Berliner Zustände 2009 - Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus und Rassismus - MBR Berlin
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Berliner Zustände 2009 Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus und Rassismus Herausgegeben von apabiz
2 Inhalt 48 Berliner Zustände 2009 Chronik rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Angriffe und Bedrohungen – Von ReachOut 3 Vorwort von Alexander Häusler (Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf) 6 Einleitung von Annika Eckel (MBR), Eike Sanders und Ulli Jentsch (apabiz) 8 Ausgerastet – Der Bordsteinkick am S- Bahnhof Frankfurter Allee vor Gericht von Nicole Walter Unfähig und überfordert? – Die Berliner NPD möchte ihr Krise 12 überwinden von Yves Müller (Auseinandersetzung mit Rechtsextremis- mus in den kommunalen Gremien Berlins – Dokumentation und Analyse) Die Berliner rechtsextreme Szene: Gewalttätige Aktionen und 15 inhaltliche Schwäche von Anne Benzing, Annika Eckel, Bianca Klose und Matthias Müller (MBR) Schwerpunkt 22 Sind alle ›Islam-Kritiker‹ ›islamophob‹? von Ulli Jentsch und Eike Sanders (apabiz) 24 Islamophobie in Deutschland? von Eberhard Seidel 30 Ungebrochene Selbstidealisierung von Birgit Rommelspacher Pax Europa Berlin: Islamfeindliche Politik 35 in der „Multi-Kulti-Hauptstadt“ von Ulli Jentsch (apabiz) 42 Fallzahlen: Grund zur Entwarnung? von ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus Service 58 Weiterführende Literatur 59 Projektadressen 60 Impressum
3 Vorwort von Alexander Häusler In dem diesjährigen Schattenbericht wird deut- lich, dass sich auch in Berlin Wandlungspro- zesse am rechten Rand widerspiegeln, welche sich seit einigen Jahren im europäischen Rah- men vollziehen. M it einer Fokussierung Rechten an. Dabei ist jedoch die Lagers ringt. Dabei versucht PRO auf einen kulturre- Moslemfeindlichkeit als Chiffre mit den propagandistischen ligiös ummantelten für einen mehrheitsfähigen Mitteln der „Protest-Inszenie- Rassismus versuchen sich Teile Rassismus das einigende Banner. rung“ (Karin Priester), Rassismus der extremen Rechten an einer Denn auch die NPD ist nicht und Nationalismus politisch als „Modernisierung“ ihrer Propa- unbeeindruckt geblieben von ‚plebiszitär’ zu verankern.2 Um ganda. Dabei droht das politisch dem ‚Erfolg’ eines populistisch sich selbst als moderne Rechts- inszenierte Schlagwort der betriebenen antimuslimischen außen-Wahlgruppierung neu zu “schleichenden Islamisierung” Kampagnen-Rassismus in Europa formieren, werden Begriffe der zum Einfallstor von Rechtsaußen und versucht sich seit ihrem Bürgerinitiativ-Bewegungen für in die politische Mitte zu werden. letzten Parteitag gar, anbiedernd sich in Anspruch genommen Die gesellschaftliche Sprengkraft an die in Österreich erfolgreiche – eine perfide Spielform der eines solchen antimuslimischen rechtspopulistische FPÖ, als „so- politischen Mimikry. So wird eine Rassismus zeigte Ende 2009 ziale Heimatpartei“ zu inszenie- strukturelle Demokratiefeind- die Volksabstimmung gegen ren. Die PRO-Bewegung will als lichkeit als eine ‚bürgerschaftlich’ Minarettbau in der Schweiz, neue Rechtsaußengruppierung ausgerichtete Mogelpackung die Vorbildcharakter für die mit rassistischen Kulturkampf- inszeniert, der Rassismus wird rechtspopulistisch modernisierte parolen ihren Wirkungskreis als ‚demokratisches Mitbestim- extreme Rechte in Europa hatte. von Nordrhein-Westfalen aus mungsangebot’ verpackt. Auch in Deutschland sind pro- bundesweit ausdehnen.1 Bei der Das Schüren von Ängsten und pagandistische Verschiebungen Wahl zum Abgeordnetenhaus in Vorurteilen gegenüber „dem innerhalb der extremen Rechten Berlin im Jahr 2011 möchte PRO Islam“ steht im Zentrum dieser zu konstatieren, die einhergehen antreten. rechtspopulistischen Agitation. mit einer Neuaufstellung der ext- Im Unterschied zu offen Unterschriftensammlungen rem rechten Parteienlandschaft. neonazistischen und demokra- gegen Moscheebau und Mina- Während die NPD die DVU tiefeindlichen Parteien wie der rette haben als Agitationsform geschluckt hat und damit ver- NPD bekleidet sich die PRO- einen besonderen Stellenwert sucht, das traditionsorientierte Bewegung mit einer rechtspo- in der Strategie dieses rechten neofaschistische Lager erneut pulistischen Hülle, wenngleich Netzwerkes. Die klassische „Aus- parteiförmig zu einen, strebt die auch sie dem Lager der extrem länder raus“-Parole wird dabei so genannte PRO-Bewegung mit rechten Parteienlandschaft kulturalisierend verpackt als ihrer anvisierten Vereinigung mit entstammt und mit den ande- Kampfansage gegen die „Islami- den REP eine rechtspopulistische ren Rechtsaußenparteien um sierung unserer Gesellschaft“. Die Modernisierung der extremen die Stammwählerschaft dieses Zuwanderung wird pauschali- 1: Vgl. AK Ruhr / LAGA NRW (Hg.): Rechtspopulismus in Gestalt einer Bürgerbewegung, online unter: http://docs.google.com/ viewer?a=v&pid=sites&srcid=ZGVmYXVsdGRvbWFpbnxha3J1aHJ8Z3g6MjJhZGExM2I5NzJlYzk2ZA 2: Vgl. Karin Priester, Populismus als Protestbewegung, in: Alexander Häusler (Hrsg.), Rechtspopulismus als Bürgerbewegung, Wiesbaden 2008, S. 19-36
4 sierend ver- knüpft mit der Religion, dem Fundamen- talismus und der politisch motivierten Ge- walt. In solchen Feindbild-Kons- truktionen zeigt sich die Stoß- richtung dieser populistischen Kampagnen, der Rassismus wird religiös als „Kulturkampf“ verschleiert. Mittels einer öffentlichkeits- orientierten Eskalationsstrategie der PRO-Mäzen Patrik Brink- nenorientierte Kulturrassismus wird ein solcher Kulturkampf mann und sein Redenschreiber zielt auf die „politische Mitte“, inszeniert: Konflikte werden ag- Andreas Molau „nicht die Juden, indem er mehrheitsfähige gressiv rassistisch geschürt, um sondern die Muslime“ als das rassistische Diskurse zur eigenen Aufmerksamkeit und Gegenpro- „Kernproblem“. „Die deutsche Neuverortung benutzt. Nicht die teste hervorzurufen. Dies wieder- Rechte muss sich von ihrer „extremen Ränder“, sondern die um bietet dann Anlass, sich als Vergangenheit emanzipieren“, so demokratischen Defizite im Zen- Opfer von „Meinungsdiktatur“, die Erläuterung Brinkmanns zum trum des Polischen sind dabei „politischer Correctness“ und Wandel der Feindbilder.3 die Sollbruchstellen für einen „linkem Gesinnungsterror“ zu Rechtsruck. inszenieren und erneut den Grad Quo Vadis? Die Rechten sind real keine öffentlicher Konflikte zu ver- extremistischen ‚Aliens’, die von schärfen. Ein solches Drehen an Derartige Entwicklungen außen in die intakte heimische der populistischen Schraube ist erfordern Neuorientierungen Sphäre der Demokratie ein- Ausdruck einer Strategie, die auf im Umgang mit dem Kulturras- dringen – sie sind vielmehr Teil Steigerung der Konflikte ausge- sismus von Rechtsaußen: Das dieser Gesellschaft und ziehen richtet ist. Dies funktioniert nach im parteipolitischen Geplänkel die Wirkungsmächtigkeit ihrer dem Prinzip rassistische Vorlage jüngst wieder hervorgehobene Kampagnen aus deren realen de- – antirassistische Reaktion – ras- „Extremismus-Konstrukt“, das mokratischen Defiziten. Religiös sistische Antwort – Ausweitung den rechten mit dem linken verklausulierter Kulturrassismus, der Konfliktebene im Sinne einer Rand gleichzusetzen bestrebt nationalistischer Anti-EU-Protest Fortsetzung auf ständig höherer ist und proklamiert, die „wehr- und Anti-Establishment-Gehabe Stufenleiter: Eine ritualisierte In- hafte Demokratie“ gegen die von Rechtsaußen entfalten des- szenierung einer populistischen „extremistischen Ränder“ zu halb Wirkungsmächtigkeit, weil Eskalations-Schraube. verteidigen, verfehlt in seinem sie reale Probleme aufgreifen Damit einher geht die Forde- ideologisch motivierten Impetus und mit simplen Feindbild-Pro- rung zum Austausch der Feind- vollends die realen Entwicklun- jektionen politisch besetzen: Sie bilder: So interpretieren etwa gen. Denn gerade der kampag- sind ein Seismograf für die Krise 3: Vgl. Alexander Häusler: „Von der Vergangenheit emanzipieren…Vom Antisemitismus zur Islamfeindlichkeit?, in: ZAG Nr. 56/2010, S. 21-23
