Blätter des Schwäbischen Albvereins 1/2014 - Schwaben-Kultur
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Mundartfestival 2014 11. April 2014 • 19 Uhr Silchersaal der Liederhalle Stuttgart Berliner Platz 1 – 3 Abradradra Bitterwolf Kuball Kennen Sie Oma Paula? Kennen Sie Karl Napf? Kennen Sie Abradradra? Nein? Dann wird es höchste Zeit! Mit Sicherheit! Dann buchstabieren Sie doch mal! Paula Renz stammt vom Bussen und Karl Napf schaut der schwäbischen Seele Abradradra ist Musik aus Stuttgart mit ei- bringt mit ihrem Riesenfundus an Witzen aufs Maul und ist allseits bekannt mit ner farbigen Mischung aus Jazz, Rock und ganze Säle zum Johlen. seinen heiteren Anekdoten. Folk mit südamerikanischen Anklängen. Paula Renz, im Oktober 1933 in Ut- Karl Napf – bürgerlich Ralf Jandl – ist Seit zwanzig Jahren spielen BB (Billy Buch- tenweiler-Ahlen geboren und in einer 1942 geboren und in Vaihingen an der Enz wald) und GB (Gerhard Bader) zusammen Großfamilie mit sieben Geschwistern aufgewachsen. Fünf Jahre diente er im mit dem Multi-Instrumentalisten Ulinero und Großeltern aufgewachsen, hat neben Staatsministerium und 22 in der Kunstab- (Ulrich Schwarz) in der Dreier-Formation der Arbeit in ihrer kleinen Landwirtschaft teilung des Wissenschaftsministeriums in von Abradradra. Ihr Repertoire umfasst sechs Kinder großgezogen. Seit 1947 singt Stuttgart. Früh meldete sich der kompen- vorwiegend eigene Stücke, die von Billy sie im Ahlener Kirchenchor, und seit vielen satorische Hang zum Schreiben. Karl Napf komponiert und getextet werden. Hier Jahren bringt sie als oberschwäbisches hat bisher vierzehn Bücher veröffentlicht. wechseln sich jazzige Improvisationen ab Original »Oma Paula« mit ihren urko- Darunter so beliebte wie »Der Schwabe mit Songs, deren Texte zeitkritisch, aber mischen Auftritten die Menschen zum als solcher« und »Brauchet Sie’s glei?« auch humorvoll, unseren Alltag, Natur und Lachen. Oft steht sie zusammen mit Barny Der Autor lebt als Ministerialrat im Ruhe- Umwelt, Esskultur und unser Freizeitver- Bitterwolf auf der Bühne oder mit ande- stand mit seiner Frau in Nordstetten bei halten unter die Lupe nehmen. Gereimtes ren Mitgliedern der oberschwäbischen Horb am Neckar und erfreut ein großes und Ungereimtes, immer intelligent und »Schwobakäpsele«. Publikum mit seinen Auftritten. hörenswert – und oftmals schwäbisch. Eintritt 10 Euro, ermäßigt für Schüler, Studenten und Auszubildende 5 Euro • Kartenreservierung Telefon 07 11 / 2 25 85-10 Saalöffnung 18 Uhr • Eine Veranstaltung des Schwäbischen Albvereins und des Silberburg-Verlags
Blätter des Schwäbischen Albvereins 1/2014 • 120. Jahrgang Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß Roland Herdtfelder Jahresbericht des Vom Panzergelände zum Naturschutzgebiet Albvereins-Präsidenten 4 und Umweltbildungszentrum Der Listhof 22 Landesfest 2014 in Reutlingen Einladung und Programm 6 Dr. Barbara Karwatzki Entdecken, Staunen und Genießen Liebe Mitglieder und Freunde des Helmut Hecht Das Naturkundemuseum Reutlingen 24 Schwäbischen Albvereins! Ein Blick in die Stadtgeschichte Reutlingen, einst eine Freie Reichsstadt 9 Helmut Hecht In Reutlingen findet das diesjährige Drei Berge – drei Entstehungsgeschichten Landesfest des Schwäbischen Albvereins Achalm – Georgenberg – Alte Burg 25 statt. Hierzu lade ich Sie recht herzlich ein! Der Lichtensteingau und unsere Fachbereiche Thomas Keck haben ein buntes Fest für Sie vorbereitet, das Der Lichtensteingau stellt sich vor 26 vieles bietet für Groß und Klein. Reutlinger Traditionen Fahnen, Jubiläum Eva Bissinger M. A. Die Stadt Reutlingen wird in diesem Heft und eine Rekonstruktion 13 Museum Im Dorf Betzingen 27 vorgestellt mit ihrer Geschichte, ihren Traditionen und ihren Sehenswürdigkeiten. MundartDichtung – heute 28 Besuchen Sie die Kernstadt der ehemaligen Freien Reichsstadt und ihre Museen während Gunter Haug unseres Festwochenendes, schauen Sie, was Abenteuer Landesgeschichte 29 unsere Volkstänzer und Fahnenschwinger zu Eva Bissinger M. A. bieten haben, gehen Sie mit Ihrer Familie auf 700 Jahre Stadtgeschichte und Kurt Heinz Lessig Tour oder auf eine Gesundheitswanderung. Stadtkultur unter einem Dach Unsere kleine Tierkunde 30 Lernen Sie Reutlingen und Umgebung auf Heimatmuseum Reutlingen 16 den Wanderungen und Exkursionen während Forum 30 des Landesfests kennen! Glückliche Gewinner – Die Mitglieder und Freunde des Schwäbischen Weihnachtspreisrätsel für Kinder 32 Albvereins lade ich hiermit herzlich zur Hauptversammlung des Schwäbischen Ursula Rauscher Kinderseite – der Rabe erzählt 33 Albvereins ein am Sonntag, 1. Juni 2014, Wandertouren in den Reutlinger Ortsteilen 10 Uhr, in die Stadthalle Reutlingen. Reutlingen, ein Wanderparadies 18 Schwäbische Albvereinsjugend 34 Das Programm des Landesfests des Aus den Fachbereichen 35 Schwäbischen Albvereins finden Sie ab Seite 6. Aktuelles finden Sie auf unseren Schwäbischer Albverein – Aktiv 46 Internetseiten albverein.net und in unserem monatlichen kostenlosen Newsletter Dr. Herbert Eichhorn Schwäbischer Albverein – Intern 53 »Albverein aktuell«, den Sie über unsere Das Haus für den Holzschnitt der Moderne Internetseite abonnieren können. Städtisches Kunstmuseum Neue Bücher & Karten 57 Spendhaus Reutlingen 20 Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß Präsident des Schwäbischen Albvereins Titelbild: Den Marktbrunnen (1570) krönt eine Skulptur Kaiser Maximilians II. (1527 – 1576). Dahinter liegt der Spitalhof, der im 13. Jahrhundert errichtet wurde. Foto: Thomas Pfündel
Hans Georg Zimmermann Uli Hempel Jahresbericht des Albvereins-Präsidenten 2013 Ein tolles Jubiläumsjahr liegt hinter uns. Wir ha- Albvereins-Präsident Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß überreichte Ministerpräsident Winfried ben in unseren Ortsgruppen und Gauen »125 Jahre Kretschmann beim Festakt »125 Jahre Schwäbischer Albverein« im Weißen Saal des Schwäbischer Albverein« gefeiert. Der Gesamtver- Neuen Schlosses in Stuttgart das erste Exemplar des Jubiläumsbuchs (links). ein hat Mitglieder und Freunde zu zentralen Groß- Am Gründungstag, 13. August, besuchte eine Abordnung des Schwäbischen Albvereins veranstaltungen eingeladen. Pressekonferenzen, die Gräber der Vereinsgründer Dr. Salzmann und Ernst Camerer auf dem Eberhalden- mehr als 40 Pressemitteilungen und Fernsehbe- friedhof in Esslingen. Das Bild entstand am Grab von Dr. Valentin Salzmann (rechts). richte in der Landesschau des SWR haben über die vielen erfolgreichen Aktivitäten des Schwäbischen Albvereins und seiner Mitglieder