Bis zum Umfallen? 11/21 - Gewerkschaft der Polizei
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11 Inhalt IN EIGENER SACHE Innenleben Vor Ort Liebe Leserinnen und Leser, 2 Keine Annäherung nach erster 14 Nachtschicht mit Olaf Scholz Runde die Bundestagswahlen sind Geschichte. 32 007 und der EPC Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses er- 3 Darum muss sich die Koalition scheint ein Politikwechsel hierzulande als kümmern nicht unwahrscheinlich. SPD, Bündnis 90/ Im Gespräch Die Grünen sowie die FDP sondierten den 12 Schleswig-Holstein erkennt Weg zu einem stabilen Bündnis und loteten 23 Anträge von 19 „Der Staat ist stark“ trotz teils deutlich voneinander abweichen- Polizeibeschäftigten an den Programmatiken Wege zu Koalitions- 24 Digital oft abgehängt verhandlungen aus. 21 Meilensteine Auf die Farbenkombination der künfti- 27 „Es reicht ein Blick in die Geschichte“ gen Regierungskoalition haben die Gewerk- 22 16. Bundesjugendkonferenz 2022 schaften zwar keinen Einfluss, auf die po- litische Gestaltung der vor uns liegenden 25 Mit der Politik reden Hingeschaut Legislaturperiode jedoch schon. Und da es gleichermaßen treffend wie sinnvoll heißt: 34 Freistoß-Dummys gehen an 16 Clankriminalität – Schuster, bleib bei deinen Leisten, konzen- Fußballjugend Kein Haus! Kein Auto! Keine Uhr! triert sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) selbstredend auf die Belange der Polizeibe- 36 Mehr Tarifstellen – und zwei Sitze 37 Ein Volkspolizist auf Westbesuch – schäftigten sowie essenzielle Themen der im PHPR! Teil 2 inneren Sicherheit. Mit Blick auf den Wahlkampf und den zahlreichen medialen Wettstreiten der Kan- Titel didierenden und der Parteien droht aus 40 Impressum Sicht der GdP, dass die Beschäftigten in der 5 Ausgebrannt Polizei und die innere Sicherheit im Schat- ten der politischen Konsensbildung um Kli- 8 Tretmühle Polizei maschutz, Digitalisierung, Infrastruktur, Bildung, soziale Sicherungssysteme oder Migration und Integration stehen könnten. Dagegen wird sich die GdP wenden und sich mit ihren vielfältigen Möglichkeiten einmi- schen. Worum es im Grunde gehen wird, verdeutlicht eine Übersicht von Themen- komplexen (Seite 3). An dieser Stelle sei zudem an die GdP- Kampagne „#100für100 – 100% Einsatz für 100% Einsatz“ erinnert. Im Oktober ist #100für100 mit einer symbolischen Akti- on offiziell beendet worden. 100 sogenann- te Freistoß-Dummies, die Ende April stell- vertretend für die Polizeibeschäftigten Deutschlands vor dem Reichstag „demons- triert“ haben, wurden einer neuen Dienst- verwendung zugeführt. Sie unterstützen nun die Jugendarbeit Berliner Fußballver- eine (Seite 34). Michael Zielasko Chefredakteur
2 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP Innenleben Die Gewerkschaft der Polizei vertritt in der Tarifrunde rund 18.000 Beschäftigte vom allgemeinen Verwaltungsdienst über den fern- meldetechnischen Dienst, Polizeiärztinnen und -ärzte, Beschäftigte in der Informationstechnik, Techniker, Beschäftigte der Hub- schrauberstaffeln, Kfz-Mechatroniker, Schreiner, Elektriker oder Waffenmechaniker. Die zweite Runde der Verhandlungen findet An- fang November in Potsdam statt. Gewerkschaftern, „ihr seid heute hier, um TARIFRUNDE 2021 gleich zu Beginn den Arbeitgebern zu ver- deutlichen: Wir sind bereit, für das, was Keine wir fordern, auch auf die Straße zu gehen. Dass wir eine starke Truppe mit einem ho- hen Durchhaltevermögen sind, haben wir Annäherung während dieser Pandemie extrem unter Be- weis gestellt.“ Klemmer kritisierte den schon zu Beginn nach erster scharfen Ton der Arbeitgeber. Dass man Ver- schlechterungen im Bereich der Eingruppie- rung als Bedingung für weitere Gespräche Runde mache, sei kein guter Einstieg in Verhand- lungen, „das ist Erpressung und zeugt nicht von gutem Benehmen“. Der GdP-Tarifexperte weiter: „Wir leh- nen jede Form der Veränderung am Ar- beitsvorgang ab.“ Und an den ver.di-Vor- sitzenden Frank Werneke gewandt, „da bin ich dir dankbar für deine deutlichen Worte in Richtung Arbeitgeber, wir werden dafür auch streiten. Sei dir gewiss, die GdP steht an deiner Seite, und wir werden gemeinsam Foto: Bensmail dieses Vorhaben der Arbeitgeber abwenden. Wir sind bereit zu verhandeln, aber wir las- GdP-Tarifexperte René Klemmer vor der ersten Tarifrunde am Potsdamer Platz in Berlin. sen uns nichts diktieren.“ GdP-Bundesvorsitzender Oliver Mal- chow sowie GdP-Vize Dietmar Schilff hatten Anfang Oktober in Berlin: Nach rund dreistündigen Gesprächen die Demonstrierenden vor Ort unterstützt. haben sich die öD-Arbeitnehmervertretungen und die Es reiche nicht aus, wenn die Politiker in den Ländern zu ihren Mitarbeiterinnen und Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ohne Ergebnis vertagt. Mitarbeitern in den Ämtern und Behörden Zuvor hatten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (öD) und sagten, ‚das habt ihr aber prima gemacht‘. die Länderarbeitgeber in der ersten von drei vereinbarten Eine gute und engagierte Leistung müsse sich auch im Geldbeutel widerspiegeln, un- Verhandlungsrunden ihre Positionen verdeutlicht. terstrich Malchow am Rande der Veranstal- tung. „Wenn dann noch die Arbeitgeber mit Wolfgang Schönwald und Michael Zielasko Verschlechterungen um die Ecke kommen, dann ist das keine Anerkennung, sondern kommt das Fass zum Überlaufen.“ I D er GdP-Tarifexperte und stellvertreten- geachtet der Blockadehaltung der TdL Mög- de Bundesvorsitzende René Klemmer lichkeiten einer Verständigung weiter aus- war für die Gewerkschaft der Polizei loten. Die Entschlossenheit unserer Kol- (GdP) vor Ort. Die tiefe Kluft zwischen den leginnen und Kollegen sollte jedoch von Verhandlungsparteien sei sichtbar geworden, unseren Verhandlungspartnern nicht un- berichtete er. Die Forderungen der Gewerk- terschätzt werden“, bekräftigte Klemmer. schaften wiesen die Arbeitgeber unter Füh- Arbeitgeber-Knackpunkte seien nach wie rung des niedersächsischen Finanzministers vor die aus Sicht der Gewerkschaften be- Reinhold Hilbers als illusorisch zurück. rechtigte Entgeltforderung von 5 Prozent, Foto: Bensmail jedoch mindestens 150 Euro, bei einer Lauf- zeit von 12 Monaten sowie der sogenannte Wir sind eine starke Truppe Arbeitsvorgang. Dietmar Schilff, René Klemmer und Bei einer Kundgebung in der Nähe des Oliver Malchow (v.l.n.r.) begleiten die „Wir werden in der für Anfang November Verhandlungsortes in Berlin-Mitte sagte Demonstration im Vorfeld der ersten in Potsdam terminierten zweiten Runde un- der GdP-Tarifexperte zu den anwesenden Tarifrunde in Berlin.
