Bots & Co - Die Zukunft der Interaktionsarbeit? - Praeview
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Bots & Co. – Die Zukunft der Interaktionsarbeit? Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention 12,50 Euro | ISSN 2190-0485 Nr. 1 | 2022
impressum præview – Zeitschrift für innovative Diese Ausgabe der Zeitschrift præview basiert auf Das Projekt „iAtA – Intelligente Assistenz für die techni- Arbeitsgestaltung und Prävention Konzepten und Ergebnissen der folgenden Projekte: sche Ausbildung“ wird gefördert vom Ministerium für 13. Jahrgang 2022 – ISSN 2190-0485 Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Die Projekte Erscheinungsort Essen Landes Nordrhein-Westfalen und betreut vom Projekt- æ AnEffLo – Anti-Effizienzlogiken: Reflexiv-nachhaltige träger Jülich (PtJ), Geschäftsbereich TRI. Verlag: GMF /Gathmann Michaelis und Freunde Perspektiven auf Interaktionsarbeit am Beispiel Kommunikationsdesign Pflege (FKZ: 02L18A090-94) v.i.S.d.P.: Andre Michaelis æ BeDien – Begleitforschung zur Förderlinie personen- Lektorat: Sabine Schollas nahe Dienstleistungen (FKZ: 02K17A080) Druck: print24.de æ INSTANT – Intelligente Zusammenarbeit von Das Projekt „Ethische und sozial verträgliche KI in Unter- Layout: Q3 design GbR, Dortmund Menschen und sprachbasierten Assistenten nehmen. Empirisch fundierte Empfehlungen zur Gestal- (FKZ: 02L18A110ff) tung und Einführung von KI in und für KMU in Baden- Bezugsadresse / Kontakt: æ InWiGe – Interaktionsarbeit: Wirkungen von und Württemberg“ wird aus Mitteln des Ministeriums für Zeitschrift præview c/o GMF Gestaltung des technologischen Wandels Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes Baden- Julienstraße 28, 45130 Essen (FKZ: 02L18A001) Württemberg gefördert. https://gmf-design.de æ PARCURA – Partizipative Einführung von Daten- sk@gmf-design.de brillen in der Pflege im Krankenhaus (FKZ 02L18A160) æ RespectWork – Entwicklung gegenseitigen Respekts in der Kundeninteraktion zur Verbesserung von Bildnachweis Porträts: Sören Pekka Bode (S. 7, Bode); Arbeits- und Dienstleistungsqualität Hoffotografen (S. 8, Thorein); Studioline Photography (FKZ: 02L18A020-024) Das Projekt „Erweiterung sozialer Teilhabe durch Telero- (S.13. Dopslaff, S. 41, Schriek); KIT (S.13. Lucumi); Pho- æ UMDIA – Unterbrechungsmanagement bei digital botik in der Pflege“ (FKZ SW-1-378-C) wird gefördert togenika (S. 20, Dunkel, S. 39, Porschen-Hueck); Silke gerahmter Interaktionsarbeit (FKZ: 02L18A120-125) von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW im Rahmen des Laenen (S. 27, Dörflinger); Torsten van Briel (S. 27, Sonderprogramms „Zugänge erhalten – Digitalisierung Wehrmann); Olaf Jaeschke (S. 33, Robra-Bissantz); werden im Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ stärken“. DAA Westfalen (S. 43, Schlüpmann); Dagmar Siebecke vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und (S. 43, Ciesinger); Photostudio Pure Shots (S. 45, Reck- dem Europäischen Sozialfonds gefördert. fort); Michael Kosel (S. 47, Großmann, Paul Fuchs- Frohnhofen); Sabine Schmidt (S. 47, Jordans); Lorenz Widmaier (S. 49, Hallensleben); Jennifer John GMF Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge liegt bei (S. 53, Ciesinger); Falko Wübbecke (S. 57, Schollas); den Autor*innen. Julia Heinlein (S. 59, Böhle) 2
Vorwort des Redaktionsteams Diese Ausgabe der præview basiert auf Arbeiten der Fokusgruppe „Direkte Interaktion zwischen Dienstleistungsgebern und -nehmern“ im Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit Menschen“. Im Rahmen der Diskussionen um das integrierte Modell der Interaktionsarbeit nach Böhle et al. stellte jemand die Frage: „Was ist eigentlich, wenn der Dienstleister in der Interaktionsarbeit kein Mensch, sondern eine Maschine ist?“ Diese Frage war so schlicht und doch so komplex, wenn man erst einmal unter die Oberfläche der ersten, spontanen Antwort schaute, und erzeugte so viel Interesse (und auch Zündstoff), dass wir als Fokusgruppe beschlossen, die Gedanken unbedingt in der Form einer præview niederzuschreiben. Die Arbeit als Redaktionsteam hat dabei unglaublich viel Spaß gemacht, weil die beteiligten Autor*innen engagiert, diszipliniert und vor allem extrem kreativ mitgearbeitet haben. Wir haben selten eine so inspirierte und inspirierende Zusammenarbeit über alle Disziplinen- grenzen hinweg wie bei der Arbeit an dieser præview erlebt. Herausgekommen ist eine Zeit- schrift, auf die wir alle sehr stolz sind. Wir möchten uns daher bei den Autor*innen, aber auch bei all denen, die mitdiskutiert, aber nicht mitgeschrieben haben, bedanken. Die Arbeit an der Zeitschrift war zumindest für uns als Redaktionsteam ein Highlight. Kurt-Georg Ciesinger, Tanja Fink-Cvetnic, Marc Jungtäubl, Jonas Wehrmann, Margit Weihrich … und direkt noch eins „Die Technologie hat bereits viele Aufgaben Diese kluge Einleitung für die hier vorliegende wir die Anzahl der Fehler in den Manuskripten übernommen, die der Mensch früher verrichtet Ausgabe der præview wurde tatsächlich nicht anführen, denn an diesem Kriterium unterschei- hat. Und in Zukunft wird die Technik nur noch von uns selbst, sondern von der Schreib-KI Rytr det sich die Maschine noch vom Menschen, wie besser – und mehr Arbeitsplätze werden bedroht. verfasst. Sie basiert auf der Eingabe des Themas Marc-Uwe Kling in seinem Buch Qualityland Einerseits bedeutet es, dass sich der Mensch auf „Maschinelle Interaktionsarbeit“ und einem ein- schreibt: „Korrekte Orthographie, korrekte Inter- das konzentrieren kann, was er am besten kann zigen weiteren Mausklick zur Auswahl eines punktion, korrekte Grammatik = Bot“. – kreative Aufgaben und emotionale Aufgaben. von mehreren KI-generierten Subthemen. Mit Das Problem ist jedoch, dass dadurch viele Men- etwas Übung wäre ein kompletter præview- Das Redaktionsteam schen arbeitslos werden. Wie sollten wir uns Artikel in absolut unauffälliger Qualität in we- also auf eine Welt vorbereiten, in der Roboter nigen Minuten generiert. all unsere Jobs übernehmen? Es ist noch nicht klar, aber es ist wichtig, jetzt darüber nachzu- Wir versichern Ihnen aber, liebe Leser*innen, denken, bevor die Änderungen zu schnell pas- dass alle Texte dieser Ausgabe von echten Men- sieren, als dass wir reagieren könnten.“ schen verfasst wurden. Als finalen Beleg können præview Nr. 1 | 2022 3
