Service public und Menschenrechte - Die Gewerkschaft - VPOD
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November 2018 Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr Die Gewerkschaft Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste Service public und Menschenrechte Die SVP-«Selbstbestimmungsinitiative» bedroht die Menschenrechte – daher: Nein! Ohne Menschenrechte kein humaner Service public – Nadja Ramsauer im Gespräch
RAUS AUS DEM ALLTAG! Das Angebot gilt für Frühlings-, Sommer- oder Herbstferien. In einigen Reka-Feriendörfern und ausgewählten kleinen Feri- Reka-Ferien für 200 Franken enorten sind auch Winterferien möglich. Die Reka übernimmt die Kosten für die Ferienwohnung oder den Aufenthalt in der Jugendherberge. Die Reise vom Wohnort zum Ferienort ist in- begriffen. Erwachsene erhalten ein ÖV-Ticket für die Hin- und Rückreise. Kinder von 6-16 Jahren erhalten einen Gutschein für die Juniorkarte. Sie bezahlen lediglich den Solidaritätsbeitrag von 200 Franken. Anmeldung zur Reka-Ferienhilfe 2019: VPOD-Mitglieder, welche die Teilnahmebedingungen erfüllen, bewerben sich beim VPOD Zentralsekretariat, Postfach 8279, 8036 Zürich oder per Email an vpod@vpod-ssp.ch. Folgende Angaben sind zwingend erforderlich: Name, Adresse, Telefon, 1- oder 2-Eltern Familie, Anzahl Kinder, Die Schweizer Reisekasse Reka offeriert 20mal Familienferien in Region VPOD-Mitgliedschaft. der Schweiz für VPOD-Mitglieder mit kleinem Einkommen. Viele Familien und Alleiner- 2018 kamen insgesamt Teilnahmebedingungen: ziehende können von Ferien 1000 Familien mit fast 2400 • Für Familien und Alleinerziehende mit mindestens einem Kind bis nur noch träumen, denn das Kindern in den Genuss dieser 16 Jahre. Im Jahr 2018 haben Sie keine Ferien im Rahmen der Reka- Haushaltsbudget erlaubt es besonderen Familienferien. Ferienhilfe verbracht. Sie sind Schweizer Bürger oder besitzen den ihnen nicht, die Ferienwün- Zur Auswahl stehen 1300 Reka- Ausweis C (Niederlassung). • Bei Zweielternfamilien max. Jahreseinkommen* Fr. 60‘000.– bei Al- sche zu verwirklichen. In sol- Ferienwohnungen in der leinerziehenden max. Jahreseinkommen* Fr. 50‘000.– *inkl. Kinder- chen Fällen ist das Angebot Schweiz. Oder Sie entschei- zulagen und Alimente. Betreuungskosten können abgezogen werden. der Reka-Ferienhilfe beson- den sich für einen Aufenthalt Ab dem 2. Kind erhöht sich der Betrag um 5000 Franken pro Kind. ders willkommen: inkl. Halbpension im Fami- Das Vermögen ist ebenfalls entscheidend. Sämtliche Einkommen und eine Woche Ferien für die lienzimmer einer besonders Vermögenswerte müssen belegt werden. ganze Familie zum Solidari- familienfreundlichen Jugend- • Das Angebot gilt nicht für Studierende. tätspreis von 200 Franken! herberge. Weiterführende Informationen unter www.reka.ch. Reka_halbseitig_2017_winter.indd 1 23.10.2018 08:03:37 Jetzt den roten VPOD-Taschenkalender 2019 bestellen! mit Termin-, Monatsplaner und Adressverzeichnis mit Unfallversicherung (auf Wunsch) mit Versicherung (gültig bis zum vollendeten 70. Altersjahr) Fr. 18.35 inkl. MwSt ohne Versicherung Fr. 8.65 inkl. MwSt Bestellung unter Angabe der gewünschten Version (mit/ohne Versicherung) und der Mitgliedsnummer an VPOD-Zentralsekretariat, Postfach 8279, 8036 Zürich oder per Mail an patrizia.loggia@vpod-ssp.ch.
Editorial und Inhalt | VPOD Themen des Monats 5 Ich schau dir in den Garten, Kleines Nein zur willkürlichen Überwachung von Versicherten 6 Greulichs Erben VPOD Zürich Kanton feiert sein 100-Jahr-Jubiläum 7 Gruppenbild mit Faktor 50 VPOD-Verbandskonferenz Bau Land Forst in Bern zu Christoph Schlatter ist Redaktor des VPOD-Magazins Gesundheitsschutz und Digitalisierung 8–9 Wer wird’s? Nach 20 Jahren mit Paul Rechsteiner: Frau Seeholzer und das Völkerrecht Am 1. Dezember wird das Präsidium des SGB neu besetzt Manchmal verkehren Fahrzeuge ohne Ladung. Auch Frachtschiffe auf hoher See tun das, ungern, doch kommt’s vor. Damit sie bei Sturm 11–16 Dossier: Service public und Menschenrecht nicht zum Spielball der Elemente werden, nehmen sie Ballastwasser Wie in Putins Russland? Nein zur SVP-Initiative! an Bord, das sie andernorts wieder ablassen, ehe sie neue Fracht la- «Das Freiheitsversprechen gebrochen» – Interview mit den. Auf diese Weise werden Organismen in fremden Lebensräumen Historikerin Nadja Ramsauer über Fürsorgezwang ausgesetzt. Womöglich gefällt es ihnen am neuen Ort. Besonders gut gefiel es der Chinesischen Wollhandkrabbe, die in die Nordsee geriet 17 Zwillingsschwester der USR III und inzwischen schon bis Basel gewandert ist. Das Referendum gegen die AHV-Steuer-Vorlage läuft Diese Chinakrabbe wollen wir hier nicht, findet Frau Seeholzer. Das Problem mit dem Ballastwasser ist ein ernstes. Daher hat die inter- 18–20 Serie: 100 Jahre Landesstreik nationale Gemeinschaft ein Übereinkommen getroffen mit dem Ziel, die Folge 6: «Entsetzlich vernünftige Forderungen» Ausbringung standortfremder oder schädlicher Organismen einzudäm- men. Es sind Vorschriften darüber, wo man Wasser ansaugen darf und mit welchen Verfahren dieses Wasser zu behandeln ist, bevor man es wieder ablässt. Auch über Dokumentation und Kontrolle dieser Vorgänge Rubriken auf den Schiffen und in den Häfen gibt es genaue Vorschriften. Frau Seeholzer vermutet, dass man sich auf hoher See wahrscheinlich eh 4 Gewerkschaftsnachrichten nicht an die Regeln hält. Sondern einfach mal die Klappe aufmacht. Für Kriegsschiffe gelten die Vorschriften jedenfalls nicht. Sie sind of- 10 Aus den Regionen und Sektionen fiziell auch ausser Kraft, wenn ein Schiff in Seenot ist. Ebenso dann, «wenn der Kapitän nach verständiger Abwägung entscheidet, dass auf- 21 Susi Stühlinger: Doris und die Detektive (Teil II) grund ungünstiger Wetterverhältnisse, wegen einer Funktionsstörung der Ausrüstung oder aufgrund eines sonstigen aussergewöhnlichen 22 Wirtschaftslektion: Flankierende schützen Lohnniveau Umstandes» derartige Übungen jetzt gerade unpassend sind. Die Si- cherheit hat Vorrang, auch die Wirtschaftlichkeit soll nicht leiden. Die 23 Wettbewerb: Umbenannt Führung eines Ballastwassertagebuchs ist aber Pflicht. Der verantwort- liche Offizier muss aufschreiben, wo wie viel Wasser aufgenommen, 24 VPOD aktuell umgewälzt oder abgegeben wurde. Und zwar in einer «Arbeitssprache des Schiffes». Und, falls man dort weder französisch noch englisch noch 25 Hier half der VPOD: Hosenlupf auf der Halteinsel spanisch spricht, in einer Übersetzung in eine dieser Sprachen. Wir lassen uns doch nicht vorschreiben, wo wir Wasser lassen. Und ein 26 Solidar Suisse: Aufbau in Afrika Tagebuch darüber brauchen wir auch nicht. Schon gar nicht auf Spanisch. Und auch nicht für unsere Hochseeflotte. Findet jedenfalls Frau Seeholzer. 27 Menschen im VPOD: Sylvia Läubli, Erstfeld Sie will darum Ja stimmen zur SVP-Selbstbestimmungsinitiative, die mit solchen Sachen Schluss mache. Klappe, Frau Seeholzer! Das Internationale Übereinkommen zur Redaktion /Administration: Kontrolle und Behandlung von Ballastwasser von Schiffen wurde am Postfach 8279, 8036 Zürich 22. März 2013 von der Schweizerischen Bundesversammlung geneh- Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53 migt. Es unterstand dem Referendum und gehört demnach zu jenem Nr. 9, November 2018 Teil des Völkerrechts, der von der Initiative unbehelligt bleibt. Im Ge- E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch gensatz zu so randständigen Dingen wie der Anti-Folter-Konvention. Erscheint 10-mal pro Jahr Oder den Menschenrechten. Oder der Verhütung von Völkermord. November 2018 3
