Archäologie - Historische ...
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Historische Sonderband 2020 Archäologie Felix Rösch, Hannes Buchmann, Timo Feike, Katharina Hindelang und Katja Liebing Bauhaus Ausgraben: Archäologische Unter- suchungen an einem unter Hannes Meyer errichteten Laubenganghaus in Dessau-Törten Abstract In 2018, archaeological studies were carried out as part of an interdisci- plinary DFG project on the Laubenganghäuser in Dessau-Törten which were erected in 1930 under the second Bauhaus director Hannes Mey- er. The aim was to draw conclusions about the contemporary consti- tution and design of the associated outdoor facilities. Using manifold parallel records, it was possible to dig precise trenches that revealed the relics of several structures, including a multi-phase playground. In addition to the results of the spatial conception of the outdoor facili- ties, the discovery of a disposal pit filled with household items, debris, warfare material and militaria from 1945 provides insights into the living environment of the early residents of the Laubenganghaus. For the first time, the focus is centred on the users and not on the architects of the Bauhaus buildings in Dessau-Törten, which were built with a decidedly social claim. On the basis of a detailed find analysis, it is shown that a differentiated consumer behaviour prevailed which reflects modest wealth. In addition, the material remains reveal insights into the effects of Nazi rule and World War II on the Törten residents in general, as well as on Jewish people and a „Volkssturm“ member in particular. The ar- ticle furnishes information not only on the background and results of the research but also provides a description of the methodological ap- proach and detailed analyses of the diverse find categories. With its de- liberate attention to detail, it should contribute to the establishment of best practice methods and provide suggestions for comparable studies within Contemporary Archaeology. Zusammenfassung 2018 fanden im Rahmen eines interdisziplinär angelegten DFG-Pro- Zitation:/cite as: F. Rösch et al., Bauhaus Ausgraben: jektes archäologische Untersuchungen an den 1930 unter dem zwei- Archäologische Untersuchungen an ten Bauhausdirektor Hannes Meyer errichteten Laubenganghäusern in einem unter Hannes Meyer errichtet- Dessau-Törten statt. Ziel war es, Rückschlüsse auf die bau(haus)zeitli- en Laubenganghaus in Dessau-Törten. In: F. Jürgens/U. Müller (Hrsg.), Archäo- che Beschaffenheit und Konzeption der zugehörigen Außenanlagen logie der Moderne. Standpunkte und zu gewinnen. Unter Hinzuziehung der umfangreich vorhandenen Par- Perspektiven. Sonderband Historische allelüberlieferung konnten präzise Bodeneingriffe vorgenommen wer- Archäologie 2020 (Onlineversion), 387– 450 den, die die Relikte zahlreicher Strukturen, darunter eines mehrphasi- ‹doi 10.18440/ha.2020.121› gen Spielplatzes, offenbarten. Neben den Ergebnissen zur räumlichen
Konzeption der Außenanlagen ermöglicht die Entdeckung einer mit Hausrat, Bauschutt, Kampfmitteln und Militaria verfüllten Entsorgungs- grube von 1945 Einblicke in die Lebenswirklichkeit der frühen Bewoh- nerschaft des Laubenganghauses. Erstmals rücken so die Nutzer*innen der mit einem dezidiert sozialen Anspruch errichteten Bauhausarchitek- tur in Dessau-Törten selbst in den Fokus. Anhand einer ausführlichen Fundanalyse wird ein differenziertes Konsumverhalten nachgewiesen, welches auf einen bescheidenen Wohlstand zurückführen ist. Darüber hinaus ermöglichen die materiellen Zeugnisse Aussagen zu den Aus- wirkungen von NS-Herrschaft und Zweitem Weltkrieg auf die Anwoh- ner*innen im Allgemeinen sowie jüdische Personen und einen Volks- sturmangehörigen im Speziellen. Der Beitrag informiert dabei nicht nur über Hintergrund und Ergebnisse der Untersuchungen, sondern liefert darüber hinaus eine Beschreibung der methodischen Vorgehensweise und detaillierte Analysen zu den vielfältigen Fundkategorien. In seiner bewussten Ausführlichkeit soll er zur Etablierung von best practice bei- tragen und Anregungen für vergleichbare Untersuchungen im Rahmen einer Archäologie der Moderne liefern. Einleitung Kaum eine andere Strömung in der jüngeren Kunst- und Kulturgeschich- te der Menschheit ist so eng mit dem Begriff der Moderne verknüpft wie das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus, das weltweit von Chicago bis nach Tel Aviv, von der ostholsteinischen Provinz bis nach Lagos seine Spuren hinterließ. Es war insbesondere die radikale Abkehr von den his- torisierenden Formen der Gründerzeit, entsprungen aus einem rationa- len, Kunst, Handwerk und Technik vereinheitlichenden Grundkonzept, die diesen zuvorderst mit Architektur verknüpften Stil so prägend wer- den ließ. 2019 erlebte das Bauhaus zum hundertjährigen Jubiläum eine neue Welle der (nie wirklich abgeebbten) Aufmerksamkeit, wodurch das Bauhaus und die zahlreichen, von seinen Akteur*innen hinterlasse- nen Spuren wieder stark ins öffentliche Bewusstsein rückten. Trotz des anhaltenden Interesses müssen einige Aspekte des Bauhau- ses dennoch als unerforscht gelten. So standen jahrzehntelang das Wir- ken des ersten Bauhausdirektors Walter Gropius sowie des dritten und letzten Direktors Mies van der Rohe, der ab 1937 seine Karriere in den USA fortsetzte, im Fokus der Forschung. Abgesehen vielleicht von der ADGB-Bundesschule in Bernau bei Berlin ist über den zweiten Direk- tor Hannes Meyer hingegen wenig bekannt. Diesem Desiderat widmet sich seit einiger Zeit die „Co-op Hannes Meyer“, eine Forschungsstelle und Netzwerk unter der Leitung von Philipp Oswalt am Fachbereich Ar- chitektur der Universität Kassel, aus der unter anderem ein von der DFG 1 Der vollständige Titel lautet: „Die gefördertes Projekt zu den unter Meyer in Dessau-Törten errichteten Laubenganghäuser in Dessau-Törten. Laubenganghäusern hervorgegangen ist1. Ziel war die interdisziplinä- Rekonstruktion und Analyse der Pla- re Untersuchung dieser bislang kaum erforschten Objekte – es handelt nungs-, Bau- und Nutzungsgeschich- sich um fünf 1930 fertiggestellte, dreigeschossige Mehrfamilienhäuser te des Projektes des Bauhauses Des- mit je 18 Wohneinheiten, die über an der Außenseite angebrachte Lau- sau unter der Leitung von Hannes Meyer“ (2016–2019). bengänge erschlossen werden und seit 2017 Teil des UNESCO Welt- 2 Die archäologischen Untersuchun- kulturerbes Bauhaus sind. Zu diesen Gebäuden zählen weiterhin Au- gen wurden am Lehrstuhl für die Ar- ßenanlagen, die sowohl aus kollektiv genutzten Einrichtungen als auch chäologie des Mittelalters und der individuellen Gartenparzellen bestanden. Da die Anlagen im Zuge der Neuzeit, Prof. Tobias Gärtner, am In- neunzigjährigen Nutzungsgeschichte vielfach umgestaltet wurden, war stitut für Kunstgeschichte und Archä- ologien Europas der Martin-Luther- die Kenntnis über ihre ursprüngliche Konzeption lückenhaft. Die bau- Universität Halle-Wittenberg unter der zeitlichen Dokumente geben nur unvollständig Aufschluss über die Leitung von Felix Rösch durchgeführt. Anlagen, und so kam es im Rahmen des Projektes der Archäologie2 zu, 388 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
