30 JAHRE INTEGRATION DURCH SPORT - DOSB
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01 404806 4 192734 2019 4,80 € DAS MAGAZIN SONDERAUSGABE 30 JAHRE INTEGRATION DURCH SPORT FARBE BEKENNEN Prominente aus Kunst und Sport sollten sich politisch positionieren, sagt Sammy Amara, Leadsänger der Punkrockband Broilers STADTRANDSPORT GUTE STIMMUNG Welche Rolle Stadtplanung beim Thema Wie ist es um unser kulturelles Zusammenleben Integration spielt – und umgekehrt bestellt? Fünf Fragen an sieben kluge Köpfe
Foto: Martin Faltermeier Mein Leben im Verein Dieses Bild wie auch das auf dem Magazinrücken, entstammen einem Fotowettbewerb des Bundes- programms zum Thema Integration und Sport
Editorial Sie sei idealistisch, sagt die Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor in diesem Magazin. Sie glaube, dass Sport wahrscheinlich die ein- zige Möglichkeit sei, Menschen über alle Unterschiede hinweg zusammen- zubringen. Ein Idealismus, dem sich die Organisationen des Sports natür- lich gern anschließen, aus Sympathie und aus tiefer Überzeugung. Und aus Erfahrung, wie Kaweh Niroomand, der neue DOSB-Vizepräsident für Wirt- schaft und Finanzen. „Der Sport war für mich wie eine Brücke zur Gesell- schaft, zu den Menschen, zur Kultur, letztlich sogar zu meiner Frau“, sagt der ehemalige Volleyball-Bundesligaspieler, der 1965 mit 12 Jahren nach Deutschland kam. Mag er auch nicht immer zur Liebe führen, der solidarische Gedanke des Sports hat unbestritten seine Wirkung; er wird täglich tausendfach gelebt, an der Tischtennisplatte, am Volleyballnetz, unter dem Basketballkorb oder auf dem Fußballplatz. Auch dieses Magazin ist Ausdruck seines Wir- kens: Es erscheint anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von „Integration durch Sport“ (IdS), dem Bundesprogramm, das ungeachtet wechselnder Regierungen und politischer Koalitionen seit 1989 stetig vom Bundesminis- terium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und dem Bundesamt für Mig- ration und Flüchtlinge (BAMF) gefördert und begleitet wird. Und weil der Sport für sich spricht, betreibt das Magazin auch keine Nabel- oder Leistungsschau der vergangenen 30 Jahre. Vielmehr soll es – im Sin- ne des DOSB-Vizepräsidenten mit iranischen Wurzeln – mit der dem Sport innewohnenden Offenheit Brücken schlagen. Einen Eindruck davon vermit- teln, was sich in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, und Anregungen dafür liefern, was sich noch verändern muss. Was dafür getan werden kann, damit wir kulturell besser zueinanderfinden, von allen Parteien – auch vom Sport. Kurzum: Das Magazin möchte den Blick weiten und einen Diskussionsbeitrag liefern. Zu Wort kommen unter vielen anderen: der Schriftsteller Ilija Trojanow, die Judoka Samira Bouizgarne, die Bob-Olympiasiegerin Mariama Jamanka, der Fußballweltmeister Miro Klose, der Punkrocksänger Sammy Amara, die Integrationspionierin Silvia Nitsche-Ziegler, der Soziologe und Stadt- entwickler Hans Fürst, die Kabarettistin Idil Baydar sowie die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und ihr aktueller Kollege, Wolfgang Schäuble. Er bringt den Ansatz dieser Ausgabe auf den Punkt: „Vielfalt ist nicht nur ein Wort, um die gesellschaftliche Realität zu benennen. Sie ist ein Wert.“ Wir wünschen eine anregende Lektüre Marcus Meyer 3
Inhalt 06 26 AUSLANDSJOURNAL Wie funktioniert Integration und Sport in anderen Ländern? Schweden, Spanien, INTERVIEW Schweiz, Jordanien und die USA liefern Beispiele Schnörkellos 30 Fragen an Weltmeister 32 und Rekordtorschütze Miroslav Klose EXKLUSIV Kenia, Kindheit und Kricket: Der deutsch-bulgarische Schriftsteller Ilija Trojanow schreibt über seine prägende Jugendzeit im Internat 38 HISTORIE 30 Jahre „Integration durch Sport“, 30 Jahre deutsche Gesetzgebung zur Einwanderung. Eine Parallelgeschichte 12 42 REPORTAGE ERINNERUNG Urdeutsche Kultureinrich- Eine kurze Geschichte aus den Anfangstagen, tung und Integrationsmoto- als das Projekt noch „Sport für alle – Sport mit ren par excellence: auf Aussiedlern“ hieß Spurensuche in Sportvereinen 20 46 Fotos: (l.) Werner Amann, (o.) Reiner Wandler BEGEGNUNGEN INTERVIEW Generationswechsel? Die In Abwehrhaltung Judoka Samira Bouizgarne, Die ehemalige Bundestagspräsidentin der Ex-Basketballer Wilbert Rita Süssmuth über den Zusammenhang von Olinde und der Ex-Turner Integrationspolitik und Körpersprache Yalcin Özer – wie sich das Ankommen und Leben für Menschen mit fremden Wur- zeln verändert hat 4
Inhalt 52 48 PROTOKOLL Nationalspielerin Lenka Dürr und der ehemalige INTERVIEW Profi Tado Karlovic über den schwierigen Begriff der Zeichen setzen Heimat und welche eng- Künstler haben eine Vorbild- maschige Rolle Volleyball rolle, sagt Sammy Amara, dabei spielt Frontman der Punkrockband Broilers 66 59 INTERVIEW MEDIEN Komplexes Verhältnis Wie Sportberichterstattung Sie brauchen einander und stehen doch gesellschaftliche Wahrneh- in Konkurrenz: Stadtplanung und Sport. mung beeinflusst Der Stadtentwickler und Soziologe Hans Fürst im Gespräch Fotos: (o.) Regina Schmeken, (m.) dpa Picture Alliance / Thomas Bartilla, (u.) dpa Picture Alliance / Jan Haas 72 GASTBEITRAG Wenn Klischees und Kung- Fu sich berühren. Ein Erfah- rungsbericht des Journalis- ten und Podcasters Frank Joung 81 GLOSSE 74 Nichts für schwache Ner- ven: Die Kabarettistin Idil Baydar über den Begriff der „Integration“ UMFRAGE 82 Fünf Fragen an sieben kluge IMPRESSUM Menschen: zwischen Migra- tion und Integration – oder was eine Gesellschaft zu- sammenhält 5
Miroslav Klose UND ICH BIN ICH Interview: Marcus Meyer Fotos: Stephan Sahm Sein Lebenslauf ist längst Legende: Bis zum fußballerisch fortgeschrittenen Alter von 20 Jahren spielte Miroslav Klose weitgehend unbemerkt beim Fußballverein von Blaubach-Diedelkopf in Rheinland-Pfalz. Dann zog er aus, um 137-maliger Nationalspieler, 16-facher WM-Torschütze und schließlich Weltmeister zu werden. Mit seinem schnörkellosen Spielstil hat er Millionen Fußballfans begeistert – und blieb dabei stets ungewöhnlich zurückhaltend für einen Profikicker. 7