Bots & Co. – Die Zukunft der Interaktionsarbeit? Impressum 02 Vorwort des Redaktionsteams 03 Inhaltsverzeichnis 04 æ Einführung Wenn das Dutzend voll ist, könnte es 13 schlagen, wie wild sie auch immer sein mag … 06 Otto F. Bode Interaktionsarbeit und Digitalisierung – Gemeinwohl als Maßstab, Gute Arbeit als Prinzip 08 Anke Thorein Gestaltung interaktiver Arbeit – 10 Der Förderschwerpunkt „Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen“ Jennifer Dopslaff, Alexander Lucumi Interaktionsarbeit im Kontext des digitalen Wandels: 12 Herausforderungen für den Arbeitsschutz Beate Beermann, Armin Windel æ menschliche versus „maschinelle“ interaktionsarbeit Mensch, Maschine! Die Herausforderungen der Mensch-Maschine-Interaktion 14 Christopher Zirnig Was wird aus der Interaktionsarbeit, wenn der Interaktionspartner eine Maschine ist? 16 Fragen an ein soziologisches Konzept Margit Weihrich Was gibt es hier noch auszuhandeln? Zur Kooperationsarbeit von Menschen und Maschinen 18 Wolfgang Dunkel, Margit Weihrich Gefühls- und Emotionsarbeit in der Mensch-Maschine-Interaktion – mit Gefühl und ohne 20 Margit Weihrich, Marc Jungtäubl, Tanja Fink-Cvetnic Und dann fragt sich der Pilot: „Was macht er denn jetzt schon wieder?“ 22 Vom erfahrungsgeleitet-subjektivierenden Umgang mit technischen Systemen Tanja Fink-Cvetnic Paraformale Aktivitäten bei Interaktionsarbeit? 24 Marc Jungtäubl æ wie verändert technik die interaktion(sarbeit)? Von der Mensch-Mensch zur Mensch-Maschine-Interaktion? 26 Mögliche Implikationen für Beschäftigte, Kundschaft und Organisationen Nadja Dörflinger, Jonas Wehrmann Maschineller „Autismus“ – Können und sollen Maschinen Regeln brechen? 28 Anil K. Jain „Ups, was meinst du?“ – Eine Zukunft mit Chatbots?! 30 Marvin Heuer, Tom Lewandowski 4
inhalt 32 Bots im Kundenservice – gute digitale Interaktionsarbeit für alle?! Susanne Robra-Bissantz, Louisa Hellenbrecht 34 „Männliche“ Technik(-entwicklung) für „weibliche“ (Interaktions-)Arbeit?! Gender bei Arbeit und Technik Sabrina Sobieraj, Marc Jungtäubl 36 Gendering und De_Gendering informatischer Artefakte oder: Wie „männlich“ ist Siri? Änne Hildebrandt 38 „Verstehen wir uns?“ – Herausforderung automatisierter Interaktionsarbeit. Oder: Annäherung an einen unterbrechungs- und interaktionssensiblen Chatbotprozess Stephanie Porschen-Hueck, Faranak Jahromi, Thorsten Zylowski 40 Learning Analytics und Augmented Reality – Veränderung von Lehren und Lernen durch den Einsatz von intelligenter Assistenz Rabea Bödding, Simon Schriek, Hendrik Oestreich, Marc Brünninghaus, Dominik Bentler 42 Künstliche Intelligenzen in der Bildung – Das Ende des Lehrberufs oder der „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“? Jörg Schlüpmann, Kurt-Georg Ciesinger 44 Überlegungen zur User Experience bei der Interaktion mit menschenähnlichen Pflegerobotern Jürgen Reckfort 46 Alltagsunterstützende Roboter für die Altenpflege im Praxischeck – Luft nach oben? Heidrun Großmann, Paul Fuchs-Frohnhofen, Melanie Jordans 48 Erfahren und Erleben in der Mensch-Maschine-Interaktion (Neben-)Folgen beim Einsatz von Robotik in der Pflege Tobias Hallensleben æ interaktionsarbeit durch menschen – ein auslaufmodell? 50 PRINTCAST „Maschinen betrügen mich nicht“ – Die Sicht der Gen Z auf Bots & Co. Finja Siebecke, Jannis Siebecke 52 „Worin genau besteht der Unterschied?“ – Von Companion-Apps, Flirt-KIs und Sexrobotern Kurt-Georg Ciesinger 54 Herrschen und beherrscht werden – aktuelle wie künftige Gestaltung der Entwicklung intelligenter Technik bei Arbeit in interaktiven Settings Simon Jungtäubl, Marc Jungtäubl 56 „Help, I need somebody“: von Menschen und Maschinen, die Support leisten Sabine Schollas 58 Ein „anderer“ Blick auf „Anderes“ Fritz Böhle præview Nr. 1 | 2022 5
æ einführung Wenn das Dutzend voll ist, könnte es 13 schlagen, wie wild sie auch immer sein mag … Otto F. Bode Zwei Redewendungen und eine Anspielung auf ein Kinderbuch Der Chatbot tut alles, damit er nicht als Ma- schine erkannt wird. Es ist fast sein Charakter (Jim Knopf und die wilde 13) in einer Überschrift! Was soll das? (seine Programmierung), nicht als Bot erschei- Nun gut, der Autor dieser Zeilen ist Ministerialbeamter, da muss es nen zu wollen (sollen). Aber was bedeuten dann Kooperation, Emotion, Kollaboration etc.? Bauen nicht intuitiv zugänglich sein. Aber gleich so verworren? diese Ideen nicht fundamental auf dem Konzept Also dann, die Auflösung – und zwar wild durcheinander und nicht des Vertrauens auf? etwa der Reihe nach: Natürlich fallen auch gut programmierte Chat- Sie lesen gerade die Ausgabe „Bots & Co – Die nicht alle gewettet, die am Prozess teilgenom- bots als nicht natürlich auf. Doch es wird Zukunft der Interaktionsarbeit“ in der 32. Aus- men haben. Und so wie es aussieht, kommen ja schwieriger. Technische Leistungsfähigkeit und gabe der Zeitschrift præview (wenn die beiden noch einige Jahre hinzu. Zunächst einmal das neue intelligente Programmierungen sowie Sonderausgaben mitgezählt werden, die diese wilde 13. Jahr. schnelle Analysen gigantischer Datenbestände Zeitschrift herausgegeben hat). Und richtig: Das lassen die Maschinen durchaus über mehrere hat mit den Zahlen in der Überschrift gar nichts Wie konnte es geschehen, dass dieses Projekt Kommunikationsschritte hinweg menschlich zu tun. Um das Geheimnis der Überschrift zu so erfolgreich wurde? Wahrscheinlich liegt es wirken. Und nicht immer ist es den Menschen ergründen, muss hinter die Zahlen geguckt wer- daran, dass ein interessantes Gebiet – Arbeits- bewusst, dass sie sich mit einem Algorithmus den. Der Anfang der Ausgaben führt uns näm- gestaltung und Arbeitsforschung – auf enga- unterhalten haben. lich zurück in das Jahr 2010. Damals veröffent- gierte Menschen und Institutionen traf und im- lichte die Fokusgruppe „Innovationsstrategie mer noch trifft. Für einige Handys wird offensiv mit der Fähig- und Gesundheit“ des BMBF-Förderprogramms Auf der Seite der Themen sind zu finden: Prä- keit geworben, dass diese autonom Restaurant- „Arbeiten – Lernen – Kompetenzen entwickeln. vention, demografischer Wandel, Wertschät- buchungen durchführen oder Flüge stornieren Innovationsfähigkeit in einer modernen Arbeits- zung, Personalentwicklung, Kompetenzmana- können – und zwar so, dass die Menschen, mit welt“ ihre Ergebnisse im Förderschwerpunkt gement, Respekt, künstliche Intelligenz etc. Bei denen das Mobiltelefon spricht, nicht merken, „Innovationsstrategien jenseits traditionellen den Institutionen sind es ver.di, BAuA, DAA, dass sie einen Auftrag einer Maschine entge- Managements“. Daraus lassen sich zwei Erkennt- Hochschulen und Forschungseinrichtungen etc. gengenommen haben. Die Chatbots hierbei re- nisse ziehen: In der Kombination ergaben und ergeben sich den, d.h. sie formulieren nicht nur wie Men- daraus viele Fachbeiträge und Projekte, die für schen, sie klingen auch so. Und die Chats sind 1. Geschmeidig waren die Titel der ministeriel- weit mehr als zwölf Jahre „Denk- und Lesestoff“ nicht mehr nur in Textnachrichten möglich, sie len Veröffentlichungen schon damals. liefern können. sind schon heute (rudimentäre) Smalltalks. 2. Im Jahr 2022 sind zwölf Jahre Publikations- Was dabei herauskommt, wenn der Blick auf die Diese Bots können heute schon viel, aber sind geschichte der Zeitschrift præview vorbei. Frage gerichtet wird, wie sich „Arbeiten an und noch weit von Perfektion entfernt. Die Über- mit Menschen“ (so der Titel der BMBF-Förder- schrift dieses Artikels dürfte noch zu viele Ver- Das ging schnell! Und obgleich die Zeit wie im bekanntmachung) gestaltet, wenn Chatbots, weise auf Redewendungen und Verweise ent- Fluge vergangen ist, lässt sich ohne Übertrei- Roboter und andere Maschinen in ein typisches halten, um von Algorithmen verstanden zu bung sagen: Dass damals der Startschuss für Feld interaktiver Arbeit drängen, das war der werden. Aber: wie lange noch? eine zwölf Jahre dauernde Publikationsge- Denkraum der Beiträge dieser Ausgabe. Und das schichte gelegt werden würde, darauf hätten Thema ist nicht trivial, fangen doch viele dieser Beziehungen mit einer großen Täuschung an: 6