5 der Demokratie. Ein Blick über von der „christlich-deutschen noch vor großen Anstrengun- den nationalen Tellerrand zeigt Leitkultur“ als Vorlage genom- gen. Dort zeigt die Erfahrung, beispielhaft an Ländern wie Itali- men für den neuen Leitspruch dass notwendiger antifaschis- en und den jüngsten Wahlerfol- „Abendland in Christenhand“. tischer Protest auf der Straße gen in den Niederlanden und in Hier liegen zugleich auch neue gegen kulturalistischen Kam- osteuropäischen Ländern, dass Herausforderungen für eine anti- pagnen-Rassismus nur die eine So kam etwa auf die größten Herausforderungen faschistische Arbeit: Der „Kampf Seite der Medaille ist. Er muss einer Podiumsdis- kussion zur Tagung nicht im Kampf gegen „äußerli- gegen Rechts“ kann sich nicht begleitet werden von inhaltli- „Feindbild Islam“ im chen Extremismus“ sondern in auf die moralische Verurteilung chen Auseinandersetzungen Herbst 2008 in Köln zur inhaltlichen der schleichenden Implosion der beschränken. Vielmehr muss der mit dessen Inhalten sowie der Auseinanderset- Demokratie durch deren Trans- extremen Rechten das politische Bereitschaft von antirassistischen zung mit dem als „Antiislamisierungs- formation nach rechts liegen. Terrain auf neuen Ebenen streitig und antifaschistischen Initiati- kongress“ angekün- Die parteiförmige extreme gemacht werden. Dies beinhaltet ven, sich neuen Fragestellungen digten rechtspopu- listischen Spektakel Rechte in Deutschland hat dies die Verstärkung eigener Ausei- und politischen Herausforderun- großes Interesse an zum Teil erkannt. Sie versucht die nandersetzungen mit Integra- gen gegenüber zu öffnen. Nur so offenen Diskussio- nen zu bislang noch rechtspopulistischen Erfolge in tions- und Demokratiedefiziten kann unter emanzipatorischen ‚dunklen Feldern’ Europa national zu importieren, mit dem Ziel neuer Verständi- Prämissen politisch wieder neues in der antirassisti- schen und antiras- indem sie sich auf hegemoniale gungen. So steht auch die an- Terrain betreten und besetzt sistischen Debatte Diskurse bezieht und diese kam- tifaschistische Auseinanderset- werden. im kommunalen Kontext zum Aus- pagnenartig zuspitzt: Nicht von zung mit der PRO-Bewegung in druck. Vgl. hierzu ungefähr wird der CDU-Slogan Nordrhein-Westfalen weiterhin den Tagungsband von Alexander Häusler/Hans- Peter Killguss (Hg.): Feindbild Islam. Rechtspopulistische Alexander Häusler ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Kulturalisierung des Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf. Politischen, Köln 2008 (erhältlich bei Er ist Herausgeber der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzung der Info- und Bil- dungsstelle gegen mit der „PRO-Bewegung“ (siehe Literaturliste). In Kürze erscheint ein Rechtsextremismus von ihm gemeinsam mit Jan Schedler herausgegebener Sammelband des NS-Dokumen- tationszentrums zu den „Autonomen Nationalisten“. der Stadt Köln).
6 Einleitung Von Annika Eckel (MBR), Eike Sanders und Ulli Jentsch (apabiz) V ergangenes Jahr, in der Schwerpunkt Rassismus Weitere Artikel beschreiben Einleitung zum dama- wesentliche Ereignisse, die die ligen Schattenbericht, Im vierten Jahr des Erscheinens Arbeit und das Engagement von hatten wir davor gewarnt, vor- der „Berliner Zustände“ beleuch- Initiativen und Projekten 2009 schnell über den offensichtlichen ten drei Berliner Projekte sowie geprägt haben. Niedergang der Berliner NPD zu drei weitere Berliner AutorInnen So hat die Journalistin Nicole frohlocken und zu glauben, der die anti-muslimischen und/oder Walter ihre Eindrücke über den parteiförmige Teil des Rechtsex- rassistischen sowie rechtsextre- sogenannten Bordsteinkick- tremismus sei drauf und dran, men Phänomene in Berlin, die Prozess festgehalten. Sie hat den sich selbst zu erledigen: „Doch Grund geben für eine kontinu- Prozess begleitet und beschreibt wenn es die Partei nicht mehr ierliche Auseinandersetzung. Die sachlich und gleichermaßen geben würde, bliebe immer Berliner Zustände 2009 sollen eindringlich die brutale Dimen- noch die Bewegung.“ Analysen aus der Hand von Prak- sion einer Tat, die beinahe ein Heute sieht es so aus, als tikerInnen geben und alternativ Menschenleben gekostet hätte. habe die NPD ihren Niedergang zu staatlichen und medialen Wie sehr inhaltliche Schwä- zumindest aufgehalten. Es dürfte Sichtweisen die wesentlichen chen und gewalttätige Aktionen aber noch einige Monate dauern, Entwicklungen und Tendenzen in der extremen Rechten zusam- bis beurteilt werden kann, ob des letzten Jahres in den Blick men gehen, zeigt der Beitrag es dem neuen Berliner Landes- nehmen. der Mobilen Beratung gegen vorstand wirklich gelingt aus Neben der Entwicklung der Rechtsextremismus Berlin (MBR). der Talsohle heraus zu kommen. organisierten extremen Rechten Er beschreibt eine zunehmende Tatsächlich gingen die entschei- und ihrer Aktionsfähigkeit im Dynamik von Anfeindungen denden, weil bedrohlichen, vergangenen Jahr werfen wir und Bedrohungen politischer Aktivitäten im Jahr 2009 nahezu diesmal einen ausführlicheren GegnerInnen und eine neue ausschließlich von den bewe- Blick auf jenes Phänomen, das Dimension der Anti-Antifa-Arbeit gungsförmigen Strukturen des wir als antimuslimischen Rassis- rechtsextremer Strukturen. Neonazismus aus – jenem Spekt- mus bezeichnen (zur Begriffsde- Abgesehen von den personel- rum, dem die NPD als zu ange- batte siehe den Beitrag „Sind alle len Zusammenschlüssen – wie passt und bürgernah gilt. Und „Islam-Kritiker“ „islamophob“?“). der durch den Berliner Senat deren AktivistInnen sich in der Der antimuslimische Rassismus verbotenen Kameradschaft Pose der militanten Politrebellen ist für die im Schattenbericht „Frontbann 24“ – wird deutlich, gefallen, als StraßenkämpferIn- vertretenen Projekte bereits ein welche wichtige Funktion die nen, die jederzeit bereit sind, die deutlich sichtbares Phänomen Kneipe „Zum Henker“ in Schö- politischen GegnerInnen auch im Alltag der beratenden und neweide für diese Dynamik hat. körperlich anzugreifen. dokumentierenden Initiativen Ihre Außenwirkungen auf den und eine Herausforderung für öffentlichen Raum des Stadtteils die „Migrations-Hauptstadt“ Ber- sowie Berlinweit wird in dem lin. Mit der Schwerpunktsetzung Artikel ausführlich analysiert. möchten wir zu einer differen- zierten Auseinandersetzung beitragen.
