Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz

Die Seite wird erstellt Toni Wittmann
 
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Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
Heft 3 | März 2010

                           Wissenschaft
                          Wie weit mit
                          einem Liter?

                          Kunst und Kultur
                         Einmal um die
                          Welt getanzt

                           Wissenschaft
                       „Ein ‚Seitensprung‘
                          der Technik“

                            Geschichte
                           Väter einer
                         Industriestadt

Bürger für Kunst,
Kunst für die Bürger
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
2                          Programmvorschau Seniorenkolleg

             Seniorenkolleg an der TU Chemnitz: Sommersemester 2010

06.04.2010   Fortis Saxonia – Auf den Spuren moderner Mobilität
             Nino Wagner, TU Chemnitz

13.04.2010   Bildung und Demokratie – Die Dresdner Seniorenakademie
             Prof. Dr. Alexander Andreeff, Geschäftsführer Programm der Dresdner Seniorenakademie

20.04.2010   Goethe und die königliche Kunst (Goethe der Freimaurer)
             Siegfried Arlt, Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft Chemnitz

27.04.2010   Ballettstudie zum Ballett Kaddish / Serenade
             Lode Devos und Christiane Devos, Ballettdirektion, Theater Chemnitz

04.05.2010   Geburt der Informatik – 100. Geburtstag von Konrad Zuse
             Prof. Dr. Friedrich Naumann, Chemnitz

11.05.2010   Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 – ein Beitrag der
             Luthergedenkstätten in Wittenberg und Eisleben
             Dr. Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt,
             Geschäftsstelle Luther 2017

18.05.2010   Spitzenforschung – Intelligente Systeme mittels Mikro- und
             Nanotechnologien
             Prof. Dr. Thomas Geßner, TU Chemnitz

25.05.2010   Intelligente Mess- und Sensorsysteme
             Prof. Dr. Olfa Kanoun, TU Chemnitz

01.06.2010   Elektronikschrott-Recycling − Stand der Forschung
             Prof. Dr. Michael Stelter, TU Bergakademie Freiberg

08.06.2010   Strategische Bedeutung der künftigen Energieversorgungs-
             sicherheit in China und Europa
             Antje Nötzold, TU Chemnitz

15.06.2010   Vietnams Entwicklungsweg auf dem Prüfstand –
             wirtschaftliche und politische Herausforderungen
             Nadine Mensel, TU Chemnitz

22.06.2010   „So schön wie heut´, so müsst´ es bleiben� – Franz Grothe im Spiegel
             des musikalischen Salons
             Albrecht Winter, Leiter des Salonorchesters CAPPUCCINO, Leipzig

29.06.2010   Sicherheit durch rechtliche Vorsorge
             Tilmann Keith, Notar, Chemnitz

06.07.2010   Finanz- und Wirtschaftssituation in Sachsen
             (Beginn 16.30 Uhr) Prof. Dr. Georg Unland,
             Sächsischer Staatsminister der Finanzen, Dresden

13.07.2010   Maßnahmen zur Umsetzung des Sächsischen
             Hochwasserschutzprogrammes im Raum Chemnitz
             Christian Zschammer, Landestalsperrenverwaltung Dresden

             Vorträge jeweils 15.30 Uhr, Zentrales Hörsaal- und Seminargebäude,
             Reichenhainer Str. 90, 09126 Chemnitz, Hörsaal N115
             Für jede Vorlesung werden auch Tageskarten angeboten.
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
Inhaltsverzeichnis / Editorial                                            3

 S. 4 Nachrichten                                                        Liebe Leserin,
      Wissenschaft                                                       lieber Leser,
 S. 6 Wie weit mit einem Liter?
                                                                         den lokalen Medien ist es zu ent-
      Universität                                                        nehmen: ein generationenüber-
 S. 8 Vier Fragen an Markus Dörfel                                       greifender Computerkurs hier, ein
                                                                         Projekt von Senioren in Grund-
      Geschichte                                                         schulen dort. Ein Supermarkt der
 S. 9 Zwischenstopp zum Spinnen                        Foto: Gleisberg   Generationen am Brühl. Und na-
                                                                         türlich der große Schwerpunkt,
      Kultur                                                             den die Bewerbung um den Titel
S. 10 Einmal um die Welt getanzt                                         „Stadt der Wissenschaft“ auf die
                                                                         Zusammenarbeit der unterschied-
      Wissenschaft                                                       lichen Altersgruppen legt – es
S. 12 „Ein ‚Seitensprung‘ der Technik“                                   scheint, als lebe Chemnitz im Be-
                                                                         reich der Generationenintegration
      Wissenschaft                                                       immer weiter auf.
S. 14 Der Nutzen spielt eine größere Rolle                               Und das ist auch gut so: Denn
                                                                         Meldungen wie die, dass wir in 20
                                                        Foto: Theater    Jahren in der ältesten Stadt Euro-
      Religion                                  Chemnitz/Wuschansky
S. 16 Darf die das?                                                      pas leben werden, alarmieren ei-
                                                                         nerseits (ob nun berechtigt oder
      Chemnitz                                                           nicht). Sie können aber auch – und
S. 18 Eine ausgezeichnete Idee                                           das ist der bessere Weg – Anlass
                                                                         zum Nachdenken sein: Welchen
                                                                         Gestaltungsspielraum haben jün-
      Wissenschaft
                                                                         gere, mittlere, ältere Menschen in
S. 20 Dynamo am Ohr
                                                                         unserer Stadt? Und welchen brau-
                                                                         chen sie, um sich wohl zu fühlen?
S. 21 Wissenswertes über Elektroschrott
                                                                         Wie gehen sie miteinander um,
                                                                         und: wie sollten sie miteinander
      Theater                                          Foto: BurgEins
                                                                         umgehen? Wie wollen wir künftig
S. 24 Der Lebensplan – ein Teufelspakt
                                                                         gemeinsam die Stadt und ihr Um-
                                                                         land gestalten?
      Literatur
                                                                         Man muss die angedrohte „Ver-
      Des Menschen Mond- und
                                                                         greisung“ also nicht als Gefahr
S. 25 Himmelfahrten
                                                                         sehen, sie kann auch eine Chance
                                                                         sein – für Diskussionen, für gene-
      Kultur
                                                                         rationenübergreifende Projekte,
S. 26 Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger                             für einen Prozess des Zusammen-
                                                                         wachsens. Das „Journal der Gene-
      Geschichte                                                         rationen“, das sich ja selbst als ein
S. 30 Väter einer Industriestadt                   Foto: Mario Geißler
                                                                         solches intergeneratives Projekt
                                                                         versteht, wird diesen Prozess auch
S. 32 Kinder-Uni                                                         im Jahr 2010 begleiten: mit Wis-
                                                                         senswertem, mit Bedenkenswer-
      Rubriken                                                           tem, mit Anregungen zum Mit-,
S. 22 Veranstaltungstipps                                                Nach- und Bessermachen.
                                                                         Wir freuen uns über Ihre Aufmerk-
S. 23 Gewinnspiel                                                        samkeit und möchten Sie auffor-
                                                                         dern: Diskutieren Sie mit!
S. 33 Heftvorschau Juni / Impressum
                                                                         Volker Tzschucke
S. 34 Brauche ich das wirklich?                Bild: Schloßbergmuseum    Chefredakteur
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
4                                               Nachrichten