VPOD | Gewerkschaftsnachrichten Braucht Regeln: Self-Check-out. Geht gar nicht: Post-Dumping. noch mit Schweizer Strom beliefert werden – womit diesem fixe Ab- satzkanäle zugesichert sind. Zudem soll auch die Bewirtschaftung der Speicherseen, die für eine strategische Stromreserve genutzt werden, durch die Haushalte finanziert werden. Die Gewerkschaften werden sich gegen diesen seltsamen Heimatschutz unter dem Deckmantel der Liberalisierung zur Wehr setzen. | sgb/vpod PostCom: Viel zu tiefer Mindestlohn Der SGB und die Syndicom sind empört über den Entscheid der Post- regulierungsbehörde PostCom, den Mindeststundenlohn im Post- markt ab 2019 auf 18.27 Franken festzulegen. Dieser Ansatz greift die heute geltenden branchenüblichen Bedingungen an, wie ein Vergleich mit einer von PostCom selbst in Auftrag gegebenen Studie zeigt. Dort wird der tiefste Lohn im Zustellbereich mit 22.30 Franken ausgewiesen. Die prekären Arbeitsbedingungen bei ausländischen Onlinehändlern wie Amazon und Zalando sind bekannt; diese Fir- men sind auf den Service in der Schweiz angewiesen, um ihre Ware an die Endkundin zu bringen – sie sollen dafür Schweizer Löhne zah- len. Eine Spontandemo am Nachmittag des Entscheids zeigt die Wut der Logistiker: Die PostCom ist ihrem Auftrag offensichtlich nicht ge- wachsen und versteht sich als Deregulierungsbehörde. Der Bundesrat Detailhandel: Damit Self-Check-out nicht krank macht muss eingreifen. | sgb/syndicom/slt Eine Studie der Universität Bern zeigt auf, wie Self-Scanning- und Self-Check-out-Kassen den Alltag des Verkaufspersonals verändern: Grafische Industrie: Neuer GAV mehr Multitasking, mehr Kontrolle und Überwachung, mehr Stehen Der neue GAV für die grafische Industrie bringt Licht und Schatten. (statt Sitzen). Die Angst, für Diebstahl geradestehen zu müssen, ist Positiv ist ein 20-tägiger Vaterschaftsurlaub (10 Tage bezahlt). Negativ: verbreitet. Die Coop-Konferenz sowie die Unia-Detailhandelskonfe- Der Zuschlag für Nachtarbeit im Zeitungsdruck kann von 70 auf 50 renz geben auf Basis der Studie Empfehlungen ab: Es braucht häu- Prozent reduziert werden; wenigstens gibt es Besitzstandswahrung. figere Ablösung (maximal 3-Stunden-Schichten), Möglichkeiten zum Eine Erhöhung der Mindestlöhne konnten die Gewerkschaften nicht Sitzen, Gesundheitsschuhe, Schutz für Schwangere. Wenn die Kund- durchsetzen. Bis Ende November entscheiden die Gremien der So- schaft Ware nicht bezahlt, soll nicht das Kassenpersonal haften. Zu- zialpartner; der Vertrag soll von 2019 bis 2021 gelten. | syndicom/slt dem muss es vor sexistischen und rassistischen Angriffen geschützt werden. Und die neuen Aufgaben müssen sich auch im Lohn nieder- Bau: Der heisse Herbst hebt an schlagen. Ausländische Erfahrungen mit Self-Check-out-Kassen sind Mit Arbeitsniederlegungen im Tessin (3000 Bauarbeiter) und in durchzogen. In England und in Frankreich sind Händler zum alten Genf (2500 Bauarbeiter) hat der von der Unia angekündigte «heisse System zurückgekehrt – weil die Kundschaft Widerstand leistete oder Herbst» begonnen. Die Bauarbeiter wollen die Rente mit 60 erhalten weil zu viel gestohlen wurde. | unia/slt – und zwar ohne «Kahlschlag im Landesmantelvertrag». Bereits heu- te sind 10-stündige Arbeitstage auf der Baustelle möglich – künftig Heimatschutz für die Stromkonzerne? wären nach den Vorstellungen der Baumeister 12 Stunden normal. Die bundesrätliche Variante der Strommarktliberalisierung ist aus Sie wollen die Zahl der flexiblen Stunden von 100 auf 300 erhöhen, Sicht des SGB und des VPOD in erster Linie eine kreative Subven- damit sie im Sommerhalbjahr die Tage verlängern können, was dann tionierung der Stromkonzerne. Der «vollliberalisierte» Strommarkt im Winter kompensiert würde. Beides geht zulasten der Gesundheit soll gemäss Bundesrat – entgegen allen bisherigen Ankündigungen – der Beschäftigten. Ebenso fatal wäre laut Unia die Streichung eines nicht mehr an ein Stromabkommen mit der EU gekoppelt sein. Dafür Mindestlohns für «Praktikanten», die weniger als 4 Monate auf dem werden im Inland Geschenke verteilt: Die Kleinverbraucherinnen und Bau arbeiten. Damit würde dem Dumping durch ausländische Fir- -verbraucher, die in der Grundversorgung bleiben, sollen künftig nur men Tür und Tor geöffnet. | unia 4 November 2018
Eidgenössische Volksabstimmung | VPOD Am 25. November: Nein zur willkürlichen Überwachung von Versicherten Ich schau dir in den Garten, Kleines Natürlich sollen die Gelder aus Sozialversicherungen den Berechtigten zukommen. Aber die hochgepeitschte Missbrauchsdebatte hat zu einem völlig überzogenen Überwachungsgesetz geführt, das abzulehnen ist. | Text: VPOD (Foto: D-Keine/iStock) Sozialspitzel bei der Arbeit: Der Rechtsstaat braucht keine Schnüffelei. Die Vorgeschichte: Der Europäische Gerichts- hin nur nach richterlicher Bewilligung und zialversicherungen geht es um ein paar Mil- hof für Menschenrechte monierte im Herbst erstere lediglich zur Ortung (angeblich). Alle lionen Franken; durch Steuerhinterziehung 2016, dass in der Schweiz eine gesetzliche übrigen Massnahmen könnten in Eigenregie entgeht der Öffentlichkeit aber ein zweistel- Grundlage für den Einsatz von Sozialdetekti- von den Versicherungen angeordnet wer- liger Milliardenbetrag. ven fehlt. Das zuständige Bundesamt wurde den. Damit wird deren Arsenal schwerer als Der Anspruch auf Privatsphäre steht offen- sofort aktiv und legte einen Revisionsentwurf jenes, das der Polizei für die Bekämpfung bar nur den Reichen zu. Das übrige Volk für den Allgemeinen Teil des Sozialversiche- von schwersten Verbrechen zur Verfügung wird unter Generalverdacht gestellt. Denn im rungsrechts vor. Dem rechtsbürgerlichen Par- steht. Das