Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH

Die Seite wird erstellt Karina Pietsch
 
WEITER LESEN
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
Nr. 03Nr.
                                                        / September
                                                            01 / April 2017

                            Arbeit –
                      das halbe Leben?
Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
Inhalt                                        Liebe Leserinnen, liebe Leser,
    „Arbeit ist das
                                                  die politischen Debatten im Landtag wurden zuletzt überschattet von der Trauer um
    halbe Leben“                         5 – 12
                                                  Axel Bernstein. Der CDU-Parlamentarier war am 24. August tödlich verunglückt.
    Gute Arbeit, schlechte Arbeit             5   ­A bgeordnete und Mitarbeiter sind noch immer bestürzt über den plötzlichen Tod des
                                                   Christdemokraten, der nur 43 Jahre alt wurde.
    Diskussion um Sonntagsarbeit             6
                                                   An den Debatten im Juli über die Ladenöffnung am Sonntag und über gestresste Lehrer
    Gesundheitsmanagement für Lehrer          7    hat Axel Bernstein noch teilgenommen. Diese Themen sind Teil unseres inhaltlichen
    Umfrage: Abgeordnete und                       Schwerpunktes – der Ausgestaltung der Arbeitswelt. Wir haben außerdem bei
                                                   Abgeordneten nachgefragt, wie sich ihr beruf liches „Vorleben“ auf ihre jetzige politische
    ihre erlernten Berufe                    8
                                                   Tätigkeit auswirkt. Und wir blicken zurück ins Jahr 1956, als die Metallarbeiter im
    Im Rückblick:                                  Norden für eine soziale Errungenschaft in den Streik traten, die heute selbstverständlich
    Der Metallarbeiter­streik 1956/57        10    scheint: die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
    Debatten über Renten und Pflege          12    Am 31. Oktober feiern die evangelischen Christen das 500. Jubiläum der Kirchen­
                                                   reformation. Wir haben dazu den Luther-Biografen Prof. Heinz Schilling befragt, der
                                                   im Sommer im Landtag zu Gast war. Der 13-jährige Niklas Bruhn aus Dithmarschen
    Die Seite für das Ehrenamt               13    hat sich ebenfalls mit dem Reformator beschäftigt. Der Nachwuchs-Historiker hat
    Personalien                              14    einem geplanten Mord an Martin Luther nachgespürt und damit einen ersten Preis beim
                                                   Landesgeschichtswettbewerb gewonnen. Wir stellen seine Arbeit vor.

    Im Zentrum                                    Viel Freude beim Lesen
    Die Wappen im Landeshaus            16 – 17   und einen schönen Herbst wünscht

                                                                                                            ­ZÄHLBARES
                                                  Ihre Redaktion

                                                                                                   5,4 Millionen
    Plenarberichte                      18 – 19
    Bafög, Fairness im Wahlkampf             18
    Haus der Geschichte                      19                                                      So viele Menschen zwischen
                                                                                                15 und 74 Jahren wollen in Deutschland
                                                                                                 mehr arbeiten als zurzeit. Das besagt
                                                                                                    die Arbeitskräfteerhebung des
    Altenparlament für höhere Renten        20
                                                                                                      Statistischen Bundesamtes.
    Ausschüsse: Endlagersuche,
                                                                                                            Mehr zum Thema
    Wahlprüfung, Straßenverwaltung           21                                                                ab Seite 5.
    Leichte Sprache: Behinderte
    Menschen ohne Wahl-Recht                 22

    Die Bundestagswahl im Lande              23

    Parlamentarismus                24 – 25
    Was ist erlaubt im Plenum?              24                                         Trauer um Axel Bernstein
    Neue Abgeordnete über ihre                         Mit einer Schweigeminute hat der Landtag zu Beginn seiner September-Sitzung
    ersten Eindrücke                         25     des langjährigen Abgeordneten Axel Bernstein gedacht. Der CDU-­Politiker war am
                                                    2 4. August auf seinem Grundstück in Wahlstedt (Kreis Segeberg) tödlich verun-
                                                    glückt. „Wir haben einen engagierten, humorvollen und über alle Fraktionsgrenzen
    500 Jahre Reformation 26 – 28                   hinweg hoch geachteten Kollegen verloren“, sagte Landtagspräsident Klaus Schlie.
    Gespräch mit dem Luther-Biografen                  Bernstein, der in Neumünster geboren wurde und seit seiner Jugendzeit in Wahl­
    Prof. Heinz Schilling                   26      stedt wohnte, hinterlässt Ehefrau Melanie und zwei Kinder. Er wurde 43 Jahre alt. Schlie
                                                    sprach der Familie das Mitgefühl aller Abgeordneten aus.
    Geschichtswettbewerb:
                                                       Der Historiker und Kommunikationsberater zog 2005 erstmals in den Landtag ein.
    Kriminalfall Luther                     28
                                                    2009 erlangte Bernstein den Doktortitel und wurde, bis 2012, Parlamentarischer Ge-
                                                    schäftsführer seiner Fraktion. Ab 2015 agierte er als Landesgeschäftsführer der CDU,
    Bücherecke, Impressum                   29      den Posten gab Bernstein Ende vergangenen Jahres ab. Im Landtag hatte er sich auf die
    Im Porträt:                                     Bereiche Innen und Recht sowie Medien spezialisiert. Bei der Wahl im Mai hatte Axel
    Katrin Wagner-Bockey (SPD)              30      Bernstein seinen Wahlkreis Segeberg-Ost erneut klar gewonnen.
                                                       Landtagspräsident Schlie hob hervor, dass Axel Bernstein zwar akzentuiert und mit
    Ins Bild gerückt:                               Entschiedenheit für seine Überzeugung eingetreten sei – „dies aber mit einem ganz
    Zu Besuch im Landeshaus                  31     eigenen, besonders feinen und fairen Stil, dem er auch in jeder noch so hart geführten
    Termine, Termine, Termine                32     Debatte treu blieb“.

2                                                          DER LANDTAG 03 /2017
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
AKTUELL

Anette Röttger                                                              Haushalt 2018 erst im Februar
neu im Landtag                                                                Erst im kommenden Februar will die Koalition den Landeshaushalt
  In der September-Sitzung                                                  2018 beschließen. Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) hat dem
hat Landtags­ präsident Klaus                                               Finanzausschuss einen entsprechenden Zeitplan vorgelegt. Demnach
Schlie die Lübecker CDU-                                                    sollen bis Anfang Oktober die Haushaltseckwerte neu gefasst und vom
Politikerin Anette Röttger                                                  Kabinett beschlossen werden. Ende November will die Regierung über
als      Landtagsabgeordnete                                                ihren Haushaltsentwurf entscheiden. Die Erste Lesung im Landtag ist
verpflichtet. Röttger trat die                                              für Mitte Dezember vorgesehen, anschließend beraten die Ausschüsse
Nachfolge des verstorbenen                                                  und die Fraktionen. Die Zweite Lesung ist dann für die Sitzung vom
Axel Bernstein an. Sie ist die                                              21. bis 23. Februar 2018 angesetzt.
nächstfolgende Kandidatin                                                     Die Neubildung der Landesregierung und der veränderte Zuschnitt
auf der CDU-Landesliste zur                                                 der Ressorts erforderten eine Korrektur der bisherigen Planungen, so
Wahl am 7. Mai. Die 53-Jährige ist Diplom-Ernährungswissenschaft-           Heinold. Normalerweise werden die Haushalte jeweils im Dezem-
lerin, verheiratet und hat drei erwachsene Söhne. Seit 2008 gehört sie      ber des Vorjahres verabschiedet. Die Opposition kritisierte den Plan:
der Lübecker Bürgerschaft an, seit 2012 ist sie CDU-Kreisvorsitzende        Damit würden sämtliche Landesverwaltungen zwei Monate lang zur
in der Hansestadt.                                                          Tatenlosigkeit gezwungen, rügte Lars Harms (SSW).