DP DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 3 Innenleben Kurz vor Redaktionsschluss: SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP sondierten Wege für eine mögliche Regierungskoalition. Wer aber letztlich Koalitionsverhandlungen aufnimmt, war also noch unklar. Kommen diese jedoch in Gang, dürfen weder die innere Sicherheit noch die Polizei von einer künftigen Regierung stiefmütterlich behandelt werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat allen für eine Koalition in Frage kommenden Parteien einen konkreten, umfangreichen Forderungskatalog an die Hände geben. Darum geht es ... Home Office Modernisierung Harmonisierung Vereinbarkeit Tarifrecht Personalaufwuchs Anpassungen Personalvertretungsgesetz Psychische Erkrankungen Versorgungsrecht Föderalismus Gewalt gegen Einsatzkräfte Arbeitszeit Infektionskrankheiten „Attraktivität“ Mobiles Dynamisierte Polizeizulage Arbeiten Ruhegehaltsfähige Polizeizulage Auswertung von Massendaten Besoldungsrecht Arbeitsbelastung Laufbahnrecht Waffenrecht Finanzpolizei Mittelausstattung Vernetzung Vermögensabschöpfung Musterpolizeigesetz Prävention verbessern Prozessrecht Polizeiliche Kriminalstatistik Beweislastumkehr „Gute Polizeiarbeit“ Strafrecht Supervisionsinstrumente Mindestspeicherung von Verkehrsdaten Zielgruppenansprache Periodischer Sicherheitsbericht Studiengänge Polizeiarbeit Demokratie Forschungsvorhaben Berufsethische Bildung Finanzielle Förderung Diversität Vielfalt Deutsche Hochschule der Polizei Projekte Resilienz „Bürgerorientierte Polizei“ Menschenbild Arbeits- und Lebenswirklichkeit Politische Bildung Freiheitlich-demokratische Grundordnung Inspekteur der Bereitschaftspolizeien Zentrale Beschaffung Informationssysteme Rechtsgrundlagen Digitalisierungspakt für die Polizei Datenschutz Standardisierung „Digitalisierung“ und HarmonisierungDatenbanken „Bund-Länder-Zusammenarbeit“ Schnittstellen Übergreifende digitale Kommunikation Verknüpfung BKA als bundesweiter IT-Dienstleister Klima-Vorreiterrolle Verlässliche Infrastruktur Personalaufwuchs Definierte Zuständigkeiten Sachmittel Fuhrpark „Krisen- und Klimaresilienz“ Liegenschaften Eingeübte Abläufe Klimafreundliche Modernisierung Überregionale abgestimmte Pandemie- und Katastrophenpläne Friedliches Miteinander stärken Europäische Grundwerte sichern Europol ertüchtigen „Innere Sicherheit“ Multilaterale polizeiliche Vernetzung Europäischen Raum der Freiheit festigen und fördern
5 Titel PSYCHISCHE GESUNDHEIT Ausgebrannt Schichtdienst, Gewalt, Hass: Die Belastung im Polizeidienst kann zur Bedrohung für die psychische Gesundheit werden. Die GdP Schleswig-Holstein fährt seit über zehn Jahren erfolgreich Programme zur Entlastung von Polizeibeschäftigten. DP sprach mit Landeschef Torsten Jäger über Fehlzeiten, „Weicheier“ und Polizeikultur. Danica Bensmail D ie Arbeitsbelastungen im Polizei- Erinnerung an alte, abgedroschene Sprüche dienst sind so vielfältig wie die Be- wie: Indianer kennen keinen Schmerz und: hörde selbst. Der Zielfahnder: Im- Echte Männer weinen nicht. Ist das noch mer auf Achse. Bei Bedarf auch mal auf zeitgemäß? Und viel wichtiger: Ist das ge- einem 10-Stunden-Flug nach Tokio für die sund? Polizei sei Berufung, erklärten unse- 30-minütige Verladeaktion eines Straftäters. re Gesprächspartner. Wer in den Dienst der Der Bereitschaftspolizist, der auf Anti-Co- Behörde trete, wisse um die Belastungen, rona-Maßnahmen-Demos trotz Spott und denn: „Das ist halt so.“ Gewaltattacken die Ruhe bewahren muss. Der Kriminalpolizist, der die Bilder der Kin- derpornografie-Ermittlungen nicht mehr aus 900 Menschen fehlen dem Kopf kriegt. Oder der Schutzpolizist, der jeden Tag im Dienst am Sonntagmorgen zu einem blutigen Fall häuslicher Gewalt gerufen wird. Dass „das“ halt oft so ist, weiß auch Torsten Jäger. Genau aus diesem Grund engagiert sich der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Indianer kennen Polizei (GdP) in Schleswig-Holstein für das keinen Schmerz Thema psychische Gesundheit. „Seit rund zehn Jahren ist das eines unserer wichtigsten DP hat mit allen von ihnen gesprochen. Sie gewerkschaftlichen Themen“, sagt Jäger. Be- alle haben von ihrem Dienst berichtet. Nur reits 2014 habe man eine große Belastungs- die damit verbundene Belastung anzuerken- konferenz veranstaltet. Mit Erfolg: „Diese nen – öffentlich – und darüber kritisch zu Konferenz hat tatsächlich zu Arbeitszeitver- sprechen, will keiner. Auch das ist ein Teil kürzungen für langjährige Schichtdienstleis- der vielzitierten Polizeikultur. Er weckt die tende geführt“, freut sich der Gewerkschafter.
6 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP Die Belastungskonferenz habe auch den nannte Heilfürsorge. Von dort gibt es aber immens hohen Krankenstand in der Lan- keine regelmäßigen sowie verlässliche Un- despolizei zur Sprache gebracht. Dabei re- tersuchungen und Berichte zu Ursachen von dete die GdP Schleswig-Holstein nicht lange Krankheitsabwesenheiten.“ um den heißen Brei, sondern lieferte aufrüt- telnde Zahlen: „Wir haben eine permanen- te Abwesenheitsquote von zehn Prozent. Bei Psychische Erkrankungen 9.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Platz zwei sind das 900 Menschen, die jeden Tag feh- len. Jeden Tag“, sagt Jäger und seine Stimme Die Krankenkasse Barmer hingegen wertet wird hörbar lauter. die Ursachen für Krankheitsabwesenheiten Ursache für diese massiven Ausfälle sei- regelmäßig aus. Ihr Gesundheitsreport 2020 en nicht zuletzt auch eine ganze Menge psy- zeichnet ein erschreckendes Bild der psychi- chischer Erkrankungen. „Als Personalräte schen Verfassung Erwerbstätiger hierzulan- haben wir in jeder Sitzung mit Überprüfun- de. Demnach sind knapp 20 Prozent aller gen von Dienstunfähigkeiten zu tun. Darum Fehlzeiten 2019 auf „psychische und Verhal- wissen wir, dass entsprechende Diagnosen tensstörungen“ zurückzuführen. Übertrof- dort eine maßgebliche Rolle spielen.“ fen wird das nur noch von Krankheiten des Tatsächlich aber gebe es kaum verlässli- Muskel-Skelett-Systems (21,8 Prozent). che Zahlen. Diese sollten eigentlich durch „Eine psychische Erkrankung kann die Dienststellen und durch den polizei- schwerer wiegen und länger nachwirken als ärztlichen Dienst geliefert werden. Doch gebrochene Knochen“, betont Gewerkschaf- genau dort liege das Problem. Jäger erklärt: ter Jäger. Der Gesundheitsreport gibt ihm „Detailauskünfte zu bekommen ist kompli- Recht. Demzufolge dauert eine Arbeitsun- ziert. Wir haben in unserem Land eine po- fähigkeit mit der Diagnose „psychische und lizeiinterne Krankenkasse für Polizeivoll- Verhaltensstörungen“ mit Abstand am längs- zugsbeamtinnen und -beamte, die soge- ten – im Mittel zwischen 40 und 45 Tagen. „Viele, die solche Erkrankungen haben und merken, dass sie nicht mehr können, versuchen das dienstlich nicht bekannt werden zu lassen“, erklärt Jäger. „Sie versu- „ chen außerhalb unseres polizeiärztlichen Systems eine Behandlung zu organisieren und das sogar selbst zu bezahlen, nur da- mit das nicht auffällt. Das ist total schlecht.“ Es müsse ganz klar die Verpflichtung des Wir haben eine Dienstherrn sein, sich um diese Kolleginnen permanente und Kollegen zu kümmern, betont er. Nur hätten viele Kolleginnen und Kollegen nach Abwesenheitsquote wie vor kein Vertrauen zum polizeiinternen System. „Sie haben Sorge, dass andere auf von zehn Prozent. Bei sie gucken, sie als Weichei abstempeln und sagen: Reiß dich mal zusammen.“ Ist die- 9.000 Mitarbeiterinnen se Sorge der Kolleginnen und Kollegen be- rechtigt? und Mitarbeitern, sind das 900 Menschen, die Die Gesamtkultur muss sich ändern jeden Tag fehlen. Torsten Jäger hält einen Moment inne, be- vor er antwortet: „Polizisten müssen stark und souverän sein. Immer und in jeder Lage. Da kann man Schwäche eigentlich nicht ge- brauchen.“ In der Realität sei es aber illu- sorisch, diesen Anspruch ein Berufsleben