ist rechtsstaatlich unhaltbar, wie Gegensatz zur früheren Praxis gilt der neue lament ging das aber zu langsam, weshalb die auch zahlreiche Rechtsprofessoren sagen. Observationsartikel für fast alle Sozialversi- Frage der Überwachung von Sozialversicher- Es geht nicht an, dass private Detektive so cherungen. Neben den Unfallversicherungen ten aus der Vorlage herausgelöst und separat weitreichende Kompetenzen haben. Sie sind (wie die Suva) und der IV sind auch die Kran- vorangetrieben wurde. ja in dem jeweiligen Verfahren Partei; die kenkassen und die Arbeitslosenversicherung Versicherung hat ein «natürliches» Interesse davon betroffen. Via die Ergänzungsleistun- Was geschieht mit «Beifang»? daran, Leistungen nicht zu bezahlen – und gen und die Hilflosenentschädigung ist nicht Bereits in der Frühjahrssession 2018 haben wird daher in diese und nur in diese Richtung einmal die AHV ausgenommen. die Eidgenössischen Räte ein Gesetz zur ermitteln lassen. Ebenso problematisch: Es Der VPOD ist daher, im Einklang mit dem Überwachung in den Sozialversicherungen bestehen im Gesetz keinerlei Regeln für den SGB und der – am direktesten betroffenen – beschlossen, das den Versicherungen weit- Umgang mit Daten unbeteiligter Dritter, also VPOD-Verbandskommission Sozialbereich, reichende Kompetenzen einräumt. Selten ist den bei den Ermittlungen anfallenden «Bei- klar für ein Nein. Daraus spricht auch die ein Gesetzgebungsvorgang so rasch durchs fang». Auch hier verletzt das Gesetz massiv Erfahrung derjenigen, die direkt in diesem Parlament gepeitscht worden. Und selten Persönlichkeitsrechte. sensiblen Bereich arbeiten, beispielsweise im ist einer Vorlage so überdeutlich anzusehen, Case-Management. Sie wissen, wohin der Spar- dass sie mit der heissen Nadel genäht wurde. Von Millionen und Milliarden zwang Versicherungen wie die IV bereits ge- So wäre es nach dem neuen Gesetz beispiels- Am empörendsten ist allerdings, dass das trieben hat: Auch berechtigte Leistungen wer- weise zulässig, Verdächtige durch Privat- gleiche Parlament, das hier mit Kanonen den mittels juristischer Verfahren in Zweifel detektive auch in privaten Räumen und auf auf Spatzen schiesst, sich weiterhin weigert, gezogen. Ganz nach dem Motto: Mal auspro- privatem Gelände auszuspähen, sofern vom Massnahmen gegen die Steuerhinterziehung bieren, ob die versicherte Person sich zu weh- öffentlichen Grund aus einsehbar. Umstritten zu beschliessen. In der gleichen Session, in ren getraut. In diesem Gefüge sind die Spiesse ist allenfalls, ob sich das nur auf Garten und der sie den Observationsartikel verabschie- sehr ungleich lang, schon heute. Die Annah- Balkon bezieht, oder ob man auch durch die det haben, haben die Eidgenössischen Räte me des Gesetzes würde die Konstellation noch Scheiben ins Schlafzimmer gucken darf. verhindert, dass das Bankgeheimnis auch im stärker aus dem Gleichgewicht bringen. Zuun- Auch Drohnen und heimliche GPS-Tracker Inland endlich aufgehoben wird. Steuerhin- gunsten jener, die nicht, wie die Versicherun- dürften eingesetzt werden, letztere immer- terziehung bleibt damit straffrei. Bei den So- gen, eine Lobby im Parlament haben. November 2018 5
VPOD | Jubiläum Der VPOD Zürich Kanton feiert sein 100-Jahr-Jubiläum im Zürcher Neumarkt Greulichs Erben Die Sektion VPOD Zürich Kanton ist 100 Jahre alt geworden. Schauplatz des Fests und der Vernissage des Jubiläumsbuchs war der Zürcher Neumarkt, einst ein Zentrum der Arbeiterbewegung. | Text und Foto: Christoph Schlatter Ferienhalber meldete sich Regierungsrätin Notter, ehemaliger Regierungsrat, entlarvte gestellte» im nahen Restaurant «Zähringer» Jacqueline Fehr per Videobotschaft; sie leug- in seiner Rede die angebliche Unterlegenheit zugegen und verteilte nach Einzug der Bei- nete nicht die Arbeitgeberrolle, in der sie sich staatlicher Betriebsorganisation als Märchen. trittserklärungen sowie von 50 Rappen Beitrag jetzt befindet. Umso wichtiger seien starke Beispiel Gebäudeversicherung: So gut und die Mitgliedsbüchlein. Gewerkschaften: als Ansprech- und Verhand- günstig machen es die Privaten nicht in jenen lungspartner. Die anderen Rednerinnen und Kantonen, wo diese Sparte privatisiert ist. Al- Angeregte Debatten Redner überbrachten ihre Glückwünsche lerdings müsse auch das öffentliche Personal Die 100-jährige Geschichte der VPOD-Sektion persönlich. Michèle Dünki-Bättig, Präsiden- beweglich bleiben und dürfe sich nicht in ei- haben Werner Portmann und Heinz Gabathu- tin der feiernden Sektion, hat gute Chancen, nem «Haben wir immer so gemacht»-Modus ler auf knapp 100 Seiten zusammengefasst. zumindest das 150-Jahr-Jubiläum noch zu einigeln, sagte Notter. Während eine Mehrheit der Festgesellschaft erleben. Katharina Prelicz-Huber, die den Auch der Ort des Anlasses war kein Zufall: bereits zum Tanz übergegangen war, gab es VPOD auf der nationalen Ebene präsidiert, Historiker Nicola Behrens zeigte die besonde- am historischen Infopoint noch lange ange- ist überzeugt, dass es die Gewerkschaft auch re Bedeutung des Neumarkts 5 für die Zür- regte Debatten, bei denen auch die grossen nach weiteren 100 Jahren noch geben und cher Arbeiterbewegung auf. Der dort 1840 Fragen rund um die Spaltung der Arbeiterbe- noch brauchen wird. zunächst als Gesangsverein gegründete Ar- wegung nicht ausgespart wurden. Das Büch- beiterbildungsverein «Eintracht» war die ei- lein mit dem Titel «Zukunft mit Geschichte(n) Nachdenkliche Töne gentliche Keimzelle für die gewerkschaftliche – 100 Jahre VPOD Sektion Zürich Kanton» Sie streute auch nachdenkliche Töne in ih- Organisation an der Limmat. Lenin und Trotz- enthält ausserdem Interviews mit aktuellen re Rede: Was seinerzeit, auch von VPOD- ki, Bernstein und Bebel gingen ein und aus. Protagonistinnen und Protagonisten der Kollegen, unterm Stichwort «Eugenik» im Auch Herman Greulich natürlich, der «Vater Sektion. Es kann für 18 Franken (zuzüglich Burghölzli propagiert und betrieben worden der Gewerkschaften». Sein Sohn Richard war Versandkosten) beim VPOD Zürich bezogen sei, sei Anlass zu tiefer Scham. – Markus bei der Gründung der «Sektion Kantonale An- werden, so lange der Vorrat reicht. Historiker Nicola Behrens am Neumarkt 5, wo die Zürcher Arbeiterbewegung ihren Anfang nahm. Umkleiden ist Arbeitszeit Die jüngste Kampagne des VPOD Zürich Kanton betrifft die rechtswidrige Usanz in den Spitälern, die fürs Umziehen benötigte Zeit nicht als Ar- beitszeit anzurechnen. Am Universitätsspital Zü- rich lief das Fass wegen des Projekts «Audigard» über; das automatische Kleiderausgabesystem droht die Umkleidezeit nochmals massiv zu ver- längern. Der VPOD rechnet vor, dass bereits beim heutigen Modus 80 Arbeitsstunden pro Person und Jahr anfallen und dass das USZ deswegen jährlich 18,7 Millionen Franken einspart. Vor al- lem die langen Wege auf dem weitläufigen Areal fallen ins Gewicht. Die Vorgaben von Arbeitsge- setz und Seco sind klar: Wo das Umziehen für die Tätigkeit notwendig ist, gilt Umkleidezeit als Arbeitszeit. Der VPOD hat interveniert und wird – wenn nötig – auch gerichtlich vorgehen; noch hofft man aber darauf, dass es gelingt, sich güt- lich auf eine Pauschale zu einigen. | slt 6 November 2018