Im Vergleich zu „Chat-Bots“ haben „Ro-Bots“ Fußballergebnisse, werden mit einem freundli- Der Autor es schwer. Sie sind physisch anwesend und müs- chen „gute Nacht“ dazu überredet, die „Abend- Ministerialrat Dr. Otto F. Bode, Volkswirt und sen nicht nur formulieren wie Menschen und routine“ zu starten – und sie hören sich wahr- Pädagoge, ist Leiter des Referats „Zukunft von ggf. klingen wie Menschen, sie müssten, um scheinlich viel derbere Beleidigungen an als Arbeit und Wertschöpfung; Industrie 4.0“ im täuschen zu können, auch aussehen wie Men- mancher unbeliebte Mitmensch (nicht zufällig Bundesministerium für Bildung und Forschung. schen. Davon sind wir heute noch weiter ent- gibt es für all diese Systeme einen Befehl der fernt. Aber vielleicht lenkt dieser Nachteil der Art „Lösche alles, was ich gesagt habe“). Roboter den Fokus auch nur auf eine andere Ebene der Mensch-Technik-Beziehung in der Wie weit die gesellschaftliche Akzeptanz der Interaktionsarbeit. Interaktion ist immer ein ge- Bots gehen wird, lässt sich heute nicht sagen. sellschaftliches System. Und in diesem System Junge Generationen wachsen mit diesen Bots spielen Kategorien wie Vertrauen und Akzeptanz auf. Für sie ist eine Unterrichtsstunde via Tablet, eine große Rolle. eine Flugbuchung via Chatbot-Handy oder ein Pflegeroboter so selbstverständlich wie ein Blei- Roboter starten nicht mit einer Lüge, sie zeigen, stift für die Generation der 60er oder ein Fern- dass sie keine Menschen sind, auch wenn sie seher für die Kinder der 80er. Vielleicht ist diese Otto F. Bode sich in mancher Hinsicht wie Menschen ver- Akzeptanz eine Voraussetzung dafür, dass die halten können: Sie hören, sie reden, sie ver- Fähigkeiten der Systeme weiter gesteigert wer- handeln (in gewissen Grenzen) etc., ohne dabei den? Vielleicht sind aber auch die Fähigkeiten zu verschleiern, dass sie dies alles als Maschinen so überzeugend, dass die Bots akzeptiert wer- tun. Vielleicht ist es einfacher zu akzeptieren, den. Natürlich kann auch die Skepsis gegenüber dass ein Roboter interagiert, weil bekannt ist, den Systemen deren Akzeptanz und Verwen- dass es kein Mensch ist. In der Pflege können dung einschränken. sogar Gefühle wie Scham, Peinlichkeit etc. ver- mieden werden, wenn die Patientinnen und Pa- Wie es aussieht, liefert die Arbeitsforschung tienten von Maschinen gewaschen, gepflegt, und -gestaltung auch weiterhin gute Gründe, gefüttert etc. werden. Nicht alle Interaktion mit um „Denk- und Lesestoff“ zu produzieren. Und Maschinen muss zwangsläufig als unmenschlich Bots hin oder her: Im Vertrauen auf die Men- empfunden werden. schen, die sich für diese Themen einsetzen, ist eine These nicht allzu gewagt: Das könnte für Es kann durchaus angenommen werden, dass weitere zwölf Jahre der præview locker reichen. Menschen in vielen Bereichen der Interaktion gar nicht darauf bestehen, mit Menschen zu Viel Spaß also beim Lesen, Denken, Forschen interagieren. Wird also die personennahe und Entwickeln in diesem Feld. Es lohnt sich! Dienstleistung weiterhin das Feld von Personen sein? Wahrscheinlich in vielen Bereichen nicht. Einen Vorgeschmack geben heute schon Assis- tenzsysteme wie Alexa, Siri oder der Google- Assistent. Sie sagen das Wetter an, geben Koch- tipps, singen Schlaflieder, informieren über præview Nr. 1 | 2022 7
æ einführung Interaktionsarbeit und Digitalisierung – Gemeinwohl als Maßstab, Gute Arbeit als Prinzip Anke Thorein Selten ausgesprochen wird die Tatsache, dass Erwerbsarbeit zwischen- zeitlich – auch mit digitalen Mitteln – überwiegend Arbeiten mit Menschen ist: Interaktionsarbeit. 63% der abhängig Beschäftigten über alle Sektoren und Branchen hinweg und 70% der im Dienst- leistungssektor Tätigen arbeiten sehr häufig oder oft mit Menschen als Patient*innen, Kund*innen, Klient*innen. Allerdings: Ob im Arbeits- Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat in den vergangenen Jahren angesichts die- schutz, in der Arbeitspolitik oder in den Arbeitswissenschaften – ser Defizite die Anstrengungen verstärkt, auch Interaktionsarbeit findet insgesamt zu wenig Berücksichtigung und mit Veranstaltungen und Veröffentlichungen das Thema „Arbeit mit Menschen – Interakti- Erkenntnisse über ihre gute und belastungsarme Gestaltung gibt es onsarbeit humanisieren“1 in Arbeitspolitik, be- vergleichsweise wenige. Dabei nimmt die Bedeutung und Verbreitung triebliche Praxis und Forschung zu tragen (ver.di, 2018). Sehr erfreulich und dringend notwendig dieser Arbeit weiter zu – nicht zuletzt durch die Digitalisierung. war, dass der Förderschwerpunkt „Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entstand. Arbeiten mit Menschen kann, wenn die Arbeits- bedingungen stimmen, eine bereichernde und erfüllende Tätigkeit sein. Derzeit gibt es aller- dings erhebliche Defizite in der Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Eine ver.di-Veröffentli- chung zeigte bereits 2011 auf, dass die Arbeit mit Kund*innen, Patient*innen und Klient*innen besondere und zusätzliche Belastungen bei Ar- beitsintensität, Arbeitszeit sowie emotionalen Anforderungen mit sich bringt (ver.di, 2011). Dieser Befund hat sich durch weitere ver.di- Veröffentlichungen bestätigt. Die ver.di-Son- derauswertung „Arbeiten mit Menschen – Inter- Anke Thorein aktionsarbeit“ auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2018 für den Dienstleistungssektor Die Autorin brachte weitere Erkenntnisse insbesondere zu Anke Thorein, Diplom-Sozialökonomin, war den Mehrfachbelastungen zutage (ver.di, 2019): langjährige Fachreferentin im Bereich Inno- So gaben 38 % der Beschäftigten mit Interakti- vation und Gute Arbeit in der ver.di-Bundes- onsarbeit an, sehr häufig oder oft ihre Gefühle verwaltung in Berlin. Seit April 2022 wirkt verbergen zu müssen; unter den nicht interaktiv sie in der Tarifpolitische Grundsatzabteilung Arbeitenden im Dienstleistungssektor sind dies von ver.di. mit 18 % deutlich weniger. Auch kommt es bei interaktiver Arbeit häufig zu Konflikten und 8
Streitigkeiten mit Kund*innen. Als häufige Stress- In der betrieblichen Praxis – so insbesondere Menschen zeigte sich somit ein auffälliger Zu- ursache wurden kundenunfreundliche Vorgaben bei der Gefährdungsbeurteilung – werden die sammenhang: Je stärker persönliche Kontakte angegeben. Hinzu kommt, dass interaktiv Arbei- besonderen Herausforderungen und Belastun- zu Kund*innen etc. durch digitale Kommunika- tende sehr häufig oder oft negativen, psychisch gen in der Arbeit mit Menschen leider kaum tion ersetzt wurden, desto ausgeprägter war belastenden Erlebnissen ausgesetzt sind. Bei der berücksichtigt. ver.di hat daher konkrete An- die Belastungszunahme (DGB, 2021). Arbeitszeit wurde u.a. deutlich, dass mehr Be- satzpunkte zur Integration von Interaktionsar- schäftigte mit Interaktionsarbeit Überstunden beit in die beteiligungsorientierte Gefährdungs- Solche Hinweise zeigen die Dringlichkeit für die leisten als Beschäftigte ohne Interaktionsarbeit beurteilung 2 entwickelt und setzt sich u.a. in Entwicklung von Wissen und humanen Lösun- (55 % gegenüber 45 %). Dies geschieht oftmals der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutz- gen bei Interaktionsarbeit und