CSU-FÜHRUNGSTRIO ÜBERNIMMT RHETORIK UND FORDERUNGEN DER AFD - ARBEITERPOLITIK
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5 9 . J a h r g a n g · N u m m e r 4 · a u g u s t 2 0 1 8 · EUR 2 , 0 0 I N F O RMAT I O NS B R I E F E D ER GRU P P E AR B E I TER P O L I T I K n F r a k t i o n s s t r e i t z w i s c h e n d e n U n i o n s pa rt e i e n u n d a b g e w e n d e t e R e g i e ru n g s k r i s e : CSU-Führungstrio übernimmt Rhetorik und Forderungen der AfD Inzwischen ist der offene Machtkampf zwischen den mit einer inzwischen auch abgespeckten Version einer hu- Unionsparteien vorübergehend eingestellt. Die CSU-Füh- manen Flüchtlingspolitik gibt die Richtung vor, sondern die rungsriege (Söder, Dobrindt, Seehofer) konnte mit der Dro- Scharfmacher gegen Migranten, die Orbans und die Salvinis. hung, Innenminister Seehofer werde auch gegen die Richt- […] Und irgendwo zwischen Humanität und Abschreckung linienkompetenz der Bundeskanzlerin die angekündigten taumelt die von der CSU getriebene Kanzlerin. Die reaktio- Grenzkontrollen ab Juli in Kraft setzen, zahlreiche ihrer när-nationalistischen Kräfte, die von der CSU repräsentiert Forderungen durchboxen. Nur in einem entscheidenden werden, befinden sich in der Offensive.« (Kommentar von Punkt nicht: Merkel verhinderte mit ihrer Richtlinienkom- Pascal Lechler, ARD-Studio Brüssel, vom 29.06.2018) petenz zunächst einen nationalen Alleingang. Sie hat See- So billigte die CDU-Führung den Masterplan des In- hofer den schwarzen Peter zugeschoben. Er muss bilaterale nen- und Heimatministers – übrigens noch bevor ihr sein Abkommen aushandeln, bevor Flüchtlinge an der Grenze konkreter Inhalt bekannt war. Die einzige, noch strittige zurückgewiesen werden dürfen. Aber in den übrigen strit- Frage konnte in letzter Minute entschärft werden. Die tigen Fragen hat sich Merkel viele Forderungen der CSU zu CSU bekam ihre Grenzkontrollen zum Aufgreifen illegal eigen gemacht. Das zeigte sich während des EU-Gipfels, auf eingereister Migranten mit der nun erneut geschaffenen dem sie mit zahlreichen Vorstellungen ihrer innerpartei- bayerischen Grenzpolizei. Abweisungen und Rückführun- lichen Kritiker zur Migrationspolitik auftrat. »Nicht Merkel gen soll es aber vorerst nach bilateralen Absprachen mit Demonstration am 25. Juni vor der bayerischen Landesvertretung, Motto: »Heimat-Horst muss weg« Foto: Oliver Feldhaus/Umbruch Bildarchiv
Österreich und Italien geben. Auch wenn es sich hierbei Knochen: Da wurde aus einer Münchner Kundgebung gegen zunächst um reine Symbolpolitik im Rahmen des baye- die Verschärfung des Polizeirechts, die von der CSU in bra- rischen Wahlkampfes handelt, die Notwendigkeit bilate- chialer Manier durchgezogen worden war, die größte baye- ralen Absprachen zeigt wie stark die nationalen Eigenin- rische Demonstration der vergangenen Jahrzehnte; das neue teressen sind, die zunehmend von den Rechtspopulisten Polizeirecht wirkte da offenbar wie der Tropfen, der ein Fass definiert werden. Die EU entfernt sich immer weiter von zum Überlaufen brachte.« gemeinsamen Lösungen. Merkel musste ja schon nach dem Die CSU-Führingsriege rüstete verbal ab und beendete Gipfeltreffen eine Reihe von tatsächlich oder vermeintlich den Konfrontationskurs innerhalb der Regierungskoalition. vereinbarten zwischenstaatlichen Lösungen präsentieren, Sie konzentriert sich nun auf den Wahlkampf in Bayern. um den unionsinternen Streit zu entschärfen. Der Wiederaufbau einer bayerischen Grenzpolizei und des Dass der Konflikt zunächst durch einen rasch zusam- neuen Landesamtes für Asyl und Rückführungen wurde mengezimmerten Kompromiss beigelegt wurde, ist der von Ministerpräsiden Söder medial in Szene gesetzt. Angst aller Beteiligten vor den unkalkulierbaren Folgen eines Auseinanderbrechens der gemeinsamen Unionsfrak- Der Machtkampf in den Unionsparteien ist tion geschuldet und und der Intervention der Unterneh- Ausdruck für die Verschiebungen im bürgerlichen merverbände. Die Vertreter der Wirtschaft haben nach- Parteiengefüge drücklich vor den Risiken einer Regierungskrise gewarnt und zur Unterstützung der Bundeskanzlerin aufgefordert. Getrieben wurde und wird die CSU von der panischen In der FAZ, die sich als Sprachrohr des bürgerlichen La- Angst vor dem Verlust der absoluten Regierungsmehrheit gers sieht, brachte Mitherausgeber Berthold Kohler am im Land als auch in zahlreichen bayrischen Kommunen. 