7 Aus der Perspektive des Projektes die in seinem Titel gestellte Frage so bei einer Kundgebung am 3. „Auseinandersetzung mit Rechts- nicht einfach machen dürfen. In Oktober 2009. Der Artikel stellt extremismus in den kommunalen seine differenzierende Darstel- die Politik und die Köpfe dieser Gremien Berlins – Dokumentati- lung bezieht Eberhard Seidel, Gruppierung, die in Berlin von on und Analyse“ beschreibt Yves Geschäftsführer bei „Schule ohne René Stadtkewitz, Mitglied der Müller in seinem Artikel die Ver- Rassismus – Schule mit Courage“, CDU-Fraktion im Abgeordneten- fasstheit der Berliner NPD im Jah- vor allem auch die bei uns nur haus, geführt wird, vor. re 2009 – ein turbulentes Jahr voll wenig bekannte niederländische In ihrem Beitrag „Fallzah- mit internen Streitereien, Austrit- Debatte mit ein, die den hiesigen len: Grund zur Entwarnung?“ ten, Rücktritten und Skandälchen, Diskurs stark mitbestimmt hat. berichtet die Opferberatungs- die zu einer öffentlichen und par- Einen Teilaspekt der Kontro- stelle R eachOut von den Zah- lamentarischen Unscheinbarkeit verse um „den Islam“ beleuchtet len rechter, rassistischer und der Partei beitrugen. Der Autor der Artikel von Prof. Dr. Birgit antisemitischer Gewalt des zeichnet die Entwicklungen des Rommelspacher, der bereits in Jahres 2009. Auch wenn die Berliner Landesverbandes unter der taz veröffentlicht wurde. Frau von ReachOut dokumentierten dem damaligen Vorsitzenden Rommelspacher kritisiert hierin Gewalttaten zwar fast um ein Jörg Hähnel und der mit ihm diejenigen feministischen „Islam- Drittel gesunken sind, stellt das (ehemals) verbündeten extrem kritikerInnen“, die sich auf ras- Projekt umfangreich den Anstieg rechten Gruppierungen und Per- sistische Argumentationen und rassistischer Stimmungsmache sonen nach, bis zum Februar Organisationen einlassen, um am in der Mitte der Gesellschaft dar. 2010, als Uwe Meenen den lautesten Gleichberechtigung für Die AutorInnen gehen deshalb Posten des Landesvorsitzen- MuslimInnen zu fordern. So wird auch der Frage nach, welche den übernahm. Eine inhaltliche nicht nur kulturalisierend pau- Wechselwirkungen rassistische Abkehr von der wenig bürgerli- schalisiert, sondern der Sexismus Äußerungen wie die des ehe- chen neonazistischen Linie der der Mehrheitsgesellschaft gerät maligen Berliner Finanzsenators Berliner NPD ist aber auch unter ebenso zum blinden Fleck. Thilo Sarrazin mit rassistischen Meenen nicht zu erwarten. Das apabiz legt in diesem Gewalttaten haben. Dazu wird Schattenbericht eine erste um- wie in jedem Jahr ergänzend die Was ist antimuslimischer fangreiche Dokumentation der ReachOut-Chronik rechtsextre- Rassismus? „Bürgerbewegung Pax Europa mer, rassistischer und antisemiti- e.V.“ vor, eine vor allem auch scher Angriffe und Bedrohungen Unser Themenschwerpunkt in Berlin aktive islamfeindliche veröffentlicht. „Antimuslimischer Rassismus“ Organisation. Pax Europa hatte Die Entscheidung, den Schat- wird mit einer Begriffsklärung im vergangenen Jahr mehrfach tenbericht dieses Jahr mit einer eingeleitet. Daran anschließend öffentliche Veranstaltungen Comic-Strecke statt einer Foto- zeichnet Eberhard Seidel in durchgeführt, um auf ihren serie zu bebildern, ist hoffentlich seinem Artikel „Islamophobie in Kampf gegen die „Islamisierung“ eine interessante Neuerung. Wir Deutschland?“ nach, aus wel- Berlins aufmerksam zu ma- bedanken uns für Illustration chen Konflikten die Islamdebat- chen. Dabei war sie zum Teil auf und Layout bei den KollegInnen ten ihre Schärfe beziehen und deutlichen Widerspruch antiras- von 123comics. warum wir uns die Antwort auf sistischer Initiativen gestoßen,
8 Ausgerastet Der Bordsteinkick am S-Bahnhof Frankfurter Allee vor Gericht Im Sommer 2009 wurde ein junger Mann in Friedrichshain von Neonazis attackiert und schwer verletzt. Nur die schnell herbei gerufenen Polizisten konnten verhindern, dass er mit einem Bordsteinkick auf den Kopf getötet wird. Die Täter kommen mit einem überraschend milden Urteil davon. E Von Nicole Walter s ist die Nacht vom 11. mehr aufstehen“ fallen. Passan- auf den 12. Juli 2009. ten, die helfen wollen, werden Vier junge Männer feiern bedroht. Oliver K. tritt Jonas K. in der Diskothek „Jeton“ in der mit Stampfkicks ins Gesicht und Frankfurter Allee. Es gibt eine auf den Kopf – er zieht den Fuß Schaumparty in dieser Nacht, hoch bis auf Kniehöhe und tritt sie betrinken sich und verlas- mit voller Kraft zu. Jonas K. regt sen das „Jeton“ erst am frühen sich nicht mehr, er blutet stark Sonntagmorgen. Als sie kurz vor am Kopf. Oliver K. zieht den be- sechs Uhr die Frankfurter Allee in wusstlosen Mann zum Fahrrad- Richtung S-Bahnhof überqueren, weg am U-Bahneingang Frank- fällt ihnen eine Gruppe von etwa furter Allee, legt ihn mit dem zehn Jugendlichen auf, die ihnen Gesicht auf den Asphalt und tritt zu folgen scheinen. „Thor Steinar weiter zu. Stampfkicks. Mit voller – lass mal auf die Fresse hauen“, Wucht. Und der Absicht ihn sollen sie rufen. Michael L. (23) zu töten, wie der Staatsanwalt trägt aus dem „Jeton“ kommend sagt. Auch als die Polizei kommt, eine solche Jacke. Und unmittel- macht Oliver K. weiter – solange, bar vor dem Aufbruch zur S-Bahn bis die Beamten ihn und seine hatte sein Freund Michael B. Freunde festnehmen. (20) vor der Diskothek den Arm zum Hitlergruß gestreckt, wie „ … und dann Wumm!“ später im Internet veröffentlichte Fotos dokumentieren. Wenige Wie kaltblütig Oliver K. handelte, Momente später wird Michael L. wird später klar: Eine Stunde von hinten geschubst, geht zu nach seiner Festnahme sagt er: Boden und holt sich eine Platz- „Ich bereue nichts. Ich hätte den wunde am Kopf. Eine Schlägerei bis auf die Bordsteinkante ziehen beginnt. Der angeklagte Oliver und mir seinen Kopf richtig hin- K. (26) aus Königs Wusterhausen legen sollen – und dann Wumm!“ greift sich einen jungen Mann, Dabei habe er angedeutet, wie er den 22-jährigen Jonas K. Den den Kopf von Jonas K. zwischen haut es direkt um, aber Oliver K. seine Hände nimmt und so hin- hört nicht auf ihn zu verletzen. legt, wie er es haben will. Dann Seine Freunde treten mit zu habe er mit dem Bein ausgeholt oder halten ihm den Rücken frei. und zugetreten, zum Glück nur Die Worte „Du Zecke wirst nicht auf den Asphalt. So berichtet es