sich ihrer Untersuchung anzunehmen. Diese konzentrierte sich auf das Laubenganghaus in der Peterholzstraße 48 (Abb. 1). Abb. 1. Straßenseitige Ansicht des Laubenganghauses in der Peter- holzstraße 48 im Zustand von 2018 (Foto: A. Stengel). Die primäre Fragestellung, die der Archäologie an die Hand gegeben wurde, richtete sich an die bau(haus)zeitliche Strukturgeschichte der Außenanlagen im Hintergarten. Hier galt es, Informationen zur Ausge- staltung der Umzäunung, eines Bleichplatzes, eines Radioantennen- mastes, eines Spielplatzes sowie der Mietergärten zu gewinnen. Des Weiteren sollten die zahlreichen Umgestaltungsmaßnahmen identi- fiziert und Rückschlüsse auf die ursprüngliche Bepflanzung gezogen werden. Waren die Bewohner*innen zunächst nur indirekt Adressaten der Fragestellung, änderte sich dies durch die unerwartete Entdeckung einer großen Entsorgungsgrube voller Hausrat aus der Frühphase des Laubenganghauses. Hier bot sich die einmalige Chance, über eine de- taillierte Fundauswertung einen Einblick in die Lebenswirklichkeit der ersten Bewohner*innen zu erhalten und mit dem Anspruch und Selbst- verständnis des Bauhauses unter Hannes Meyer abzugleichen, der für seine Parole „Volksbedarf statt Luxusbedarf!“ berühmt ist (vgl. BAB/ DAM 1989). Das Bauhaus, Hannes Meyer und die Laubenganghäuser Im April 1928 trat Hannes Meyer die Nachfolge von Walter Gropius am Bauhaus in Dessau an, nachdem dieser den Direktorenposten nach an- haltenden Querelen mit der Kommunalpolitik aufgegeben hatte. Gropi- us hatte die Schule 1919 in Weimar gegründet und sie 1926 nach Dessau in das von ihm entworfene ikonische Hauptgebäude überführt. Er ver- stand das Bauhaus als Einheit von Kunst und Handwerk, die sich sowohl in der Ausbildung der Studierenden als auch in den Werken der Schule widerspiegelt (Droste 2015, 15). Meyer, zuvor als Architekt in der Schweiz aktiv, wurde von Gropius 1927 zum Aufbau einer Bauabteilung an das Bauhaus berufen, die zum Ziel hatte, Praxis und Lehre eng miteinander zu verknüpfen (vgl. BAB/DAM 1989). Im Gegensatz zu Gropius war Hannes Meyer strikt auf eine Trennung von Kunst und Wissenschaft in der Ausbildung bedacht und brachte ein stark versachlichtes, vom Konstruktivismus geprägtes Architektur- Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 389
verständnis ins Bauhaus ein. Zudem vertrat er die Auffassung, dass Architektur der Gesellschaft dienen solle, bei der die Bedürfnisse der Bewohner*innen und Nutzer*innen im Zentrum der Konzeption ste- hen (Baumann 2006, 102). Meyer erweiterte die Architekturabteilung zum wichtigsten Bereich des Bauhauses. So führte er die Werkstätten Tischlerei, Metall und Wandmalerei zu einer der Architektur untergeordneten Ausbauwerk- statt zusammen und erweiterte das Studium auf neun Semester (Bau- mann 2006, 102; Stengel 2019, 132). Den unter Gropius eingeschlage- nen Weg, Baulehre mit Praxis zu verbinden, ging er konsequent weiter. Waren die Studierenden zunächst noch über die jeweiligen privaten Büros von Gropius und Meyer angestellt, worüber unter anderem der Bau der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschafts- bundes in Bernau verwirklicht wurde, so richtete Meyer die Bauab- teilung gänzlich auf das gemeinschaftliche Arbeiten aus. Bei diesem „prinzip coop“ spielte der kollektive Gestaltungsprozess eine zentrale Rolle (Möller, W. 2015). Im Bauatelier des Bauhauses, das sich an fortge- schrittene Studierende richtete, wurden wirkliche Bauvorhaben wie in einem Architekturbüro durchgeführt. Die Studierenden waren dabei in alle Prozesse eingebunden und wurden sogar am Nettogewinn betei- ligt (Stengel 2019, 138). Um regelmäßige Aufträge für die Lehre sicherzustellen, hatte Gropius von der Stadt Dessau die Zusage eingeholt, dass kommunale Bauvorha- ben an die Architekturabteilung übertragen werden. Allerdings trafen die Aufträge zunächst nicht wie erhofft im Bauhaus ein, so dass bezeich- nenderweise das erste gänzlich von der Bauabteilung realisierte Projekt das auf Privatinitiative hin 1928 errichtete und heute zerstörte Haus Nol- den in der Eifel war. Abgesehen von kleineren Arbeiten folgte dann im Januar 1930 endlich der Realisierungsauftrag für ein größeres Bauvorha- ben: fünf Laubenganghäuser für die Wohnungsbaugenossenschaft Des- sau (Stengel 2019, 130–138). Die Laubenganghäuser waren Teil der Erweiterung von Törten, der unter Gropius begonnenen Siedlung im Süden Dessaus, die wesentlich aus Einfamilienhäusern bestand. Die Erweiterung der Siedlung war hin- gegen als Mischbebauung aus Laubenganghäusern und Flachbauten geplant, die für verschiedene Bewohner*innengruppen geeignet sein sollte. Wie P. Oswalt (2019b) aufzeigen konnte, wurde die Konzeption unter dem wesentlichen Einfluss des seit 1929 am Bauhaus in der Bau- lehre tätigen Architekten und Stadtplaner Ludwig Hilberseimer ent- wickelt. Hilberseimer, zu dessen bekanntesten Werken der Lafayette Park in Detroit zählt, vertrat ein Architekturverständnis, das auf allge- meingültige, unmittelbar an den sozialen Bedürfnissen der Bewohner*in- nen orientierte Lösungen zielte und nicht nach einer Autor*innenarchi- tektur strebte. Entsprechend handelte es sich bei dem Siedlungsentwurf für die Erweiterung Törtens um eine äußert sachliche, auf universellen Prinzipien beruhende Konzeption, die Aspekte wie Gartennutzung und großstädtische Einrichtungen miteinander verwob. Ursprünglich sah der Entwurf, der das im Zuge des Unterrichts entstandene Resultat ei- ner Entwicklungsgemeinschaft war, zehn Laubenganghäuser, 531 Flach- bauten und eine Randbebauung in Zeilenbauweise vor (Oswalt 2019b, 156–158 Abb. S. 161). Letztlich konnten aufgrund des sich wandelnden politischen Klimas und der daraus resultierenden fristlosen Entlassung Meyers Mitte 1930 einzig die fünf Laubenganghäuser realisiert werden. Der Lehrphilosophie des Bauhauses unter Meyer folgend, wurden die Laubenganghäuser von Beginn an unter wesentlicher Beteiligung der Studierenden verwirklicht. Allein acht Studenten waren in die Planung involviert, und auch die Bauleitung vor Ort wurde einem Studenten und 390 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