„Rockeraffäre“ wohl bald im                                                   Wortwörtlich
Untersuchungsausschuss                                                            „Ich finde das Relativieren der Krawalle und die Realitäts­
                                                                               verweigerung von zahlreichen linken Aktivisten, Publizisten und
      Die SPD-Fraktion will einen Parlamentarischen Untersuchungs-             auch Politikern wirklich unerträglich. Es ist schlichtweg unsinnig,
ausschuss (PUA) zur Aufklärung der sogenannten Rockeraffäre be-                       unhistorisch und gefährlich, wenn behauptet wird,
antragen. Das hat der innenpolitische Sprecher Kai Dolgner Anfang                    dass Gewalt per se nicht links motiviert sein könne.“
August erklärt. Dolgner kündigte den entsprechenden Antrag für                                       (Christopher Vogt, FDP)
die Oktober- oder Novembersitzung an und skizzierte acht mög­
liche T  ­ hemenkomplexe. Im Kern geht es um Vorwürfe von Mobbing,              „Der Linksextremismus hat, wenn auch nur vorübergehend,
­Aktenmanipulation und der Unterdrückung von Beweismitteln gegen              den Staat entmachtet. Der Linksextremismus hat den Krieg erklärt
 das Landeskriminalamt. Die Behörde soll Ermittlungen erschwert                           und in Hamburg offenen Terror ausgeübt.“
 ­haben, um einen vermeintlichen V-Mann aus der Rocker-Szene zu                                        (Claus Schaffer, AfD)
  decken.
      Die Reaktion auf den SPD-Vorstoß war verhalten. Die anderen
                                                                              „Wenn Leute glauben, sie seinen links, und wenden Gewalt an, dann
  ­Fraktionen verwiesen auf die bereits laufenden Untersuchungen im
                                                                                sind sie alles Mögliche, aber nicht links, sondern Gewalttäter.“
   Innen- und Rechtsausschuss, der Akteneinsicht zu dem sieben Jahre
                                                                                                       (Ralf Stegner, SPD)
   alten Fall beantragt hat. Diese sei noch nicht abgeschlossen, so dass
   ein PUA zu früh komme. Der Landtag muss einen Untersuchungs­
   ausschuss einsetzen, wenn ein Fünftel seiner Mitglieder dies verlangt.     „Rechtsfreie Räume wie die ‚Rote Flora‘ darf es nicht länger geben.
   Das wären 15 der 73 Abgeordneten. Die SPD verfügt über 21 Mandate.         Wir können nicht weiter tolerieren, dass damit Vorbereitungs- und
                                                                                Rückzugsräume für gewalttätige Extremisten vorhanden sind.“
                                                                                                       (Tobias Koch, CDU)

Immunität von Volker Schnurrbusch                                             „Warum wurden über 20.000 Polizistinnen und Polizisten nicht so
                                                                               eingesetzt, dass sie geschätzte 1.500 autonome Gewalttäterinnen
aufgehoben                                                                     und Gewalttäter im Schanzenviertel in Schach gehalten haben?“
                                                                                                     (Eka von Kalben, Grüne)
  Der Landtag hat Ende Juli die Immunität des AfD-Abgeordneten
Volker Schnurrbusch teilweise aufgehoben. Dafür stimmten CDU,
                                                                                    „Für uns stellt sich die Frage nach der Tauglichkeit des
SPD, Grüne, FDP und SSW, die AfD enthielt sich. Die Aufhebung der
                                                                              Austragungsortes. Vorrangig sollte es um die Frage gehen, ­welcher
Immunität für den Vollzug eines Durchsuchungsbeschlusses der ­Kieler
                                                                                 Ort über die besten Voraussetzungen verfügt. Pragmatismus
Staatsanwaltschaft wurde auf die Beschlagnahmung elektronischer
                                                                                vor Prestige, so sollte die zukünftige Maxime zur Auswahl von
Geräte beschränkt. Bei den Ermittlungen geht es dem Ver­nehmen nach
                                                                                            ­deutschen Austragungsorten lauten.“
um einen mehrere Monate zurückliegenden Facebook-Eintrag, in dem
                                                                                                        (Lars Harms, SSW)
die Antifa mit der nationalsozialistischen SA gleichgesetzt worden sei.
Schnurrbusch betonte, er selbst habe den beanstandeten Beitrag nicht
verbreitet und legte Mitte August Beschwerde beim Amtsgericht Kiel                                Aus der Debatte am 19. Juli
ein.                                                                                   über die Krawalle beim Hamburger G20-Gipfel

                                                              DER LANDTAG 03 /2017                                                                   3
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
AKTUELL

Ostseeparlamentarier                             Die schleswig-holsteinische Delegation
                                                 bestand aus Landtagsvizepräsident Rasmus
                                                 ­
für Tourismus und                                Andresen, der auch die Grünen vertrat, sowie
                                                 Hartmut Hamerich (CDU), Wolfgang Baasch
­gegen Hasskommentare                            (SPD), Stephan Holowaty (FDP), Volker
   Der Ostseeraum soll als Urlaubsregion bes-    Schnurrbusch (AfD) und Jette Waldinger-
ser vermarktet werden. Deshalb forderte die      Thiering (SSW). 2018 werden die finnischen
Ostseeparlamentarier-Konferenz (Baltic Sea       Åland-Inseln den BSPC-Vorsitz über­nehmen.
Parliamentary Conference, BSPC) bei ­ihrem
26. Jahrestreffen Anfang September in Ham-
burg in einer Resolution die Regierungen der     Personalwechsel
Ostseeregion auf, ein gemeinsames Ostsee-
Label zu entwickeln. Mit Blick auf die sinken-
                                                 bei der FDP
de Wahlbeteiligung und Teilhabe an demo­             Nach der Bundestagswahl zeichnen sich
kratischen Prozessen in etlichen L    ­ändern    personelle Veränderungen in der FDP-
setzte sich die Versammlung zudem dafür          Fraktion ab. Der langjährige Fraktions-
ein, über Möglichkeiten einer strafrecht­        chef Wolfgang Kubicki, der einen Sitz im
lichen Verfolgung von Hasskommentaren            Berliner Reichstag errungen hat, kündig-
und Falschnachrichten zu beraten. In vielen      te an, sein Landtagsmandat im Dezember
Ländern zögen Menschen sich „auf scheinbar       ­niederzulegen. Für ihn wird wahrscheinlich
einfache, ausschließlich auf den Nationalstaat    der Polizei­beamte Jörg Hansen aus Stockels­
bezogene Lösungen“ zurück, um komplexen           dorf (Kreis Ostholstein) nachrücken. Als
Herausforderungen zu begegnen, erklärte die       Nachfolger im Amt des F ­ raktionschefs schlug   Blutspender kamen
BSPC-Vorsitzende, die Hamburger Bürger-
schaftspräsidentin Carola Veit.
                                                  Kubicki den bisherigen Parlamentarischen
                                                  Geschäfts­führer ­Christopher Vogt vor. FDP-
                                                                                                   ins Landeshaus
   Seit ihrer Gründung 1991 fördert die Ost-      Sozial­minister Heiner Garg will sein Land-         62 Blutspender, davon 17 Erstspender,
seeparlamentarierkonferenz die Zusammen-          tagsmandat ebenfalls aufgeben und sich auf       wurden Mitte September im Landeshaus
arbeit nationaler und regionaler Parlamente       seinen Ministerposten konzentrieren. Für         zur Ader gelassen. Der Landtag und das
im Ostseeraum. In ihr sind Abgeordnete aus        Garg wird voraussichtlich der Rechtsanwalt       Deutsche Rote Kreuz (DRK) rufen seit
Deutschland, Russland, Polen, Schweden,           Jan-Marcus Rossa aus Dassendorf (Kreis           2005 jedes Jahr auf, bei einer eintägigen
Norwegen, Finnland, Dänemark, Island,             ­Herzogtum Lauen­burg) in den Landtag ein-       Aktion Blut zu ­spenden. Auch Minister-
Estland, Lettland und Litauen vertreten.           ziehen.                                         präsident Daniel Günther steuerte einen
                                                                                                   halben Liter bei (s. Foto). Schirmherr war
                                                                                                   wieder Parlamentspräsident Klaus Schlie.
                                                                                                   DRK und Politik rühren die Werbetrom-
                                                                                                   mel für die Blutspende, denn die Zahl der
                                                                                                   Spender ist rückläufig. Deutschlandweit
                                                                                                   wurden im vergangenen Jahr 2,93 Milli-
                                                                                                   onen Spenden gezählt, 48.500 weniger
                                                                                                   als im Jahr zuvor. Allein in Schleswig-­
                                                                                                   Holstein und Hamburg werden pro Tag
                                                                                                   etwa 550 Blut­konserven benötigt.
                                                                                                      Seit kurzem werden homo- und
                                                                                                   bisexuelle Männer nicht mehr pauschal
                                                                                                   ­
                                                                                                   von der Blutspende ausgeschlossen. Die
                                                                                                   Antidiskriminierungsstelle des Landtages
                                                                                                   begrüßt grundsätzlich diese neue Richt­
                                                                                                   linie der Bundesärztekammer. „Allerdings
                                                                                                   hat man eine Diskriminierung durch
                                                                                                   eine andere ersetzt“, kritisierte die Lei-
                                                                                                   terin der Diskriminierungsstelle Samiah

Landtag auf der Norla                                                                              El ­Samadoni Ende August. Von homo-
                                                                                                   und bisexuellen Männern werde vor der
  Der Landtag war Anfang September erneut auf der Landwirtschafts- und                             Spende eine einjährige Enthaltsamkeit
Verbraucher­messe Norla vor Ort. Auf dem Rendsburger Messegelände standen Ab-                      gefordert, von heterosexuellen Männern
geordnete und Mitarbeiter zu Gesprächen bereit. Infobroschüren und eine digitale                   jedoch nicht. Die Richtlinie berücksichti-
Präsentation lieferten Informationen über das Parlament. Ein interaktives Quiz                     ge in ­keiner Weise Männer, die in festen
lockte mit zahlreichen Preisen. Auf der größten Agrarmesse in Norddeutschland                      Partnerschaften lebten oder die geschütz-
präsentierten sich in diesem Jahr rund 600 Aussteller aus ganz Deutschland und                     ten Sexualverkehr mit anderen Männern
dem Ausland. Die Norla lockte erneut rund 70.000 Besucher an.                                      hätten.

