Kollegin in der Gruppe. „Mir tut das gut“, sagt Jani- Marcus erzählt vom Arbeitsalltag eines Kol- tatsächlich auftauchen würde, hätte Jani- na. Die Gruppe gebe ihr das Gefühl von Ge- legen. Der sei gemobbt worden, weil er nicht na nicht gerechnet. Mit der Entschuldigung borgenheit. „Jeder kann frei sprechen. Es flexibel im Dienst einsetzbar war. „Wir ha- auch nicht. „Lustigerweise ist das die einzi- gibt auch kein Ranking. Da wird und darf ben einige, die wirklich die Arschkarte ha- ge Kollegin aus meiner alten Dienststelle, zu nicht verglichen werden. Jedes Kind ist an- ben“, sagt Marcus. Viele Kolleginnen und der ich heute noch Kontakt habe.“ ders und besonders und verdient deswegen Kollegen seien richtig leidensfähig. „Die ar- Viele Betroffene wollten den Kollegen auch eine andere Aufmerksamkeit.“ beiten richtig lange, richtig hart am Limit.“ nicht zur Last fallen und versuchten, den Für Marcus ist klar: „Wenn ich damit auf Der gemobbte Kollege habe sich „erdreis- Dienst trotz Doppel- und Dreifachbelastung der Arbeit nicht offen umgehe, wird alles tet“, Dinge von seiner Dienststelle einzu- aufrechtzuerhalten. „Ein halbes Jahr lang noch schlimmer, und ich mache mich an- fordern. Das sei nicht gerne gesehen, sagt habe ich pro Nacht zweieinhalb Stunden ge- greifbar.“ Janina nickt zustimmend: „Das Marcus. „Es kommt wirklich darauf an, wen schlafen und im Schichtdienst 30 Stunden erste Mal habe ich es falsch gemacht“, sagt du als Vorgesetzten hast. Das ist ein ganz, gearbeitet“, führt Janina aus. sie. „Ich kann andere nur ermutigen, von ganz großes Problem, dass du viele hast, die Anfang an mit offenen Karten zu spielen. noch eine alte Mentalität haben. Die haben Ich würde es immer wieder so tun.“ I Schwierigkeiten damit, wenn jemand sagt: Die dunkle Seite Ich kann nicht mehr. So einen Revierleiter der Polizeikultur hatte ich auch schon einmal.“ Auch Janina kennt den mitunter rauen Es müsse noch stärker für die Belastungen, Umgangston im Kollegenkreis. „Ich musste denen die Kollegen mit behinderten Kindern mir wirklich sehr viele dumme Sprüche an- im Dienstalltag ausgesetzt seien, sensibili- hören. Wenn ich an einer Dienstversamm- siert werden, unterstreichen Janina und TGK_AZ_Public_BGE_GdP_210x70mm_August22_X4.pdf; s1; (210.00 x 70.00 mm); 04.Aug 2022 10:07:15; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ANZEIGE Preise mit Blaulicht, exklusiv für die Polizei Passende Smartphones? 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16 Im Gespräch MITBESTIMMUNG Manchmal wird ein Katz-und-Maus-Spiel mit uns Personalräten ausprobiert Foto: zsv3207/stock.adobe.com Nebenan, im großen Sitzungssaal der Bundesgeschäftsstelle DP: Was sind die künftigen Herausforde- rungen an Personalräte in den Polizei- der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, werden die en hierzulande? Könnt Ihr den Lesenden Getränke aufgefüllt. Die Mitte-Juni-Sitzung der Polizeihaupt- Eure Top 3 nennen? Ulrike Rauskolb-Kunz: Da ich gerade aus personalräte wird in wenigen Minuten fortgeführt. Bevor es dem Treffen der GdP-Polizeihauptpersonal- weitergeht, nehmen sich die bayerische GdP-Kollegin Ulrike räte komme, in dem der Mord an unseren bei- den Kollegen in Kusel thematisiert wurde, Rauskolb-Kunz und Jörn Liebig (GdP Mecklenburg- liegt mir die bundeseinheitliche Versorgung Vorpommern) noch ein wenig Zeit für DP. Ein Gespräch über von Beamtinnen, Beamten, Anwärterinnen und Anwärtern nach qualifizierten Dienst- Mosaiksteine, Basisnähe und den Föderalismus. unfällen aktuell besonders am Herzen. An dieser Stelle ist einfach Solidarität gefordert und eben nicht das Beharren auf föderalen Gepflogenheiten. Ebenso aktuell, also mein Punkt zwei, ist natürlich die Pandemie, die noch lange nicht ausgestanden ist. Rund die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen in Bay- ern haben die Covid-Erkrankung durchlebt Michael Zielasko und gelten offiziell als genesen. Aber genesen heißt nicht in jedem Fall gesund, einsatzfä- hig und belastbar wie vor der Infektion.
