VAA Magazin Zauber in der Zelle - Cellulosechemie: Vereinbarkeit: Teilzeit in der Elternzeit
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Februar 2017 VAA Magazin Zeitschrift für Führungskräfte in der Chemie Cellulosechemie: Zauber in der Zelle Vereinbarkeit: Teilzeit in der Elternzeit
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Editorial Auf zu neuen Ufern! Was das Jahr 2017 bringen wird, ist noch unklar. Politisch ist es bereits turbulent. Dabei gehört die Bedrohung durch den Terroris- mus zu den größten, von vielen derzeit noch unterschätzten Pro- blemen. Aber die Zuversicht überwiegt, dass es vor dem Hinter- grund der gegenwärtigen Bedrohungslage nicht zum von vielen befürchteten Rechtsruck kommen wird. Weder in Deutschland noch in Frankreich. Und auch nicht in den USA. Auch wenn die ersten Wochen des US-Präsidenten Donald Trump Schlimmes be- fürchten lassen, so werden die Kräfte der Vernunft in Washington auf lange Sicht die Oberhand gewinnen. Denn das US-System wird stark von den Beraterstäben des Präsidenten sowie den checks and balances des Kongresses getragen. Selbst in republikanischer Hand werden weder das Repräsentantenhaus noch der Senat ein allzu straffes präsidiales Durchregieren zulassen. In Frankreich – im Jahr eins nach dem Brexit-Referendum mehr denn je ein Schicksalspartner für Deutschland in Europa – wird Marine Le Pen kaum zur Präsidentin gewählt werden: Spätestens in der Stich- Foto: VAA wahl zwischen den beiden Erstplatzierten des ersten Wahlgangs werden sich das konservativ-bürgerliche und das linke Lager wohl oder übel hinter einem gemeinsamen Kandidaten vereinigen – wie bereits 2002 erstmals geschehen. Von der politischen Bildfläche verschwinden wird Le Pen aber nicht. Mit ihr wird langfristig zu rechnen sein. Hier werden die Antworten der etab- lierten politischen Strömungen auf die drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen entscheiden. Spannend werden die Wahlen auch bei uns in Deutschland. Es scheint fast sicher zu sein, dass erstmals seit Jahrzehn- ten eine Partei rechts der CSU in den Bundestag einziehen wird. Davon mag man halten, was man will – verhindern ließe sich das nur durch eine kluge, vorausschauende und mutige Politik. Nur dafür ist die Zeitspanne bis zur Wahl zu kurz. Schon jetzt schalten die Parteien voll in den Wahlkampfmodus. Auf jeden Fall wird der nächste Bundestag fragmentierter sein als sein Vorgänger. Vermeintlich kleine Parteien wie die FDP oder das Bündnis 90/Die Grünen sowie deren gegenseitige Koalitions(in)toleranz werden sicherlich eine Schlüsselrolle spielen. Klein, aber fein – heißt es immer wieder über die FDP. Das gilt auch für den VAA. Auch der VAA ist darauf ange- wiesen, Koalitionen einzugehen. Der VAA mag vielleicht im Vergleich zu anderen Organisationen der Chemie- und Pharmabranche relativ klein sein, aber dafür ist er ein überaus starker Partner. Als Berufsverband und Gewerkschaft zeichnen wir uns dadurch aus, dass wir Gestaltungswillen und Gestaltungsmacht haben. Damit dies so bleibt, wollen wir schon früh in diesem Jahr die Grundlagen für einen vielversprechenden Start unserer Betriebsratswahlkampag- ne 2018 schaffen. Der VAA will und wird mitbestimmen, um mitzugestalten. Dabei geht es dem Verband um eine konstruktive Zusammenarbeit mit seinen Sozialpartnern – mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in unserem Land zu verbessern. Denn die Interessen von Tarifangestellten sowie außertariflichen und leitenden An- gestellten unterscheiden sich zwar in manchen Dingen, aber sie alle sind Arbeitnehmer, die oft mit den gleichen He- rausforderungen konfrontiert werden. Mit ihrer Kompetenz helfen VAA-Mitglieder und -Mandatsträger dabei, Pro- bleme konstruktiv zu lösen und so einen positiven Beitrag zur Sozialpartnerschaft in Deutschland zu leisten. Gerhard Kronisch VAA-Hauptgeschäftsführer VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017 3
! Inhalt 21 6 Chemie im Bild/ Spezial Meldungen 06 Cellulose in Zahlen 25 Transaktionen in der Chemie, Nanodrähte, 08 Zauberhafter Zellstoff WoMen-Netzwerktreffen 26 Geopolymere, Kompositmaterial, VAA Branche Aufsichtsratswahlen, Frühpensionierung 14 Vorstandswahlen: 21 Bundestagswahl im Fokus: Steckbriefe der Kandidaten Interview mit Jens Spahn 27 Reise nach Island, VAA connect, 16 Mitgliederentwicklung: 23 Personalia aus der Chemie Einkommensumfrage, Wachstum hält an KFZ-Privatrabatt 17 Rechtsschutzstatistik: 28 Quantenvakuum, Beratungsbedarf steigt weiter Wirtschaft Alter(n)sgerechte Arbeit, Studie zur Digitalisierung, 19 Betriebsrente: in Zahlen Bundesverfassungsgericht, Versorgungsleistungen nicht Kooperation mit StepStone ungenutzt lassen 24 Kinderbetreuung: Steigender Anteil schließt 19 Mitgliedsbeitrag: Betreuungslücke nicht Interview mit Dr. Thomas « Fischer Coverfoto: crimson – Fotolia 4 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
Inhalt 44 Lehmanns 29 Destillat Europa 48 Satirische Kolumne: 37 Mobilität und Mentoring: Digitale Eintagsfliegen Workshop in Athen Vermischtes Recht 50 ChemieGeschichte(n): 38 Urteil: Chemiker am Puls der Zeit ULA Anspruch auf Homeoffice? 51 Glückwünsche Nachrichten 39 Teilzeit in Elternzeit: Interview mit Pauline Rust 52 Sudoku, Kreuzworträtsel 29 Bundestagswahl: ULA präsentiert Forderungen 42 Erben und Vererben: 53 Leserbriefe Wie umgehen mit digitalem 31 Kommentar, ULA Intern Nachlass? 54 Personalia, Termine, Vorschau, Korrektur, 32 Arbeit: Impressum Rückkehrrecht aus Teilzeit 60plus 33 Europa: Konflikt um Mitbestimmung 44 Senioren als Experten: Ehrenamtlich engagieren 34 Manager Monitor: beim SES Virtuelle Teams 46 Pensionskassenrenten: 36 Weiterbildung: Interview mit Dr. Ingeborg Axler Aktuelle Seminare 36 Ankündigung: ULA-Sprecherausschusstag 48 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017 5