30 Fragen an … Die Geschichte von Miroslav Klose, geboren Jahren bei Lazio Rom auch gern nach in Polen, aufgewachsen in Deutschland, klingt Italien. Eigentlich fühle ich mich über- all wohl. nach einer sehr amerikanischen Story: der Zuwanderer, dem Erfolg nicht in die Wiege gelegt Man kennt die vielen Diskussionen worden ist, der sich nach ganz oben durch- um den Heimatbegriff, das sei kein Ort, sondern eher ein Gefühl. Man- arbeitet – mit Ehrgeiz, Fleiß, mit Beharrlichkeit. che nennen einfach die Stadt, in der Nach rund 70 Jahren bundesrepublikanischer sie geboren wurden, wie Jerome Zuwanderung lässt sie sich aber auch als eine Boateng (Berlin). Miroslav Klose hält sich an die Länder, in denen er deutsche Biografie lesen. Mit all den Zufällen, lebte. Und da hat er gleich ein paar die zu einem solchen Lebenslauf gehören, auch zur Auswahl. dem Glück. 6. Klose ist mit dem 1989 gestarteten Projekt „Sport für alle – Sport mit Aussiedlern“ nie in Lieber München oder lieber Rom? Das ist eine schwere Frage. Meine Frau Berührung gekommen. Und doch zeigt seine würde bestimmt sagen: Rom. Aber ich Biografie geradezu prototypisch, welche Rolle sag München. der Sport bei der Integration spielen kann. 7. Grund genug für ein Gespräch, zu dem der Rekord- torschütze der deutschen Nationalmannschaft Hast Du zwei Pässe? (71 Treffer) die Gäste derart freundlich und ent- Nein. Als wir nach Deutschland kamen, mussten meine Schwester und ich uns spannt begrüßt – „Hallo, ich bin der Miro“ – , dass entscheiden: Einer von uns beiden es gar nicht anders geht, als ihn entgegen sonsti- durfte zwei haben, einer nur einen. Sie ger Gepflogenheiten zu duzen. war drei Jahre älter und erhielt des- halb zwei Staatsbürgerschaften. Ich habe nur die deutsche. So war es da- 1. 4. mals. Wie es heute ist, weiß ich nicht. Fühlst Du Dich angesprochen, wenn Du hast als Kind fünf Jahre in Frank- Heute wäre es einfacher: Das von Menschen mit Migrationshinter- reich gelebt. Wo fiel Dir die Einge- Staatsangehörigkeitsgesetz er- grund die Rede ist? wöhnung schwerer: dort oder hier in laubt es Menschen, die den Pass ei- Ja. Deutschland? nes EU-Staates besitzen, auch den In Deutschland. Damals in Frankreich deutschen zu erwerben. Vorausset- 2. habe ich noch nicht so viel mitbekom- zung ist unter anderem, dass man men, ich weiß nur das, was meine Eltern mehr als acht Jahre in Deutschland Das erste Fußballwort, das Du auf mir später erzählt haben. In Deutsch- gelebt hat und über ausreichende Deutsch gelernt hast? land war es richtig hart. Deutschkenntnisse verfügt. Kein Ich glaube: Tor. Problem für Klose. Es war ein schwerer Anfang in Was soll man anderes erwarten bei Deutschland, als bereits schul- 8. einem Stürmer? pflichtiger Knirps. Einmal wurde er wegen mangelnder Deutschkennt- „Deutsche Leitkultur“, kannst Du mit 3. nisse von der vierten in die dritte diesem Begriff etwas anfangen? Klasse zurückgestuft. Das Fußball- Du sprichst drei Sprachen: Polnisch, spielen bot schnelleren Anschluss, Großes Erstaunen, offensichtlich Deutsch und Italienisch. In welcher auch ohne Worte. spielt das Thema für ihn keine Rol- Sprache träumst Du? le. Letztlich weiß ja auch niemand, Meistens Deutsch. 5. was das genau sein soll. Eine Art Leitfaden für Integration? Geht gut los: Er redet, wie er spielt, Was ist für Dich Heimat? ja kein Schnörkel zu viel. So werden Schon Deutschland. Aber ich fahre auch Deutsche Leitkultur? (lange Pause) Ne! wir schnell durch sein. sehr gern nach Polen. Und nach fünf 8
Miroslav Klose 9. 11 . ... Selbstbewusstsein bedeutet das für mich. Auch das Mannschaftsdien- Der Profifußball ist sehr international, Schon mal rassistische Erfahrungen liche, das ist immer meins gewesen. aber die Teams sind Zweckgemein- gemacht? Ich bin davon überzeugt, dass sich 10 schaften. Hast Du in Deinen Mann- Nein. bis 15 Prozent der Leistung über den schaften etwas über Integration ge- Teamgeist entscheiden. Wie man sich lernt? Harter Themawechsel. untereinander versteht, wenn es eng Ja, ich meine schon. Ich denke da be- wird, die Spiele hart sind. Dass man sonders an die deutsche Fußballna- 12. sich auf seinen Mitspieler verlassen tionalmannschaft, in der viele Spieler kann und der andere von meinen mit Migrationshintergrund spielten. Sprichst Du zum Essen ein Tischgebet? Qualitäten überzeugt ist, genauso Wir haben uns alle super verstanden. Selten. Mal an Weihnachten. Es wird wie umgekehrt. Wechselseitig Fehler Jeder hat seinen Teil zum Erfolg beige- immer weniger. ausbügeln, das ist, wofür „Mia san tragen, auf seine Art und Weise. Dass mia“ steht. man ganz unterschiedlich zum Sieg 13. kommen kann, habe ich besonders in Eine sympathische Definition des Italien gelernt. Da wurde vieles locke- Papstaudienz oder WM-Titel, was Bayern-Leitbildes. Typisch Klose, rer gesehen als in Deutschland. steht höher im Kurs? dass er so sehr auf das Miteinan- Beides gleich. Ich hatte schon bei zwei der abhebt. Philipp Lahm hat den 10. Päpsten eine Audienz, davon eine pri- Satz mal so gedeutet: „Es ist so ein vate, beim Papst Benedikt. Und ich Gefühl, immer das Maximale er- Ab 2006 sprachen alle von der bunten habe ja nur einen WM-Titel. Insofern reichen zu wollen.“ Vielleicht kann Nationalmannschaft, in der sich das steht es also 2:1. man an der Stelle ergänzen: und vielfältige Deutschland widerspie- die Besten zu sein. gelt. Hast Du Dich davon angespro- 14. chen gefühlt? 15. Unbedingt, genau wie Poldi und Piotr Mia san mia, auch dein Motto? Trochowski. Wir sind in Polen geboren, Ja. Hätte ein Miro Klose, der mit 21 Jah- in jungen Jahren nach Deutschland ren seinen ersten Profivertrag unter- gekommen. Das spiegelte schon unser Kein langes Zögern. schrieben hat, in dem Nachwuchssys- Gefühl wider. tem des FC Bayern eine Chance? 9
30 Fragen an … Man spürt förmlich, wie ihn der 20. Gedanke quält, ein junger Spieler Die Kabinenpredigt: eher Blut, mit viel Talent könnte es nicht Schweiß, Tränen oder ganz sachlich? Am Anfang sicherlich sachlich, damit nach oben schaffen, nur weil ihm die Jungs verstehen, was wir taktisch vorhaben. Aber dann motivierend, der Wille, der Biss fehlt witzig, jemand auf den Arm nehmen, gute Laune verbreiten. So wie wir mit der jungen Mannschaft derzeit in der Tabelle stehen, läuft alles richtig. Aber das ist natürlich auch der Zeit- punkt, an dem man die größten Fehler macht. Ich glaub nicht. Dafür war ich zu schlecht. 17. Der Medienchef des „FC Bayern Mit den Kriterien, die ich selbst als Trai- Campus“, Dirk Hauser, erzählt spä- ner habe, wäre ich durchgefallen. Mal Medientraining genommen? ter von Kloses erstem Auftritt vor Ja, früher als Spieler. Und auch als Trai- der Mannschaft. Beide Seiten ste- Ohne Koketterie vorgetragen. Da- ner. Ich möchte mich immer verbessern. hen mit großer Ehrfurcht vorein- für ein herzhaftes Lachen. ander: die jugendlichen Spieler vor 18. dem Weltmeister, der Weltmeister 16. vor der Traineraufgabe und dem Was kannst Du als Trainer nicht leiden? Team. Hauser: „Miro macht den Bist Du froh, ein paar Jahre zu alt und Lügen! Aber das gilt generell. Dass man Job wirklich klasse und ist total vorher zurückgetreten zu sein, bevor mir etwas vorgeigt, und ich weiß schon gut integriert hier im Leistungs- Dich ein Schicksal wie Deine WM-Kolle- durch die Art, wie es mir gesagt wird, zentrum.“ gen Boateng, Müller und Hummels er- dass es nicht stimmt. Und wenn ich Ta- eilen konnte? lent in einem Spieler sehe, das er ver- 21. schenkt: Er zu faul ist, meint, es würde Erneuter Grund zur Heiterkeit. irgendwann von selbst laufen, aber nie Wie viel Paar Fußballschuhe stehen Wahrscheinlich ahnte er, dass ihn etwas dafür tut. Aber nur wenn man je- im Schrank? die Frage erwischen könnte. den Tag im Training reinhaut, hat man Zurzeit zwei. eine Chance, besser zu werden als alle Ich habe mir viele Gedanken darüber anderen. 