einem Absolventen übertragen. A. Stengel (2019, 140) kommt so zu dem Schluss, dass „die Studierenden in allen Leistungsphasen des Baupro- zesses nicht nur maßgeblich beteiligt [waren]. Sie setzen einen Teil der Arbeiten nahezu in Eigenregie um.“ Somit waren es letztlich die Lauben- ganghäuser, die als größter Bauauftrag direkt an die Bauabteilung des Bauhauses Dessau gingen und in einer Kollektivarbeit realisiert wurden. Die Laubenganghäuser sind als dreigeschossige Mehrfamilienhäu- ser mit je sechs Wohnungen pro Stockwerk konzipiert. Der Zugang zu jeder Wohnung erfolgt dabei über die an der Nordseite angebrachten Laubengänge, die über einen externen Treppenturm erschlossen wer- den. Dadurch besitzt jede Wohnung den gleichen Grundriss, beste- hend aus Flur, Küche, Bad und drei Zimmern auf 48 m². Die Größe ent- sprach Meyers Berechnungen für den tatsächlichen Wohnbedarf einer vierköpfigen Familie. Sehr fortschrittlich war die Ausstattung mit einer großen lichtdurchfluteten Fensterfront gen Süden, Vollbad, Warmwas- serheizung und Einbauküche sowie einem Fahrrad- und Kinderwagen- verschlag und einem Keller. Durch die optimale Raumaufteilung und die Ausstattung ermöglichten die Wohnungen vergleichsweise viel Kom- fort auf kleiner Fläche. Auch die Außenanlagen sind Teil des rationalen, aber bedürfnisorientierten Wohnkonzepts (Abb. 2). In dem etwas über 1 100 m² großen Hintergarten wurden gemeinschaftliche Einrichtungen zum Wäschewaschen und Trocknen wie Waschhaus, Bleicheplatz und Wasserzapfstellen errichtet, ein Sandkasten mit schattenspendenden Bäumen angelegt sowie zwei kollektive Antennenmasten für den Lang- wellenempfang aufgestellt. Etwa zwei Drittel der Fläche wurde darüber hinaus in langrechteckige Parzellen unterteilt, die von den einzelnen Mietparteien individuell zur Bewirtschaftung genutzt wurden und über einen parallel zur Längsseite des Gebäudes verlaufenden Weg zugäng- lich waren (Baumann 2006). Abb. 2. Die Außenanlagen des Laubenganghauses in der Peter- holzstraße 48 im Zustand von 2018 (Foto: A. Stengel). Im Gegensatz zu den Einfamilienhäusern der Siedlung Törten, die als Wohneigentum für finanzschwache Käufer gedacht waren, konn- ten die Wohnungen der Laubenganghäuser für 37,5 RM pro Monat gemietet werden (Baumann 2006, 104). Das lag 1927 etwas unter dem durchschnittlichen Bruttowochenlohn eines Arbeiters bei einem heu- tigen (2018) Kaufkraftäquivalent von 135 € (StBA 1987, 35). Die Lauben- ganghäuser richteten sich damit an die Schichten der Arbeiter*innen Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 391
und einfachen Angestellten und stellten in ihrer Form einen wichtigen Beitrag zur damaligen Debatte über die Wohnung für das Existenzmi- nimum dar, die durch die grassierende Wohnungsnot in der Weima- rer Republik befeuert wurde. So wurden die Mietshäuser trotz ihrer Ausstattung von der SPD als Massenwohnungsbau kritisiert, da es die eigene Maxime war, jeder Arbeiterfamilie den Erwerb eines Einfamili- enhauses oder Reihenhauses mit Garten zu ermöglichen. Die dennoch erteilte Genehmigung der SPD-Fraktion im Dessauer Gemeinderat ist letztlich als Kompromiss vor dem Hintergrund der Wohnungsnot zu verstehen. Dennoch berichtet das sozialdemokratische „Volksblatt für Anhalt“ im Juli 1930 begeistert von den Wohnungen und empfiehlt dringend einen Besuch. Letztlich werden die Wohnungen binnen kür- zester Zeit vermietet (Baumann 2006, 104–105). Unter den ersten Mie- tern der Peterholzstraße 48 finden sich Schlosser, Kraftwagenfahrer, Kontrolleure, Brauer, Papiermacher, Tischler, Böttcher und Sattler, aber auch Ingenieure und ein Vertreter (Tab. 1). Auch wenn sich die Zusam- mensetzung der Bewohner*innen im Laufe der Zeit stark gewandelt hat, fällt die Bewertung der Häuser durch die Mieter*innen seit jeher positiv aus (Baumann 2006, 106). Somit lässt sich festhalten, dass die Laubenganghäuser sich in ihrer Funktionalität bewährt und den sozia- len Anspruch eingelöst haben. Tab. 1. Berufliche Tätigkeiten der männ- lichen Mieter des Laubenganghauses in der Peterholzstraße 48 vom Erstbe- zug 1930 bis 1945, soweit sie der Haus- buchanalyse (WG Dessau 1989) zu ent- nehmen sind. Jahr / 1930 1935 1940 1945 bis Nr. 1 Kraftwagenfahrer Tischler 1958 EG Siehe Nr. 2 Siehe Nr. 9 2 Kraftwagenfahrer Schlosser 1985 EG Siehe Nr. 1 3 Vorarbeiter 1957 EG 4 Maschinen- Brauer Witwe 1955 EG arbeiter 5 Hausschlachter 1982 EG 6 Kontrolleur 1980 EG 7 Fleischer 1989 1. OG 8 Papiermacher Musiker Techniker 1989 1. OG 9 Tischler Vertreter 1981 1. OG Siehe Nr. 1 10 Schlosser 1977 1. OG 11 Böttcher Ingenieur Ingenieur 1968 1. OG 12 Dreher Schlosser Ingenieur 1986 1. OG Siehe Nr. 18 13 Maschinenschlosser Kraftwagenfahrer 1958 2. OG 14 Sattlermeister Ingenieur 1957 2. OG 15 Arbeiter Ingenieur Schweißer 1957 2. OG 16 Schlosser Kontrolleur 1947 2. OG 17 Kraftwagenfahrer 1953 2. OG 18 Stellmacher Oberingenieur Musiker 1957 2. OG 392 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Archäologie trifft Bauhaus: Anmerkungen zu Quellen, Methodik und Vorarbeiten 1930 fertiggestellt, fällt der Untersuchungsgegenstand in den Zeitraum der letzten 90 Jahre. Entsprechend ist die Quellendichte und Parallel- überlieferung besonders hoch. Das Vorgehen musste daher „in hohem Maße integrativ und multidisziplinär angelegt sein“ (Arndt u. a. 2017, 239). Dafür bot der Projektrahmen von vornherein eine hervorragende Basis, da hier bereits Akteure aus Architektur, Bau- und Bodendenkmalpflege sowie Restaurierung regelmäßig zusammenkamen. Weiterhin wurden die Gartendenkmalpflege und im Zuge der Auswertung Spezialisten zu spezifischen Stücken materieller Kultur hinzugezogen. Der erste Schritt bestand zunächst darin, sämtliche zur Verfügung stehenden Quellen zu den Außenanlagen der Laubenganghäuser zu sichten, um ein möglichst präzises Bild von ihrer bauzeitlichen Beschaf- fenheit und folgenden Umgestaltung zu erhalten. Dabei wurden die Dokumente für die Peterholzstraße 48, aber auch zu den anderen vier Häusern untersucht. Es standen zahlreiche, zwischen 1939 und 1997 ent- standene Fotografien verschiedener ehemaliger Mieter*innen und der Stiftung Bauhaus Dessau, Rechnungen der am Bau beteiligten Firmen sowie bauzeitliche Leitungspläne zur Verfügung. Darüber hinaus konn- te auf die Informationen aus Interviews mit zwei langjährigen Bewoh- ner*innen und eine rekonstruierte Lageskizze der frühen Außenanlagen zurückgegriffen werden (Abb. 3). Schließlich wurden noch sämtliche historischen Luftbilder im Landesamt für Vermessung und Geoinforma- tionen Sachsen-Anhalt gesichtet. Abb. 3. Lageskizze der frühen Außenanlagen eines Laubengang- hauses durch den langjährigen Be- wohner Gerhard Oelschläger (Grafik: G. Oelschläger). Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 393