24. Juni seine Sympathie für die Kritiker von Merkel zum Damit verbunden wäre eine erhebliche Schwächung ih- Ausdruck: »Die CSU, die als bayerische Regierungspartei rer bundespolitischen Bedeutung. Dies erklärt auch die deutlich näher an der Wirklichkeit der Flüchtlingskrise war Schärfe des Machtkampfes, der zuvor zwischen Seehofer als viele Träumer und Schönredner in Berlin-Mitte, hat im- und Söder ausgetragen wurde. Nach der Maxime von Franz mer noch ein besseres Sensorium für die Unzufriedenheit Josef Strauß »Es darf sich keine Kraft rechts von der CSU mit und das Aufbegehren gegen die Flüchtlingspolitik der dauerhaft etablieren« versucht die CSU der AfD den Wind großen Koalition als CDU und SPD zusammen. […] Merkel aus den Segeln zu nehmen: durch die Übernahme von de- beging schon zu Beginn der Flüchtlingskrise schwere und ren nationalistischer Rhetorik und von zahlreichen ihrer folgenreiche Fehler, im Handeln wie in der Kommunikation. Forderungen. Die CSU wird damit die von der Regierungs- Geradezu verheerende Wirkung im bürgerlichen Lager, aber politik enttäuschten Wähler*innen wohl kaum zurückge- auch bei den europäischen Nachbarn, hatte der von Merkel winnen können, sondern stärkt eher das Gefühl, mit der vermittelte Eindruck, Staatsgrenzen seien letztlich nur noch Stimmmabgabe für die AfD »es denen da oben mal gezeigt eine Illusion.« Zugleich warnte er vor der möglichen Zu- zu haben«. spitzung des Machtkampfes zwischen den Unionsparteien: Die Krise des traditionellen parlamentarischen Partei- »Ein offener Bruch zwischen CDU und CSU käme einem Erd- gefüges, von der bisher die Sozialdemokratie besonders beben gleich, dessen Folgen für die politische Landschaft getroffen wurde, hat nun auch die Unionsparteien, die und die Regierbarkeit des Landes man sich nicht ausmalen konserative Kraft des deutschen Bürgertums, erfasst. Der mag. Wie Berlin unter den dann zu erwartenden Verhält- nissen besser als bisher dafür sorgen soll, dass die EU am deutschen Wesen (also den einzig richtigen ordnungspoli- I N H A LT · H e f t N r. 4 · a u g u s t 2018 · J g . 5 9 tischen Vorstellungen) genesen kann, bleibt das Geheimnis jener, die schon immer wussten, wie man es besser macht in Die gesellschaftliche Funktion des der Politik – solange sie es nicht beweisen müssen.« rechtsnationalen Populismus 5 »Flüchtlingskrise« und Gegenwind für die CSU-Führung Merkels Kampf für die Geschlossenheit der EU 7 Nachdem sich die aufgeregte Debatte über die von der CSU- Verbale Beschimpfungen seitens der AfD Führung verursachte Regierungskrise gelegt hatte, kam schlugen in offene Gewalt um: Gegenwind auf. In Meinungsumfragen zur Landtagswahl Angriffe gegen Gewerkschafter in Hanau 10 rutschte die CSU weiter ab; sie konnte die zur AfD abgewan- 100 Jahre Novemberrevolution derten Wähler*innen nicht zurückgewinnen. Es mehrten Aktivitäten zum Jubiläum in Berlin 14 sich Stimmen auch innerhalb der Partei, die zur Mäßigung aufriefen und den gefahrenen Konfontatioskurs nicht mit- Dokumentiert: 9. November 2018 machen wollten. Vor allem die menschenverachtende Rhe- 100 Jahre unvollendete Revolution 15 torik stieß auf Ablehnung bis hinein in konserative Kreise. Frankreich: Die Cheminots So folgten am 22. Juni 2018 mehrere zehntausend Men- zwischen Resignation und Standhaftigkeit 18 schen dem Aufruf zur Demonstration »ausgehetzt«; die Polizei sprach von 25.000, die Veranstalter von 50.000 Teilnehmern. »Es sind längst nicht mehr nur linksradikale Studenten, die sich gegen die Flüchtlingspolitik des CSU stemmen, sondern auch Nonnen und ältere Menschen in Tracht – also auch traditionelle CSU-Wähler.