„Stadt der Wissenschaft 2011“ –                              Kulturkaufhaus „DAStietz“
Finale in Berlin                                             „Leselust“ – Literaturfestival
                                                             Mit hochkarätigen Veranstaltungen für alle Alters-
                                                             gruppen will Chemnitz die Lust am Lesen entfachen.
                                                             Vom 9. bis 28. April können Buchfreunde herausra-
                                                             gende Vertreter der deutschen Literaturszene im
                                                             Kulturkaufhaus „DAStietz“ erleben. Zum Auftakt
                                                             beleuchtet der renommierte Fernsehjournalist Dirk
                                                             Sager das Leben und Schaffen von Stefan Heym, ei-
                                                             nem der bekanntesten Chemnitzer Söhne. Bereits
                                                             einen Tag später, am 10.4. um 20 Uhr, ist die Schau-
                                                             spielerin Katja Riemann zu Gast, die ihr Programm
                                                             „Friedensreich, ein Doitschlandabend“ zusammen
                                                             mit dem Berliner Ausnahme-Jazz-Gitarristen Arne
Drei Städte, Bielefeld, Chemnitz und Mainz, über-            Jansen liest, singt und haucht. In Texten von Sybille
zeugten mit ihren Ideenskizzen am 20. November               Berg bis Rammstein kommen die vielfältigsten Cha-
2009 die Jury des Stifterverbandes für die deutsche          raktere zu Wort, die letztendlich jeder für seinen Teil
Wissenschaft. Am 25. März dieses Jahres fällt nun in         Antwort auf die Frage geben „Was ist das eigentlich,
Berlin die Entscheidung, wer den Titel „Stadt der Wis-       dieses ‚Doitschland‘?“. Einen weiteren Höhepunkt
senschaft 2011“ gewinnt. Eine Delegation der Stadt           bildet ein Gespräch mit Clemens Meyer. Der im Jahr
Chemnitz stellt dort ihr Konzept vor, das eine Aus-          2008 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausge-
wahl der über 100 eingegangenen Projektideen von             zeichnete Autor diskutiert am Dienstag, den 13.4.
Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, Einrichtun-            ab 19.30 Uhr mit Professor Bernd Leistner über sein
gen und Institutionen enthält. Sollte Chemnitz den           (Tage-)Buch „Gewalten“. Am 21. und 22. April lesen
begehrten Titel gewinnen, so können diese Projekte           jeweils um 19.30 Uhr zwei der wichtigsten jüngeren
mit finanzieller Unterstützung durch Sponsoringmit-          deutschen Autorinnen aus ihren aktuellen Roma-
tel rechnen.                                                 nen: Juli Zeh und Judith Hermann (Kritik Seite 25).
                                                             Zur Tradition geworden ist inzwischen die Zusam-
                                                             menkunft Chemnitzer Literaturschaffender, Verlage,
SenVital Seniorenresidenz ist „sehr gut“                     Magazine und Antiquare zur „Büchermeile“. Am 24.
                                                             April können Interessierte zwischen 14 und 18 Uhr
Der Gesetzgeber sieht vor, dass die in ambulanten und        im Schatten des versteinerten Waldes beim Lesema-
stationären Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistun-          rathon und bei Gesprächen einen Einblick in die Li-
gen und deren Qualität in sogenannten Transparenz-           teraturszene der Stadt gewinnen. Eine vollständige
berichten veröffentlicht werden. Im Senioren- und            Übersicht des Programms finden Sie ab 10. März auf
Pflegezentrum „Niklasberg“ der SenVital GmbH prüf-           der Internetseite www.stadtbibliothek-chemnitz.de
te deshalb der Medizinische Dienst der Krankenversi-
cherung im vergangenen Oktober unangekündigt die
Pflege und medizinische Versorgung, den Umgang
mit Demenzkranken, die soziale Betreuung sowie die
Qualität des altersgerechten Wohnens. Die Senioren-
residenz im ehemaligen Dorint-Hotel schloss mit der
Gesamtnote „sehr gut“ als Beste der bisher getes-
teten Chemnitzer Einrichtungen ab und liegt damit
auch deutlich über dem sächsischen Durchschnitt.

                                            Foto: SenVital                                           Fotos (4): Verlage
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
Nachrichten                                                                            5

Foto:BurgEins

    „Begegnungen“ dieses Jahr im Mai
    Das Chemnitzer Kulturfestival „Begegnungen“ findet                          ist dabei keineswegs ironisch gemeint, sondern soll
    dieses Jahr vom 27. Mai bis 1. Juni statt. Grund der                        durch vielfältige Aufführungen und Veranstaltungen
    Verschiebung vom etablierten Herbsttermin ist das                           untermauert werden. Die Schauspieler des Theaters
    20-jährige Jubiläum der Rückbenennung von Karl-                             werden auch an Orten aktiv, deren Bewohner sonst
    Marx-Stadt in Chemnitz zum 1. Juni. Aus diesem An-                          nicht die Möglichkeit eines Besuchs der Kulturein-
    lass wird am 29. Mai mit einer großen Open-Air-Party                        richtung haben: unter anderem im Krankenhaus, Al-
    am Karl-Marx-Monument an dieses historische Ereig-                          tersheim und im Gefängnis. Schauspieldirektor Enrico
    nis erinnert. Ein weiterer Höhepunkt, bei dem eben-                         Lübbe möchte außerdem jeden Abend 100 Experten
    falls die Stadt zur Bühne wird, ist das mehrtägige Fest                     der verschiedensten Fachgebiete vom Bienenzüchter
    „CHEMNITZ – schönste Blume des Ostens!“ des Schau-                          bis zum Fußballspieler in das Schauspielhaus einla-
    spiels der Städtischen Theater Chemnitz. Der Titel                          den, die Bürgern ihre Expertise anbieten. | fw

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                                                                      Rundum gut umsorgt mit                                    Soziale Dienst-
                                                                                                                                leistungsangebote:

                                                                          der Volkssolidarität                                  Betreuung für Demenzkranke*
                                                                                                                                (ambulante Einzel- und Grup-
                                                                                                                                penbetreuung)
                                                                                                                                Betreuung von Kindern/
                                                                                                                                Hort- und Integrationskindern
                                                                                                                                Bürgerschaftliches
                                                                                                                                Engagement (Ehrenamt)
                                                                                                                                Essen auf Rädern
                                                                                                                                Häusliche Kranken- und
                                                                                                                                Altenpflege (24 h)*
Sozialstationen                               Wohnen mit Serviceleistungen/           Beratungsstelle für Pflege,               Hausnotrufdienst*
„  ambulante Pflege (24 h)                    Betreutes Wohnen                        Soziales & Wohnen im Alter                Hauswirtschaftsdienste*
„  Verhinderungspflege, auch stundenweise     „ barrierefreie und senioren-           „ Sozialberatung                          Mitgliederbetreuung
„  Hauswirtschaftsdienste                       gerechte Wohnungen in
                                                                                      „ Beratung von Pflegebedürftigen          Nachbarschaftshilfe
                                                Chemnitz und Umgebung
„  „Essen auf Rädern“                                                                   und deren Angehörigen zu:
                                                                                                                                Partyservice
                                              „ Selbstständigkeit und Unabhängig-       – Pflege- und Sozialleistungen
„  Hausnotruf
                                                keit in der eigenen Wohnung             – Entlastungsmöglichkeiten für          Reisen
„  Betreuung v. Demenzkranken                                                              pflegende Angehörige
   (amb. Einzel- & Gruppenbetr.)              „ Schutz, Geborgenheit und Sicherheit                                             Sozialberatung*
                                                                                        – Pflegehilfsmitteln
„ Entlastung von Angehörigen                  „ Hilfe im Bedarfsfall und auf Wunsch                                             Soziale und
                                                                                      „ Informationen über
„ Beratung zu Unterstützungsmöglichkeiten                                                                                       kulturelle Betreuung
                                              „ Unterstützung bei Alltagsproblemen      – Angebote der amulanten
alle Kassen und Privat                                                                      sowie stationären Betreuung         Stationäre Altenpflege*
                                              „ vielfältige soziale Dienst-             – Hilfsangebote                         Wohnen mit Serviceleistungen/
Sozialstation Clausstraße 31                    leistungen aus einer Hand
                                                                                      „ Unterstützung bei der                   Betreutes Wohnen*
Tel.: 03 71 5 38 51 70                        „ kulturelle Angebote und                 Beantragung von Leistungen
                                                gemeinsamer Mittagstisch                                                                 * Die Einrichtung, die diese
Sozialstation Scheffelstraße 8                                                        „ Beratung zu Wohnformen im Alter                   Leistung anbietet, verfügt über
Tel.: 03 71 2810 60                           „ Wohnanlagen teilweise mit                                                                 ein zertifziertes Qualitäts-
Sozialstation Limbacher Str. 71b                Qualitätssiegel der Stadt Chemnitz                                                        managementsystem.
                                                                                      Limbacher Str. 71a · 09113 Chemnitz
Tel.: 03 71 3 80 41 00                                                                Telefon: 0371 3804-220
                                              Wohnberatungsstelle
Sozialstation Mittweida                       Clausstr. 33 · 09126 Chemnitz           Di 09.00-11.00 Uhr & 14.00-16.00 Uhr
Burgstädter Str. 75 | Tel.: 037 27 62 34 10   Telefon: 03 71 53 85 -1 19              Mi 09.00-11.00 Uhr · Do 14.00-18.00 Uhr

www.volkssolidaritaet-chemnitz.de                                                                                                   Miteinander • Füreinander
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
6                                                  Wissenschaft

Wie weit mit einem Liter?                                                                                         Foto: Fortis Saxonia