7 DP-Gesprächspartner Torsten Jäger ist Vorsitzender der GdP Schleswig-Holstein. Foto: GdP SH eine spezielle Ausbildung verfügten. Bei 9.000 Mitarbeitern in der Landespolizei rei- che das natürlich nicht aus, sei aber ein gu- „ ter erster Baustein. „Die GdP setzt sich seit Jahren für eine verbesserte psychologische Betreuung ein. Wir haben bei uns in den Fraktionen Gesprä- Eine psychische che geführt. Ich habe gezielt mit der SPD, den Grünen und mit der Innenministerin ge- Erkrankung sprochen. Das Ergebnis all dieser Gespräche war die Entscheidung, die Psychologenstel- kann schwerer len in der Landespolizei aufzustocken. Von eins auf fünf“, sagt Jäger. wiegen und länger Die GdP habe ursprünglich zehn neue nachwirken als Stellen gefordert. Fünf seien für den Anfang aber eine gute und richtige Entscheidung, gebrochene um den Landespsychologischen Dienst zu stärken. „Wir wollen die Kolleginnen und Knochen. Kollegen unterstützen. Dazu müssen wir in diesen Bereichen noch viel mehr Angebote machen. Unsere Idee ist: In jeder Behörde einen Psychologen. Das ist ein langfristiges Ziel, das uns allen nur gut tun kann.“ So viel Zeit muss sein lang aufrechtzuerhalten. „Das ist unter den Dürfen Polizisten denn auch mal schwach speziellen Belastungen des Polizeidienstes sein? In einem geschützten Raum, nur für nicht möglich – zumindest nicht ohne ge- sie? „Ja, natürlich“, sagt Jäger. Darum freue sundheitliche Folgen“, stellt Jäger klar. er sich persönlich auch so, dass in Schles- Die Gesamtkultur in der Polizei müsse wig-Holstein endlich der psychologische sich diesbezüglich noch viel stärker verän- Dienst breiter aufgestellt werde. dern. Das Gefühl zu haben, nicht mehr zu Darüber hinaus sei es jedoch auch wich- können und sich um die eigene Seele zu tig, regelmäßige Gesprächsrunden in der kümmern, müsse noch mehr Akzeptanz Schicht anzubieten. Diese Art Einsätze nach- finden. zubereiten, sei von immenser Bedeutung, Jägers Forderung: Eine Stärkung des psy- betont der Gewerkschafter. Dabei müsse es chologischen Gesundheitsdienstes in der gar nicht immer um die ganz harten Fälle Polizei. Die sei dringend notwendig. „Wir gehen. Im Gegenteil: „Die Kolleginnen und brauchen mehr Psychologen, die nicht in Kollegen sollen die Möglichkeit haben, ein- diesem System angedockt sind. Die keinem fach mal ganz platt zu erzählen, wenn ihnen Strafverfolgungszwang unterliegen und die etwas und was ihnen auf der Seele liegt.“ nicht durch interne Hierarchien gebunden Aus GdP-Sicht müsse genau das ein fester sind“, sagt Jäger. Bestandteil des Dienstalltages werden. „Sol- che Gespräche gehören nicht in den Feier- abend. Sie müssen fester Bestandteil des In jeder Behörde einen Dienstes werden, für den man sich entspre- Psychologen chend Zeit nimmt“, unterstreicht er. Dazu müssten auch Vorgesetzte entsprechend ge- In Schleswig-Holstein gebe es seit über 15 schult werden. Das wiederum könnten die Jahren rund 40 Betreuerinnen und Betreu- einzustellenden Psychologen machen. er. Diese stünden Kolleginnen und Kollegen „Für mich bedeutet all das Wertschät- nach belastenden Einsätzen für Gespräche zung“, sagt Jäger. „Ich will, dass die Kolle- zur Verfügung, erzählt Jäger. Das seien Kol- ginnen und Kollegen gesund sind und ge- leginnen und Kollegen, die allesamt über sund bleiben.“ I
DP DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 9 DP-Gesprächspartnerin Gundhild Ameln Foto: privat Gundhild Ameln ist Psychologin bei der Landespolizei Schleswig- Holstein. Was belastet die Kolleginnen und Kollegen im Dienst? Ist Schwäche zeigen immer noch so verpönt? Und wie entkommt man der Tretmühle Polizei? DP hat mit ihr darüber gesprochen. Danica Bensmail DP: Wie ist es um die Psychosoziale Be- fenen Kollegen erst nach Wochen, dass es treuung von Beamtinnen und Beamten ihnen doch nicht so gut geht – obwohl sich in der Landespolizei Schleswig-Holstein zunächst alles wieder normal angefühlt hat. bestellt? Wenn die Betroffenen möchten, gehe ich mit Gundhild Ameln: Ich glaube, wir sind da re- ihnen auch ins Einsatztraining. Ich versuche lativ weit. Seit über 20 Jahren haben wir das immer sicherzustellen, dass sie bei der Rück- Konzept der Betreuung nach belastenden kehr in den Dienst nicht alleine sind. Einsätzen. Unsere Betreuer, allesamt Kolle- ginnen und Kollegen, haben gelernt, Einsät- DP: In der Polizei gilt oft: Bloß keine ze nachzubereiten und Beratungsgespräche Schwäche zeigen! Besonders mit Blick zu führen. Die kommen nicht nur, wenn je- auf die eigene Psyche. Gibt es da mittler- mand sagt: Ich bin durch einen Einsatz be- weile mehr Offenheit? lastet. Jeder Polizeibeamte kann sich jeder- Ameln: Ich glaube, in der Polizei läuft die zeit an sie wenden. Entwicklung parallel zur Gesellschaft. Es gibt eine größere Offenheit für psychische DP: Wie läuft so eine Ausbildung ab? Belastungen. Aber sie ist nicht groß. Ameln: Ich wähle die Kolleginnen und Kol- legen aus und begleite sie bei Bedarf sehr DP: Ist das womöglich einem Generatio- eng durch die Fälle. Die Ausbildung dauert nenproblem in der Polizei geschuldet? etwa vier Wochen. Es werden kommunikati- Ameln: Das ans Alter zu binden, ist völlig ve Fähigkeiten für die Einsatznachbereitung verkehrt. Es gibt engagierte Revierleiter äl- und das Beratungsgespräch gesetzt. Im An- teren Semesters, die das Thema sehr ernst schluss an die Ausbildung finden regelmäßi- nehmen. Genauso gibt es jüngere, die den ge Supervisionstermine statt, und wir spre- Bedarf an psychologischer Beratung nicht chen über Einsatznachbereitungen – alles sehen. im Nebenamt natürlich. Im ersten Halbjahr nach der Ausbildung gehen sie gleich mit in DP: Dennoch sagen Sie, Schleswig-Hol- Supervisionen. Mir ist es sehr wichtig, dass stein sei bereits auf gutem Weg. sie ihr Handwerkszeug direkt üben können. Ameln: Naja, meine eine Stelle war bisher ei- Es ist wichtig, dass sie möglichst schnell an gentlich auch nur ein Feigenblatt. Ich habe echten Fällen Erfahrungen sammeln. in der Vergangenheit auch bewusst keine Werbung gemacht. Den Bedarf nach Bera- DP: Ganz schön viel Verantwortung nach tungsgesprächen, den ich dann möglicher- vier Wochen Ausbildung. Ab welchem weise lostreten könnte, wäre ich allein gar Foto: Sergey Nivens/stock.adobe.com Punkt übernehmen Sie? nicht im Stande zu decken. Ameln: Wir hatten in der letzten Zeit einige Fälle von Schusswaffengebrauch, auch tödli- DP: Also der Wunsch nach mehr Perso- che. Die Betreuer wissen, dass sie mich dann nal? Zum Jahresende soll es ja vier wei- informieren müssen. Oft merken die betrof- tere Stellen geben …