Digitalisierung auch ohne Bezahlung: 18 % der Beschäftigten, strategie für entsprechende Regelungen und auf. Digitalisierungsprozesse und die Weiter- die interaktiv arbeiten, geben an, sehr häufig Schritte ein. Wichtig ist hierbei die grundle- entwicklung von KI-Anwendungen werden oder oft unbezahlte Arbeit außerhalb ihrer nor- gende Beteiligung von Beschäftigen insgesamt weitreichende Folgen für die Gesellschaft und malen Arbeitszeit für den Betrieb zu leisten. bei der Beurteilung ihrer eigenen Arbeitsbedin- die Arbeitswelt haben. Um diese Veränderungen Unter den nicht interaktiv Arbeitenden liegt gungen und ihre Einschätzung auf die Auswir- sozial, menschengerecht und gemeinwohlori- dieser Anteil mit 11 % niedriger. Sie sind außer- kungen der Dienstleistungsqualität. Nur wenn entiert, und das heißt für ver.di selbstverständ- dem der Anforderung einer ständigen Erreich- die Beschäftigten systematisch, und das heißt lich unter Wahrnehmung der Interessen der Be- barkeit im höheren Maße ausgesetzt (25 % zu auch bei der Entwicklung von Lösungen, zu- schäftigten, zu gestalten, sind Gute Arbeit als 18 %). sammen mit den betrieblichen Interessensver- Leitidee, Gemeinwohl als Maßstab, Technikfol- tretungen einbezogen werden, lassen sich genabschätzungen als Pflichtprogramm und Auf der Basis eines insgesamt hohen Stresslevels schlechtere Arbeitsbedingungen verhindern. Vernunft als Grundlage unabdingbar. Niemals im Dienstleistungssektor wurden Unterschiede Dies gilt auch für die Einführung und Anwen- darf es so weit kommen, dass wir der Technik zwischen den Angaben von Beschäftigten mit dung digitaler Techniken. einen Subjektstatus zumessen, und auf jeden und ohne Interaktionsarbeit verdeutlicht: Die Fall sollten wir Interaktionsarbeit – die Arbeit Anteile derjenigen, die von (sehr) häufigen un- Dass der Einsatz von Technologien nicht einer von Menschen mit Menschen – auch begrifflich erwünschten Arbeitsunterbrechungen und Logik der Technik folgen darf, sondern im Sinne von der Arbeit mit Rechnern und digitalen Ver- Arbeitshetze berichten, sind bei interaktiv Ar- der Menschen und das heißt insbesondere auch fahren unterscheiden. In diesem Sinne entwi- beitenden höher als bei nicht interaktiv Arbei- der Beschäftigten gestaltet werden muss, zeigen ckelt ver.di Diskussions- und Positionspapiere, tenden. Zugleich erweisen sich auch die damit auch die Erfahrungen in der Umstellung der Leitlinien, Handreichungen und Empfehlungen verbundenen Belastungen als höher. Zudem Kommunikation während der Corona-Pandemie: zum Thema Digitalisierung 3. wurde festgestellt, dass Interaktionsarbeit So bedeutet der Wechsel der Kommunikation 1 https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/themen/interaktions- gleichzeitig oft von körperlich schwerer Arbeit auf digitale Mittel für viele Beschäftigte mit In- arbeit, zuletzt abgerufen am 01.02.2022. oder von Arbeit in ungünstiger Körperhaltung teraktionsarbeit keine Arbeitserleichterung. Ein 2 https://www.verdi-gefaehrdungsbeurteilung.de/page.php?view =&lang=1&si=6202771c49169&k1=main&k2=strategieak- begleitet ist. 55 % der Beschäftigten mit Inter- Drittel nahm dabei eine Zunahme der Belastung teure&k3=interaktionsarbeit&k4=, zuletzt abgerufen am aktionsarbeit geben an, dass sie sehr häufig wahr. 54% sahen keine Veränderung und ledig- 01.02.2022. 3 https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/themen/digitale- oder oft bei ihrer Arbeit eine ungünstige Kör- lich 13 % spürten Entlastungen. Bei der Digita- arbeit/beschluesse-und-positionen, zuletzt abgerufen am perhaltung einnehmen müssen (ver.di, 2019). lisierung von Kommunikation bei der Arbeit mit 01.02.2022. Literatur ver.di (Hrsg., 2011). Arbeitsberichterstattung aus Sicht der Be- schäftigten. Nr. 2 „Arbeit mit Kunden, Patienten, Klienten“. Berlin: ver.di. ver.di (Hrsg., 2018). Arbeiten mit Menschen – Interaktionsarbeit humanisieren. Band 1: Gestaltungskonzepte und Forschungs- bedarf. Frankfurt am Main: Bund-Verlag. ver.di (Hrsg., 2019). Arbeiten mit Menschen – Interaktionsarbeit. Eine Sonderauswertung auf Basis des DGB-Index Gute Arbeit 2018 für den Dienstleistungssektor. Berlin: ver.di. DGB (2021). DGB-Index Gute Arbeit – Jahresbericht 2021. Berlin: Institut DGB-Index Gute Arbeit. præview Nr. 1 | 2022 9
æ einführung Gestaltung interaktiver Arbeit – Der Förderschwerpunkt „Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen“ Jennifer Dopslaff, Alexander Lucumi Technologische Wandlungsprozesse beeinflussen zunehmend unser aller Arbeitsalltag in unterschiedlicher Form oder Tragweite. Unterstützende digitale Anwendungen, virtuelle Teammeetings oder hochkomplexe Maschinen zählen in vielen Berufen und Branchen bereits zur geübten Normalität. Doch welche Rolle kann Technisierung bei einer spezifischen Form von Erwerbsarbeit spielen, bei der insbesondere das menschliche Miteinander den Kern der Arbeit darstellt? Wie können technische Hilfsmittel sinnstiftend und gesundheits- förderlich eingesetzt werden, wenn diese Arbeit vor allem durch eine wechselseitige Kooperation, situatives Handeln sowie durch den Umgang mit Emotionen geprägt ist? Dabei ist zu beachten, dass interaktive Arbeit, tion, Dienstleistung und Arbeit von morgen“ greifenden Rahmen stellt. Diese Rolle über- also das menschliche Miteinander, z.B. mit sowie des nachfolgenden Fachprogramms „Zu- nimmt das wissenschaftliche Metaprojekt „In- Kund*innen, Klient*innen oder Patient*innen, kunft der Wertschöpfung – Forschung zu Pro- teraktionsarbeit: Wirkungen und Gestaltung des nicht immer messbar und nur schwer objekti- duktion, Dienstleistung und Arbeit“ durchge- technologischen Wandels (InWiGe)“, bestehend vierbar ist. Dies wird beispielsweise im Dienst- führt. Die Verbünde von „Zukunft der Arbeit: aus der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und leistungssektor sichtbar, denn Dienstleistungen Arbeiten an und mit Menschen“ werden vom Arbeitsmedizin (BAuA, Koordination) und dem sind vor allem durch soziale Beziehungen ge- BMBF gefördert und vom Europäischen Sozial- Internationalen Institut für Empirische Sozial- prägt und werden überwiegend an und mit fonds (ESF) kofinanziert. ökonomie gGmbH (INIFES). Menschen als interaktive Tätigkeiten erbracht. Zu berücksichtigen sind hier sachbezogene und In diesem Kontext entwickeln die Projekte über- Einerseits soll auf Basis eigener Forschungsar- personenbezogene Dienstleistungen, aber auch tragbare Konzepte und Modelle, die die spezi- beiten und im Kontext des Förderschwerpunkts die innerbetriebliche soziale Interaktion am fischen Anforderungen der Arbeit an und mit ein Instrumentarium mit Lösungsansätzen zur Arbeitsplatz wie zwischen Vorgesetzten und Menschen im technologischen und digitalen Analyse und Gestaltung von Interaktionsarbeit Kolleg*innen. Infolge des Anstiegs hybrider Wandel abbilden sollen. Dabei werden drei the- entwickelt sowie für die Praxis aufbereitet wer- Wertschöpfungssysteme werden Kund*innen, matische Forschungs- und Entwicklungsberei- den. Andererseits soll durch die Begleitung der Klient*innen und Patient*innen zudem verstärkt che, je in unterschiedlicher Ausprägung, von 18 Verbundprojekte eine Vernetzung, Integra- in den Arbeitsprozess von