berichtet. erst zu einer Bewusstmachung des einzigartigen Landschafts- und Kul- Unsere Kulturtreibenden begannen den Jubilä- turraums »Schwäbische Alb« gekommen. umsreigen. Im Ulmer Stadthaus haben ein Projekt- Einen Monat später traf sich die große Vereinsfamilie am Gründungsort chor und die Volkstanzmusik Frommern einen zum Landesfest. Der Vorstand wurde bis auf Annimarie Hirschbach und Querschnitt der Kultur aus der Region vorgestellt. Dieter Stark für weitere vier Jahre gewählt. Beide verzichteten auf eine Manfred Stingel referierte über die Aufgaben des erneute Kandidatur. Für ihre sehr erfolgreiche Mitarbeit im Albverein Albvereins unter dem Thema: Wohin des Wegs, wurden sie zu Ehrenmitgliedern des Gesamtvereins ernannt. Neu ge- Schwäbischer Albverein? Vor dem Münster stell- wählt wurden Tanja Waidmann und Rolf Kesenheimer. ten 388 Tänzer um acht Maibäume einen neuen Um das schöne historische Rathaus wurde musiziert und getanzt. Ver- Guinness-Weltrekord in der Kategorie »Die meis- schiedene Ausstellungen und Stände informierten die zahlreichen Mit- ten Maibaum-Tanzenden Menschen« auf. glieder und Gäste über die Arbeit des Albvereins. Vereinseigene Volks- Anfang Mai feierten wir einen Festakt im Stuttgar- tanzgruppen und Gruppen aus der Ukraine, aus Frankreich und aus den ter Neuen Schloss. Einheimische und ausländische Niederlanden verzauberten die Innenstadt. Volkstanzgruppen sowie unsere Musiker aus From- In der Hauptversammlung erklärte Landrat Heinz Eininger: »125 Jahre mern sorgten für die künstlerische Umrahmung sind eine lange Zeit, in der sich der Schwäbische Albverein nicht nur be- der Feier. Ministerpräsident Winfried Kretsch- währt hat, sondern kontinuierlich weiter entwickelt hat.« Landtagsprä- mann lobte in seiner kurzweiligen Ansprache die sident Guido Wolf stellte in einer brillanten und humorvollen Festrede Arbeit des Schwäbischen Albvereins, insbesondere fest, dass die Schwäbische Alb Karriere gemacht hat, die sie dem Albver- die Wege- und Beschilderungsarbeit, den Natur- ein zu verdanken hat. Unter großem Beifall definierte er: »Wandern ist schutz, die Kulturarbeit, die Jugend- und Familien- beten mit den Füßen.« arbeit. Darüber hinaus sprach er sich auch für eine Während des Landesfestes konnten sich alle von der Aussage des Plo- verstärkte Wiederbelebung des Schulwanderns aus. chinger Bürgermeisters Frank Buß überzeugen, wie sehr die Stadt mit Der Freiburger Prof. Dr. Werner Mezger begeis- dem Schwäbischen Albverein verbunden ist. An dieser Stelle möchte terte mit einem bemerkenswerten Festvortrag. Er ich einen Dank an Herrn Bürgermeister Buß, Frau Martin, Stadt Plo- stellte fest, dass die größte Leistung des Schwäbi- chingen, Ulrich Hempel mit dem Esslinger Gau und Dieter Weiss mit schen Albvereins die Erfindung der Schwäbischen der Ortsgruppe Plochingen aussprechen. Unsere Naturschutzarbeit er- Alb ist. Er führte aus, durch den Albverein sei es hielt wiederum eine öffentliche Anerkennung. Die seit 2003 jährlich 4 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Günter Heiligenmann Uli Hempel Das neu gewählte Präsidium (v. re. Reinhard Wolf, Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß, Hansjörg Am 22. September wurde das Jubiläum »100 Jahre Schönherr) bei der Ausgabe der Wimpelbänder, mit Herbert Reinelt, Deutscher Wan- Wanderheim Roßberg / Roßbergturm« gefeiert. derverband (links) und Werner Breuninger, Naturschutzreferent (hinten links). durchgeführten Blumenwiesenfeste wurden mit Im Herbst konnten wir die neue Beschilderung und überarbeitete Wege- dem Landesnaturschutzpreis der Stiftung Natur- konzeption des Gustav-Ströhmfeld-Wegs einweihen. Bereits 1940 wurde schutzfonds Baden-Württemberg gewürdigt. Unter der Weg zu Ehren des ehemaligen Schatzmeisters unseres Vereins an- der Leitung des ehemaligen Vizepräsidenten Prof. gelegt. Ströhmfeld hat die Grundsätze des Wegebaus und der Wegebe- Dr. Theo Müller wurden Exkursionen auf unsere zeichnung geschaffen. 30 Jahre später wurde der Weg als geologischer Blumenwiesen durchgeführt. Seit einigen Jahren Lehrpfad ausgestattet. In den letzten beiden Jahren haben viele fleißige werden zusätzlich umweltpädagogische Begleit- Hände gauübergreifend den Weg erneuert. In den nächsten Jahren wer- programme für Kinder angeboten. Hier können den die Informationstafeln vervollständigt. Dieser einzigartige Weg gibt Kinder Pflanzen und Tiere anfassen. Spielerisch einen lehrhaften Aufschluss über die geologische Landschaftsgeschichte. lernen Kinder Pflanzen und Tiere kennen. Blu- Meinen anlässlich der Einweihung geäußerten Wunsch wiederhole ich menwiesenfeste sind sehr gut geeignet als Veran- gerne jeder Zeit: Jede Schulklasse in Baden-Württemberg möge einmal staltungen für Familiengruppen. diesen Weg im Rahmen einer Schulwanderung begehen. In Pfullingen feierten wir das 25-jährige Bestehen Der Schwäbische Albverein kann auf eine 125-jährige Tradition zurück des Trachten- und Mühlenmuseums. Von Bürger- blicken. Mir war es letztes Jahr wichtig, nicht nur in Erinnerungen zu meister Rudolf Heß und von unserem ehemaligen schwelgen, sondern das Jubiläum als Start in eine gute Zukunft zu nut- Vizepräsident Günther Hecht erfuhren wir viel In- zen. Dazu gab es sowohl einige Erneuerungen als auch Sanierungen teressantes über die Anfänge und die Entwicklung zentraler Einrichtungen: neuer Internetauftritt, neue Naturschutzkon- dieses einzigartigen Museums. Die Feier wurde zeption, Sanierung der Hauptgeschäftsstelle und Sanierung der Fuchs- durch einen fundierten Festvortrag von der Leite- farm. Gesundheitswanderungen wurden als Schnupperkurse angeboten. rin des Museums Dorothea Brenner bereichert. Ständig werden Gesundheitswanderführer ausgebildet. Die Nachfrage Am 13. August, dem Gründungstag unseres Vereins, nach diesem neuen Angebot nimmt zu. Diese Wanderungen sind für besuchte ich mit einer Schar Wanderfreundinnen Gesunde gedacht. Durch eine wissenschaftliche Studie an der Martin- und Wanderfreunden das Grab unseres Gründers Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde belegt, dass Wandern kom- und ersten Vorsitzenden Dr. Valentin Salzmann biniert mit speziellen physiotherapeutischen Übungen einen positiven und das Grab seines Nachfolgers Ernst Camerer. Effekt auf den Körper bewirkt. Für die Ortsgruppen besteht hier die Im Laufe der folgenden Monate war ich noch an Möglichkeit, neue Mitglieder gewinnen zu können. den Gräbern von Prof. Eugen Nägele, Dr. Georg Meinen Bericht für das Jubiläumsjahr beende ich mit einem herzlichen Fahrbach, Prof. Peter Goeßler und Prof. Helmut Dank an alle Mitglieder für ihre Treue, an alle ehren- und hauptamt- Schönnamsgruber. Mit Blumenbouquets habe ich lichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im gesamten Schwäbischen den Respekt und den Dank für die großartigen Albverein. Mein Dank schließt auch alle Spender, Freunde und Förderer und erfolgreichen Leistungen meiner Vorgänger mit ein. zum Ausdruck gebracht. Meinem unmittelbaren Vorgänger und unserem sehr geschätzte Ehrenprä- sident Peter Stoll habe ich kurz vor Weihnachten Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß persönlich herzliche Weihnachtsgrüße überbracht. Präsident des Schwäbischen Albvereins Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 5