10 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP Gundhild Ameln machte an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ihren Abschluss als Diplom-Psychologin. Seit 1990 ist sie beim Psychologischen Dienst der Landespolizei Schleswig-Holstein tätig, unter anderem für die Konzeption und Umsetzung der Psycho- sozialen Unterstützung von Polizeikräften. Sie ist verantwortlich für die psychologische Begleitung der Spezialeinheiten und bietet zudem Supervisionen in festen Gruppen sowie Coaching bei Bedarfsfällen an. Sie beschäftigt sich vorrangig mit dem Thema Prävention von traumatischem Stress. Ameln: Ich weiß nicht, ob wir den gesam- nach einem Jahr. (lacht) Aber das erwarte ten Bedarf damit decken können, auch wenn wir hier künftig mehr Psychologen sind. Aber es ist ein Anfang. Es gibt viele Tabus „ ich natürlich nicht. Ich mache das gern. DP: Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft? bei der Polizei. Die sind in der Polizeikultur Der Polizeialltag ist Ameln: Mein großes Ziel ist, dass wir irgend- dadurch begründet, dass Beamte eine Wohl- wann auch mal suizidpräventiv tätig werden verhaltenspflicht haben und Straftaten ver- eine Tretmühle. können. Bereits in der Ausbildung muss das folgen müssen. Es gibt ein enges Korsett, in Daraus auszubrechen viel offensiver angegangen werden, als das dem man arbeitet. Also sind viele vorsichtig und etwas für sich zu tun, bislang der Fall ist. Mir schwebt vor, dass zu sagen, was sie denken, fühlen und erle- wir ganz systematisch Entspannungsübun- ben. Beispielsweise beim Thema Rassismus. ist die große gen anbieten. Die Kolleginnen und Kollegen Da haben Beamte das Gefühl, dass sie nicht Herausforderung. kommen dann nicht aus der Not oder wegen sagen dürfen, wie sie die Verhältnisse in der einer Sorge, sondern erleben Entspannung, Gesellschaft erleben. Zum sprichwörtlichen fassen sich vielleicht ein Herz und erzählen „sich auskotzen“ gibt es innerhalb der Poli- Zum sprichwörtlichen von sich aus, was sie bedrückt. Das habe ich zei leider meist keinen Ort. in der Vergangenheit oft erlebt. ‚sich auskotzen‘ gibt DP: Mit welchen Sorgen kommen die Be- es innerhalb der DP: Entspannung trotz Wechselschicht- amtinnen und Beamten am häufigsten zu Polizei leider meist dienst. Klingt nach einer Herausforde- Ihnen? rung. Ameln: Neben belastenden Einsätzen kom- keinen Ort. Ameln: Die Praxis stellt sich oft schwieriger men sie in der Regel wegen persönlicher dar, als das Wollen. Und ich glaube, das geht Belastungen. Da geht es häufig um Tren- den Kollegen auch so. Die würden gerne, aber nungsgeschichten. Oder Auszubildende, irgendwas ist halt immer. Der Polizeialltag ist die zweifeln und sich fragen, ob sie über- nahmesituationen und manchmal sogar Le- eine Tretmühle. Daraus auszubrechen und et- haupt geeignet sind für die Polizei. Häufig bensgefahr. was für sich zu tun, ist die große Herausforde- kommen Kollegen mit bestimmten Ängsten rung. Klar mag es Menschen geben, die glau- zu uns. Ein Beamter suchte das Gespräch DP: Können Sie messen, wie erfolgreich ben, sie dürften das auch nicht. Es ist aber nach einer Demonstrationslage, weil er das die Gespräche sind, die sie mit den Kol- auch oft die eigene Trägheit. Mehr dienststel- Gefühl hatte, dass es ihm ernsthaft ans Le- leginnen und Kollegen führen? lennahe Angebote könnten da helfen. der gehen könnte. Das hat bei ihm extreme Ameln: Nicht immer. Ich bin davon ab- Ängste ausgelöst, als ihm klar wurde, was hängig, dass die Betroffenen sich melden. DP: Man kann niemanden zwingen … der Polizeidienst tatsächlich bedeutet: Aus- Manchmal tun sie das, zeitverzögert, sogar Ameln: Das entscheidet jeder schon für sich selbst, ob er unsere Angebote wahrnehmen will. Und das respektiere ich, denn es brau- chen nicht alle Polizisten alles. Aber es muss info für alle ein Angebot geben. Nur sobald die- se Angebote verpflichtend sind, löst das bei Menschen das psychologische Konstrukt der Supervision Reaktanz aus. Auf neudeutsch: Sie werden bockig, weil sie sich genötigt fühlen. (lacht) [lateinisch super- über, videre sehen], Be- deutlichen. Seit vielen Jahren ist die Wirk- DP: Was legen Sie den Beamtinnen und ratungsmethoden zur Reflexion von Ar- samkeit von Supervision gut erforscht. Beamten nahe, für ihre psychische Ge- beitsprozessen auf der interpersonellen, Wissenschaftliche Untersuchungen und sundheit zu tun? gruppen-, teammäßigen und organisati- verschiedene Fachverbände haben Eva- Ameln: Polizisten müssen lernen, sich onsbezogenen Ebene. Ein Supervisor re- luationsstudien vorgestellt. Supervision selbst zu reflektieren und eine Hierarchie flektiert die jeweiligen Arbeitsbeziehun- wirkt vor allem auf der persönlichen und der Dringlichkeiten zu entwickeln. Nicht gen mit deren (abwesenden) Klienten; kollegialen Ebene (auch als Burn-out-Vor- alles ist immer gleich dringend. Da muss ebenso Team- und Organisationsprob- beugung). man hartnäckig bleiben. Dazu brauchen leme. Dabei kommt es zu Lernfunktionen wir auch ein Umfeld, das unterstützt: Das wie: reflektieren, unterstützen, konfron- ist gut und richtig. Macht das so! Angefan- tieren, Neues probieren, Grenzen setzen, gen vom Praktikanten, über die Beamten positive Absichten unterstellen, Werte, bis hin zur Führung. Positionen und fachliche Standards ver- Quelle: Dorsch Lexikon der Psychologie DP: Vielen Dank für das Gespräch