Spezial CHEMIE DER CELLULOSE Zellulärer Zauberstoff Wer den Begriff Cellulose hört, denkt oft zuerst an Zellstofftaschentücher oder Papier. Dabei ist Cellulose so viel mehr: Sie ist ein wahres Wunderwerk der pflanzlichen Natur und stellt die Hauptmasse aller auf der Erde vorkommenden organischen Verbindungen! Cellulose ist biobasiert, nachwachsend und vielseitig einsetzbar: Die Anwendungspalette von Cellulose und ihren Derivaten reicht von Papier, Lebensmitteln und Textilien über Gipsspachtel, schnell trocknende Druckfarben und Klebstoffe bis hin zu Shampoo-Conditioner und Wabenkörpern für KFZ-Katalysatoren. Und das ist bei Weitem noch nicht alles. Höchste Zeit also, dem „Zauberstoff“ aus der Welt der Pflanzen näher auf den Grund zu gehen. Von Timur Slapke Am Rande der Lüneburger Heide, etwa in Bei der heutigen Dow Deutschland Anla- genschaften wie beispielsweise Wasserlös- der Mitte des norddeutschen Dreiecks zwi- gengesellschaft mbH, die noch bis vor Kur- lichkeit, Wasserrückhaltung oder Filmbil- schen Hannover, Bremen und Hamburg, zem als Dow Wolff Cellulosics firmierte, dung. lässt sich die Natur trefflich beobachten. ist Dr. Jürgen Engelhardt als Associate Breite Felder, vereinzelte Wälder und klei- R&D Director, Products & Characteriza- Je nachdem, wie viel oder wie wenig man ne Ortschaften prägen das Bild der Gegend tion tätig. Das langjährige VAA-Mitglied an den OH-Gruppen verändert, ob punk- um Walsrode und Bad Fallingbostel. Eine weiß über Cellulose bestens Bescheid: tuell oder in der gesamten Kette, kann man knappe Fahrtstunde von der pulsierenden „Cellulose an sich ist wasserunlöslich und die Eigenschaften des Derivats also grund- niedersächsischen Leinemetropole Hanno- relativ inert – sie quillt höchstens ein we- legend verändern. Von dieser „Spielwiese ver fühlt man sich als Besucher aus der nig.“ Es befinden sich jeweils drei OH- für Chemiker“ ist Dr. Johannes Ganster Großstadt fast schon fernab von Gut und Gruppen am Grundbaustein Glucose. „Wir vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Böse. Da überrascht es beinahe, dass genau spalten die Wasserstoffbrückenbindungen Polymerforschung IAP in Potsdam-Golm hier, im kleinen Örtchen Bomlitz, die In- in der Cellulose auf, die verhindern, dass ebenfalls begeistert: „Man hat einfach ei- dustrie bereits seit über 200 Jahren fest ver- sich die Cellulose lösen kann“, führt En- nen sehr schönen Angriffspunkt der Che- wurzelt ist. Im Laufe der Jahrzehnte hat gelhardt aus. Einige dieser „händchenhal- mie, den man nutzen und gestalten kann.“ sich eine kleine Pulvermühle zur Produk- tenden“ OH-Gruppen müssten blockiert tion von Schießpulver für das Herrscher- werden, um nicht wieder zusammenfinden Cellulose ist ein Konstruktionswerkstoff haus Hannover zu einem der wichtigsten zu können. „Dazu legen wir den OH-Grup- der Natur, um Pflanzen oder Bäume zu sta- Standorte für Cellulosechemie in Europa pen sozusagen Fausthandschuhe an.“ Auf bilisieren. Dieses Prinzip in die Technik zu gemausert. diese Weise wird die Cellulose zu einem überführen, findet Fraunhofer-Wissen- Cellulosederivat – Celluloseether oder Cel- schaftler Ganster faszinierend. Sein For- luloseester. Dazu gehören etwa die Methyl- schungsbereich konzentriert sich auf in- cellulose oder die Carboxymethylcellulose. dustriell verfügbare Biopolymere wie Cel- Diese haben dann wieder ganz andere Ei- lulose, Stärke, Lignin, Chitosan, pflanzli- che und tierische Proteine. u 9
Spezial Außerdem leitet der promovierte Physiker Den Produkten werden die Cellulosederi- lierung vom Fünf-Liter-Labormaßstab auf die Abteilung Materialentwicklung und vate nur in geringen Mengen beigemischt 500 Liter bis zu vier Kubikmeter. Denn die Strukturcharakterisierung, die sich mit – zwischen 0,1 und einem Prozent. „Diese meisten Kunden wollen keine mit Pülver- biobasierten Alternativen zu herkömmli- Menge reicht aber aus, das Verhalten kom- chen gefüllten kleinen Gläschen, sondern chen Polymersystemen beschäftigt. plett zu verändern“, so Engelhardt. In man- das Produkt sack- und palettenweise testen. chen Systemen könne dies aber durchaus „Unsere Baustoffkunden wollen ordentlich Bei den Cellulosederivaten handelt es sich ein Kostenpunkt sein. Dies bestätigt auch mischen und auch damit auf den Bau ge- um Makromoleküle und damit um Polyme- der Leiter der Dow-Standorte Bomlitz und hen. Pharmakunden müssen die klinischen re. Diese können auch mit Oberflächen Bitterfeld Wolfgang Möller: „Aufgrund der Phasen abdecken.“ wechselwirken und dafür sorgen, dass Par- relativen Hochpreisigkeit und dem Einfluss tikel dispergieren und nicht klumpen, bei- auf die Produkteigenschaften wurde unser Clevere Coatings spielsweise in Farben und Lacken. Für Produkt einmal von einem Kunden aus der Dow in Bomlitz sind Baustoffadditive etwa Baustoffbranche als gold dust bezeichnet.“ Im Pharmabereich ermöglichen Cellulose- für Gipsputz, Spachtelmasse oder zement- derivate verschiedene wirkstoff- und trans- gebundene Fliesenkleber ein wichtiger Be- Im Industriepark Walsrode betreibt Dow portspezifische Funktionalisierungen reich. Welche Rolle spielt Cellulose dort? neben normalen Laboren auch eine State- durch sogenannte Excipients – pharmazeu- „Wenn etwas zu schnell abbindet, kann of-the-Art-Pilotanlage – ein Polysaccharid- tische Hilfsstoffe, die bei der Applizierung man es zwar auf die Wand auftragen, aber Technikum im Schichtbetrieb. Von der von Arzneimitteln helfen. So kann man so- dann ist es auch schon vorbei – es wird Größe ähnelt die Anlage einer kleinen Fa- wohl flüssige Zubereitungen herstellen, schnell fest und man kann nichts mehr ma- brik. „Auf vier Etagen haben wir hier die etwa bei Augentropfen und Hustensaft für chen“, antwortet Jürgen Engelhardt. Durch Möglichkeit, bestehende Produktionspro- Kinder, oder auch feste Anwendungen für die Cellulosederivate erhalten die minera- zesse nachzustellen, aber auch neue Ver- Tabletten und Kapseln. „Beschichtet man lischen Systeme eine hohe Standfestigkeit. fahren zu entwickeln und zu pilotisieren“, Tabletten mit Cellulosederivaten, sorgt So rutschen Putz und Fliesenkleber nicht berichtet Jürgen Engelhardt nicht ohne man für mehr Gleitvermögen, damit Kin- von der Wand. Stolz. Pilotisierung bedeutet hier eine Ska- der oder ältere Patienten besser schlucken Für die Faserforschung bestens ausgestattet ist das Fraunhofer IAP in Potsdam-Golm. Dazu gehört auch eine vollwertige Spinnanlage für innovative Celluloseregeneratfasern. Foto: Till Budde – Fraunhofer IAP 10
Spezial können“, klärt Jürgen Engelhardt auf. Zu- breit gefächertes Themengebiet von Auf- verunreinigt. „Ein anderer Prozess sind dem schützen diese Beschichtungen die schlusstechnologien und Bioraffineriepro- Ethanol-Wasser-Aufschlüsse. Damit ge- Wirkstoffe gegen Oxidation, Feuchtigkeit zessen bis zur Nutzung von Cellulose, He- winnt man sehr sauberes Lignin, das man oder auch gegen Magensäure. „Letzteres micellulosen und Lignin als Polymere. He- für Folgechemie verwenden kann.“ Auch ist wichtig bei Wirkstoffen, die sich erst im micellulosen stellen bei Landpf lanzen hier werden die Faserkomponenten enzy- Darm entfalten sollen.