9 ein Polizeibeamter, der in diesem monstration gegenüber einem Verwendens von Kennzeichen Moment neben Oliver K. stand. vermeintlichen politischen Geg- verfassungsfeindlicher Organisa- „Das alles erinnert mich an den ner“ vor, den sie „Zecke“ nennen. tionen. Bordsteinkick in dem Film Ame- Drei Wochen später werden zwei rican History X“, so der Polizist. der Angeklagten nur wegen Wenn es im rechten Nach ihrer Tat bleiben die vier gefährlicher Körperverletzung zu Arm zuckt Angeklagten bis zum Prozess in milden Bewährungsstrafen ver- Untersuchungshaft. urteilt. Ein Angeklagter wird frei „Die stammen aus einem rechts- „Neonazis prügeln Passanten gesprochen. Der Haupttäter, der gerichteten Milieu“, sagte der fast tot“ steht direkt nach der 26-jährige Oliver K. aus Königs Richter in seiner Urteilsbegrün- Tat in der B.Z. Zwei Tage später: Wusterhausen, wird nicht wegen dun. Aber bei dieser Tat sei das „Prügel-Opfer kein unbeteiligter versuchten Mordes, sondern nur irrelevant gewesen. Für die Täter Passant“. Die Berliner Zeitung wegen versuchten Totschlags habe es keine Rolle gespielt, ob schreibt „Polizei ermittelt auch und gefährlicher Körperverlet- Jonas K. aus der linken Szene gegen Opfer von Neonazi- zung zu fünfeinhalb Jahren Haft stamme oder nicht, sagte der Angriff“. Innerhalb weniger Tage verurteilt. Selbst sein Verteidiger Vorsitzende Richter Kay-Thomas verschiebt sich auch in den meis- hatte für eine höhere Haftstrafe Dieckmann. Zuvor hatte der ten anderen Medien die Pers- plädiert. Auch der Staatsanwalt Verteidiger von Oliver K. dem pektive. Aus Jonas K., dem Opfer hatte für drei der Angeklagten Richter für die „sachliche Pro- einer Gewalttat von Neonazis, höhere Strafen gefordert. Von ei- zessführung“ gedankt. Er habe wird Jonas K., der Angreifer, der nem politischen Motiv der Tat, ei- sich von der Vorverurteilung der mit anderen Linken zuerst auf nem Angriff mit rechtsextremen Angeklagten in den Medien, die die Rechten losgegangen sein Hintergrund, ist in der Urteilsbe- diese als Neonazis gebrandmarkt soll. Was ganz genau passiert ist, gründung keine Rede mehr. Die hätten, nicht beeindrucken bleibt offen. Angeklagten hätten sich gegen lassen. Es wird auch ein halbes Jahr einen Angriff verteidigt und die Das ist zart ausgedrückt. später vor Gericht nicht völlig meiste Zeit in Notwehr bzw. Tatsächlich spielte die rechts- klar, zu widersprüchlich sind Nothilfe gehandelt. Erst gegen extreme Gedankenwelt der die Zeugenaussagen: Im Januar Ende der gewaltsamen Ausein- Angeklagten kaum eine Rolle 2010 stehen die rechtsextremen andersetzung seien sie für einen in der Beweisaufnahme wäh- Täter vor dem Landgericht Berlin. kurzen Moment ausgerastet und rend des Prozesses, hartnäckig Und wieder wechselt die Pers- über das Maß der Notwehr und wurde sie nur von dem Anwalt pektive: Angeklagt werden die Nothilfe hinaus geschossen. Alle der Nebenklage, Ols Weidmann, vier jungen Männer des gemein- vier Angeklagten sind mehrfach zur Sprache gebracht. Richter schaftlichen versuchten Mordes. vorbestraft, auch wegen gefähr- und Staatsanwalt erkundigten Der Staatsanwalt wirft ihnen eine licher Körperverletzung. Zwei sich selten nach entsprechen- „Tötungsabsicht aus Machtde- von ihnen zudem wegen des den Anzeichen, und ihre Fragen
10 beschränkten sich manchmal Opfer, Täter, Mittäter Tat entsprechende detaillierte auf die Kleidungsmarken der Aussagen gegenüber der Polizei Anklagten. Der Hitlergruß des In dem Maß, wie in diesem zu Protokoll geben.“ Auf welch 20-jährigen Marcel B. unmittel- Prozess die Täter zu Opfern tönernen Füßen dies in diesem bar vor der Tat war dem Richter wurden, rückte Jonas K. wäh- Fall steht, zeigt die Aussage des am Ende die lakonische Bemer- rend des Prozesses in die Rolle Richters am letzten Prozesstag: kung wert: „Passen sie künftig eines Mittäters. Ebenso wie die „Hätte ich als Richter zu beurtei- besser auf, dass ihnen nicht Jugendlichen, die wie er zuvor len, ob Jonas K. des Angriffs auf immer der rechte Arm zuckt.“ im gleichen Hausprojekt in Michael L. schuldig ist, würde ich Wie kam es dazu, dass die Friedrichshain gefeiert hatten ihn wahrscheinlich nicht verur- Anklage wegen eines rechtsext- und dann auf dem Weg zu teilen, weil ich Zweifel hätte.“ rem motivierten Mordversuchs in S-Bahn waren, und die deshalb Im „Jeton“-Prozess hat noch einem Urteilsspruch mündet, der im Prozess als Zeugen aussagten. eine andere politische Frage eine die Täter als großenteils in Not- Sie hätten die vier Angeklagten große Rolle gespielt: Wird bei wehr und Nothilfe handelnd be- wegen deren rechtsextremer linker und rechter Gewalt mit schreibt und ohne ein rechtsext- Gesinnung attackiert, einen von dem gleichen Maß gemessen? remes Motiv? Zwei Sachverhalte ihnen verletzt und so die Gegen- Offensichtlich hat ein parallel waren dafür ausschlaggebend: attacke provoziert. Ols Weid- stattfindender Prozess zum 1. Mord ist es, wenn der Täter einen mann erkennt hierin ein Muster: Mai die Richter aufgewühlt. Zwei „niederen Beweggrund“ hat, „Es geschieht oft, dass Täter aus Stunden bevor sie ihr Urteil im wenn er zum Beispiel einen Men- dem rechtsextremen Spektrum „Jeton“-Prozess verkündeten, schen ermorden will, weil dieser nach ihrem Angriff behaup- wurden drei Türen weiter die politisch anders denkt. „Du Zecke ten, sie seien zuerst attackiert beiden Schüler Yunus K. und wirst nicht mehr aufstehen“ wäre worden, und direkt nach ihrer Rigo B. aus Zehlendorf frei ge- dafür ein klares Signal gewesen – vorausgesetzt, die Zeugin hätte eindeutig aussagen können, wer genau das gesagt hat. Das konnte sie aber nicht. Deshalb wurde auch Oliver K. nur wegen versuchten Totschlags verurteilt, nicht wegen versuchten Mordes. Zudem gab es nach Ansicht der Richter keine Pause im Kampf- geschehen, in der Oliver K. und seine Freunde den Angriff auf Jonas K. hätten gezielt angehen können. Vielmehr habe sich diese Attacke aus ihrer anfänglichen Notwehr entwickelt. Hätte es eine Zäsur gegeben, nach der die An- geklagten zielgerichtet auf Jonas K. losgegangen wären, dann wä- ren sie wahrscheinlich zu höheren Strafen verurteilt worden, sagt Ols Weidmann, der Anwalt von Jonas K. als Nebenkläger. Anders als die Richter hält er eine solche Zäsur durchaus mit den Aussagen der Zeugen vereinbar.