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12 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP Innenleben CORONA ALS DIENSTUNFALL Schleswig-Holstein erkennt 23 Anträge von Polizeibeschäftigten an Ein erster Durchbruch im Ringen um die Anerkennung einer Corona-Erkrankung als Dienstunfall bei der Polizei ist gelungen. Dietmar Schilff und Wolfgang Schönwald S chlesw ig-Holsteins Innenminis- ist seit Beginn der Pandemie an diesem The- terin Sabine Sütterlin-Waack teilte ma dran." Ende September mit, dass das Land Nach Aussage aller Länderinnenressort- Schleswig-Holstein bislang 23 in der dor- chefs wollen sie die Anerkennung ebenfalls. tigen Landespolizei bearbeitete Anträge Ablehnung käme hingegen von den Finanz- als Dienstunfall anerkannt habe. Weitere verantwortlichen, wie mehrere Innenminis- elf Anträge seien in Bearbeitung. Auch in ter bei einer Podiumsdiskussion auf dem Eu- Nordrhein-Westfalen habe es schon einige ropäischen Polizeikongress in Berlin kund- Anerkennungen als Dienstunfall gegeben, taten. Hier müssten die Ministerpräsidenten wie die GdP auf dem Europäischen Polizei- endlich von ihrer Richtlinienkompetenz Ge- kongress erfuhr. In Berlin gab es bislang brauch machen, damit die Umsetzung der sechs anerkannte Fälle. hervorragenden Regelung in Schleswig-Hol- Sütterlin-Waack betonte: „Unsere Poli- stein endlich auf alle Polizeibeschäftigten zistinnen und Polizisten können in ihrem übertragen werden könne, so Schilff. Die Po- Dienst nicht immer Abstände und Hygiene- lizeibeschäftigten würden ja nicht vorsätz- regeln einhalten. Deshalb habe ich immer lich krank, sondern setzten ihre Gesundheit gesagt, dass wir uns um an Corona erkrank- und ihr Leben im Dienst für die Bürgerinnen te Polizistinnen und Polizisten kümmern und Bürger sowie für die innere Sicherheit werden. Diese Zusage halten wir selbstver- ein. Da könne man endlich auch die notwen- ständlich ein". dige Fürsorge erwarten und nicht nur war- Dietmar Schilff, stellvertretender Bun- me Dankensworte. desvorsitzender der Gewerkschaft der Po- Unabhängig davon führt die GdP derzeit lizei (GdP), erklärte: „Diese Entscheidung mehrere Musterprozesse und ist auch diesbe- sollte Vorbildcharakter für alle Polizeien in züglich weiter mit der Politik im Austausch. Bund und Ländern haben. Hier wird Wert- Die Kosten für diese Prozesse könne man sich schätzung und notwendige Absicherung bei nach der positiven Entscheidung in Schles- einer Erkrankung ernst genommen. Die GdP wig-Holstein sparen, sagte Schilff. I
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14 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP Vor Ort JUNGE GRUPPE (GdP) Nachtschicht mit B erlin-Mitte, 22:30 Uhr: Die Kriminal- kommissarin Jennifer Otto wartet im Studio des TV-Senders RTL auf den SPD-Kanzlerkandidaten. Scholz betritt das Olaf Scholz Studio. Er streckt ihr die Faust zum Gruß ent- gegen. „Hallo, Olaf Scholz“, sagt er, macht seine Runde um den Tisch und begrüßt die anderen Gäste: eine Rentnerin, eine Land- wirtin, eine Lehrerin und ein Gastwirt. Otto Sechs Tage vor der Bundestagswahl Ende September: Jennifer Otto, sitzt am Kopf des Tisches, in Corona-konfor- Landeschefin JUNGE GRUPPE (GdP) aus Rheinland-Pfalz, sitzt „Am mem Abstand zu ihrer Linken, der Kanzler- kandidat. Schnell noch verkabeln und ein Tisch mit Olaf Scholz“. In der RTL-Sendung stellt sich der SPD- letztes Mal abpudern, dann geht es los. Das Kanzlerkandidat live den Fragen von Bürgerinnen und Bürgern. erste Thema des Abends: Innere Sicherheit. DP war hinter den Kulissen mit dabei. Herr Scholz, wie schützen Danica Bensmail Sie die Polizei? Jennifer Otto fackelt nicht lange, sondern kommt gleich zur Sache. Sie beobachte die zunehmend raue Atmosphäre auf der Straße mit großer Sorge. Die Gesellschaft habe ver- lernt, dass sich in den Uniformen Menschen befänden. „Ich habe auch Eltern, Freunde und am Ende will ich auch nur gesund nach Hause kommen", sagt sie mit Nachdruck in die Kamera. Ihre Frage an den Kanzlerkan- didaten: „Wir schützen die Gesellschaft, wir schützen Politiker:innen. Herr Scholz, wie schützen Sie uns?“ Deutschland brauche Gesetze, die dafür sorgten, dass Angriffe auf Polizisten hart be- straft würden, betont der Sozialdemokrat. Nicht alle Reaktionen auf die Polizei seien angemessen. „Wenn man da die Nerven be- hält, dann kann man schon was, das will ich ausdrücklich dazu sagen.“ Die Gesetze gebe es bereits, widerspricht die Gewerkschafterin, nur müssten die- se im Sinne der Beamtinnen und Beamten entsprechend ausgeschöpft werden. Das sei bislang nur bedingt der Fall, denn: „Ganz oft werden Täter erst Monate später, wenn über- haupt, bestraft.“ Das zu beobachten, sei für viele Kolleginnen und Kollegen frustrierend. Scholz nickt. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn Die Gewerkschafterin legt direkt nach: Foto: GdP/Hagen Immel Hatten viel zu besprechen: SPD-Kanzlerkandidat „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn. Das sollte ein Olaf Scholz und JUNGE GRUPPE (GdP) Landes- Satz sein, der Ihnen geläufig ist“, bemerkt chefin Jennifer Otto aus Rheinland-Pfalz. die Rheinland-Pfälzerin mit einem Lächeln.
„ DP DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 15 Gleiche Arbeit, gleicher Lohn. Das sollte ein Satz sein, der Ihnen geläufig ist. Das passierte nach der Sendung Es wird spät: Die Landesjugendvorsit- zende und der Kanzlerkandidat kommen nach der Sendung (gegen Mitternacht) noch ins Plaudern. „Da haben die im Stu- dio schon angefangen, langsam die Lich- ter auszumachen“, sagt Jennifer und lacht. DP: Und, worum ging’s? Jennifer Otto: „Wir haben ganz offen mit- Die Letzten machen das Licht aus: Nach der einander über die Polizei und den Föde- Foto: GdP/Hagen Immel Sendung diskutierten die Gewerkschafterin ralismus gesprochen. Er meinte, dass es und der Kanzlerkandidat weiter. für ihn dadurch schwerer ist, tätig zu wer- den. Aber er kennt die Themen, die uns beschäftigen. Den Wunsch nach einem „Können Sie da Einfluss nehmen, und wol- nicht einmal Smartphones. Bei einem Ver- bundesweit einheitlichen Polizeigesetz len Sie das tun?“ Keine einfache Frage, denn misstenfall müssten alle Streifen deshalb in beispielsweise.“ schließlich ist die Polizei Sache der Länder. die Dienststelle fahren, um das ausgedruck- Anstatt sich weg zu ducken, versucht te Fahndungsfoto abzuholen. Sprachlosig- DP: Und was noch? sich der Kanzlerkandidat an einer Antwort: keit und Kopfschütteln unter den anderen Otto: „Ich habe ihn gefragt, wie viele Kol- Die SPD fühle sich für das Thema Sicherheit Gästen. legen er zur Sicherheit mit dabeihat. Er verantwortlich. Die Besoldung von Polizei- Auch beim Thema Nachwuchs lässt die meinte nur: Viele. Die begleiten ihn schon beschäftigten müsse in den unterschiedli- Gewerkschafterin nicht locker: Der Perso- morgens beim Joggen. Das spornt ihn an, chen Bundesländern fair geregelt sein, be- nalaufwuchs dürfe nicht auf Bundesebene weil er, sozusagen, seine Trainingspartner tont Scholz. Er wolle, dass Polizistinnen und stoppen. Ja, Polizei sei Sache der Länder, nicht hängen lassen will.“ (lacht) Polizisten gut entlohnt würden. Das sei sein gab die Polizistin zu bedenken. Der Födera- Wunsch, „damit man nicht das Gefühl hat, lismus sei wichtig, aber „das bringt natür- DP: Und wie seid ihr auseinander ge- ich muss das Bundesland wechseln, damit lich Probleme mit sich.“ gangen? ich ordentlich bezahlt werde. Das verstehe 90 Minuten später: Und mit welchem Ge- Otto: Er hat sich stellvertretend bei mir für ich, und dafür setze ich mich auch ein.“ fühl ist die Polizistin aus dem Gespräch ge- die Arbeit der Polizei bedankt. Ich habe gangen? „Ich war froh, dass ich meine The- ihm dann auch ohne Kamera nochmal men alle anbringen konnte“, sagt Otto. „Ich ganz deutlich gesagt, welche Punkte uns Föderalismus hin oder her habe viel positives Feedback bekommen. als GdP wichtig sind, und was sich ändern Am meisten habe ich mich aber über die muss. Er hat gesagt, dass er die Absicht Der Bund solle die Länder auch in Ausstat- Rückmeldung meiner Mutter gefreut. Sie hat hat, für Veränderungen zu sorgen, soweit tungsfragen stärker unterstützen, sagt die gesagt: Ich habe dir angesehen, dass du ner- ihm das möglich ist. I JUNGE-GRUPPE-(GdP)-Vertreterin. Denn: In vös bist, aber du hast es sehr gut gemacht.“ einigen Bundesländern hätten die Beamten Mama hat Recht. Das finden wir auch. I