“ Außerdem gewinnt nach Cellulosen die nächstgrößte Gruppe matisch verzuckert, um Rohstoffe für Fer- heutzutage der Ersatz von Gelatine an Be- von Polysacchariden dar. Lignin ist nach mentationsprozesse zu erhalten. deutung, aus der früher harte und weiche Cellulose das häufigste pflanzliche Poly- Kapseln hergestellt wurden. „Da aber im- mer, das der Zellwand Druckfestigkeit ver- An Saakes Institut sind die Wissenschaftler mer mehr Menschen immer weniger tieri- leiht und meist in Wänden verholzter recht nah am Rohstoff: „Wobei dieser Roh- sche Produkte zu sich nehmen wollen oder Pflanzenzellen vorhanden ist. Im Gegen- stoff nicht nur Holz, sondern pflanzliche können, stellen wir mit Hydroxypropylme- satz zur Cellulose ist das dreidimensional Biomasse allgemein ist“, betont Bodo Saa- thylcellulose vegane Kapseln her.“ vernetzte Lignin unelastisch. ke. Es wird auch viel mit Einjahrespflanzen wie Stroh und Bagasse gearbeitet, aber auch Eine knappe Autostunde nördlich von Das Zentrum Holzwirtschaft ist unter an- Bambus. „Deshalb liegt unser Fokus stärker Bomlitz, an der Abteilung Chemische derem an Bioraffinerieprojekten zum Auf- auf der Aufschlusstechnologie“, stellt der Holztechnologie am Zentrum Holzwirt- schluss von Biomasse beteiligt, um Platt- aus Westfalen stammende Professor für schaft der Universität Hamburg, wird ne- formchemikalien zu gewinnen. Man ver- Chemische Holztechnologie fest. „Wir kön- ben Cellulose auch an Lignin und Hemi- folgt zwei Linien: „Bei Dampfdruckpro- nen mit unseren Reaktoren und Refinern all cellulosen geforscht, den anderen beiden zessen stellt man aus Biomasse durch eine diese Rohstoffe beim Aufschluss abde- Hauptbestandteilen pflanzlicher Rohstoffe. nachfolgende enzymatische Hydrolyse Zu- cken.“ Außerdem verfügt das Institut über „Wir bilden praktisch eine Schnittstelle cker und Lignin her“, so der studierte Holz- Bleichaggregate mit allen denkbaren Bleich- von der Holzchemie zur Cellulosechemie“, wirtschaftler Bodo Saake. Bei diesem Pro- sequenzen, Faserstoffprüfanlagen für Pa- findet Abteilungsleiter Prof. Bodo Saake. zess sei die Prozessführung relativ einfach, pier und über die nötige Analytik für die Zu seinem Forschungsspektrum gehört ein aber das Lignin sei mit Kohlenhydraten Charakterisierung der Produkte. u 11
Spezial Auch in Bomlitz, dem größten Dow-Stand- „Man muss die Cellulose erst derivatisie- „Wir reden hier von rund fünf Millionen ort für Forschung und Entwicklung in ren, also an die OH-Moleküle etwas dran- Tonnen Viskosefasern weltweit, das heißt Deutschland, wird sehr viel Arbeit in die hängen, damit es überhaupt funktioniert“, man benötigt fast zwei Millionen Tonnen Analytik gesteckt. „Noch vor 15 Jahren erklärt Johannes Ganster vom Fraunhofer Schwefelkohlenstoff zur Herstellung der konnte man nicht genau sagen, wie die Me- IAP. Leider funktioniert der Prozess über Fasern“, ergänzt Gansters Kollege André thylgruppen auf der Cellulose genau ver- die temporäre Derivatisierung mit Schwe- Lehmann. „Der Schwefel ist in der Faser teilt waren“, gibt Jürgen Engelhardt offen felkohlenstoff, einem hochgiftigen Stoff. dann nicht mehr vorhanden, weil er im zu. „Mittlerweile können wir das. Allein Spinnprozess wieder abgespalten und aus- die Zahl der verschieden möglichen Ketten gewaschen wird, er fällt aber eben bei der geht in die Milliarden.“ Das sei eine enor- Cellulose in der Natur Herstellung an.“ Deshalb forscht Leh- me Herausforderung. „Wir müssen die Cellulose ist ein hochpolymeres Po- manns Team an Verfahren zur Reduzie- Struktur, die Eigenschaften und die Wech- lysaccharid mit unverzweigter, ket- rung des Schwefelkohlenstoffeinsatzes – selwirkungen mit den Komponenten in den tenförmiger Molekülstruktur, das in unter Beibehaltung der Faserqualität. Das Anwendungssystemen genau verstehen, fast allen Arten pflanzlicher Biomas- ist auch die größte Herausforderung: „Je um optimale Produkte anbieten zu kön- se vorkommt. Pflanzliche Zellmem- weniger Schwefelkohlenstoff man bei der nen.“ Ein fortwährender und spannender branen enthalten außer Cellulose Herstellung einsetzt, desto schlechter wird Prozess. noch Hemicellulosen. In verholzten die Lösung – und damit auch die Fadenei- Pflanzenzellen ist zudem Lignin vor- genschaften.“ Für Dow gehören Holz und zu einem klei- handen – ebenfalls eine polymere neren Teil Baumwolle zu den Hauptroh- Verbindung. Aus der Industrie gibt es ein großes Inter- stoffquellen. Wobei Dow nicht wie die esse an der schwefelfreien Umformung von Hamburger Holzwirtschaftler am Rohstoff Cellulose. Das wäre eine Derivatisierung ansetzt, sondern bereits von seinen Liefe- zum Beispiel mit Harnstoff. Dieser Ansatz ranten Cellulose als relativ dicke Zellstoff- nennt sich Cellulosecarbamat. Das For- pappe in 500-Kilogramm-Rollen geliefert scherteam am Fraunhofer IPA hat nachge- bekommt. „Die Hemicellulosen und Ligni- wiesen, dass es auch im industriellen Maß- ne werden also bereits von unseren Liefe- stab funktioniert. „Man kann also Cellu- ranten aus dem Rohstoff getrennt“, erklärt losecarbamat anstelle von Cellulosexan- Engelhardt. thogenat verspinnen“, versichert Johannes Ganster. Noch gebe es jedoch zu wenige Aus historischer Sicht hat Cellulose zu- der dafür notwendigen Anlagen und auch sammen mit Naturkautschuk die Grundla- keinen preislichen Unterschied. ge für die Entwicklung der Polymerche- mie gelegt, dann aber durch den Aufstieg Ein drittes Verfahren ist Lyocell – auch der Petrochemie an Boden verloren. „Lan- NMMO genannt. „Der Name stammt vom ge Zeit betrug der weltweite Markt für Lösungsmittel, das übrigens von der BASF holzbasierte Chemiezellstoffe etwas über produziert wird“, so Johannes Ganster. Da- vier Millionen Tonnen pro Jahr“, so Bodo bei wird die Cellulose direkt bei knapp 90 Saake von der Universität Hamburg. „In- Grad Celsius gelöst. „Das ist alles hochvis- nerhalb relativ kurzer Zeit ist dieser Markt kos und mit höheren Drücken verbunden, wieder auf über acht Millionen Tonnen ge- welche unter anderem ein anderes Spinn- wachsen.“ Dieser Anstieg sei vor allem auf verfahren bedingen.“ Die Fraunhofer-Wis- die steigende Nachfrage nach Cellulosefa- senschaftler hoffen noch auf ein viertes sern unter anderem aus Asien zurückzu- Verfahren, mit dem man superfeste Fasern führen. „Da ist für die Zukunft auch noch zur Verstärkung von Verbundwerkstoffen mehr zu erwarten.“ Ein Bedarf, der nicht herstellen kann. Denn Cellulose habe es allein mit Baumwolle gedeckt werden drauf, meint Ganster. Dies zeigen die the- kann. Hier kommt die Familie der Visko- oretischen Rechnungen. Man müsse es sefasern zum Zuge. Denn aus dem Visko- „nur noch“ praktisch hinkriegen. „Dieser seprozess mit Schwefelkohlenstoff kann Weg, die Ketten ohne Verschlaufungen man eine Vielzahl an Fasern mit ganz un- schön in Richtung der Faser auszurichten, terschiedlichen Eigenschaften herstellen. ist die eigentliche Herausforderung.“ Der Viskoseprozess ist schon über 110 Jah- Auf dem Gebiet der Faserforschung ver- re alt, aber immer noch sehr kompliziert. Fotos: Ivan Kurmyshov, Glaser, juniart– Fotolia fügt das Fraunhofer IAP über 50 Jahre Ex- Beispielsweise das in Lösung bringen: pertise. „Wir haben zwei vollwertige 12 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