4                                                           DER LANDTAG 03 /2017
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
ARBEIT

„Arbeit ist
das halbe
Leben“
Stimmt dieser Spruch? Zumindest ist die Arbeit
für die meisten Menschen sehr wichtig. Entweder,
weil sie einen großen Teil ihrer Zeit damit
verbringen. Oder, weil sie dafür nicht das Geld
bekommen, das sie für angemessen halten. Oder,
weil sie zu wenig oder gar keine Arbeit haben
und sich ausgegrenzt fühlen. Die Erwerbsarbeit
hat im abgelaufenen Bundestagswahlkampf eine
wichtige Rolle gespielt, und auch der Landtag hat
                                                                                   Einerseits ...
sich in jüngster Zeit mit verschiedenen Aspekten                                       vermeldet der deutsche Arbeitsmarkt seit
des Themas befasst. Auf den folgenden Seiten                                       e­ inigen Jahren einen Rekord nach dem anderen.
                                                                                    44,3 Millionen Menschen gehen einer Erwerbs-
greifen wir einige Gesichtspunkte heraus.
                                                                                    tätigkeit nach, so viele wie noch nie. Gleichzeitig
                                                                                    sinkt die Arbeitslosenquote beständig. Im August
                                                                                    lag sie in Schleswig-Holstein bei 6,1 Prozent. Vor
                                                                                    zehn Jahren waren es noch 8,3 Prozent. Ein gro-
                                                                                    ßer Teil der Beschäftigten in Deutschland scheint
                                                                                    zufrieden: 45 Prozent sind seit mindestens zehn
                                                                                    Jahren beim selben Arbeitgeber. Und: Die Gefahr,
                                                                                    bei der Arbeit zu verunglücken, ist inzwischen
                                                                                    gering. Pro Jahr gibt es statistisch gesehen einen
                                                                                    tödlichen Arbeitsunfall pro 100.000 Erwerbs­
                                                                                    tätige. 1995 lag der Wert noch dreimal so hoch.

                                                              Andererseits ...
                                                                 gibt es auch negative Zahlen. 40 Prozent der Er-
                                                              werbstätigen leiden unter einer zu hohen Arbeits­
                                                              intensität. Deutschlandweit haben 2,8 Millionen
                                                              Beschäftigte über 25 Jahren nur einen befristeten
                                                              Vertrag – meistens für weniger als ein Jahr. Das
                                                              sind neun Prozent aller Arbeitnehmer und da-
                                                              mit ein Drittel mehr als vor 20 Jahren. Fast jede
                                                              zweite Neueinstellung ist befristet. Bundesweit
                                                              8,8 Millionen Beschäftigte stehen regel­    mäßig
                                                              nachts, an Feiertagen oder an Wochenenden auf
                                                              dem Posten. Schleswig-Holstein schneidet im
                                                              Bundesvergleich teilweise schlecht ab, etwa beim
                                                              durchschnittlichen Brutto-Stundenlohn. Der
                                                              liegt im Lande bei 20,62 Euro, weit unter dem
                                                              westdeutschen Schnitt.

                                                    DER LANDTAG 03 /2017                                                                  5
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
ARBEIT

 Ladenöffnung:
 Wird der Sonntag zum Werktag ?
 Das Grundgesetz schützt die Sonntagsruhe, aber der Urlauber schätzt den Sonntags­
 einkauf. Die Jamaika-Koalition will deswegen gemeinsam mit Wirtschaft, Gewerkschaften
 und Kirchen prüfen, ob die Öffnungszeiten am siebten Wochentag ausgeweitet werden
 sollten. SPD und SSW pochten im Juli hingegen auf die seit 2013 gültige Bäderregelung.
 In der Debatte ging es um die Interessen der Tourismuswirtschaft und des Einzelhandels
 wie auch der Beschäftigten.

    Insbesondere die FDP wolle offenbar „auf          Es geht nicht nur
 Kosten der Arbeitnehmer die bestehende               um Badeorte
 Rechtssicherheit unnötig aufkündigen“,
 schimpfte Regina Poersch (SPD). Ihre Forde-         Neben der Bäderregelung geht es auch
 rung: Die Bäderverordnung, die Ende 2018          um die vier verkaufsoffenen Sonntage pro
 ausläuft, soll um weitere fünf Jahre verlängert   Jahr, die jede Kommune im Land aus­rufen
 werden. Die Jamaika-Partner betonten hin­         kann – also nicht nur Ferienorte. Laut einem
 gegen, dass es zunächst um eine ergebnis­         Gerichtsurteil können diese Shopping-
                                                   ­
 offene Prüfung gehe, denn die Situation in        Sonntage allerdings nicht willkürlich ter-
 der Tourismusbranche und im Einzelhandel          miniert werden. Sie müssen an ein örtliches
 habe sich in den vergangenen Jahren m   ­ assiv   Groß­ ereignis, etwa ein Volksfest, ange-
 ge­ ändert. Der CDU-Abgeordnete Klaus             dockt ­werden. Diese Regelung sei ungenau,
 ­Jensen von der Urlaubsinsel Pellworm merk-       monierte Oliver Kumbartzky (FDP). Die
                                                   ­
  te an: „Das Einkaufserlebnis als eines der       Koalition wolle für „Vereinfachung und
  Top-­ Urlaubsaktivitäten hat an Bedeutung        Rechtssicherheit“ sorgen, denn der Sonntag
  gewonnen.“ Und Wirtschaftsminister Bernd         sei „teilweise der umsatzstärkste Tag“.
  Buchholz (FDP) unterstrich: „Schleswig-            Flemming Meyer (SSW) kritisierte, dass       Regina Poersch
  Holstein ist ein Tourismusland“, und kein        Jamaika nur über eine Flexibilisierung reden   (SPD): „Arbeit­
  Gast stehe gerne vor verschlossenen Türen.       wolle, nicht aber über eine Einschränkung      nehmer haben ein
    Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Eka von        der Sonntagsöffnung. Dabei sei unklar, ob      Recht auf Freizeit
  Kalben erwartete komplizierte Verhandlun-        längere Öffnungszeiten tatsächlich im gan-     und Feiertage.“
  gen. Nicht nur Urlauber, Arbeitgeber, Arbeit-    zen Lande gewünscht werden. „Hat sich die      Zudem seien
  nehmer mit ihren Familien und die Kirchen,       Bäderverordnung in Tönning bewährt, aber       ­Arbeitsplätze in Gefahr, „wenn kleine Geschäfte
  sondern auch das Ehrenamt und der Sport          in Travemünde nicht?“, fragte er. Hierüber     den Wettbewerb gegen die Großen verlieren“.
  seien betroffen. „Wenn die Interessen so weit    lägen bislang keine „systematischen Zahlen“
  auseinander gehen, dann kann die Lösung nur      vor.
  in einem Kompromiss liegen“, so von Kalben.        Die AfD äußerte sich in der Debatte nicht,   Klaus Jensen
                                                   unterstütze aber bei der Schlussabstimmung     (CDU): „Der
                                                   die Position der Regierungskoalition.          Online-Handel
                                                                                                  entwickelt sich
                                                                                                  zunehmend zu
                                                                                                  einer echten Kon­
                                                                                                  kurrenz für den
                                                                                                  Einzelhandel.“ Deswegen sei es nicht sinnvoll, die
                                                                                                  jetzige Bäderverordnung einfach zu verlängern.

Stichwort
                                                                                                  Wirtschafts­
     Bäderverordnung                                                                              minister Bernd
       Die Absprache zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Kirchen sieht vor, dass die          Buchholz (FDP):
     Läden in etwa 100 Urlaubsorten vom 17. Dezember bis 8. Januar sowie vom 15. März bis         „Man kann einen
     31. Oktober sechs Stunden pro Sonntag öffnen dürfen, und zwar im Zeitrahmen von 11 bis       Feiertag nicht nur
     19 Uhr. Dies gilt für Supermärkte oder Souvenirläden, die Waren des täglichen Bedarfs an-    dann heiligen,
     bieten. Baumärkte, Autohäuser oder Möbelgeschäfte sind ausgenommen. Das Abkommen             wenn die Geschäfte geschlossen sind.“ Weniger
     läuft im Dezember 2018 aus.                                                                  Sonntagsöffnung als jetzt sei für ihn „keine Option“.

