Archäologie - Historische ...

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Archäologie - Historische ...
Historische
           Sonderband 2020   Archäologie
Felix Rösch, Hannes Buchmann, Timo Feike,
Katharina Hindelang und Katja Liebing
Bauhaus Ausgraben: Archäologische Unter-
suchungen an einem unter Hannes Meyer
errichteten Laubenganghaus in Dessau-Törten

Abstract

In 2018, archaeological studies were carried out as part of an interdisci-
plinary DFG project on the Laubenganghäuser in Dessau-Törten which
were erected in 1930 under the second Bauhaus director Hannes Mey-
er. The aim was to draw conclusions about the contemporary consti-
tution and design of the associated outdoor facilities. Using manifold
parallel records, it was possible to dig precise trenches that revealed
the relics of several structures, including a multi-phase playground. In
addition to the results of the spatial conception of the outdoor facili-
ties, the discovery of a disposal pit filled with household items, debris,
warfare material and militaria from 1945 provides insights into the living
environment of the early residents of the Laubenganghaus. For the first
time, the focus is centred on the users and not on the architects of the
Bauhaus buildings in Dessau-Törten, which were built with a decidedly
social claim. On the basis of a detailed find analysis, it is shown that
a differentiated consumer behaviour prevailed which reflects modest
wealth. In addition, the material remains reveal insights into the effects
of Nazi rule and World War II on the Törten residents in general, as well
as on Jewish people and a „Volkssturm“ member in particular. The ar-
ticle furnishes information not only on the background and results of
the research but also provides a description of the methodological ap-
proach and detailed analyses of the diverse find categories. With its de-
liberate attention to detail, it should contribute to the establishment of
best practice methods and provide suggestions for comparable studies
within Contemporary Archaeology.

Zusammenfassung

2018 fanden im Rahmen eines interdisziplinär angelegten DFG-Pro-             Zitation:/cite as:
                                                                             F. Rösch et al., Bauhaus Ausgraben:
jektes archäologische Untersuchungen an den 1930 unter dem zwei-             Archäologische Untersuchungen an
ten Bauhausdirektor Hannes Meyer errichteten Laubenganghäusern in            einem unter Hannes Meyer errichtet-
Dessau-Törten statt. Ziel war es, Rückschlüsse auf die bau(haus)zeitli-      en Laubenganghaus in Dessau-Törten.
                                                                             In: F. Jürgens/U. Müller (Hrsg.), Archäo-
che Beschaffenheit und Konzeption der zugehörigen Außenanlagen               logie der Moderne. Standpunkte und
zu gewinnen. Unter Hinzuziehung der umfangreich vorhandenen Par-             Perspektiven. Sonderband Historische
allelüberlieferung konnten präzise Bodeneingriffe vorgenommen wer-           Archäologie 2020 (Onlineversion), 387–
                                                                             450
den, die die Relikte zahlreicher Strukturen, darunter eines mehrphasi-       ‹doi 10.18440/ha.2020.121›
gen Spielplatzes, offenbarten. Neben den Ergebnissen zur räumlichen
Archäologie - Historische ...
Konzeption der Außenanlagen ermöglicht die Entdeckung einer mit
                                                   Hausrat, Bauschutt, Kampfmitteln und Militaria verfüllten Entsorgungs-
                                                   grube von 1945 Einblicke in die Lebenswirklichkeit der frühen Bewoh-
                                                   nerschaft des Laubenganghauses. Erstmals rücken so die Nutzer*innen
                                                   der mit einem dezidiert sozialen Anspruch errichteten Bauhausarchitek-
                                                   tur in Dessau-Törten selbst in den Fokus. Anhand einer ausführlichen
                                                   Fundanalyse wird ein differenziertes Konsumverhalten nachgewiesen,
                                                   welches auf einen bescheidenen Wohlstand zurückführen ist. Darüber
                                                   hinaus ermöglichen die materiellen Zeugnisse Aussagen zu den Aus-
                                                   wirkungen von NS-Herrschaft und Zweitem Weltkrieg auf die Anwoh-
                                                   ner*innen im Allgemeinen sowie jüdische Personen und einen Volks-
                                                   sturmangehörigen im Speziellen. Der Beitrag informiert dabei nicht nur
                                                   über Hintergrund und Ergebnisse der Untersuchungen, sondern liefert
                                                   darüber hinaus eine Beschreibung der methodischen Vorgehensweise
                                                   und detaillierte Analysen zu den vielfältigen Fundkategorien. In seiner
                                                   bewussten Ausführlichkeit soll er zur Etablierung von best practice bei-
                                                   tragen und Anregungen für vergleichbare Untersuchungen im Rahmen
                                                   einer Archäologie der Moderne liefern.

                                                   Einleitung

                                                   Kaum eine andere Strömung in der jüngeren Kunst- und Kulturgeschich-
                                                   te der Menschheit ist so eng mit dem Begriff der Moderne verknüpft wie
                                                   das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus, das weltweit von Chicago bis
                                                   nach Tel Aviv, von der ostholsteinischen Provinz bis nach Lagos seine
                                                   Spuren hinterließ. Es war insbesondere die radikale Abkehr von den his-
                                                   torisierenden Formen der Gründerzeit, entsprungen aus einem rationa-
                                                   len, Kunst, Handwerk und Technik vereinheitlichenden Grundkonzept,
                                                   die diesen zuvorderst mit Architektur verknüpften Stil so prägend wer-
                                                   den ließ. 2019 erlebte das Bauhaus zum hundertjährigen Jubiläum eine
                                                   neue Welle der (nie wirklich abgeebbten) Aufmerksamkeit, wodurch
                                                   das Bauhaus und die zahlreichen, von seinen Akteur*innen hinterlasse-
                                                   nen Spuren wieder stark ins öffentliche Bewusstsein rückten.
                                                     Trotz des anhaltenden Interesses müssen einige Aspekte des Bauhau-
                                                   ses dennoch als unerforscht gelten. So standen jahrzehntelang das Wir-
                                                   ken des ersten Bauhausdirektors Walter Gropius sowie des dritten und
                                                   letzten Direktors Mies van der Rohe, der ab 1937 seine Karriere in den
                                                   USA fortsetzte, im Fokus der Forschung. Abgesehen vielleicht von der
                                                   ADGB-Bundesschule in Bernau bei Berlin ist über den zweiten Direk-
                                                   tor Hannes Meyer hingegen wenig bekannt. Diesem Desiderat widmet
                                                   sich seit einiger Zeit die „Co-op Hannes Meyer“, eine Forschungsstelle
                                                   und Netzwerk unter der Leitung von Philipp Oswalt am Fachbereich Ar-
                                                   chitektur der Universität Kassel, aus der unter anderem ein von der DFG
      1
          Der vollständige Titel lautet: „Die
                                                   gefördertes Projekt zu den unter Meyer in Dessau-Törten errichteten
          Laubenganghäuser in Dessau-Törten.       Laubenganghäusern hervorgegangen ist1. Ziel war die interdisziplinä-
          Rekonstruktion und Analyse der Pla-      re Untersuchung dieser bislang kaum erforschten Objekte – es handelt
          nungs-, Bau- und Nutzungsgeschich-       sich um fünf 1930 fertiggestellte, dreigeschossige Mehrfamilienhäuser
          te des Projektes des Bauhauses Des-      mit je 18 Wohneinheiten, die über an der Außenseite angebrachte Lau-
          sau unter der Leitung von Hannes
          Meyer“ (2016–2019).
                                                   bengänge erschlossen werden und seit 2017 Teil des UNESCO Welt-
      2
          Die archäologischen Untersuchun-         kulturerbes Bauhaus sind. Zu diesen Gebäuden zählen weiterhin Au-
          gen wurden am Lehrstuhl für die Ar-      ßenanlagen, die sowohl aus kollektiv genutzten Einrichtungen als auch
          chäologie des Mittelalters und der       individuellen Gartenparzellen bestanden. Da die Anlagen im Zuge der
          Neuzeit, Prof. Tobias Gärtner, am In-    neunzigjährigen Nutzungsgeschichte vielfach umgestaltet wurden, war
          stitut für Kunstgeschichte und Archä-
          ologien Europas der Martin-Luther-
                                                   die Kenntnis über ihre ursprüngliche Konzeption lückenhaft. Die bau-
          Universität Halle-Wittenberg unter der   zeitlichen Dokumente geben nur unvollständig Aufschluss über die
          Leitung von Felix Rösch durchgeführt.    Anlagen, und so kam es im Rahmen des Projektes der Archäologie2 zu,

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sich ihrer Untersuchung anzunehmen. Diese konzentrierte sich auf das
Laubenganghaus in der Peterholzstraße 48 (Abb. 1).
                                                                                  Abb. 1. Straßenseitige Ansicht des
                                                                                  Laubenganghauses in der Peter-
                                                                                  holzstraße 48 im Zustand von 2018
                                                                                  (Foto: A. Stengel).