22. gemacht, eine Antwort habe ich nicht gefunden. Ich kann mich in beide Sei- Man spürt förmlich, wie ihn der Ge- Wärst Du ein guter Turner geworden? ten hineinversetzen, die des Spielers, die danke quält, ein junger Spieler mit Ich glaub nicht. Ich habe zwar im Bo- des Trainers. Ich durfte ja zwei Jahre als viel Talent könnte es nicht nach denturnen zweimal die Achter-Übung Praktikant bei der Nationalmannschaft oben schaffen, nur weil ihm der Wil- geschafft, aber nur weil ich so lange mitlaufen und kenne daher ein paar von le, der Biss fehlt. In einem Interview geübt habe, bis es geklappt hat. Das Jogi Löws Gedankengängen. Es sind im- hat Klose mal gesagt: „Ich habe es hat nichts mit Talent zu tun. Am Reck mer noch drei sehr tolle Fußballer. Keine ganz nach oben geschafft und mich war es immer am schlimmsten, weil Frage. Was fehlen wird: das Menschliche, dort gehalten. Als Spieler, der sich meine Beine so schwer sind. der Charakter der drei. Das zu ersetzen fast alles selbst beigebracht hat, wird vielleicht am Schwierigsten für die dem nichts geschenkt wurde.“ Das Jeder erinnert sich an die berühm- Nationalmannschaft. Diese Persönlich- sagt eigentlich alles. ten akrobatischen Einlagen von keiten waren sehr wichtig für den Erfolg Klose, wenn er ein Tor geschossen 2014. Die Zeit wird zeigen, ob es die rich- 19. hat. In seiner Zeit beim FC Bayern tige Entscheidung von Jogi war. soll ihm zwischenzeitlich der Tor- Ist Ironie ein brauchbares Stilmittel für salto verboten worden sein. Es Eine diplomatische Antwort. Man einen Fußballtrainer? gibt auch eine traurige Geschichte merkt ihm die Verbundenheit zu Absolut, Ich habe so ein Verhältnis zu dazu: In Indien hat sich 2014 ein den ehemaligen Mitspielern an, meiner Mannschaft. Und ich lache über junger Spieler das Genick gebro- aber auch, dass er bereits in seiner andere, wenn sie mal einen Fehler ma- chen, als er nach einem Torerfolg neuen Rolle, aus Trainersicht, auf chen, also kann ich auch über mich versuchte, die Jubelpose von Klose dieses Problem zu schauen versucht. selbst lachen. zu imitieren. 10
Miroslav Klose 23. hindurch! Das lassen wir uns nicht neh- STURM UND ERFOLG men, von niemanden – und schon gar Hast Du auf dem Platz die Schieds- nicht von den Polen!“ richter auf Polnisch beschimpft, weil Wer hat das noch mal gesagt? Ein Trai- Miroslav Klose wurde 1978 Du wusstest, dass sie es nicht verste- ner, war es Jogi? im polnischen Opole geboren. hen würden? Zwischen seinem dritten Ein polnisches Schimpfwort habe ich Wow, er erinnert sich nicht mehr. bestimmt mal gesagt. Aber nie zu Kurze Aufklärung: Es war 2006. und siebten Lebensjahr lebte Schiedsrichtern. Ich habe bis heute ein Jürgen Klinsmann in der Kabinen- die Familie in Frankreich, sehr gutes Verhältnis zu ihnen. ansprache zur Pause des zweiten weil sein Vater einen Profi- WM-Gruppenspiels gegen Polen, 24. das in der Nachspielzeit durch ein vertrag beim damaligen Tor von Oliver Neuville mit 1:0 ent- Fußball-Erstligisten AJ Auxerre Wo steht Bescheidenheit in Deiner schieden wurde. Würde ein Bundes- erhalten hatte. Anfang Skala? trainer heute so etwas sagen, dürfte Ganz oben. die öffentliche Reaktion weniger 1987 kam die Familie nach gnädig ausfallen als Ende 2006, Deutschland, über das 25. als die Szene durch den Dokumen- Grenzlager Friedland nach tarfilm „Deutschland. Ein Som- Und Macht? mermärchen“ (Regisseur: Sönke Kusel in Rheinland-Pfalz. Ich würde nicht sagen ganz unten, aber Wortmann) publik wurde – und So- Die SG Blaubach-Diedelkopf recht weit unten. Ich bin absolut kein cial Media noch keine Rolle spielte. wurde Kloses fußballerische Machtmensch. Bei vielen, die ich kenne, ist das anders. Ich glaube, da war ich schon im Tunnel, Heimat. 1999 erhielt er beim das habe ich gar nicht richtig mitbe- 1. FC Kaiserslautern den 26. kommen. ersten Profivertrag; dann folg- Als Trainer immer einen Laptop dabei? 28. ten Stationen bei Werder Ich habe einen im Büro stehen. Darüber Bremen, dem FC Bayern und erledige ich meine E-Mails, lasse mir Der größte Fußballer? bei Lazio Rom. Nach zwei Videos schneiden und schaue mir inte- Messi. ressante Spiele an. Ich bin froh, dass ich Jahren Hospitanz bei der einen sehr guten Co-Trainer habe, der Wie aus der Pistole geschossen. Nationalmannschaft trainiert mir viele solcher Dinge abnimmt. Klar der ehemalige Stürmer ist aber, irgendwann muss ich mich da- 29. hinterklemmen und ihn auch öfters mit- seit vergangenem Sommer nehmen. Schon mal ein Frauenfußballspiel ge- die U17-Mannschaft des sehen? FC Bayern – im neuen Nach- Miro Klose schmunzelt, er weiß Ich habe natürlich schon Frauenfuß- natürlich, worauf die Frage ab- ballspiele gesehen. Das Team vom FC wuchszentrum des Klubs: zielt. Man erinnert sich an Mehmet Bayern zum Beispiel spielt einen sehr dem „FC Bayern Campus“. Scholl, der vor knapp zwei Jahren guten, ansehnlichen Fußball. Das muss Zur Zeit des Interviews stand eine Diskussion über die soge- man sagen. Das habe ich früher ein nannte Laptoptrainer-Generation bisschen unterschätzt und musste mich Kloses Team auf Platz 1 der entfachte, in dem ihm eigenen Stil: mittlerweile korrigieren. U17-Bundesliga Süd/Südwest. „Die können 18 Systeme rückwärts- Vereinsintern hatte man furzen.“ Wichtiger sei ihm aber, wie 30. ein Trainer die Mannschaft mensch- Rang 4 oder 5 als Saisonziel lich führe. Und daran hapere es bei Eine Verhaltensweise, die Du gern ab- ausgegeben. Außer Taktik vielen jungen Coaches ohne eigene, legen würdest. kann Klose auch Fairness höherklassige Fußballerfahrung. Ich bin perfektionistisch veranlagt. (Die Mundwinkel gehen kurz nach oben.) lehren: 2012 erhielt er den 27. Und das ist nicht immer gut. italienischen Fair-Play-Preis, weil er im Spiel gegen SSC Was hast Du bei diesem Satz gedacht? „Die stehen mit dem Rücken zur Wand Neapel ein Hand-Tor zugab. – und wir knallen sie durch die Wand Seine Mannschaft, Lazio Rom, verlor das Spiel 0:3. 11
Reportage ALLES BLEIBT ANDERS Sportvereine sind urdeutsche Kultureinrichtungen und gleichzeitig multikulturelle Integrationsmoto- ren. Menschen mit nichtdeutschen Wurzeln können hier die Sprache, das Land und die Leute kennenler- nen. Und umgekehrt. Im besten Fall verändern die Begegnungen die Beteiligten, ohne dass das jeweils Eigene verloren geht. Auf vorsichtiger Spurensuche Foto: Jakob Schnetz im Gestern und Heute und in verschiedenen Vereinen dieses Landes. 12
KOLUMNENTITEL 13