Lang fahren mit wenig Sprit hat Tradition – auch in Chemnitz

    Wenn sich Carina Wagner, Fahrerin des Fortis               „Solche Verbrauchswettkämpfe sind keine Erfin-
Saxonia Teams der TU Chemnitz, in ihr Auto Sax 3           dung der Gegenwart“, weiß Dirk Schmerschneider,
schwingt, dann geht es nicht um Tempo. Es geht auch        Direktor des Museums für sächsische Fahrzeuge in
nicht darum, von A nach B zu kommen. Es geht dar-          Chemnitz. Seit der Erfindung der motorisierten Mo-
um, mit der Energie von einem Liter Benzin möglichst       bilität habe es so etwas gegeben. Kein Wunder wohl:
weit zu kommen, am besten tausende Kilometer: Sax          Die durchschnittlichen Preise für einen Liter Benzin
3 schafft über 2.500. Der Rekord für solche Fahrten        pendelten schon in den späten 1920er Jahren zwi-
liegt bei 5.385 Kilometern – ein Stück Weg liegt also      schen 27 und 34 Pfennigen, „im Verhältnis zu den da-
noch vor den Maschinenbauern, Elektrotechnikern,           maligen Lohnkosten war das nicht billiger als heute.“
Informatikern und Geisteswissenschaftlern der TU.          Und da man als Fahrzeugbesitzer zum Beispiel auch
Sie arbeiten an den Antriebssystemen der Zukunft           einen Platz in der Hochgarage brauchte − bei monat-
und mit leichtesten Materialien, um ein möglichst          lichen Preisen von 15 Reichsmark, die heute etwa 50
verbrauchsarmes Fahrzeug zu konstruieren, das bei          Euro entsprechen würden − und Versicherungen und
Wettfahrten wie dem Shell Eco Marathon erfolgreich         Steuern schon damals zu zahlen waren, konnte ein
sein soll. Seit mehr als 25 Jahren lädt der Ölkonzern      eigenes Fahrzeug kräftig ins Kontor schlagen.
Bildungseinrichtungen dazu ein, Spar-Mobile zu bau-            Deshalb war der Verbrauchswert eines mobilen
en – die ausgehenden fossilen Rohstoffe, steigende         Untersatzes schon immer ein wichtiges Verkaufsar-
Energiepreise und ökologische Aspekte im Blick.            gument. Die Chemnitzer Wanderer-Werke schrie-

                                                           Mehr zur Sportgeschichte der Wanderer-Werke
                                                           bietet eine aktuelle Ausstellung im Chemnitzer Mu-
                                                           seum für sächsische Fahrzeuge, Zwickauer Straße
                                                           77. „Können Wanderer rennen?“ wird dort noch bis
                                                           zum 28. Mai gefragt. Und wenn Sie Dokumente zur
                                                           Geschichte von Wanderer oder von anderen säch-
                                                           sischen Fahrzeugherstellern haben: Das Fahrzeug-
                                                           museum freut sich!

                                                           Auf einer Touren-Maschine wie dieser 4,5 PS Wanderer gewann
                                                           ein Herr Huth aus Chemnitz 1924 eine Verbrauchsprüfungsfahrt
                           Foto: Fahrzeugmuseum Chemnitz   im Rabensteiner Wald. Er schaffte mit einem Liter 31 Kilometer.
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
Wissenschaft                                                         7

Vortrag am 06.04.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Fortis Saxonia – Auf den Spuren moderner Mobilität

Nino Wagner
Nino Wagner, 1985 in Karl-Marx-Stadt geboren, legte im
Jahr 2004 das Abitur ab. Seit 2005 ist er Student des Dip-
lomstudiengangs Maschinenbau an der Technischen Uni-
versität Chemnitz. Dem Fortis Saxonia e.V. gehört er seit
2007 an. Ein Jahr später, 2008, wurde er zum Vereinsvor-
stand gewählt. Seit 2009 ist er der Koordinator des Chem-
nitzer Standortes für das Projekt „Hydrokultur“, bei dem
                                                                                                                                Foto: privat
zusammen mit zwei Kooperationspartnern ein alltags-
taugliches, energieeffizientes Fahrzeug mit Wasserstoffantrieb entwickelt wird.

ben beispielsweise in einer Werbebroschüre im Jahr                                 langen Rundstrecke wurden die Sportler vom Chem-
1925, dass „nirgends in der Welt Motorräder her-                                   nitzer Motorradclub 1912 durch den Rabensteiner
gestellt werden, die leistungsfähiger, zuverlässiger,                              Wald geschickt – mit genau einem Liter Brennstoff.
solider und wirtschaftlicher als die unsrigen sind“.                               Gefahren wurde, bis die letzte Maschinen den letz-
Neben den „klassischen“ Fakten wie der besonderen                                  ten Tropfen Benzin verbraucht hatte und liegen-
Zuverlässigkeit und dem starken Motor wurde also                                   blieb. In zwei Klassen siegten Fahrer der Region auf
auch der günstige Verbrauch hervorgehoben.                                         einem lokalen Fahrzeug: Ein Herr W. Schmidt aus
    All dies musste natürlich bewiesen werden. Wie                                 Burgstädt legte in der Klasse bis 150 Kubikzentime-
im Motorsport unserer Tage Wettbewerbe wie die                                     ter 61,7 Kilometer auf einer 1,5 PS DKW-Maschine
Formel 1, die Rallye Dakar oder eben der Shell Eco                                 zurück. Herr Huth aus Chemnitz gewann die Klasse
Marathon unterschiedliche Faktoren eines heraus-                                   über 500 Kubikzentimeter mit einer Strecke von 31,3
ragenden Mobils prüfen, gab es auch früher solche                                  Kilometern, die er mit seinem Liter Kraftstoff schaff-
unterschiedlichen Formate: „Geschwindigkeit und                                    te. Sein Fahrzeug: eine 4,5 PS-starke Maschine von
Zuverlässigkeit, die Motorkraft bei sehr beliebten                                 Wanderer (s. Bild).
Bergfahrten und der Benzinverbrauch wurden in                                          Und auch wenn die zurückgelegte Strecke im Ver-
Rennen verglichen“, erklärt Schmerschneider.                                       gleich zum aktuellen Weltrekord gering wirkt: „Das
    In unserer Region waren in der ersten Hälfte                                   waren ganz normale Tourenmaschinen, wie sie da-
des 20. Jahrhunderts vor allem Bergfahrten beliebt,                                mals verkauft wurden“, so Schmerschneider. Ein Ver-
aber auch Verbrauchswettbewerbe für Motorräder                                     gleich mit den technisch ausgefeilten Energiespar-
wurden durchgeführt. So findet sich in einer alten                                 fahrzeugen wie dem Sax 3 ist also ein kleines bisschen
Chemnitzer Tageszeitung ein Hinweis auf eine Prü-                                  unfair. Denn auf eine normale Straße dürfte man sich
fungsfahrt am 27. April 1924. Auf einer 2.440 Meter                                damit momentan nicht wagen.

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Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
8                                                       Universität

                                                                                           auch wenn die Mensa extrem teu-
                                                                                           rer wird.

                                                                                           JdG: Gibt es bereits Ergebnisse des
                                                                                           bisherigen Bildungsstreiks?
                                                                                           Das einzige, was wir bislang bewirkt
                                                                                           haben, ist, dass die Anwesenheits-
                                                                                           pflicht in Seminaren und Vorlesun-
                                                                                           gen gekippt wurde. Bei anderen
                                                                                           Sachen hat der Rektor zwar ver-
                                                                                           sprochen, sich ihrer anzunehmen,
                                                                                           aber soweit ich weiß, gab es bisher
                                                                                           noch nichts, was umgesetzt wurde.
                                                                       Foto: TU Chemnitz
TU-Rektor Prof. Klaus-Jürgen Matthes in der ersten Vollversammlung des Bildungsstreiks     JdG: Soll die Organisation des Bil-
                                                                                           dungsstreiks nun dauerhaft an der

Vier Fragen an...                                                                          Uni etabliert werden?
                                                                                           Das würde ich schon so sehen. Es
                                                                                           gibt immer Dinge in unserer Bil-
                                                                                           dung, die problematisch sind. Aber
Marcus Dörfel, Student der Wirt- en, wo es neue Themen gibt, bei                           Bildungsstreik ist hier nicht nur
schaftswissenschaften und Presse- denen wir etwas machen müssen.                           eine universitäre Sache. Ursprüng-
sprecher des Chemnitzer Bildungs-                                                          lich waren ja auch Schüler und
streiks                             JdG: Gibt es hier bereits konkret                      Auszubildende dabei, in diese Rich-
                                    geplante Aktionen?                                     tung wollen wir uns wieder öffnen.
JdG: Ist der Bildungsstreik vorbei? Es gibt Pläne, im nächsten Semester                    Generell wollen wir also nicht nur
Der Bildungsstreik selbst ist noch Flashmobs zu veranstalten – also                        Missstände in der Universität, son-
nicht vorbei, aber die Besetzung Spontanaktionen, um auf aktuelle                          dern allgemeine Bildungsprobleme
ist bekanntermaßen beendet. Wir Probleme hinzuweisen. Wenn etwa                            anpacken. Egal, ob das überfüll-
haben noch ein Kerngremium, in eine Fakultät große Probleme hat,                           te Schulklassen oder ungerechte
dem wir regelmäßig tagen und Fra- weil reihenweise Dozenten ausfal-                        Entlohnungen für Auszubildende
gen weiterentwickeln oder schau- len und kein Ersatz kommt, oder                           sind.| mch

Vortrag am 13.04.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Bildung und Demokratie – Das Konzept der Dresdner
Seniorenakademie