Spezial Spinnlinien mit Lösungsherstellung und Bei Verbundwerkstoffen etwa für den Leicht- tätsmodul ist ein Kennwert zur Messung der Lösungsumformung zu Multifilamenten bau hat man momentan die Wahl zwischen mechanischen Spannung. Wenn man eine mit Reckbädern, Wasch- und Trocknungs- der Glasfaser und der Carbonfaser. „Die Glas- Cellulosefaser entwickeln würde, die deutlich galetten sowie Spulkopf“, zählt der Abtei- faser hat eine Dichte von etwa 2,5 Gramm pro darüber läge, könnte man schon gut in Rich- lungsleiter Fasertechnologie Dr. André Kubikzentimeter – die Carbonfaser 1,7“, tung Leichtbau vorankommen. „Die dafür nö- Lehmann auf. Lehmanns Abteilung führt Dr. Johannes Ganster an. Während die tigen Spinnverfahren gibt es schon, etwa das forscht an Fasern, Folien und Nonwovens Glasfaser billig sei und recht ordentliche Ei- Lyocell-Verfahren. Es gibt auch experimen- für technische und textile Anwendungen genschaften aufweise, sei die Carbonfaser telle Fasern, die bis 40 Gigapascal gehen.“ sowie an den entsprechenden Verfahren zu von den Eigenschaften zwar ausgezeichnet, Theoretisch sind bei Cellulose sogar Moduli deren Herstellung. Bereits seit sechs Jah- aber eben auch teuer. Dazwischen liegt eine von bis zu 160 Gigapascal möglich. „In unse- ren beschäftigt sich der promovierte Che- Welt, die nicht besetzt ist. „Hier könnte man rer Pilotanlage können wir Multifilamentgarn miker Lehmann mit Biopolymeren wie die Lücke mit einer Verstärkungsfaser auf herstellen, bei dem die Einzelfasern Moduli Cellulose, Lignin, Proteinen oder Polylac- Cellulosebasis schließen.“ Eine biobasierte, von bis zu 40 Gigapascal besitzen“, so der For- tid und arbeitet an der Entwicklung um- leichtere Alternative zu Glasfaser ist auf jeden schungsbereichsleiter Biopolymere. weltfreundlicher und effizienter Spinn- Fall denkbar. Die Preisspanne sollte dann technologien. „Dann haben wir noch eine zwischen Glas und Carbon liegen, um es in- Für eine Prognose, ob und wann sich eine kleinere Versuchsanlage bis zur Fadenbil- dustriell zu realisieren. Cellulosefaser für den Leichtbau durchsetzen dung. Neben dieser ganzen Verarbeitung kann, ist es ist noch etwas zu früh. Aber Wis- aus Lösung besitzen wir noch eine Unbestritten hätte eine cellulosische Verstär- senschaftler wie André Lehmann und Johan- Schmelzspinnlinie.“ Die Spinnlinien am kungsfaser für Kompositanwendungen ihren nes Ganster bleiben am Ball. Die Produktfor- IAP bilden dabei einen Maßstab ab, der Reiz. „Die heutigen Celluloseregeneratfasern schung bei Dow in Bomlitz zeigt, dass die für die Industrie interessant ist. Denn für die Gummiverstärkung werden nach dem schon jetzt sehr zahlreichen Anwendungsop- wenn hier etwas läuft, ist die Chance groß, Viskoseprozess gesponnen und haben einen tionen für Cellulose sich tendenziell noch er- dass es auch in einer industriellen Anlage mittelprächtigen Modul von 20 Gigapascal“, weitern werden. Ein echter „Zauberstoff“ funktioniert. erklärt Ganster. Zur Erklärung: Ein Elastizi- eben! ¢ Viskosefasern, wie sie für Textilien verwendet werden, sind auch unter der Bezeichnung Kunstseide bekannt. Foto: Till Budde – Fraunhofer IAP 13
VAA WAHLEN IN DEN VAA-VORSTAND Vorstellung der Kandidaten Auf der VAA-Delegiertentagung am 13. Mai 2017 in Seeheim-Jugenheim wird der Verbandsvorstand neu gewählt. Während der 1. Vorsitzende des VAA Dr. Thomas Fischer, der VAA-Schatzmeister Dr. Martin Bewersdorf und Dr. Wolfram Uzick nicht mehr für eine weitere Amtsperiode von drei Jahren zur Verfügung stehen werden, bewerben sich mit Dr. Christoph Gürtler von der Covestro Deutschland AG, Ruth Kessler von der Bayer AG und Dr. Thomas Sauer von der Evonik Performance Materials GmbH drei neue VAA-Kandidaten auf der vom amtierenden VAA-Vorstand vorgeschlagenen Kandidatenliste um einen Sitz im Vorstand. Gemäß VAA-Wahlordnung steht jeder VAA-Landesgruppe das Recht zu, den Kandidatenvorschlag des Vorstandes bis zum 31. März 2017 durch einen weiteren Kandidaten zu ergänzen. DR. FRÉDÉRIC DR. DANIELE DONIÉ BRUNS Geburtsdatum: 10. Oktober 1962 Geburtsdatum: Ausbildung: 4. Juli 1955 Diplom-Biochemiker Ausbildung: (zuvor: Tätigkeit: freigestellter Betriebsrat Diplom-Chemikerin Abteilungs- diverse Positionen als Gruppen-, Umwelt Tätigkeit: Leiterin Sicherheit und ulatory) und Projektleiter in F&E und Reg stadt Arbeitgeber: Merck KGaA in Darm GmbH Arbeitgeber: Roche Diagnostics Werksgruppe: Merck Penzberg Werksgruppe: Roche Diagnostics de des Mandate: Stellvertretende Vorsitzen ratsmitglied Mandate: Betriebsrats- und Aufsichts KGaA Sprecherausschusses der Merck der Roche Diagnostics GmbH Foto: VAA Foto: VAA VAA: Im Verband seit 1987, VAA: Im Verband seit 2005, im im Verbandsvorstand seit 2014 Verbandsvorstand seit 2011 DR. CHRISTOPH GÜRTLER Geburtsdatum: 3. Oktober 1967 Ausbildung: Diplom-Chemiker Verfahren Tätigkeit: Leiter Neue Katalytische AG in Leverkusen Arbeitgeber: Covestro Deutschland Werksgruppe: Leverkusen schusses der Covestro Mandate: Mitglied des Sprecheraus Deutschland AG VAA: Im Verband seit 1999 Foto: privat 14 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
VAA DR. ROLAND LEROUX RUTH Geburtsdatum: 29. September 1956 KESSLER Ausbildung: Geburtsdatum: Diplom-Chemiker heit Foto: Alexander Sell – Schott 19. April 1972 Tätigkeit: Leiter Sicherheit, Gesund Ausbildung: und Umwelt Diplom-Ingenieurin Arbeitgeber: Schott AG in Mainz urement, Tätigkeit: Manager Project Proc Werksgruppe: Schott LifeScience Investment Projects Mandate: Vorsitzender des Schott- itzender des Arbeitgeber: Bayer AG in Leverku sen Gesamtsprecherausschusses, Vors AG in Mainz Werksgruppe: Leverkusen Sprecherausschusses der Schott Foto: privat de des andsvorstand Mandate: Stellvertretende Vorsitzen VAA: Im Verband seit 1987, im Verb chen Sprecherausschusses der Bayer AG seit 2011, Präsident des Europäis FECCIA seit 2012, VAA: Im Verband seit 2001 Führungskräfteverbandes Chemie nigung ULA seit 2014 Präsident der Führungskräfteverei RAINER DR. THOMAS NACHTRAB SAUER Geburtsdatum: Geburtsdatum: 26. April 1957 6. Mai 1961 Ausbildung: Ausbildung: Diplom-Ingenieur Diplom-Chemiker Tätigkeit: Director Tätigkeit: Vice President Custom Engineering Manufacturing Agro hafen e Arbeitgeber: BASF SE in Ludwigs Arbeitgeber: Evonik Performanc n Werksgruppe: BASF Ludwigshafe Materials GmbH cherausschusses Werksgruppe: Industriepark Wol fgang Mandate: Vorsitzender des Spre F- der BASF SE, Vorsitzender des BAS Mandate: Vorsitzender des Foto: Stefan Wildhirt reter Konzernsprecherausschusses, Vert Sprecherausschusses des F Europa olfgang, der leitenden Angestellten im BAS Gemeinschaftsbetriebs Hanau-W Betriebsrat Stellvertretender Vorsitzender des Foto: VAA andsvorstand Gesamtsprecherausschusses der Evonik VAA: Im Verband seit 1984, im Verb seit 2007 seit 2004, 2. Vorsitzender des VAA Industries AG VAA: Im Verband seit 2002 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017 15