   Die primäre Fragestellung, die der Archäologie an die Hand gegeben
wurde, richtete sich an die bau(haus)zeitliche Strukturgeschichte der
Außenanlagen im Hintergarten. Hier galt es, Informationen zur Ausge-
staltung der Umzäunung, eines Bleichplatzes, eines Radioantennen-
mastes, eines Spielplatzes sowie der Mietergärten zu gewinnen. Des
Weiteren sollten die zahlreichen Umgestaltungsmaßnahmen identi-
fiziert und Rückschlüsse auf die ursprüngliche Bepflanzung gezogen
werden. Waren die Bewohner*innen zunächst nur indirekt Adressaten
der Fragestellung, änderte sich dies durch die unerwartete Entdeckung
einer großen Entsorgungsgrube voller Hausrat aus der Frühphase des
Laubenganghauses. Hier bot sich die einmalige Chance, über eine de-
taillierte Fundauswertung einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der
ersten Bewohner*innen zu erhalten und mit dem Anspruch und Selbst-
verständnis des Bauhauses unter Hannes Meyer abzugleichen, der für
seine Parole „Volksbedarf statt Luxusbedarf!“ berühmt ist (vgl. BAB/
DAM 1989).

Das Bauhaus, Hannes Meyer und die Laubenganghäuser

Im April 1928 trat Hannes Meyer die Nachfolge von Walter Gropius am
Bauhaus in Dessau an, nachdem dieser den Direktorenposten nach an-
haltenden Querelen mit der Kommunalpolitik aufgegeben hatte. Gropi-
us hatte die Schule 1919 in Weimar gegründet und sie 1926 nach Dessau
in das von ihm entworfene ikonische Hauptgebäude überführt. Er ver-
stand das Bauhaus als Einheit von Kunst und Handwerk, die sich sowohl
in der Ausbildung der Studierenden als auch in den Werken der Schule
widerspiegelt (Droste 2015, 15). Meyer, zuvor als Architekt in der Schweiz
aktiv, wurde von Gropius 1927 zum Aufbau einer Bauabteilung an das
Bauhaus berufen, die zum Ziel hatte, Praxis und Lehre eng miteinander
zu verknüpfen (vgl. BAB/DAM 1989).
  Im Gegensatz zu Gropius war Hannes Meyer strikt auf eine Trennung
von Kunst und Wissenschaft in der Ausbildung bedacht und brachte
ein stark versachlichtes, vom Konstruktivismus geprägtes Architektur-

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                          389
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verständnis ins Bauhaus ein. Zudem vertrat er die Auffassung, dass
       Architektur der Gesellschaft dienen solle, bei der die Bedürfnisse der
       Bewohner*innen und Nutzer*innen im Zentrum der Konzeption ste-
       hen (Baumann 2006, 102).
          Meyer erweiterte die Architekturabteilung zum wichtigsten Bereich
       des Bauhauses. So führte er die Werkstätten Tischlerei, Metall und
       Wandmalerei zu einer der Architektur untergeordneten Ausbauwerk-
       statt zusammen und erweiterte das Studium auf neun Semester (Bau-
       mann 2006, 102; Stengel 2019, 132). Den unter Gropius eingeschlage-
       nen Weg, Baulehre mit Praxis zu verbinden, ging er konsequent weiter.
       Waren die Studierenden zunächst noch über die jeweiligen privaten
       Büros von Gropius und Meyer angestellt, worüber unter anderem der
       Bau der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts-
       bundes in Bernau verwirklicht wurde, so richtete Meyer die Bauab-
       teilung gänzlich auf das gemeinschaftliche Arbeiten aus. Bei diesem
      „prinzip coop“ spielte der kollektive Gestaltungsprozess eine zentrale
       Rolle (Möller, W. 2015). Im Bauatelier des Bauhauses, das sich an fortge-
       schrittene Studierende richtete, wurden wirkliche Bauvorhaben wie in
       einem Architekturbüro durchgeführt. Die Studierenden waren dabei in
       alle Prozesse eingebunden und wurden sogar am Nettogewinn betei-
       ligt (Stengel 2019, 138).
          Um regelmäßige Aufträge für die Lehre sicherzustellen, hatte Gropius
       von der Stadt Dessau die Zusage eingeholt, dass kommunale Bauvorha-
       ben an die Architekturabteilung übertragen werden. Allerdings trafen
       die Aufträge zunächst nicht wie erhofft im Bauhaus ein, so dass bezeich-
       nenderweise das erste gänzlich von der Bauabteilung realisierte Projekt
       das auf Privatinitiative hin 1928 errichtete und heute zerstörte Haus Nol-
       den in der Eifel war. Abgesehen von kleineren Arbeiten folgte dann im
       Januar 1930 endlich der Realisierungsauftrag für ein größeres Bauvorha-
       ben: fünf Laubenganghäuser für die Wohnungsbaugenossenschaft Des-
       sau (Stengel 2019, 130–138).
          Die Laubenganghäuser waren Teil der Erweiterung von Törten, der
       unter Gropius begonnenen Siedlung im Süden Dessaus, die wesentlich
       aus Einfamilienhäusern bestand. Die Erweiterung der Siedlung war hin-
       gegen als Mischbebauung aus Laubenganghäusern und Flachbauten
       geplant, die für verschiedene Bewohner*innengruppen geeignet sein
       sollte. Wie P. Oswalt (2019b) aufzeigen konnte, wurde die Konzeption
       unter dem wesentlichen Einfluss des seit 1929 am Bauhaus in der Bau-
       lehre tätigen Architekten und Stadtplaner Ludwig Hilberseimer ent-
       wickelt. Hilberseimer, zu dessen bekanntesten Werken der Lafayette
       Park in Detroit zählt, vertrat ein Architekturverständnis, das auf allge-
       meingültige, unmittelbar an den sozialen Bedürfnissen der Bewohner*in-
       nen orientierte Lösungen zielte und nicht nach einer Autor*innenarchi-
       tektur strebte. Entsprechend handelte es sich bei dem Siedlungsentwurf
       für die Erweiterung Törtens um eine äußert sachliche, auf universellen
       Prinzipien beruhende Konzeption, die Aspekte wie Gartennutzung und
       großstädtische Einrichtungen miteinander verwob. Ursprünglich sah
       der Entwurf, der das im Zuge des Unterrichts entstandene Resultat ei-
       ner Entwicklungsgemeinschaft war, zehn Laubenganghäuser, 531 Flach-
       bauten und eine Randbebauung in Zeilenbauweise vor (Oswalt 2019b,
       156–158 Abb. S. 161). Letztlich konnten aufgrund des sich wandelnden
       politischen Klimas und der daraus resultierenden fristlosen Entlassung
       Meyers Mitte 1930 einzig die fünf Laubenganghäuser realisiert werden.
          Der Lehrphilosophie des Bauhauses unter Meyer folgend, wurden die
       Laubenganghäuser von Beginn an unter wesentlicher Beteiligung der
       Studierenden verwirklicht. Allein acht Studenten waren in die Planung
       involviert, und auch die Bauleitung vor Ort wurde einem Studenten und