In einem weiteren Schritt erfolgte die fotografische Dokumentation des Ist-Zustands der Außenanlagen in der Peterholzstraße 48 und eine Be- standskartierung nach den Vorgaben der Gartendenkmalpflege (LDA S-A 2011). Dabei wurden Bepflanzung und bauliche Ausstattung aufgenommen. Insbesondere die teilweise über Jahrzehnte angefertigten Fotoserien langjähriger Mieter*innen lieferten zahlreiche Informationen zur Nut- zung und Umgestaltung der Außenanlagen. Sehr anschaulich zeigt sich die Entwicklung der Gartennutzung von der durch Gemüseanbau und Kleintierhaltung geprägten Nachkriegszeit hin zu Zier- und Erholungs- gärten der 1970er und 1980er Jahre (Abb. 4). Auch die Gemeinschafts- einrichtungen erfuhren mehrere Veränderungen, die nach Angaben der Zeitzeug*innen weniger auf den Eigentümer als auf die Eigeninitia- tive der Mieter*innen zurückgingen. Zäune und Wäscheleinenpfosten wurden erneuert und der Spielplatz mehrfach umgestaltet. Dennoch scheint es, als ob die Außenanlage ihren intendierten Charakter bis in die Mitte der 1990er Jahre bewahren konnte. Dieser ging erst im Zuge einer Generalsanierung verloren, als der Hintergarten vollständig von ABM-Kräften umgegraben wurde und man die alte Parzellenordnung sowie den Spielplatz aufgab. An ihre Stelle trat eine durchgehende, mit einzelnen Zierpflanzen und Bäumen bestandene Rasenfläche, die für eine nachhaltige Änderung im Erscheinungsbild des Denkmals sorgte (Abb. 2). Die Maßnahme war eine Reaktion auf die deutlich gealterte Mieterschaft, die die Gartenparzellen und den Spielplatz ungenutzt ließ. Abb. 4. Bleicheplatz, Wäschehaus, Mie- tergärten, Zaun und Antennenmast in den 1970er Jahren (Foto: privat). Anhand der Bestandskartierung und Quellensichtung konnte dar- auf geschlossen werden, dass sich im Hintergarten mit Ausnahme des Waschhauses und des daran anschließenden, überdachten Trocken- platzes keine bauzeitliche Ausstattung mehr befindet. Die zum süd- lichen Nachbargrundstück verlaufende Ligusterhecke und eine aus unterschiedlichen Sträuchern bestehende Hecke an der westlichen Grundstücksgrenze könnten auf bauzeitliche Pflanzungen zurückgehen, da die heutigen Ausmaße in etwa mit den Angaben in den historischen Rechnungen der Gartenbaufirma Grote (1930) übereinstimmen. Weiter- hin deckt sich die historische Wegeführung, die von einem Hintergar- tenzugang neben dem Wäschehaus parallel zum Hauptgebäude durch die gesamte Anlage verlief sowie im rechten Winkel zur Kellertreppe abzweigte, größtenteils mit der heutigen Situation, die der Beschaf- fenheit der Gehwegplatten und Rasenkantensteinen zufolge aus der 394 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Sanierungsphase stammen dürfte. Die ursprüngliche Konzeption der Gartenwege sah Einfassungen aus Naturstein vor, für die 132,15 lfd. Meter in Rechnung gestellt wurden: ein Wert, der fast genau der doppelten Gesamtwegelänge entspricht (Grote 1930). Der heutige Weg endet auf Höhe einer einbetonierten Schwengel- pumpe mit Brunnenring. Der Standort geht den bauzeitlichen Unter- lagen der Installateursfirma Richter (1930) zufolge auf eine der beiden bauzeitlichen Wasserzapfstellen, hüfthohe Betonpfeiler mit einfachen Wasserhähnen, zurück, die entlang des Weges installiert waren. Die zweite Zapfstelle befand sich auf Höhe des Bleichplatzes (Abb. 5). Sie werden in einer Abrechnung des Baugeschäfts Lindemann (o. J.) er- Abb. 5. Leitungsplan vom Juli 1930 wähnt und sind auf Fotos, die 1930 unmittelbar nach dem Erstbezug ent- der Installateursfirma Richter (Rich- standen, bereits zu sehen (Abb. 6). ter 1930). Abb. 6. Laubenganghäuser in der Peterholzstraße kurz nach der Fertigstellung. Das Foto dürfte un- mittelbar nach dem Erstbezug (Au- gust 1930) entstanden sein, da noch keine Pflanzungen zu sehen sind. Auch Antennenmasten und Spiel- platz fehlen noch (Foto: Bauhaus- archiv Berlin ID 79704-Kieren). Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 395
Der Bleicheplatz scheint zunächst ausschließlich als offene grasbe- standene Fläche für die Rasenbleiche konzipiert gewesen zu sein. We- der auf den frühen Fotos (Abb. 6) noch in den Rechnungen von 1930/1931 finden sich Hinweise auf freistehende Pfosten für Wäscheleinen, wie sie ab den 1960er Jahren belegt sind und auch heute noch existieren. Da- bei kamen unterschiedliche Pfosten zum Einsatz, was auf eine Eigenini- tiative der Mieter deutet und in einer Verdreifachung der Wäschetrock- nungsfläche resultierte. Auch der Spielplatz wurde von den Mietern in vielen Punkten selbst ge- staltet, wie einerseits die Fotografien zeigen und andererseits per münd- licher Aussage bestätigt wurde3. Informationen zur ursprünglichen Aus- gestaltung des Spielplatzes sind punktuell vorhanden. Fest steht, dass ein Sandkasten angelegt wurde. In einem Bericht über die Gesamtkos- ten der Laubenganghäuser vom Dezember 1931 werden unter der Be- zeichnung „Kinderspielplatz“ insgesamt acht Fuhren Sand (aufgeteilt auf alle fünf Häuser) und Einfriedungen aufgeführt (WBG Dessau 1931). Bei den Einfriedungen handelt es sich wahrscheinlich um eine Sandkasten- einfassung aus Beton oder Verbundmaterial (?), die auf einem privaten Foto von 1939 sehen ist. Hier ist auch zu erkennen, dass der Sandkasten von einer größeren sandigen Fläche umgeben war und der Spielplatz in Richtung Waschhaus durch eine Hecke (wahrscheinlich ligustrum vulga- re) separiert war. Die sandige Fläche im Südosten der jeweiligen Hinter- gärten ist auf einem hochauflösenden Luftbild der USAAF vom 11.4.1945 sichtbar (Abb. 7). Weiterhin liefert eine auf einer Rechnung vermerkte Notiz einen Hinweis auf drei Bäume (ohne Baumart), die als Schatten- spender auf jedem Spielplatz gepflanzt wurden. Diese waren zunächst nicht eingeplant, und ihre im Dezember 1930 erfolgte Pflanzung wurde erst im Zuge des Bauprozesses beschlossen (Bürger 1930b). Wie auch der Rest des Spielplatzes sind sie auf den Fotos von 1930 noch nicht vorhanden (Abb. 6). Es lässt sich somit festhalten, dass die bauzeitliche Planung einen Spielplatz vorsah, der zunächst nur