 6                                                            DER LANDTAG 03 /2017
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
ARBEIT

Viele Lehrer leiden unter                                                                         Stichwort
Stress im Klassenzimmer                                                                            Lehrer und Gesundheit
                                                                                                   Mehrere aktuelle Studien beschreiben die
Der Landtag will Schleswig-Holsteins            Verwaltungs­    aufgaben oder eine bessere         Arbeitsbelastung der Lehrer.
gestresste Lehrer entlasten. Die ­Koalition     ­Ausstattung der Arbeitsplätze.                     Laut dem Verband Bildung und Erzie-
will zunächst die Pädagogen im ­Lande                Das Vorhaben der Koalition stieß im             hung betrachtet knapp die Hälfte der
­be­fragen, Experten sollen dann im              Grundsatz auch bei den Oppositions­                 Lehrer die gestiegene Zahl an internen
 ­kommenden Jahr ein „Konzept zur Ver­           fraktionen auf Zustimmung. Umstritten war           Konferenzen und Besprechungen als
  besserung des Gesundheitsmanagements“          lediglich, wann das Gesundheitskonzept vor-         Stressursache.
  erstellen.                                     liegen soll. SPD und SSW schlugen vor, das         Das Deutsche Ärzteblatt weist darauf
                                                 stressige Ende des Schuljahres abzuwarten.          hin, dass psychische und psychosoma-
   Grund für die Sorge: Die Belastung steigt     Entsprechend würde es bis 2019 dauern, um           tische Erkrankungen bei Lehrkräften
seit Jahren. Lehrer müssen mit unterschied-      die Bestandsaufnahme zu erstellen. Kai Vogel        sehr viel häufiger vorkommen als bei
lich begabten Kindern klarkommen, die            (SPD) warf dem Jamaika-Bündnis einen                anderen Berufsgruppen. Zu den Symp­
Digitalisierung managen, die Inklusion
­                                                ­„unnötigen Schnellschuss“ vor. Die „Belas-         tomen gehören Erschöpfung, Müdig-
behinderter Schüler stemmen und Jungen            tungsveränderungen im Laufe des Schul­             keit und Kopfschmerzen.
und Mädchen mit ausländischen Wurzeln             jahres“, etwa die Zeugniskonferenzen und          Der Philologenverband streicht heraus,
integrieren. Hinzu kommen „administrative         Abschlussprüfungen im Frühjahr, blende die         dass die Arbeitszeit von Lehrern – Un-
Aufgaben“, wie Konferenzen und Elternge-          Koalition aus. Das Ergebnis der Lehrer­            terricht, Vorbereitung, Korrekturen,
spräche, so Bildungsministerin Karin Prien        befragung sei bereits absehbar, meinte Jette       Konferenzen und Gespräche – erheb-
(CDU). „Jeder fünfte Lehrer denkt an eine         ­Waldinger-Thiering (SSW). Die Pädagogen           lich über dem Durchschnitt der Lan-
Frühpensionierung“, verwies Anita Klahn            würden voraussichtlich mehr Personal an den       desbeamten liege: um 215 Stunden pro
(FDP) auf eine aktuelle Studie. „Das ist mehr      Schulen fordern. „Wir hoffen sehr, dass die       Jahr.
als ein Alarmsignal.“ Tobias Loose (CDU)           Landesregierung dann die richtigen Schlüsse      Die Technische Universität München
verwies auf den Lärm im Klassenzimmer              zieht“, so W
                                                              ­ aldinger-Thiering.                   hat herausgefunden, dass 40 Prozent
und das manchmal gestörte Betriebsklima:             Frank Brodehl (AfD) hielt es ebenfalls für      der Grundschullehrer dauerhaft er-
„Schülerinnen und Schüler, aber auch Leh-       „realistischer“, mehr Zeit für das Konzept           schöpft sind. 25 Prozent leiden häufig
rerinnen und Lehrer sind nicht immer nett.“     einzuplanen. Als Mittel gegen Lehrer-Stress          unter Nacken- oder Rückenschmerzen,
Als ­ Lösungsansätze nannte Ines Strehlau       forderte er „einen Verzicht auf permanente           17 Prozent haben Schlafstörungen.
(Grüne) mehr Teamarbeit, Entlastung bei         Schulreformen und ständig neue Erlasse“. ­

                                                           DER LANDTAG 03 /2017                                                               7
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
ARBEIT

     Umfrage                                                                                       Anita Klahn, FDP,
                                                                                                   Industriemeisterin Druck:

„Meine berufliche Erfahrung                                                                        „Nach meinem Realschulabschluss habe
                                                                                                 ich mich ganz bewusst für eine duale

ist das Fundament meiner                                                                         Berufsausbildung in der Druckindustrie
                                                                                                 entschieden, die mir stabil und zukunfts-
                                                                                                 sicher erschien, aber auch Perspektiven zu

parlamentarischen Arbeit“                                                                        weiteren Qualifikationen ermöglichte.
                                                                                                   Wurden damals Zeitungen, Kataloge und
                                                                                                 so weiter noch mit viel händischer Arbeit
                                                                                                 in mittelständischen Unternehmen vor Ort
Politiker zu sein, das ist kein Lehrberuf. Abgeordnete bringen                                   erstellt, so sind heute viele Arbeitsschritte
Erfahrungen aus ihrem Arbeitsleben mit ins Parlament.                                            durch Technik ersetzt, werden die Druck-
                                                                                                 erzeugnisse in wenigen Großdruckereien
Wir haben bei Parlamentariern aus allen Fraktionen                                               produziert. Aktuell erleben wir, dass die
nachgefragt, wie diese Erfahrungen im Landtag helfen,                                            gedruckte Zeitung zunehmend von der
                                                                                                 digitalen Lesefassung abgelöst wird. Diesen
und folgende Antworten bekommen.                                                                 Wandel erleben wir auch in anderen Berufs-
                                                                                                 feldern. Fachkräfte werden europa- und auch
                                                                                                 weltweit in Konkurrenz um gute Arbeits-
                                                                                                 plätze stehen. Unsere Kinder müssen mit
                                                                                                 einer guten schulischen Bildung darauf vor-
                                                                                                 bereitet werden.
    Jette Waldinger­Thiering,                                                                      Gleichzeitig veränderte sich das Familien-

    SSW, Lehrerin:                                                                               bild. Ich wollte in meinem Beruf arbeiten und
                                                                                                 gleichzeitig Familie haben. Nicht nur, dass
                                                                                                 in der männerdominierten Druckindustrie
   „Als Lehrerin hatte ich in meinem Berufs-                                                     kaum Teilzeitarbeitsplätze angeboten wur-
alltag mit ganz unterschiedlichen Menschen                                                       den, es fehlten auch Kita-Plätze. Als wir diese
zu tun: vom Erstklässler bis zum jungen                                                          dann bekamen, waren die Elternbeiträge un-
Erwachsenen, vielfältigen Kolleginnen und                                                        säglich hoch. Aus der Gesamtschau resultiert
Kollegen und Eltern – und damit im Grun-                                                         mein politisches Engagement: beste Bildung
de mit allen Altersgruppen und Menschen                                                          für unsere Kinder, damit diese ein selbst-
unterschiedlichster Herkunft. Das war eine                                                       bestimmtes Leben führen können! Familien-
ganz wunderbare Zeit, an die ich oft und                                                         und Wirtschaftspolitik gehören einfach
gerne zurückdenke. Und gerade die intensive                                                      zusammen – es gibt noch viel zu tun!“
Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern
vermisse ich bis heute. Denn junge Menschen
sind häufig besonders offen und freuen sich
auf neue Begegnungen.
   Vor diesem Hintergrund habe ich mich für
meine Tätigkeit als Abgeordnete für die Be-
reiche Bildung, Gleichstellung und Europa
entschieden. Gleiche Startchancen, der         es wichtiger denn je, dass wir über Grenzen
barrierefreie Zugang zu Bildung und echte      hinweg denken und über Grenzen hinweg
Teilhabemöglichkeiten sind die Voraus-         zusammenarbeiten. Für unser aller Zukunft
setzungen für ein selbstbestimmtes Leben.      ist nicht zuletzt die konstruktive und vertrau-
Diese Dinge liegen mir besonders am Herzen     ensvolle Zusammenarbeit im Ostseeraum
und gerade hier bringe ich mein Wissen und     unerlässlich. Hierfür und für ein solidarisches
meine Erfahrung besonders gerne ein.           und friedliches Europa werde ich mich auch
   Als Mitglied der dänischen Minderheit       weiterhin einsetzen.“
bin ich es gewohnt, Brücken zu bauen um
Barrieren zu überwinden. Gerade heute ist

8                                                         DER LANDTAG 03 /2017
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
ARBEIT

  Hauke Göttsch, CDU,                              Sandra Redmann, SPD,
  Agraringenieur:                                  Buchhändlerin:

  „Nach meinem Studium der Agrarwissen-            „Meine Erfahrung als Buchhändlerin hilft
schaften habe ich im vor- und nachgelagerten     mir sehr oft bei meiner Tätigkeit als Parla-
Bereich der Landwirtschaft gearbeitet, wo        mentarierin, denn in beiden Bereichen gehe
ich bis heute tätig bin. Parallel übernahm ich   ich mit Menschen um. Als Buchhändlerin
ab 1998 kommunalpolitische Mandate und           habe ich gelernt, mit Menschen ins Gespräch
Ämter in meiner Heimatgemeinde Ehndorf           zu kommen und ihnen zuzuhören, sie zu
(Kreis Rendsburg-Eckernförde) und bin seit       beraten und ihnen Lösungen aufzuzeigen,
2013 Bürgermeister der Gemeinde.                 zum Beispiel wenn sie ein Buch als Geschenk
                                                 suchten, aber nicht genau wussten, welche
                                                 Art von Buch, welcher Autor, welches Thema
                                                 dem Beschenkten Freude machen würden.
                                                 Dazu gehört natürlich auch, dass ich mich mit
                                                 Büchern gut auskennen und wissen muss,
                                                 wovon ich rede.
                                                   In der Politik geht es auch darum, mit Men-
                                                 schen darüber zu sprechen, was sie bewegt
                                                 und was ich Ihnen als Lösung anbieten kann,
                                                 natürlich auf der Grundlage meiner Grund-         Marret Bohn, Grüne,
                                                 werte und Überzeugungen. Ich habe schon
                                                 immer SPD gewählt. Eine meiner Kundin-            Ärztin:
                                                 nen war im Ortsverein Bad Schwartau und
                                                 fragte mich, ob ich nicht mal in eine Sitzung     „Da ich im Landtag die einzige Ärztin bin,
                                                 kommen möchte. Dies war der Einstieg in die     werde ich oft gefragt, auf welchem Weg ich
                                                 Kommunalpolitik.“                               in die Politik gekommen bin und warum
                                                                                                 ich mich für Gesundheits- und Sozialpolitik
                                                                                                 engagiere. Meine berufliche Erfahrung ist
                                                                                                 das Fundament meiner parlamentarischen
                                                                                                 Arbeit. Ich bin von Hause aus Internistin
                                                                                                 und habe im Friedrich-Ebert-Krankenhaus
                                                                                                 in Neumünster mit großer Begeisterung
  Zwar macht mir die Kommunalpolitik bis                                                         auf der Intensivstation gearbeitet. Da liegt
zum heutigen Tage sehr viel Spaß, dennoch                                                        es für mich auf der Hand, dass ich in meiner
entwickelte sich im Laufe der Zeit auch durch                                                    Fraktion für Gesundheitspolitik engagiere.
die Arbeit in meinem Beruf der Wunsch,                                                           Mein Lieblingsbeispiel: Der Abbau des Sanie-
landespolitisch tätig zu werden. Auf Landes-                                                     rungsstaus der Krankenhäuser in Schleswig-
ebene sind die Gestaltungsspielräume für                                                         Holstein. Mit vielen Beispielen aus meiner
eine Verbesserung der hiesigen Landwirt-                                                         täglichen Arbeit im Krankenhaus konnte
schaftspolitik, der ich mich sehr verbunden                                                      ich meine Fraktion überzeugen, dies zum
fühle, deutlich größer als auf kommunaler                                                        Schwerpunkt unseres Sanierungsprogramms
Ebene. Seit 2009 gehöre ich dem Landtag als                                                      zu machen. Am Ende war der Beschluss sogar
Mitglied des Umwelt- und Agrarausschusses                                                        einstimmig – darüber habe ich mich riesig
an, dem ich zwischen 2012 und 2017 vorstand.                                                     gefreut. Ob es um die Arbeitsbelastung im
Für mich war von Anbeginn meiner landes-                                                         UKSH, um die Situation der Pflege oder in
politischen Tätigkeit klar, dass ich meine im                                                    der Geburtshilfe geht, ich habe immer die
Studium und im Berufsleben angeeigneten                                                          Patienten im Blick und ein offenes Ohr für die
Kenntnisse und Fähigkeiten in jenem Aus-                                                         Beschäftigten. Für meine parlamentarische
schuss am effektivsten anwenden kann. Ich                                                        Arbeit sind auch meine guten Kontakte als
kenne die aktuellen Herausforderungen der                                                        ehemalige Betriebsrätin sehr hilfreich.“
Landwirtschaft durch meinen Beruf, dem ich
nach wie vor nachgehe, sehr genau und kann
daher die Landwirte in meinem Ausschuss
wirkungsvoll unterstützen.“

                                                            DER LANDTAG 03 /2017                                                             9
Arbeit - das halbe Leben? - Debatten über Stress am Arbeitsplatz, Sonntagsarbeit, Pflege und Rente - Landtag SH
IM RÜCKBLICK
                                                 VOR 61 JAHREN

                Was hat die Landespolitik in früheren Zeiten bewegt?
       In dieser Serie blicken wir ins Archiv und spüren nach, was den Landtag in vergangenen Zeiten beschäftigt hat.
      Diesmal geht es ins Jahr 1956, als die schleswig-holsteinischen Metallarbeiter in einem viermonatigen Streik für die
                                           Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kämpften.

                                                                                                                   Alle Räder stehen still:
                                                                                                           Streikposten vor dem Werkstor

1956:                                        Ein Relikt aus dem Jahr 1897 sorgte knapp
                                         60 Jahre später für einen der längsten Streiks
                                         in der deutschen Geschichte. Ende des 19.
                                                                                                                 der Kieler Howaldt-Werft

Metallarbeiter                           Jahrhunderts beschloss der Reichstag ein
                                         Gesetz, das Angestellten im Krankheitsfall
                                         die volle Lohnfortzahlung für sechs W­ ochen
                                                                                           hatte die Industriegewerkschaft Metall die
                                                                                           Lohnfortzahlung im September 1956 zum

an der Küste                             garantierte. Arbeiter blieben jedoch von
                                         ­dieser sozialpolitischen Errungenschaft aus-
                                          geschlossen, und sie blieben es nicht nur
                                                                                           „Dreh- und Angelpunkt gewerkschaftlicher
                                                                                           Politik der nächsten Zeit“ erklärt.
                                                                                              Die Metallarbeiter in Schleswig-Holstein

im                                        im Kaiserreich, sondern auch während der
                                          ­Weimarer Republik, der Nazi-Zeit und der
                                           ersten Jahre der Bundesrepublik.
                                                                                           waren die ersten, die diese Forderung durch-
                                                                                           setzen wollten. Nachdem Verhandlungen
                                                                                           mit den Arbeitgebern gescheitert waren,

Rekord-Streik                                 Kein Geld an den
                                              ersten drei Tagen
                                                                                           ­traten am Mittwoch, den 24. Oktober 1956, zu
                                                                                            Beginn der Frühschicht 32.000 Beschäftigte
                                                                                            aus 25 Betrieben in Kiel, Lübeck, Flensburg,
                                           Das hatte gravierende Auswirkungen.              Elmshorn und Lauenburg in den Ausstand.
                                         Wurde ein Arbeiter krank, musste er zunächst       Schwerpunkt war der Schiffbau, allein in Kiel
                                         drei „Karenztage“ überstehen, in d­ enen er gar    beteiligten sich 11.000 Arbeiter der Howaldt-
                                         keinen Lohn bekam. Anschließend gab es ein         Werft.
                                         „Haus- und Krankengeld“, das nur etwa die
                                                                                               „Gefährdung der
                                         Hälfte des Arbeitslohns betrug. Männer w­ aren
                                                                                               Wirtschaftskraft“
                                         in den 1950er-Jahren in der Regel Allein­
                                         verdiener, und ein Fabrikarbeiter brachte im         Der Landtag beriet am 14. November über
                                         Schnitt 350 D-Mark nach Hause. Fiel er über       die angespannte Lage. Der Streik wirkte sich
                                         längere Zeit aus, nagte die g­ esamte Familie     inzwischen auf das gesamte Wirtschaftsleben
                                         am Hungertuch. Und die Zeiten ­waren hart in      im Norden aus, und eine Lösung war auch
                                         den Fabriken und auf den Werften. Im stren-       nach drei Wochen nicht absehbar. Minister-
                                         gen Winter 1955/56 zog eine Erkältungswelle       präsident Kai-Uwe von Hassel (CDU), der
                                         durchs Land. Während des Jahres 1955 hatte        mehrere erfolglose Vermittlungsversuche
                                         fast jeder vierte Werftarbeiter an Nord- und      unternommen hatte, warnte vor den „gefähr-
                                         Ostsee einen Unfall. Vor diesem Hintergrund       lichen Folgen für unsere mit großen Opfern