Clankriminalität Klauen, Kloppen, dicke Klunker: Clankriminalität sorgt medial oft für Integrationspolitik und einem nicht ziel- Fotos: zhu difeng, Marino Bocelli, Maksim Denisenko/stock.adobe.com großes Aufsehen. Wie die Polizei mit vielen Nadelstichen den Clans führenden Umgang staatlicher Behörden mit führenden Figuren und weiteren kri- die Geschäfte erschwert und wie man Aussteiger ermutigen kann, minellen Akteuren aus dem Dunstkreis der erklärt DP-Autor Christoph Gleixner. Clanmilieus. Vergangene Versäumnisse lie- Eine kriminologische Einordnung. ßen Parallelwelten wachsen. Sie stehen der deutschen Mehrheitsgesellschaft konträr ge- genüber, die hiesige Rechtsordnung hat dort keinen Platz und stößt auf Ablehnung. Christoph Gleixner Medienthema Foto: privat Durch eine rege mediale Zurschaustellung I m Sommer haben Niedersachsens In- rechtstreue Bürger wird als Opfer, die deut- clankrimineller Hintergründe erlangt das nenminister Boris Pistorius und Justiz- sche Gesellschaft als Beute und unsere Ge- Thema breitere Öffentlichkeit. Ist diese ge- ministerin Barbara Havliza das erste ge- setze und Regeln als nicht verbindlich be- rechtfertigt? Ja. Zwar fällt die quantitati- meinsame Lagebild von Polizei und Justiz trachtet“, verdeutlichte Bundesinnenminis- ve Anzahl an Tatverdächtigen und Ermitt- zur Clankriminalität in dem Bundesland für ter Horst Seehofer seine Sicht der Dinge in lungsverfahren bei einer Betrachtung des 2020 vorgestellt. Entwickelt wurde es, um einem Presseinterview. Gesamtvolumens krimineller Handlungen die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz kaum ins Gewicht. Sie wirkt jedoch auf das in der Bekämpfung von Clankriminalität Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und for- zu intensivieren. Ein fast zwangsläufiger, Wie konnte es so dert daher die Strafverfolgungsbehörden in sicherlich notwendiger Schritt. weit kommen? höherem Maße. Es ergibt sich ein Missver- Das deutsche Rechtssystem scheint die hältnis zwischen statistischer Präsenz und Täter nicht zu schrecken, ihre Skrupello- Begründet wird das Phänomen im Wesent- der ihnen bei der Bewältigung von Einsät- sigkeit kennt längst keine Grenzen. „Der lichen mit einer zum Scheitern verurteilten zen zu widmenden Aufmerksamkeit.
DP DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 17 de stark umstritten und kann nicht trenn- Geschäftsfelder, darunter das sogenannte Abgeschottet scharf definiert werden. Call-ID-Spoofing – zum Beispiel der betrü- Bei der von Bundesinnenminister Horst gerische „Enkeltrick“, der deutlich überteu- Die clanspezifische Abschot- Seehofer 2019 gegründeten Bund-Länder- erte Einsatz von Schlüsseldiensten oder der tung gewährt ausschließlich Initiative zur Bekämpfung der Clankrimi- – vordergründige – Autohandel. Der dient Familienmitgliedern Zugang. nalität, kurz „BLICK“, wird an einer ein- unter anderem dazu, den Transport von Be- Für die Polizei wird es nahezu heitlichen Begriffsbestimmung gearbeitet. täubungsmitteln zu verschleiern und er- unmöglich, beispielsweise ver- Eine geeignete Begriffsbestimmung muss möglicht den professionellen Verbau von deckt ermittelnde Kolleginnen vor allem die ausschlaggebenden Kriteri- Schmuggelverstecken. und Kollegen in die klandesti- en für eine Clanzugehörigkeit berücksich- Hieraus illegal resultierende Gelder wer- nen Strukturen einzuschleu- tigen. Niemanden darf und sollte nur auf- den möglichst schnell sauber gewaschen. sen. Wie gelangt man also an grund seines Nachnamens ein kriminelles Es werden Immobilien über Strohmänner Kenntnisse über geplante Straf- Handeln unterstellt werden. Pauschalisie- gekauft, Wettbüros aufgesucht oder Laden- taten oder interne Clanstruktu- rungen würden Ressentiments und Stigma- geschäfte wie Shisha-Bars und Frisöre ge- ren. Damit, dass Clanmitglieder tisierungen fördern. nutzt. Erschwerend hinzu kommt das weit vor Gericht gegeneinander aussa- verbreitete „Hawala Banking“. Dabei han- gen, sollte man nicht rechnen. Wer delt es sich um ein Geldtransfersystem, das das tut, dem droht der Ausschluss Konfliktlagen und auf dem gegenseitigen Vertrauen der invol- aus der Familie, verbunden mit ei- Geschäftsfelder vierten Personen basiert. Solche Bankge- ner massiven Gewaltandrohung. schäfte ermöglichen die Einzahlung hoher Zwangsläufig bleiben vertiefte Er- Wenig überraschend nehmen Straftaten ge- Summen, ohne in deutschen Banksystemen kenntnisse über die Clankriminali- gen die persönliche Freiheit und Rohheits- aufzufallen. Das läuft über Mittelsmänner tät im Vergleich zu anderen Erschei- delikte, die sich aus Gewaltstraftaten wie und festgelegte Kennwörter. Die gewünsch- nungsformen der Organisierten Kri- Körperverletzungen oder Raubdelikten zu- ten Beträge können so im Ausland ausge- minalität eher eine Unbekannte. sammensetzen, eine herausragende Positi- zahlt werden, ohne dass es schriftliche Be- Deutlich wird dies bereits bei dem on im Vergleich zu anderen Deliktsformen lege über den Zahlungsverkehr oder Hinwei- Versuch einer einheitlichen Begriffs- ein – rund 40 Prozent nennt das Lagebild se auf Konten gibt. Nach Schätzungen des bestimmung. Denn die ist wichtig, um Vor- Clankriminalität Niedersachsen 2020. Bundesfinanzministeriums werden über würfe eines stigmatisierenden Umgangs mit Neben klassischen Deliktsfeldern wie diese Kanäle jährlich rund 171 Milliarden einer ganzen Personengruppe zu entkräften. dem Drogenhandel betreiben kriminel- Euro bewegt. Schließlich ist der „Clan“-Begriff hierzulan- le Großfamilien zudem weniger verbreitete coex_2021-10-07_080200_765.pdf; s1; (188.00 x 86.00 mm); 07.Oct 2021 12:40:18; PDF-CMYK ab 150dpi für Prinergy; L. N. Schaffrath DruckMedien ANZEIGE Edles Design und nachhaltige Qualität aus Schweden: die Charge Amps Halo 11kW Jetzt exklusiv für GdP-Mitglieder für kurze Zeit nur €950,- * Rabatt-Code: cA20_GdP21 *Rabatt-Code beim Check-Out eingeben www.greenmobility24.de Aktion gültig bis 31.12.2021 – Nicht mit anderen Rabatten kombinierbar