Jahreshauptversammlung des Schwäbischen Albvereins e. V. Landesfest 2014 am 31. 5. & 1. 6. in Reutlingen Kennen Sie eine Großstadt, die Teil eines Biosphärengebiets An Einrichtungen, die sich mit der heimischen Natur und ist? Es gibt nur zwei solcher Städte: Wien – und Reutlingen! Kultur beschäftigen, fehlt es in Reutlingen nicht. Im Um- Urbanität in unmittelbarer Nähe zu einer einzigartigen Na- weltbildungszentrum Listhof haben Kinder und Jugendliche turlandschaft – das zeichnet Reutlingen besonders aus. Die tolle Möglichkeiten, mit Tieren und Pflanzen unserer Hei- beiden Hausberge, die Achalm und der Georgenberg, bieten mat vertraut zu werden und über den Naturschutz zu ler- der Stadt nicht nur eine wunderbare Kulisse, sondern auch nen. Die drei städtischen Museen, die sich alle in restaurier- Spazier- und Wandermöglichkeiten von der Haustüre weg. ten, historischen Gebäuden in der Altstadt befinden, bieten Und die »Reutlinger Alb«, die mit ihrem steil abfallenden auf hohem Niveau Dauer-und Wechselausstellungen an: das Albtrauf und mit ihren Aussichtsbergen wie Roßberg, Stern- Naturkundemuseum, das Heimatmuseum mit seiner Außen- berg und Augstberg das Kerngebiet des Lichtensteingaus im stelle, dem Museum »Im Dorf« Betzingen, und das Kunstmu- Schwäbischen Albverein darstellt, ist in wenigen Minuten zu seum Spendhaus. Letzteres beherbergt einen großen Schatz erreichen. Es hat daher durchaus seine Berechtigung, wenn der Werke des Holzschneiders HAP Grieshaber, der an der Reutlingen auch »das Tor zur Schwäbischen Alb« genannt Achalm zu Hause war. wird! Lernen Sie die moderne und gleichzeitig alte freie Reichsstadt Wir freuen uns, dass 2014 das große Landesfest des Schwäbi- in all ihren Facetten kennen. Wenn Sie mögen, zwängen Sie schen Albvereins hier in Reutlingen, am Fuße der (namens- sich durch die Spreuerhofstraße, die es als »engste Straße der gebenden!) Schwäbischen Alb stattfindet und heißen alle Welt« in das Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat, oder Besucher schon heute ganz herzlich in der Achalmstadt will- etwas bequemer: Flanieren Sie auf der Wilhelmstraße durch kommen! die historische Altstadt. Auf keinen Fall dürfen Sie versäumen, Attraktiv sind Reutlingen und die nahe »Reutlinger Alb« für eines der schönsten Zeugnisse mittelalterlicher Stadtkirchen- Touristen und Einheimische gleichermaßen. Die Wanderfreu- architektur zu besuchen: die gotische Marienkirche mit dem digkeit und Naturbegeisterung der Reutlinger finden ihren goldenen Engel auf der Turmspitze! Ausdruck in der Tatsache, dass es fast in sämtlichen Bezirks- Kommen Sie mit Neugier und Vorfreude zum Landesfest gemeinden sowie in der Kernstadt jeweils eine eigene Orts- des Schwäbischen Albvereins nach Reutlingen am Fuße der gruppe des Schwäbischen Albvereins gibt. So hat Reutlingen Schwäbischen Alb. Eine vielfältige Stadt und ein buntes Pro- insgesamt 11 Ortsgruppen mit ca. 3.500 Mitgliedern, diese ge- gramm erwarten Sie. hören zum Lichtensteingau, zu dem wiederum 35 Ortsgrup- pen mit insgesamt 9.600 Mitgliedern zählen. Wir freuen uns auf viele Besucher! Barbara Bosch Dr. Hans-Ulrich Rauchfuß Thomas Keck Oberbürgermeisterin der Stadt Reutlingen Präsident des Schwäbischen Albvereins Vorsitzender des Lichtensteingaus Programm am Samstag, 31. Mai Programm am Sonntag, 1. Juni 10.00 Uhr Öffnung der Infostände auf dem Marktplatz 08.00 Uhr Ökumenischer Gottesdienst im Chor der Marienkirche 11.00 Uhr Musik & Tanz auf dem Marktplatz, im Spitalhof und vor 09.00 Uhr Start der Wanderungen W2, W3 und W8 dem Tübinger Tor • Spielstraße der Schwäbischen Albvereinsjugend 10.00 Uhr Start der Stadtführungen und Wanderungen W4, W5 & W6 und der Familien hinter dem Rathaus • Wandern und Gesundheit, Öffnung der Infostände auf dem Marktplatz • Spielstraße der Schwä- Vortrag im Festsaal des Spitalhofs bischen Albvereinsjugend und der Familien hinter dem Rathaus 14.00 Uhr Start der Wanderungen W1, W2, W3, W4, W6, W8 und W9 10.00 Uhr Hauptversammlung des Schwäbischen Albvereins e. V. – Treffpunkt Tübinger Tor in der Stadthalle mit Grußworten und Ansprache des Vertreters der 14.30 Uhr Konzert der Musikgruppen im Festsaal des Spitalhofs Landesregierung Baden-Württemberg, Bericht des Präsidenten des Schwäbischen Albvereins und des Hauptjugendwarts der 15.00 Uhr Start der Stadtführungen W5 und der Wanderung W7 – Schwäbischen Albvereinsjugend, Abrechnung 2013 mit Berichten der Treffpunkt Tübinger Tor Wanderführer-Stammtisch, Vereinsstube Rechnungsprüfer, Vorstellung des Haushaltsplans 2014, Ehrungen der OG Reutlingen, Jos-Weiss-Straße 8 / 2 (an der Stadtmauer) 11.00 Uhr Musik & Tanz auf dem Marktplatz • Start der Wanderung 19.00 Uhr Begrüßungsabend, Matthäus-Alber-Haus W7 • Öffnung der Museen 19.30 Uhr Danzfescht auf dem Marktplatz 13.00 Uhr Wimpelfestzug von der Stadthalle zum Marktplatz 14.00 Uhr Öffnung des Württ. Trachtenmuseums 17.00 Uhr Festende 6 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Kultur Wanderungen Der Kulturrat des Schwäbischen Albvereins organisiert ein bun- Treffpunkt: Platz vor dem Tübinger Tor tes, vielseitiges Kulturprogramm. Auf drei Bühnen gibt es schwä- bische und internationale Kultur. Im 20-Minuten-Takt wechselt das W 1 – Samstag, 14.00 Uhr; Sonntag 9.30 Uhr Programm. Geschichtliche Wanderung auf die Achalm Streckenlänge ca. 7 km, ↑↓ je 320 Höhenmeter Dauer ca. 3 Stunden Infostände Jugend und Familie W 2 – Samstag, 14 Uhr; Sonntag, 9 Uhr Naturschutz Sportliche Wanderung zum Roßbergturm * Heimat- und Wanderakademie Streckenlänge ca. 7 km, ↑↓ je 340 Höhenmeter Marktplatz , Samstag 11 – 18 Uhr, Sonntag 11 – 16 Uhr Dauer ca. 2 Stunden W 3 – Samstag, 14 Uhr, Sonntag 9 Uhr Museen in Reutlingen Der Gönninger Kalktuffpfad * geöffnet Sonntag, ab 11 Uhr Streckenlänge ca. 7 km, ↑↓ je 150 Höhenmeter • Heimatmuseum Reutlingen