390   Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Archäologie - Historische ...
einem Absolventen übertragen. A. Stengel (2019, 140) kommt so zu dem
Schluss, dass „die Studierenden in allen Leistungsphasen des Baupro-
zesses nicht nur maßgeblich beteiligt [waren]. Sie setzen einen Teil der
Arbeiten nahezu in Eigenregie um.“ Somit waren es letztlich die Lauben-
ganghäuser, die als größter Bauauftrag direkt an die Bauabteilung des
Bauhauses Dessau gingen und in einer Kollektivarbeit realisiert wurden.
   Die Laubenganghäuser sind als dreigeschossige Mehrfamilienhäu-
ser mit je sechs Wohnungen pro Stockwerk konzipiert. Der Zugang zu
jeder Wohnung erfolgt dabei über die an der Nordseite angebrachten
Laubengänge, die über einen externen Treppenturm erschlossen wer-
den. Dadurch besitzt jede Wohnung den gleichen Grundriss, beste-
hend aus Flur, Küche, Bad und drei Zimmern auf 48 m². Die Größe ent-
sprach Meyers Berechnungen für den tatsächlichen Wohnbedarf einer
vierköpfigen Familie. Sehr fortschrittlich war die Ausstattung mit einer
großen lichtdurchfluteten Fensterfront gen Süden, Vollbad, Warmwas-
serheizung und Einbauküche sowie einem Fahrrad- und Kinderwagen-
verschlag und einem Keller. Durch die optimale Raumaufteilung und die
Ausstattung ermöglichten die Wohnungen vergleichsweise viel Kom-
fort auf kleiner Fläche. Auch die Außenanlagen sind Teil des rationalen,
aber bedürfnisorientierten Wohnkonzepts (Abb. 2). In dem etwas über
1 100 m² großen Hintergarten wurden gemeinschaftliche Einrichtungen
zum Wäschewaschen und Trocknen wie Waschhaus, Bleicheplatz und
Wasserzapfstellen errichtet, ein Sandkasten mit schattenspendenden
Bäumen angelegt sowie zwei kollektive Antennenmasten für den Lang-
wellenempfang aufgestellt. Etwa zwei Drittel der Fläche wurde darüber
hinaus in langrechteckige Parzellen unterteilt, die von den einzelnen
Mietparteien individuell zur Bewirtschaftung genutzt wurden und über
einen parallel zur Längsseite des Gebäudes verlaufenden Weg zugäng-
lich waren (Baumann 2006).
                                                                                  Abb. 2. Die Außenanlagen des
                                                                                  Laubenganghauses in der Peter-
                                                                                  holzstraße 48 im Zustand von 2018
                                                                                  (Foto: A. Stengel).

  Im Gegensatz zu den Einfamilienhäusern der Siedlung Törten, die
als Wohneigentum für finanzschwache Käufer gedacht waren, konn-
ten die Wohnungen der Laubenganghäuser für 37,5 RM pro Monat
gemietet werden (Baumann 2006, 104). Das lag 1927 etwas unter dem
durchschnittlichen Bruttowochenlohn eines Arbeiters bei einem heu-
tigen (2018) Kaufkraftäquivalent von 135 € (StBA 1987, 35). Die Lauben-
ganghäuser richteten sich damit an die Schichten der Arbeiter*innen

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                         391
Archäologie - Historische ...
und einfachen Angestellten und stellten in ihrer Form einen wichtigen
                                                           Beitrag zur damaligen Debatte über die Wohnung für das Existenzmi-
                                                           nimum dar, die durch die grassierende Wohnungsnot in der Weima-
                                                           rer Republik befeuert wurde. So wurden die Mietshäuser trotz ihrer
                                                           Ausstattung von der SPD als Massenwohnungsbau kritisiert, da es die
                                                           eigene Maxime war, jeder Arbeiterfamilie den Erwerb eines Einfamili-
                                                           enhauses oder Reihenhauses mit Garten zu ermöglichen. Die dennoch
                                                           erteilte Genehmigung der SPD-Fraktion im Dessauer Gemeinderat ist
                                                           letztlich als Kompromiss vor dem Hintergrund der Wohnungsnot zu
                                                           verstehen. Dennoch berichtet das sozialdemokratische „Volksblatt
                                                           für Anhalt“ im Juli 1930 begeistert von den Wohnungen und empfiehlt
                                                           dringend einen Besuch. Letztlich werden die Wohnungen binnen kür-
                                                           zester Zeit vermietet (Baumann 2006, 104–105). Unter den ersten Mie-
                                                           tern der Peterholzstraße 48 finden sich Schlosser, Kraftwagenfahrer,
                                                           Kontrolleure, Brauer, Papiermacher, Tischler, Böttcher und Sattler, aber
                                                           auch Ingenieure und ein Vertreter (Tab. 1). Auch wenn sich die Zusam-
                                                           mensetzung der Bewohner*innen im Laufe der Zeit stark gewandelt
                                                           hat, fällt die Bewertung der Häuser durch die Mieter*innen seit jeher
                                                           positiv aus (Baumann 2006, 106). Somit lässt sich festhalten, dass die
                                                           Laubenganghäuser sich in ihrer Funktionalität bewährt und den sozia-
                                                           len Anspruch eingelöst haben.

  Tab. 1. Berufliche Tätigkeiten der männ-
  lichen Mieter des Laubenganghauses
  in der Peterholzstraße 48 vom Erstbe-
  zug 1930 bis 1945, soweit sie der Haus-
  buchanalyse (WG Dessau 1989) zu ent-
  nehmen sind.

      Jahr /   1930                                              1935                                    1940                         1945   bis
      Nr.
         1                                      Kraftwagenfahrer                                                        Tischler
                                                                                                                                             1958
         EG                                        Siehe Nr. 2                                                          Siehe Nr. 9
         2                                                                                                         Kraftwagenfahrer
                                                   Schlosser                                                                                 1985
         EG                                                                                                             Siehe Nr. 1
         3
                                                                                Vorarbeiter                                                  1957
         EG
         4                                                        Maschinen-
                              Brauer                                                                            Witwe                        1955
         EG                                                        arbeiter
         5
                                                                              Hausschlachter                                                 1982
         EG
         6
                                                                                Kontrolleur                                                  1980
         EG
         7
                                                                                 Fleischer                                                   1989
       1. OG
         8
                           Papiermacher                            Musiker                                 Techniker                         1989
       1. OG
         9                                          Tischler
                                                                                                                        Vertreter            1981
       1. OG                                       Siehe Nr. 1
         10
                                                                                 Schlosser                                                   1977
       1. OG
         11
                                    Böttcher                                 Ingenieur                             Ingenieur                 1968
       1. OG
         12                                                                                                         Dreher
                                    Schlosser                                Ingenieur                                                       1986
       1. OG                                                                                                     Siehe Nr. 18
         13
                        Maschinenschlosser                                                      Kraftwagenfahrer                             1958
       2. OG
         14
                               Sattlermeister                                                          Ingenieur                             1957
       2. OG
         15
                                    Arbeiter                                 Ingenieur                           Schweißer                   1957
       2. OG
         16
                             Schlosser                                                            Kontrolleur                                1947
       2. OG
         17
                                                                             Kraftwagenfahrer                                                1953
       2. OG
         18
                      Stellmacher          Oberingenieur                                                Musiker                              1957
       2. OG

392                                                        Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Archäologie - Historische ...
Archäologie trifft Bauhaus: Anmerkungen zu Quellen, Methodik
und Vorarbeiten

1930 fertiggestellt, fällt der Untersuchungsgegenstand in den Zeitraum
der letzten 90 Jahre. Entsprechend ist die Quellendichte und Parallel-
überlieferung besonders hoch. Das Vorgehen musste daher „in hohem
Maße integrativ und multidisziplinär angelegt sein“ (Arndt u. a. 2017, 239).
Dafür bot der Projektrahmen von vornherein eine hervorragende Basis,
da hier bereits Akteure aus Architektur, Bau- und Bodendenkmalpflege
sowie Restaurierung regelmäßig zusammenkamen. Weiterhin wurden
die Gartendenkmalpflege und im Zuge der Auswertung Spezialisten zu
spezifischen Stücken materieller Kultur hinzugezogen.
  Der erste Schritt bestand zunächst darin, sämtliche zur Verfügung
stehenden Quellen zu den Außenanlagen der Laubenganghäuser zu
sichten, um ein möglichst präzises Bild von ihrer bauzeitlichen Beschaf-
fenheit und folgenden Umgestaltung zu erhalten. Dabei wurden die
Dokumente für die Peterholzstraße 48, aber auch zu den anderen vier
Häusern untersucht. Es standen zahlreiche, zwischen 1939 und 1997 ent-
standene Fotografien verschiedener ehemaliger Mieter*innen und der
Stiftung Bauhaus Dessau, Rechnungen der am Bau beteiligten Firmen
sowie bauzeitliche Leitungspläne zur Verfügung. Darüber hinaus konn-
te auf die Informationen aus Interviews mit zwei langjährigen Bewoh-
ner*innen und eine rekonstruierte Lageskizze der frühen Außenanlagen
zurückgegriffen werden (Abb. 3). Schließlich wurden noch sämtliche
historischen Luftbilder im Landesamt für Vermessung und Geoinforma-
tionen Sachsen-Anhalt gesichtet.
                                                                                  Abb. 3. Lageskizze der frühen
                                                                                  Außenanlagen eines Laubengang-
                                                                                  hauses durch den langjährigen Be-
                                                                                  wohner Gerhard Oelschläger (Grafik:
                                                                                  G. Oelschläger).