Prof. Dr. Alexander Andreeff
Geboren 1932 in Berlin, studierte Andreeff zunächst Physik
an der Berliner Humboldt Universität. Von 1956 bis 1968
war er anschließend am Zentralinstitut für Kernforschung
in Rossendorf bei Dresden mit der Neutronen- und Gam-
maspektroskopie beschäftigt. 1963 promovierte Andreeff
an der Universität Leipzig und habilitierte 1969 an der TU
                                                                                          Foto: privat
Dresden. 1968 bis 1974 übernahm er eine Professur und
die Direktion des Instituts für angewandte Kernphysik an der Bergakademie Freiberg. 1974 erfolgte
der Ruf an die TU Dresden auf den Lehrstuhl „Nukleare Festkörperphysik“. Seit 1995 ist Alexander
Andreeff ehrenamtlicher Geschäftsführer im Verein der Freunde und Förderer der Dresdner Senio-
renakademie Wissenschaft und Kunst und verantwortlich für deren Bildungsprogramm.
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
Geschichte                                                   9

Vortrag am 20.04.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Goethe und die königliche Kunst
(Goethe der Freimaurer)

Siegfried Arlt
Siegfried Arlt, in Chemnitz geboren, legte 1956 in Karl-
Marx-Stadt das Abitur ab. Danach folgten eine Ausbil-
dung als Schauspieler und ein Studium der Theater- und
Kulturwissenschaften an der KMU Leipzig. Er war in
Karl-Marx-Stadt künstlerischer Leiter des Kulturpalastes,
Direktor der Städtischen Museen, Stadtrat für Kultur und
                                                                                     Foto: Gleisberg
Programmdirektor der Stadthalle. Seit 1979 ist er freiberuf-
licher Moderator, Autor und Regisseur, Synchronsprecher und Sprecherzieher und seit 1990 Rhe-
torik- und Persönlichkeitstrainer. An der Hochschule Mittweida erhielt er 1999 und von der TU
Chemnitz im Jahr 2001 einen Lehrauftrag für „Moderation und Präsentation“. Ehrenamtlich enga-
giert er sich seit 15 Jahren als Vorsitzender der Goethe-Gesellschaft Chemnitz e.V..

                    Zwischenstopp zum Spinnen
                    Was den Dichterfürsten Goethe nach Chemnitz trieb

                                        zeit in Wetzlar, sein Einsatz im     die Spinnfabriken in der Schweiz
                                        Koalitionskrieg gegen Frankreich.    beschrieben, „ich brenne vor Un-
    „Goethe was here“ (deutsch:         Auch die Tagebücher verweisen        geduld mich damit bekannt zu
„Goethe war hier“) betitel-             auf eine ausgedehnte Reisetätig-     machen“, hatte Goethe brieflich
te der bekannte Kölner Literatur-       keit − viele Chancen für Schilder    geantwortet. In Chemnitz – be-
historiker Karl Otto Conrady vor ei-    an Hauswänden also.                  ziehungsweise im damaligen Vor-
nigen Jahren einen Aufsatz, in dem          Auch in Chemnitz könnte eine     ort Harthau – ergab sich dafür
er sich über die deutsche Goethe-       solche Plakette montiert werden.     die Gelegenheit. Die Fabrik der
Leidenschaft lustig machte. In je-      Am 28. September 1810, so ver-       Brüder Bernhard galt als techni-
der zweiten Ortschaft gebe es eine      meldet es sein Tagebuch, logierte    sches Wunderwerk mit ihren tau-
Gastwirtschaft, in der der Weima-       der Weimarer Geheimrat in der        senden Spindeln, entsprechend
raner Dichterfürst einst genäch-        Stadt. Er kam mit der Postkutsche    beeindruckt zeigte sich auch der
tigt habe, und die jetzt mit einem      aus Freiberg, wollte weiter nach     berühmte Besucher, glaubt man
Schild darauf aufmerksam macht.         Altenburg. Am Rossmarkt, im da-      seinem Reisebegleiter Riemer:
    Und es ist ja wirklich so: Johann   maligen Hotel de Saxe (auf dem       „Köstlicher Mechanismus … wie
Wolfgang von Goethe, geboren in         Gebiet des heutigen Rosenhofs        die Wolle zum Faden vorbereitet
Frankfurt 1749, gestorben in sei-       kurz vor dem Falkeplatz) verbrach-   wird“. Dennoch, für Goethe war es
nem Haus am Frauenplan in Wei-          te er wohl Mittagspause und die      wohl nur ein „flüchtiges Ereignis“,
mar 1832, war weit herumgekom-          Nacht zum 29. September.             wie selbst die seinem Andenken
men. Davon zeugen nicht nur Werke           Eigentliches Ziel des Chem-      verpflichtete örtliche Goethe-Ge-
wie die „Italienische Reise“ oder       nitzer Zwischenstopps war die        sellschaft anmerkt. Mit Weimar,
die „Böhmischen Elegien“. Auch          Besichtigung der Bernhardschen       Wetzlar, Frankfurt oder den böh-
seine Studienzeit in Leipzig und        Spinnerei, der ersten Spinnfabrik    mischen Bädern könne Chemnitz
Straßburg findet literarische Wi-       in Sachsen. Monate zuvor schon       nicht mithalten, aber es gilt: „Goe-
derspiegelung, seine Assessoren-        hatte ihm Johann Heinrich Meyer      the was here“. | vtz
Bürger für Kunst, Kunst für die Bürger - Wie weit mit einem Liter? Einmal um die Welt getanzt - TU Chemnitz
10                                                Kultur

Einmal um die Welt getanzt
Tänzerin Simone Elliott über ihren Traum und wie er sich erfüllte
                                                        So tiefbraun sie auch sind, Simone Elisabeth Elliotts Au-
                                                        gen leuchten, wenn sie über das Tanzen spricht. Im Bal-
                                                        lett, erzählt sie, kann sie viel Persönliches ausdrücken,
                                                        die Bewegungen sind dann ihre Sprache, in der sie mit
                                                        den Zuschauern kommuniziert. Natürlich, erklärt die
                                                        22-Jährige, muss sie sich an die Choreografien halten,
                                                        gerade bei Lode Dvos, dem Direktor des Chemnitzer
                                                        Ballettensembles, voller Emotionen, mit denen sich
                                                        die Tänzer idendifizieren können und mit eigenen
                                                        Erfahrungen und Gedanken füllen. Diese sind dann
                                                        sehr individuell, auch wenn jeder Tänzer den selben
                                                        Schritt macht. Und Erfahrungen machte die gebürti-
                                                        ge US-Amerikanerin schon viele auf ihren Weg ein-
                                                        mal um die Welt.
                                                            Als Kind fing Simone Elliott in ihrer Heimat Seattle
                                                        mit dem Ballett an, da war sie gerade drei Jahre alt
                                                        und trainierte auch Eiskunstlauf. Ihre Mutter war
                                                        Eislaufprofi, doch mit 13 wusste Elliott, dass Ballett
                                                        der Traum ist, auf den sie sich ausschließlich konzen-
                                                        trieren will. Eine Tanzlehrerin, die ihr Potential er-
                                                        kannte, riet ihr, nach Europa zu gehen. Dort gäbe es
                                                        mehr Häuser und Möglichkeiten, um Erfahrungen zu
                                                        sammeln. Also sollte die junge Ballerina nach Australi-

Vortrag am 04.05.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Ballettstudie zum Ballett Kaddish/Serenade