Dauer ca. 2 Stunden • Museum »Im Dorf« Betzingen • Naturkundemuseum W 4 – Samstag, 14 Uhr; Sonntag, 10 Uhr • Industriemagazin in Reutlingen Die Blaue Mauer der Schwäbischen Alb * • Städtisches Kunstmuseum Spendhaus Streckenlänge ca. 4 km, ↓ 60 Höhenmeter, geöffnet Sonntag, ab 14 Uhr Dauer ca. 2 Stunden • Württembergisches Trachtenmuseum, Pfullingen W 5 – Samstag, 15 Uhr; Sonntag, 10 Uhr Stadtführungen, Dauer ca. 1,5 Stunden Kontaktadressen W 6 – Samstag, 14 Uhr; Sonntag, 10 Uhr Thomas Keck, Schickhardtstraße 51 Gesundheitswanderung, Dauer ca. 2 Stunden 72770 Reutlingen-Betzingen, Telefon 0 71 21 / 56 82 58 W 7 – Samstag, 15 Uhr; Sonntag, 11 Uhr Doris Sautter, Auf dem Filz 17 Der Echazuferpfad 72820 Sonnenbühl, Telefon 0 71 28 / 5 83 98 88 Streckenlänge ca. 0,5 km, Dauer ca. 1 Stunde Ursula Rauscher, Goerdelerstraße 2 / 111 W 8 – Samstag, 14 Uhr, Sonntag, 9 Uhr 72770 Reutlingen-Betzingen, Telefon 0 71 21 / 56 55 12 Naturschutzgebiet Listhof * Dauer ca. 2 Stunden Helmut Hecht, Mühlwinglestraße 92 72762 Reutlingen, Telefon 0 71 21 / 29 08 80 W 9 – Samstag, 14 Uhr Lamawanderung für Familien Festabzeichen * Hin- und Rückfahrt mit dem Stadtbus Das Festabzeichen berechtigt zur Teilnahme an allen Veranstaltun- gen im Rahmen des Landesfestes des Schwäbischen Albvereins. Es ist für beide Tage gültig und kostet für Erwachsene 4 € / Kinder 2,50 € / Familien 10 €. Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 7
e Si e straß lb raß Benz er bu St ROB – Bi rg er- sm st ra eb REGIONALER ar ße -W OMNIBUS- zu BAHNHOF ck nd r. st 8Unt St t-u ra g- ß rd er Ch an HAUPT- e ha fg de ar ße BAHNHOF ol rk nL lo tra .-W Bu tte ße ind rls St ra en Ka n ße 1 Marktplatz LIST- st Ka st Gutenbergstraße ra er i ra PLATZ se äm ße fst rs Kr ho aße tra erstr 2 Spitalhof hn Gmin d ße Ba Karlsplatz 3 Tübinger Tor e Ga ST ß ra PO 4 Matthäus-Alber-Haus st rt e T er ß UP en lb tra HA Au Bi st e ns M M sm aß ra et se au 5 Marienkirche arck tr ße ie z er ls ge IE gw hu st e ße traß AN zu rs ra Sc a st He ße str er S ße 6 Stadthalle tra ee ra PL ra 7 ing ns ße st EBERHARD- ße er NIKOLAI- Wi Tüb er STRASSE 14 d Fe KIRCHE 2 äm lhe r. st Stadthof Kr ße er Be hofs r. rb ra lm st Fä Ka be tra rst ge . ch erstr nh ße be irs sa i str er as se äu H ße tra eG p ser rs straße SPITAL- er Glas ter aß er-S r. 1 lst is - ern Un HOF ita Ka e tra ße av-W e ust Sp ß Willy-B G ße GARTEN- tra ße tra ers tra . TOR rs ds ße be b tr r Ger t stra ne rs l Au e tat rand a ber ofs hr ei tr. h O er H Sc ds on 3 BUSHALTE- TOURIST ie t-Platz Eb INFORMATION hm rad STELLE Markt- S c tr. -Ad 6 5 STADTMITTE fs Ga tra ho en ße platz lte r ns tra r fa IE au te Wi ie tr. ens ba Zw AN er- ns Ka n arin e Ur lhe ot st Str STADTHALLE Kat h st r. i PL tb kt se ra ad a ar St ße St lm e rm rs ße aß RATHAUS ad r. be tr. st ei tra M str kt tm ße str rs .W ar au t ge us rm au Un tra TÜBINGER Be ße be er e a a ei th rs str rs .W TOR ße Ra M Ka Ob ENGSTE tra te a Manfred- rkt ße et n STRASSE ut a Jah ße Oechsle- Oskar-Kalbfell- zle rm DER WELT ibe zg Be . nst sst fstr Platz We ist Platz ße raß MARIEN- er o ße ra ra rh st Burg- r. e tra KIRCHE NATURKUNDE- ist ue als ß Wil HOTELROUTE MUSEUM e M ra platz re nt te he u be us Sp ße gha Lede Re am eu lms rstra HEIMAT- m traß er Zeu ße MUSEUM st Burgstraße Ob ra e ße ß Ka e Sp Albtorplatz tra ße en n 4 e aß SPENDHAUS dh zle De raß tra ße ofs e au ck ist ss ße Blüc ers rs stra str. rh tr Al t tr. ße lte aß raß a rgs ße ße AD ge e bs tra ken rstr Ke den ra tra e rtin rs hers MB tra sbe Pf Roc st nn te re ße tne iß-S MATTHÄUS- e e in gstra r Lin os e AL ße ne Nü te ALBER-HAUS raß ße raß Kl -We Gla MARKT- gär l FRIEDR.-LIST- In H Ho Ke traß eg AC GYMNASIUM tra HALLE lzs w Jos nst in re as gst tra ße We c ers ße Fr e Lu ße ue Äu ie a bur dr tr Led Fra es ich Ka ra er- Fran Se -Eb ße fst tal n Alte zle zu hoarch zu er kone t-S ist M 9 tra 10 STADTMAUER- raß n HÄUSER weg ße Ob e POMOLOGIE ere Wä HOTELROUTE Lede sse Anfahrt & Parken ntstraße rstra re Zie 8 Über B 27 / B 464 P in der Rommelsbacherstraße: ße gel Al Am we VOLKSPARK bs Begrenzte Anzahl für PKW: ra) P+R bei Aral-Tankstelle Ech b) Eislaufhalle tra g ß e g st aße azu ße stra ur Parken: In Reutlingen gibt es zahlreiche Parkhäuser und ParkplätzeHin d e n burgmit Stadtbuslinien H 3 in de+ nb4 (versch. Haltestellen in der fer Rommelsbacher- Fr de rst (meist gebührenpflichtig). Weitere kostenlose Parkplätze: ied straße), oder ab Eislaufhalle 20 Gehminuten zur Stadtmitte ra ric ße 7 Bösmannsäcker: Großer P für PKW + Reisebusse, Ecke Bantlin- 9hFreibad P 1 für PKW an der Alteburgstraße aus/in Richtung Gönnin- e -Eb ß stra straße / Tübinger Straße an der B28 aus / in Richtung Tübingen, 20 gen, e25 rt- Gehminuten zur Stadtmitte, oder mit Stadtbuslinien 4, 5, 11 St Lin burg ra Gehminuten zur Stadtmitte, oder Stadtbuslinien 7 + 10 (Haltestelle (Haltestelle ße Kreuzeiche); Ausweich P Hochschulen Wö rth da ch str aß Alte Bösmannsäcker). Am Sonntag, 1. Juni, kostenloser Pendelbus 10 Südbahnhof P+R an der B 312 aus / in Richtung str aß e Pfullingen e für 8 – 11 Uhr, 16.30 – 18 Uhr vom P Bösmannsäcker zur »Stadtmit- Wohnmobile und begrenzte Anzahl PKW. 25 Gehminuten zur Stadt- te / Tübinger Tor« und wieder zurück, gegen Vorlage des Festab- mitte, oder mit Stadtbuslinien 1 + 2. Weitere Wohnmobilstellplätze zeichen (Verkauf auf dem Parkplatz). beim Freibad Pfullingen mit Stadtbuslinie 2, + versch. Buslinien Landesfest 2014 – Wimpelwanderung 28. Mai: Nach einem Empfang im Rathaus von Plochingen und der Umgebung genossen werden, bevor nach Reutlingen in die Stadt- Übergabe des Wimpels geht es von Plochingen aus auf dem »Neckar- mitte zum Marktplatz hinabgestiegen wird. Ankunft gegen 14 Uhr. weg« bis nach Nürtingen und von dort das Neuffener Tal aufwärts Man kann die gesamte Wimpelwanderung mitwandern, jedoch auch nach Neuffen. die Beteiligung bei den einzelnen Tagesetappen oder Teiletappen ist 29. Mai (Christi Himmelfahrt): Von Neuffen aus geht es hinauf zur möglich oder sogar erwünscht. Die Anfahrt zum Ausgangsort bzw. Burg Hohenneuffen und von dort auf den »Gustav-Strömfeld-Weg« Rückfahrt vom Zielort ist selbst zu organisieren (bitte in Fahrgemein- (ca. 21 km) über den Jusi und Florian nach Metzingen. schaften oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln). Wir freuen uns auf 30. Mai: Nach einem kleinen Empfang in Metzingen geht es in viele Mitwanderer! Anmeldeformulare werden gerne zugesandt. Richtung Achalm (durch den Maienwald – Burgholz oder Glemser Informationen und Anmeldungen an Eugen Kramer, Drosselweg 