Reportage sich hier ein neues Leben aufzubauen. Und er ist Text: Martin Theis wichtig für sie. Mit sanfter Unerbittlichkeit müht er sich, seinen Schützlingen Disziplin, Struktur und Pünktlichkeit nahezubringen, all jene Tugenden, die als so typisch deutsch gelten – und es irgend- wie wohl auch sind. Die Jungs, häufig Jugendliche, die ohne ihre Eltern nach Deutschland kamen, werden sie auch außerhalb der Sporthalle brau- chen. „Unsere Politiker reden viel von Integrations- arbeit“, sagt Angenendt, „hier bei uns im Verein machen wir sie.“ D Wie in Essen-Altenessen sind Sportvereine über- ie Frage, ob Deutschland von der Zu- all in Deutschland ein wichtiger Faktor bei der wanderung profitiert, kann Ralf Ange- Integration. Das ist schon lange der Fall, das be- nendt zumindest für den Ringersport legt nicht allein die Lebensdauer des Bundespro- eindeutig beantworten. Der 51-Jährige gramms „Integration durch Sport“. Zu beobachten ist Trainer bei der Germania 1888 Es- war es auch, als in den letzten Jahren verstärkt sen-Altenessen und wuchs in dem sozial sehr ge- Menschen nach Deutschland kamen und die mischten Viertel nahe der ehemaligen Zeche Carl Strukturen und Erfahrungen des organisierten auf, in dem viele Gastarbeiterfamilien zu Hause Sports tausendfache Soforthilfe ermöglichten. sind. Die Germania zieht junge Männer aus Län- Ob und wie sich Deutschland durch Zuwanderung dern an, in denen Ringen ein Nationalsport ist verändert, lässt sich aber schwer bemessen. Viel- und die Kämpfer große Arenen füllen. Früher wa- leicht am ehesten im Mikrokosmos eines Vereins. ren es vor allem die Söhne und Enkel türkischer Die Fragen: Was können Vereine dazu beitragen, Einwanderer, heute sind es Syrer, Afghanen oder dass Menschen in Deutschland ankommen und Pakistaner. „Bei den Landesmeisterschaften in Halt finden? Und was passiert mit ihnen selbst, Nordrhein-Westfalen lag der Anteil von Migran- wenn sie immer multikultureller werden? Das Mit- ten irgendwo zwischen 30 und 50 Prozent“, er- einander – so viel vorweg und wenig überraschend klärt Angenendt, während seine Jungs gerade die – gelingt dort am besten, wo sich beide Seiten auf- Trainingsmatten in der Sporthalle zusammen- einander zubewegen. Geben und Nehmen. Oder, schieben. „Viele Vereine hätten ohne die gar keine wie es der Essener Trainer Angenendt ausdrückt: Mannschaft stellen können.“ „Ich verlange den Jungs alles ab, dafür kriegen sie auch alles von mir.“ TYPISCHE TUGENDEN Weil Ringer in Deutschland ein Nachwuchspro- ALS DIE PUSTE AUSGING blem haben, hat Angenendt über ein Dutzend So ungefähr hatte sich das auch Ruzhdi Bahtija Schulen im Altenessener Umkreis angeschrieben vorgestellt, als er 2004 im schwäbischen Wein- und angeboten, den Kids Schnupperkurse zu ge- garten bei Ravensburg den FC Kosova gründete. ben. Eine Antwort bekam er nicht. Umso wichtiger Der 48-Jährige war 1993 als Kriegsflüchtling aus sind für ihn jene Menschen, die in den vergange- dem Kosovo nach Deutschland gekommen und nen Jahren nach Deutschland gekommen sind, um fand beim Fußballoberligisten aus Ravensburg schnell Anschluss. Doch außerhalb des eigenen Vereins blieb es ein Kampf: „Auf deutschen Sport- plätzen habe ich jede zweite Woche gehört, ich Ralf Angenendt: solle wieder da hingehen, wo ich herkomme“, er- innert er sich. Als er merkte, dass sich seine Träu- Unsere Politiker me vom Profifußball nicht mehr erfüllen würden, versuchte er, etwas Bleibendes zu schaffen. Mit reden viel von Inte- einem kosovarischen Klub, dachte er, würde er ei- nige seiner Freunde und Bekannten von der Stra- grationsarbeit, hier ße holen können: „Damit die nicht auf dumme Gedanken kommen.“ bei uns im Verein Migrantenvereine wie der FC Kosova kämpfen mit Ressentiments und dem Vorurteil, vor allem machen wir sie der Abschottung zu dienen, weniger dem Ankom- 14
Sportvereine und Integration Zwei Charakter- köpfe: Trainer Ralf Angenendt und men in der deutschen Gesellschaft. Bahtija sagt, 15 Nationen, von Rumänien über Libanon bis sein Freund Yücel Kücükarik (l.), dem die Integration seiner Landsleute sei sein Ziel ge- Brasilien. Die gemeinsame Sprache ist Schwä- die Trainingsmatte wesen. Sein Einsatz war immens, er verausgabte bisch und das größte Integrationsproblem ist der zur zweiten Heimat sich als Vorstand, Manager, Trainer und Platz- Winter. „Wenn es zu kalt ist, kommen unsere drei wurde wart. „Die Spieler stammten teils aus entlegenen Gambianer nicht zum Training“, sagt Trainer Sha- Dörfern Kosovos. Sie hatten keine Ahnung, was la und lacht, „noch nicht.“ Die Geschichte des FC Vereinsleben in Deutschland bedeutet“, sagt er. Kosova hat schließlich gezeigt: Nicht alles geht Viele seien ständig zu spät gekommen oder gar einfach, aber vieles ist möglich. nicht aufgetaucht. Auf dem Feld kam es so oft Wie schwierig es sein kann, Menschen aus ver- zu Provokationen, Beschimpfungen und Range- schiedenen Kulturen zu einem Team zu formen leien, dass der Verein in eine andere Kreisliga und mit dem deutschen Vereinsleben bekannt zu wechseln musste. Nach vier Jahren gab Ruzhdi machen, spürt am anderen Ende Deutschlands Bahtija auf. Gabriele Breuing vom SSC Breitensport Schwerin. Sie ist ehrenamtliche Schatzmeisterin sowie Vor- standsmitglied und versucht, aus einer Sportgrup- VON DER CHAOSTRUPPE ZUM TEAM pe von rund 40 geflüchteten Eritreern, Afghanen Knapp zehn Jahre später ist der Klub kaum wie- und Syrern eine Fußballmannschaft aufzubauen derzuerkennen. Das Team führt jetzt Dugaxhin und zum Spielbetrieb anzumelden. Die Hürden Shala, 34 Jahre alt, außer ihm ist aus den An- sind zunächst, ähnlich wie bei der Germania Es- fangsjahren fast niemand mehr dabei. Seiner sen-Altenessen oder dem FC Kosova Weingarten, Fotos: Jakob Schnetz Mannschaft verlangt er die Disziplin ab, die er deutsche Normen rund um die Zuverlässigkeit. „Es aus deutschen Vereinen seit der E-Jugend kennt fällt ihnen auch schwer zu akzeptieren, dass auf – wer nicht pünktlich und regelmäßig trainiert, dem Platz der Schiedsrichter der Chef ist“, sagt bleibt am Spieltag zu Hause. Im vergangenen Breuing. Ein weitaus größeres Problem sei aller- Jahr ist der FC Kosova in die Kreisliga A2 auf- dings, das Geld für die Ausstattung, Beiträge und gestiegen. Mittlerweile kicken hier Männer aus Fahrten zu Auswärtsspielen einzuwerben. 15
Reportage KLIMAWANDEL SEIT 2015 ren sei der SSC immer bunter und vielfältiger ge- Gute Integrationsarbeit sei ein schmaler Grat, sagt worden, sagt Breuing. „Bei uns lernen bereits die Gabriele Breuing: „Einerseits wollen wir die Men- Kinder, mit anderen Kulturen umzugehen.“ Weite- schen nicht verändern. Andererseits müssen sie rer Nebeneffekt: Die Menükarten bei den Vereins- sich uns ein Stück weit anpassen.“ Deshalb macht festen würden interessanter. „Beim letzten Niko- sie über das Bundesprogramm „Integration durch lausturnier etwa haben die syrischen Familien das Sport“ derzeit eine Fortbildung zur Integrations- Catering für alle übernommen.“ beauftragten: „Das hilft mir vor allem, Konflikten Seit dem Beginn der Flüchtlingsdebatte im Jahr vorzubeugen, die nur auf Missverständnissen 2015 nimmt Breuing ein verändertes Klima in der beruhen.“ Der SSC Breitensport Schwerin hat 590 Gesellschaft und bisweilen auch im Verein wahr. Mitglieder, Migranten sind in allen Abteilungen „Dafür, dass wir Flüchtlinge aufnehmen, sind ei- vertreten. Der Verein hat sich bereits in seiner gentlich alle. Aber wenn zum Beispiel Beiträge er- Satzung gegen Diskriminierung positioniert und stattet werden, taucht öfter die Frage auf, warum veranstaltet regelmäßig Turniere im Zeichen der für die mehr getan wird als für andere.“ Nicht ganz Völkerverständigung. In den vergangenen 20 Jah- richtig, aber oftmals sei das Bild schwer zu kor- 16