Lode Devos
1965 in Belgien geboren, begann Lode Devos bereits im
Alter von sieben Jahren seine Ballettausbildung am König-
lichen Konservatorium in Kortrijk/Belgien, später auch in
Antwerpen und in Brüssel. Seine Tanzlaufbahn startete er
im Europaballett und als Solist im Tanzforum Köln. Mit dem
Béjart Ballet Lausanne war Devos international als Solo-
                                                                         Fotos (2): Theater Chemnitz/Wuschansky
tänzer in verschiedenen Rollen zu sehen. Ab 1987 arbeitete
Devos auch als Choreograf und kreierte zahlreiche Tanzstücke. Seit der Spielzeit 2006/07 ist er Bal-
lettdirektor der Theater Chemnitz. Neben der Choreografie für Kinder und Jugendliche, die ihm
sehr am Herzen liegt, schuf er hier mit der Ballettcompany auch Tanzabende und die Choreografie
für „West Side Story“.
Kultur          11
                                                                ANZEIGE
en fliegen. Dort lebte eine
Lehrerin ihrer Lehrerin
und organisierte regelmä-
ßig Europatourneen. Mit
14 Jahren musste Simone
Elliott eine Entscheidung
für ihr Leben treffen und
hatte gerade einen Monat
dafür Zeit. Doch so sehr
hatte sie tanzen wollen,
dass sie wenig überlegte.
Sie war jung, zu jung, sagt
sie, aber in diesem Beruf                  Foto: Daniël Veder
hat man nicht viel Zeit für
Entscheidungen, zu kurz die Jugend, zu belastend das
Tanzen für den Körper. Spätestens mit 40 Jahren ist
da Schluss. Gerade im modernen Ballett, wie es in
Chemnitz meist getanzt wird, sind die Bewegungen
hart. Aber das, so Elliott, ist der Ausdruck ihrer Ge-
neration, Agressionen wegzutanzen, auch wenn das
manchmal schmerzhaft ist.
    2003 kam schließlich die ersehnte Europatournee,
auf der sie sich für eine Schule in Zürich entschied. In
Dresden hätte sie sogar ein Stipendium bekommen
können, doch dort fühlte sie damals, war nicht der
richtige Platz für sie. Ihre Entscheidung bereut sie je-
doch nicht, und bekam die erste Anstellung in einem
Ensemble in Innsbruck. Auf einem Festival in Barce-
lona sah Lode Devos Simone Elliott tanzen und wollte
sie in seine Company holen. Sie unterschrieb den an-
gebotenen Vertrag und kam nach Chemnitz, ohne die
Stadt je gesehen zu haben. Für die Tänzerin, die die
pittoresk, freundlichen Alpenstädte Zürich und Inns
bruck mochte, war die Ankunft ein Schock, eine neue
Welt. Es hat lang gedauert, bis sie sich eingewöhnen
konnte, in der ersten Woche habe sie einfach nur
zurück gewollt. Doch heute kann sie Chemnitz auch
schöne Seiten abgewinnen, mag es hier, wo es eine
sichtbare Geschichte gibt. Auch wenn sie nicht für
immer bleiben will.
    Hier gleicht das Leben der Balletttänzerin einem
Nomadendasein. Verträge gibt es meist nur für ein
oder zwei Jahre. Die häufigen Ortswechsel fernab
der Heimat, das harte und lange Training machen
es schwer, Leben, Freundeskreis oder Beziehungen
aufzubauen. Viel von dem, was Simone Elliott an
einsamen Abenden fühlte, floss in ihre Musik. Es sei
eine Art Tagebuch gewesen, als sie begann Gitarre zu
spielen und dazu zu singen. Mittlerweile auch vor Pu-
blikum etwa im Weltecho oder zum Opernjubiläum.
Das, sagt sie, genießt sie wirklich, so nah vor Men-
schen zu singen. Denn während sie im Ballett, das
sie liebt, das Publikum nicht sehen kann, haben diese
kleinen Auftritte etwas sehr persönliches. Hier ist es
wieder zu sehen dieses Leuchten. | mch
12                                           Wissenschaft

„Ein ‚Seitensprung‘ der Technik“
Konrad Zuse und sein Grundstein des Informationszeitalters

    Schon während seiner Kindheit im ostpreußi-         gebnisausgabe. Auch wenn die Z3 nicht voll elektro-
schen Braunsberg tüftelte der 1910 geborene Konrad      nisch, sondern mit Relais arbeitete, so nutzte sie im
                                  Zuse gern. Der Sta-   Gegensatz zur drei Jahre später gebauten amerika-
                                  bilbaukasten war      nischen ENIAC schon das Binärsystem, auf dem auch
                                  ihm ein liebes Hob-   heutige Rechnentechnologie basiert.
                                  by und ein großer
                                  über      Bindfäden        Es sollte nur zehn Jahre dauern, da war die Er-
                                  steuerbarer Kran      findung Computer Serienreif. Vom Amerikanischen
                                  eine von Zuses        UNIVAC I wurden ganze 46 Stück hergestellt und ver-
                                  frühen Konstruk-      kauft. Dieser funktionierte noch mit vergleichsweise
                                  tionen. Doch ein      langsamen und störanfälligen Elektronenröhren. Erst
                                  technischer Denker    als der Transistor Einzug in die Rechentechnik hielt,
                                  war er damit längst   konnte deren Entwicklung rasant immer kleinere und
                                  nicht. Zwei Herzen    billigere Geräte hervorbringen. Ein erster Transisto-
                                  schlugen, ach, in     renrechner kam 1958 mit Electrologica X1 aus den
                                  seiner Brust. „Ich    Niederlanden, noch immer eher Büromöbel als PC.
                                  muß für meine Leh-    Denn dieser – der Personalcomputer – wurde erst-
                                  rer kein sehr ange-   mals 1968 von HP beworben. Hierbei handelte es
                                  nehmer Schüler ge-    sich um einen etwa schreibmaschinengroßen Appa-
wesen sein“, schrieb er später in seiner Biographie.
„Ich war als Kind und als Jugendlicher ein Träumer,
und meine Gedanken schweiften auch in der Schu-
le oft vom Thema ab.“ Doch war er auch zeitlebens
Künstler und Maler, so sollte sich Konrad Zuse letzt-
lich als großer Erfinder in die Geschichtsbücher
schreiben – als Konstrukteur des ersten Computers.

    Im Deutschen Museum München steht heute von
der 1941 gebauten Zuse Z3 nur noch ein schrank-
wandgroßer Nachbau. Das Original wurde im Kriegs-
deutschland wenig beachtet und schließlich durch
Bomben zerstört. Dennoch war es als Vorläufer all der
Geräte, die heute unseren Alltag und Fortschritt be-                                          Foto: Wikipedia/Venusianer
stimmen, ein Meilenstein der Technologiegeschich-       Zuse Z3 im Deutschen Museum München
te. Kaum zu glauben, dass Zuses Riesenapparat, der
sich gerade einmal 64 Zahlen merken konnte, heute       rat, der nicht viel mehr war als ein programmierbarer
millionenfach leistungsstärker in jede Hosentasche      Taschenrechner. Pionierarbeit leistete insbesondere
passt. Und doch, in wesentlichen Merkmalen war die      die Nixdorf AG, die sich als eine der ersten Firmen
Z3 der Urvater moderner Informationstechnologie.        den Markt der Arbeitsplatzrechner erschloss. Ihre
Mittels Lochstreifen konnte man den Rechner univer-     erschwingliche Nixdorf 820 war eine Weiterentwick-
sell programmieren, das heißt theoretisch (ungeach-     lung der Logatronic, die die einstige Automobilgröße
tet von Speicherplatz und Arbeitszeit) jede beliebige   Wanderer AG baute, bevor sie von Nixdorf übernom-
Aufgabe erfüllen lassen. Auch besaß er eine Tastatur    men wurde. Die 820 ermöglichte endlich auch kleinen
zur Zahleneingabe und ein Glühlampenfeld zur Er-        und mittleren Unternehmen die elektronische Da-
Wissenschaft                                                           13

Vortrag am 04.05.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Die Geburt der Informatik – zum 100. Geburtstag
von Konrad Zuse

Prof. Dr. Friedrich Naumann
Als Absolvent der TU Bergakademie Freiberg arbeitet
Naumann seit 1969 auf dem Gebiet der Datenverarbei-
tung und Informatik. Ab 1974 leitete er das Rechenzent-
rum der TH Karl-Marx-Stadt, wandte sich aber schließlich
der Wissenschafts- und Technikgeschichte sowie der Ha-
bilitation an der TU Dresden zu. 2001 erschienen im Er-
                                                                                         Foto: privat
gebnis Naumanns Fachbuch „Vom Abakus zum Internet –
Die Geschichte der Informatik“. In den Jahren 2004 bis 2008 organisierte er drei Konferenzen zur
Informatik in der DDR. Nach seiner Emeritierung im Jahre 2005 gründete Prof. Naumann am In-
dustriemuseum Chemnitz eine Arbeitsgruppe zu Informatikgeschichte unter besonderer Berück-
sichtigung des Chemnitzer Raumes; eine Ausstellung ist für 2011 geplant.

tenverarbeitung und machte Nixdorf infolge ihres Er- für aus dem Rahmen fallende Ideen ist. Eine solche
folgs zum viertgrößten Computerhersteller weltweit. Idee, ein „Seitensprung“ der Technik, wenn man so
                                                     will, war letzten Endes auch der Computer.“ | mch
    An Privatanwender war da noch längst nicht zu
denken. Noch 1977 behauptete der Chef des ame- Literatur: Konrad Zuse: Der Computer. Mein Lebens-
rikanischen Herstellers DEC, es gäbe keinen Grund, werk. Springer 2007.
warum jemand einen Computer zu Hause haben
wolle. Da hatte die Drei-Mann-Firma Apple gerade
ihren ersten Rechner für Heimanwender gebaut – als
Bausatz im Holzgehäuse. In den 1980er Jahren er-
folgte schließlich der Durchbruch für den Computer-
Heimbereich. Mit vielfältigeren Anwendungen und
besserer Bedienbarkeit durch grafische Betriebssys-
teme eroberten, Atari, Amiga, Commodore und Co
die Wohn- und Arbeitszimmer. Mit dabei die großen
Konkurrenten Microsoft und Apple, die auch heute in
vielen Bereichen den Computermarkt beherrschen.