11 sprochen, sie hatten knapp acht Königs Wusterhausen gleich Monate in Untersuchungshaft behandelt“. Die Debatten in den gesessen. Die Staatsanwaltschaft Medien und in der Politik, ob in hatte ihnen vorgeworfen, am 1. Berlin zu lasch gegen linksextre- Mai 2009 einen Molotowcocktail me Strafttäter ermittelt wird, hat auf Polizeibeamte geworfen zu den „Jeton“-Prozess beeinflusst. haben. Der „1. Mai-Prozess“ hatte Zulasten von Jonas K., der in in der Öffentlichkeit hohe Wellen vielen Köpfen zu Unrecht als Pro- geschlagen und Kay-Thomas vokateur hängen bleiben wird. Dieckmann ging in seinem Marcel B. und Michael L. sind Bordsteinkick-Urteil darauf ein: gegen das Urteil in Revision „Viele werden sich über milde gegangen. Das Ermittlungsver- Strafen in diesem Verfahren fahren gegen Jonas K. läuft noch wundern. Aber stellen sie sich (Stand: 3. März 2010). vor, es wäre genau umgekehrt und die Angeklagten wären aus der linksextremen Szene? Dann wären die Reaktionen doch ganz Nicole Walter arbeitet als freie Journalistin in anders.“ Mit Stolz sagte er an Berlin, vor allem zu den Themenschwerpunkten die Angeklagten gerichtet: „Sie Rechtsextremismus, soziale Entwicklungen und sehen, dass dies hier ein fairer Politik. Sie hat u.a. über rechtsextreme Parteien Prozess ist. Vor Gericht werden im Europaparlament und Strafgesetze gegen der Gymnasiast aus Zehlendorf rechte Gewalt in Deutschland geschrieben. Den und der Autoschrauber aus Jeton-Prozess hat sie im Gerichtssaal verfolgt.
12 Unfähig und überfordert? Die Berliner NPD möchte ihre Krise überwinden Die NPD beschreibt sich selbst als den „parteigebundenen Von Yves Müller Teil der nationalen Volksbewegung“, der den „Kampf um die Projekt Straße“ und den „Kampf um die Parlamente“ erfolgreich mit- „Auseinandersetzung einander verzahne. Ein Blick auf den Berliner NPD-Landes- mit Rechtsextremismus verband spricht jedoch eine andere Sprache, war das in den kommunalen vergangene Jahr doch eher von Machtkämpfen, Austritten Gremien Berlins – und geringen Aktivitäten in der Öffentlichkeit geprägt. Dokumentation und Analyse“ M it der Neuwahl des und Gesine Hennrich, damals Ursprünglich wollte sich Henry Landesvorsitzenden Vorsitzende des KV Marzahn- selbst zum Landesvorsitzenden endeten vorerst ein- Hellersdorf und Funktionärin des wählen lassen, allein der Rück- einhalb Jahre der Spaltung und Berliner „Ring Nationaler Frauen“ halt fehlte ihm. Deutlich wurde Untätigkeit der Berliner NPD un- (RNF), sammelte sich ein opposi- der Disput erstmals anlässlich ter dem glücklosen Jörg Hähnel. tioneller Flügel, der Hähnel vor- der rechtsextremen „Anti- Am 6. Februar 2010 übernahm warf, mit seinen verschiedenen Kinderschänder-Demo“1 am der rechtsextreme Funktionär Ämtern überfordert zu sein und 18. Oktober 2008 in Marzahn- Uwe Meenen den Posten. – nicht einmal in Berlin wohnhaft Hellersdorf. Hennrich hatte Die Geschichte des Scheiterns – die Interessen des Landesver- diesen Aufmarsch angemeldet Hähnels begann am 7. Juni 2008 bandes nicht zu repräsentieren. und erbat die Unterstützung mit seiner Wahl an die Berliner Hähnel sei inaktiv und intrigant. des NPD-Landesvorsitzenden NPD-Spitze. War mit dem Wahl- Inhaltliche Differenzen spielten Hähnel, der jedoch den Auf- erfolg zu den Bezirksverordne- dabei kaum eine Rolle, stehen marsch nicht – wie üblich – beim tenversammlungen (BVV) 2006 doch beide Seiten für eine klar Bundesvorstand anmeldete. So ein Erstarken des mitgliederar- neonazistische Ausrichtung. Aus- musste Hennrich den Aufmarsch men Landesverbandes erwartet schlaggebend waren vielmehr ohne offizielle Unterstützung worden, setzte bald Ernüchte- persönliche Animositäten und der NPD durchführen, was der rung ein. Parallel zum Richtungs- Gezanke um Machtpositionen. Mobilisierung – es kamen 400 streit in der Bundes-NPD, aber Nicht zuletzt mögen habituelle Rechtsextreme – keinen Ab- ohne inhaltliche Verbindung, und strategische Unterschiede bruch tat. Am 3. Februar 2009 machten sich auch in Berlin Spal- zwischen aktivistischem Radau- kam es zum Eklat, als Hennrich tungstendenzen bemerkbar. Um Rechtsextremismus à la Hennrich von Hähnel zu ihrer Loyalität den damaligen stellvertretenden und einer ebenso sich neonazis- Manuela Tönhardt gegenüber Henry befragt wurde. ist Vorsitzende der Landesvorsitzenden und Vorsit- tisch gerierenden bürgernahen NPD- Fraktion in Nachdem sie erklärte, dass sie zenden des Kreisverbandes (KV) Linie um Hähnel und Manuela der Lichtenberger „Henry politisch und menschlich BVV sowie des Tempelhof-Schöneberg/Steglitz- Tönhardt eine Rolle gespielt Lichtenberger NPD- sehr schätze und auch in Zukunft Zehlendorf, Hans-Joachim Henry, haben. Kreisverbandes zu ihm stehen werde“2, wurde sie 1: http://de.altermedia.info/general/anti-kinderschander-demo-in-berlin-marzahn-181008_17908.html [07.02.2009] 2: http://de.altermedia.info/general/rucktrittserklarung-von-gesine-hennrich-landesvorsitzende-de-rings-nationaler-frauen-berlins-und-npd-kreisvors- von-berlin-marzahn-hellersdorf-060209_22501.html [07.02.2009]
13 mit Fotografien konfrontiert, die vember verboten, die Annähe- September 2009 erreichte die sie in lasziven Posen zeigten, und rung an die DVU verlief letztlich NPD in keinem Berliner Bezirk zum Rücktritt von ihren Ämtern im Sande. Gleichwohl scheint die Fünf-Prozent-Marke. Zudem in der NPD aufgefordert. Mit der der Dissens der beiden Lager wurde der alljährlich im Dezem- folgenden Austrittswelle hatte im Berliner Rechtsextremismus ber stattfindende Aufmarsch Hähnel aber nicht gerechnet: Der nicht unüberbrückbar, bleiben von „Freien Kräften“ und NPD rechtsextremen Internetplatt- personelle Verbindungen doch 2009 nach Königs Wusterhausen form „de.altermedia.info“ zufolge bestehen. Das Auftreten von verlegt und verlor damit seine hatte die Berliner NPD angeblich „Frontbann 24“-Anhänger/innen Mobilisierungskraft. Noch im einen Mitgliederverlust von 20 bei der NPD-Veranstaltung in der Vorjahr zog der Aufmarsch hun- Prozent, also etwa 60 Personen, Bundeszentrale am 1. Mai 2009 derte „Autonome Nationalisten“ hinzunehmen.3 Nicht zuletzt ist daher kaum verwunderlich. aus dem ganzen Bundesgebiet kehrten einige