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                           393
Archäologie - Historische ...
In einem weiteren Schritt erfolgte die fotografische Dokumentation des
                                           Ist-Zustands der Außenanlagen in der Peterholzstraße 48 und eine Be-
                                           standskartierung nach den Vorgaben der Gartendenkmalpflege (LDA S-A
                                           2011). Dabei wurden Bepflanzung und bauliche Ausstattung aufgenommen.
                                              Insbesondere die teilweise über Jahrzehnte angefertigten Fotoserien
                                           langjähriger Mieter*innen lieferten zahlreiche Informationen zur Nut-
                                           zung und Umgestaltung der Außenanlagen. Sehr anschaulich zeigt sich
                                           die Entwicklung der Gartennutzung von der durch Gemüseanbau und
                                           Kleintierhaltung geprägten Nachkriegszeit hin zu Zier- und Erholungs-
                                           gärten der 1970er und 1980er Jahre (Abb. 4). Auch die Gemeinschafts-
                                           einrichtungen erfuhren mehrere Veränderungen, die nach Angaben
                                           der Zeitzeug*innen weniger auf den Eigentümer als auf die Eigeninitia-
                                           tive der Mieter*innen zurückgingen. Zäune und Wäscheleinenpfosten
                                           wurden erneuert und der Spielplatz mehrfach umgestaltet. Dennoch
                                           scheint es, als ob die Außenanlage ihren intendierten Charakter bis in
                                           die Mitte der 1990er Jahre bewahren konnte. Dieser ging erst im Zuge
                                           einer Generalsanierung verloren, als der Hintergarten vollständig von
                                           ABM-Kräften umgegraben wurde und man die alte Parzellenordnung
                                           sowie den Spielplatz aufgab. An ihre Stelle trat eine durchgehende, mit
                                           einzelnen Zierpflanzen und Bäumen bestandene Rasenfläche, die für
                                           eine nachhaltige Änderung im Erscheinungsbild des Denkmals sorgte
                                           (Abb. 2). Die Maßnahme war eine Reaktion auf die deutlich gealterte
                                           Mieterschaft, die die Gartenparzellen und den Spielplatz ungenutzt ließ.
  Abb. 4. Bleicheplatz, Wäschehaus, Mie-
  tergärten, Zaun und Antennenmast
  in den 1970er Jahren (Foto: privat).

                                              Anhand der Bestandskartierung und Quellensichtung konnte dar-
                                           auf geschlossen werden, dass sich im Hintergarten mit Ausnahme des
                                           Waschhauses und des daran anschließenden, überdachten Trocken-
                                           platzes keine bauzeitliche Ausstattung mehr befindet. Die zum süd-
                                           lichen Nachbargrundstück verlaufende Ligusterhecke und eine aus
                                           unterschiedlichen Sträuchern bestehende Hecke an der westlichen
                                           Grundstücksgrenze könnten auf bauzeitliche Pflanzungen zurückgehen,
                                           da die heutigen Ausmaße in etwa mit den Angaben in den historischen
                                           Rechnungen der Gartenbaufirma Grote (1930) übereinstimmen. Weiter-
                                           hin deckt sich die historische Wegeführung, die von einem Hintergar-
                                           tenzugang neben dem Wäschehaus parallel zum Hauptgebäude durch
                                           die gesamte Anlage verlief sowie im rechten Winkel zur Kellertreppe
                                           abzweigte, größtenteils mit der heutigen Situation, die der Beschaf-
                                           fenheit der Gehwegplatten und Rasenkantensteinen zufolge aus der

394                                        Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Archäologie - Historische ...
Sanierungsphase stammen dürfte. Die ursprüngliche Konzeption der
Gartenwege sah Einfassungen aus Naturstein vor, für die 132,15 lfd. Meter
in Rechnung gestellt wurden: ein Wert, der fast genau der doppelten
Gesamtwegelänge entspricht (Grote 1930).
  Der heutige Weg endet auf Höhe einer einbetonierten Schwengel-
pumpe mit Brunnenring. Der Standort geht den bauzeitlichen Unter-
lagen der Installateursfirma Richter (1930) zufolge auf eine der beiden
bauzeitlichen Wasserzapfstellen, hüfthohe Betonpfeiler mit einfachen
Wasserhähnen, zurück, die entlang des Weges installiert waren. Die
zweite Zapfstelle befand sich auf Höhe des Bleichplatzes (Abb. 5). Sie
werden in einer Abrechnung des Baugeschäfts Lindemann (o. J.) er-                 Abb. 5. Leitungsplan vom Juli 1930
wähnt und sind auf Fotos, die 1930 unmittelbar nach dem Erstbezug ent-            der Installateursfirma Richter (Rich-
standen, bereits zu sehen (Abb. 6).                                               ter 1930).

                                                                                  Abb. 6. Laubenganghäuser in der
                                                                                  Peterholzstraße kurz nach der
                                                                                  Fertigstellung. Das Foto dürfte un-
                                                                                  mittelbar nach dem Erstbezug (Au-
                                                                                  gust 1930) entstanden sein, da noch
                                                                                  keine Pflanzungen zu sehen sind.
                                                                                  Auch Antennenmasten und Spiel-
                                                                                  platz fehlen noch (Foto: Bauhaus-
                                                                                  archiv Berlin ID 79704-Kieren).