18 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP DP-Autor Christoph Gleixner (22) studiert an der hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV) in Wiesbaden und ist Teil der Sportfördergruppe. Der Polizeikommissars- anwärter hat sich in seiner Bachelorarbeit mit dem Phänomen Download: Interessierte finden die Clankriminalität auseinandergesetzt. Bachelorarbeit in der Online-Ausgabe der November-DP. sein: „Straftaten dürfen sich nicht loh- Die Clans in der Polizei? nen“. Ein bedeutender Grundstein wurde mit dem zum 1. Juli 2017 in Kraft getretenen Beobachtet wird, dass gezielt Flüchtlinge re- Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Ver- krutiert werden. Diese Handlanger dienen mögensabschöpfung gelegt. Es ermöglicht als frisches Personal für eine Expansion der eine schnellere und unkompliziertere Ver- geschäftlichen Tätigkeiten, zum Beispiel zur mögenseinziehung. Ausweitung des Drogengeschäfts. Zu beach- ten ist ebenso das offensichtliche Bestreben der Clans, Polizeibehörden zu infiltrieren. In Aussteigen erleichtern der Vergangenheit sind solche Fälle bekannt geworden. Neben repressiven Instrumenten werden je- Im März wurde der Ausschluss eines doch neue präventive Lösungsansätze not- 23-Jährigen vom Bewerbungsverfahren der wendig sein, darunter die Entwicklung von Berliner Polizei kontrovers diskutiert. Die- Aussteigerprogrammen. Die große Heraus- sem wurde seitens des zuständigen Lan- forderung wird es sein, entsprechende An- deskriminalamtes eine „große räumliche, reize zu schaffen. Wie will man schließlich freundschaftliche und verwandtschaftli- einem Clanmitglied das Angebot machen, che Nähe zu kriminalitätsbelasteten Mili- seiner Familie, die ihm Schutz bietet, den eus“ unterstellt. Um die freiheitlich-demo- Rücken zu kehren. Zudem würde in vielen kratische Grundhaltung der Polizei auch in Fällen ein meist luxuriöser Lebensstil auf- der Folge zu wahren, sollte es daher im Inter- gegeben werden müssen. Im Raum steht esse der Länder liegen, die Einstellungstests auch, einer regulären Arbeit nachzugehen. für kriminelle Clanmitglieder so undurch- Hat die Person keine abgeschlossene Aus- lässig wie möglich zu gestalten. bildung, bedeutet dies das erneute Drücken In den vergangenen Jahren wurden von der Schulbank. Die Alternative sind sozial- den Ländern verschiedene Lösungskonzep- staatliche Unterstützungen. te erarbeitet. Das Polizeipräsidium Essen, das die meisten Straftaten im Zusammen- Bachelorarbeit: hang mit Clankriminalität in Nordrhein- „Hysterie oder reale Bedrohung, Wen ansprechen? Westfalen bearbeitet (12,8 Prozent – Lage- eine kriminologische Einordnung bild Clankriminalität NRW 2020), stellte im des Phänomens Clankriminalität Die Zielgruppe umfasst junge Männer und in Deutschland“ Dezember 2018 seinen „Aktionsplan Clan“ Frauen. Männer, da sie durch den patriar- vor. Dieser ist in Form einer BAO (Besonde- chalischen Familienaufbau im Vergleich re Aufbauorganisation) gestaltet, die die Be- zu den älteren Männern weniger stark in kämpfung der Clankriminalität in den kom- die Clanaktivitäten involviert und somit für menden Jahren in verschiedene Einsatzab- Integrationsprogramme grundsätzlich zu- schnitte unterteilt. gänglicher sind. Frauen, weil sie innerhalb der Großfamilien eine elementare Rolle ein- nehmen. Schließlich basiert das gesamte Abgestimmte Schritte System der Clans auf einer hohen Gebur- bringt die behördenübergreifende Zusam- tenrate. Sollte es also gelingen, die Frauen Um Clankriminalität auf Sicht erfolgreich menarbeit von Polizei, Justiz, Ordnungsamt, aus den engen Strukturen zu lösen, würde zu bekämpfen, muss es das Ziel der Verfol- Finanzamt und Zoll staatliche Souveränität das System früher oder später an Macht ver- gungsbehörden sein, möglichst viele Infor- zum Ausdruck und hilft neue Erkenntnisse lieren. Die staatlichen Maßnahmen müssen mationen über die Familienstrukturen und über die Geschäftsfelder und Tatbegehun- schließlich die Kraft haben, kriminelle Clan- deren Aktionsfelder zu erlangen. Großange- gen der Clans zu erlangen. mitglieder zur Einhaltung geltender Rechts- legte Verbundkontrollen, wie sie vor allem normen zu bewegen. in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wer- Es ist ein dringliches Problem und längst den, können sich als sehr nützlich erweisen. Klares polizeiliches Leitbild keine Hysterie. Clankriminalität ist bereits Diese basieren auf einer „Null-Toleranz-Po- heute eine reale Bedrohung für unsere Ge- litik“, wobei bereits kleinste Vergehen im In einem zweiten Schritt sollten auf Grund- sellschaft, den Staat und den Rechtsfrieden. Bereich des Möglichen unter Strafe gestellt lage gewonnener Erkenntnisse weitere Be- Sie gefährdet das allgemeine Sicherheitsge- werden sollen. Auch wenn der enorme Per- kämpfungskonzepte erarbeitet werden, die fühl in der Bevölkerung und die Autorität des sonalaufwand im Vergleich zu den festge- sowohl einen repressiven als auch präven- Staates. Dem müssen die Sicherheitsbehör- stellten Straftaten häufig kritisiert wird, tiven Ansatz verfolgen. Das Leitbild muss den mit großer Konsequenz entgegentreten. I
DP DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 ANZEIGE Im Gespräch Foto: Animaflora PicsStock/stock.adobe.com CLANKRIMINALITÄT „Der Staat ist stark“ Essen: Die Großstadt im Zentrum des Ruhrgebietes spielt auch eine zentrale Rolle beim Thema Clankriminalität. Ein Gespräch mit dem dortigen Polizeipräsidenten Frank Richter über No-Go- Areas, Dominanzgehabe und die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen kriminelle Großfamilien. Michael Zielasko DP: Welche drei größten Erfolge ver- dass unsere Maßnahmen greifen. Unter dem Ein Bier für die Heimfahrt? zeichnet die Polizei Essen im Kampf ge- Strich hat sich das Stadtbild zum Positiven gen kriminelle Großfamilien? gewandelt. Frank Richter: Ich möchte lieber über po- sitive Entwicklungen sprechen als über Er- DP: Mit welchen Partnern hat die Polizei folge. Zum ersten über das Sicherheitsge- Essen gearbeitet? Now you can. fühl der Bevölkerung, die in den von Clans Richter: Es gab eine enge Zusammenarbeit frequentierten Stadtteilen lebt. Als wir mit vor allem mit der Stadt. Allerdings eher im unseren Aktivitäten gegen die Großfami- zweiten Schritt. Begonnen haben wir allein Heineken 0.0. lien begannen, bestand ein sehr großes Be- mit polizeilichen Maßnahmen. Das gilt auch Voller Geschmack. schwerde- und Anzeigeaufkommen. Jetzt er- für sogenannte Tumultlagen. leben wir einen enormen Rückgang. Früher Null Alkohol. ging es um das Parken in der dritten Reihe, DP: Die zweite positive Entwicklung? das Angepöbelt werden. Wir haben dies auf Richter: Genau. Fast wöchentlich hatten ein großstädtisch-normales Maß zurück- wir solche Lagen. Da wurde eine Streifen- fahren können. Beschwerden erreichten wagenbesatzung zum Beispiel zu einer Ver- uns auch von der Kaufmannschaft. Kunden kehrsbehinderung gerufen. Die notwendi- waren belästigt worden und mieden in der gen polizeilichen Maßnahmen konnten wir Folge die Geschäfte. Hintergrund waren vor jedoch oft nur mit der Unterstützung einer allem Jugendgruppen, die durch ihr offen- Gruppe oder eines Zuges der Bereitschafts- sives Verhalten deutlich machen wollten, ih- polizei umsetzen. Die Großfamilien haben nen gehöre die Straße. Auch an dieser Stel- ihren vermeintlichen Gebietsanspruch in le konnten wir viel erreichen und erkennen, der Stadt nach außen hin aggressiv darge-