aus einem eingefrie- deten Sandkasten und drei Bäumen bestand und durch eine Hecke ab- getrennt war. Er wurde jedoch erst nach dem Erstbezug im zweiten Teil des Jahres 1930 sowie 1931 eingerichtet. Auf der Lageskizze (vgl. Abb. 3) und späteren Fotos abgebildete Sandkasteneinfassungen, Sitzgelegen- heiten und eine Schaukel sind sehr wahrscheinlich auf Eigeninitiative der Mieter*innen ergänzt worden. Dies gilt nicht für zwei weitere Elemente, die unmittelbar nach dem Abb. 7. Luftbild der USAAF der Peter- Erstbezug noch nicht existiert haben (Abb. 6). Einerseits handelt es sich holzstraße 48 und deren unmittel- um durch zwei Betonpfeiler gehaltene Teppichklopfstangen, die an bare Umgebung vom 11.4.1945. Der drei Standorten fotografisch belegt sind und für die ein terminus ante sandige Spielplatz in den Außenan- quem von 1939 geltend gemacht werden kann. Sie wurden am östlichen lagen wie auch mehrere Bomben- Ende der Gärten neben dem zentralen Weg aufgestellt. Anderseits tra- schäden nördlich (zerstörte Rei- ten zwei hölzerne Antennenmasten hinzu. Sie wurden an der südlichen henhäuser, Bombentrichter in der Straße Am Dreieck) und südöstlich Grundstücksgrenze etwa auf Höhe der Wasserzapfstellen errichtet (zerstörter Dachstuhl in der Peter- und hielten Drähte für den Mittelwellenempfang (vgl. Abb. 3). Beide holzstraße 52) sind deutlich er- Anlagen treten nicht in den bauzeitlichen Rechnungen auf, ihre gleich- kennbar (Foto: Luftbilddatenbank förmige Ausgestaltung spricht jedoch für eine Beschaffung durch die Dr. Carls GmbH, Nr. 1945-04-11_ Wohnungsbaugenossenschaft. Dafür spricht auch die Erwähnung der 30-59_11_2064). Antennenmasten in einer frühen Hausordnung von (wahrscheinlich) 1930 (WG Dessau 1930). Die detaillierteste Information aus den Quellen liegt zur bauzeitlichen Umzäunung vor. Eine frühe Abbildung von 1930 (Abb. 6) zeigt hier ei- nen Maschendrahtzaun mit Zaunpfosten, in den an den Schmalseiten 3 Freundliche mündliche Mitteilungen von G. Oelschläger und A. Stengel, am Anfang und Ende des Weges Türen eingelassen waren. Die Pfosten basierend auf einem Interview mit ei- steckten in Betonfundamenten, die bereits im Vorfeld gegossen worden ner langjährigen Mieterin. zu sein scheinen, da sie auf einigen Fotos deutlich aus der Erde ragen. 396 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Ein Kostenvoranschlag vom August 1930 einer unbekannten Malerfirma kalkuliert das Streichen von 50 Pfosten und 158 m² Drahtgeflecht (Ma- ler 1930). Die Anzahl der Pfosten ließ sich anhand der Fotos unter Hin- zuziehung der Querstreben in etwa verifizieren, während das Geflecht auf einer Strecke von ca. 79–80 m (= Hintergartenumfang abzüglich Wä- schehaus und Trockenplatz) verbaut worden sein müsste. Das entspricht exakt der Hälfte der Angaben aus dem Kostenvoranschlag, woraus sich eine ehemalige Zaunhöhe von zwei Metern ergibt. Weiterhin liefern Fo- tos und Kostenvoranschlag Hinweise auf das Anbringen eines 37 m lan- gen Rasenschutzgeländers aus Gasrohren (?), das entlang der westlichen Grundstücksgrenze vom Wäschehaus bis zum Müllschlucker reichte, unterbrochen nur vom Zugang zum Hintergarten. Die Mieterparzellen waren ebenfalls in der Konzeption vorgesehen, jedoch erfolgte die Aufteilung allen Informationen zufolge nicht im Zuge des Gartenbaus, sondern erst danach durch die Mieter selber (vgl. z. B. Baumann 2006, Anm. 26). Jede Mieteinheit erhielt einen 35–40 m² großen Garten, der an das Haupthaus grenzte oder zwischen Bleiche und Spielplatz lag. Dazwischen verliefen kleine Pfade (Abb. 3). Zahl- reiche Fotos geben Aufschluss darüber, dass die Gärten individuell durch Rasenkantensteine, Backsteinreihen, Latten- oder Stakenzäune begrenzt waren. Quellenumfang und -qualität zu der bauhauszeitlichen Gestaltung der Außenanlagen in der Peterholzstraße 48 sind damit durchaus als gut zu bezeichnen, liefern sie doch einen groben Eindruck der Konzeption. Je- doch bleibt in Bezug auf die genaue zeitliche und räumliche Verortung von Strukturen und Handlungsräumen vieles unklar. An diesem Punkt setzte die Archäologie an, deren spezifische Methodik sich durch den umfänglichen Informationsrahmen präzise auf die Situation zuschnei- den ließ. Die hohe Quellendichte ermöglichte es, die Bodeneingriffe gering zu halten. Gerade einmal 33,3 m², verteilt auf elf Schnitte, genügten für die Beantwortung der Fragestellung (Abb. 8). Die Schnitte 1–5 konnten mit ho- her Präzision angelegt werden. Zur Auffindung der Wasserzapfstelle auf dem Bleicheplatz und des Antennenmastes (Schnitte 1 und 3) genügten jeweils kaum mehr als 1 m², um den Befund vollständig zu erfassen. Die Schnitte 2, 4 und 5, die dem Zaun und den Wäscheleinenpfosten galten, benötigten lediglich eine Fläche von 2 m² für aussagekräftige Ergebnisse. Abb. 8. Dessau-Laubenganghaus PHS 48. Verortung der elf Schnitte im Hintergarten (Grafik: F. Rösch). Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 397
Im Bereich des Spielplatzes und der Mietergärten war hingegen ein Vorgehen mit Suchschnitten geboten (Schnitte 6 und 8): im Fall des Spielplatzes aufgrund mangelnder Verortungsmöglichkeiten insbeson- dere der frühen Sandkastenphasen und bei den Mietergärten aufgrund der Fragestellung, die der individuellen Unterteilung und Nutzung galt, wofür mehrere Parzellen erfasst werden sollten. Beide Eingriffe mach- ten aufgrund ihrer Ergebnisse weitere, versetzt angelegte Schnitte not- wendig, um entsprechende Befunde zu verfolgen (Schnitte 7 und 9–11). Daran wird deutlich, dass die Vorgehensweise der Fragestellung obers- te Priorität einräumte und entsprechend flexibel auf die Befundsituati- on reagierte. Die Grabungsarbeiten wurden ausschließlich in Handschachtung betrieben. Dieser Entscheidung lag die Kenntnis zu Grunde, dass die Mietergärten während der Generalsanierung Mitte der 1990er Jah- re nur händisch durch ABM-Kräfte eingeebnet worden und relevante Schichten bereits unmittelbar unter der Grasnarbe zu erwarten waren. Die Dokumentation erfolgte sowohl analog mittels handschriftlich aus- gefüllter Befundbeschreibungen und Skizzen als auch digital mittels Fotogrammmetrie und Structure-from-Motion (SfM), deren Resultate bereits „on-site“ in eine Datenbank und ein GIS-Projekt eingepflegt und prozessiert wurden. So standen vor Ort tagesaktuelle Pläne des Gra- bungsfortschritts zur Verfügung, die mit den räumlichen Informationen aus Lageskizze (Abb. 3), Lageplan (Abb. 5), Schachtschein, Bestandskar- tierung und Luftbildern abgeglichen werden konnten und damit auch als Entscheidungsgrundlage