Sportvereine und Integration Gabriele Breuing: Dafür, dass wir Flücht- linge aufnehmen, sind eigentlich alle. Aber wenn zum Beispiel Beiträge erstattet werden, taucht öfter die Frage auf, warum für die mehr getan wird als für andere rigieren: So erhielten über ein Bildungspaket der Bundesregierung auch ärmere einheimische Fami- lien finanzielle Unterstützung – die Beschwerden kämen paradoxerweise ohnehin von jenen, die das gar nicht nötig hätten. Über staatliche Zu- schüsse deckt der Verein auch die Kosten für ge- meinsame Trainingscamps sowie Kino- und Kegel- ausflüge. „Integration heißt bei uns, dass wirklich niemand ausgeschlossen wird“, sagt Breuing. BLOSS KEINE RUDELBILDUNG Bei den Ringern von Germania Essen-Altenessen achtet Trainer Ralf Angenendt auf ein ausgewo- genes Verhältnis unter den Vereinsmitgliedern, um eine gesunde Basis für Integration zu schaf- fen. Von insgesamt 60 Aktiven zahlen hier etwa 50 Beiträge – Angenendt nennt das einen guten Schnitt. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so um- ständlich ist, Beiträge für Flüchtlinge erstattet zu bekommen“, sagt er. Da ist zum Beispiel Shabir aus Afghanistan, der das Lachen verlernt hatte, bevor er zur Germania stieß. Der immer trainiert, als hinge sein Leben davon ab – und jetzt lang- Im Studium sam beginnt aufzublühen. Drei Monate lang floss hat er deutsche Geld über seinen Betreuer, dann war Schluss. „Der Philosophen auf Junge ist 20 Jahre alt, hat Kraft ohne Ende und will foto aufstellen, es entstehen sofort zwei Gruppen: Russisch gelesen. Im Training lehrt sich mit anderen messen“, sagt Angenendt. „Soll die, die Deutsch sprechen und die, die es noch nicht Ali Mahmudov ich den jetzt zurück auf die Straße schicken?“ Weil können.“ Den Jungs selbst sei das meist gar nicht Dehnungsübun- das für ihn keine Option ist, müssen die Beiträge bewusst. „Ich mische sie dann sofort durch. Bei uns gen (o.) und in der sowie die 150 Euro für Trikots und Trainingsanzug soll schließlich jeder für jeden da sein.“ Kabine Weisheiten vorerst durch die anderen Mitglieder finanziert übers Leben (r.) werden. Angenendt besteht darauf, dass in der Halle aus- DER WEG ZUM WIMPEL schließlich Deutsch gesprochen wird und duldet es Dass das über den Sport hinaus von Bedeutung Fotos: Werner Amann nicht, wenn sich Gruppen bilden. Im jährlichen Trai- sein kann, zeigte sich neulich, als der Afghane ningslager auf einem Bauernhof zum Beispiel, wo Shabir erfolgreich gegen den Ablehnungsbescheid sie ihre Ringermatte in der Heuscheune aufbauen auf seinen Asylantrag klagte: Bei der Bewertung und Angenendt morgens Frühstück für alle macht. der Richter fielen seine sozialen Kontakte im Ver- Er beobachtet immer die gleiche Dynamik: „Egal ob ein positiv ins Gewicht. Angenendt ist froh für ihn beim Essen oder wenn sie sich fürs Mannschafts- und für die Germania, denn die Einheimischen 17
Reportage könnten eine Menge von den Geflüchteten lernen, Draht zu anderen Zuwanderern und bauen für sie zum Beispiel Kampfgeist und Siegeswillen. „Bei dadurch die Hemmschwelle ab, einem Verein bei- denen geht es wirklich um die Ehre.“ Und bei der zutreten. „Das wird zunehmend wichtig bei Flücht- Ehre packt er sie auch, wenn nach einer Nieder- lingsfrauen. Die bleiben häufig zu Hause und küm- lage mal wieder einer den Sport komplett hin- mern sich um die Kinder“, sagt Breuing. „Wie sollen schmeißen will, weil er glaubt, sein Gesicht verlo- die sich dabei integrieren?“ ren zu haben. Wo auch immer du herkommst, in Essen-Altenessen gilt: „Du wirst nur ein echter Ge- winner, wenn du immer wieder aufstehst.“ STEPS IN SCHWERIN Der nächste Schritt, vom Mitmachen zum Mitge- Abteilungsleiter Ali Mahmudov rollt für den SSC stalten, lässt sich beim SSC Breitensport Schwerin Breitensport Schwerin drei Mal wöchentlich die Foto: Karin Kiesel / Schwäbische Zeitung beobachten. Dort leiten Menschen mit Migrations- Aerobicmatte aus. Der studierte Historiker kam im hintergrund bereits die Basketball- sowie die Ae- Jahr 2000 aus Aserbaidschan nach Deutschland. robicabteilung, zwei Gruppen, die vom Bundespro- Im Jahr 2012 gründete er beim SSC eine Gruppe für gramm „Integration durch Sport“ gefördert werden. Frauen im Stadtteil Dreesch, Anziehungspunkt für „Die Kommunikation mit diesen Abteilungsleitern viele Einwandererfamilien aus Osteuropa. Seine ist etwas aufwendiger“, sagt Vorstandsmitglied Teilnehmerinnen kommen aus der Ukraine, Weiß- Gabriele Breuing. Ein Grund: zu Hause unterhiel- russland oder Rumänien, die Kurse hält Mahmu- ten sie sich in ihrer Muttersprache. Außerdem sei dov auf Russisch ab. Über den Landessportbund der Weg in die Gepflogenheiten deutscher Vereine hat er Seminare zur interkulturellen Arbeit be- kein leichter. Das dauere. Ihre Stärken: Oft haben sucht. „Konflikte basieren meist auf Unwissen und sie aufgrund ihrer eigenen Geschichte einen guten Angst“, sagt er. Während seiner Jugend in Baku 18
Sportvereine und Integration Ilker Bagci: Wenn du Teil eines guten Teams bist und lernst, dessen Regeln zu akzeptieren, dann wirst du beinah automatisch zu einem Teil des Landes Der Verein als habe er gelernt, dass es auch anders geht. „Dort Was die Gegner vom FC Kosova auch halten mö- Starthelfer ins lebte meine jüdische Familie friedlich mit ortho- gen: Über die Jahre ist der Verein für einige Neuan- Leben: Trainer Dug- doxen Christen und Muslimen.