Verbandskonferenzen | VPOD VPOD-Verbandskonferenz Bau Land Forst in Bern zu Gesundheitsschutz und Digitalisierung Gruppenbild mit Faktor 50 Ohne das Handwerk im Service public läuft die Schweiz nicht. Das hat die VPOD-Verbandskonferenz auf dem Gurten wieder einmal deutlich gemacht. Gesundheitsschutz und Digitalisierung waren weitere Themen. Zur neuen Präsidentin wurde Barbara Jörg gewählt. | Text und Foto: Christoph Schlatter «Gruppenbild mit Dame»: Der vielzitierte Ti- tel eines Heinrich-Böll-Romans muss einmal mehr bemüht werden. Die Verbandskonfe- renz Bau Land Forst, die bei schönstem Wet- ter auf dem Gurten ob Bern stattfand, hat die einzige anwesende Branchenkollegin zu ihrer Präsidentin und damit zur Nachfolgerin von Rolf Conzelmann gemacht. Barbara Jörg ist Gärtnerin bei Stadtgrün Bern und seit Som- mer Mitglied des VPOD-Landesvorstandes. Auch gegenüber der Öffentlichkeit will sie die Branche stärker sichtbar machen. Denn die Arbeit der Beschäftigten aus Bau-, Garten- bau- und Forstämtern wird oft kaum wahrge- nommen. Oder nur dann, wenn sich der Ser- vice aus irgendeinem Grund mal verzögert. Sparen kommt teuer In diese Kerbe haut auch die Resolution, die Verbandskommission Bau Land Forst. Vorderste Reihe von links: Christian Gafner (Bern), Barbara Jörg von der Konferenz einstimmig verabschiedet (Präsidentin, Bern), Riccardo Dalla Corte (Zürich). 2. Reihe: Rolf Conzelmann (Basel; halbverdeckt), Benjamin Zachmann (Zürich), Markus Stucki (Bern), Simon D’Atri (Schaffhausen). 3. Reihe: Gérard wurde: Es braucht das Handwerk im Service Huguenin (Basel), Antonio Ariniello (Zürich; als Gast), Kurt Altenburger (Zentralsekretär). 4. Reihe: public, damit die Schweiz funktioniert. Man Hanspeter Tobler (Zürich; Rücktritt), Claudio Andrisano (Basel), Georg Berghoff (Zürich; halbverdeckt). sei nicht einfach ein Kostenfaktor, sondern Dienstleister, Arbeitsplatzgarant sowie Auf- traggeber fürs lokale Gewerbe. Daher lägen auch diejenigen falsch, die einen möglichst gewinne in einen Digitalisierungsfonds Faktor 50 für alle? billigen Service verlangen. Denn wenn Ge- steckt. Dieser soll dann für die Sicherung Wo es im konkreten Arbeitsalltag tatsächlich bäude oder Verkehrswege nicht mehr seriös der Arbeitsmarktfähigkeit namentlich der hakt, wurde in der Debatte sichtbar. Eines der gewartet, wenn Anlagen ungenügend unter- älteren Beschäftigten sorgen. Probleme: Wie beim Whistleblowing gerät halten werden, rächt sich das rasch. Solche Das zweite grosse Thema der Konferenz war oft derjenige, der einen Mangel thematisiert, Politik kommt am Ende weit teurer als die der Komplex Arbeitssicherheit/Gesundheits- selbst in Schwierigkeiten. Liegt etwa eine Glas- kontinuierliche Investition in Infrastruktur schutz/Gesundheitsförderung. Tanja Brütsch sammelstelle zu nah an der Stromleitung und und Personal. von «Arbeitssicherheit Schweiz» zeigte in ih- die Meldung des Missstands versickert regel- Aufgrund eines Inputs des Schreibenden rem Referat, dass hinter dem betrieblichen mässig – was ist da zu tun? Brütsch riet auf entstand eine lebhafte Diskussion über Gesundheitsmanagement mehrere Treiber jeden Fall zum Einbezug des Sicherheitsbeauf- Chancen und Risiken der Digitalisierung. stehen. Es gibt Aspekte der Menschlichkeit tragten, der allerdings seinerseits nur beraten- Es herrschte Konsens, dass die neuen Tech- und der Fürsorge. Aber natürlich besteht de Stimme ist. Ein anderes Dilemma stellt sich nologien hilfreich sein können, auch für auch ein wirtschaftliches Interesse an mun- dort, wo Vorgesetzte ihren Auftrag allzu ernst einen Förster oder eine Friedhofsgärtnerin. teren Mitarbeitenden. Drittens macht das Ge- nehmen. Als Beispiel erwähnte jemand die Aber sie müssen im Dienst der Beschäftig- setz Vorgaben: Die physische und psychische Aufforderung zum Abspecken. Mehrfach ge- ten stehen – und nicht umgekehrt. Es darf Gesundheit der Beschäftigten ist zu wahren, nannt wurde der Schutz vor der Sonne in Som- nicht sein, dass die Arbeiterinnen und Ar- und dazu müssen die Betriebe, wenn sie kei- mern wie diesen. Die Versammlung war ein- beiter mit Defiziten alleingelassen werden. ne interne Lösung bezeichnen, eine externe hellig der Meinung, dass Persönlichkeitsrechte Vielmehr soll der Arbeitgeber Ressourcen Stelle beiziehen. Für die fragliche Branche zu respektieren sind. Also kein zwangsweises bereitstellen, beispielsweise indem er durch übernimmt die als Verein verfasste «Arbeits- Einreiben mit Faktor 50, sondern ein Angebot Digitalisierung realisierte Wertschöpfungs- sicherheit Schweiz» diese Rolle. durch Abgabe entsprechender Produkte. November 2018 7
VPOD | SGB-Kongress Nach 20 Jahren mit Paul Rechsteiner: Am 1. Dezember wird das Präsidium des SGB neu besetzt Wer wird’s? Am SGB-Kongress (30.11./1.12., Bern) wird das Präsidium neu vergeben. Vorbehältlich einer Spontankandidatur entscheidet sich das Rennen zwischen Pierre-Yves Maillard und Barbara Gysi. Der VPOD ist mit 24 zu 5 Stimmen für Gysi. Das VPOD-Magazin hat beide befragt. | Interviews (per Mail): Christoph Schlatter (Fotos: Sieber ARC und zVg) Die Macht beim SGB-Vorsitz ist allseits zu mehr Mitgliedern führt und un- wahrscheinlich gar nicht soooo gross (frag sere Sache stärkt, ist die Frage der Grösse Rechsteiner). Warum strebst du dieses zweitrangig. Amt an, was möchtest du bewegen? Die weibliche Erwerbstätigkeit hat Pierre-Yves Maillard: Es geht im SGB-Präsidi- zugenommen – die gewerkschaftliche um vor allem darum, Vorschläge zu machen Organisation der Frauen hat damit und die Leute dafür zu gewinnen. Ich schlage nicht Schritt gehalten. Wie kommen Reformen vor, die wir in meinem Kanton mit wir an die Frauen ran? Kämpfen und Verhandlungen konkretisiert Die Dienstleistungen, und besonders die haben: die Lohnabhängigen davor bewahren, persönlichen Dienstleistungen wachsen – al- dass sie mehr als 10 Prozent für die Kranken- so jene Sektoren, die mehrheitlich weiblich kasse zahlen müssen; den Working Poor und sind. Aber es ist für die Gewerkschaften ja nie den Alleinerziehenden mit Ergänzungsleis- einfach, aus den gewohnten in neue Milieus Pierre-Yves Maillard (50) wohnt in Renens (VD) tungen helfen; die Jungen, auch diejenigen aufzubrechen. Oft bleibt im Alltag zu wenig und ist seit 2004 Waadtländer SP-Staatsrat. mit Migrationshintergrund, besser einbezie- Kraft dafür. Für einen Aufbau in den «neuen» hen. Neue Realitäten erfordern neue Antwor- Sektoren brauchen wir eine besonnene Dis- Tee oder Kaffee? ten. Ich bin überzeugt, dass die Gewerkschaf- kussion und dann eine Bündelung der Kräfte. Kaffee. ten damit konkrete Fortschritte erreichen Die Schweiz ist ein Land mit sehr hohen Schnitzel oder Tofuwurst? und neue Kräfte gewinnen. Löhnen und sehr hohen Preisen. Schnitzel. Wie stehen wir Gewerkschaften Darum ist das für uns mit den offenen Berge oder Strand? 