15/1, Stausee – Rangenberg – Eningen). Dort soll die schöne Aussicht in 72581 Dettingen an der Erms, Telefon 0 71 23 / 85 80, das Erms- und Echaztal, auf Reutlingen und die weiter sichtbare eugen-kramer@t-online.de 8 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Stadt Reutlingen Ein Blick in die Stadtgeschichte Reutlingen, einst eine Freie Reichsstadt Von Helmut Hecht, Lichtensteingau Auch wenn durch den Stadtbrand, Schleifung der Befesti- Reutlingen liegende Burg Achalm an die Staufer. Neben der gungsanlagen, Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg und Stadt war nun auch die Burg in der Hand des Kaisers. Die zuletzt auch Sanierungen manches an historischer Bausubs- Achalm wurde Reichsburg und erhielt königliche Rechte tanz verloren ging, hat Reutlingen noch viele Zeugnisse sei- übertragen. Der Achalmvogt, als kaiserlicher Stellvertreter, ner Geschichte. Den Besuchern des Landesfestes werden diese setzte in Reutlingen die Schultheißen ein und hatte anfangs bei den Stadtführungen vorgestellt. Hier ein Überblick über die hohe Gerichtsbarkeit inne. Bestimmte Einkünfte flossen die wechselvolle Geschichte der einstigen Freien Reichsstadt. ebenfalls an die Achalm. Die Rechte der »freien« Reichsstadt waren also zunächst stark eingeschränkt. Es wird davon ausgegangen, dass sich der Ortsname Reutlin- gen von einem Sippenoberhaupt mit dem Rufnamen »Riuti- Erste Bewährungsprobe lo« oder »Rutilo« herleitet. Die Endung »-ingen« weist auf die Im Jahr 1246 wurde der Thüringer Landgraf Heinrich Ras- Zeit der alemannischen Landnahme im 5. und 6. Jahrhundert pe vom Papst zum Gegenkönig erhoben. Doch Reutlingen hin, eine erste schriftliche Nennung von Reutlingen erfolgte hielt treu zum staufischen Kaiser. Verbündete Anhänger des jedoch erst im Bempflinger Vertrag von 1089. Gegenkönigs belagerten deshalb an Pfingsten 1247 die Stadt, jedoch ohne Erfolg. Laut Überlieferung haben die Reutlinger Stadtgründung durch die Staufer aus Dankbarkeit für die überstandene Gefahr mit dem Bau Über die Zeit des Übergangs von der Siedlung zur Reichs- der Marienkirche begonnen. Es wird erzählt, dass ein erbeu- stadt existieren kaum urkundliche Belege. Vermutlich um teter mächtiger eisenbeschlagener Sturmbock, den die Fein- 1180 hat Reutlingen vom Stauferkaiser Friedrich I., genannt de gegen die Stadtbefestigung eingesetzt hatten, das Maß für Barbarossa, das Marktrecht erhalten. Zwischen 1220 und 1240 die Länge des Kirchenschiffes vorgegeben habe. Sozusagen erfolgte durch Kaiser Friedrich II. die Erhebung zur Stadt als Trophäe wäre der Sturmbock in der Kirche geblieben und und die Befestigung mit Mauern und Türmen. Neben Ess- hätte später Kaiser Maximilian I. zum Spott veranlasst, dass lingen sollte wohl auch Reutlingen ein weiterer kaiserlicher die Reutlinger ihre Kirche zu einem Bockstall gemacht ha- Stützpunkt gegen die aufstrebenden Herrschaften und den ben. Daraufhin wurde im Jahre 1517 der Sturmbock entfernt. hohen Adel im Raum zwischen mittlerem Neckar und der Die Marienkirche mit ihrem nahezu lebensgroßen vergolde- Alb sein. Im Zuge der Kämpfe von König Heinrich (VII.) ge- ten Engel auf der Kirchturmspitze ist bis heute das Wahrzei- gen seinen Vater, Kaiser Friedrich II., kam die oberhalb von chen von Reutlingen. Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 9
Ursula Rauscher Entlang der Jos-Weiß-Straße liegen die seit dem 18. Jahrhundert in den Zwinger eingefügten Mauerhäuser. Gegenüber befindet sich die Albver- einsstube (oben). Das Tübinger Tor war eines der Haupttore der einstigen mittelalterlichen Befestigungsanlage (links). Wie die Katze auf dem Vogelkäfig Im Ringen mit dem Papst und seinen verbündeten Fürsten war das Königsgeschlecht der Staufer letztendlich unterlegen. Das vorhandene staufische Haus- und Reichsgut weckte Be- gehrlichkeiten bei den aufstrebenden Territorialherren, allen voran bei den Württembergern. Zu allem Unglück für Reut- lingen hatte Konradin, der letzte Staufer, im Jahre 1262 die Achalm und die damit verbundenen Rechte und Einkünfte an Württemberg verpfändet. Für die Stadt entstand dadurch eine schlimme Situation. Man fühlte sich vom wirtschaftli- chen und territorialen Expansionsdrang der Württemberger ständig bedroht. Ein Chronist schrieb: »Wie die Katze auf dem Vogelkäfig, saßen die Württemberger auf der Burg, ober- halb der Stadt«. Um ihre Unabhängigkeit zu verteidigen, begannen sich die Reichsstädte in Bündnissen zu organisieren. Daraus entwi- ckelte sich der Reichskrieg gegen Württemberg in den Jah- ren 1010 – 1013, bei dem Graf Eberhard I. nahezu seine gesam- te Grafschaft verlor. Die Reutlinger nutzten die Gunst der Stunde und zerstörten die Burgen der württembergischen Vasallen in der Umgebung, so der Greifensteiner und Lich- tensteiner. Doch die militärischen Erfolge konnten auf Dauer nicht verhindern, dass Reutlingen vom württembergischen Herrschaftsgebiet ganz umschlossen wurde. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Ursula Rauscher den Städten und Württemberg. Als im Jahr 1373 Kaiser Karl IV. hohe Geldforderungen an die Reichsstädte stellte, beauf- tragte er ausgerechnet den württembergischen Grafen, das 10 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Ursula Rauscher Ursula Rauscher Geld einzutreiben, und übergab ihm später auch noch zahl- Der Eisturm ist ein Rundturm der Zwingermauer; er wurde 1874 als reiche Rechte in den Städten. Empört darüber schlossen sich städtischer Eiskeller eingerichtet (links). Dienstags und Samstags ist im Jahre 1376, unter der Führung von Ulm, vierzehn schwä- Wochenmarkt auf dem Reutlinger Marktplatz (rechts). Die Marienkirche bische Reichsstädte, darunter Reutlingen, zum Schwäbischen wurde 1247 bis 1343 als gotische Basilika erbaut. Auf ihrem Westturm, Städtebund zusammen. Im unmittelbar darauf einsetzenden in über 70 Metern Höhe, thront ein vergoldeter Engel von 1343 (unten). Städtekrieg belagerte der Kaiser erfolglos Ulm. Der württem- bergische Graf Eberhard II., der Greiner, sandte seinen Sohn Zünftische Demokratie und Reformation Graf Ulrich mit einer Ritterschar auf die Burg Achalm, um Nach jahrelangen Auseinandersetzungen hatten sich in Reut- von dort den Handel der Stadt zu blockieren und das Eingrei- lingen bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts die Handwerks- fen Reutlingens in den Krieg zu verhindern. zünfte gegen den »Stadtadel«, die Patrizier, durchgesetzt und Am 14. Mai 1377 kam es vor den Toren der Stadt zu einer immer mehr aus der Stadtregierung verdrängt. In den Jahren Schlacht, in der die Reutlinger