VAA MITGLIEDERENTWICKLUNG Sieben Jahre Wachstum Im Jahr 2016 ist die Zahl der VAA-Mitglieder erneut angestiegen. Besonders hervorzuheben ist dabei der stetige Anstieg weiblicher VAA-Mitglieder sowie das deutliche Plus an jungen Mitgliedern unter 30 Jahren. Beides lässt auf die immer größer werdende Attraktivität des Verbandes für diese für die Zukunft des Verbandes wichtigen Zielgruppen schließen. Bereits zum siebten Mal in Folge hat sich MITGLIEDER- GESAMT- STAND die Mitgliederzahl im VAA erhöht: Zum ENTWICKLUNG MITGLIEDERZAHL Jahresende 2016 gehörten dem Verband 28.956 Mitglieder an – 116 mehr als im Ende 2016 +116 28.956 Vorjahr. In den alten Bundesländern sind 126 Mitglieder hinzugekommen (Anstieg Ende 2015 +212 28.840 von 27.318 auf 27.444), während die Mit- gliederzahl in den neuen Bundesländern Ende 2014 +386 28.628 von 1.529 auf 1.512 minimal gesunken Ende 2013 +278 28.242 ist. Ende 2012 +492 28.058 Besonders erfreulich ist die Entwicklung bei den weiblichen VAA-Mitgliedern: Ende 2011 +314 27.566 Der Frauenanteil ist im Jahr 2016 auf rund 20 Prozent angestiegen. Insgesamt Ende 2010 +295 27.252 zählt der Verband nun 5.740 weibliche Mitglieder. Ende 2009 -84 26.957 Der größte Zuwachs unter den verschie- Ende 2008 +344 27.041 denen Mitgliedergruppen im Verband ist mit 670 Zugängen bei den unter 30-jäh- Ende 2007 +436 26.697 rigen Mitgliedern zu verzeichnen. Au- ßerdem sind rund 350 junge Akademiker Ende 2006 -136 26.261 von der studentischen in die ordentliche Mitgliedschaft übergegangen. Somit be- läuft sich die Zahl der studentischen Mit- glieder auf 3.502 (2015: 3.426). Dabei profitieren 3.009 Studenten von der kos- IM BERUFSLEBEN STEHENDE MITGLIEDER NACH BERUFSGRUPPEN tenfreien zusätzlichen Mitgliedschaft in der Gesellschaft Deutscher Chemiker Beruf Ende 2016 Ende 2015 (GDCh). Chemie 41,5 % 41,2 % Trotz der wachsenden Zahl bei den Nach- wuchskräften ist das Durchschnittsalter Ingenieurwissenschaften 21,9 % 22,5 % der VAA-Mitglieder um 0,2 Jahre leicht auf 50,9 Jahre gestiegen. Andere naturwissenschaftliche Fachrichtungen 20,3 % 19,9 % Wie im letzten Jahr ist der Anteil der in Wirtschaftswissenschaften 4,9 % 4,7 % Werksgruppen organisierten Mitglieder Kaufmännische und technische Angestellte 3,4 % 3,6 % konstant bei 69 Prozent geblieben. Der Anteil der im Berufsleben stehenden Sonstige Berufe 7,9 % 12,2 % VAA-Mitglieder ist dagegen um einen Prozentpunkt von 65 auf 66 Prozent ge- Gesamt 19.107 = 100 % 18.840 = 100 % stiegen. ¢ 16 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
Das Team der VAA-Juristen besteht aus Pauline Rust, Hinnerk Wolff, Stefan Ladeburg, Gerhard Kronisch, Ilga Möllenbrink, Thomas Spilke, Manfred Franke, Dr. Torsten Glinke, Christian Lange und Stephan Gilow (v. l.). Seit Mitte Januar 2017 verstärkt VAA-Juristin Irene Schubert (nicht im Bild) des Team des Berliner Büros. Foto: Simone Leuschner – VAA JURISTISCHER SERVICE Zahl der Rechtsanfragen hat sich verdoppelt Was als Streit beginnt, endet nicht selten vor Gericht. Bei etwa jeder sechsten Rechtssache handelt es sich um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit: Häufig geht es dabei um Kündigungen, nicht zufriedenstellende Arbeitszeugnisse oder um Diskriminierung am Arbeitsplatz. Nicht verwunderlich, dass auch im vergangenen Jahr viele VAA-Mitglieder von der kostenlosen Rechtsberatung durch den Juristischen Service des Verbandes Gebrauch gemacht haben. Denn der VAA gewährt Rechtsschutz weit über den sonst üblichen Rahmen hinaus, prüft Verträge, verhandelt mit Arbeitgebern und führt Prozesse. Um weiterhin dem steigenden Beratungsvolumen Rechnung zu tragen, hat der Verband 2017 auch das Juristenteam in Berlin erweitert. Der Juristische Service gehört zu den durch können schon im Vorfeld langwie- auch weit mehr als eine normale Rechts- zentralen Dienstleistungen des Verban- rige Prozesse vermieden und erfolgreiche schutzversicherung. des und wird von den VAA-Mitgliedern Resultate erzielt werden, wie beispiels- rege genutzt. Die spezialisierten Rechts- weise Abfindungen zu überdurchschnitt- Im Jahr 2016 hat die Zahl der Rechtsbera- anwälte und Fachanwälte für Arbeits- lichen Konditionen. Die effiziente Bera- tungen erneut zugenommen: Allein die recht im VAA kennen die Besonderheiten tung steht den Mitgliedern nicht nur kos- Zahl der Posteingänge hat sich im Ver- der Chemie- und Pharmabranche. Da- tenfrei zur Verfügung, sondern bietet gleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt. u VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017 17
VAA Die Zahl der telefonischen Anfragen stieg sogar um über 50 Rechtsschutzfälle erledigt durch: Prozent. Obsiegen 16 Im vergangenen Jahr lag der Fokus nicht nur auf den Verhand- lungen vor Gericht, sondern auch auf den kleinen arbeits- und Vergleich 61 sozialrechtlichen Streitigkeiten, die regelmäßig unterschätzt Klageabweisung 6 werden. Klagerücknahme 8 Insgesamt wurden letztes Jahr 320 Beistandsfälle bearbeitet, Anderweitige Erledigung 5 von denen 185 erledigt wurden. Beistandsfälle sind die außer- gerichtlichen Vertretungen, zum Beispiel gegenüber dem Ar- beitgeber. Die Zahl der gerichtlichen Vertretungen, der soge- nannten Rechtsschutzfälle, belief sich 2016 auf insgesamt 220 Verfahren anhängig beim: Fälle – mit 96 erledigten Fällen. Arbeitsgericht 58 Im Vordergrund standen 2016 erneut Fragen zu Arbeitnehmer- Landesarbeitsgericht 6 erfindungen, Auf hebungsverträgen, Abmahnungen und Kün- digungen. Zusätzlich zur individuellen Beratung einzelner Bundesarbeitsgericht 2 VAA-Mitglieder haben die Rechtsexperten des Verbandes die Sozialgericht 48 Mitglieder auf zahlreichen Veranstaltungen in den Werks- und Landesgruppen vor Ort über verschiedene arbeitsrechtliche Landessozialgericht 7 Fragestellungen informiert, beispielsweise über rechtliche Amtsgericht 0 Rahmenbedingungen bei Betriebsübergängen. Nicht zuletzt bei der Prüfung und Beurteilung von Erstanstellungsverträgen Oberlandesgericht 0 von Absolventen und Berufsanfängern war die Expertise der Verwaltungsgericht 0 VAA-Juristen einmal mehr gefragt. ¢ Irak Nothilfe ©UNHCR/S.Baldwin 18 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