10                                                  DER LANDTAG 03 /2017
IM RÜCKBLICK

der gesamten Bevölkerung aufgebaute junge            Walter Damm von der oppositionellen          „Man soll nicht dramatisieren, was an einzel-
schleswig-holsteinische Wirtschaft und die       SPD warf Konservativen und Liberalen hin-        nen Stellen einmal passiert“, entgegnete der
mit erheblichen Mühen erreichte Verbes-          gegen vor, kein Verständnis für die Lebens-      Sozialdemokrat Damm.
serung des sozialen Lebensstandards“. Der        wirklichkeit „an der Drehbank oder vor dem         Auf den verwaisten Werften, wo nur noch
Streik führe zu Produktionsausfällen, und        Hochofen“ zu haben: „Man muss einmal             Angestellte und Lehrlinge zum Dienst an­
die Werften hätten „fast keine Neuaufträge“      an der Stelle des Arbeiters gestanden haben      traten, herrschte weitgehender Stillstand. Die
mehr. Auch in Zulieferbetrieben drohten Ent-     und muss spüren, wie eine Krankheit auf          Lübecker Flender-Werft sagte den Stapellauf
lassungen und Kurzarbeit. Ein Neben­effekt,      ­einen zukommt und man nicht in der ­Lage        eines Neubaus ab. Die Taufpatin, die Frau
so der Regierungschef: „Allein im Raum Kiel       ist, rechtzeitig zum Arzt zu gehen, weil die    eines indischen Ministers, reiste ab, ohne
                                                                                                  ­
ist der Verbrauch an elektrischer Energie seit    ­Kinder dann nicht mehr versorgt wären und      die Sektflasche geschleudert zu haben. Die
Beginn der Streiks um 25 bis 40 Prozent zu-        weil die Miete nicht mehr bezahlt werden       Werktätigen mussten mit etwa 70 D-Mark
rückgegangen“. Hans Kersig (FDP) erinnerte         könnte.“ Damm setzte, wie der gesamte          Streikgeld pro Woche auskommen. Um sie
an die bevorstehenden Feiertage und die dro-       Landtag, auf eine baldige Schlichtung: „Ich    und ihre Angehörigen bei Laune zu halten,
henden Einbußen im Einzelhandel: „Denken           glaube, dass es, sobald die Partner an einem   organisierte die IG Metall ­Kinovorstellungen,
wir doch einmal an die Auswirkungen, die           Tisch sitzen, keine 24 Stunden dauern wird,    Revue-Abende
                                                                                                  ­                   und      „Hausfrauennach­
dieser Streik jetzt zum Weihnachtsfest hat,        bis der Streik zu Ende ist.“                   mittage“. Ganz so freudlos wie befürchtet
wenn die Hausfrauen von ihren Männern                                                             wurden die Feiertage dann doch nicht: Zu
                                                      Feindschaft und
oder von ihren Söhnen Geld erbitten, um                                                           Weihnachten trafen Päckchen und Geld­
                                                      Weihnachtspakete
­Geschenke zu kaufen, mit denen sie den An-                                                       spenden von solidarischen Mitbürgern aus
 gehörigen Freude machen wollen. Das wird          Da irrte er sich. Die Fronten blieben ver-     ganz Deutschland im Norden ein.
 in diesem Jahr schwerlich möglich sein.“        härtet, teilweise herrschte offene Feind-
                                                                                                       Am Ende stand ein
                                                 schaft. Der Streik weitete sich aus, am Ende
    „Verständnis                                                                                       Teilerfolg
                                                 waren 35.000 Menschen in 38 Betrieben be-
    für die Arbeiter“
                                                 teiligt. Die Wirtschaftsverbände schalteten            Unterdessen      liefen    Schlichtungsver-
  Der damals 28 Jahre alte ­CDU-Abgeordnete      Zeitungs­anzeigen, in denen sie an Arbeits­      handlungen. Ein erster Vorschlag stand am
Gerhard Stoltenberg, später lang­     jähriger   willige appellierten: „Zeigt Zivilcourage!       Sil­
                                                                                                  ­     vestertag 1956 zur Abstimmung – und
Ministerpräsident, hielt den Streik ausge-       Lasst Euch durch den Terror der Gewerk-          fiel mit einem Nein-Votum von 97 Pro-
rechnet im Armenhaus Schleswig-Holstein          schaft nicht einschüchtern!“ Die konservative    zent bei den Arbeitern glatt durch. Auch ein
für fehl am Platze: „Warum verlangt              „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ befürchte-      ­zweites und ein drittes Kompromisspapier
man bei uns mit der schweren Waffe des           te eine „verstärkte Tendenz zum Krankfeiern       fanden keine Mehrheit. Erst Urabstimmung
Streiks, was in den blühenden ­    Industrien    und zur illegalen Arbeitszeitverkürzung“,         ­Nummer vier am 14. Februar 1957 führte zum
Nordrhein-Westfalens, was im reichen
­                                                sollte die Lohnfortzahlung kommen.                 Ende des Streiks – nach 114 Tagen.
Hamburg nicht vereinbart wurde?“ Zudem,            Andererseits wurden arbeitsbereite Kolle-            Die Metallarbeiter hatten einen Teilerfolg
so Stoltenberg, habe es doch bereits einen       gen als „Streikbrecher“ unter Druck gesetzt.       erzielt. War ein Beschäftigter mehr als eine
großen Schritt nach vorne für die Industrie-     Die Flensburger Streikleitung versandte            Woche krank, so wurden ihm 1,5 „Karenz­
arbeiter gegeben: das „Bremer Abkommen“          Briefe, in denen es hieß: „Judas verkaufte
                                                 ­                                                  tage“ erstattet. Bei zwei Wochen Krank-
zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften         seinen Herrn für 30 Silberlinge. Wofür ver-        schreibung wurden alle drei „Karenztage“
aus dem September 1956, das die Wochen­          kaufst Du Deine Kollegen?“ CDU-Mann                bezahlt. Und: Das Krankengeld stieg auf 90
arbeitszeit von 48 auf 45 Stunden reduzierte –   Stoltenberg beklagte in der Landtagsdebatte        Prozent des Nettolohns.
bei einem gleichzeitigen Lohn-Plus von acht      die „Schmähungen von Arbeitswilligen“, die             Allerdings: Diese Einigung wurde nur
Prozent.                                         teils auch in körperliche Angriffe ausarteten.     per Tarifvertrag festgeschrieben. Die für
                                                                                                    die Arbeiter so folgenschwere gesetzliche
                                                                                                    Ungleichbehandlung aus dem Jahr 1897
                                                                                                    ­
                                                                                                    galt zunächst weiter. Aber auch hier sei eine
                                                                                                    ­Lösung in Sicht, waren die Landtagsabgeord-
                                                                                                     neten im November 1956 überzeugt. Schließ-
                                                                                                     lich be­rate der Bundestag bereits über dieses
                                                                                                     Thema, müsse jedoch zuerst eine andere
                                                                                                     sozial­politische Weichenstellung ­bewältigen:
                                                                                                     die ­umlagefinanzierte Rente. „Und man soll-
                                                                                                     te den Bundestagsabgeordneten bei dem
                                                                                                     Umfang dieser Arbeit nicht mehr zumuten“,
                                                                                                     ­betonte der FDP-Parlamentarier Kersig.
                                                                                                        Doch auch nach der wegweisenden
                                                                                                      Renten­reform dauerte es noch Jahre, bis die
                                                                                                      vollständige Gleichstellung von Arbeitern
                                                                                                      und Angestellten im Bürgerlichen Gesetz-
                                                                                                      buch stand. Sie trat erst zum 1. Januar 1970 in
                                                                                                      Kraft.
Unterschiedliche Meinungen zum Streik: der Landtag 1956                                                                                 Karsten Blaas