Graf Ulrich mit seinen Rit- 1343 und 1374 gab man sich Verfassungsordnungen, in der die tern eine furchtbare Niederlage zufügten. Der Krieg ging je- Zünfte über ein kompliziertes Wahlverfahren alle wichtigen doch verloren, denn elf Jahre später unterlag der Städtebund politischen Ämter besetzen konnten. Wenn auch keine De- bei Döffingen einem Heer der Fürsten. Trotz eines Friedens- mokratie in heutigem Sinne, so war es doch eine weitgehend schlusses kam es später zu weiteren Waffengängen, wie dem Großen Städtekrieg 1449 / 50, der ebenfalls verloren ging. Die Reichsstädte mussten schließlich die Vorherrschaft Württem- bergs anerkennen, hatten aber die ihre politische Selbststän- digkeit bewahrt. Reutlingen versuchte sich mit Württemberg zu arrangieren, auch wenn die Beziehungen zum übermäch- tigen Nachbarn in der Folgezeit nie frei von Belastungen wa- ren. Als Württemberg die Achalmpfandschaft zurückgab und um 1500 Kaiser Maximilian I. die Achalmrechte an die Stadt verpfändete, fiel jedoch ein wichtiger Streitpunkt weg. Und endlich war Reutlingen eine freie Stadt mit allen wichtigen Hoheitsrechten! Noch ein letztes Mal sollte es im Jahre 1519 zu einem krie- gerischen Konflikt kommen. In einer Reutlinger Wirtschaft kam bei einer Schlägerei ein württembergischer Forstknecht zu Tode. Dies diente Herzog Ulrich von Württemberg als Vorwand, die Stadt zu überfallen und einzunehmen. Wenige Ursula Rauscher Monate später wurde Reutlingen vom Schwäbischen Bund befreit, der Herzog des Landes vertrieben und Württemberg für viele Jahre unter eine österreichische Verwaltung gestellt. Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 11
Stadt Reutlingen Die neue Stadthalle auf dem Bruderhausgelände wurde im Januar 2013 eröffnet (oben). Im Stadtbrand 1726 wurde die Marienkirche schwer beschädigt; die innere Ausstattung ging verloren bis auf das spätgotische Heilige Grab und den Taufstein von 1499 (Bild links). Kleine Figuren, zu deren Füßen Tierfiguren lagern, illustrieren die Taufe Christi und die Sakramente. und versuchte, die Glaubenseinheit mit militärischen Mitteln wiederherzustellen. In den Jahren 1546 / 47 kam es dann zum sogenannten Schmalkaldischen Krieg, der für die verbünde- ten Evangelischen, unter ihnen Reutlingen und Württemberg, eine bittere Niederlage brachte. Die Folge war eine kaiserliche Zwangsverwaltung, einherge- hend mit Außerkraftsetzung der städtischen Verfassung und eine vorläufige Wiedereinführung der alten kirchlichen Ver- hältnisse (Interim). Ende der Reichsstadtzeit Der Augsburger Religionsfriede von 1555 brachte endlich die rechtliche Gleichstellung der Protestanten, und 1576 erhielt die Stadt von Kaiser Maximilian II. die alten Verfassungsrech- te wieder zurück. Doch danach war eigentlich die »große« Zeit der Reichsstadt vorbei. Belastungen des Dreißigjährigen Thomas Pfündel Krieges, die Franzoseneinfälle in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ein verheerender Stadtbrand im Jahre 1726, Ein- quartierungen, Truppendurchmärsche und Abgaben an die Kriegskasse des Kaisers brachten das kleine Gemeinwesen in bürgerliche Selbstverwaltung. Schon früh fand die Lehre Lu- solche Schwierigkeiten, dass die Zahlungsunfähigkeit eintrat. thers in der kleinen Stadtrepublik Gehör. Bereits im Jahr 1521 Aber auch die inneren Verhältnisse gestalteten sich immer berief der Rat den Theologen Matthäus Alber auf eine Prädi- schwieriger. Administrative Mängel verstärkten die Situation, kantenstelle in der Marienkirche. Alber predigte im reforma- und zu lange hielt man am Überkommenem fest. Durch die torischen Sinne, schaffte die lateinische Messe ab und brach politische Neuordnung im Zuge der napoleonische Kriege, mit dem Zölibat. erfolgte im Jahr 1802 der zwangsweise Anschluss an Würt- Reichsweites Aufsehen erregte man, als neben den evange- temberg. Reutlingen wurde eine württembergische Ober- lischen Fürsten und Nürnberg, Bürgermeister Jos Weiß für amtsstadt. Das Ende der »Reichsstadtherrlichkeit« war sicher Reutlingen als einzige weitere Reichsstadt im Jahr 1530 das für manchen Reutlinger schmerzlich, für die Stadt wirkte es Augsburger Bekenntnis mit unterzeichnete. Kaiser Karl V. jedoch auf wirtschaftlichem Sektor wie eine Befreiung und lehnte jedoch die ihm überreichte Confessio Augustana ab wurde Grundlage für eine künftige positive Entwicklung. 12 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Walker Fahnen, Jubiläum und eine Rekonstruktion Reutlinger Traditionen Aus alter Freier Reichsstadttradition ist in Reutlingen eine 1929 fand das letzte Fahnenflaigen der Reutlinger Weingärtnerzunft besondere Art des Fahnenschwingens lebendig geblieben, statt (links). Thomas Walker, der heutige Fahnenflaiger (rechts). das »Fahnenflaigen«. Es geht zurück auf die Stadtwahlen. Der Schwörtag – seit dem 14. Jahrhundert und mit wenigen Un- terbrechungen bis zum Jahre 1802 – stand am Ende der jähr- Der Schwörtag selbst wurde mit dem Ende der Reichsstadtzeit lich durchgeführten Wahlwoche, in der vom Sonntag nach und dem Übergang Reutlingens an Württemberg abgeschafft dem 4. Juli bis zum darauf folgenden Sonntag in unterschied- und geriet in Vergessenheit. Lediglich die Weingärtner hiel- lichen Wahlgremien die Funktionsträger der Zünfte und das ten an ihrem Festtag aus der Schwörwoche, dem »auseligen Stadtregiment gewählt wurde. Montag«, fest und feierten diesen Tag noch jährlich bis 1929. Am Schwörtag selbst wurde der Bürgermeister der Reichs- Verschiedene Elemente, die den Schwörtag charakterisierten, stadt gewählt. Die Zunftmitglieder versammelten sich fest- blieben durch das Fest der Reutlinger Weingärtner erhalten, lich gekleidet im Schwörhof, wo die Wahl bekannt gegeben wie das Fahnenflaigen und der Zug in die Marienkirche. und die Gewählten auf die Verfassung und das Wohl der Stadt vereidigt wurden. Das Fahnenflaigen wird seit 1995 mit einer Nachbildung der Nach dem Schwur erfolgte der nach einer genauen Rangfol- Weingärtnerzunftfahne durchgeführt. Die alte Zunftfahne der ge geordnete Zug in die Marienkirche. Zwischen den einzel- Weingärtner hat drei Felder in den Farben rot-weiß-schwarz, nen Gruppierungen marschierten die Fahnenträger. Nach eine Traube in einem Lorbeerkranz und eine Hape, ein Win- dem Gottesdienst wurde der Amtsbürgermeister von der be- zermesser. Der Fähnrich trägt einen schwarzen Mantel und waffneten Mannschaft und mit den Zunftfahnen nach Hause eine grüne Schärpe. Der Vorfähnrich trägt einen Dreispitz begleitet; vor seiner Wohnung fand das sogenannte »Fahnen- mit weißen, der Nachfähnrich