    Konrad Zuse indes zog sich 1964 aus dem Geschäft
der Zuse KG zurück. Er widmete sich später vermehrt
dem Schreiben und der Kunst. 1995, ein halbes Jahr
vor seinem Tod, schenkte er Microsoft-Gründer Ga-
tes ein selbstgemaltes Porträt. Dem Spiegel sagte
er damals, dass Gates ihn als besondere Persön-
lichkeit auf dem Gebiet der Computer-Entwicklung
reize. Konrad Zuse, den Mann, der den Computer
erfand. „Auf meinen eigenen Werdegang zurückbli-
ckend“, schrieb Zuse in seiner Biographie, „kann ich
gleichwohl nur hoffen, daß auch in Zukunft nicht
nur Platz für den Spezialisten in seinem Fach, son-
dern auch für den universell Begabten sein wird. Ich   Foto:s (2) Horst Zuse/www.zuse.de

glaube, daß gerade Vielseitigkeit die Voraussetzung                                Wachstum: Ölbild von Konrad Zuse 1984
14                                            Wissenschaft

Der Nutzen spielt eine größere Rolle
Interview mit Computerkursleiter Matthias Heinze
                                                         für die Teilnahme, außer das Interesse für das Medi-
                                                         um Computer.

                                                         JdG: Ist hier auch ein gegenseitiges Helfen
                                                         erkennbar?
                                                         Auf jeden Fall. Ich beobachte auch viel, dass die Sitz-
                                                         nachbarn sich unterstützen und froh sind, wenn sie
                                                         selbst Ideen haben und etwas einbringen können.
                                                         Ich lerne dabei selbst auch von den Teilnehmern und
                                                         erfahre andere Perspektiven auf die Dinge. Ich wür-
                                                         de mich auch nicht unbedingt als den Lehrenden be-
                                                         zeichnen, sondern eher als Person, die einen Prozess
                                                         anleitet.

                                                        JdG: Was wird dabei konkret an Themen
                                                        nachgefragt?
                                                        Das ist immer eine schwierige Angelegenheit. Die Teil-
                                                        nehmer wünschen sich viele verschiedene Themen,
                                                        aber auch, dass diese detailliert behandelt werden.
                                         Foto: BurgEins Das stimmen sie demokratisch ab und in diesem Jahr
                                                        war es auch wieder sehr gemischt. Twitter hatten wir
Matthias Heinz leitet seit einem Jahr zwei der vier dabei, Bloggen, Communities, also ganz Neues aus
Arbeitsgruppen „PC und Internet“ des Senioren- dem Bereich Internet. Aber natürlich auch Grundla-
kollegs der TU Chemnitz. Er studiert Pädagogik mit gen in Büroanwendungen wie Excel oder Word. Bild-
Schwerpunkt Erwachsenenbildung.                         bearbeitung ist dabei auch immer ein Renner.

JdG: Was genau machen Sie mit ihren Kursen?              JdG: Ist es schwer bei einer Generation, die ohne In-
Das Semester ist zunächst nur als grober Rahmen-         formationstechnologie aufgewachsen ist, Anknüp-
plan aufgebaut. Der wird am Ende des Vorsemes-           fungspunkte zu finden?
ters in einer Evaluation abgestimmt. Darüber hinaus      Das wichtigste ist erst einmal herauszufinden, wo die
habe ich ziemlich freie Hand. Das Wichtigste ist, dass   Teilnehmer stehen. Jeder hat auch ganz unterschied-
die Teilnehmer etwas lernen und nicht, dass ich ei-      liche Interessen – das kommt dazu. Viel geschieht da-
nen bestimmten Plan einhalte. Die erste halbe Stun-      rum aus der individuellen Betreuung heraus, wenn
de besteht daher meist darin, dass wir individuelle      ich im Praxisteil persönlich hingehe, mitmache und
Computerprobleme klären. Danach fange ich mit            gegebenenfalls wiederhole. Eine Darstellung aus je-
dem jeweiligen Seminarthema an: Kurz etwas The-          weils verschiedenen Perspektiven ermöglicht dabei,
oretisches, aber meist lege ich es so an, dass es pra-   die Sachverhalte für jeden greifbar zu machen.
xisnah ist.
                                                         JdG: Können Sie sich als jemand, der mit der Tech-
JdG: Wer kommt zu den Kursen? Wer kann kommen?           nik groß geworden ist, in die Teilnehmer hineinver-
Als ich den Kurs übernommen habe, waren viele            setzen, denen die Funktionsweise oft unlogisch vor-
schon mehrere Jahre eingeschrieben. Die Teilnehmer       kommen muss?
haben also schon ein bestimmtes Niveau und Kennt-        Dass ich mich wirklich vollkommen hineinversetzen
nisse. Aber Wiederholung ist hier natürlich sehr         kann, würde ich nicht unbedingt behaupten. Aber
wichtig. Darum ist es gar nicht so schlimm, wenn je-     ich kann es schon in Zügen nachvollziehen, sehe zum
mand als Laie kommt. Es gibt keine Voraussetzungen       Beispiel wo die Teilnehmer auf dem Bildschirm hin-
Wissenschaft                                                   15

schauen. Sie verfolgen eher den Mauszeiger, oder
schauen gezielter, wo etwas geschieht, während
junge Menschen oft den ganzen Monitor im Blick
haben. Das muss man bei der Erklärung beachten,
wie alles dargestellt wird und wie die individuellen
Herangehensweisen sind. Manche haben allerdings
auch schon Erfahrung mit der Branche. Sie haben
dann auch die Zeit der Lochdisketten erlebt, als die
Technik noch physikalisch viel nachvollziehbarer war.
Da kann man sich auch Ansatzpunkte zur Vermittlung
holen. Ich lerne hier von Seminar zu Seminar dazu.

JdG: Bekommen Sie Rückmeldungen darüber, ob
das Seminar den Teilnehmern geholfen hat und sie
ihre Kenntnisse auch zu Hause anwenden?
Was gut ankam, bekannt war oder noch einmal wie-
derholt werden sollte, das erfahre ich einerseits in
den Fragebögen am Semesterende und dann gibt
es natürlich auch persönliche Gespräche nach ei-                Zuse: ein romantischer Rationalist
nem Kurs. Wir gehen als Kurs auch zum Semester-
abschluss immer noch ins Café und reden in lockerer          Einen „Experten für Zukunftsmusik“ nennt Fried-
Atmosphäre. Desweiteren bin ich auch über E-Mail             rich Christian Delius seinen Konrad Zuse dem er
für Fragen und Kritik zu erreichen.                          in „Die Frau, für die ich den Computer erfand“ nä-
                                                             her rückt. Dabei stellt er aber weniger den Tüft-
JdG: Sind bei der Nutzung des Wissens Unterschiede           ler, sondern vor allem einen gefühlvollen Zuse
zwischen jungen und älteren Menschen zu sehen?               vor: Dass in dem genialen Erfinder ein Liebender
Unterschiede sind auf jeden Fall festzustellen, gera-        stecken könnte – wer denkt schon daran, wenn
de in der Wissensverwendung. Der Nutzen spielt für           er zuhause oder im Büro den oft kalt erschei-
Ältere eine größere Rolle. Weniger der Spaßfaktor,           nenden Rechner bedient? Der Autor nähert sich
sondern die Frage, was kann ich damit machen? Da             seinem Beschreibungsobjekt in einer fiktionalen
habe ich Communities zum Beispiel als modernes,              Autobiographie: Ein Journalist, so konstruiert es
sich selbst aktualisierendes Adressbuch vorgestellt.         Delius, wird von Zuse zu einem langen Interview
Das fanden die Teilnehmer interessant, aber natür-           eingeladen. Während einer Mondnacht bei Wein
lich hat es für sie wenig Nutzen, wenn ihr Bekannten-        und hessischer Hausmannskost erzählt Zuse dem
kreis nicht auch mitmacht. Das Interesse für die neu-        jungen Mann, was ihn antrieb, aufhielt, voran-
en Sachen ist hier durchaus da, die Frage nach dem           brachte bei der Erfindung von A1 bis A4, den Ent-
persönlichen Nutzen aber auch immer zu beachten.             wicklungsstufen der ersten Computer. Doch über
                                                             allen Beweggründen thront Ada, die verheimlich-
                                                             te Liebe des Forschers, der er nie wirklich näher
                                                             kommen konnte. Der Roman als Transkript eines
                                                             Interviews, aus dem die Fragen des Journalisten ge-
                                                             löscht sind – diese Konstruktion erlaubt es Delius,
                                                             einen Zuse zu präsentieren, der sich mal altväter-
                                                             lich, mal verspielt oder kämpferisch gibt, der zum
                                                             Schwadronieren ebenso neigt wie zur technischen
                                           Foto: Gleisberg   Pingeligkeit. Delius schöpft die Möglichkeiten der
                                                             Persönlichkeitsbeschreibung voll aus und findet
JdG: Wann startet das nächste Semester? Sind noch            damit Zugang nicht nur zu einem fortschrittlichen
Plätze frei?                                                 Geist, sondern auch zu Fragen von Schuld, Sühne,
Die Einschreibung startet am 09. März das Semester           Eigen- und Fremdverantwortung. Damit macht
dann am 14. April 2010. Die Kursstärke ist auf 15 Per-       er seinen Roman trotz zwischenzeitlicher Längen
sonen angelegt, derzeit sind wir pro Kurs etwa zwei          sprachlich wie inhaltlich des Lesens wert. | vtz
Teilnehmer weniger. Platz ist also auf jeden Fall noch
da und neue Gäste willkommen. Interessierte lade ich         Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den
auch gerne zu einem Schnupperbesuch ein. | mch               Computer erfand. Rowohlt. 288 Seiten. 19,90 Euro
16                                                 Religion