2018 in der Schweiz da? Sind wir Grenzen nicht so einfach. Wird die Das hängt von der Jahreszeit ab. stark? Oder sind wir schwach? Koppelung der Freizügigkeit an flankierende Hund oder Katze? Der SGB ist politisch stark – dank einem gu- Massnahmen Bestand haben? Weder noch. Aber die Kinder wollten eine ten Draht zu den fortschrittlichen Kräften in Ich bin hier für eine harte Haltung. Die Dis- Katze. Je eine. Also haben wir jetzt zwei der Politik. Aber klar ist auch: Wir brauchen kriminierung aufgrund des Passes ist dank Katzen . . . mehr Mitglieder. Beim 100-Jahr-Jubiläum vor der Personenfreizügigkeit zurückgegangen – Beatles oder Rolling Stones? 30 Jahren waren wir 100 000 Köpfe mehr. das ist ein Fortschritt. Denn wo ein abgehäng- Bruce Springsteen . . . Um diese Erosion zu stoppen, braucht es auch tes Subproletariat existiert, werden alle mit Frisch oder Dürrenmatt? eine Erneuerung der gewerkschaftlichen Idee. nach unten gezogen. Aber ein freier Markt Dürrenmatt. Was heisst es heute, Gewerkschaftsmitglied ohne Regeln ist nicht akzeptabel. Der Abbau Erste oder zweite Säule? zu sein? Was bringt es konkret? Auf diese Fra- von Arbeitsmarktschranken ist nur dann hin- Erste, die zweite enttäuscht wegen zu viel gen muss der SGB Antworten liefern. nehmbar, wenn gleichzeitig der Schutz für Expertokratie und Profitorientierung. Im SGB sind Verbände sehr unterschiedlicher Löhne und Arbeitsbedingungen erhöht wird. Sport oder Sofa? Grösse, die teilweise auch in Konkurrenz Ohne das muss Nein gesagt werden. Sport. Und dann Sofa. zueinander stehen. Einer ist sehr gross, der Die Frauen waren im SGB-Präsidium Anzug oder Jeans? VPOD gehört zu den mittleren, daneben gibt bisher kaum vertreten? Wäre es Jeans. es kleine und kleinste. Was gedenkst du für die jetzt nicht Zeit für eine Frau? Mailen oder telefonieren? Balance in dieser Dachorganisation zu tun? Wenn es nicht an der Spitze zweier der gröss- Telefonieren. Wenn in einem Verband einzelne Mitglieder ten Verbände im SGB starke Frauen gäbe, die Früh aufstehen oder spät zu Bett? geschwächt werden, hilft das niemandem. die Gewerkschaftsbewegung repräsentieren, Im Moment beides . . . Wenn Konkurrenz und Misstrauen domi- hätte ich die Kandidatur nicht angenommen. nieren, braucht es keinen SGB. Ich bin für (Und man hätte sie mir nicht angetragen.) Der eine dynamische Sichtweise: Dort, wo die SGB-Vorstand soll die Diversität unserer Be- Beschäftigung wächst und wo die Arbeits- wegung abbilden – und darin erlaube ich mir, bedingungen schwierig sind, muss man die die Stimme der Suisse romande und über- Mittel bündeln. Wenn dieser Ansatz dann haupt der lateinischen Schweiz einzubringen. 8 November 2018
SGB-Kongress | VPOD Die Macht beim SGB-Vorsitz ist werden. Ich habe grosse Erfahrung darin, wahrscheinlich gar nicht soooo gross (frag verschiedene Meinungen zu integrieren und Rechsteiner). Warum strebst du dieses dennoch klare Forderungen zu entwickeln. Amt an, was möchtest du bewegen? Die weibliche Erwerbstätigkeit hat Barbara Gysi: Wer für Lohn arbeitet, ist viel- zugenommen – die gewerkschaftliche fach ausgebeutet und schlecht gestellt. Das Organisation der Frauen hat damit muss sich wieder ändern. Bessere Arbeits- nicht Schritt gehalten. Wie kommen bedingungen, höhere Löhne und tiefere Ar- wir an die Frauen ran? beitszeiten, das will ich genauso erreichen Die gewerkschaftliche Verankerung in den wie Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Frauenbranchen ist effektiv zu schwach. Beruf und Familie. Arbeitsleistende müssen Wir müssen die Lebensrealitäten der Frauen an den Erfolgen der Firmen teilhaben und besser wahrnehmen und auch die Diskrimi- Barbara Gysi (54) wohnt in Wil (SG), ist Sozial- auch von der Digitalisierung profitieren. Ich nierung der Frauen, die durch die ungleiche pädagogin und seit 2011 SP-Nationalrätin. bin mit viel Herzblut politisch und gewerk- Verteilung der Haus- und Erziehungsarbeit schaftlich engagiert, bin gut vernetzt, bringe erfolgt, in die Gewerkschaftsagenda aufneh- Tee oder Kaffee? 25 Jahre Polit- und Gewerkschaftserfahrung men. Gesamtarbeitsverträge im Detailhandel Gerne Espresso. mit. Ich habe Lust und auch genügend Zeit, und den Pflegeberufen, bessere Frauenlöh- Schnitzel oder Tofuwurst? all das noch konkreter für die Gewerkschafts- ne, bessere Abgeltung von Haus- und Erzie- Vegetarisch, aber richtig. bewegung zur Verfügung zu stellen. Viele hungsarbeit, auch in der zweiten Säule, und Berge oder Strand? Gespräche zeigen mir zudem, dass die Zeit Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Berge, mit all ihren Schönheiten. reif ist für eine Frau an der Spitze des SGB. Beruf und Familie sind zwingend. Hund oder Katze? Wie stehen wir Gewerkschaften Die Schweiz ist ein Land mit sehr hohen Katze. 2018 in der Schweiz da? Sind wir Löhnen und sehr hohen Preisen. Beatles oder Rolling Stones? stark? Oder sind wir schwach? Darum ist das für uns mit den offenen Worldmusic in allen Facetten. Die Gewerkschaften sind inhaltlich stark, Grenzen nicht so einfach. Wird die Frisch oder Dürrenmatt? aber nicht in allen Branchen gut vertreten. Koppelung der Freizügigkeit an flankierende Frisch. Namentlich bei den Frauen und im tertiären Massnahmen Bestand haben? Erste oder zweite Säule? Bereich haben wir Nachholbedarf. Es braucht Die flankierenden Massnahmen sind nicht Die AHV ist unser wichtigstes Sozialwerk! ein starkes Gegengewicht gegenüber den verhandelbar, im Gegenteil: Es braucht wei- Sport oder Sofa? Abbauplänen der rechtsbürgerlichen Politik tere Verbesserungen, etwa für ältere Arbeit- Sport. und den neoliberalen Absahnern in der Wirt- nehmende. Die Rückmeldungen der europäi- Deux-pièces oder Jeans? schaft. Der Care-Sektor muss besser abgesi- schen Gewerkschaften zeigen uns, wie wichtig Jeans. chert und von Branchen, die Effizienzsteige- unser Kampf ist. Gleichzeitig stehe