DP DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 17 DP: Was heißt das konkret, Ulrike? menfügen kann, desto eher ergibt sich ein DP: Was meinst Du damit: Rauskolb-Kunz: Ein Beispiel aus dem täg- hoffentlich schönes Bild. Das Kümmern um Liebig: Bei uns werden mehr Beschäftig- lichen Dienst sind junge, sportliche Kolle- jedes, noch so kleine Steinchen bedeutet für te pensioniert und verrentet. Deren Erfah- ginnen und Kollegen, die nun eben nicht mich, den Kollegen oder die Kollegin grund- rungswissen löst sich quasi in Luft auf. Was mehr voll einsatzfähig sind. Die berich- sätzlich wertzuschätzen. jedoch funktioniert, ist das Einrichten mobi- ten mir, dass sie im Dienst, beispielsweise ler Arbeitsplätze. Da hat Corona offenbar für beim Treppensteigen zum Einsatzort in ei- DP: Ein kleines Steinchen? entsprechenden Rückenwind gesorgt. Wir ner Wohnung im dritten Obergeschoss, nur Rauskolb-Kunz: Kleine Steinchen sind für haben bereits Dienstvereinbarungen abge- schlecht Luft bekommen und völlig außer mich zum Beispiel die Forderung einer Ta- schlossen und wollen das Ganze weiter mit Atem oben ankommen. Andere haben Kon- geslichtlampe für Schießausbilder, die lan- Leben füllen. Nichtsdestotrotz steht natür- zentrationsprobleme oder auch Schwierig- ge Zeit in Kellern ohne natürliches Licht zu- lich der weitere Digitalisierungsprozess auf keiten, sich etwas zu merken. Das ist für bringen. Es geht nicht immer um das große unserer Agenda. Polizeibeschäftigte eine große Beeinträch- Ganze, und das sollte es auch nicht. tigung in ihrem täglichen Dienst – für Voll- Jörn Liebig: Das stimmt, Ulrike. Und den- DP: Könnt Ihr Euch vorstellen, dass jede zugs-, Verwaltungsbeamte und Polizeiange- noch: Wir haben in unserem Austausch fest- und jeder Polizeibeschäftigte in den Ge- stellte. Und ich meine damit nicht nur Long- gestellt, dass uns der Föderalismus sehr un- nuss des mobilen Arbeitens kommt? Covid-Patienten, die betroffen sind, sondern terschiedliche Regelungen beschert hat. Ich Liebig: Momentan kann ich mir das so nicht auch Kolleginnen und Kollegen, die nieder- empfinde das in vielen Fällen als Hemm- vorstellen. Bei den Kolleginnen und Kolle- schwellig dauerhaft unter den Folgen leiden. schuh. gen im Wechsel- und Streifendienst stehen schlicht praktische Zwänge im Weg. Wir ha- DP: Und Deine Nummer 3? DP: Inwiefern, Jörn? ben jedoch auch für diese Beschäftigten et- Rauskolb-Kunz: Ach, ein wichtiges und Liebig: Die Kolleginnen und Kollegen schau- was erreicht und Positives geschaffen. dauerhaftes Thema ist natürlich die perma- en natürlich auf die anderen Länder und den- nente Überbelastung unserer Kolleginnen ken sich, aha, die machen das da so und so, DP: Wie sieht das aus? und Kollegen. Die Polizei bekommt einfach und warum sind wir hier noch nicht so weit? Liebig: Flexible Tage. Sechs Tage im Jahr immer mehr Aufgaben, die auch margina- Hier einen Einklang herzustellen, wäre einer können die Kolleginnen und Kollegen von le Personalmehrungen nicht ausgleichen meiner zentralen Punkte. Meine zweiter ist zu Hause aus Fortbildungen machen oder können. Wir alle wissen, wohin dauerhaf- die Personalgewinnung. Es ist kein Geheim- Dienstsport, vielleicht auch anderweitige te Überbelastung führt. Das macht unseren nis, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern Vorbereitungen. Vor allem sind jedoch der Beruf auch beim Nachwuchs weniger attrak- (M-V) Schwierigkeiten haben, qualifizierte Bereich der Kriminalpolizei sowie die Ver- tiv. Das sind meine derzeitigen persönlichen junge Menschen für den