Dienstleistungen ein- jedem Verbund übergeordnet bearbeitet: tion und Generalisierung der Erkenntnisse aus bezogen, wodurch sich wiederum auch weiter- æ Methoden und Instrumente für die Arbeit an verschiedenen Branchen entstehen. Dies soll führende Veränderungen für Arbeitsaufgaben, und mit Menschen im digitalen Wandel, insgesamt die langfristige Anschlussfähigkeit Qualifikationen und Berufsbilder ergeben. æ Gestaltung und prozessbegleitende Analyse des Themas „Arbeiten an und mit Menschen“ von Geschäftsmodellen der interaktiven Ar- auch über den Förderschwerpunkt hinaus in Insgesamt wird ersichtlich, dass die Herausfor- beit, wissenschaftlichen, praktischen und gesell- derungen technologischer Veränderungen für æ neue Formen der Organisation innerbetrieb- schaftlichen Kontexten ermöglichen. die Arbeit an und mit Menschen einer beson- licher Zusammenarbeit und Führung. deren Betrachtung bedürfen. Pilothafte Erpro- Die Vernetzung der Verbundprojekte im Förder- bungen mit praxisorientierten Handlungsemp- Die einzelnen Forschungsverbünde aus Wissen- schwerpunkt erfolgt dabei neben verschiedenen fehlungen können dabei als eine unterstützende schaft, Praxis und Sozialpartnern betrachten Veranstaltungs- und Publikationsformaten ins- Maßnahme verstanden werden. unternehmensbezogene, vorwettbewerbliche besondere durch die Konzeption von drei the- Anwendungsfälle aus verschiedenen Berufs- matischen Fokusgruppen, in denen Vertreter*in- Seit 2019 setzen sich deshalb 18 verschiedene gruppen und Branchen. Um nur auszugsweise nen der Verbundprojekte zu folgenden Themen Verbundprojekte im Förderschwerpunkt „Zu- ein paar Beispiele zu nennen: Das Spektrum der gemeinsam im Austausch stehen und Gestal- kunft der Arbeit: Arbeiten an und mit Men- einzelnen Bereiche reicht von Anwendungssze- tungskonzepte interaktiver Arbeit aus interdis- schen“ des Bundesministeriums für Bildung und narien innerhalb der Pflege und im Kundenser- ziplinären Blickwinkeln erarbeiten: Forschung (BMBF) mit dieser Thematik intensiv vice bis hin zum produzierenden Gewerbe und æ Fokusgruppe 1: Direkte Interaktion zwischen auseinander. technischen Dienstleistungen. Dienstleistungsgeber*innen und Dienstleis- tungsnehmer*innen, Der Förderschwerpunkt wird im Rahmen der Neben den 18 Verbundprojekten wird zudem æ Fokusgruppe 2: Zwischenbetriebliche Inter- Programmlinie „Zukunft der Arbeit“ als Teil des ein wissenschaftliches Projekt gefördert, das die aktionsarbeit – Zusammenarbeit von Dienst- Dachprogramms „Innovationen für die Produk- Ergebnisse der Verbundprojekte in einen über- leister*innen, 10
æ Fokusgruppe 3: Die Bedeutung von Kompe- tenzentwicklung und Führung für die Inter- aktionsarbeit – die innerbetriebliche Perspek- tive. Seit dem Start im Oktober 2020 ist die inhaltli- che Fokusgruppenarbeit vor allem durch zahl- reiche Diskussionen und verschiedene Formate der interdisziplinären Zusammenarbeit geprägt Jennifer Dopslaff, Alexander Lucumi gewesen. Inspiriert von den Gesprächen inner- halb der Fokusgruppenarbeit ist die vorliegende Publikation als ein erstes Ergebnis der Fokus- gruppe 1 zu verstehen. Hierbei ist jedoch an- Die Autor*innen zumerken, dass sich die darin enthaltenen Jennifer Dopslaff, M.A. Soz., ist Projektbevoll- Beiträge nicht nur auf die Fokusgruppenteil- mächtigte beim Projektträger Karlsruhe nehmenden selber begrenzen. Vielmehr konnte (PTKA) am Karlsruher Institut für Technologie die Thematik bereits jetzt schon in diversen (KIT). Im Rahmen ihrer Tätigkeit beim PTKA ist Kontexten ein den Förderschwerpunkt über- sie u.a. verantwortlich für den Förderschwer- greifendes Interesse auch über die Arbeitsfor- punkt „Zukunft der Arbeit: Arbeiten an und schungscommunity hinaus wecken. Beispiels- mit Menschen“ des Bundesministeriums für weise ließen sich thematische Verknüpfungen Bildung und Forschung (BMBF). mit einem weiteren wissenschaftlichen Projekt „Begleitforschung Personennahe Dienstleistun- Dr.-Ing. Alexander Lucumi ist Leiter der Abtei- gen (BeDien)“ aus dem Förderschwerpunkt „Per- lung „Innovationen für die Arbeit“ beim Pro- sonennahe Dienstleistungen“ (ebenfalls aus dem jektträger Karlsruhe (PTKA) am Karlsruher In- bereits genannten Dachprogramm des BMBF) stitut für Technologie (KIT) und beschäftigt herstellen. Hierbei wurden und werden vor allem sich mit der Betreuung des Fachprogramms Schnittmengen bezüglich der Thematik „Arbei- „Zukunft der Wertschöpfung. Forschung zur ten an und mit Menschen“ aus der Perspektive Produktion, Dienstleistung und Arbeit“ aus der Dienstleistungs- und Arbeitswissenschaften Sicht der Arbeitsforschung und im Auftrag identifiziert, diskutiert und gegenseitige Impulse des Bundesministeriums für Bildung und For- für die weitere Forschungsarbeit entwickelt. schung (BMBF). Die vorliegende Zeitschriftenausgabe kann so- mit neben den beschriebenen diversen Arbeits- und Vernetzungskonzepten innerhalb des För- derschwerpunkts als ein Ergebnisbeitrag zur Er- höhung der Breitenwirksamkeit der Thematik verstanden werden. Es soll einen anschaulichen Überblick über entsprechende Chancen und Ri- siken interaktiver Arbeit im technologischen und demografischen Wandel geben und ebenso das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer zukunftsorientierten Arbeitsgestaltung stärken. Wir danken allen, die sich in die Erstellung der Publikation eingebracht haben und wünschen den Leser*innen zahlreiche inspirierende Im- pulse sowie neue Denkansätze für die Gestal- tung von Interaktionsarbeit. præview Nr. 1 | 2022 11
æ einführung Interaktionsarbeit im Kontext des digitalen Wandels: Herausforderungen für den Arbeitsschutz Beate Beermann, Armin Windel Der immer häufiger werdende Einsatz digitaler Technologien in Organisa- rauf hin, dass sich der Einsatz digitaler Techno- logien bei Erwerbstätigen, die mit Menschen tionen führt zu Veränderungsprozessen, die die gegenwärtige Arbeitswelt arbeiten, nicht wesentlich von den Befragten nachhaltig beeinflussen. Diese Entwicklung betrifft in unterschiedlichem anderer Branchen unterschied (ebd.). Aus Sicht des Arbeitsschutzes müssen neue Anforderun- Ausmaß und Tempo alle Branchen, Tätigkeiten und Formen der Erwerbs- gen identifiziert und bei arbeitsgestalterischen arbeit – so auch die Interaktionsarbeit. Maßnahmen berücksichtigt werden, um Fehl- beanspruchung zu vermeiden und zum Erhalt Es ist zu erwarten, dass sich sowohl das Ausmaß tergrund einer digitaler werdenden Arbeitswelt? der Gesundheit von Beschäftigten beizutragen. als auch das Erscheinungsbild dieser besonderen Welche neuen oder veränderten Anforderungen Auch der Förderschwerpunkt, mit dessen Arbeit Form der Erwerbsarbeit unter den Einflüssen stellt die zunehmende Interaktion mit Maschi- sich dieses Heft auseinandersetzt, will dazu bei- einer stetig digitaler werdenden Arbeitswelt nen oder anderen technischen Lösungen? In tragen, Erkenntnisse zur menschengerechten verändern wird. Konkret manifestiert sich die welchem Zusammenhang stehen digitale Tech- Gestaltung von Interaktionsarbeit zu generieren. Entwicklung darin, dass die klassische Interak- nologien mit arbeitsbedingten Belastungen, Be- tionsarbeit, wie sie zwischen Dienstleistenden anspruchungen und Beanspruchungsfolgen? Der