einen mit schwarzen Federn. flaigen« statt. Die Figuren heute sind waagerechtes Schwingen der Fahne Der Schwörtag war nicht nur das zentrale politische Ereig- vor dem Körper und waagerechtes Schwingen der Fahne über nis der Reichsstadt, sondern zugleich ein allgemeiner Festtag, dem Kopf, bis die Fahne vollständig aufgerollt ist, danach wie- »ein Tag des demokratischen Frohsinns«, wie es beim Chro- der Abrollen. Die Figuren werden nur mit der rechten Hand nisten Gayler heißt. ausgeführt und durch Verbeugungen eingerahmt. Die Stadt- Schon in der vorausgehenden Wahlwoche selbst, unter an- kapelle begleitet das Fahnenflaigen musikalisch mit der Fah- derem am »auseligen Montag«, dem Festtag der Weingärtner, nenflaigerpolka. gab es verschiedene Anlässe, bei denen noch heute bekannte Seit 2005 wird das Fahnenflaigen wieder jährlich im Schwör- Spezialitäten eine Rolle spielten: z. B. Mutscheln, Fochezen- hof gezeigt. Der Schwörtag 2014 findet vom 12. bis 13. Juli statt. plätz (Flammkuchen mit Speck und Zwiebeln) und Kimmi- Markus Walker cher (Kümmelbrötchen). Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 13
Jubiläum 50 Jahre »Deutsche Reihe« Das »New Künstlich Fahnenbüchlein« von Johann Renner und Sebastian Heußler aus dem Jahr 1615, eine Anleitung für Fahnenschwinger in Wort Das Landesfest in Reutlingen bietet den Rahmen für das Ju- und Bild, ist eine der Vorlagen, die Omaar François genutzt hat. biläum der Fahnenchoreographie »Deutsche Reihe«. Einige schriftliche Zeugnisse und auch Abbildungen belegen, dass der süddeutsche Raum als ein Zentrum des Fahnenschwin- gens in der Renaissance angesehen werden kann. Einen be- sonderen Höhepunkt erlebte es im Brauchtum der Zünfte, doch mit deren Niedergang und dem Aufkommen der Indus- erste Korrekturexemplar des Manuskriptes. Ende des Jahres trialisierung geriet es fast völlig in Vergessenheit. 1964 führte Omaar François die neu zusammengestellte Rei- Volkstänzer und Brauchtumspfleger rund um Kurt Wager he dann den Freunden um Kurt Wager in Maulbronn vor. (1911-1979) hatten wohl schon vereinzelt das selten gewordene Dieses Jubiläum möchte der Kulturrat bei unserem Landes- Fahnenschwingen bei anderen Gruppen gesehen, aber erst fest in Reutlingen zum Anlass nehmen, der »Deutschen Rei- die Begegnung mit Freunden aus Flandern ergab die Chance, he« und dem Fahnenschwingen besondere Aufmerksamkeit diese besondere Kunst vorgeführt zu bekommen und selbst zu schenken. zu erlernen. Das Engagement des flämischen Fahnenschwin- Die ehrwürdige Kunst wurde seither auch in einigen Volks- gers Omaar François ermöglichte dann auch das Wiederauf- tanzgruppen des Schwäbischen Albvereins gepflegt, und aus leben des traditionellen Fahnenschwingens in unseren Grup- den internationalen Kontakten, die schon vor 50 Jahren be- pen. fruchtend für uns gewirkt haben, erwuchsen nicht nur Teil- 1964, also genau vor 50 Jahren, stellte er aus drei alten deut- nahmen an faszinierende Fahnenschwingertreffen im In- und schen Schriften des 17. Jahrhunderts typische Figuren zu einer Ausland, sondern auch weitere Choreographien, die auf his- schwingbaren Reihe zusammen, die sich deutlich z.B. von der torischen Vorlagen basieren. Auch davon wollen wir in Reut- in der Schweiz oder in Flandern bekannten Form absetzt und lingen einiges zeigen. so regionales Brauchtum wieder sichtbar werden lässt. Reutlingen ist sicher ein würdiger Ort für diese Veranstaltung, Im Schwäbischen Kulturarchiv, in dem auch der Schriftver- da auch hier im Brauchtum der Zünfte das »Fahnenflaigen« kehr von Kurt Wager mit Omaar François erfasst ist, lässt sich Tradition hat. einiges aus dieser Entstehungszeit finden und wohl auch das Christian König 14 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Manfred Stingel Christoph Maurer: Dudelsackspieler mit Schwert, Feder mit brauner Tusche (links). Sackpfeifen in Schwaben II, Neue Funde Andreas Rogge mit seiner Rekonstruktion der Reutlinger Sackpfeife (rechts). Reutlinger Sackpfeife zu einem ganz besonderen Beitrag zum Landesfest in Reutlingen: zur Rekonstruktion einer schwä- Aus der Kunstsammlung Johann Wolfgang von Goethes stammt eine bischen Sackpfeife. Vorgestellt hat er das schöne schöne Zeichnung eines Sackpfeifers (Bild). Zugeschrieben wird die Musikinstrument beim Spielkurs für Sackpfeifen Zeichnung dem Reutlinger Christoph Maurer (nachgewiesen 1595 – 1597 im Januar 2014 im Haus der Volkskunst. Die anwe- in Reutlingen). Die Zeichnung findet sich im Buch »Sackpfeifen in senden Dudelsackspieler und Fachleute waren be- Schwaben II«, in dem Ernst Eugen Schmidt seine neuen Funde vorgestellt geistert. Klang, Aussehen und Handhabung dieser hat und das 2012 im Verlag des Schwäbischen Albvereins erschienen ist. ganz und gar »Schwäbischen Sackpfeife«, die in F Der Rottenburger Sackpfeifenbauer Andreas Rogge, (Pipemaker), des- gestimmt ist, fanden allgemeine Zustimmung und sen Dudelsäcke vor allem in Kreisen der irischen Dudelsackszene (Uil- Bewunderung. leann Pipes) gespielt werden, wurde durch diese Zeichnung inspiriert Manfred Stingel Der Mutscheltag ist der Nationalfeiertag der Reutlinger. Der Ursprung kommt aus der Freien Reichsstadt und ihren Zünften und geht bis in das 14. Jh. zurück. Immer am Donnerstag nach dem »Öbersten« (Heilige Drei Könige) wird um das Gebäck gewür- felt, was das Zeug hält. Ursprünglich waren nur die Gesellen und Meister zugelassen, um das sternförmige Gebilde wurde damals in den Backstuben der Bäcker bei einem Glas Wein gespielt. Die Verlierer müssen bezahlen, die Gewinner können mit Stolz ihre Mutschel mit nach Hause nehmen. Nach wie vor herrscht in Reutlingen am Abend des Mutscheltags Ausnahmezustand. Gemutschelt wird in Kneipen, Lokalen und Ver- Ursula Rauscher einsheimen, es machen alle mit, sogar die Oberbürgermeisterin und die Stadt- und Ortschaftsräte. Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 15