VAA BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG „Kein Geld auf der Straße liegen lassen!“ Dr. Marc Heider Foto: BASF Mit dem sogenannten Betriebsrenten-Stärkungsgesetz will die Bundesregierung die Verbreitung von Betriebsrenten in Deutschland erhö- hen, unter anderem durch eine Entlastung der Arbeitgeber von dauerhaften Einstands- und Anpassungsverpflichtungen. Dr. Marc Heider von der Werksgruppe BASF Ludwigshafen ist seit diesem Jahr Vorsitzender der VAA-Kommission Betriebliche Altersversorgung, die re- gelmäßig die verschiedenen Altersversorgungssysteme der Unternehmen analysiert und vergleicht. Anlässlich der aktuellen Diskussion um die Betriebsrente nimmt er Stellung zum Stand der Dinge in der chemischen Industrie. „In der Vergangenheit haben viele Unter- ist zu befürchten, dass sich dieser Trend ges. Diese Option wird aber längst nicht nehmen ihre Altersversorgungssysteme fortsetzen, ja sogar verstärken wird. Umso von allen Arbeitnehmern genutzt, welche von Leistungs- auf Beitragszusagen umge- wichtiger ist es, mögliche Versorgungsleis- die Möglichkeit dazu hätten. Sinnbildlich stellt. Diese Entwicklung ist sehr bedauer- tungen nicht einfach ungenutzt zu lassen. gesprochen lassen diese Leute bares Geld lich, weil sie eine wesentliche Ursache für Etliche Unternehmen bieten inzwischen auf der Straße liegen, denn die Rendite pro den immer weiter sinkenden Bruttoversor- Matching-Modelle an, bei denen der Ar- Euro ist in solchen Systemen oft wesentlich gungsgrad der Chemie-Führungskräfte im beitgeber freiwillige Einzahlungen des Ar- höher als bei vergleichbaren Anlageformen. Ruhestand darstellt. Wegen der weitgehen- beitnehmers in das betriebliche Altersver- Gerade junge Leute sollten sich deshalb in- den Entpflichtung der Arbeitgeber im Rah- sorgungssystem aufstockt, häufig mit 50 tensiv mit dem Thema auseinandersetzen men des Betriebsrenten-Stärkungsgesetzes Prozent oder mehr des eingezahlten Betra- und ihre Möglichkeiten genau prüfen.“ ¢ INTERVIEW MIT DR. THOMAS FISCHER Mitgliedsbeitrag angepasst, Service weiter ausgebaut Nach acht Jahren Beitragsstabilität ist der VAA-Mitgliedsbeitrag im Januar 2017 angehoben worden – von 16 auf 20 Euro monatlich für im Berufsleben stehende Vollmitglieder. Dies hat die VAA-Delegiertentagung – das oberste Verbandsorgan – im April 2016 beschlossen. Warum war die Erhöhung des Mitgliedsbeitrags überhaupt notwendig? Im Interview mit dem VAA Magazin steht der 1. Vorsitzende des VAA Dr. Thomas Fischer Rede und Antwort. Fischer erläutert auch, was sich für Mitglieder im Ruhestand und in den neuen Bundesländern ändert. Des Weiteren äußert sich der VAA-Vorsitzende zum Zeithorizont der künftigen Beitragsentwicklung. VAA Magazin: Das letzte Mal wurden die Bei- Verband konsequent und nachhaltig weiter- Beispielsweise gehen wir bei der Unterstüt- träge im Januar 2009 erhöht. Hätte man nicht zuentwickeln. Wir hatten jetzt übrigens zwi- zung unserer Mandatsträger in die Vollen. Im noch ein paar Jahre ohne Erhöhung durchhal- schen 2009 und 2017 eine ungewöhnlich lan- Fokus steht dabei die Stärkung der ten können? ge Periode der Beitragsstabilität – bei den bei- betriebspolitischen Interessenvertretung für den vorangegangenen Beitragserhöhungen AT-Angestellte. Dies erfordert aber eine In- Fischer: Um es einmal klar zu sagen: Durch- waren es fünf beziehungsweise sechs Jahre. tensivierung unserer betrieblichen Aktivitä- halten auf Teufel komm raus ist der völlig Aber darum geht es gar nicht. Worum es geht, ten, also mehr Präsenz der hauptamtlichen falsche Ansatz. Der richtige lautet, eine ge- ist die Verbesserung der Dienstleistungen für VAA-Mitarbeiter und mehr Beratung in den sunde Finanzplanung zu haben, um unseren die VAA-Mitglieder. Werksgruppen vor Ort. Aus diesem u VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017 19
VAA eben keinen klaren Return on Investment. Uns kommt es hier vielmehr auf eine bessere Ver- ankerung und Vernetzung in der Branche an. Und dies nützt dem VAA weit mehr, als es kostet. VAA Magazin: In Ordnung. Hat der Verband denn seine Ausgaben im Griff? Fischer: Absolut. Zwar lagen unsere Ausga- ben im letzten Jahr um circa ein Fünftel höher Seit 2000 ist Dr. Thomas Fischer, hier zu sehen auf der VAA-Delegiertentagung 2016 in Fulda, als noch die Ausgaben im Jahr der letzten im Vorstand des VAA – seit 2002 als 1. VAA-Vorsitzender. Foto: Simone Leuschner – VAA Beitragsanpassung 2009, aber unsere Haus- haltspolitik war über all die Jahre grundsolide Grund hat der VAA das Team des Juristischen unsere wichtigsten Umfragen wie die Ein- und verlief stets nach Plan. Neben den bereits Service Ende 2015 und nochmals im Januar kommensumfrage, die Chancengleichheits- ausführlich genannten Ursachen für die Kos- dieses Jahres erweitert. Wir erhöhen damit umfrage oder die Befindlichkeitsumfrage tensteigerungen dürfen wir auch nicht die unsere Durchschlagskraft. Es handelt sich da- überarbeitet und erweitert. Gerade die Be- Geldentwertung von über die Jahre knapp bei um verbandspolitisch notwendige Kosten. findlichkeitsumfrage gilt mittlerweile in den über neun Prozent vergessen. Aufgrund der Personalabteilungen der Chemie- und andauernden Niedrigzinsphase können wir VAA Magazin: Ist dies der entscheidende Pharmaunternehmen als das wichtigste Stim- zudem nicht auf Gewinnsprünge aus der Ent- Kostenfaktor, der bei den Ursachen für die mungsbarometer für Führungskräfte. Auf Ba- wicklung unseres satzungsgemäß konservativ Beitragserhöhung zu Buche schlägt? sis der Befindlichkeitsumfrage wird ja auch angelegten Vermögens bauen. Aber dies ist der Deutsche Chemie-Preis Köln verliehen, überhaupt kein Grund zum Klagen: Der VAA Fischer: Nein, es ist nur einer von vielen Kos- mit dem wir seit 2008 Unternehmen für ihre ist finanziell kerngesund und wohlauf. Die tenfaktoren, die sich in den letzten acht Jahren vorbildliche Personalarbeit auszeichnen. Die- Beitragserhöhung sorgt dafür, dass dies auch ergeben oder verstärkt haben. So ist die Zahl ser Preis genießt in unserer Branche einen in Zukunft so bleibt. unserer Mitglieder von gut 27.000 im Jahr sehr guten Ruf. unserer letzten Beitragserhöhung 2009 auf VAA Magazin: Wie sieht die neue Beitrags- nunmehr gut 29.000 gestiegen. Der Bera- Zum anderen haben wir 2014 unseren Online- struktur konkret aus? tungsbedarf unserer Mitglieder in arbeits- und auftritt neu gelauncht und um die eigens ent- sozialrechtlichen Fragen ist sogar enorm ge- wickelte Mitgliederplattform „MeinVAA“ er- Fischer: Für im Berufsleben stehende VAA- stiegen: Wir haben 2016 viermal so viele Be- gänzt. Darüber hinaus engagieren wir uns mit Mitglieder beträgt der Mitgliedsbeitrag nun ratungsanfragen erhalten wie 2009! Um ein der 2012 gegründeten VAA