für das weitere Vorgehen dienten. Solange die Mengen überschaubar blieben, wurden alle Funde sämt- licher Zeitstellungen geborgen. Bei hohen Anzahlen erfolgte, den „Leit- linien einer Archäologie der Moderne“ entsprechend (Arndt u. a. 2017, 240), eine selektive Fundauswahl. So wurden bei großen Mengen dersel- ben Fundart nur exemplarische und repräsentative Stücke geborgen (z. B. Fensterglas, Bauschutt) und auf die Aussagekraft und Singularität der Stü- cke Rücksicht genommen. Dies war bei der unerwartet angetroffenen Entsorgungsgrube der Fall, als sich das Grabungsteam mit Fundmengen konfrontiert sah, die sich nur noch eimerweise bergen ließen. Die Auswertung der Befunde gestaltete sich weitestgehend unprob- lematisch. Sie ließen sich vornehmlich über die Parallelüberlieferung in- terpretieren, während archäologisch-archäologische Vergleiche (vgl. Ick- erodt 2010) nur in geringem Umfang eine Rolle spielten. Die bauzeitlichen Archivalien und privaten Dokumente lieferten zahlreiche Anhaltspunkte. Schwieriger war hingegen die Auswertung der Funde, deren Umfang durch die Entsorgungsgrube unerwartet in die Höhe schnellte. Wurde die Bedeutung der Funde vor dem Hintergrund der strukturgeschicht- lichen Fragestellung zunächst als sekundär eingestuft, allenfalls dazu angehalten, Tendenzen zur Nutzung einzelner Parzellen oder Bereiche liefern zu können, so eröffneten sich durch die Masse, Zusammenset- zung und Qualität des Materials aus der Grube völlig neue Interpretati- onsmöglichkeiten. Die hier enthaltenen Objekte – neben Bauschutt vor allem Hausrat der 1930er und 1940er Jahre – boten die Chance, die von Alltag und gesellschaftlichen Umwälzungen geprägten Lebenswirklich- keiten der frühen Bewohner*innengeneration zu studieren. Die Auswertung dieses Materials erfolgte durch die Verfasserinnen und Verfasser gegliedert nach Material und Themengruppen. Ausgangs- punkt war hier eine differenzierte Fragestellung, die die ehemaligen Be- wohner*innen in den Mittelpunkt stellte. Ihre Lebenswirklichkeit sollte anhand der materiellen Kultur zu den Themenfeldern Trend und Tradi- tion, Konsum und Alltag, Gesundheit, Hygiene und Kosmetik, Konflikt sowie Beruf, Freizeit, Ideologie und Religion beleuchtet werden. Für die 398 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Auswertung wurden die Funde nach Aussagekraft selektiert. Dabei wa- ren vor allem Logos und Beschriftungen, Dekore und Sonderformen hilf- reich, während Mengenberechnungen nur wenig Aussagekraft zukam, da einerseits selektiv geborgen und andererseits nur ein Teil der Grube erfasst worden war. So beschränkte sich beispielsweise die Keramikaus- wertung auf das Tafelgeschirr, das vornehmlich über Dekor und Marken bestimmbar war. Eine detaillierte Darstellung des Selektionsprozesses und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Interpretation findet sich im Folgenden unter den einzelnen Fundthemen. Die Fundaufnahme wurde ebenfalls angepasst. Statt der üblicherweise in den archäologischen Wissenschaften praktizierten Anfertigung zeitin- tensiver Zeichnungen und Profildokumentation wurde die Dokumentati- on auf Fotos zu einzelnen Materialien und Befunden beschränkt, die die Objekte in Gruppen abbildeten. Ergänzend wurden Detailfotografien an- gefertigt. Für Zeitstellungen, deren Sachkultur von industrieller Massen- fertigung geprägt ist und die nur wenig Aussagewert zu Fertigungstechnik und Funktion, umso mehr für akteursbasierte Fragestellungen besitzt, ist diese Vorgehensweise ein probates Mittel. Zudem erlaubt diese Art der Dokumentation, einen schnellen Eindruck über Umfang und Zusammen- setzung des Materials zu erlangen, da durch die zeitliche Nähe der Funde zur Gegenwart ein schnellerer Zugang zur Bedeutung bzw. Funktion der Objekte gegeben ist. Dadurch war auch die Bestimmung vieler Funde be- reits aufgrund der individuellen Sozialisation und Erfahrung der Verfas- ser*innen möglich. Jedoch liegt hierin auch eine potentielle Fehlerquel- le, da eine unreflektierte Übertragung subjektiver Einstellungen oder Wahrnehmungen von bestimmten Objekten oder Produkten auf die zu betrachtende Zeit ohne Belege nicht gültig sein kann (Ickerodt 2010, 18; s. auch Hodder 1997). Beispielsweise sind die gegenwärtigen Einstellungen gegenüber bestimmten Nahrungs- und Genussmitteln sicherlich andere als diejenigen der 1930er und 1940er Jahre (s. u.). Funde von Militaria, hebräisch beschrifteter Keramik, aber auch von Spielzeug und Hygieneartikeln verlangten weiterhin das Hinzuziehen von Spezialist*innen für das jeweilige Themengebiet im zeitlichen Kon- text von NS-Zeit, Zweitem Weltkrieg und DDR. Zu komplex ist der zeit- geschichtliche Hintergrund, zu vielfältig die materielle Kultur, um von Einzelpersonen komplett überblickt zu werden (vgl. Arndt u. a. 2017, 239–240). Dies verlangt zudem ein hohes Maß an Innovation und Kre- ativität bei der Recherche, finden sich viele Informationen doch nur abseits des Wissenschaftskosmos und lassen sich nicht über erlernte Forschungspraktiken erheben. Beispielsweise führt die Suche in Fach- bibliotheken nach Informationen über ein modernes Objekt nur selten zum erhofften Ergebnis. Erfolgversprechender sind vielmehr die Einsicht in Unternehmensarchivalien, das Herantreten an thematische Vereine, die Konsultation von Sammler*innen und Interessierten in Internetfo- ren und weiteren Social-Media-Plattformen sowie Gespräche mit Zeit- zeug*innen. Entsprechende Recherchewege sind auch im Zuge der hier präsentierten Auswertung beschritten worden. Die bau(haus)zeitlichen Außenanlagen und ihre Entwicklung – Ergebnisse zur Strukturgeschichte Zapfstelle Wie ausgeführt, wurden insgesamt elf Schnitte angelegt, um den be- nannten Einrichtungen der Außenanlagen nachzugehen. Dabei konn- ten vier Strukturen anhand der Dokumentationsfülle genauer verortet Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 399