                                                            DER LANDTAG 03 /2017                                                                   11
ARBEIT

Gesucht I:                                                                Gesucht II:
Mehr Personal in der Pflege                                               Rezepte für die sichere Rente
Stichwort „Pflegenotstand“: In jüngster Zeit machten                      Am Ende jahrzehntelanger Arbeit steht für viele Menschen
­Meldungen die Runde, wonach an einigen Krankenhäusern                    ­eine spärliche Rente. Wie kann die Politik gegensteuern?
 im Lande Operationen abgesagt und ganze Stationen                         Im Landtag lagen im September verschiedene Konzepte ­
 geschlossen werden mussten – wegen Personalmangel.                        gegen Altersarmut auf dem Tisch: etwa die Garantie-Rente,
 Vor diesem Hintergrund hat der Landtag im September                       die ­private Vorsorge oder die Finanzierung des Rentensystems
 einmütig vom Bund strengere Standards gefordert.                          über Steuern.
    Birte Pauls (SPD) regte eine gesetzliche Regelung dazu an, wie           Die SPD fordert, ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent des
viele Patienten eine Pflegekraft höchstens betreuen darf. Erst wenn       letzten Nettoeinkommens festzuzurren und gleichzeitig den Beitrags-
­genügend Personal auf der Station sei und der Dienstplan verlässlich     satz von heute 18,7 Prozent bei 22 Prozent zu deckeln. Fraktionschef
 sei, „dann bleiben die Pflegekräfte auch wieder in diesem eigentlich     Ralf Stegner warb für eine „Solidarrente“, die „sich deutlich von der
 wunderbaren Beruf.“                                                      Grundsicherung abhebt“. Und: Das Rentenalter soll nicht über 67
    Der Bund habe bereits reagiert, betonte Katja Rathje-Hoffmann         Jahre hinaus erhöht werden. „Wir müssen jetzt handeln, damit das
 (CDU). Sie verwies auf das Pflegestellen-Förderprogramm in Höhe          Rentenniveau 2030 nicht bei 43 Prozent liegt“, so Stegner. Eine „Min-
 von 660 Millionen Euro für die Jahre 2016 bis 2018 und den Pflege-       destrente“ wäre auch für Flemming Meyer (SSW) ein richtiger Schritt.
 zuschlag von jährlich 500 Millionen Euro für mehr Personal. Zudem        Der „große Wurf“ sei allerdings ein Systemwechsel zu einer steuer­
 seien strikte Personaluntergrenzen erforderlich, „weil einige Kliniken   finanzierten Rente nach dänischem Vorbild.
 in der Vergangenheit sehr gespart haben“, so Rathje-Hoffmann. Aller-        CDU, Grüne und FDP betonten, dass „jeder Schritt zur Vollbeschäf-
 dings, mahnte Dennys Bornhöft (FDP), könne man nicht „mit einem          tigung auch ein Schritt zur besseren Finanzierung der Renten ist“. Eine
 Federstrich eine Vielzahl neuer ausgebildeter Pflegekräfte“ anwerben.    Anhebung des Rentenalters „streben wir nicht an“, heißt es in dem
 Er forderte die Kliniken auf, Tariflöhne zu zahlen, um den Job attrak-   gemeinsamen Antrag. „Daneben werden aber auch private Vorsorge
 tiver zu gestalten.                                                      und betriebliche Alterssicherungselemente von Bedeutung sein“, un-
    Frank Brodehl (AfD) monierte ebenfalls die schlechte Bezahlung in     terstrich Werner Kalinka (CDU). Das sah auch Dennys Bornhöft (FDP)
 der Branche: „Eine Krankenschwester beziehungsweise -pflegerstun-        so: „Wer sich hinstellt und sagt, die gesetzliche Rentenversicherung
 de kann nur deshalb so viel weniger kosten als eine Monteurstunde,       allein wird für ein gesichertes Einkommen im Alter sorgen, versündigt
 weil unter teils menschenunwürdigem Zeitdruck gearbeitet wird.“          sich an der jungen Generation.“ Wichtig sei es zudem, Menschen mit
 Und Flemming Meyer (SSW) forderte mehr Landesgeld für die Kran-          niedriger Rente „in Zukunft nicht mehr zum Sozialamt zu schicken“,
 kenhäuser. Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) kritisierte die         sagte Sozialminister Heiner Garg (FDP).
 bundesweit unterschiedlichen Fallpauschalen für die Kliniken, die im        Ein Grund für geringe Rentenansprüche, so Frank Brodehl (AfD):
 Norden besonders niedrig ausfielen. Er kündigte für 2018 eine Million    „Die prekären Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor steigen und
 Euro zusätzlich für Schulplätze in der Altenpflege an.                   steigen.“ Um gegenzusteuern forderte er eine „gesetzlich festgeschrie-
    Marret Bohn (Grüne) wies darauf hin, dass es in wenigen Jahren be-    bene Obergrenze an Zeitarbeitsverträgen in allen Betrieben“. Die
 reits 125.000 Pflegebedürftige im Lande geben werde. Derzeit sind es     Grünen-Abgeordnete Marret Bohn wies darauf hin, dass Altersarmut
 89.000. Die Folge: Fachkräftemangel. Im Jahr 2035 könnte es deutsch-     insbesondere Frauen treffe. In Schleswig-Holstein hätten Männer eine
 landweit insgesamt 270.000 Pflegekräfte zu wenig geben, so Bohn.         Durchschnittsrente von 1098 Euro, Frauen jedoch nur von 603 Euro.
                                                                          Niedrigrenten seien „Sprengstoff für unsere Gesellschaft“.

12                                                           DER LANDTAG 03 /2017
EHRENAMT

Meldungen für das Ehrenamt                                                                                       Viele Beschlüsse, die der
                                                                                                                 Landtag fasst, haben direkte
                                                                                                                 Auswirkungen auf
                                                                                                                 Kommunal­politik, Vereins­
                                                                                                                 arbeit und Bürger­initiativen.

                                                                                                                 Auf dieser Seite finden
                                                                                                                 ehren­amtlich engagierte
                                                                                                                 ­Bürger diese Themen
                                                                                                                  im Überblick.

    Ausbaubeiträge: Seit 2012 müssen              Volker Schnurrbusch bemängelte, dass            Gesetze, anders als Bundestag und Landtag.
­Kommunen Haus- und Wohnungsbesitzer              ­Anlieger oft noch nach Jahren zur Kasse ge-    Deswegen dürfe es dort auch keinen „der­
 zur Kasse bitten, wenn die S­ traßen vor ihrer    beten würden. Viele Kommunen hätten gar        artig tiefgreifenden Eingriff in das Wahl-
 Tür ausgebaut werden.                             keine Satzungen, und wenn, dann würden         recht“ wie eine Eintrittshürde für Parteien
    Das soll sich mit einem Gesetzentwurf der      sie oft nicht oder intransparent umgesetzt.    geben.
 Jamaika-Koalition ändern. CDU, Grüne und          Der ­Innen- und Rechtsausschuss berät die         Kay Richert (FDP) warf der SPD eine
 FDP wollen es den Städten und Gemeinden           Gesetz­entwürfe weiter.                        ­„Arroganz der Größe“ vor und verteidigte
 künftig wieder selbst überlassen, ob sie von                                                      die Vielfältigkeit der kommunalen Volks-
 Anwohnern Beiträge für den Straßenaus-               Sperrklausel bei Kommunalwahlen:             vertretungen: „Demokratie darf anstren-
 bau erheben oder nicht. Die Beträge seien        Auch bei der Kommunalwahl am 6. Mai 2018         gend sein.“ Jörg Nobis (AfD) argwöhnte,
 eines „der meist beklagten Themen in den         wird es voraussichtlich keine Sperrklausel       die SPD strebe offenbar eine „bewusste
 Kommunen“, sagte Innenminister Hans-             für kleine Parteien geben. Zwar will die SPD     Beschneidung der Minderheitenrechte“ in
 Joachim Grote (CDU) in der September-­           eine Hürde von 2,5 Prozent errichten und         den Kommunalvertretungen an. Und Lars
 Sitzung. Für manche Bürger ­seien die Bei-       so eine „Zersplitterung“ der Stadträte und       Harms (SSW) warnte davor, „die parla-
 träge ein existenzielles Pro­blem. Mit dem       Kreistage verhindern. Eine Mehrheit ist aber     mentarische Demokratie auf kommunaler
 Gesetzentwurf von CDU, Grünen und FDP            nicht in Sicht. Das liegt am Gegenwind von       Ebene aufzuweichen“ und appellierte an
 werde nichts verboten. Aber: „Es sollte an-      Grünen, FDP, AfD und SSW – und an der            die Sozial­demokraten: „Mehr Demokratie
 hand der örtlichen, i­ndividuellen Verhält-      Koalitionstreue der CDU.                         wagen!“
 nisse entschieden werden.“ Es gebe mehrere           Die Union hatte im Wahlkampf sogar             Eine 2,5-Prozent-Hürde würde sich
 Alternativen, beispielsweise eine Erhöhung       eine Vier-Prozent-Hürde gefordert, gab           voraus­sichtlich nur in größeren Orten und
 der Grundsteuer oder Ratenzahlung.               sich in der Juli-Sitzung aber ablehnend, mit     den vier kreisfreien Städten Kiel, Lübeck,
    Der FDP-Abgeordnete Stephan Holowaty          Rücksicht auf die Jamaika-Partner Grüne          Flensburg und Neumünster sowie in den elf
 sprach von „einem der größten Ärgernisse“.       und FDP. Sie habe „durchaus Sympathie“           Landkreisen auswirken.
 Die Beiträge seien eine „ständige Quelle         für den SPD-Plan, so die Abgeordnete Petra
 für Unfrieden“. Nach Ansicht der CDU-            Nicolaisen. Aber: „Wir halten uns an den           Gemeinderäte: Einstimmig hat der
 Innenpolitikerin Petra Nicolaisen ist die        Koalitionsvertrag.“                             Landtag im Juli die Zahl der Gemeinde-
                                                                                                  ­
 Entscheidung vor Ort am besten zu treffen:           Thomas Rother (SPD) warb dennoch bei        vertreter in Boostedt (Kreis Segeberg) und
 „Das Zauberwort heißt kommunale Selbst-          der Union um Zustimmung und lud für die         Seeth (Kreis Nordfriesland) korrigiert. Dort
 verwaltung.“                                     Beratungen im Innen- und Rechtsausschuss        war die Einwohnerzahl zwischenzeitlich
    Kritik kam von der SPD. „Mit einer Ab-        zu einer „große Koalition der Vernunft“         stark gestiegen, wegen der Unterbrin-
 schaffung hat dieser Gesetzentwurf gar           ein. Es müsse darum gehen, die „teilweise       gung von Flüchtlingen. Beide Orte ­hatten
 nichts zu tun“, sagte die Innenpolitikerin       Arbeits­unfähigkeit“ der Gremien zu behe-       des­wegen zum Stichtag 31. Dezember
 Beate Raudies. Tatsächlich verschiebe die        ben, wo stabile Mehrheiten immer schwerer       2015 ­einen Grenzwert überschritten und
 Koalition die Verantwortung nur in die           zu vereinbaren seien und eine längerfristi-     müssten ihre Gemeindevertretungen um
                                                                                                  ­
 kommunalen Verwaltungen. Schwer taten            ge, verlässliche Haushaltswirtschaft kaum       zwei be­ziehungsweise vier Sitze auf­stocken.
 sich die Grünen, die das derzeitige Gesetz       noch möglich sei. Da die SPD nicht nur das      Die Zahl der Asylbewerber ist inzwischen
 2012 mitbeschlossen hatten. „Das war kein        Gemeinde- und Kreiswahlgesetz, sondern          allerdings wieder gesunken. Die Orte liegen
 leichter Gang für uns“, sagte die Abgeord-       auch die Landesverfassung ändern will,          nun wieder unter dem Grenzwert. Ent-
 nete Ines Strehlau: „Unsere Sorge war und        ­wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Land-       sprechend wurde auf Initiative von CDU,
 ist weiterhin: Es darf nicht zu einem Wett­       tag ­erforderlich.                             Grünen und FDP das Gemeinde- und
 bewerb unter den Kommunen kommen.“                   Burkhard Peters (Grüne) sperrte sich        Kreiswahlgesetz für die beiden Sonderfälle
    Auch der oppositionelle SSW hält den           ­gegen eine Mindestklausel und verwies auf     geändert. Für Boostedt und Seeth gilt nun
 Gesetzentwurf grundsätzlich für richtig.           ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts      der Stichtag 30. September 2015 – vor dem
 Die AfD legte einen eigenen Gesetzent-             aus dem Jahr 2008, das er als Jurist selbst   Zuzug der Flüchtlinge. Damit entspricht die
 wurf vor, der den Ermessensspielraum               erfochten hatte. Kernpunkt: Kreistage wäh-    Größe des neuen Gemeinderats der tatsäch-
 der ­Gemeinden betont. Der Abgeordnete             len keine Regierung und beschließen keine     lichen Einwohnerzahl.