aktive Kader der an. Die Berliner Sektion der Partei den Rücken und for- Anhaltende Stagnation „Jungen Nationaldemokraten“ mierten sich in Folge zur einzig (JN), Jugendorganisation der relevanten Opposition. Auch ist die NPD zwar ge- NPD, war in der Öffentlichkeit schwächt, doch blieb eine Erosi- nicht wahrnehmbar. Zwar kann Neue on im Landesverband aus. Zwar von internen Schulungen aus- Organisationsversuche verlor die Partei einflussreiche gegangen werden, ein eigen- Akteure, doch konnte ein völliges ständiges öffentliches Agieren So machte der „Frontbann 24“ Auseinanderbrechen verhindert blieb jedoch weitgehend aus. Schlagzeilen, weil sich seine werden. Einerseits konnte ein Teil Auch der kurzfristig organisierte Mitglieder recht unverhoh- der innerparteilichen Opposition Aufmarsch in Berlin-Mitte am len zum Nationalsozialismus ruhig gestellt werden, anderer- 10. Oktober 2009, der hunderte bekannten und uniformähnli- seits kehrten etliche Mitglieder Rechtsextreme aus dem ganzen che Kleidungsstücke zur Schau Beispielsweise eines der größten Kreisverbän- Bundesgebiet anzog, wurde von stellten. Seit Anfang 2009 traten formierte sich beim de (KV Marzahn-Hellersdorf ) der Berliner JN lediglich unter- „Trauermarsch“ sie auf rechtsextremen Veran- in Dresden am der NPD den Rücken, während stützt.6 Offizieller Ausrichter war staltungen auf und wurden mit 14. Februar 2009 ein Großteil der Kritiker/innen „NW-Berlin“, wenngleich hier sowie bei einem ihrer „aktionistische[n] Straßen- Aufmarsch in Hähnels in der Partei verblieb. personelle Überschneidungen politik“4 zur ersten „relevante[n] Rathenow am Letztlich ist der Grad für Hähnels zu den JN offensichtlich sind, 18. April je ein rechtextremistische[n] Kamerad- eigener Block Wirken als Landesvorsitzender und die „Freien Kräfte Königs schaft“5 seit Verbot der Kame- mit „Frontbann an den öffentlichkeitswirksamen Wusterhausen“. Auch die NPD- 24“-Sympathisant/ radschaften „Berliner Alternative innen. Mitglieder Aktivitäten unter seiner Regie, an Unterorganisation RNF konnte Süd-Ost“ und „Kameradschaft der Gruppierung Erfolgen und Raumgewinnen, zu den Verlust Hennrichs kaum nahmen im Tor“. Jahresverlauf an messen. Und hier fällt die Bilanz ausgleichen. Gerade Hennrich Auch das Internet nutzen rechtsextremen für die NPD ernüchternd aus: Die hatte als RNF-Funktionärin die Aufmärschen im die „Abtrünnigen“ für sich. Die Bundesgebiet teil. Partei war in der Öffentlichkeit bei Rechtsextremen zentrale Homepage „ex-k3-berlin.de“ Der „Frontbann kaum wahrnehmbar. So konn- „Kinderschänder“-Thematik 24“ mobilisierte ist Forum und Tummelplatz für eigenständig zu te die bereits 2007 anvisierte bedient und einige junge Frauen all jene, die mit dem Kurs der einer Kundgebung „Veranstaltungsoffensive“ auch um sich sammeln können. Mit unter dem Motto hiesigen NPD unzufrieden sind „Härtere Strafen für im letzten Jahr nicht umge- Hennrichs Weggang ebbte auch und so werden Interna der Partei Kinderschänder!“ setzt werden. Das änderte sich der Aktionismus des RNF, der am 27. März freimütig „ausgeplaudert“. Eine 2009 und zu angesichts notorisch klammer sich seither wieder auf die inter- bleibende Heimstatt fanden die einer weiteren Finanzen der Bundespartei ne Strukturarbeit besinnt, ab. Kundgebung am 5. „Renegaten“ indes nicht: Der September 2009 in ebenso wenig im Bundestags- „Frontbann 24“ wurde im No- Berlin-Lichtenberg. wahlkampf. Bei den Wahlen im 3: Vgl. http://de.altermedia.info/general/nach-fnb-grundung-im-vogtland-170209_23225.html/print/ [19.02.2009] 4: Jentsch, Ulli: Frontbann 24 verboten. NS-NostalgikerInnen tanzen nur ein Jahr. In: monitor. Rundbrief des apabiz e.v., Nr. 43, Dezember 2009, S. 3 5: http://www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/aktuell/am_frontbann_25.06.2009.html [10.07.2009]
14 Rechsextreme Provokationen. Aufmerksamkeit Landesvorstand an. Kommunalpolitik erregte so ein NPD-Schreiben Die Berliner NPD hat ein an Berliner Kommunal- und turbulentes Jahr hinter sich. Der Die Aktivitäten der NPD be- Landespolitiker/innen mit Migra- Streit hinderte die Partei, ihre schränkten sich im Jahr 2009 tionshintergrund, in dem diesen kontinuierliche Aufbauarbeit bis auf wenige Ausnahmen auf nahe gelegt wurde, Deutsch- fortzusetzen. Mit dem neuen Am 27. Januar ihre Präsenz in den Bezirksver- 2009 mobilisierte land zu verlassen.9 Zwar konnte Vorsitzenden soll nun Ruhe ordnetenversammlungen. Hier die NPD in der sich die NPD unter Hähnel als einkehren. Um das bisherige Stadtmitte zu konnten die NPD-Verordneten einer Kundgebung wichtiger Akteur des Rechtsex- Ergebnis bei den Wahlen im nur vereinzelt Skandale insze- gegen einen tremismus in Berlin behaupten, Jahr 2011 – die NPD wähnt sich vermeintlichen nieren. Zwar präsentiert sich in „Holocaust in Gaza“. doch vermochte sie es kaum, bereits „auf dem Weg ins Berliner der BVV Lichtenberg eine agile Außerdem fanden ihre Mandate in den Bezirksver- Abgeordnetenhaus“10 – aber aus- zwei Hoffeste und provokatorisch auftreten- in der NPD- ordnetenversammlungen für bauen zu können, ist ein wenig de NPD-Fraktion und auch die Bundeszentrale in außerparlamentarische Aktivitä- mehr nötig. Köpenick statt. Fraktion in Treptow-Köpenick mit ten zu nutzen und veranstaltete Er war zuletzt stellvertretender dem Bundesvorsitzenden Udo lediglich vereinzelte Informati- bayerischer Landesvorsitzender seiner Partei und bekleidete zuvor Voigt vermag es, sich stetig in onsstände. Ämter bei den „Jungen National- Szene zu setzen, doch sind die demokraten“ und der Partei „Die Republikaner“. Publizistisch tätig war er kommunalpolitischen Aktivitä- Neuer Landesvorstand bereits als Redaktionsmitglied ten insgesamt im Vergleich zu der national-revolutionären Zeitschrift „wir selbst“. den Vorjahren rapide gesunken.7 Mit Uwe Meenen ist nun ein Zuletzt trat der Neuköllner NPD- erfahrener Aktivist an die Das Projekt „Auseinanderset- Verordnete Thomas Vierk aus Spitze der Berliner NPD gehievt zung mit Rechtsextremismus in der Partei aus und auch Eckart worden. Da Meenen, wie seine kommunalen Gremien Berlins Bräuniger legte sein Mandat Vorgänger Bräuniger und Hähnel – Dokumentation und