                                                            Foto: J. Badura, Köln/   fürchten. Und auch sonst hat sich
                                                      Festkomitee Kölner Karneval
                                                                                     in der Vergangenheit der Eindruck
                                                                                     aufgedrängt, dass die protestanti-
                                                                                     sche Kirche in vielen Fragen (von
                                                                                     der Abtreibung über Homosexua-
                                                                                     lität bis zum Selbstmord) liberaler
                                                                                     agiert als ihre römische Schwester.
                                                                                         Demgegenüber stehen unter-
                                                                                     schiedliche Antworten bezüglich
                                                                                     der alltäglichen Religionsausübung:
                                                                                     Katholische Gottesdienste gelten
                                                                                     als feierlicher, katholische Gottes-
                                                                                     häuser oft als prachtvoller als die
                                                                                     evangelischen Gegenüber. Für vie-
                                                                                     le Katholiken ist erst die kirchliche
                                                                                     Trauung die wahre Eheschließung,
                                                                                     Protestanten verstehen eine Heirat
                                                                                     in der Kirche meist „nur“ als Seg-
                                                                                     nung der standesamtlich vollzoge-
                                                                                     nen Hochzeit. Und dass der Kar-
                                                                                     neval im katholischen Rheinland
                                                                                     ausgiebiger gefeiert wird als im
                                                                                     protestantischen Preußen, mussten
                                                                                     zahllose Bundesbeamte nach dem

  Darf die das?                                                                      Umzug der deutschen Hauptstadt
                                                                                     von Bonn nach Berlin erfahren.
                                                                                     Sinnenfreude und Bombast hier,
                                                                                     Strenge und Schlichtheit dort?
  Über Margot Käßmann und die                                                            Die Beurteilung geht vor allem
                                                                                     auf den Teil von Luthers Thesen zu-
  Haltbarkeit eines Klischees                                                        rück, der sich mit Fragen von Sünde
                                                                                     und Beichte beschäftigte. Am 31.
                                                                                     Oktober 1517 soll es gewesen sein,
Als die Ratsvorsitzende der Evange-     nem katholischen Bischof hätte               dass der Begründer der Reformati-
lischen Kirche, Margot Käßmann,         man voll Respekt auf die Schulter            on seine 95 Thesen zur Entwicklung
unlängst mit 1,5 Promille Alkohol       gehauen, dass er nach einem Gela-            des Religionswesens ans Tor der
im Blut von der Polizei gestoppt        ge noch fahren kann“, hieß es dazu           Wittenberger Schlosskirche schlug.
wurde, war die Verwunderung             von einem Satiriker. Da war es wie-          Darin kritisierte er zeitgenössische
groß: Hatte sich Käßmann nicht          der, das Klischee von sinnenfrohem           religiöse Praktiken wie die Beichte
soeben erst mit einer Aufsehen          Katholizismus und strengem Pro-              oder den Handel mit Ablassbriefen,
erregenden Rede zum deutschen           testantismus.                                die von Sünden befreien könnten.
Afghanistan-Einsatz in der Dresde-                                                   Die Thesen, eigentlich gegen das
ner Frauenkirche als moralische In-     Luthers Werk                                 päpstliche Finanzsystem gerichtet,
stanz etabliert? Lag es nicht an ihr,   und Calvins Beitrag                          wurden zum Leitbild einer neuen
der Kirche eine neue Stimme und                                                      Kirchenbewegung, die vor allem
damit auch dem Glauben neues                Die Idee, dass die evangelische          einen Glaubenssatz kannte: Nicht
Gewicht in der gesellschaftlichen       Kirche ihren Mitgliedern mehr ab-            der Mensch kann Sünden verge-
Diskussion zu verleihen? Und nun        verlangt, mag zunächst verwun-               ben, dies obliegt allein der Gnade
das? Mit dem Dienstwagen und            dern: Evangelische Pfarrer dürfen –          Gottes. Wer also auf göttliche Er-
zu viel Alkohol unterwegs. Konnte       im Gegensatz zu ihren katholischen           lösung hoffte, musste zuerst ein
eine evangelische Ratsvorsitzende       Kollegen – heiraten. Frauen dürfen,          gottesfürchtiges und vor allem sün-
sich das erlauben?                      siehe Margot Käßmann, in höchste             denfreies Leben führen.
    Sie konnte nicht, zumindest         Ämter aufsteigen und einen Stell-                Dies erklärt einerseits die Libe-
nach eigenem Verständnis, und           vertreter Christi auf Erden wie den          ralität in gesellschaftlichen Fragen:
trat von ihren Ämtern zurück. „Ei-      katholischen Papst müssen sie nicht          Nicht der Mensch kann sich zum
Religion                                                                          17

Vortrag am 11.05.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017

Stefan Rhein
Dr. Stefan Rhein, 1958 geboren, promovierte über „Philo-
logie und Dichtung. Melanchthons griechische Gedichte“.
In den Jahren 1988-1997 war er Kustos am Melanchthon-
haus Bretten. Seit 1994 leitet er im Nebenamt die Reuchlin-
Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissen-
schaften. Im Jahr 1998 wurde er hauptamtlicher Vorstand
                                                                              Foto: Stiftung Luthergedenkstätten
und Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sach-
sen-Anhalt. Außerdem ist er seit dem Jahr 2000 Vorsitzender der kulturtouristischen Initiative
„Wege zu Luther“ e. V., seit 2007 auch Leiter der Geschäftsstelle „Luther 2017“.

Richter über das richtige Leben auf-             lang als ausgemacht, dass Protes-                        Auch was die Wirtschaft be-
schwingen, dies obliegt allein Gott.             tanten sich selbst mit strengeren                   trifft, sind kaum noch Unterschiede
Andererseits überträgt es jedem                  Augen betrachten und sich deshalb                   zwischen katholischen und luthe-
Einzelnen aber mehr Verantwor-                   zum Beispiel auch häufiger selbst                   risch-evangelischen Landstrichen
tung für das eigene Leben: Gott-                 töten, wenn sie glauben, den har-                   zu erkennen: Bayern und Baden-
gefällig lebt, wer sich täglich selbst           ten Anforderungen nicht zu genügen.                 Württemberg streiten sich darum,
prüft, wer seine Pflichten erfüllt,                                                                  wer das wahre Zugpferd der deut-
wer seine eigenen Begabungen –                   Widerlegte Vorurteile                               schen Wirtschaft ist – die einen
die Talente – nutzt.                                                                                 eher römisch-katholisch, die ande-
    Es war unter anderem diese Er-                   Letzteres galt lang als ausge-                  ren eher protestantisch geprägt.
zählung von den Talenten aus dem                 macht, ist inzwischen aber wi-                           Geschichte und Politik, private
Neuen Testament, die evangeli-                   derlegt. Aktuelle Zahlen, die das                   Wanderungsbewegungen und die
sches Leben bestimmte. Sie gebar                 Leipziger Leibniz-Institut für Nati-                Abkehr vieler Menschen von der
die protestantische Ethik, die sich in           onalkunde im Januar veröffentlich-                  Kirche haben Unterschiede, die es
Vorreitern wie Johannes Calvin und               te, zeigen beispielsweise für die                   früher gegeben haben mag, ver-
seiner Prädestinationslehre äußer-               Dekade zwischen 1997 und 2007                       wischt: Auch eine evangelisch-lu-
te und auch in deutschen Landen                  das katholische Bayern und das                      therische Kirchenfrau wie Margot
vor allem protestantische Länder                 protestantische Sachsen gleichauf                   Käßmann begibt sich in unseren
wie das heutige Baden-Württem-                   in der Selbstmordrate. Ausgerech-                   Tagen alkoholisiert in den Straßen-
berg oder Sachsen zu Boom-Regio-                 net Sachsen-Anhalt, Mutterland                      verkehr. Dass sie zurücktrat, war
nen formte: Wirtschaftlicher Erfolg              der Reformation, hat in dieser Zeit                 wohl vor allem eine persönliche,
sollte zeigen, dass man zum ewigen               die geringste Rate an Suiziden zu                   weniger eine religiös geprägte Ent-
Heil bestimmt war. Gleichzeitig galt             verzeichnen.                                        scheidung.