“ kömmlinge zur Starthilfe in Deutschland gewor- xhin Shala mit Ball und Mannschaft, Vor zwei Jahren hat Mahmudov eine zweite Grup- den. Über eine WhatsApp-Gruppe organisiert das darunter Vertei pe gegründet, für deutsche Fußballmütter, deren Team Hilfe bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, diger Ilker Bagci Söhne zeitgleich auf den Plätzen gegenüber dem bei Umzügen und allem was sonst noch anfällt. (hintere Reihe, Vereinssitz trainieren. Für Mahmudov, der der So hat sich vor Kurzem ein Bosnier für den Verein Mitte) deutschen Sprache gegenüber schüchtern ist, ist entschieden, der zu Hause für Zagreb in der ersten das ein Schritt aus der eigenen Komfortzone. „Er Liga spielte und zu seiner Frau ins Ländle gezogen ist ein super Trainer und sehr engagiert bei der ist. Wie einige andere Teamkollegen hatte er An- Sache“, sagt die Kasachin Larissa Mittelstedt. Ob- gebote von höherklassigen Vereinen aus der Re- wohl sie seine Kontaktaufnahme wenig schmei- gion Ravensburg, hätte dort weiter Geld verdienen chelhaft fand, als der damals wildfremde Mahmu- können. Doch beim FC Kosova, sagt er, hätten sie dov ihr in der Schweriner Straßenbahn empfahl, ihn wie einen Bruder aufgenommen – und das sei mal an einem seiner Kurse teilzunehmen. Gekom- schließlich das Wichtigste. men ist sie trotzdem. Sie sagt, die Teilnahme an Aerobickursen habe ihr geholfen, sich in Deutsch- land nicht so fremd zu fühlen, als sie die Sprache MITTLER ZWISCHEN DEN WELTEN noch nicht beherrschte. Und schon bald könnte Der 30-jährige Verteidiger Ilker Bagci, Sohn türki- sie die Gruppe um weitere Mitglieder bereichern: scher Einwanderer, musste sich trotz seines deut- Mittelstedt arbeitet als Organisationsassistentin schen Passes früh mit dem Thema Integration be- für arabische Flüchtlinge, eine ihrer Klientinnen schäftigen: „Als Kind von Ausländern liegst du in hat sie zum Schnupperkurs eingeladen. Somit be- Deutschland erst einmal 0:3 hinten“, sagt er. „Ich ginnt die Integrationsarbeit von Gabriele Breuing musste mich immer doppelt beweisen, bevor ich und ihren Kollegen beim SSC Breitensport Schwe- akzeptiert wurde.“ Und das, obwohl ihn seine El- rin langsam zu streuen. tern zur Offenheit erzogen hätten, er mit seinen deutschen Freunden Weihnachten gefeiert und sie zum muslimischen Fastenbrechen nach Hause FC KOSOVA ALS STARTHILFE eingeladen habe. Als er etwa in die fünfte Klas- Das einst erworbene Image zu korrigieren, braucht se kam, habe ihm sein Lehrer am Gymnasium viel Zeit. Und so kämpft der FC Kosova Weingar- klargemacht: Du schaffst höchstens den Haupt- ten noch immer mit Vorurteilen aus vergangenen schulabschluss. Heute hat Bagci sein Studium der Tagen. „Ich war selber ein Hitzkopf“, sagt Trainer Elektrotechnik abgeschlossen und engagiert sich Dugaxhin Shala, der früher auch mal wegen Be- ehrenamtlich, gibt Geflüchteten Mathenachhilfe leidigung des Schiedsrichters vom Platz geflogen oder unterstützt sie bei der Kommunikation mit ist. „Heute kann ich meinen Jungs aus Erfahrung den Ämtern. „Aus meiner Familie weiß ich, was es sagen, dass es besser ist, cool zu bleiben.“ Auch bedeutet, hier von vorne anzufangen“, sagt Bagci. wenn man sich als Mensch mit Migrationshinter- „Ich kann für die Menschen deshalb eine Brücke grund, der es in Deutschland nicht immer einfach zur deutschen Gesellschaft sein.“ gehabt hat, schnell persönlich angegriffen fühle. Einem Sportverein beizutreten, würde Ilker Bagci Eine Sache versuche er seiner Mannschaft daher jedem von ihnen empfehlen. „Wenn du Teil eines mitzugeben: „Ich schaue mir oft Spiele unserer guten Teams bist und lernst, dessen Regeln zu ak- deutschen Konkurrenten an. Die sind miteinander zeptieren“, sagt er, „dann wirst du beinahe auto- genauso schonungslos wie mit uns.“ matisch zu einem Teil dieses Landes.“ 19
Power und Lebens- freude: Samira Bouizgarne gehört zu den besten Judoka in Deutsch- land. Tokyo 2020 hat sie fest im Blick ZEITEN WANDEL?
Drei Generationen Zuwanderung gab es immer schon, und Integration mithilfe des Sports mindestens seit Turnvater Jahns Zeiten. Doch wie haben sich Ankommen und Alltag in den vergangenen Jahrzehnten in der Bundes- republik verändert, wie fühlt es sich für Menschen mit fremdländischen Wurzeln in Deutschland an? Zwei Sportler und eine Sportlerin aus drei Generatio- nen geben Einblick: Yalcin Özer, Wilbert Olinde und Samira Bouizgarne. A Text: Frank Heike ls seine Begleitung spürt man die Blicke, die Wilbert Olinde auf den 500 Metern von seiner Wohnung zum Café im Hamburger Stadtteil Winterhude auf sich zieht. Er selbst scheint mit seinen 202 Zenti- metern über den Dingen zu stehen. Aber die aus- gefahrenen Ellenbogen in der deutschen Gesellschaft anno 2019 bemerkt dieser wache, freundliche Mann sehr wohl. „Ich sage: Leute, entspannt euch. Wenn ihr rausgeht, ist da kein Tiger, der auf euch lauert. Wir leben nicht mehr in Höhlen“, sagt Wilbert Olinde und begleitet diese Einschätzung mit ei- nem für ihn typischen Lachen. Er fühlt sich wohl. Obwohl hier, in einem schönen und vergleichsweise homogenen Quartier Hamburgs, schon geguckt wird, wer dieser lange, schwarze Mann ist. Olinde kennt diese Blicke. Aus San Diego und Los Angeles, wo Fotos: (l.) Christoph Maderer, (r.) Thomas Gentsch er aufgewachsen ist. Und ein wenig auch aus Göttingen. Dort reifte er zum Basketballstar. Olinde, 63, sagt: „Die Sensibilität, die man als junger Schwarzer entwickelt, um Warnsignale zu erkennen, ist noch da. Aber ich verhalte mich heute anders. Selbstbewusster. Entspannter. Ich gehe ohne Angst in Situa- tionen. Ich will nicht vorgefärbt sein.“ „Alltagsrassismus“ sollte in diesem Gespräch eigentlich kein Thema sein, weil Wilbert Olinde an anderer Stelle behauptet hatte, es langweile ihn. Aber wer als schwarzer Basketball- profi in die deutsche Provinz der 1970er- und 1980er-Jahre kommt, kann schwerlich ohne diese Erfahrungen durchge- kommen sein. Stichwort: Sensibilität. Olinde bleibt erst im Allgemeinen, ehe er auf sich zu sprechen kommt. „Die The- men Rassismus und Integration gehören zusammen. Der afri- 21
Drei Generationen Offen und ohne Angst in Situatio- nen gehen: Wilbert Olinde
Drei Generationen kanische Fußballspieler wird bejubelt, wenn er ein Tor schießt durch den Sport eine Menge Leute, da ist es egal, woher man – aber unterstützen sie ihn auch, wenn es nicht läuft?“ Sät- kommt. Aber ich bin durch den Sport deutsch. Ich renne mit ze, die einen beim Zuhören unmittelbar in den vergangenen dem deutschen Adler auf dem Anzug herum. Also repräsen- Sommer führen. Zu den Erfahrungen eines deutschen Fuß- tiere ich das, woher ich komme. Ich finde das gut. Ich habe ballspielers mit türkischen Wurzeln, nachdem die National- deswegen noch nie negative Erfahrungen gemacht.“ Samira mannschaft in Russland aus dem WM-Turnier geflogen war. Bouizgarne könnte sich vorstellen, dass die Unterscheidung Bei Olinde hatte das oft böse Spiel von Zuschreibungen und nach äußeren Merkmalen eine Kategorie älterer Leute ist. Erwartungen eine andere Färbung. Er kam als privilegierter Universitätssportler 1977 zum SSC Göttingen und „die Vorstel- lung der Deutschen war: Jemand, der schwarz ist und aus den DIE HÜRDE GENOMMEN USA kommt, der muss super springen und werfen können. Ältere Leute – mit seinen 76 Jahren zählt sich Yalcin Özer Alle diese Bilder waren in den Köpfen“, sagt Olinde mit sicht- ganz bestimmt dazu. Nicht auf jede Frage möchte oder kann barem Vergnügen. „Aber dann die Erkenntnis – oh, der spielt Özer eine Antwort geben; ob eine Generation mehr nach Äu- eher für die Mannschaft, statt als Solist zu glänzen! Sie waren ßerem urteile als eine andere? Er wisse es nicht. Özer sagt: nicht so begeistert von meiner Leistung.