werden. Eine davon war die Wasserzapfstelle. Zur Untersuchung wur- de die Zapfstelle auf dem Bleicheplatz ausgewählt, da die zweite Stelle durch die einbetonierte Schwengelpumpe überprägt ist. Die Zapfstelle bestand aus einer im Boden verankerten Betonsäule von etwa 90 cm Höhe mit quadratischem Grundriss und Kehlung, in der ein verzinktes eisernes Wasserrohr verlief (Schierwagen 1930), das in einem einfachen Wasserhahn aus Messing endete (Abb. 9). Der Säule war ein unterirdi- sches Absperrventil vorgelagert, das über ein Schloss auf Bodenhöhe verfügte. Der Standort der Zapfstelle konnte auf den privaten Fotogra- fien, aber insbesondere auf dem Leitungsplan (Abb. 5) fast zentimeter- genau nachvollzogen werden. Entsprechend wurde zunächst nur ein 1 × 1 m großer Quadrant angelegt (Schnitt 1; Abb. 8), der unter der Gras- narbe bereits den ersten Befund erbrachte: die abgeschlagene Kappe des Schließgehäuses des Absperrventils. Das dazugehörende, zylin- drische Gehäuse wurde beim weiteren Abtiefen auf zwei Backsteinen stehend in situ angetroffen. Oben ragte das tropfenförmige Schloss zur Bedienung des unterirdischen Ventils, das ehemals durch die Kappe ge- schützt war, heraus. Das Gehäuse befand sich innerhalb einer ebenfalls an Originalposition angetroffenen, rechteckigen Natursteinsetzung, die sich aus vier Platten scharriertem Sandstein von etwa 5 cm Stärke, deren obere Kanten gerade abschlossen, zusammensetzte. Mit Kantenlängen von 0,33 × 1,13 m grenzt die Setzung eine Fläche von etwa 0,4 m² ab – ein Abb. 9. Betonsäule des Zapfhahns Wert, der exakt mit den in Rechnung gestellten Arbeiten an der Zapfstel- auf einem Foto um 1960. Der Wasser- le durch die Gartenbaufirma Grote übereinstimmt (Grote 1930, 15-17D) hahn ist zu diesem Zeitpunkt bereits und damit zweifelsfrei bauzeitlich ist. entfernt worden (Foto: privat). Von der Betonsäule fanden sich hingegen keine Spuren mehr. Ihr Stand- ort lässt sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der südlichen Sandsteinreihe verorten. Dies legen die Lücke in der Reihe, die mittige Anordnung und der Winkel zum Ventil nahe (Abb. 10). Die 13–14 cm breite Lücke liefert zudem einen Hinweis auf die Kantenlängen des Säulenquerschnitts. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass die Steinsetzung nicht nur das Areal der Wasserzapfstelle optisch eingren- zen sollte, sondern auch eine Drainage, etwa Kies, enthielt. In jedem Fall büßte die Zapfstelle schnell ihre Funktion ein. Anhand der fotografischen Dokumentation lässt sich nachvollziehen, dass der Hahn bereits um 1960 von der Säule entfernt worden war und die Drainagefläche zugewuchert ist. Spätestens in den 1970ern ist auch die Säule nicht mehr existent. Abb. 10. Dessau-Laubenganghaus PHS 48. Schnitt 1, Planum 5. 3D-Mo- dell der Befundsituation der Wasser- zapfstelle am Bleicheplatz (Grafik: F. Rösch). 400 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Radioantennenmast Einer von zwei historischen Antennenmasten für den Langwellenemp- fang, die kurz nach Errichtung der Häuser aufgestellt wurden und bis in die oberste Etage des Laubenganghauses reichten, ließ sich eben- falls präzise nachvollziehen. Anhand der historischen Fotos konnte der Standort des westlichen Mastes, der sich aus einem Holzstamm, eiser- nen Trittbügeln und einem Querbalken an der Spitze zusammensetzte, auf den südlichen Teil des Bleichplatzes eingrenzt werden (Abb. 4). Bei Begutachtung der Bodenoberfläche lieferte ein Erdloch, in dem sich der obere Teil des Maststumpfes befand, den entscheidenden Hinweis auf den Standort. Entsprechend konnte auch hier ein 1 m² Schnitt (3) sehr präzise über dem Befund angelegt werden (Abb. 8). Nach Abtrag des A-Horizontes kamen die Reste des Mastes zum Vor- schein. Der Mast war rund bei einem Durchmesser von ca. 20 cm. Wäh- rend der oberflächennahe Teil stark verrottet war, konnten im unteren Teil die Außenkanten, die wahrscheinlich durch einen Korrosionsschutz Abb. 11. Dessau-Laubenganghaus PHS 48. Schnitt 3, Planum 3. 3D-Mo- aus Teer geschützt worden waren, noch dokumentiert werden. Der Mast dell der Befundsituation des Anten- wurde bis auf 1,3 m Tiefe verfolgt, ohne jedoch dessen Ende zu erreichen. nenmastes (Grafik: F. Rösch). Er steckte in einer etwa doppelt so großen Pfostengrube. Nach Norden in Richtung Haupthaus war ein trapezförmiges Fundament aus mit Kies ver- setztem Beton vorgelagert. Das Fundament konnte komplett freigelegt werden und weist eine Höhe von etwa 50 cm auf. Die leicht asymmetri- sche Form spricht dafür, dass hier per Handschachtung ein Trapez unmit- telbar am Mast ausgehoben und mit Ortbeton verfüllt wurde. Ob dies unmittelbar nach Errichtung des Mastes geschah oder erst nachträglich aufgrund einer Instabilität durchgeführt wurde, ließ sich nicht eruieren. Die Lage des Fundaments zielt dabei deutlich auf die Richtung ab, aus der der Mast Zug durch die Antennenkabel erfuhr (Abb. 11). Unklar ist, wann genau die Masten entfernt wurden. Bis in die 1970er sind sie auf einigen Fotografien noch sichtbar, Mitte der 1990er fehlen sie definitiv. Mit Einführung der UKW in der Nachkriegszeit dürften sie bereits deutlich früher obsolet geworden sein (Dussel 1999). Wäscheleinenpfosten Wie erwähnt, existierten unmittelbar nach Fertigstellung des Hauses noch keine Pfosten für die Wäscheleinen, sodass ihre erstmalige Anla- ge erst für die Nachkriegszeit verifiziert ist. Anhand der fotografischen Quellen ließen sich im Vorfeld zwei Phasen von Wäschepfosten rekon- struieren. So war in den 1960–1970er Jahren eine etwas provisorisch anmutende Ausführung vorhanden, die sich aus unterschiedlichen Pfostentypen zusammensetzte. Die Pfostenreihen waren mit Brettern, in denen Haken zur Anbringung von Wäscheleinen steckten, verbun- den (Abb. 12). Heute stehen hier zwei mal drei Stahlbögen aus DDR-Pro- duktion, die im Zuge der Sanierungsmaßnahmen Mitte der 1990er von einem anderen Objekt hierhin versetzt wurden. Über die Fotos konnte der Standort der Pfostenreihen eingegrenzt werden. Sie lagen in allen Phasen etwa auf Höhe des Zweigwegs zum Kellerabgang. So boten Wegeführung und heutige Pfosten Anhaltspunk- te für die Lokalisation. Um eine bessere Vergleichbarkeit zu erzielen und einen etwaigen Versatz der Pfosten zu erfassen, wurde an zwei heutigen Pfostenstandorten je ein Schnitt (4 und 5) von 2 m² angelegt (Abb. 8). In beiden Schnitten konnte der gleiche Schichtaufbau dokumentiert Abb. 12. Bleicheplatz mit Pfosten für werden. Unter dem A-Horizont befand sich die Planierschicht der Sanie- Wäscheleinen und Holzlagerplatz um rungsmaßnahme. Im darunterliegenden, anstehenden Boden konnten 1960 (Foto: privat). Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 401