Analyse“ (VdK e.V.) dokumentiert syste- in der BVV Treptow-Köpenick als radikaler Vertreter der NPD matisch die Aktivitäten der nieder. Bleiben Motive für die gilt, ist ein Kurswechsel unwahr- Rechtsextremen in den kommu- Austritte mehr oder minder ver- scheinlich. Die weiteren Mitglie- nalen Gremien, analysiert deren borgen, verdeutlichen sie doch, der des neuen Landesvorstandes Vorgehensweisen und beschreibt dass die Konflikte in der Partei deuten auf den Versuch hin ver- die Handlungsweisen der de- mokratischen Verordneten. Eine weiter virulent sind. Nicht zuletzt schiedene Kräfte innerhalb der inhaltliche Auseinandersetzung vermochte es die rechtsextreme Partei zu repräsentieren. Stellver- mit der menschenverachtenden Partei bisher nicht, ihrem Ziel, treter Meenens sind Bräuniger, und antidemokratischen Pro- sich im kommunalpolitischen der zuletzt durch seine Abrech- grammatik der NPD ist ebenso Raum zu verankern, näher nung mit dem NPD-Bundesvor- wie eine konsequente Abgren- zung von deren Vertreter/innen zu kommen. Kontinuierliche sitzenden Udo Voigt für Furore Voraussetzung dafür, dass die kommunalpolitische Aushand- sorgte, Dietmar Tönhardt, ehe- NPD mit ihrer „Normalisierungs- lungsprozesse liegen der NPD maliger Berliner Vorsitzender der strategie“ mittel- und langfristig nicht. Sie verfolgt nicht den DVU, sowie Sebastian Schmidtke, erfolglos bleibt. Ziel des Projektes Anspruch, sich ins „Hamsterrad der es versteht, die „Freien Kräfte ist es zu einer kontinuierlichen Entwicklung von Präventions- der Ausschussarbeit“8 zu bege- Berlin“ um sich zu scharen und und Interventionsmöglichkeiten ben, und baut stattdessen auf so an die Partei zu binden. Auch im Umgang mit Rechtsextremis- medienwirksame Skandale und Hähnel gehört weiterhin dem mus beizutragen 6: Vgl. antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e.v. (Hrsg.): Neonazi-Demo in Berlin-Mitte „gegen linke Gewalt“. Ein Dossier über den Nazi-Aufmarsch am 10. Oktober 2009. http://www.apabiz.de/publikation/publikation/Linke%20Gewalt.pdf [07.03.2010] 7: Vgl. Henßler, Vera/Lang, Juliane/Müller, Yves/Wörsching, Mathias: „In der BVV kann der Kampf gegen Rechtsextremismus nicht gewonnen werden, muss dort aber dennoch geführt werden.“ herausgegeben vom Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V. Berlin 2009. S. 16ff. 8: So der sächsische Landtagsabgeordnete und NPD-Vordenker Jürgen W. Gansel. Zitiert nach Staud, Toralf: Moderne Nazis. Die neuen Rechten und der Aufstieg der NPD. Bonn 2006. S. 127. 9: Vgl. Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V. (Hrsg.): Rundschreiben: NPD provoziert Politiker/innen mit Migrationshintergrund, 23.09.2009, http://mbr-berlin.de/Verein/Rechtsextremismus_in_den_BVVen/Rundschreiben/660.html [07.03.2010] 10: „Die Alternative für Berlin“, Verlautbarung vom 30. Januar 2010, http://npd-berlin.de/?p=65 [17.03.2010]
15 „Und die Zeit ist nun vorbei, wo wir uns alles gefallen lassen. Wenn wir es so haben wol- len, dann kann es ganz schnell vom nationalen Widerstand zum natio- nalen Angriff werden!“ Sebastian Schmidtke (NPD - Berlin) am 10. Oktober 2009, Alexanderplatz Die Berliner rechtsextreme Szene: Gewalttätige Aktionen und inhaltliche Schwäche Mit dem Lokal „Zum Henker“ in Schöneweide schuf sich die rechtsextreme Szene Berlins 2009 einen ihrer wichtigsten Treff- und Anlaufpunkte. Für den Erhalt dieser Infrastruktur gelingt es ihr, ihre Anhänger/innen spektrenübergreifend zu mobilisieren und Geschlossenheit zu demonstrieren. Daraus resultiert eine erhöhte Bedrohung für Personen und Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Von Anne Benzing, Annika Eckel, Bianca Klose, Matthias Müller (MBR)
16 T rotz oder gerade wegen man in Berlin von der NPD mitt- des Repressionsdrucks lerweile ein eher bürgernahes auf das Kameradschafts- Auftreten und von „Autonomen spektrum sowie der Krise und Nationalisten“ einen jugendkul- Personalschwäche der Berliner turellen Stil gewohnt ist. Her- NPD machte die rechtsextreme vorgegangen war der „Front- Szene im vergangenen Jahr bann 24“ aus unzufriedenen mit Angriffen auf linke Projekte Mitgliedern der NPD, genauer und Einrichtungen sowie mit gesagt aus den Kreisverbänden der Bedrohung engagierter Treptow-Köpenick und Marzahn- Antifaschist/innen auf sich Hellersdorf, die nach personellen aufmerksam. Durch Aktionismus, Streitigkeiten und interner Kritik insbesondere durch direkte am damaligen Landesvorsitzen- gewalttätige Aktionen gegen den Jörg Hähnel aus der Partei politische Gegner/innen und ausgetreten waren.1 Im Gegen- deren Einrichtungen vor allem in satz zum NPD-Landesverband, Neukölln und Kreuzberg, gelang der im vergangenen Jahr kaum es einer geschwächten Szene mit in der Öffentlichkeit mit Ak- relativ wenig Aufwand öffent- tionen oder Veranstaltungen lichkeitswirksam und spektakulär in Erscheinung trat, gelang es in Erscheinung zu treten. Die dem „Frontbann 24“, sowohl mit Radikalisierung und der Aktionis- eigenen Aktionen als auch im mus der Rechtsextremen haben Rahmen von rechtsextremen vor allem für engagierte Berliner/ Aufmärschen oder Festen, wie innen und alternative Projekte zu etwa am 1. Mai in Köpenick, einer neuen Qualität unmittelba- präsent zu sein. Es machte den rer Bedrohung geführt. Zudem Eindruck, als sei ein Teil der eröffnete mit der Kneipe „Zum rechtsextremen Szene Berlins Henker“ in Schöneweide im ver- des bürgernahen Auftretens der gangenen Jahr der mittlerweile NPD überdrüssig und wolle ver- wichtigste Treff- und Anlauf- stärkt wieder den konfrontativen punkt der Berliner rechtsextre- „Kampf um die Straße“ forcie- men Szene. ren. Offenbar gelang es dem Im Februar 2009 traten „Frontbann 24“ eine Leerstelle erstmals Berliner Aktivist/innen zwischen NPD und „Autonomen des kameradschaftsähnlichen Nationalisten“ zu füllen. Zusammenhangs „Frontbann 24“ auf dem rechtsextremen „Trauer- marsch“ in Dresden öffentlich in Erscheinung. Ihr uniformiertes, martialisches Auftreten sowie ihre unverhohlene Bezugnahme auf den Nationalsozialismus waren insofern überraschend, als 1: Vgl. Yves Müller: Unfähig und überfordet? – Die Berliner NPD möchte ihre Krise überwinden, in diesem Heft.