“ „Ich habe in Deutschland gelebt und gearbeitet, als wäre ich Doch so einfach wegzutauchen, getreu dem Motto: Augen hier geboren. Aber ich kenne Türken der dritten Generation, zu und durch, das funktionierte nicht. Die Kritik konzentrierte die seit 30 Jahren hier leben, die können nicht richtig Deutsch sich auf ihn, diesen langen, dünnen „Ami“, der zu selten warf, sprechen. Das verstehe ich nicht.“ kaum traf. Er sagt: „Nachdem ich mich entschieden hatte, Seine deutsche Sozialisation begann nach den Olympischen länger in Deutschland zu bleiben, war klar: Ich muss zeigen, Spielen 1960. Als 18-Jähriger kam Yalcin Özer aus Ankara was ich kann. Also punkten. Nachdem ich in drei Spielen erst nach Rom. Im Geräteturnen wurde er 115. Von 170 teilnehmen- 14, dann 15, schließlich 30 Punkte gemacht hatte, sagte die Freundin eines Mitspielers zu mir: Heute hast du gespielt wie ein Amerikaner.“ Später, als die Mitspieler besser wurden und Olinde sich auf seine Fähigkeiten konzentrieren konnte, wur- den die Göttinger drei Mal Deutscher Meister. Samira Bouizgarne: MIGRATIONS... WAS? Ich renne mit dem Samira Bouizgarne ist 34 Jahre jünger als Wilbert Olinde. Und deutschen Adler auf sie hat komplett andere Erfahrungen gemacht. Alltagsrassismus? Samira lacht. „Habe ich noch nie erlebt, dem Anzug herum. sorry“, sagt sie. Für das, was sie erlebt, findet sie keine Über- schrift, keinen passenden Begriff. Sie erzählt einfach. „Es pas- Also repräsentiere siert mir oft, dass Leute sagen: Ey, Samira, was hörst du für coole Musik. Was ist das, das wollen wir auch hören. Oder ich das, woher ich dass mir jemand sagt: Samira, deine Haare, die sind so schön. Ich hätte gern Haare wie du.“ Samira Bouizgarne lacht. Ist komme. Ich finde klar, das klingt viel besser, als sagte jemand: „Wie siehst du denn aus?“ „Was ich ebenfalls oft höre, ist: Oh Mann, ich hätte das gut auch gern eine andere Nationalität, immer dieses Deutsche. Ich antworte dann: Ey, was willst du, Deutschland ist doch cool!“ Die 19-jährige Samira Bouizgarne, dunkle, volle und lockige Haare, die sie meistens hochgesteckt trägt, hat keine „andere Nationalität“. Ihr Vater ist Marokkaner, die Mutter Deutsche, sie ist in Krefeld geboren und sie hat einen Pass mit Bundes- adler. Nur diesen. Kurios, dass eine junge Frau mit Migrati- den Sportlern. „Durch die Olympischen Spiele erhielt mein Le- onshintergrund (der sperrige Ausdruck stört sie nicht weiter) ben eine Richtung“, sagt Özer, der bislang alle Sommerspiele von ihren biodeutschen Freunden für ihre vage „Andersartig- besucht hat und ein begeisterter Anhänger der Olympischen Foto: Gunter Glücklich keit“ bewundert wird – und sich deutscher vorkommt als jede Idee ist, sogar einen eigenen, nicht ganz aktuellen Olym- Deutsche, wenn sie ihnen erzählt, wie schön es hier ist. Ihre pia-Blog im Internet führt. Der Turner Helmut Banz, Olym- Lebensfreude steckt an, nicht nur Gleichaltrige. piasieger im Pferdsprung von 1956, animierte Özer vier Jah- Samira nimmt die Frage der Herkunft und der Identität mit re später, nach Deutschland zu kommen, um in Köln an der einer Leichtigkeit, die manches vereinfacht. Nicht zu verwech- Sporthochschule zu studieren. Özer folgte dem Vorschlag, seln mit Gedankenlosigkeit. „Ich bin so viel unterwegs, kenne machte sein Examen und wurde Sportlehrer – 39 Jahre lang 23
Begegnungen Yalcin Özer: Der Sport Wie den Respekt vor dem anderen religiösen und kulturellen Hintergrund. Zuletzt kämpfte sie gegen eine Ägypterin mit ist mein ganzes Kopftuch. Das sei ganz normal gewesen, sagt sie. Ist der Sport, Judo insbesondere, eine bessere Welt? Das nun Leben. Ich war immer bestimmt nicht, sagt Samira Bouizgarne. Aber: „Ich empfinde Fremdes als Bereicherung. Und ich glaube, dass Sport Inte im Sportverein mit gration vereinfacht. Es ist trotzdem nicht so, dass ich alles von meiner Gegnerin und ihrer Herkunft wissen will, nur, weil Menschen aus vielen sie anders aussieht. In erster Linie will ich gewinnen.“ Ländern zusammen. ALLES EINE FRAGE DER ZEIT? Ich profitiere bis heute Die Verabschiedung von Wilbert Olinde nach einem grünen Tee im Café zieht sich in die Länge. Integration und Sport ist davon ein Thema mit vielen Facetten. Es begleitet und beschäftigt ihn seit 40 Jahren. Olinde würde nie einen Vergleich zu den Geflüchteten der vergangenen Jahre anstellen: „Ich bin nicht aus Angst oder vor Krieg aus einem anderen Land geflüchtet. Mir drohte keine Abschiebung. Ich war weder einsam, noch habe ich mich gelangweilt. Die Leute in Göttingen haben sich um mich gekümmert, mir wurde geholfen. Als guter Sport- auf derselben Stelle an einem Bonner Gymnasium. „Meine ler war ich privilegiert. Basketball war mein Türöffner, um mir einzige Hürde war die Sprache“, sagt Yalcin Özer, „aber ich hier ein Leben aufzubauen. Und ich muss sagen, dass das bin ein sehr disziplinierter Mensch und als ich sie konnte, Vereinssystem, das man in den USA nicht kennt, super ist, um standen mir in Deutschland alle Türen offen.“ Es gäbe noch Leute kennenzulernen. Ich habe über meine Mitspieler Kon- ein paar Fragen an Yalcin Özer. Aber er hat genug zum The- takt in die Familien bekommen und Deutschland erlebt. Mir ma gesagt, meint er. Dann überlegt er kurz und fügt an: „Der wurde es leichtgemacht, was auch daran lag, dass ich mich Sport ist mein ganzes Leben. Ich war immer im Sportverein für Deutschland interessiert habe. Ich habe nicht darauf ge- mit Menschen aus vielen Ländern zusammen. Ich profitiere schaut, was mir hier als Amerikaner fehlt. Sondern was für bis heute davon: Ich bin 76 Jahre alt, fühle mich aber wie 18.“ mich da ist.“ Wilbert Olindes Leben hat Brüche: eine schwere Krankheit, eine Scheidung, Arbeitslosigkeit. Mittlerweile lebt der selbst- ZUR NOT MIT ZEICHENSPRACHE ständige Coach in Hamburg, zufrieden mit seiner zweiten Samira Bouizgarne und ihr älterer Bruder Benjamin haben Frau und drei Kindern. Da bleibt genug Platz, um gesell- viele Sportarten ausprobiert, sind beim Judo hängen ge- schaftlichen Entwicklungen in Deutschland nachzuspüren blieben. Mit neun Jahren ging es für sie richtig los. Sie ge- und zu analysieren. wann auf Kreisebene, auf Bezirksebene und ist jetzt als Sanft kommt das herüber, wenn Olinde spricht, nicht wie die U-23-Kämpferin in der Gewichtsklasse bis 78 Kilogramm endgültige Wahrheit, aber sehr nachvollziehbar und mit Er- unter den drei, vier besten deutschen Frauen. Eine Knieverlet- fahrungen aus der eigenen Biografie getränkt. Kann der zung von Anfang Februar wirft zwar einen dunklen Schatten Sport als Integrationsmotor funktionieren, so wie es alleror- auf ihre sportlichen Planungen, zu denen im Juni dieses Jah- ten postuliert wird? Olinde sagt: „Man darf die Vereine nicht res die „Ruhr Games“ in Duisburg gehören, Europas größtes mit Erwartungen überfrachten. Du kannst nicht zu Geflüch- Jugend-Sport-Festival. Und natürlich die Vorbereitungen auf teten sagen: Geht zum Sport, dann wird alles gut. Es müssen „Tokio 2020“. Aber Samira Bouizgarne, die für den 1. JC Mön- Voraussetzungen zur Integration da sein. Auch außerhalb chengladbach startet, hat im Karrierefahrplan ohnehin eher des Vereins.