Förderschwerpunkt und und Kund*innen, Patient*innen und Klient*innen Wie kann Interaktionsarbeit angesichts der Ein- das Projekt InWiGe stattfindet, mehr und mehr durch verschiedene flüsse von Digitalisierung menschengerecht und Um das Verständnis von Interaktionsarbeit im technische Lösungen (z.B. Chatbots, Sprachas- gesundheitsförderlich gestaltet werden? Kontext des digitalen Wandels zu erforschen, sistenten und Bestellterminals) ergänzt (oder hat das Bundesministerium für Bildung und gar ersetzt) wird. So tritt als Interaktionspart- Erste Einsichten zu jenen Fragestellungen gibt Forschung den Förderschwerpunkt „Zukunft der ner*in nicht mehr nur ein Mensch, sondern die DiWaBe-Befragung (Digitalisierung und Arbeit: Arbeiten an und mit Menschen“ ins Le- immer häufiger auch eine Maschine in Erschei- Wandel der Beschäftigung). Die Befragung zielte ben gerufen. Einerseits sollen wissenschaftliche nung. In diesem Kontext entstehen neue Po- darauf ab, die Auswirkungen der digitalen Trans- Erkenntnisse generiert werden, die dann ande- tenziale, die die Arbeit von Beschäftigten in formation zu erheben und wurde 2019 gemein- rerseits dafür genutzt werden sollen, Gestal- personenbezogenen Dienstleistungsberufen sam von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz tungsempfehlungen für die betriebliche Praxis durch Technikeinsatz verändern. Dabei ergeben und Arbeitsmedizin, dem Bundesinstitut für Be- zu entwickeln. Die Vielfalt der Interaktionsarbeit sich sowohl Chancen als auch Risiken; Chancen rufsbildung und weiteren Partner*innen durch- spiegelt sich dabei in den 19 beteiligten Pro- vor allem dort, wo es z.B. um die Reduzierung geführt. Befragt wurden hierbei annähernd jekten wider, die verschiedensten Fragestellun- physischer Belastungen oder um die Erleichte- 7.500 Erwerbstätige aus 2.000 deutschen Pro- gen in unterschiedlichen Berufen, Organisatio- rung von komplexen Arbeitsprozessen geht. Ri- duktions- und Dienstleistungsbetrieben. Ge- nen und Branchen nachgehen, wie dieses Heft siken werden dagegen beispielsweise im Hinblick nerell verweisen die Daten auf eine hohe Tech- verdeutlicht. auf die Frage der kognitiven Überforderung (z.B. nologienutzung und einen wachsenden Digi- durch eine höhere Technikaffinität der Beschäf- talisierungsgrad in personenbezogenen Tä- Unser Projekt „Interaktionsarbeit: Wirkungen tigten) diskutiert (Meyer et al., 2019). In Zukunft tigkeiten. So gaben 89 % der Befragten, die mit und Gestaltung des technologischen Wandels bedarf es daher einer tiefergreifenden wissen- Menschen arbeiten, an, bei der Ausübung ihrer (InWiGe)“ hat dabei eine Doppelrolle: Neben schaftlichen Auseinandersetzung mit den Ein- Tätigkeit häufig oder immer Informations- unseren eigenen Forschungsarbeiten unterstüt- flüssen des digitalen Wandels auf die zu leis- und Kommunikationstechnologien zu nutzen zen wir den Förderschwerpunkt, tragen zu seiner tende Interaktionsarbeit. Im Zentrum der Be- (Schlicht et al., 2020). Zugleich ergaben sich Vernetzung bei und machen die erarbeiteten trachtung sollten hierbei vor allem konkrete damit neue Anforderungen an die Technikbe- Ergebnisse für verschiedene Zielgruppen zu- Gestaltungsmaßnahmen stehen, um im Sinne herrschung und Technikaffinität der Beschäf- gänglich. Der Bundesanstalt für Arbeitsschutz einer prospektiven Arbeitsgestaltung mögliche tigten. Während technologische Lösungen wie und Arbeitsmedizin ist es dabei ein Anliegen, Risiken schon in ihrer Entstehung zu verhindern. Desktop-PC, Laptop und Smartphone weitge- das vorhandene Wissen und die neuen Erkennt- hend bei den Erwerbstätigen mit personenbe- nisse der Verbundprojekte aufzubereiten und Die menschengerechte Gestaltung zogener Tätigkeit verbreitet waren, kamen ver- zu systematisieren. Ein besonderer Fokus unserer von Interaktionsarbeit im Kontext netzende Technologien weniger zum Einsatz Arbeit liegt dabei auf dem Themenfeld des Ar- des digitalen Wandels (ebd.). Zudem zeigt die Befragung, dass fast beitsschutzes, das wir auch in unsere eigene Aus Perspektive des Arbeitsschutzes treten der- jede*r fünfte Erwerbstätige mit personenbezo- empirische Studie integriert haben. Basierend zeit zunehmend neue Fragestellungen und gener Tätigkeit angab, immer oder häufig mit auf einem tätigkeitsbezogenen Beobachtungs- Herausforderungen in den Vordergrund: Wie Störungen bei der Anwendung von Informati- fokus erforschen wir über verschiedene Be- verändern sich das Ausmaß und das Erschei- ons- und Kommunikationstechnik konfrontiert schäftigtengruppen und Branchen hinweg die nungsbild von Interaktionsarbeit vor dem Hin- zu sein (ebd.). Insgesamt deuten die Daten da- Entstehung und Wirkung von Arbeitsbedingun- 12
Beate Beermann, Armin Windel gen in der Interaktionsarbeit im Kontext des Die Autor*innen digitalen Wandels. Denn dieses Verständnisses Dir'in und Prof'in Dr. Beate Beermann ist bedarf es, um Implikationen für den Schutz der Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Beschäftigen, die Interaktionsarbeit leisten, ab- Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und leitet zuleiten. Unser Projekt InWiGe wie auch der das Metaprojekt InWiGe. Förderschwerpunkt „Arbeiten an und mit Men- schen“ möchten zu einer menschengerechten Dir. und Prof. Dr. Armin Windel ist Leiter der und gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung Stabstelle Internationales, wissenschaftliche für Beschäftigte, die an und mit Menschen ar- Kooperationen der Bundesanstalt für Arbeits- beiten, beitragen. Wir hoffen zudem, dass da- schutz und Arbeitsmedizin und begleitet das durch die besonderen Anforderungen der In- Metaprojekt InWiGe in seiner Rolle als Pro- teraktionsarbeit sichtbarer werden, und zwar jektleiter. sowohl in der wissenschaftlichen als auch der gesellschaftlichen Debatte. Fazit Der digitale Wandel verändert die Art und Weise, wie Interaktionsarbeit geleistet wird. Wie immer birgt auch diese Veränderung Chancen wie Risiken. Um diese zu identifizieren, zu ana- lysieren und deren Implikationen – insbesondere im Hinblick auf den Arbeitsschutz – abzuleiten, gilt es, das Themenfeld der Interaktionsarbeit in seiner großen Heterogenität weiter zu erfor- schen. Auch wenn bestehende Erkenntnisse da- rauf verweisen, dass es nur schwer möglich ist, Interaktionsarbeit durch Technik zu ersetzen und gleichzeitig eine hohe Zufriedenheit der Beschäftigten und Kund*innen zu gewährleisten (Böhle, 2011), wird der Wandel der (Interakti- ons-)Arbeit weiter voranschreiten. Daher ist es wichtig, etwaige neue Anforderungen an die Beschäftigten – beispielsweise die Interaktion mit Maschinen oder anderen technischen Lö- sungen – zu beobachten, zu kartieren und zu analysieren. Die gewonnenen arbeitswissen- schaftlichen Erkenntnisse sollten dann in kon- krete Gestaltungsempfehlungen übersetzt wer- den, um den Schutz der Beschäftigten, die an und mit Menschen arbeiten, zu gewährleisten. Literatur Böhle, F. (2011). Interaktionsarbeit als wichtige Arbeitstätigkeit im Dienstleistungssektor. WSI-Mitteilungen, 64(9), S. 456-461. Meyer, S.-C., Tisch, A. & Hünefeld, L. (2019). Arbeitsintensivierung und Handlungsspielraum in digitalisierten Arbeitswelten – Herausforderung für das Wohlbefinden von Beschäftigten? Industrielle Beziehungen. Zeitschrift für Arbeit, Organisation und Management, 2/2019, S. 207-231. Schlicht, L., Melzer, M. & Rösler, U. (2020). Personenbezogene Tätigkeiten im digitalen Wandel: Arbeitsmerkmale und Tech- nologieeinsatz. Dortmund: BAuA. præview Nr. 1 | 2022 13