Polizeiberuf zu be- waltung Nutznießer des mobilen Arbeitens. Hauptthemenfelder. Aber in der Personal- geistern. Die geforderten Einstellungszahlen Rauskolb-Kunz: Ja, das ist so. Es gibt eben ratsarbeit geht es nicht nur um die großen erreichen wir nicht. Das heißt, wir müssen Bereiche wie den uniformierten Schicht- Themenfelder, sondern um viele, teils klei- die Polizei attraktiver machen. Und genügend dienst, die Präsenz erfordern. Dort ist es ne Dinge, die dennoch wichtig sind. Wie bei Mitbewerber haben wir am Arbeitsmarkt so- nur in einem geringen Maße möglich, die einem Mosaik. Je mehr Steine man zusam- wieso. Drittens: der Wissenstransfer. Arbeit nach Hause zu verlagern. In Bayern LOWAZS-22-019_Deutsche Polizei 2022_210x75_X4c_300 (1).pdf; s1; (210.00 x 75.00 mm); 01.Jun 2022 10:34:22; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ANZEIGE PERFEKT IM EINSATZ. ZEPHYR GTX MID TF TASK FORCE
18 DEUTSCHE POLIZEI 09/2022 DP Ulrike Rauskolb-Kunz ist stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Bayern. Die 52-Jährige trat 1997 in die GdP ein und nimmt seit 2010 ge- werkschaftliche Funktionen wahr. Mitte 2016 zog sie als freigestellte Personalrätin in den örtlichen Personalrat des Polizeipräsidiums Mittelfranken ein, seit Herbst 2019 ist Rauskolb-Kunz Mitglied des Hauptpersonalrates. oder Schleswig-Holstein zu stoppen. Dort Vorwurf, dass Ihr schon zu weit weg vom gibt es das Einstiegsamt A8. Bei uns ist es Geschehen in der Dienststelle seid. Wie die A7. Das heißt zudem, dass M-V von der haltet Ihr Kontakt zur Basis? zweigeteilten Laufbahn ein gutes Stück ent- Liebig: Ja, der Vorwurf steht latent im Raum. fernt ist. Meist sitzen die Blockierenden im Wenn jemand unzufrieden ist oder sich be- Finanzressort. nachteiligt fühlt, man aber leider nicht hel- fen kann, dann ist das eben schnell gesagt. DP: Bei einem Gespräch mit zwei Innen- Ich jedenfalls mache Einsatzbetreuung, bin ausschuss-Abgeordneten der Unions- vor Ort, führe Gespräche, besuche Personal- fraktion des Deutschen Bundestages versammlungen – übrigens haben wir selbst stellte sich heraus, dass kein sonderli- angeschoben, dass wir auch dazu eingela- ches Interesse daran besteht, diese Fö- den werden – und nehme nicht nur vieles deralismusfolgen abzumildern. Im Ge- mit, sondern kann auch noch dort einiges genteil, so deren Argument, stärke doch erklären, was da oben der Hauptpersonal- Foto: privat dieser Föderalismus den Wettbewerb der rat so alles bewegt hat. Ich fühle mich je- DP-Gesprächsparterin Länder untereinander. Was meint Ihr? denfalls mittendrin und bin alles andere als Ulrike Rauskolb-Kunz Rauskolb-Kunz: Wettbewerb an sich kann abgehoben. ja durchaus etwas Positives sein, und ich Rauskolb-Kunz: Bei mir ist es noch etwas wurde jetzt aktuell eine Regelung auf den möchte auch hier den Föderalismus nicht einfacher. Ich bin ja nicht die Vorsitzende Weg gebracht, die mobiles Arbeiten an vier aushebeln. Aber für gleiche Leistungen des Personalrates, sondern ordentliches Tagen pro Monat von zu Hause ermöglicht. müssen bundesweit gleiche Gehälter ge- Mitglied im örtlichen und Hauptpersonal- Das wäre vor Corona doch nur schwer denk- zahlt werden. Ist die Arbeit, die ein Kollege rat. Somit bin ich von vielen Verwaltungs- bar gewesen. bei der Anzeigenaufnahme in Berlin leistet, arbeiten, die ein Vorsitzender zu erledi- etwa weniger wert als in einem südlichen gen hat, nicht betroffen. Ich fahre zweiwö- DP: Das Stichwort Föderalismus ist ja be- Bundesland? Um Ordnungswidrigkeiten chentlich zur HPR-Sitzung nach München reits gefallen. Insbesondere