17 Der Henker: „Wir sind eine Funktion des „Henkers“ für wickeln können. Sie bieten Raum Kneipe und kein Parteibüro!“2 die rechtsextreme Szene für Kontakt und Austausch unter Gleichgesinnten, sodass sich Zwar blieb die langjährige Der „Henker“ dient der rechtsext- rechtsextreme Orientierungen Forderung der Rechtextremen remen Szene als Versammlungs- oder Teilidentifikationen in einer nach einem „nationalen Jugend- ort, als Ort des Informationsaus- Art „Freiraum“ zu eindeutigen zentrum“ auch 2009 erfolglos, tausches sowie als Freizeit- und politischen Identitäten festigen mit der Eröffnung des Lokals Erlebniswelt. Rechtsextreme und radikalisieren können. „Zum Henker“ Ende Februar im Erlebniswelten bieten Jugendli- Doch solche Orte bedienen nicht Treptow-Köpenicker Stadtteil chen und (jungen) Erwachsenen nur auf unterschiedlichste Art Schöneweide gab es fortan Aktivitäten mit Eventcharakter und Weise das Bedürfnis nach jedoch einen „nationalen Frei- und ein gemeinsames Lebens- einem rechten Lebensgefühl, raum“ jenseits von Parteipolitik. gefühl in einem rechtsextremen sie sichern zugleich auch den Der Betreiber ist der bekannte Kontext. Die im „Henker“ statt- personellen, materiellen und englische Rechtsextremist Paul findenden Aktivitäten haben finanziellen Fortbestand der Stuart B.. Er wurde 2003 wegen – auch dann, wenn es sich nur rechtsextremen Szene.5 der Verbreitung verfassungswid- um das Zusammensitzen bei Auf einer von riger Kennzeichen, Bedrohung, ihm betriebenen einem Glas Bier handelt – einen Beleidigung sowie wegen des Website („SS88.de“) wichtigen Anteil an der Entste- veröffentlichte er Verstoßes gegen das Waffenge- Bilder zweier Staats- hung eines Gemeinschafts- und setz zu sieben Monaten Haft auf schützer. Darüber Zugehörigkeitsgefühls sowie prangten eine Ma- Bewährung verurteilt. schinenpistole und einen identitätsstiftenden Effekt Im „Henker“ finden seit der der Satz “Die Kugel auf die rechtsextreme Szene. ist für dich”. Bei Eröffnung eine Vielzahl von der Durchsuchung Generell spielen solche auf Treffen der rechtsextremen Sze- seiner Wohnung Dauer angelegten Treff- und beschlagnahmte ne Berlins statt. Mitglieder des die Polizei ein Anlaufpunkte für die Schaffung mittlerweile verbotenen „Front- Handbuch zum Bau rechtsextremer Erlebniswelten von Bomben und bann 24”3 gehören dabei ebenso Schlagringe. Vor eine wesentliche Rolle. Kneipen, zu den Stammgästen in der Gericht verzich- Tattoostudios, Büro-, Seminar- So bezeichnete Uwe tete der damals Dreisch, führendes Brückenstraße 14 wie „Autonome 33-Jährige auf einen und Bandproberäume, Geschäf- Mitglied des ver- Anwalt, beschrieb botenen kamerad- Nationalisten“, Aktivist/innen ver- die leicht verzerrten te und Imbisse sind wichtige schaftsähnlichen botener Kameradschaften sowie Hakenkreuze auf Bestandteile rechtsextremer Zusammenschlusses seiner Website als „Frontbann 24“, NPD- Funktionär/innen.4 „Kunstwerk“ und Strukturen und (Sub-)Kultur. Im die rechtsextreme gestand „Ich bin Gegensatz zu temporären, oft Szenekneipe „Zum rechts orientiert. Henker“ in Schöne- Was ich getan habe jahreszeitlich gebundenen Treff- weide gegenüber war gerechtfertigt“. punkten wie etwa Parks oder der RBB Abend- Vgl. dazu: Tages- schau (28.07.2009) spiegel (12.06.2002), öffentliche Plätze bieten sie eine als „enorm wichtig“, Berliner Zeitung dauerhafte Basis. Rechtsextreme weil man dort in (13.06.2002) und der „nationalen Be- Morgenpost Erlebniswelten und rechtsextre- wegung […] unter (13.06.2002). me Infrastruktur schaffen so ein sich“ sein könne. soziokulturelles Milieu, in dem Jugendliche und junge Erwach- sene rechtsextrem(-orientiert)e Lebensstile und Identitäten ent- 2: Einladung zur „Soli Feier im Henker“ auf http://www.henker-berlin.de, abgerufen am 27.08.2009. 3: Am 5.11.2009 wurde der „Frontbann 24“ durch den Berliner Innensenator auf Grund seiner „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ in „Vorstellungswelt und Gesamtstil“ verboten. 4: Vgl.: Kleine Anfrage „Rechtsextreme Aktivitäten im „Zum Henker““ im Abgeordnetenhaus Berlin DS 16/14272 vom 17.03.2010. 5: Vgl.: Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin: Ladenschluss jetzt! Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremer Infrastruktur, Berlin 2009
18 Auswirkungen auf das Bedrohungspotenzial für deshalb gar nicht oder nur mit den Sozialraum potenzielle Opfer rechtsextremer Vorsicht und Angst betreten wer- oder rassistischer Gewalt. Oft den. Für die Entstehung eines Kneipen und andere Treffpunkte wohnen wichtige Aktivist/innen Angstraumes genügen mitunter Rechtsextremer sind Ausgangs- der Szene in der Nähe oder zie- ein einzelnes Gewalterlebnis punkte und zugleich Ausdruck hen hinzu; Nachbarschaften und oder auch nur ein Bedrohungs- einer schleichenden Besetzung Kieze werden dann tagtäglich gefühl und deren Kommunikati- des öffentlichen Raums. Anders als „szeneeigenes Territorium“ on an andere potenzielle Opfer. als bei Aufmärschen oder Akti- beansprucht. Eine solche Entwicklung lässt onen wird der öffentliche Raum Die Vereinnahmung des sich auch in der Umgebung der nicht nur anlassbezogen besetzt, öffentlichen Raumes im Umfeld Kneipe „Zum Henker“ beobach- vielmehr sind solche Treffpunk- rechtsextremer Infrastruktur ten. te ein wesentlicher Beitrag zur kann letztlich zur Entstehung so Für die Zunahme rechtsextremer Verankerung rechtsextrem(- genannter Angsträume6 führen. Aktivitäten im Sozialraum spre- orientiert)er Alltagskultur im Angsträume sind Orte, an denen chen auch die Zahlen. Das Re- Sozialraum. Der entsprechende potenzielle Opfer von Rechts- gister in Treptow-Köpenick, das Publikumsverkehr erhöht sich extremen Angst vor Bedrohung Vorfälle mit einem rechtsextre- in dieser Gegend und mit ihm oder Gewalt haben müssen und men, rassistischen oder antisemi- 6: Vgl. Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin: Angsträume in Berlin. Lokale Handlungskonzepte im Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen im öffentlichen Raum, Berlin 2006.
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