ich auch Mailen oder telefonieren? rungen erleben, mitfinanziert werden. für eine aktive Integrationspolitik ein. Mailen ist praktisch. Doch mit den Leuten Im SGB sind Verbände sehr unterschiedlicher Die Suisse romande war in der reden und im Gespräch sein, ist mir Grösse, die teilweise auch in Konkurrenz 138-jährigen SGB erst einmal im Präsidium wichtig. zueinander stehen. Einer ist sehr gross, der (zweimal noch das Tessin). Ist nicht Früh aufstehen oder spät zu Bett? VPOD gehört zu den mittleren, daneben gibt jetzt mal die Westschweiz dran? Morgens ist der Kopf noch frei. es kleine und kleinste. Was gedenkst du für die Eine berechtigte Frage. Die Delegierten wer- Balance in dieser Dachorganisation zu tun? den entscheiden, ob ihnen das Regionen- Mein Ziel ist es, die Gewerkschaftsbewegung oder das Geschlechterargument wichtiger ist. insgesamt zu verbreitern und zu stärken, in- Ich komme aus einem Grenzkanton und ken- dem sich zusätzliche Verbände und Gewerk- ne die Thematik der flankierenden Massnah- schaften unter dem Dach des SGB organisie- men aus der täglichen Arbeit. Als Präsidentin ren. Die innergewerkschaftlichen Debatten würde ich den Austausch mit der Romandie müssen geführt, alle Kreise müssen gehört und dem Tessin aktiv pflegen. November 2018 9
VPOD | Aus den Regionen und Sektionen Schieflage: Bundespersonal wird ungerecht beurteilt. Performance: Baselbieter Sparschwein wird brutal zerschlagen. wurde bei den hohen Löhnen sehr viel häufiger (18,9 Prozent) verge- ben als unten (13,1 Prozent). Eine ähnlich ungerechte Verteilung lässt sich bei den Leistungsprämien beobachten: Von den Frauen bekamen 27,6 Prozent eine, von den Männern aber 32,3 Prozent. Arbeiten Män- ner besser als Frauen, Chefs besser als untere Chargen? Der VPOD sieht vielmehr strukturelle Gründe, die eine ungleiche Beurteilung be- fördern. Hier muss Korrektur erfolgen. | vpod (Foto: william87/iStock) Pensionierte hängen am Feriendorf «Grappoli» Die VPOD-Pensioniertenkommission der Westschweiz hat sich im Rahmen eines Ausflugs ins Feriendorf «I Grappoli» in Sessa mit ei- ner Delegation der sonst getrennt tagenden Schwesterkommission der Deutschschweiz zu einer Lagebeurteilung getroffen und die Not- wendigkeit einer engeren Zusammenarbeit bekräftigt. Damit wollen die Pensionierten auch innerhalb des Verbandes zu einer stärkeren Stimme werden. Sorgen machen sie sich namentlich über die konti- nuierliche Erhöhung der Krankenkassenprämien, über die allgemei- ne Digitalisierung und Roboterisierung sowie über eine schleichen- de, mit Dienstleistungsabbau verbundene Privatisierung. Bekräftigt Basel: Ja zum Staatsvertrag, Nein zur AG wurde zudem der – so wörtlich – «absolute Widerstand gegen die Die Delegierten des VPOD Basel haben sich intensiv mit den beiden Schliessung oder den Verkauf» des Feriendorfes beziehungsweise das Spitalvorlagen auseinandergesetzt. Zum Staatsvertrag «Planung, Re- Gelübde, «alles zu tun, um diese Einrichtung zu retten». | vpod gulation und Aufsicht» sagen sie Ja, zur Fusion der Spitäler von Basel- Stadt und Basel-Land zu einer Aktiengesellschaft dagegen Nein – nach Appenzell-Ausserrhoden: Zu kurz gedacht intensiver Debatte, aber letztlich klar. Dabei geht es dem VPOD nicht Der VPOD Ostschweiz kritisiert den Entscheid des Spitalverbunds nur um Fragezeichen hinsichtlich des noch nicht zu Ende verhandel- Appenzell-Ausserrhoden SVAR zur Auslagerung von Wäscherei und ten GAV, sondern auch um Bedenken gegenüber der Rechtsform einer Reinigung. Eine solche Politik – noch dazu ohne Einbezug der Sozial- AG. Die zunehmende Wettbewerbsorientierung im Gesundheitswesen partner – ist aus VPOD-Sicht kurzsichtig und unüberlegt. «Es ist heute verfolgt der VPOD schon seit Jahren mit Unbehagen. | vpod bekannt, dass die Externalisierung solcher Dienstleistungen in den we- nigsten Fällen zu einer Kostenersparnis führt, im Gegenteil», hält der Schweinerei in Liestal VPOD fest. Neben Extraaufwand für Koordination und Kontrolle fällt Der VPOD Region Basel hat mit einer Performance die Sparschweine- zusätzlich noch die Mehrwertsteuer an. Ausserdem identifizieren sich rei kritisiert, welche die basellandschaftliche Politik im Service public Outgesourcte weniger stark mit ihrem Betrieb. | vpod anrichtet. Gut sichtbar für den zur Sitzung eintreffenden Landrat wur- de ein Sparschwein zertrümmert. So konnten Ressourcen aus bürger- St. Gallen: Zweifeln am Lohnsystem licher Geiselhaft befreit werden. «Die unsanfte Zerstörung des Spar- 2019 kommt im Kanton St. Gallen ein neues Lohnsystem. Eigentlich schweins symbolisiert ausserdem den geringschätzigen Umgang des hätte es mehr Gerechtigkeit bringen sollen. Das Verfahren lässt aber Landrates mit seinem Personal», schreibt der VPOD. | vpod (Foto: vpod) daran zweifeln. Die Zuteilung der Referenzfunktionen und die Mittei- lung des neuen Lohns haben verbreitet zu Verunsicherung und Ärger Bundespersonal: Chefs gut, Untere schlecht? geführt. Wichtige Fragen bleiben offen, insbesondere jene nach den Der VPOD hat nachgefragt, wie beim Bundespersonal die Mitarbei- Rechtsmitteln. Der VPOD Ostschweiz hat daher einen Offenen Brief terqualifikationen auf die Lohnklassen verteilt sind. Für 2017 zeigt lanciert, der in kurzer Zeit von über 1000 Staatsangestellten unter- sich erneut ein schiefes Bild. In den tiefen Lohnklassen 1 bis 17 erhiel- schrieben und Anfang Oktober überreicht wurde. Von der Regierung ten mehr als doppelt so viele Beschäftigte eine schlechte Beurteilung werden rasche Verfahrenskorrekturen erwartet. Ein erster Erfolg ist («ungenügend» oder «genügend») als in den hohen Lohnklassen 24 erzielt: Die neue Referenzfunktionenkommission wird aufgestockt; bis 38. Umgekehrt ist die Situation beim «sehr gut»: Dieses Prädikat die Verbände haben jetzt 3 statt 1 Delegierte darin. | vpod 10 November 2018