Stiftung bei der 20 Euro monatlich. Für Berufsanfänger in den konkretes Beispiel zu nennen: Bei der Frei- Förderung des naturwissenschaftlich-techni- ersten beiden Jahren und für VAA-Mitglieder stellung von Apothekern und Ärzten führt die schen Nachwuchses und vergeben jährlich im Ruhestand liegt der Beitrag mit zehn Euro geänderte Praxis der Gesetzlichen Rentenver- den VAA-Stiftungspreis an vielversprechen- pro Monat bei der Hälfte. In den neuen Bun- sicherung zu vielen zusätzlichen Anfragen de Forschertalente. desländern ist der Beitrag mit monatlich 18 und Rechtsschutzfällen. Auch die aktuell wie- Euro für im Berufsleben stehende Mitglieder der auf der Tagesordnung stehende Reform VAA Magazin: Da ist in der Tat viel passiert und fünf Euro für Mitglieder im Ruhestand der Betriebsrente wird noch sehr viele Rechts- in den letzten acht Jahren. Und die Preisver- nach wie vor leicht reduziert. Für außeror- fragen aufwerfen. leihungen sind sicherlich auch gut fürs dentliche Mitglieder gilt dagegen ein einheit- Image. Aber strapazieren sie nicht die Kasse licher Beitragssatz von zehn Euro pro Monat. Des Weiteren haben wir bei den Betriebsrats- etwas über Gebühr? Und selbstverständlich ist und bleibt die Mit- wahlen 2010 und 2014 zwei sehr erfolgreiche gliedschaft im VAA für Studenten weiterhin Kampagnen durchgeführt und die Anzahl der Fischer: Es handelt sich hier nicht um kostenlos. VAA-Betriebsratsmandate jeweils steigern irgendwelche halbseidenen Schönwetterprei- können. Hier wollen wir natürlich auch mit se. Im Gegenteil: Der Chemie-Preis etwa VAA Magazin: Wird der Mitgliedsbeitrag auch unserer bald anlaufenden Kampagne zu den wird nicht nach Gutdünken vergeben, son- in den nächsten Jahren stabil bleiben? Betriebsratswahlen 2018 ansetzen. Die Vor- dern auf Grundlage der ehrlichen Bewertun- bereitungen hierzu laufen bereits auf Hoch- gen durch die VAA-Mitglieder selbst. Und Fischer: Ja. Mit der 2017 vollzogenen Beitrags- touren. mit dem Stiftungspreis bringen wir uns aktiv anpassung wird der VAA seine bisherige vor- in den Dialog der Industrie mit der Wissen- ausschauende Beitragspolitik fortsetzen. Diese Außerdem haben wir unser Informationsan- schaft ein. Klar: Ein besseres Image schadet jüngste Erhöhung ist so dimensioniert, dass sie gebot und unsere Presse- und Öffentlichkeits- nie, aber der Gewinn durch Imagemaßnahmen wiederum für einen Zeitraum von mehreren arbeit weiter ausgebaut. Zum einen haben wir lässt sich nur schlecht beziffern – da gibt es Jahren Beitragsstabilität garantiert. ¢ 20 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
Branche INTERVIEW MIT JENS SPAHN Europa braucht konkreten Mehrwert Ob der sich abzeichnende harte Brexit, die Trump-Präsidentschaft in den USA oder ein möglicher Wahlsieg von Marine Le Pen in Frankreich: Der Nationalismus gewinnt weltweit hinzu. Auch in Europa, nicht zuletzt wegen der nicht gelösten Flüchtlingskrise. Die EU scheint in der Defensive zu sein. Eine solch volatile und schwer berechenbare politische Atmosphäre sorgt auch für die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland nicht gerade für die besten Rahmenbedingungen. Deswegen startet das VAA Magazin im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 eine Interviewserie mit Politikern aus verschiedenen im Bundestag vertretenen Parteien zu aktuellen politischen Fragen sowie zu den Herausforderungen für die Wirtschaft und insbesondere die Chemie. Den Auftakt macht Jens Spahn (MdB CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen. VAA Magazin: Untergangspropheten von links und rechts beschwören den Unter- gang Europas. Glauben die Europäer nicht mehr den Zukunftsversprechen und der Lösungskompetenz der EU? Spahn: Wir haben viele Themen zu lange ignoriert. Dazu gehört auch die Debatte um Flüchtlinge und Integration. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frank- reich, Schweden oder den Niederlanden nehmen das die Menschen so wahr. Wir brauchen klare Zuständigkeiten, Europa muss einen konkreten Mehrwert bieten. Etwa beim Schutz der Außengrenze, beim Kampf gegen den Terror oder einem funk- tionierenden Binnenmarkt. Und dann gibt es ganz viele Themen, aus denen die EU sich raushalten sollte. Kein Mensch ver- steht, warum Europa Radwege im Müns- terland mitfinanzieren muss. VAA Magazin: Beim Thema Flüchtlings- politik hat die Bundeskanzlerin schon vor Monaten eine Kehrtwende eingeleitet. Der Schutz der europäischen Außengren- zen und die Steuerung der Zuwanderung stehen immer mehr im Vordergrund. Die öffentliche Diskussion scheint davon un- berührt zu sein. Warum? Tut die CDU zu wenig gegen Rechtspopulismus? Spahn: In der Debatte geht leider vieles durcheinander. Es gibt klare Grenzen, Angriffe auf die Würde jedes einzelnen Menschen, das Schüren von Ressenti- ments können wir nicht akzeptieren. u Foto: Jörg Klaus 21
Branche Aber viele Bürger haben berechtigte Fra- VAA Magazin: Welche gesellschaftliche VAA Magazin: Die chemische Industrie ist gen, etwa bei der inneren Sicherheit. Wir Verantwortung trägt die Wirtschaft für eine der Stützen der deutschen Wirt- Deutschen sind Weltmeister im Knöll- die Akzeptanz der Globalisierung und des schaft. Sie ist die drittgrößte Branche in chenschreiben und haben gleichzeitig seit freien Handels? Am Beispiel des Wider- Deutschland. Es gibt nicht eine Schlüssel- Jahren steigende Einbruchszahlen und stands gegen TTIP kann man erkennen, frage der Menschheit von der Energiever- können einen polizeilich bekannten At- wie skeptisch große Teile der Bevölke- sorgung bis zum Klimawandel, die ohne tentäter nicht auf halten. Diese Fragen rung sind. Chemie gelöst werden könnte. Dennoch müssen wir beantworten. Oder nehmen ist ihr Image in der Öffentlichkeit trotz Sie ein Beispiel des rot-rot-grünen Berli- Spahn: Selbstverständlich trägt die Wirt- aller Bemühungen der letzten Jahre eher ner Senates: Viele Schultoiletten in Berlin schaft eine große gesellschaftliche Ver- schlecht. Woran liegt das aus Ihrer Sicht? sind so sanierungsbedürftig, dass sie Kinder nicht mehr be- Spahn: Da hilft nur Auf klärung nutzen können oder wollen und „Die knapp eine halbe Million Beschäftigten in der und sich proaktiv der öffentlichen gleichzeitig wird über ge- chem chemischen Industrie sind sicher auch an einem positiven Debatte stellen. Die knapp eine Ima ihres Arbeitgebers interessiert. Wir dürfen eben Image schlechtsneutrale Toiletten dis- halbe Million Beschäftigten in der nicht denen das Feld überlassen, die kutiert. Das ist gaga und welt- immer nur dagegen sind.