in beiden Schnitten insgesamt drei Pfostengruben nachgewiesen wer- den, von denen zwei noch eine Pfostenstandspur aufwiesen (Abb. 13). Sowohl Tiefe (bis zu 90 cm) und Beschaffenheit (unregelmäßige Form, Durchmesser von 17 und 20 cm) der Befunde mit Standspur, von de- nen jeweils einer in Schnitt 4 und in Schnitt 5 angetroffen wurde, als auch ihre Position exakt 3 m in nordsüdlicher Ausrichtung voneinan- der entfernt, legen die Zugehörigkeit zur selben Bauphase nahe. Die Stratigraphie spricht hier für die ab den 1960er Jahren dokumentierten Pfosten. Abstand und Position der Standspuren korrelieren exakt mit zwei der vier Pfosten des überdachten Trockenplatzes. Aus einer der Pfostenstandspuren stammen zudem fünf Fragmente DDR-typischer Plastikwäscheklammern. Möglicherweise wurden hier Standorte einer früheren, ersten (?) Phase verwendet. Einen Hinweis darauf liefert ein verlagertes Betonfundament, dass in seiner Machart stark an das Fundament des Antennenmastes er- innert. Auch hier wurden Pfosten in Zugrichtung der Leinen stabilisiert. Die dritte Pfostengrube war hingegen weit weniger tief und korreliert nicht mit anderen Pfostenlöchern, sodass eine Funktion als Wäsche- pfosten eher unwahrscheinlich erscheint. Gegebenenfalls besteht hier ein Zusammenhang mit einem auf den Fotos abgebildeten Holzlager- platz (Abb. 12). Abb. 13. Dessau-Laubenganghaus Es lässt sich festhalten, dass die ab den 1960er Jahren dokumentierte PHS 48. Schnitt 5, Profil 1 Süd. Pfos- Phase im archäologischen Befund nachgewiesen werden konnte. Ge- tengrube und Pfostenstandspur gebenenfalls gab es jedoch schon eine frühere Phase, mit der ab den (Foto: F. Rösch). 1930ern zu rechnen wäre und für die Betonfundamente gegossen wurden. Zaun Über die Beschaffenheit und den Verlauf der bauzeitlichen Umzäunung lagen detaillierte Informationen vor. Ein Schnitt entlang der westlichen Seite der Außenanlagen zwischen Haupthaus und Waschhaus sollte überprüfen, ob Befunde bauzeitlicher Zaunbestandteile im Boden anzu- treffen waren. Dabei kam zugute, dass der heutige Zaun ein Stück weiter nach außen versetzt ist als die historische Begrenzung, deren ehemalige Befestigungsspuren an der Hauswand noch sichtbar sind. Auf der Foto- grafie, die kurz nach Abschluss der Bauarbeiten entstand, kann nach- vollzogen werden, dass der über 12 m verlaufende Maschendrahtzaun aus sechs Segmenten von ca. 2,0–2,1 m Länge bestand, in dessen südli- ches Segment eine Tür eingelassen war. Aus diesen Informationen resul- tierte die Entscheidung, dass ein 4,0 × 0,5 m großer Schnitt (2) genügte, da so in jedem Fall zwei Zaunpfosten erfasst werden würden (Abb. 8). Die Schichten und damit die Befunderkennung erwiesen sich in Schnitt 2 als kompliziert. So legte der Schichtaufbau nahe, dass in die- sem Bereich vergleichsweise tief und flächig in den Boden eingegriffen worden war. Nur eine runde, im Durchmesser 14 cm messende Pfosten- grube mit rechteckiger Pfostenstandspur zeigte sich deutlich im Befund. Sie konnte bis in eine Tiefe von 75 cm dokumentiert werden. Da sie nicht mit den Abständen der bauzeitlichen Zaunpfähle korreliert, wird sie von einer jüngeren Zaunphase stammen. In Betracht kommt hier ein Holz- pfahl eines Jägerzauns, der zwischen 1960 und 1980 belegt ist (Abb. 4). Für die Peterholzstraße 48 bleibt damit festzuhalten, dass es ein- schließlich der aktuellen Grundstücksbegrenzung, einem provisorisch anmutenden Metalllattenzaun, mindestens drei Zaunphasen unter- schiedlichster Machart und Aufteilung gab. Die Hinterlassenschaften der bauzeitlichen Zaunphase konnten dabei jedoch nicht erfasst wer- den und sind wahrscheinlich zerstört oder zu stark überprägt. 402 Historische Archäologie 2020 | Archäologie der Moderne
Mietergärten Anders als die vorgenannten Einrichtungen mussten die Mieterparzel- len mittels eines 10 m langen Suchschnitts (8) untersucht werden. Nach der Skizze (Abb. 3) lagen 14 der insgesamt 18 Parzellen rechtwinklig an der Hauswand, nur unterbrochen durch den Zweigweg zum Keller und kleinere Pfade. Diese Parzellen maßen jeweils ca. 11 × 4 m. Wie ange- führt, war neben der Bepflanzung auch die weitere Gestaltung der Gär- ten Sache der Mieter (Abb. 4). Um den Mieterparzellen archäologisch nachzugehen, wurde der Suchschnitt östlich des Zweigweges zur Keller- treppe so angelegt, dass er theoretisch drei Parzellenbegrenzungen er- fassen würde (Abb. 8). Unter dem A-Horizont, der in diesem Bereich mit 20–25 cm Stärke besonders mächtig ausfiel, stieß man auch hier auf die Planierschicht der Sanierungsmaßnahme. Eingetieft in den anstehenden Boden konnten darunter zahlreiche längliche, in nordsüdlicher Ausrich- tung verlaufende Gruben identifiziert werden. Die Gruben waren mit 10–20 cm Tiefe relativ flach und unregelmäßig in ihrer Breite (20–40 cm). Alle wiesen eine ähnliche Verfüllung mit kiesigem Sand, der partiell mit Ziegelflitter und Mörtelbruch vermischt war, auf (Abb. 14). Abb. 14. Dessau-Laubenganghaus PHS 48. Schnitt 8, Profil 3, Süd. Östli- cher Teil des Profils. Die homogen Um die Ausmaße dieser Gruben in der Länge zu bestimmen, wurden verfüllten Gruben sind im anste- zwei weitere kleine Schnitte (10 und 11) nördlich und südlich des östli- henden Boden deutlich zu erkennen. chen Endes des Suchschnitts angelegt. In diesen gelang es, die nördli- Darüber liegt die Planierschicht 35 (Foto: F. Rösch). chen Ausläufer zweier Grubenbefunde zu dokumentieren. Der südliche Abschluss war hingegen nicht zu erfassen, da sich der Befund über die Schnittgrenze hinaus erstreckte. Eine Ausnahme von diesem Befundbild offenbarte sich im Westen des Suchschnitts, wo eine größere Grube im anstehenden Boden erfasst werden konnte. Diese Grube umfasste neben Sand größere Mengen Be- ton- oder Mörtelbrocken, die teilweise mit Teerpappe versehen waren und auch dickere Eisendrähte enthielten. Die Interpretation der vielen länglichen Grubenbefunde gestaltet sich schwierig. Zwar folgen die Gruben in ihrer Ausrichtung dem Verlauf der Mietergärten, allerdings können sie weder mit den Begrenzungen noch mit etwaig dazwischenliegenden Pfaden korreliert werden. Sowohl für die Verlegung von Begrenzungssteinen als auch Zaunpfosten wären an- dere Befunde wie Spitzgräben oder Pfostenlöcher zu erwarten. Darüber hinaus spricht ihre gleichförmige Verfüllung und vergleichsweise große Tiefe im anstehenden Boden gegen einen Zusammenhang mit Parzel- lenbegrenzungen, wenn man in Betracht zieht, dass durch die Garten- baubetriebe auch Erdreich und Schlacke aufgefahren wurden (Bürger 1930a). Es ist also davon auszugehen, dass Relikte der Mietergärten kaum erhalten sind bzw. nur an Stellen, wo tiefere Eingriffe vorgenommen wurden. Die Planierung Mitte der 1990er Jahre war in diesem Bereich anscheinend entsprechend umfangreich und hat viele der Spuren ent- fernt. Gegebenenfalls stammen die länglichen Gruben aus der Bauzeit Felix Rösch et al. | Bauhaus Ausgraben: Archäologische Untersuchungen an einem Laubenganghaus 403
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