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                                                                                                                                                .
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      BOCK
                             19.03.2010 | 19.00 Uhr
                              Licht aus – Sinne an!
                                                                   20.03.2010 | 19.00 Uhr
                                                                    Tanz mit den „Kaisers“
                                                                                                       03.04.2010 | 20.00 Uhr
                                                                                                       „Schwarzwurzeln“
                                                                                                                                    03ik.k0ab4arett
                                                                                                                                    Mus
                       Eine echte Blindverkostung bester     Das Musik-Duo „Die Kaisers“        Clemens-Peter Wachenschwanz
                       Weine – im abgedunkelten Restau-      spielt Schlager, Hits und Oldies   stellt ein unterschätztes Gemüse
                       rant zeigen wir, wie sehr das Sehen   und verführt zum Ausgraben der     ins Zentrum seines Musikkabarett-
      20.03.
                       unseren Geschmack beeinflusst.        Standardtanz-Kenntnisse.           Programms: Schwarzwurzeln.
                       Um Anmeldung wird gebeten.            Um Anmeldung wird gebeten.         Um Anmeldung wird gebeten.
       Tanz mit        Inkl. Weine: 25,00 €/Person           Eintritt: 6,00 €/Person            Inkl. Büfett: 35,00 €/Person
      Livemusik

                       Oberer Gutsweg 17c 09212 Limbach-Oberfrohna Tel.: 03722 / 48 90-00 E-Mail: info@hotel-bock.de www.hotel-bock.de
18                                               Chemnitz

Eine ausgezeichnete Idee −
der Smart Systems Campus
                                                                             ten ihre Firmensitze in das Gebiet
                                                                             und es entstand ein Hochtechnolo-
                                                                             gie-Cluster, der unter dem Namen
                                                                             „Silicon Valley“ weltbekannt ist.
                                                                             Heute sind dort Welt-Konzerne wie
                                                                             Google und Apple angesiedelt. Ob
                                                                             der Chemnitzer Hochtechnologie-
                                                                             Campus zu einer derartigen Ent-
                                                                             wicklung in Sachsen beiträgt, kann
                                                                             niemand vorhersagen. Der größte
                                                                             Branchenverband der Halbleiter-,
                                                                             Elektronik- und Mikrosystemindu-
                                                                             strie Europas, der „Silicon Saxony
                                                                             e.V.“, orientiert sich allerdings na-
                                                                             mentlich am kalifornischen Vor-
                                                                             bild. Beigetreten sind ihm u.a.
Günstige Bedingungen –                 können. Zusätzlich dazu rückten       schon die 3D-Micromac AG sowie
Keimzelle für Innovationen             sie auch eher in den Blick von In-    die memsfab GmbH, die im „Start-
                                       vestoren und Kunden.                  Up“-Gebäude des Smart Systems
    Auf einem 4,5 Hektar großen            Räumliche          Bündelung,     Campus angesiedelt ist.
Areal zwischen Reichenhainer und       ein schnelles Internet zum                Im „Start-Up“-Gebäude stehen
Altchemnitzer Straße existiert ein     Datenaustausch, Forschungsko-         Firmenneugründungen insgesamt
Hightech-Standort für Mikro- und       operationen – Cluster-Bildung         2500 m² Fläche zu gründerfreund-
Nanosysteme mit direktem An-           nennt man das. Und auch wenn          lichen Mieten zur Verfügung. Im
schluss an den Campus der Tech-        das alles sehr innovativ und neu      Verhältnis von 3:2 sind dort die
nischen Universität Chemnitz. Auf      klingt: Die Technologie ist es, das
dem Smart Systems Campus, so           Konzept nicht.
der Name des Areals, wurden in
den letzten zwei Jahren vier neue      Vorbild San Francisco
Gebäude eingeweiht: das Gebäude
des Instituts für Physik der TU im          Im Jahr 1951 erschloss die
Jahr 2008, im Juni 2009 ein „Start-    etwa 60 Kilometer südlich von
Up“-Gebäude für Firmengründer,         San Francisco liegende US-Eliteu-
die Fraunhofer-Einrichtung für         niversität Stanford angrenzendes
Elektronische Nanosysteme (ENAS)       Bauland, um dort den „Stanford
und der neue Firmensitz der 3D-        Industrial Park“ zu gründen. Fir-
Micromac AG auf dem angeschlos-        men der Halbleiterindustrie und
senen Gewerbegebiet. Sören Uhle        Ausgründungen aus Instituten der
von der Chemnitzer Wirtschaftsför-     Universität siedelten sich in dem
derungs- und Entwicklungsgesell-       Tal bei Santa Clara an und pro-
schaft mbH erklärt, dass Firmen im     fitierten von der unmittelbaren
„Start-Up“-Gebäude Universitäts-       Nähe zur Forschungseinrichtung.
ressourcen wie Bibliothek, schnel-     Mit der Verbreitung der Compu-
le IT-Infrastruktur, Forschungs- und   tertechnik wurde die Entwicklung      Die EDC-Gründer Dr. Steffen Heinz (l.) und
Reinräume nutzen und intensiv an       weiter lanciert, Unternehmen wie      André Lange (r.) waren die ersten Unterneh-
Forschungsergebnissen teilhaben        Hewlett-Packard und Intel verleg-     mer, die in das Start-Up-Gebäude einzogen
Chemnitz                                                             19

Räume in Labore und Büros auf-
geteilt. Mit 500 Quadratmetern
war die erste große Einmietung
die Berliner Nanotest GmbH, die
Zuverlässigkeitsanalysen in Mikro-
und Nanoverbunden durchführen.
Insgesamt sieben Unternehmen,
darunter zwei Ausgründungen der
TU Chemnitz, haben sich bisher im
„Start-Up“-Gebäude angesiedelt.
Vollständig vermietet werden soll
die Fläche aber nicht, so dass den                                                                    Fotos (3): Gleisberg
Firmen Platz zum Wachsen bleibt.                  Der neue Firmensitz der 3D-Micromac AG auf dem Smart Systems Campus
Die Stadt versucht, mit günstigen
Bedingungen auf dem Smart Sys-        gieversorgung. Im Alltag begegnen      sen druckbare Batterien das New
tems Campus Studierende und Un-       uns Mikrosysteme in den neuesten       York Times Magzin zu den fünf bes-
ternehmen an den Standort Chem-       Laptops, deren Festplatten im frei-    ten Ideen des vergangenen Jahres
nitz zu binden: 14 Millionen Euro     en Fall automatisch abgeschaltet       kürte. Die kleinen Energiespeicher
Investitionssumme in den Campus       werden, oder im Auto: Die Fahr-        werden im Siebdruckverfahren
belegen dies.                         dynamiksteuerung, die unter dem        hergestellt und sind dünner als ein
                                      Namen Elektronisches Stabilitäts-      Haar. Anwendung können sie auf
Mitdenkende Systeme                   programm (ESP) bekannt ist, er-        musikalischen Glückwunschkarten
                                      leichtert das Anfahren auf schlüpf-    oder auch in der Medizintechnik
    Smart Systems, englisch für       rigem Untergrund und hält das          finden. Bereits 2008 wurde der
„intelligente Systeme“, sind klein,   Fahrzeug in Kurven sicher auf der      Smart Systems Campus als ausge-
sehr komplex und können mitden-       Straße. Da diese Systeme nicht nur     wählter „Ort des Tages“ bei dem
ken. Dazu ist das Zusammenspiel       hochkomplex, sondern auch sehr         Wettbewerb „Deutschland – Land
verschiedenster     Komponenten       klein sind, müssen neue Herstel-       der Ideen“ ausgezeichnet, wie vor
notwendig:      Datenverarbeitung     lungsverfahren und neue Materi-        Kurzem das „IT Bündniss für Fach-
durch integrierte Schaltkreise,       alien erforscht werden. Internati-     kräfte“ – ebenfalls eine Kooperati-
Sensoren und Aktoren, Mini-So-        onale Anerkennung erlangte vor         on von Universität und führenden
larzellen oder Batterien zur Ener-    Kurzem die Fraunhofer ENAS, des-       IT-Unternehmen der Region. | fw

Vortrag am 18.05.2010,
15.30 Uhr im Seniorenkolleg
Spitzenforschung – Intelligente Systeme mittels
Mikro- und Nanotechnologien

Prof. Dr. Thomas Geßner
Thomas Geßner studierte zunächst Physik an der TU
Dresden, wo er 1983 auch promovierte. Sechs Jahre später
habilitierte er an der TU Karl-Marx-Stadt auf dem Gebiet
der Mikroelektronik. Anschließend hatte er verschiedene
Positionen im Dresdner ZMD inne, wo er an der Entwick-
lung integrierter Schaltkreise arbeitet. Seit 1991 ist Geßner
                                                                                      Foto: TU Chemnitz
Leiter des Chemnitzer Zentrums für Mikrotechnologie.
An der TU übernahm er 1993 die Professur für Mikrotechnologie und wurde 2006 zum Dekan sei-
ner Fakultät gewählt. Von 1998 bis 2008 war Geßner außerdem in leitenden Positionen am Fraunho-
fer IZM beschäftigt. Seit 2008 leitet er das neugegründete Fraunhofer ENAS. Geßner ist Autor und
Co-Autor zahlreicher Publikationen und von 27 Patentschriften.
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