“ chemischen Industrie sind sicher fremd. auch an einem positiven Image ih- ges, Jens Spahn (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages, res Arbeitgebers interessiert. Wir VAA Magazin: Des Öfteren ha- n zur Bedeutung von Aufklärung und einer proaktiven dürfen eben nicht denen das Feld ben Sie darauf verwiesen, dass Debatte in der Öffentlichkeit. überlassen, die immer nur dagegen es Deutschland und den Deut- sind. schen so gut wie noch nie gehe. Gleichzeitig geht das Vertrauen in antwortung. Wir alle müssen definieren, Das Thema Fracking ist ein gutes Bei- die demokratischen Institutionen zurück. wie die Globalisierung aussehen soll, spiel. Warum sollten wir das nicht tun, Was wollen Sie dagegen tun? sonst bestimmen Abschottung und Pro- wenn wir ausschließen können, dass tektionismus die Zukunft. Für das Export- Mensch und Umwelt nicht zu Schaden Spahn: Viele Menschen haben den Ein- land Deutschland wäre das fatal, insbe- kommen? Das muss gewährleistet sein, druck, sie wären nicht mehr Teil des de- sondere für die vielen kleinen und mittel- dann ändert sich auch das Image der Bran- mokratischen Systems. Sie vermissen den ständischen Unternehmen. Ich würde mir che. Und wahrscheinlich wissen viele de- Respekt für ihre Meinungen. Wer sagt, er manchmal wünschen, dass Chefs in rer, die dagegen sind oder irgendwelchen fühle sich in manchen Straßenzügen Deutschland ihren Mitarbeitern sehr kon- Theorien anhängen, gar nicht, wie oft sie fremd im eigenen Land, wird gleich in die kret darlegen, welche Arbeitsplätze es in in ihrem Alltag Produkte der Chemiein- rechte Ecke gestellt. Diese Angst, etwas ihrer Firma eben nicht mehr gäbe, könnte dustrie nutzen. Falsches zu sagen, verunsichert viele. Wir ihre Firma nicht mehr exportieren. Darü- müssen einfach damit auf hören, Men- ber hinaus müssen sich die führenden VAA Magazin: Eine persönliche Frage zum schen, die nicht so geschliffen reden wie Köpfe unserer großen Konzerne ange- Schluss: Die britische Zeitung The Guar- wir Politiker, in Schubladen zu stecken. sichts von Gehaltsexessen und Ab- dian spricht von Ihnen als dem Mann, der Demokratie ist Diskussion. Je mehr sich gasskandalen schon fragen lassen, wie sie Merkel als Kanzler ersetzen könnte. Wann daran beteiligen, desto besser. ihre Verantwortung wahrnehmen. wäre es denn soweit? Spahn: Frei nach Obelix: Die spinnen, die Briten. ¢ Seit 2002 ist Jens Spahn Mitglied des Deutschen Bundestages. Der studierte Politikwissenschaftler gehört zu den profiliertesten Politikern der CDU und hat sich über viele Jahre einen hervorragenden Ruf erarbeitet, unter anderem als Gesundheitsexperte. Seit 2015 ist Spahn Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen. Foto: PR-Team Spahn 22 VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017
Branche Personalia aus der Chemie Mit freundlicher Unterstützung von Stada: Dr. Barthold Piening wird neuer Vorstand Der Aufsichtsrat der Stada Arzneimittel AG hat Dr. Barthold Pi- Nordostchemie: ening mit Wirkung zum 1. Juli 2017 zum ordentlichen Mitglied des Vorstandes berufen. Er wird im Führungsgremium die Ver- Schmidt-Kesseler wird antwortung für die Bereiche Produktion, Forschung und Entwick- Hauptgeschäftsführerin lung, Biotechnologie sowie Qualitätssicherung und -kontrolle übernehmen. Diese Ressorts werden derzeit kommissarisch vom Zum 1. April 2017 übernimmt Vorstandsvorsitzenden Dr. Matthias Wiedenfels sowie vom Vor- Nora Schmidt-Kesseler die stand Finanzen, Marketing und Vertrieb Helmut Kraft verantwor- Hauptgeschäftsführung der tet. Piening verfügt über langjährige Erfahrung in diversen Füh- Nordostchemie-Verbände. Sie rungspositionen in der Pharmabranche. Er kommt vom Schwei- führt damit in Personalunion zer Spezialisten für pharmazeutische Dosierungstechnologien den Arbeitgeberverband Nord- Acino. Dort hatte er zuletzt im Executive Committee die Aufga- ostchemie, den Landesverband ben des Chief Operations Officer inne. Nordost des Verbandes der Chemischen Industrie und den Allgemeinen Arbeitgeberver- band Nordostchemie. Die ge- Symrise: Vorstandsvertrag mit bürtige Saarländerin ist Rechts- Bertram verlängert anwältin und Diplom-Finanz- Foto: Arbeitgeberverband wirtin und seit 1. Dezember Der Aufsichtsrat der Symrise hat den Vertrag des Vorstands- Nordostchemie 2003 Hauptgeschäftsführerin vorsitzenden Dr. Heinz-Jürgen Bertram erneut vorzeitig um der Bundessteuerberaterkammer. Zuvor leitete sie dort als Ge- weitere fünf Jahre bis 2022 verlängert. Bertram (58) hatte seit schäftsführerin die Abteilung Steuerrecht und Rechnungslegung. 1985 verschiedene Managementfunktionen im Bayer-Konzern, Vor ihrem Wechsel zur Bundessteuerberaterkammer im Jahr 2002 in der Haarmann & Reimer Gruppe und bei Symrise inne. Der arbeitete sie in der Steuer- und Haushaltspolitik für den Bundes- promovierte Chemiker bekleidete seit 2003 verschiedene Füh- verband der Deutschen Industrie und zwölf Jahre lang in der Saar- rungspositionen bei Symrise und wurde im Jahr 2006 in den ländischen Finanzverwaltung. Nora Schmidt-Kesseler folgt auf Vorstand berufen. Seit August 2009 leitet er die Geschäfte des Dr. Paul Kriegelsteiner, der im Jahr 2016 verstorben war. Unternehmens als Vorstandsvorsitzender. Merck: Rochade bei BASF: Dubourg und Kamieth Führungspositionen ab Mai im Vorstand Merck hat die bereichsübergreifende Neubesetzung mehrerer Füh- Der Aufsichtsrat der BASF SE hat Saori Dubourg (45) und rungspositionen bekanntgegeben. Sie betrifft Geschäfte und Kon- Dr. Markus Kamieth (46) mit Wirkung zum Ende der Hauptver- zernfunktionen gleichermaßen. Michael Heckmeier (49), derzeit sammlung am 12. Mai 2017 zu Mitgliedern des Vorstands bestellt. Leiter des Pigmentgeschäfts, wird ab 1. April 2017 die Geschäfts- Dubourg leitet seit 2013 den Unternehmensbereich Nutrition & einheit Display Materials innerhalb des Unternehmensbereichs Health. Kamieth ist seit 2012 für den Unternehmensbereich Coa- Performance Materials leiten. Friedhelm Felten (51), der bisher tings verantwortlich. Arbeitsdirektorin und Vorstandsmitglied Mar- die Konzernfunktion Procurement und damit den Einkauf des gret Suckale (60) tritt mit Ablauf ihres Vertrags nach der Hauptver- Konzerns verantwortet, wird Heckmeier zum 1. April als Leiter sammlung am 12. Mai 2017 in den Ruhestand. Zum gleichen Zeit- der Geschäftseinheit Pigments & Functional Materials nachfol- punkt scheidet Dr. Harald Schwager (56) im Rahmen einer lang- gen. Feltens Nachfolge als Chief Procurement Officer tritt mit Jo- fristigen Nachfolgeplanung des Vorstands aus. Schwager ist seit 28 achim Christ (52), derzeit Leiter Group Controlling & Risk Ma- Jahren bei der BASF und seit 2008 Mitglied des Vorstands. nagement, ebenfalls ein interner Kandidat an. VAA MAGAZIN FEBRUAR 2017 23
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