„ 20 DEUTSCHE POLIZEI 11/2021 DP Die Kollegenschaft will nicht, DP-Gesprächspartner Frank Richter ist Essener dass ihre Stadt in einem Sumpf Polizeipräsident. aus Kriminalität versinkt. Foto: privat stellt. Einfach gesagt: Das ist unsere Stra- hen hinter unserer Herangehensweise. Wäre DP: Wie läuft die behörden- beziehungs- ße, hier haben wir zu sagen, haut ab. Mei- dem nicht so, könnte ich noch so viele Käst- weise länderübergreifende Zusammen- ne Kolleginnen und Kollegen waren dort chen-Konzepte aufmalen, es würde nichts arbeit? teils von 50 bis 60 oftmals sehr massiv auf- passieren. Die Kollegenschaft will nicht, Richter: In Essen funktioniert die Koope- tretenden Personen umringt. Es blieb nicht dass ihre Stadt in einem Sumpf aus Krimina- ration mit dem Zoll, der Steuerfahndung, nur bei verbalen Äußerungen, da wurde ge- lität versinkt. Ich spüre und erlebe ihr hohes der Bezirksregierung, der Bundespolizei schubst, gespuckt, getreten, geschlagen. Engagement – nicht nur bei Einsätzen, son- und vor allem den Kommunen ausgezeich- Tumultlagen verzeichnen wir heutzuta- dern auch im Streifendienst. Und das bleibt net und reibungslos. Und die Zusammenar- ge mit nahezu null. Das Einsatzgeschehen den Bürgerinnen und Bürgern nicht verbor- beit mit der Staatsanwaltschaft ist die Ba- hat sich enorm gewandelt. Wir führen die- gen und wird spürbar anerkannt. sis unseres erfolgreichen Ansatzes. Ich be- se Entwicklung darauf zurück, dass wir nie- tone noch einmal: Wenn jede der Behörden derschwellig und konsequent eingeschritten DP: Entspricht die Medienaufmerksam- seine Handlungsfelder beackert, ohne in sind. Öffentlich wurde häufiger im Zusam- keit für arabische Clans auch der tatsäch- die Kompetenzen der anderen einzugreifen, menhang mit der Clankriminalität von No- lichen Intensität der Ermittlungsarbeit? dann zeigt sich der Staat von seiner stärks- Go-Areas gesprochen, übrigens ein Begriff, Richter: Essen ist neben Bremen und Berlin ten Seite. dem ich kritisch gegenüberstehe, aber be- ein Hotspot der Clankriminalität. Da ist es zieht man sich darauf, behaupte ich, dass es klar, dass die Medien berichten. Und in un- DP: Wie funktioniert es über die Stadt- solche Lokalitäten in Essen nicht gibt. terhaltenden Serien ist sie auch ein Thema. grenzen hinaus? Womöglich wird sie dort jedoch etwas zu Richter: Mit Bremen und Berlin stellt über- DP: Fehlt noch der dritte Punkt. verherrlichend dargestellt. Es ist auf jeden wiegend das Landeskriminalamt die Verbin- Richter: Wo wir Bandenkriminalität, Kör- Fall gut, dass Medien ausführlich über Zu- dung her. Mir ist besonders der Austausch perverletzungsdelikte und den gewerbsmä- sammenhänge aufklären und sie einordnen, der Praktiker wichtig. Wir freuen uns also ßigen Handel mit Betäubungsmitteln fest- ob zu viel oder zu wenig möchte ich nicht über Besuch aus der Hauptstadt oder von der stellten, haben wir mittlerweile relativ hohe abschließend beurteilen. Entscheidend ist, Weser. Die Kolleginnen und Kollegen schau- Haftstrafen bei Widerstandsdelikten oder dass sie sehen, dass wir etwas tun. en sich unsere Modelle an, und wir reflektie- gefährlicher Körperverletzung erreicht. Das ren anhand deren Erfahrungen, wo wir bes- heißt, dass wir uns auch um die Beweissi- DP: Haben die arabisch-stämmigen Fami- ser werden können. Es ist ja nicht nötig, das cherung gekümmert haben. Es wäre grund- lien Konkurrenz in ihren kriminellen Ge- Rad immer wieder neu zu erfinden. falsch zu behaupten, dass bei solchen Ver- schäftsfeldern? Mit Schweden verbindet uns übrigens fahren nichts herauskommt. Nicht zuletzt Richter: Es handelt sich um lukrative Berei- auch ein sehr enger Austausch. Vielen ist sitzen die Staatsanwaltschaften im gleichen che der organisierten und der Bandenkri- nicht bekannt, dass in den Vorstädten von Boot. Potenzielle Täter wissen also mittler- minalität, vom Sozialhilfebetrug bis hin zu Malmö und Stockholm gravierende Proble- weile genau, dass sie mit empfindlichen schwersten Straftaten. Natürlich schauen da me mit kriminellen Großfamilien bestehen. Strafen rechnen müssen. auch andere drauf und fragen sich, warum Die erste Frage der schwedischen Gäste war, man diesen Gruppen die kriminellen Ver- wie viele Langwaffenangriffe wir pro Woche DP: Bekannt ist, dass Großfamilien ver- dienstmöglichkeiten allein überlassen soll. haben? Schweden ist also nicht nur Buller- suchen, Druck auf Gerichtsverfahren bü, da geht es um Schießereien, um Angrif- auszuüben. DP: Ist der Einfluss tschetschenischer fe mit Handgranaten … Richter: Das haben sie in Essen auch getan. Akteure feststellbar? Wir mussten den Schutz der Gerichte teils Richter: Die handelnden Personen unter- DP: Auch auf die Polizei? deutlich erhöhen. In der Folge haben wir das scheiden sich regional. Entscheidend ist, Richter: Ja, es betrifft das gesamte Gesche- mit klarer Kante in den Griff bekommen. Wer wo sie sich niedergelassen haben. In Es- hen. Auf alle, die die Kreise stören, und un- behauptet, der Staat ist nicht stark, hat Un- sen sind es hauptsächlich arabisch-stäm- tereinander. Am schwedischen Beispiel recht. Natürlich ist die Clankriminalität jetzt mige Familien aus der Türkei. Unter diesen kann man gut erkennen, was passiert, wenn nicht verschwunden, aber wir haben die ers- gibt es Auseinandersetzungen, wo die Ge- man ein Problem zu lange ignoriert. Das soll ten Schritte erfolgreich hinter uns gebracht. schäftsfelder nicht klar aufgeteilt sind. Be- kein Vorwurf sein, schließlich handelt es Und es geht weiter. Zum Beispiel auch bei ginnend mit der Flüchtlingskrise stießen sich um politische Fragen. Auch Niederlän- Verfahren der Organisierten Kriminalität, Menschen aus Syrien und dem Irak, teils der und Spanier erkundigen sich über unse- bei denen wir auch mit nationalen und inter- mit gleichen Wurzeln, dazu. Deren Haltung re Vorgehensweise. Je breiter der praktische nationalen Partnern in Verbindung stehen. ist sicher: Was die können, können wir be- Austausch, je besser. stimmt auch. Zu Beginn waren diese Perso- DP: Die Bekämpfung dieser Kriminali- nen noch als Läufer im Drogengeschäft ein- DP: Vielen Dank für das Gespräch. tätsformen ist offensichtlich bei der Po- gesetzt, heute schließe ich nicht aus, dass lizei Essen angekommen. sie das Geschäft übernehmen wollen. Wir Richter: Das ist für mich ein zentraler haben jedenfalls ein Auge drauf, auch auf Punkt. Meine Kolleginnen und Kollegen ste- potenzielle neue Mitspieler.
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