Dossier: Service public und Menschenrecht | VPOD Eidgenössische Volksabstimmung am 25. November: Nein zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» («Selbstbestimmungsinitiative») Wie in Putins Russland? Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative der SVP ist Anlass für dieses Dossier. An die Urne gehen und Nein stimmen ist wichtig. Die Schweiz würde sich sonst isolieren. Und fiele auf das rechtsstaatliche Niveau von Putins Russland. | Text: VPOD (Foto: Nellmac/iStock) seit 1974 verbindliches Recht sind. Weil die EMRK damals nicht dem Referendum un- terstand, ginge inländisches Recht im Zwei- fel vor, so dass die EMRK nur noch fallweise angewendet würde (wie derzeit in Russland) und konsequenterweise zu kündigen wäre. Ohne EMRK gäbe es nichts mehr, was den Schweizer Gesetzgeber hinderte, beliebige Gruppen beliebig zu diskriminieren. Man könnte beispielsweise den Französisch- unterricht abschaffen, per Volksinitiative. Oder die Todesstrafe einführen (ein erster zaghafter Versuch dazu wurde bereits unter- nommen, allerdings wieder abgebrochen). Muss eigentlich das Italienische wirklich ei- ne Amtssprache sein? Die Volks- und Stände- mehrheit könnte den Kanton Tessin und die Moskauer Verhältnisse? Im Russland Putins sind die Bündner Südtäler problemlos überstimmen. Entscheide des Menschenrechtsgerichtshofs unverbindlich. Und dann? Es gibt in der Schweiz, im Gegen- satz etwa zu Deutschland, auch kein Verfas- sungsgericht, das Gesetze daraufhin über- Die SVP will mit ihrer – jetzt derart soft be- nämlich der Unbefangen- und Nicht-Invol- prüft, ob sie mit der Verfassung im Einklang worbenen – Initiative den Vorrang der Ver- viertheit der Richtenden. Nicht ganz zufällig stehen. Aber das Bundesgericht kann auf die fassung gegenüber dem Völkerrecht durch- trägt Justitia eine Binde. Sie urteilt von aus- EMRK zurückgreifen, wenn Rechte Einzelner setzen; eine Problematik, die sie auch bisher sen, als «Fremde». verletzt sind. Die Konvention ist so etwas wie schon ausgiebig mit Initiativen bewirtschaftet Es gibt zwei Hauptargumente gegen die In- eine «Rechtsschutzversicherung für uns alle» hat. Dabei hat sie allerdings zuletzt, nämlich itiative. Zum einen würde die fragliche Be- (Amnesty International). bei der Durchsetzungsinitiative, eine Nieder- stimmung die Schweiz als internationale Ver- lage kassiert. Die Selbstbestimmungsinitia- tragspartnerin diskreditieren: Ein Land, das Untrennbare Einheit tive postuliert, dass bei einem Konflikt zwi- eingegangene Verträge einseitig bricht oder Hinter der Initiative steht, man kann es nicht schen einer angenommenen Volksinitiative damit droht, sie jederzeit zu widerrufen, kann anders sagen, ein verabscheuungswürdiges und völkerrechtlichen Verträgen die letzteren nicht auf Vertrauen und Goodwill der ande- Welt- und Menschenbild. Sie stellt sich eine anzupassen oder zu kündigen wären. Eine ren Länder zählen. Diese Initiative ist buch- Schweiz vor, die ausserhalb dieser Welt steht Annahme der Initiative wäre schlimm. stäblich eine «Anweisung zum völkerrecht- – wo doch gerade Kleinstaaten mehr als die lichen Vertragsbruch», wie es Humanrights Grossen auf die Verbindlichkeit internationa- «Fremde Richter»? formuliert. Zudem erzeugt die Initiative ein ler Vereinbarungen angewiesen sind, auch in Die Verdrehungen beginnen schon im Titel. Chaos bei den völkerrechtlichen Verträgen; wirtschaftlicher Hinsicht. Und sie stellt sich «Fremde Richter»? Am Strassburger Men- manche eher zweitrangige Übereinkommen eine «Demokratie» ohne Grundrechtsschutz schenrechtsgerichtshof, auf den das Volks- wären verbindliches Recht, weil sie seinerzeit vor, mithin also eine Diktatur der – aufgehetz- begehren zielt, sitzen auch Schweizer Richte- dem fakultativen Referendum unterstanden, ten und aufgewiegelten – «Volks»-Mehrheit. rinnen und Richter. Wenn eine Entscheidung andere, wichtigere, nicht. Der VPOD hat am letzten Kongress 2015 in für oder gegen die Schweiz gefällt wird, ist Lausanne in seinem Positionspapier «Service die Schweiz im Richterkollegium vertreten. Eine Rechtsschutzversicherung public ist Menschenrecht» bekräftigt, dass Die Richter sind also gar nicht alle «fremd». Direkt im Fokus stehen die Menschenrech- er die Menschenrechte und den Schutz von Der andere Punkt ist der: Das Wesen der Jus- te, die in Form der Europäischen Menschen- Minderheiten als untrennbare Bestandteile tiz liegt zu guten Teilen in der «Fremdheit», rechtskonvention EMRK in der Schweiz der Demokratie ansieht. November 2018 11
VPOD |Service Dossier: public und Menschenrecht Menschenrechte: Woher sie kommen, wohin sie gehen und was sie wert sind Recht haben – und bekommen Die Menschenrechte, wie sie heute bestehen, sind ein Kind der Auf klärung und eine Reaktion auf den Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkriegs. Die UNO verabschiedete eine Erklärung; Europa hat mit seiner Konvention ein stärkeres Mittel. | Text: Christoph Schlatter (Foto: Paul Horsefield/Flickr) Gekachelte Rechte: Arabien und Südafrika. In der Erklärung sind Artikel der UNO-Charta Grundrechte niedergelegt wie das Diskrimi- im Berliner U-Bahnhof nierungsverbot, das Recht auf Leben und auf Westhafen. Freiheit, das Verbot der Sklaverei. Mehrere Artikel stehen im Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren (Folterverbot, Unschuldsvermutung, Rechtsgleichheit), weitere nennen Freiheits- und Gestaltungs- rechte (Recht auf Ehe, auf Eigentum, Religi- ons- und Gewissensfreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, allgemeines und glei- ches Wahlrecht). Es sind aber auch soziale Rechte aufgezählt (aus Sicht der damaligen Sowjetunion al- lerdings zu wenige): das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf Arbeit und auf gleichen Lohn, das Recht auf Erholung und Die Menschenrechte sind ein Produkt der geboren werden oder nur die Männer? Olym- Freizeit, das Recht auf Wohlfahrt, Bildung Aufklärung. In der Unabhängigkeitserklä- pe de Gouges hat in ihrer Erklärung von 1791 und Kultur. Freizügigkeit ist in der Charta rung der USA von 1776 steht: «Wir halten gesagt, eine Verfassung sei null und nichtig, unvollständig dargestellt: Es gibt ein Recht diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle «wenn nicht die Mehrheit der Individuen, die auf Asyl und eines auf Aus- und Wiederein- Menschen gleich erschaffen worden, dass die Nation bilden, an ihrer Ausarbeitung mit- reise, aber die freie Wahl des Aufenthalts sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unver- gewirkt hat». Sie starb auf dem Schafott. ist auf das eigene Land begrenzt. Diese Ein- äusserlichen Rechten begabt worden, wo- schränkung zeigt, genauso wie die einstige runter sind Leben, Freiheit und das Bestre- Sowjets, Saudis und Südafrika Unklarheit bezüglich der Frauen (oder an- ben nach Glückseligkeit.» Die Erklärung der Es war dann der beispiellose Zivilisations- derer Geschlechter), dass Menschenrechte Menschen- und Bürgerrechte, wie sie 1789 bruch des Nationalsozialismus und des etwas Dynamisches sind. Sie entwickeln von der Französischen Nationalversamm- Zweiten Weltkriegs, der nach 1945 zum sich laufend weiter und überwinden Alther- lung verabschiedet wurden, hält fest: «Les länderübergreifenden Versuch führte, die gebrachtes und bisherige Blindheiten – im hommes naissent et demeurent libres et elementaren Menschenrechte verbindlich Idealfall jedenfalls. égaux en droits.» Hier