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                             395
Archäologie - Historische ...
Der Bleicheplatz scheint zunächst ausschließlich als offene grasbe-
                                                  standene Fläche für die Rasenbleiche konzipiert gewesen zu sein. We-
                                                  der auf den frühen Fotos (Abb. 6) noch in den Rechnungen von 1930/1931
                                                  finden sich Hinweise auf freistehende Pfosten für Wäscheleinen, wie sie
                                                  ab den 1960er Jahren belegt sind und auch heute noch existieren. Da-
                                                  bei kamen unterschiedliche Pfosten zum Einsatz, was auf eine Eigenini-
                                                  tiative der Mieter deutet und in einer Verdreifachung der Wäschetrock-
                                                  nungsfläche resultierte.
                                                     Auch der Spielplatz wurde von den Mietern in vielen Punkten selbst ge-
                                                  staltet, wie einerseits die Fotografien zeigen und andererseits per münd-
                                                  licher Aussage bestätigt wurde3. Informationen zur ursprünglichen Aus-
                                                  gestaltung des Spielplatzes sind punktuell vorhanden. Fest steht, dass
                                                  ein Sandkasten angelegt wurde. In einem Bericht über die Gesamtkos-
                                                  ten der Laubenganghäuser vom Dezember 1931 werden unter der Be-
                                                  zeichnung „Kinderspielplatz“ insgesamt acht Fuhren Sand (aufgeteilt auf
                                                  alle fünf Häuser) und Einfriedungen aufgeführt (WBG Dessau 1931). Bei
                                                  den Einfriedungen handelt es sich wahrscheinlich um eine Sandkasten-
                                                  einfassung aus Beton oder Verbundmaterial (?), die auf einem privaten
                                                  Foto von 1939 sehen ist. Hier ist auch zu erkennen, dass der Sandkasten
                                                  von einer größeren sandigen Fläche umgeben war und der Spielplatz in
                                                  Richtung Waschhaus durch eine Hecke (wahrscheinlich ligustrum vulga-
                                                  re) separiert war. Die sandige Fläche im Südosten der jeweiligen Hinter-
                                                  gärten ist auf einem hochauflösenden Luftbild der USAAF vom 11.4.1945
                                                  sichtbar (Abb. 7). Weiterhin liefert eine auf einer Rechnung vermerkte
                                                  Notiz einen Hinweis auf drei Bäume (ohne Baumart), die als Schatten-
                                                  spender auf jedem Spielplatz gepflanzt wurden. Diese waren zunächst
                                                  nicht eingeplant, und ihre im Dezember 1930 erfolgte Pflanzung wurde
                                                  erst im Zuge des Bauprozesses beschlossen (Bürger 1930b). Wie auch
                                                  der Rest des Spielplatzes sind sie auf den Fotos von 1930 noch nicht
                                                  vorhanden (Abb. 6). Es lässt sich somit festhalten, dass die bauzeitliche
                                                  Planung einen Spielplatz vorsah, der zunächst nur aus einem eingefrie-
                                                  deten Sandkasten und drei Bäumen bestand und durch eine Hecke ab-
                                                  getrennt war. Er wurde jedoch erst nach dem Erstbezug im zweiten Teil
                                                  des Jahres 1930 sowie 1931 eingerichtet. Auf der Lageskizze (vgl. Abb. 3)
                                                  und späteren Fotos abgebildete Sandkasteneinfassungen, Sitzgelegen-
                                                  heiten und eine Schaukel sind sehr wahrscheinlich auf Eigeninitiative der
                                                  Mieter*innen ergänzt worden.
                                                     Dies gilt nicht für zwei weitere Elemente, die unmittelbar nach dem
  Abb. 7. Luftbild der USAAF der Peter-           Erstbezug noch nicht existiert haben (Abb. 6). Einerseits handelt es sich
  holzstraße 48 und deren unmittel-               um durch zwei Betonpfeiler gehaltene Teppichklopfstangen, die an
  bare Umgebung vom 11.4.1945. Der                drei Standorten fotografisch belegt sind und für die ein terminus ante
  sandige Spielplatz in den Außenan-              quem von 1939 geltend gemacht werden kann. Sie wurden am östlichen
  lagen wie auch mehrere Bomben-                  Ende der Gärten neben dem zentralen Weg aufgestellt. Anderseits tra-
  schäden nördlich (zerstörte Rei-
                                                  ten zwei hölzerne Antennenmasten hinzu. Sie wurden an der südlichen
  henhäuser, Bombentrichter in der
  Straße Am Dreieck) und südöstlich               Grundstücksgrenze etwa auf Höhe der Wasserzapfstellen errichtet
  (zerstörter Dachstuhl in der Peter-             und hielten Drähte für den Mittelwellenempfang (vgl. Abb. 3). Beide
  holzstraße 52) sind deutlich er-                Anlagen treten nicht in den bauzeitlichen Rechnungen auf, ihre gleich-
  kennbar (Foto: Luftbilddatenbank                förmige Ausgestaltung spricht jedoch für eine Beschaffung durch die
  Dr. Carls GmbH, Nr. 1945-04-11_                 Wohnungsbaugenossenschaft. Dafür spricht auch die Erwähnung der
  30-59_11_2064).                                 Antennenmasten in einer frühen Hausordnung von (wahrscheinlich)
                                                  1930 (WG Dessau 1930).
                                                     Die detaillierteste Information aus den Quellen liegt zur bauzeitlichen
                                                  Umzäunung vor. Eine frühe Abbildung von 1930 (Abb. 6) zeigt hier ei-
                                                  nen Maschendrahtzaun mit Zaunpfosten, in den an den Schmalseiten
      3
          Freundliche mündliche Mitteilungen
          von G. Oelschläger und A. Stengel,      am Anfang und Ende des Weges Türen eingelassen waren. Die Pfosten
          basierend auf einem Interview mit ei-   steckten in Betonfundamenten, die bereits im Vorfeld gegossen worden
          ner langjährigen Mieterin.              zu sein scheinen, da sie auf einigen Fotos deutlich aus der Erde ragen.

396                                               Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Ein Kostenvoranschlag vom August 1930 einer unbekannten Malerfirma
kalkuliert das Streichen von 50 Pfosten und 158 m² Drahtgeflecht (Ma-
ler 1930). Die Anzahl der Pfosten ließ sich anhand der Fotos unter Hin-
zuziehung der Querstreben in etwa verifizieren, während das Geflecht
auf einer Strecke von ca. 79–80 m (= Hintergartenumfang abzüglich Wä-
schehaus und Trockenplatz) verbaut worden sein müsste. Das entspricht
exakt der Hälfte der Angaben aus dem Kostenvoranschlag, woraus sich
eine ehemalige Zaunhöhe von zwei Metern ergibt. Weiterhin liefern Fo-
tos und Kostenvoranschlag Hinweise auf das Anbringen eines 37 m lan-
gen Rasenschutzgeländers aus Gasrohren (?), das entlang der westlichen
Grundstücksgrenze vom Wäschehaus bis zum Müllschlucker reichte,
unterbrochen nur vom Zugang zum Hintergarten.
   Die Mieterparzellen waren ebenfalls in der Konzeption vorgesehen,
jedoch erfolgte die Aufteilung allen Informationen zufolge nicht im
Zuge des Gartenbaus, sondern erst danach durch die Mieter selber (vgl.
z. B. Baumann 2006, Anm. 26). Jede Mieteinheit erhielt einen 35–40 m²
großen Garten, der an das Haupthaus grenzte oder zwischen Bleiche
und Spielplatz lag. Dazwischen verliefen kleine Pfade (Abb. 3). Zahl-
reiche Fotos geben Aufschluss darüber, dass die Gärten individuell
durch Rasenkantensteine, Backsteinreihen, Latten- oder Stakenzäune
begrenzt waren.
   Quellenumfang und -qualität zu der bauhauszeitlichen Gestaltung der
Außenanlagen in der Peterholzstraße 48 sind damit durchaus als gut zu
bezeichnen, liefern sie doch einen groben Eindruck der Konzeption. Je-
doch bleibt in Bezug auf die genaue zeitliche und räumliche Verortung
von Strukturen und Handlungsräumen vieles unklar. An diesem Punkt
setzte die Archäologie an, deren spezifische Methodik sich durch den
umfänglichen Informationsrahmen präzise auf die Situation zuschnei-
den ließ.
   Die hohe Quellendichte ermöglichte es, die Bodeneingriffe gering zu
halten. Gerade einmal 33,3 m², verteilt auf elf Schnitte, genügten für die
Beantwortung der Fragestellung (Abb. 8). Die Schnitte 1–5 konnten mit ho-
her Präzision angelegt werden. Zur Auffindung der Wasserzapfstelle auf
dem Bleicheplatz und des Antennenmastes (Schnitte 1 und 3) genügten
jeweils kaum mehr als 1 m², um den Befund vollständig zu erfassen. Die
Schnitte 2, 4 und 5, die dem Zaun und den Wäscheleinenpfosten galten,
benötigten lediglich eine Fläche von 2 m² für aussagekräftige Ergebnisse.

                                                                                  Abb. 8. Dessau-Laubenganghaus
                                                                                  PHS 48. Verortung der elf Schnitte im
                                                                                  Hintergarten (Grafik: F. Rösch).