æ menschliche versus „maschinelle“ interaktionsarbeit Mensch, Maschine! Die Herausforderungen der Mensch-Maschine-Interaktion Christopher Zirnig Aufgrund der potenziellen positiven Folgen der Digitalisierung für Effizienz und Wirtschaftlichkeit liegt der Fokus der Forschung häufig überwiegend auf der technischen Entwicklung teilautonomer Systeme, wie beispielsweise Cyber-Physical Systems (CPS) oder dem Internet der Dinge. Dabei besteht die Gefahr, an der Realität vorbei zu forschen. Die eigentliche Herausforderung im Arbeitsalltag besteht nämlich darin, die erfolgreiche Zusammenführung von Mensch und Maschine, auch Human- Computer Interaction (HCI) genannt, zu meistern. Neue Technologien in bestehende Arbeitsprozesse zu implementieren, ist also die drängendere Frage als die technische Entwicklung selbst. Besonders die Akzeptanz neuer Technologien durch die Arbeitnehmer*innen ist dabei entscheidend. Der Erfolg intelligenter und teilautomatisierter Technik wird hauptsächlich davon abhängen, Mensch-Maschine- Interaktionen gut zu gestalten und für eine effiziente Zusammenarbeit zwischen motivierten Mit- arbeiter*innen und neuer Technik zu sorgen. Mensch-Maschine-Schnittstellen Um zu klären, was mit interaktiven Maschinen Gesichtserkennung gemeint ist, soll zunächst einmal der aktuelle Bewegungssensorik Stand der Mensch-Maschine-Schnittstellen dar- Objekterkennung gelegt werden. Dazu haben Ren und Bao (2020) Texterkennung einschlägige Literatur auf dem Gebiet unter- Sprachausgabe sucht und folgende Kategorien festgelegt: Spracheingabe Wearables Zuhören und Sprechen: Gemeint sind die Fä- Cyber-Physical Systems higkeiten eines Systems, „zuzuhören“ (also von nie sehr selten selten teils/teils häufig sehr häufig Menschen gesprochene Befehle zu verarbeiten) und zu „sprechen“ (also Output in Form von Die Nutzung interaktiver Mensch-Maschine-Schnittstellen gesprochener, natürlicher Sprache zu geben), um die auditiven Fähigkeiten des Menschen im Die Grafik zeigt die Häufigkeit der Nutzung der zeigen drei grundsätzliche Hürden bei der Ein- Interaktionsprozess zu imitieren. unterschiedlichen Schnittstellen zwischen Men- führung von Automatisierung: schen und Maschinen in der Arbeitswelt in Lesen und Schreiben: Eine weitere Form der Deutschland (Zirnig & Jungtäubl 2021). Die Prozessintegration: Trotz Change Manage- Mensch-Maschine-Interaktion sind Schriftzei- repräsentative Befragung, aus der die Grafik ments und Prozessanalysen bleibt es immer eine chen, wie das Lesen (Verarbeiten) und Schreiben hervorging, hat 1.980 Beschäftigte aus ganz Herausforderung, genau die Prozessänderungen (Ausgeben) von Buchstaben. Interaktive Systeme Deutschland und aus allen Branchen zur Grund- herauszukristallisieren, die für die Mitarbei- mit den Fähigkeiten des Lesens und Schreibens lage. Alles in allem betrachtet macht die Grafik ter*innen einen subjektiven Vorteil bieten. Nur fallen in die Kategorie der natürlichen Sprach- deutlich, dass die Nutzung von interaktiven so kann aber sichergestellt werden, dass die au- verarbeitung (NLP oder Natural Language Pro- Schnittstellen in Deutschland noch nicht sehr tomatisierte Unterstützung nicht abgelehnt cessing). weit verbreitet ist. Gefragt danach, wie häufig wird und sich eingespielte Verhaltensweisen es vorkommt, dass einzelne Schnittstellen be- und Prozesse wieder durchsetzen. Visueller Sinn: Beim maschinellen „Sehen“ nutzt werden, liegen alle abgefragten Szenarien geht es darum, ein System dazu zu bringen, die auf einer Antwortskala von „nie“ bis „sehr häu- Akzeptanz: Die Änderung von Prozessen und Umgebung optisch wahrzunehmen. Dies be- fig“ zwischen den Antwortkategorien „sehr sel- insbesondere die Nutzung unterstützender deutet, dass eine Kamera Bilder erfasst und ein ten“ und „selten“. Technik kann an sehr vielen Details scheitern Computer diese so verarbeitet, dass die Ma- und die Akzeptanz der Nutzer*innen einbüßen. schine Funktionen simulieren kann, die das Automatisierung und HCI Menschen finden zum Beispiel je individuelle menschliche Sehsystem nachahmen (z.B. Bild- Die Einführung neuer und insbesondere inter- Wege, mit einem Arbeitsprozess umzugehen erkennung, Objekterfassung, Bewegungserken- aktiver Technologien in bestehende Arbeitspro- und ihn auszuführen. Eine neue Technik kann nung usw.). zesse ist stets komplex. Klumpp et al. (2019) zu einer Disruption dieser individuellen Heran- 14
gehensweisen führen und so zur unsichtbaren, derungsprozesse zu planen und dabei das Au- nicht messbaren Stressquelle werden. Unter- genmerk vor allem auf die Schnittstellen zwi- stützende Technik kann auch das professionelle schen Technologie und Menschen zu legen, Selbstbild stören, indem identitätsstiftende denn an diesen Schnittstellen wird über Erfolg Grundkompetenzen abgegeben werden sol- und Misserfolg entschieden. len/müssen. Kompetenz: Neben Prozessintegration und Ak- zeptanz ist die Kompetenz der Beschäftigten ein weiteres wichtiges Element zur erfolgreichen Einführung automatisierter Technik. Neue Tech- nologien erfordern Aus- und Weiterbildung, die wiederum Raum und Zeit in Anspruch nehmen. Aufgrund dieser Hürden ist es stets wichtig, Veränderungsprozesse vom Menschen und nicht von der technischen Machbarkeit her zu denken. Christopher Zirnig Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen macht Sheridan Der Autor (2016) eine Reihe von Vorschlägen. Klumpp et Christopher Zirnig ist wissenschaftlicher Mit- al. (2019) fassen diese Vorschläge wie folgt zu- arbeiter des Lehrstuhls für Soziologie am In- sammen: stitut für Bildung, Arbeit und Gesellschaft der Universität Hohenheim mit den Forschungs- 1. Aufgaben müssen klar zwischen Menschen schwerpunkten Soziale Ungleichheit, Aus- und Technik aufgeteilt werden, d.h. bei der und Weiterbildung und der Transformation Entwicklung des Systems muss explizit de- von Arbeit. finiert werden, welche (Teil-)Aufgaben von Menschen und welche von Maschinen aus- geführt werden. 2. Die physische Ausgestaltung eines CPS ergibt Literatur Klumpp, M., Hesenius, M., Meyer, O., Ruiner, C. & Gruhn, V. (2019). sich direkt aus dessen Aufgabe. Deswegen Production logistics and human-computer interaction – state- ist das Design eines physischen Systems von of-the-art, challenges and requirements for the future. The International Journal of Advanced Manufacturing Technology, Beginn an vom Arbeitsprozess her zu denken. 105, S. 3691-3709. 