                                                            DER LANDTAG 03 /2017                                                                  13
PERSONALIEN

  Doris von Sayn-Wittgenstein, AfD-                    Kristin Alheit, von 2012 bis Juni 2017
Landtagsabgeordnete, ist neue Landesvorsit-          Sozialministerin, wird neue Geschäftsführe-
zende ihrer Partei. Sie setzte sich Mitte Juli auf   rin des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes
einem Parteitag in Henstedt-Ulzburg (Kreis           Hamburg. Sie übernehme das Amt des ge-
Segeberg) gegen den bisherigen Landesvorsit-         schäftsführenden Vorstands am 1. Oktober
zenden und Fraktionsvorsitzenden im Land-            von Joachim Speicher, der den Verband aus
tag, Jörg Nobis, durch. Sayn-Wittgenstein            familiären Gründen verlasse, teilte die Or-
bekam nach Angaben eines Parteisprechers             ganisation Mitte September mit. Vor ihrem
im sogenannten Akzeptanzwahlverfahren 68             Ministeramt war die Sozialdemokratin unter
Prozent der Stimmen. Nobis erhielt demnach           anderem Bürgermeisterin von Pinneberg.
50 Prozent. Bei diesem Wahlverfahren kön-
nen Wähler für mehrere Kandidaten votieren.

  Flemming Meyer steht für weitere zwei
Jahre an der Spitze des SSW. Beim Landes-                                                         Klaus Buß, ehemaliger Innenminister
parteitag Mitte September in Husum wurde                                                       und SPD-Landtagsabgeordneter, ist Sonder­
Meyer ohne Gegenstimme bei einer Enthal-                                                       beauftragter der Landesregierung im Zu­
tung im Amt bestätigt. Der Landtagsabgeord-                                                    sammenhang mit den Ermittlungen zur
nete aus Handewitt ist seit 2005 Vorsitzender                                                  Rockerkriminalität. Innenminister Hans-
der Partei der dänischen Minderheit.                                                           Joachim Grote (CDU) berief ihn Ende Juli auf
                                                                                               diesen Posten. Hintergrund ist eine Affäre
   Anette Langner, SPD-Landtagsabgeord-                                                        um mögliche Aktenmanipulation und unter-
nete von 2005 bis 2012 und anschließend                                                        drückte Beweismittel bei Ermittlungen gegen
Staatssekretärin     im    Sozialministerium,                                                  Rocker im Jahr 2010. Außerdem ermittelt die
­gehört ab Anfang Oktober dem Vorstand des             Jutta Schümann, ehemalige SPD-          Staatsanwaltschaft Lübeck wegen des Ver-
 Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Schleswig             Landtagsabgeordnete, ist neue Vorsitzende dachts der Überwachung von Journalisten der
 Holstein an. Das gab der DRK-Landesverband          des NDR-Landesrundfunkrates Schleswig-­ „Kieler Nachrichten“ durch die Landes­polizei.
 Ende Juli bekannt. Langner ist zuständig für        Holstein. Das teilte der NDR Anfang Juli  Buß saß von 2001 bis 2005 im L   ­ andtag, von
 die Bereiche Soziales, Personal und Bildung.        mit. Die Neumünsteranerin, von 2000 bis   2000 bis 2005 war er Innenminister.
 Sie übernimmt den Posten des ehemaligen             2009 im Parlament, wurde für eine fünf-
 Landtagspräsidenten Torsten Geerdts, der            jährige Amtsperiode gewählt. Der Landes-     Britta Ernst, von 2014 bis Juni 2017
 nach der Wahl im Mai als Staatsekretär ins          rundfunkrat überwacht die Einhaltung der  ­Bildungsministerin, ist seit Ende September
 Innenministerium gewechselt ist.                    Programmanforderungen für die Landes-      in der Landesregierung von Brandenburg für
                                                     programme in Radio und TV und berät den    Bildung, Jugend und Sport zuständig. Die
                                                     Landesfunkhaus­direktor.                   SPD-Politikerin ist Nachfolgerin von Günter
                                                                                                Baaske, der sein Ministeramt aus privaten
                                                                                                Gründen niedergelegt hat.
       Runde Geburtstage
                                                                                                      Karenzzeiten: Einstimmig hat der Land-
                                                                                                   tag im Juli der Einrichtung des ­„Gremiums
     Egon Schübeler aus Rügge bei Kappeln, von 1967 bis 1987 für die CDU im Landtag,
                                                                                                   nach Paragraf 8a des Landesminister­gesetzes“
     Landtagsvizepräsident von 1975 bis 1987, hat am 4. September seinen 90. Geburtstag
                                                                                                   zugestimmt. Dessen Aufgabe ist es, gegen-
     ­gefeiert.
                                                                                                   über der Landesregierung eine Empfeh-
     Friedrich-Carl Wodarz aus Bad Oldesloe, von 1996 bis 2005 für die SPD im Landtag,             lung auszusprechen, ob und wie lange ein
     hat am 1. September seinen 75. Geburtstag gefeiert.                                           Minister eine Karenzzeit einhalten muss,
                                                                                                   wenn er aus dem Amt scheidet und einen
     Frauke Walhorn aus Oelixdorf bei Itzehoe, von 1987 bis 2000 für die SPD im Landtag,           Posten in der Wirtschaft annehmen will.
     hat am 6. September ihren 75. Geburtstag gefeiert.                                            Das Gremium tagt nicht öffentlich, be-
                                                                                                   steht aus einem Mitglied pro Fraktion und
     Volker Lemke aus Lübeck, von 1983 bis 1987 für die CDU im Landtag, hat am 27. Sep-
                                                                                                   ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Als
     tember seinen 75. Geburtstag gefeiert.
                                                                                                   Mitglieder bestimmte das Parlament Tobias
     Anke Spoorendonk aus Busdorf bei Schleswig, von 1996 bis 2012 für den SSW im                  Koch (CDU), Ralf Stegner (SPD), Eka von
     Landtag, von 2012 bis 2017 Justizministerin, hat am 21. September ihren 70. Geburtstag        Kalben (Grüne), Wolfgang Kubicki (FDP),
     gefeiert.                                                                                     Jörg Nobis (AfD) und Lars Harms (SSW).

     Ulrich Schley aus Kölln-Reisiek bei Elmshorn, von 1988 bis 1996 für die CDU im
     ­Landtag, hat am 28. September seinen 70. Geburtstag gefeiert.

     Herzlichen Glückwunsch!

14                                                             DER LANDTAG 03 /2017
Sie können auch lesen