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                             397
Im Bereich des Spielplatzes und der Mietergärten war hingegen ein
      Vorgehen mit Suchschnitten geboten (Schnitte 6 und 8): im Fall des
      Spielplatzes aufgrund mangelnder Verortungsmöglichkeiten insbeson-
      dere der frühen Sandkastenphasen und bei den Mietergärten aufgrund
      der Fragestellung, die der individuellen Unterteilung und Nutzung galt,
      wofür mehrere Parzellen erfasst werden sollten. Beide Eingriffe mach-
      ten aufgrund ihrer Ergebnisse weitere, versetzt angelegte Schnitte not-
      wendig, um entsprechende Befunde zu verfolgen (Schnitte 7 und 9–11).
      Daran wird deutlich, dass die Vorgehensweise der Fragestellung obers-
      te Priorität einräumte und entsprechend flexibel auf die Befundsituati-
      on reagierte.
         Die Grabungsarbeiten wurden ausschließlich in Handschachtung
      betrieben. Dieser Entscheidung lag die Kenntnis zu Grunde, dass die
      Mietergärten während der Generalsanierung Mitte der 1990er Jah-
      re nur händisch durch ABM-Kräfte eingeebnet worden und relevante
      Schichten bereits unmittelbar unter der Grasnarbe zu erwarten waren.
      Die Dokumentation erfolgte sowohl analog mittels handschriftlich aus-
      gefüllter Befundbeschreibungen und Skizzen als auch digital mittels
      Fotogrammmetrie und Structure-from-Motion (SfM), deren Resultate
      bereits „on-site“ in eine Datenbank und ein GIS-Projekt eingepflegt und
      prozessiert wurden. So standen vor Ort tagesaktuelle Pläne des Gra-
      bungsfortschritts zur Verfügung, die mit den räumlichen Informationen
      aus Lageskizze (Abb. 3), Lageplan (Abb. 5), Schachtschein, Bestandskar-
      tierung und Luftbildern abgeglichen werden konnten und damit auch
      als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen dienten.
         Solange die Mengen überschaubar blieben, wurden alle Funde sämt-
      licher Zeitstellungen geborgen. Bei hohen Anzahlen erfolgte, den „Leit-
      linien einer Archäologie der Moderne“ entsprechend (Arndt u. a. 2017,
      240), eine selektive Fundauswahl. So wurden bei großen Mengen dersel-
      ben Fundart nur exemplarische und repräsentative Stücke geborgen (z. B.
      Fensterglas, Bauschutt) und auf die Aussagekraft und Singularität der Stü-
      cke Rücksicht genommen. Dies war bei der unerwartet angetroffenen
      Entsorgungsgrube der Fall, als sich das Grabungsteam mit Fundmengen
      konfrontiert sah, die sich nur noch eimerweise bergen ließen.
         Die Auswertung der Befunde gestaltete sich weitestgehend unprob-
      lematisch. Sie ließen sich vornehmlich über die Parallelüberlieferung in-
      terpretieren, während archäologisch-archäologische Vergleiche (vgl. Ick-
      erodt 2010) nur in geringem Umfang eine Rolle spielten. Die bauzeitlichen
      Archivalien und privaten Dokumente lieferten zahlreiche Anhaltspunkte.
         Schwieriger war hingegen die Auswertung der Funde, deren Umfang
      durch die Entsorgungsgrube unerwartet in die Höhe schnellte. Wurde
      die Bedeutung der Funde vor dem Hintergrund der strukturgeschicht-
      lichen Fragestellung zunächst als sekundär eingestuft, allenfalls dazu
      angehalten, Tendenzen zur Nutzung einzelner Parzellen oder Bereiche
      liefern zu können, so eröffneten sich durch die Masse, Zusammenset-
      zung und Qualität des Materials aus der Grube völlig neue Interpretati-
      onsmöglichkeiten. Die hier enthaltenen Objekte – neben Bauschutt vor
      allem Hausrat der 1930er und 1940er Jahre – boten die Chance, die von
      Alltag und gesellschaftlichen Umwälzungen geprägten Lebenswirklich-
      keiten der frühen Bewohner*innengeneration zu studieren.
         Die Auswertung dieses Materials erfolgte durch die Verfasserinnen
      und Verfasser gegliedert nach Material und Themengruppen. Ausgangs-
      punkt war hier eine differenzierte Fragestellung, die die ehemaligen Be-
      wohner*innen in den Mittelpunkt stellte. Ihre Lebenswirklichkeit sollte
      anhand der materiellen Kultur zu den Themenfeldern Trend und Tradi-
      tion, Konsum und Alltag, Gesundheit, Hygiene und Kosmetik, Konflikt
      sowie Beruf, Freizeit, Ideologie und Religion beleuchtet werden. Für die

398   Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Auswertung wurden die Funde nach Aussagekraft selektiert. Dabei wa-
ren vor allem Logos und Beschriftungen, Dekore und Sonderformen hilf-
reich, während Mengenberechnungen nur wenig Aussagekraft zukam,
da einerseits selektiv geborgen und andererseits nur ein Teil der Grube
erfasst worden war. So beschränkte sich beispielsweise die Keramikaus-
wertung auf das Tafelgeschirr, das vornehmlich über Dekor und Marken
bestimmbar war. Eine detaillierte Darstellung des Selektionsprozesses
und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Interpretation findet
sich im Folgenden unter den einzelnen Fundthemen.
  Die Fundaufnahme wurde ebenfalls angepasst. Statt der üblicherweise
in den archäologischen Wissenschaften praktizierten Anfertigung zeitin-
tensiver Zeichnungen und Profildokumentation wurde die Dokumentati-
on auf Fotos zu einzelnen Materialien und Befunden beschränkt, die die
Objekte in Gruppen abbildeten. Ergänzend wurden Detailfotografien an-
gefertigt. Für Zeitstellungen, deren Sachkultur von industrieller Massen-
fertigung geprägt ist und die nur wenig Aussagewert zu Fertigungstechnik
und Funktion, umso mehr für akteursbasierte Fragestellungen besitzt, ist
diese Vorgehensweise ein probates Mittel. Zudem erlaubt diese Art der
Dokumentation, einen schnellen Eindruck über Umfang und Zusammen-
setzung des Materials zu erlangen, da durch die zeitliche Nähe der Funde
zur Gegenwart ein schnellerer Zugang zur Bedeutung bzw. Funktion der
Objekte gegeben ist. Dadurch war auch die Bestimmung vieler Funde be-
reits aufgrund der individuellen Sozialisation und Erfahrung der Verfas-
ser*innen möglich. Jedoch liegt hierin auch eine potentielle Fehlerquel-
le, da eine unreflektierte Übertragung subjektiver Einstellungen oder
Wahrnehmungen von bestimmten Objekten oder Produkten auf die zu
betrachtende Zeit ohne Belege nicht gültig sein kann (Ickerodt 2010, 18; s.
auch Hodder 1997). Beispielsweise sind die gegenwärtigen Einstellungen
gegenüber bestimmten Nahrungs- und Genussmitteln sicherlich andere
als diejenigen der 1930er und 1940er Jahre (s. u.).
  Funde von Militaria, hebräisch beschrifteter Keramik, aber auch von
Spielzeug und Hygieneartikeln verlangten weiterhin das Hinzuziehen
von Spezialist*innen für das jeweilige Themengebiet im zeitlichen Kon-
text von NS-Zeit, Zweitem Weltkrieg und DDR. Zu komplex ist der zeit-
geschichtliche Hintergrund, zu vielfältig die materielle Kultur, um von
Einzelpersonen komplett überblickt zu werden (vgl. Arndt u. a. 2017,
239–240). Dies verlangt zudem ein hohes Maß an Innovation und Kre-
ativität bei der Recherche, finden sich viele Informationen doch nur
abseits des Wissenschaftskosmos und lassen sich nicht über erlernte
Forschungspraktiken erheben. Beispielsweise führt die Suche in Fach-
bibliotheken nach Informationen über ein modernes Objekt nur selten
zum erhofften Ergebnis. Erfolgversprechender sind vielmehr die Einsicht
in Unternehmensarchivalien, das Herantreten an thematische Vereine,
die Konsultation von Sammler*innen und Interessierten in Internetfo-
ren und weiteren Social-Media-Plattformen sowie Gespräche mit Zeit-
zeug*innen. Entsprechende Recherchewege sind auch im Zuge der hier
präsentierten Auswertung beschritten worden.