fragt sich allerdings, zu fassen. Zu den unmittelbaren Vorläufern ob die Menschen frei und gleich an Rechten gehört die Deklaration von Philadelphia der Unterschiedliche Wirkung ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation, Zwar hat die UNO mehrere ihrer Rechte in aus dem Jahr 1944: «Alle Menschen, unge- Konventionen oder Abkommen gefasst; Bei- achtet ihrer Rasse, ihres Glaubens und ihres spiele sind der Pakt über wirtschaftliche, sozi- 1776 Unabhängigkeitserklärung USA Geschlechts haben das Recht, materiellen ale und kulturelle Rechte, die Antifolter- oder 1789 Erklärung der Menschen- und Wohlstand und geistige Entwicklung in Frei- die Kinderrechtskonvention. Aber einklagen Bürgerrechte (Frankreich) heit und Würde, in wirtschaftlicher Sicher- lassen sich diese Rechte trotzdem an vielen 1791 Erklärung der Rechte der Frau und heit und unter gleich günstigen Bedingungen Orten der Welt nicht. Deutlich weiter ist Eu- Bürgerin zu erstreben», heisst es darin. ropa mit seiner Menschenrechtskonvention 1944 Erklärung von Philadelphia (ILO) Als die UNO-Generalversammlung am EMRK. Diese unterscheidet sich im Inhalt 1948 Allgemeine Erklärung der Menschen 10. Dezember 1948 die Allgemeine Erklä- nicht wesentlich von der Erklärung der UNO. rechte (UNO) rung der Menschenrechte verabschiedete, Aber die EMRK lässt es zu, dass man auch 1950 Europäische Menschenrechtskonvention gab es keine Gegenstimme. Aber 8 Länder als Individuum auf seinem Recht bestehen (EMRK) markierten mittels Enthaltung Distanz: die kann. Das ist ein menschheitsgeschichtlicher 1974 Schweiz ratifiziert EMRK Sowjetunion mit 4 Verbündeten sowie Saudi- Fortschritt – siehe auch Seite 17. 12 November 2018
Dossier: Service public und Menschenrecht | VPOD Interview zur administrativen Versorgungspraxis bis 1981 mit Nadja Ramsauer, Historikerin an der ZHAW, Soziale Arbeit «Das Freiheitsversprechen gebrochen» Das Unrecht, das Menschen in der Schweiz bis 1981 durch fürsorgerische Zwangsmassnahmen angetan wurde, ist heute endlich erkannt und anerkannt. Nadja Ramsauer zeigt, wie das Ende der Versorgungspraxis – und andere Entwicklungen – mit der Menschenrechtskonvention zusammenhängen. | Interview: Christoph Schlatter (Fotos: siehe Seite 14) VPOD-Magazin: Du hast schon im Jahr 2000 Öffentlichkeit gerückt. Lass uns zuerst über eine Dissertation über Kindswegnahmen und die Kinder und Jugendlichen sprechen: Jugendfürsorge veröffentlicht, zu einer Zeit, Welches sind denn die meistgenannten als erst wenige zu solchen Themen forschten. Motive für Fremdplatzierungen? Heute ist, auch im Rahmen der Aufarbeitung Die Begründungen haben sich in der zweiten der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen bis Hälfte des 20. Jahrhunderts stark verändert. 1981, ein regelrechter Boom ausgebrochen. Darin spiegelt sich meines Erachtens der Wan- Nadja Ramsauer: Auch ich bin, nachdem ich del von einer Industrie- zu einer Dienstleis- einige Jahre vor allem mit Gleichstellungs- tungsgesellschaft. In den 1950er und 1960er themen befasst war, hier Jahren ging es darum, die an der ZHAW wieder Kinder und Jugendlichen, zu diesem T hema zu- «In den 1950er und deren Familien in einer rückgekehrt. Zwei Pro- 1960er Jahren wollte man prekären Lebenslage wa- VPOD-Kollegin Nadja Ramsauer ist Dozentin jekte stehen derzeit im ren, zu sogenannt tüchti- am Institut für Kindheit, Jugend und Familie der Vordergrund. Im einen aus Jugendlichen in gen Bürgern zu machen, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissen- geht es um Behörden- prekärer Lage sogenannt die sich einfügen in die schaften, Soziale Arbeit. Ihr Forschungsschwer- punkt liegt in den Themenkreisen Geschichte der entscheide in der Kin- tüchtige Bürger machen.» soziale Rolle und die be- Sozialen Arbeit und des Sozialstaats, Geschichte der- und Jugendfürsorge rufliche Aufgabe, die für der Kinder- und Jugendhilfe und in der Geschlech- in der zweiten Hälfte des sie vorgesehen sind. Und terforschung. Sie knüpft damit an ihre Dissertation aus dem Jahr 2000 an («‹Verwahrlost: Kindsweg- 20. Jahrhunderts im Kanton Zürich. Und wenn ein Kind oder ein Jugendlicher sich da- nahmen und die Entstehung der Jugendfürsorge im zwar speziell darum, wie die Behörden ihre gegen aufbäumt, etwa aus einem Heim oder schweizerischen Sozialstaat, 1900–1945»). Aktuell Entscheide – also etwa ein Kind von den El- aus der Lehre davonläuft, reagiert man in der ist Ramsauer Co-Leiterin des Projekts «Rechtspra- tern zu trennen – begründen. Regel mit schärferen Massnahmen. Bemüh- xis und Expertise der Administrativen Versor- Wir befinden uns im Zeitalter vor ten sich die Jugendlichen um einen sozialen gung vor 1981» im Rahmen der Unabhängigen Expertenkommission Administrative Versorgungen der KESB, wo keineswegs alles Aufstieg, legten die Behörden dies als unan- und eines Projekts zur Fremdplatzierung von besser war. Sehr im Gegenteil. gemessene Arroganz aus. Kindern und Jugendlichen in der zweiten Hälfte Auch das zweite Projekt – ich leite es zusam- Und das ändert sich in den des 20. Jahrhunderts im Kanton Zürich. men mit Sara Galle, die vor Kurzem eine 1970er und 1980er Jahren? beeindruckende Dissertation zu den «Kin- Weiterhin geht es um Integration. Aber der dern der Landstrasse» vorgelegt hat – gehört paternalistische Gestus schwindet, mit dem in diesen Zusammenhang. Im Rahmen der man Jugendliche auf Berufe in Industrie oder vom Bundesrat eingesetzten Unabhängigen Gewerbe festgelegt hatte. Es kommt allmäh- Expertenkommission Administrative Versor- lich der Gedanke auf, die Direktbetroffenen an gung untersuchen wir mit unserem Team die den Entscheidungsprozessen teilnehmen zu behördliche Praxis der Anstaltseinweisungen lassen. Nicht zuletzt dürfte im Kanton Zürich vor 1981. Hier geht es nicht nur um Kinder die Heimkampagne Anfang der 1970er Jahre und Jugendliche, sondern auch um Erwach- zu dieser Veränderung beigetragen haben. sene. Die Heimkampagne, dieses Aufbegehren Was da in der Schweiz bis gegen Ende gegen repressive Zustände in des 20. Jahrhunderts mit Menschen Erziehungsanstalten, kann man gemacht worden ist – Kindswegnahme, sicher auch als einen Ast der 1968er- Verdingkinderwesen, Anstaltsversorgung, Bewegung interpretieren. Haben die Zwangssterilisation, -kastration, Achtundsechziger die neue, weniger -adoption, Medikamentenversuche in repressive Behördenlogik herbeigezwungen? der Psychiatrie –, ist ja erst im letzten Das kann man so direkt nicht sagen. Es han- Jahrzehnt ins Bewusstsein einer breiteren delt sich eher um einen langsamen Trans- November 2018 13
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