Heimatmuseum Reutlingen 700 Jahre Stadtgeschichte und Stadtkultur unter einem Dach Heimatmuseum Reutlingen Von Eva Bissinger, M. A., Heimatmuseum Reutlingen Unter dem »Dach« des Heimatmuseums wird die Geschichte Das Heimatmuseum Reutlingen präsentiert das historische Erbe der Reutlingens in vier Häusern bewahrt, erforscht und ausge- ehemaligen Freien Reichsstadt (links). Die Zunftstube der Reutlinger stellt: im Heimatmuseum in der Innenstadt, im Reutlinger Weingärtner stammt aus dem 18. Jahrhundert (oben). Industriemagazin, im Museum »Im Dorf« Betzingen und im Ans Heimatmuseum angeschlossen ist ein Museumsgarten (unten). Samenhandelsmuseum Gönningen. Der ehemalige Königs- bronner Klosterhof, der heute das Heimatmuseum beher- bergt, ist eines der ältesten Gebäude der Stadt. Der Baubeginn des Gebäudes reicht bis ins Jahr 1278 zurück. 1936 beschloss die Stadtverwaltung, hier eine Ausstellungsfläche für die wänder oder spätgotische Skulpturen aus der Marienkirche, »Sammlung städtischer Altertümer« einzurichten. Im Juli Kirchturmhähne und Abendmahlsgeräte aus den neuen 1939 wurde das Heimatmuseum feierlich eröffnet. Nach der evangelischen Kirchen veranschaulichen die Auseinander- kriegsbedingten Schließung während des Zweiten Weltkrie- setzungen um den Glauben. Eindrücklich erzählt auch die ges fand die Wiedereröffnung im April 1949 statt. Im Juli 1996 nachträglich in das Gebäude eingebaute Hauskapelle von wurde das Museum nach längerer Umbauphase mit einer 1538 aus dieser Zeit. Einen Schwerpunkt des Museums bildet neuen Konzeption wieder eröffnet. Gezeigt werden Exponate die Ausstellung zur Reutlinger Reichsstadtzeit und den Zünf- zur Stadtgeschichte und Stadtkultur einer ehemaligen frei- ten. Richtschwert und Prangerkorsett dokumentieren das Pri- en Reichsstadt vom 13. bis zum 20. Jahrhundert. Zahlreiche vileg der souveränen Gerichtsbarkeit einer freien Reichsstadt. Ausgrabungsfunde, die die Gründung der Stadt, das Alltagsle- Leuchtende Kabinettscheiben zeigen stolze Bürgerinnen und ben der einfachen Bürger, aber auch die Bedeutung der Burg Bürger des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein einmaliges Zeugnis Achalm für die Stadtgeschichte belegen, können von den zünftischer Tradition ist die originalgetreu erhaltene Zunft- Besucherinnen und Besuchern am Anfang des Rundgangs stube der Reutlinger Weingärtner aus dem 18. Jahrhundert. durch das Museum bestaunt werden. Die Reformationszeit Die literarische Abteilung widmet sich bedeutenden Autoren, war in Reutlingen sehr bewegt: vorreformatorische Messge- Verlagen und Publikationen aus Reutlingen. Vorgestellt wer- 16 • Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 /2014
Dampfmaschine der Firma Kohllöffel im Industriemagazin (links). vidualverkehrs und Umweltbewusstseins, vor dem Packstube im Samenhandelsmuseum in Gönningen (rechts). Hintergrund von Wirtschaftskrisen, Arbeitskämp- fen, der digitalen Revolution und der weltweiten Globalisierung. Aber auch ehemalige wie aktuelle den der Publizist, Wirtschaftstheoretiker und Eisenbahnpionier Fried- »Boschler« kommen zu Wort – sie alle gehören zur rich List sowie der Schriftsteller Hermann Kurz und seine Familie. Reut- besonderen Reutlinger Bosch-Geschichte. linger Verlage druckten im 18. und 19. Jahrhundert eine große Anzahl In den Außenstellen des Heimatmuseums können der sogenannten »Volksschriften«. Diese kostengünstigen Hefte bildeten unterschiedlichen Aspekte der Stadtgeschichte eine wichtige Grundlage für die »Leserevolution« dieser Zeit. entdeckt und vertieft werden. Der Tradition einer Der Aufbruch in die Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert wird Industriestadt angemessen, pflegt und erweitert durch Großfotos von Reutlinger Straßen und Plätzen um 1900 und das Industriemagazin eine Spezialsammlung von originale Objekte – Kutschen, Fahrräder, Firmenschilder, Zinngießer- Objekten zur Geschichte der Industrialisierung in werkstatt, Einkaufsladen – eindrücklich vermittelt. Die Entwicklung Reutlingen. Sie umfasst Maschinen und Produkte Reutlingens zur modernen Industriestadt lässt sich an den Themenbe- aus dem Bereich des Reutlinger Maschinenbaus reichen Hungerkrisen 1818 / 1848, Revolution 1848 / 49, Gustav Werner und der Textilindustrie. Auch die Geschichte des und das Bruderhaus, Gründung von Bildungsinstitutionen wie Techni- Reutlinger Textiltechnikums wird mit Modellen kum, Frauenarbeitsschule und Pomologie, Post und Telefon sowie Erster belegt. Das Samenhandelsmuseum Gönningen im Weltkrieg nachvollziehen. Der Keller des Museumsgebäudes wurde in Rathaus der ehemaligen Samenhändlergemeinde der Zeit des Nationalsozialismus in einen Luftschutzkeller umgebaut. zeigt Gegenstände aus der einzigartigen Händler- Spuren dieser Nutzung sind heute noch erhalten. Zahlreiche Objekte tradition des Ortes. Viele Dokumenten und Zeug- dokumentieren hier die totalitäre Herrschaft des Nationalsozialismus, nissen veranschaulichen die Handelsreisen der den Zweiten Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit. Zum Hei- Gönninger in Europa und über Europa hinaus. matmuseum gehört ein kleiner Museumsgarten, der Lapidarium und öffentlicher Park zugleich ist. Zu sehen sind Fragmente der Marienkir- che, historische Grabmäler aus dem Mittelalter und der Renaissance, Sühnekreuze und römische Säulen. Das Heimatmuseum präsentiert bis Museen zu fünf Sonderausstellungen im Jahr zu stadtgeschichtlichen oder kul- Heimatmuseum Reutlingen, Oberamteistraße 22, turwissenschaftlichen Themen. Diese reichen beispielsweise von »Reut- 72764 Reutlingen, Telefon 0 71 21 / 3 03-20 50, lingen in den 1950er Jahren«, über »Friedrich List und seine Zeit« bis hin www.reutlingen.de/heimatmuseum, zu »Weihnachtsschmuck« oder »Stadtansichten«. Natürlich sind Jubilä- heimatmuseum@reutlingen.de. Öffnungszeiten: Di – Sa en immer wieder Anlass für eine Sonderausstellung. 2014 jährt sich die 11 – 17 Uhr, Do 11 – 19 Uhr, So, Fei 11 – 18 Uhr Übernahme der großen Reutlinger Textilfirma Ulrich Gminder durch die Firma Bosch zum 50. Mal. Deshalb präsentiert das Heimatmuseum Industriemagazin Reutlingen, Eberhardstraße 14, vom 30. März bis 25. Mai die Ausstellung »BOSCH in Reutlingen. 50 Jah- 72764 Reutlingen, Telefon 0 71 21 / 3 03-28 83 oder re Automobilelektronik und Arbeitswelten«. Bosch produzierte in Reut- 0 71 21 / 3 03-2867. Öffnungszeiten: am zweiten Sams- lingen hauptsächlich Autozubehör, zunächst Scheinwerfer und Regler. tag im Monat 14 – 17 Uhr und nach Vereinbarung Als sich Ende der 1960er Jahre die Elektronik im Automobilbau durch- setzte, lieferte Reutlingen wichtige Produkte für den Bosch-Werbeslogan Samenhandelsmuseum Gönningen, »Sicher, sauber, sparsam«: die erste elektronische Benzineinspritzung, Rathaus Gönningen, Telefon 0 70 72 / 70 26, Steuergeräte für das ABS oder aktuell Sensoren für Fahrassistenzsyste- Öffnungszeiten: Mo – Fr 8 – 12 Uhr, Do 14 – 18 Uhr me. Heute ist Reutlingen Stammsitz des Geschäftsbereichs Automoti- ve Electronics im Bosch Weltkonzern. Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte des Reutlinger Werks in einer Zeit des zunehmenden Indi- Blätter des Schwäbischen Albvereins • 1 / 2014 • 17
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