Die bau(haus)zeitlichen Außenanlagen und ihre Entwicklung –
Ergebnisse zur Strukturgeschichte

Zapfstelle

Wie ausgeführt, wurden insgesamt elf Schnitte angelegt, um den be-
nannten Einrichtungen der Außenanlagen nachzugehen. Dabei konn-
ten vier Strukturen anhand der Dokumentationsfülle genauer verortet

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus   399
werden. Eine davon war die Wasserzapfstelle. Zur Untersuchung wur-
                                         de die Zapfstelle auf dem Bleicheplatz ausgewählt, da die zweite Stelle
                                         durch die einbetonierte Schwengelpumpe überprägt ist. Die Zapfstelle
                                         bestand aus einer im Boden verankerten Betonsäule von etwa 90 cm
                                         Höhe mit quadratischem Grundriss und Kehlung, in der ein verzinktes
                                         eisernes Wasserrohr verlief (Schierwagen 1930), das in einem einfachen
                                         Wasserhahn aus Messing endete (Abb. 9). Der Säule war ein unterirdi-
                                         sches Absperrventil vorgelagert, das über ein Schloss auf Bodenhöhe
                                         verfügte. Der Standort der Zapfstelle konnte auf den privaten Fotogra-
                                         fien, aber insbesondere auf dem Leitungsplan (Abb. 5) fast zentimeter-
                                         genau nachvollzogen werden. Entsprechend wurde zunächst nur ein
                                         1 × 1 m großer Quadrant angelegt (Schnitt 1; Abb. 8), der unter der Gras-
                                         narbe bereits den ersten Befund erbrachte: die abgeschlagene Kappe
                                         des Schließgehäuses des Absperrventils. Das dazugehörende, zylin-
                                         drische Gehäuse wurde beim weiteren Abtiefen auf zwei Backsteinen
                                         stehend in situ angetroffen. Oben ragte das tropfenförmige Schloss zur
                                         Bedienung des unterirdischen Ventils, das ehemals durch die Kappe ge-
                                         schützt war, heraus. Das Gehäuse befand sich innerhalb einer ebenfalls
                                         an Originalposition angetroffenen, rechteckigen Natursteinsetzung, die
                                         sich aus vier Platten scharriertem Sandstein von etwa 5 cm Stärke, deren
                                         obere Kanten gerade abschlossen, zusammensetzte. Mit Kantenlängen
                                         von 0,33 × 1,13 m grenzt die Setzung eine Fläche von etwa 0,4 m² ab – ein
  Abb. 9. Betonsäule des Zapfhahns       Wert, der exakt mit den in Rechnung gestellten Arbeiten an der Zapfstel-
  auf einem Foto um 1960. Der Wasser-    le durch die Gartenbaufirma Grote übereinstimmt (Grote 1930, 15-17D)
  hahn ist zu diesem Zeitpunkt bereits   und damit zweifelsfrei bauzeitlich ist.
  entfernt worden (Foto: privat).
                                            Von der Betonsäule fanden sich hingegen keine Spuren mehr. Ihr Stand-
                                         ort lässt sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in
                                         der südlichen Sandsteinreihe verorten. Dies legen die Lücke in der Reihe,
                                         die mittige Anordnung und der Winkel zum Ventil nahe (Abb. 10). Die
                                         13–14 cm breite Lücke liefert zudem einen Hinweis auf die Kantenlängen
                                         des Säulenquerschnitts. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass die
                                         Steinsetzung nicht nur das Areal der Wasserzapfstelle optisch eingren-
                                         zen sollte, sondern auch eine Drainage, etwa Kies, enthielt. In jedem Fall
                                         büßte die Zapfstelle schnell ihre Funktion ein. Anhand der fotografischen
                                         Dokumentation lässt sich nachvollziehen, dass der Hahn bereits um 1960
                                         von der Säule entfernt worden war und die Drainagefläche zugewuchert
                                         ist. Spätestens in den 1970ern ist auch die Säule nicht mehr existent.
  Abb. 10. Dessau-Laubenganghaus
  PHS 48. Schnitt 1, Planum 5. 3D-Mo-
  dell der Befundsituation der Wasser-
  zapfstelle am Bleicheplatz (Grafik:
  F. Rösch).

400                                      Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Radioantennenmast

Einer von zwei historischen Antennenmasten für den Langwellenemp-
fang, die kurz nach Errichtung der Häuser aufgestellt wurden und bis
in die oberste Etage des Laubenganghauses reichten, ließ sich eben-
falls präzise nachvollziehen. Anhand der historischen Fotos konnte der
Standort des westlichen Mastes, der sich aus einem Holzstamm, eiser-
nen Trittbügeln und einem Querbalken an der Spitze zusammensetzte,
auf den südlichen Teil des Bleichplatzes eingrenzt werden (Abb. 4). Bei
Begutachtung der Bodenoberfläche lieferte ein Erdloch, in dem sich der
obere Teil des Maststumpfes befand, den entscheidenden Hinweis auf
den Standort. Entsprechend konnte auch hier ein 1 m² Schnitt (3) sehr
präzise über dem Befund angelegt werden (Abb. 8).
  Nach Abtrag des A-Horizontes kamen die Reste des Mastes zum Vor-
schein. Der Mast war rund bei einem Durchmesser von ca. 20 cm. Wäh-
rend der oberflächennahe Teil stark verrottet war, konnten im unteren
Teil die Außenkanten, die wahrscheinlich durch einen Korrosionsschutz             Abb. 11. Dessau-Laubenganghaus
                                                                                  PHS 48. Schnitt 3, Planum 3. 3D-Mo-
aus Teer geschützt worden waren, noch dokumentiert werden. Der Mast
                                                                                  dell der Befundsituation des Anten-
wurde bis auf 1,3 m Tiefe verfolgt, ohne jedoch dessen Ende zu erreichen.         nenmastes (Grafik: F. Rösch).
Er steckte in einer etwa doppelt so großen Pfostengrube. Nach Norden in
Richtung Haupthaus war ein trapezförmiges Fundament aus mit Kies ver-
setztem Beton vorgelagert. Das Fundament konnte komplett freigelegt
werden und weist eine Höhe von etwa 50 cm auf. Die leicht asymmetri-
sche Form spricht dafür, dass hier per Handschachtung ein Trapez unmit-
telbar am Mast ausgehoben und mit Ortbeton verfüllt wurde. Ob dies
unmittelbar nach Errichtung des Mastes geschah oder erst nachträglich
aufgrund einer Instabilität durchgeführt wurde, ließ sich nicht eruieren.
Die Lage des Fundaments zielt dabei deutlich auf die Richtung ab, aus der
der Mast Zug durch die Antennenkabel erfuhr (Abb. 11).
  Unklar ist, wann genau die Masten entfernt wurden. Bis in die 1970er
sind sie auf einigen Fotografien noch sichtbar, Mitte der 1990er fehlen
sie definitiv. Mit Einführung der UKW in der Nachkriegszeit dürften sie
bereits deutlich früher obsolet geworden sein (Dussel 1999).

Wäscheleinenpfosten

Wie erwähnt, existierten unmittelbar nach Fertigstellung des Hauses
noch keine Pfosten für die Wäscheleinen, sodass ihre erstmalige Anla-
ge erst für die Nachkriegszeit verifiziert ist. Anhand der fotografischen
Quellen ließen sich im Vorfeld zwei Phasen von Wäschepfosten rekon-
struieren. So war in den 1960–1970er Jahren eine etwas provisorisch
anmutende Ausführung vorhanden, die sich aus unterschiedlichen
Pfostentypen zusammensetzte. Die Pfostenreihen waren mit Brettern,
in denen Haken zur Anbringung von Wäscheleinen steckten, verbun-
den (Abb. 12). Heute stehen hier zwei mal drei Stahlbögen aus DDR-Pro-
duktion, die im Zuge der Sanierungsmaßnahmen Mitte der 1990er von
einem anderen Objekt hierhin versetzt wurden.
  Über die Fotos konnte der Standort der Pfostenreihen eingegrenzt
werden. Sie lagen in allen Phasen etwa auf Höhe des Zweigwegs zum
Kellerabgang. So boten Wegeführung und heutige Pfosten Anhaltspunk-
te für die Lokalisation. Um eine bessere Vergleichbarkeit zu erzielen und
einen etwaigen Versatz der Pfosten zu erfassen, wurde an zwei heutigen
Pfostenstandorten je ein Schnitt (4 und 5) von 2 m² angelegt (Abb. 8).
  In beiden Schnitten konnte der gleiche Schichtaufbau dokumentiert               Abb. 12. Bleicheplatz mit Pfosten für
werden. Unter dem A-Horizont befand sich die Planierschicht der Sanie-            Wäscheleinen und Holzlagerplatz um
rungsmaßnahme. Im darunterliegenden, anstehenden Boden konnten                    1960 (Foto: privat).