“ die Olympischen Spiele 2024 markiert: Dann ist sie im besten Olinde ist längst Integrationsbotschafter, spricht in Diskus- Judoalter. sionsrunden zum Thema, berät Vereine. Über sein Jahr in Auf einem Sportinternat in Köln sozialisiert und seit Septem- Göttingen hat der Autor Christoph Ribbat ein lesenswertes ber 2018 in Diensten der Bundespolizei, kann sich Samira Bou- Buch geschrieben, das zeigt, wie vergleichsweise offen das izgarne am Olympiastützpunkt Köln voll um ihren Lieblings- Göttingen der 1970er-Jahre für diesen schwarzen Basketbal- sport kümmern, an dem sie Fairness und Respekt voreinander ler war. schätzt – und die Internationalität. „Wir verständigen uns auf Zum Schluss richten sich Olinde Gedanken noch einmal auf der Matte zur Not mit Zeichensprache, das klappt immer“, den Anfang, als der 22 Jahre alte Schlaks von San Diego nach Foto: Privat sagt sie. Beeindruckt zeigt sie sich von den gemischten Trai- Deutschland kam. Und nicht ein Jahr bleibt, sondern zehn. ningslagern in Japan, von der Höflichkeit, der Ehrfurcht vor Olinde sagt: „Wir sprechen über Menschen. Und Menschen dem Alter. Werte, die Samira im Alltag hochhalten möchte. brauchen Zeit.“ 24
Drei Generationen Bei der Arbeit: Die Olympischen Spiele haben meinem Leben eine Richtung gegeben, sagt Geräteturner Yalcin Özer
GRENZ- ÜBER- Flüchtlingscamp Zaatari in Jor- danien. 80.000 Menschen und wenige Perspektiven. Sport soll vor allem den Jugendlichen helfen SCHREITUNG Ein Bundesprogramm wie „Integration durch Sport“ ist weltweit einmalig. Doch Sport ist bekanntlich vielsprachig und wird auch in anderen Ländern ge- nutzt, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Foto: dpa Picture Alliance Integration zu befördern. Oder um Abwechslung in eher triste Lebensverhältnisse zu bringen. Sehr un- terschiedliche Beispiele aus fünf Ländern. 26
Sportprojekte international unterstützen kann“, sagt Karin Grafarend, Leiterin Interna- WUNDEN tionales beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). „Genau da kann der Sport ansetzen.“ Der DOSB ist seit Mitte HEILEN letzten Jahres Partner der Gesellschaft für Internationale Zu- sammenarbeit (GIZ) in einem Sportprojekt in Jordanien. In Jordanien hat im Verhältnis zur eigenen vielen Schulen des Landes werden syrische und jordanische Bevölkerung mehr Flüchtlinge als jedes Kinder in zwei Schichten getrennt voneinander unterrichtet. Beim Sport aber kommen beide Gruppen zusammen. Auch europäische Land aufgenommen. Ver- haben Zaatari-Bewohner schon an Fußballturnieren in Am- schiedene internationale Initiativen man sowie an Marathonläufen teilgenommen. versuchen, den Menschen mit Sportan- „Peace and Sport“ fokussiert sich mehr auf die Arbeit inner- halb des Lagers. Die Organisation mit Sitz in Monaco wurde geboten zu helfen. 2007 von Joël Bouzou gegründet, dem französischen Bronze- medaillengewinner im Modernen Fünfkampf bei den Olym- Text: Philipp Mattheis pischen Spielen 1984 in Los Angeles. Seine Initiative soll eine Brücke zwischen Sport und Friedensarbeit schlagen. „Wir wollen mit Sport Wunden heilen und Hoffnung und Selbst- E wert zurückgeben“, sagt Projektleiter Perrin-Mortier. „Sport hilft den Flüchtlingen sowohl körperlich als auch psychisch“, sagt Marwa Hashem vom UNHCR in Jordanien. s ist eines der größten Flüchtlingscamps der Stress, Depressionen und Aggressionen können so gelindert Welt und mittlerweile die viertgrößte Stadt Jor- werden. „Außerdem schafft er Vertrauen, unter den Camp daniens. 80.000 Menschen leben auf 5,3 Qua- bewohnern genauso wie zwischen ihnen und der lokalen Be- dratkilometern in Zaatari, an der Grenze zu völkerung.“ Syrien. Die überwiegende Mehrheit der Bewohner sind Bür- Zwar sei die Gewalt nicht exorbitant höher als außerhalb gerkriegsflüchtlinge aus dem Nachbarland. des Lagers, sagt Perrin-Mortier, aber Spannungen gebe es „Unser Ziel ist es, das Leben in diesem riesigen Flüchtlings- zuhauf. Viele der Jugendlichen waren aufgrund des Krieges camp friedlicher zu gestalten“, sagt für mehrere Jahre nicht mehr in der Jean-Jerome Perrin-Mortier, Projekt- Schule. Jetzt müssen sie gemein- leiter bei „Peace and Sport“, eine von sam mit deutlich jüngeren Kindern sechs Sportinitiativen in Zaatari. Seit in einer Klasse unterrichtet werden. Anfang 2017 bietet die NGO in Zu- Das führe besonders bei Jungs zu sammenarbeit mit dem UN-Flücht- Aggressionen. Einige müssen sich lingshilfswerk (UNHCR) Tischtennis, gar allein durchschlagen, weil ihre Kickboxen und eine neue Form des Familien noch in Syrien sind. Und Straßenbaseballs namens „Base- das lange und ungewisse War- ball5“ an. Ihre Zielgruppe sind die ten führt zu Frustration und Hoff- vielen Tausend Kinder in Zaatari. nungslosigkeit. In den kommenden Laut UNHCR waren im vergangenen Monaten wollen die Mitarbeiter Jahr rund 20 Prozent der Bewohner evaluieren, ob und wie Sport dazu des 2012 gegründeten Camps jünger beiträgt, Kriminalität und Gewalt als fünf Jahre, mehr als die Hälfte zu verhindern. jünger als 17 Jahre alt. Auch beim Thema Geschlechterge- Für das kleine Jordanien, in dem rechtigkeit hilft Sport: Mädchen und gerade einmal zehn Millionen Men- Jungen werden im Camp in zwei schen leben, ist dies eine große He- Schichten getrennt voneinander Foto: dpa Picture Alliance / Muhammad Hamed rausforderung. Anfang 2019 zählte unterrichtet – die Mädchen am Vor- man mindestens 670.000 Flüchtlin- mittag, die Jungen am Nachmittag. ge aus Syrien. Inoffizielle Quellen Sport soll den vielen Gemeinsamer Sport, vor allem Kon- sprechen sogar von 1,4 Millionen Flüchtlingskindern in taktsportarten, ist für viele undenk- Zaatari Hoffnung geben Menschen. Hinzu kommen rund bar. Leichter gestaltet sich das beim zwei Millionen Palästinenser, die Tischtennis oder Baseball5. Wichtig teilweise seit Jahrzehnten im Land leben. Nur der Libanon sei es allerdings, die Eltern der Mädchen einzubeziehen. hat im Vergleich zu seiner Bevölkerungszahl mehr Flüchtlin- Um Vertrauen zu schaffen, wurden deshalb sechs Frauen zu ge aufgenommen. Dort kommen auf vier Millionen Einwoh- Trainerinnen ausgebildet. ner 1,5 Millionen Gefüchtete. Nur die wenigsten von ihnen Etwa 300 Kinder nehmen täglich an den Programmen von leben dort in Camps. 90 Prozent sind in Gemeinden gezogen. „Peace and Sport“ teil. Rund 2000 sind bisher damit in Kon- „Eine wichtige Frage ist daher, wie man die Flüchtlinge und takt gekommen. Das ist zwar wenig im Vergleich zur Zahl der die Bevölkerung der aufnehmenden Gemeinden gemeinsam Bewohner, aber prägend für jedes Kind. 27
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