bei Unter- und Straftaten bestimmen und abarbeiten und öPR-Sitzung nach Nürnberg. Ansons- stützungseinsätzen bringen die Kräfte zu können, braucht es solides Fachwissen – ten bin ich in meiner früheren Dienststelle Eindrücke mit. Was dringt zu Euch durch? und das bundesweit. Deshalb ist es nicht ak- anzutreffen oder besuche andere, um mit Liebig: M-V ist nicht überall das Schlusslicht. zeptabel, dass derartige Unterschiede in der der dortigen Kollegenschaft ins Gespräch Aber es gibt schon ein paar Punkte, die den Besoldung und Bezahlung gemacht werden. zu kommen. Und bei mir im Haus, wo ich Kolleginnen und Kollegen aufstoßen. Die Be- früher bei der Kripo in verschiedenen Kom- soldungsunterschiede zum Beispiel, auch die DP: Ulrike hat es ja schon angedeutet, missariaten tätig war und auch eine große Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage oder Polizeiarbeit ist für Steuerzahlende un- Polizeiinspektion untergebracht ist, sind die Gewährung und Höhe anderer Zuschläge terschiedlich teuer. Prinzipiell kostet die Wege sowieso kurz. So habe ich stets wie die für den Dienst zu ungünstigen Zeiten. eine Verkehrskontrolle in Bayern wegen den direkten Kontakt zu meinen Kollegin- Da sind andere Länder weiter. Und bei grö- der besseren Besoldung mehr als in M-V. nen und Kollegen. ßeren länderübergreifenden Einsätzen unter- Das ist doch dem Bürger kaum vermittel- Liebig: Wir machen unsere HPR-Sitzungen hält man sich schon mal. Das kommt dann bar, oder? übrigens nicht nur im Innenministerium, son- bei uns als Auftragslage an. Liebig: Na ja, vor vielen, vielen Jahren wur- dern fahren im Wechsel zu allen Dienststel- de die Vereinheitlichung der Besoldung len. In unseren vier Wahljahren werden wir DP: Und das Umsetzen? Wie realistisch noch als großer Erfolg gefeiert. Dann Mit- alle K-Dienststellen, Polizeiinspektion und schätzt Ihr es ein, diese Unterschiede zur te der Nuller-Jahre hat man das Ganze wie- Präsidien besucht haben. Das ist doch schon Zufriedenheit aller aufzulösen? der zurückgeschraubt. Ich finde, viele Argu- einmal ein Angebot. Neu eingeführt haben Liebig: Unser Land hat bereits einige Din- mente, die für diesen Teil des Föderalismus wir auch einen Gesprächstag an der Fach- ge angefasst und bewegt. Noch sind es eher sprechen, sind im Egoismus geboren. Für die hochschule. Einmal pro Woche ist dann je- kleine Steine, wie es Ulrike es vielleicht nen- Polizeibeschäftigten hierzulande ist das ei- mand aus dem Hauptpersonalrat dort vor Ort. nen würde (lacht). gentlich ein ziemlicher Klotz am Bein. Das schafft Unzufriedenheit. Am Ende geht es DP: Sollten GdP-Spitzenfunktionäre denn DP: Was denn? um diejenigen, die für die Gesellschaft ei- auch etwas mehr Praxisluft schnuppern Liebig: Unsere Polizeizulage ist nunmehr nen sehr gefährlichen Beruf ausüben. Das und häufiger den Puls des Dienstalltages dem Bundesdurchschnitt angepasst wor- an unterschiedlich gefüllte Finanztöpfe zu fühlen? den. Da waren wir viele Jahre hinten dran koppeln, halte ich für falsch. Liebig: Man kann nie genug machen. Ich und quasi abgekoppelt. Unsere Regierung glaube jedoch, diese Kolleginnen und Kolle- dürfte gemerkt haben, dass sie was tun DP: Ihr seid beide auf einer relativ hohen gen sind in so vielen Gremien vertreten, in de- muss, um die Abwanderung von Bewerbe- Ebene der Personalratsarbeit angekom- nen umfassende Informationen aus den Län- rinnen und Bewerbern nach Brandenburg men. Da gibt es sicherlich manchmal den dern und dem Bund vermittelt werden, so-
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