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                             401
in beiden Schnitten insgesamt drei Pfostengruben nachgewiesen wer-
                                           den, von denen zwei noch eine Pfostenstandspur aufwiesen (Abb. 13).
                                           Sowohl Tiefe (bis zu 90 cm) und Beschaffenheit (unregelmäßige Form,
                                           Durchmesser von 17 und 20 cm) der Befunde mit Standspur, von de-
                                           nen jeweils einer in Schnitt 4 und in Schnitt 5 angetroffen wurde, als
                                           auch ihre Position exakt 3 m in nordsüdlicher Ausrichtung voneinan-
                                           der entfernt, legen die Zugehörigkeit zur selben Bauphase nahe. Die
                                           Stratigraphie spricht hier für die ab den 1960er Jahren dokumentierten
                                           Pfosten. Abstand und Position der Standspuren korrelieren exakt mit
                                           zwei der vier Pfosten des überdachten Trockenplatzes. Aus einer der
                                           Pfostenstandspuren stammen zudem fünf Fragmente DDR-typischer
                                           Plastikwäscheklammern.
                                             Möglicherweise wurden hier Standorte einer früheren, ersten (?) Phase
                                           verwendet. Einen Hinweis darauf liefert ein verlagertes Betonfundament,
                                           dass in seiner Machart stark an das Fundament des Antennenmastes er-
                                           innert. Auch hier wurden Pfosten in Zugrichtung der Leinen stabilisiert.
                                             Die dritte Pfostengrube war hingegen weit weniger tief und korreliert
                                           nicht mit anderen Pfostenlöchern, sodass eine Funktion als Wäsche-
                                           pfosten eher unwahrscheinlich erscheint. Gegebenenfalls besteht hier
                                           ein Zusammenhang mit einem auf den Fotos abgebildeten Holzlager-
                                           platz (Abb. 12).
  Abb. 13. Dessau-Laubenganghaus             Es lässt sich festhalten, dass die ab den 1960er Jahren dokumentierte
  PHS 48. Schnitt 5, Profil 1 Süd. Pfos-   Phase im archäologischen Befund nachgewiesen werden konnte. Ge-
  tengrube und Pfostenstandspur            gebenenfalls gab es jedoch schon eine frühere Phase, mit der ab den
  (Foto: F. Rösch).                        1930ern zu rechnen wäre und für die Betonfundamente gegossen wurden.

                                           Zaun

                                           Über die Beschaffenheit und den Verlauf der bauzeitlichen Umzäunung
                                           lagen detaillierte Informationen vor. Ein Schnitt entlang der westlichen
                                           Seite der Außenanlagen zwischen Haupthaus und Waschhaus sollte
                                           überprüfen, ob Befunde bauzeitlicher Zaunbestandteile im Boden anzu-
                                           treffen waren. Dabei kam zugute, dass der heutige Zaun ein Stück weiter
                                           nach außen versetzt ist als die historische Begrenzung, deren ehemalige
                                           Befestigungsspuren an der Hauswand noch sichtbar sind. Auf der Foto-
                                           grafie, die kurz nach Abschluss der Bauarbeiten entstand, kann nach-
                                           vollzogen werden, dass der über 12 m verlaufende Maschendrahtzaun
                                           aus sechs Segmenten von ca. 2,0–2,1 m Länge bestand, in dessen südli-
                                           ches Segment eine Tür eingelassen war. Aus diesen Informationen resul-
                                           tierte die Entscheidung, dass ein 4,0 × 0,5 m großer Schnitt (2) genügte,
                                           da so in jedem Fall zwei Zaunpfosten erfasst werden würden (Abb. 8).
                                             Die Schichten und damit die Befunderkennung erwiesen sich in
                                           Schnitt 2 als kompliziert. So legte der Schichtaufbau nahe, dass in die-
                                           sem Bereich vergleichsweise tief und flächig in den Boden eingegriffen
                                           worden war. Nur eine runde, im Durchmesser 14 cm messende Pfosten-
                                           grube mit rechteckiger Pfostenstandspur zeigte sich deutlich im Befund.
                                           Sie konnte bis in eine Tiefe von 75 cm dokumentiert werden. Da sie nicht
                                           mit den Abständen der bauzeitlichen Zaunpfähle korreliert, wird sie von
                                           einer jüngeren Zaunphase stammen. In Betracht kommt hier ein Holz-
                                           pfahl eines Jägerzauns, der zwischen 1960 und 1980 belegt ist (Abb. 4).
                                             Für die Peterholzstraße 48 bleibt damit festzuhalten, dass es ein-
                                           schließlich der aktuellen Grundstücksbegrenzung, einem provisorisch
                                           anmutenden Metalllattenzaun, mindestens drei Zaunphasen unter-
                                           schiedlichster Machart und Aufteilung gab. Die Hinterlassenschaften
                                           der bauzeitlichen Zaunphase konnten dabei jedoch nicht erfasst wer-
                                           den und sind wahrscheinlich zerstört oder zu stark überprägt.

402                                        Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Mietergärten

Anders als die vorgenannten Einrichtungen mussten die Mieterparzel-
len mittels eines 10 m langen Suchschnitts (8) untersucht werden. Nach
der Skizze (Abb. 3) lagen 14 der insgesamt 18 Parzellen rechtwinklig an
der Hauswand, nur unterbrochen durch den Zweigweg zum Keller und
kleinere Pfade. Diese Parzellen maßen jeweils ca. 11 × 4 m. Wie ange-
führt, war neben der Bepflanzung auch die weitere Gestaltung der Gär-
ten Sache der Mieter (Abb. 4). Um den Mieterparzellen archäologisch
nachzugehen, wurde der Suchschnitt östlich des Zweigweges zur Keller-
treppe so angelegt, dass er theoretisch drei Parzellenbegrenzungen er-
fassen würde (Abb. 8). Unter dem A-Horizont, der in diesem Bereich mit
20–25 cm Stärke besonders mächtig ausfiel, stieß man auch hier auf die
Planierschicht der Sanierungsmaßnahme. Eingetieft in den anstehenden
Boden konnten darunter zahlreiche längliche, in nordsüdlicher Ausrich-
tung verlaufende Gruben identifiziert werden. Die Gruben waren mit
10–20 cm Tiefe relativ flach und unregelmäßig in ihrer Breite (20–40 cm).
Alle wiesen eine ähnliche Verfüllung mit kiesigem Sand, der partiell mit
Ziegelflitter und Mörtelbruch vermischt war, auf (Abb. 14).

                                                                                  Abb. 14. Dessau-Laubenganghaus
                                                                                  PHS 48. Schnitt 8, Profil 3, Süd. Östli-
                                                                                  cher Teil des Profils. Die homogen
  Um die Ausmaße dieser Gruben in der Länge zu bestimmen, wurden                  verfüllten Gruben sind im anste-
zwei weitere kleine Schnitte (10 und 11) nördlich und südlich des östli-          henden Boden deutlich zu erkennen.
chen Endes des Suchschnitts angelegt. In diesen gelang es, die nördli-            Darüber liegt die Planierschicht 35
                                                                                  (Foto: F. Rösch).
chen Ausläufer zweier Grubenbefunde zu dokumentieren. Der südliche
Abschluss war hingegen nicht zu erfassen, da sich der Befund über die
Schnittgrenze hinaus erstreckte.
  Eine Ausnahme von diesem Befundbild offenbarte sich im Westen des
Suchschnitts, wo eine größere Grube im anstehenden Boden erfasst
werden konnte. Diese Grube umfasste neben Sand größere Mengen Be-
ton- oder Mörtelbrocken, die teilweise mit Teerpappe versehen waren
und auch dickere Eisendrähte enthielten.
  Die Interpretation der vielen länglichen Grubenbefunde gestaltet sich
schwierig. Zwar folgen die Gruben in ihrer Ausrichtung dem Verlauf der
Mietergärten, allerdings können sie weder mit den Begrenzungen noch
mit etwaig dazwischenliegenden Pfaden korreliert werden. Sowohl für
die Verlegung von Begrenzungssteinen als auch Zaunpfosten wären an-
dere Befunde wie Spitzgräben oder Pfostenlöcher zu erwarten. Darüber
hinaus spricht ihre gleichförmige Verfüllung und vergleichsweise große
Tiefe im anstehenden Boden gegen einen Zusammenhang mit Parzel-
lenbegrenzungen, wenn man in Betracht zieht, dass durch die Garten-
baubetriebe auch Erdreich und Schlacke aufgefahren wurden (Bürger
1930a). Es ist also davon auszugehen, dass Relikte der Mietergärten kaum
erhalten sind bzw. nur an Stellen, wo tiefere Eingriffe vorgenommen
wurden. Die Planierung Mitte der 1990er Jahre war in diesem Bereich
anscheinend entsprechend umfangreich und hat viele der Spuren ent-
fernt. Gegebenenfalls stammen die länglichen Gruben aus der Bauzeit

Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus                                403
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