3. Schließlich brauchen die Nutzer*innen eine Koo, J., Kwac, J., Ju, W., Steinert, M., Leifer, L. & Nass, C. (2015). Why did my car just do that? Explaining semi-autonomous genaue Vorstellung der Fähigkeiten eines driving actions to improve driver understanding, trust, and Systems und umgekehrt. Menschen fühlen performance. International Journal on Interactive Design and Manufacturing (IJIDeM), 9, S. 269-275. sich wohler, wenn (teil-)autonome Maschi- Meyer, O., Hesenius, M., Gries, S., Wessling, F. & Gruhn, V. (2018). nen ihre Handlungen erklären (Koo et al. A decentralized architecture and simple consensus algorithm for autonomous agents. Proceedings of the 12th European 2015) und ihre Absichten mitteilen (Meyer Conference on Software Architecture: Companion Proceed- et al. 2018). ings, 2018, S. 1-4. Ren, F. & Bao, Y. (2020). A review on human-computer interaction and intelligent robots. International Journal of Information Fazit Technology & Decision Making, 19, S. 5-47. Sheridan, T. B. (2016). Human-robot interaction: status and chal- Mensch-Maschine-Interaktionen setzen an allen lenges. Human Factors, 58, S. 525-532. Sinnen des Menschen an. Aus diesem Grunde Zirnig, C. & Jungtäubl, M. (2021). Intelligente Technik – Schnitt- stellen zwischen Mensch und Maschine. Universität Hohen- haben sie das Potenzial, die erlebte Arbeitswelt heim, Stuttgart: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Touris- der sie nutzenden Personen einschneidend zu mus Baden-Württemberg. verändern. Noch sind sie zwar kein flächende- ckendes Phänomen in Deutschland, sie werden aber aller Wahrscheinlichkeit nach in einigen Branchen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Deswegen ist jetzt die Zeit, anstehende Verän- præview Nr. 1 | 2022 15
æ menschliche versus „maschinelle“ interaktionsarbeit Was wird aus der Interaktionsarbeit, wenn der Interaktionspartner eine Maschine ist? Fragen an ein soziologisches Konzept Margit Weihrich Die Arbeit, die in Dienstleistungsbeziehungen mit Kontakt zu Kund*innen spruchsvolle Angelegenheit: Man muss aushan- deln, wie das Dienstleistungsergebnis aussehen oder Patient*innen geleistet wird, ist etwas Besonderes: Sie ist im Kern und auf welchem Weg es erstellt werden soll; Interaktionsarbeit. Um diese Art von Arbeit theoretisch erfassen und em- beide Parteien müssen aktive Beiträge leisten; man muss mit Konflikten umgehen können. pirisch untersuchen zu können, wurde schon vor längerer Zeit – und in Was geschieht nun aber, wenn Kund*innen auf verschiedenen Ausbaustufen – das Konzept der Interaktionsarbeit entwi- Maschinen treffen? Maschinen führen das aus, was sie ausführen können; sie geben vor, wie ckelt (Böhle & Weihrich, 2020). die Dienstleistung aussieht und was ihr Gegen- über zu tun hat. Informationen können sie ver- Beschäftigte in der Dienstleistung haben es – „Dienstleistern“ zu tun, wenn auch nicht mit mitteln – aber das, was Interaktionsarbeit aus- anders als in der industriellen Produktion – mit solchen aus Fleisch und Blut. Das geht los beim macht, können sie nicht: Bedürfnisse erkennen, besonderen „Arbeitsgegenständen“ zu tun: mit analogen Einkaufswagen, der unsere Waren Kompromisse machen, Vertrauen aufbauen und Menschen, die (im Gegensatz zu Maschinen trägt, die wir selbst eingesammelt haben; wir Konflikte schlichten. Die Kund*innen müssen oder Werkstücken) eigene Interessen und Be- müssen ihn nur vorher mit einem Chip aus sei- die vorgegebenen Bedingungen akzeptieren, dürfnisse haben und oft genug auch eine eigene ner Ankettung befreien. Der Einkauf endet neu- wenn sie eine Dienstleistung erhalten wollen. Vorstellung davon, auf welche Weise eine erdings oftmals in der Begegnung mit einer Oder ist das dann vielleicht gar keine Dienst- Dienstleistung erbracht werden soll. digitalen Self-Scanner-Kasse, die uns nun an- leistung mehr? befiehlt, für den Bezahlvorgang bestimmte Ak- Was aber, wenn man nun aus der Perspektive tionen auszuführen. Emotionsarbeit: Das Konzept besagt, dass des*der Kund*in auf diese Beziehung blickt – Dienstleistende ihre eigenen Emotionen bear- und dort an der Stelle des*der Dienstleister*in Arbeitende Kund*innen checken im Hotel über beiten müssen. Sie müssen zum Beispiel ihren auf keinen lebendigen Menschen trifft, sondern einen Code ein, vereinbaren Termine mit der Ärger oder ihre Ungeduld im Zaum halten. Wir auf ein technisches Artefakt? Verwaltung über Internetportale, bestellen im können es hier kurz machen: Maschinen haben Webshop und teilen einem Chatbot mit, wie keine Emotionen und müssen die entsprechende Wir stellen hier die Frage, was man sieht, wenn zufrieden sie mit einer bestimmten Dienstleis- Arbeit daher nicht leisten. Sie haben auch keine man das Konzept der Interaktionsarbeit auf eine tung waren. Sie ärgern sich, wenn sie in Reak- Probleme damit, die Gefühlsregeln einzuhalten, solche Beziehung anwendet. Kann man in tion auf eine Reklamation vorgefertigte Text- die die Organisation vorschreibt – eine wichtige Dienstleistungsbeziehungen, die zwischen Men- bausteine geschickt bekommen, und sie be- Anforderung an Dienstleistende, die die US- schen und Maschinen ablaufen, überhaupt von schimpfen dann auch schon mal das Compu- amerikanische Soziologin Arlie Hochschild he- Interaktionsarbeit sprechen? Und wenn nein: terprogramm. Und immer wieder müssen sie rausgearbeitet hat. Alexa zum Beispiel wird Was wären die Folgen? sich menschliche Dienstleister*innen suchen, freundlich bleiben, auch wenn sie beschimpft die ihnen aus der Patsche helfen. wird, und das wird ihr nicht schwerfallen. Neu- Es wird zunehmend dringlich, diese Fragen zu erdings gebietet sie auch Einhalt, wenn ein*e beantworten, denn Dienstleistungsbeziehungen, Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde Nutzer*in die rote Linie erkennbar überschrei- die zwischen Kund*innen und Maschinen statt- hier Interaktionsarbeit geleistet – oder doch tet – darüber empören wird sie sich nicht. finden, kennzeichnen unseren Dienstleistungs- nicht? Oder nur von einer Partei? Was sieht alltag schon lange – und tun das immer mehr. man also, wenn man solche Dienstleistungen Gefühlsarbeit: Zur Interaktionsarbeit gehört Der „arbeitende Kunde“ (Voß & Rieder, 2005), vor dem Hintergrund des Konzepts der Inter- auch die Arbeit an den Gefühlen anderer. Pfle- ist längst ein tragender Teil unserer Dienstleis- aktionsarbeit betrachtet? gekräfte beruhigen Patient*innen vor einer Ope- tungsgesellschaft geworden. Als Kund*innen ration, im Einzelhandel wird ein Einkaufserlebnis machen wir vieles von dem, wofür früher Be- Das Konzept der Interaktionsarbeit benennt vier für die Kundschaft geschaffen und dort, wo schäftigte zuständig gewesen sind, nun selbst: Dimensionen, die die Arbeit an und mit Men- Kontrolle zur Dienstleistung dazugehört, können Wir bedienen uns selbst, wir beraten uns selbst, schen kennzeichnen. Sie beziehen sich auf das, Dienstleister*innen auch Strenge zeigen. Ma- wir verwalten uns selbst und wir qualifizieren was die Beschäftigten tun – aber auch die schinen können Gefühle signalisieren und aus- uns auch selbst für all das. Kund*innen spielen hierbei eine aktive Rolle. lösen, und sie können inzwischen auch Gefühle erkennen – was aber bedeutet es für die Ge- Und doch ist diese Beschreibung nicht ganz Kooperationsarbeit: Beschäftigte und Kund- fühlsarbeit, wenn sie selbst keine Gefühle ha- richtig, denn der „arbeitende Kunde“ macht *innen müssen zusammenarbeiten, um eine ben? Arbeit ist es sicherlich nicht – aber Ma- nicht alles selbst. Er hat es weiterhin mit Dienstleistung zu realisieren. Das ist eine an- schinen verfügen auch nicht über die Empathie, 16
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