« (fOCUS-on- Herausgeber und verantwortlicher Redakteur: A. Karaberis Herstellung und Vertrieb: GFSA – Gesellschaft zur Förderung des line, 23.07.2018) Und die »Süddeutsche Zeitung« schrieb Studiums der Geschichte der Arbeiterbewegung e.V. am 22. Juni: »Es war wohl das erste Mal in ihrer Parteige- GFSA e.V. • Postbank Hamburg • BIC: PBNKDEFF schichte, dass die CSU eine in München angekündigte De- IBAN: DE 28 2001 0020 0410 0772 05 monstration so ernst nahm, dass sie am Samstag warnende Zuschriften an: GFSA e.V. • Postfach 106426 • 20043 Hamburg Zeitungsanzeigen dagegen veröffentlichte. […] Offenbar e-mail: arpo.berlin@gmx.de • Internet: www.arbeiterpolitik.de steckt der CSU der Schock vom 10. Mai noch sehr in den 2 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018
Mehrere zehntausend Menschen demonstrierten am 22. Juli in Münschen unter dem Motto »ausgehetzt«. Foto: GEW München Die CSU versinkt in die Bedeutungslosigkeit, unten heißt es: ene, mene, muh, aus bist du – CSU rechtskonserative Flügel der Union, der in der Vergangen- Staatstragende Stillhalten der SPD heit – mit zeitlich vorübergehenden Ausnahmen – auch die völkisch-nationalistischen Kreise binden und intergrieren Die SPD enthielt sich zunächst jeglicher inhaltlicher Stel- konnte, ist schon lange mit dem Regierungskurs von Merkel lungnahmen zum unionsinternen Streit und beschränkte nicht einverstanden. Er macht sie für die Verluste von 8,6 sich darauf, die »Verantwortungslosigkeit« der CSU zu Prozent bei der Bundestagswahl verantwortlich. Die CSU brandmarken. Die Furcht vor Neuwahlen hat sie in die hatte versucht, sich zum Sprachrohr dieses Flügels zu ma- GroKo getrieben und kettet sie weiter an die Regierungs- chen. »Seehofer verglich die bevorstehende Auseinander- koalition, die sie nicht in Frage stellen oder verlassen darf, setzung mit einem 'Werkstück in der Schraubzwinge', das ohne selbst Schaden zu nehmen. So blieb den sozialdemo- nun bearbeitet und poliert werden müsse.« (faz, 14.06.2018) kratischen Politikern in der Regierung als auch im Parla- Inhaltlich wird die Kritik der CSU in größer werdenden ment nichts weiter übrig, als dem unionsinternen Macht- Teilen der CDU geteilt, nur deren Vorgehensweise stieß auf kampf zuzuschauen und seine Resultate zu akzeptieren. Ablehnung, weil sie die Einheit der Union und damit ihre Die im Koalitionsausschuss beschlossene Sprachregelung Regierungsfähigkeit gefährdet hatte. – Transitverfahren statt Transitzentren – kann nicht darü- ber hinwegtäuschen, dass sich die CSU in vielen Fragen Risse innerhalb der CDU der Asyl- und Migrationspolitik durchsetzen konnte, wenn auch zunächst nur als Absichtserklärungen auf dem Papier, Auch nach der vorübergehenden Beilegung des Macht- im Masterplan Migration. Als Kompensation wurde den kampfes, die Dikussionen und Richtungskämpfe innerhalb Sozialdemokraten die Verabschiedung eines geforderten der Union werden weitergehen – und damit auch die Fra- Einwanderungsgesetzes versprochen. Ein Vorhaben, auf gen nach dem Verhältnis zur AfD. Der rechte Flügel, der das ebenfalls die Vertreter der deutschen Wirtschaft drän- schon lange seine erzkonserativen Werte durch den Kurs gen, um den Arbeits- und Fachkräftebedarf zu regeln. Es von Merkel verraten sieht, hat sich nochmals hinter die wird in der Union deshalb auch nicht grundsätzlich auf Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gestellt. Solange er über Ablehung stoßen. keine personelle, d.h. für die Wähler*innen attraktive Al- ternative verfügt, kann er den offenen Machtkampf, wie er Rechte parlamentarische Opposition von der CSU vorangetrieben wurde, nicht aufnehmen. Al- lerdings verstärken die Erfolge der AfD, vor allem in den Im Bundestag spiegeln sich die bisherigen Verschiebungen neuen Ländern, den Druck innerhalb der CDU. Schon wer- in der Parteienlandschaft wieder. Sie bestimmten monate- den dort vereinzelt Stimmen laut, die sich für einen ande- lang die Versuche der Regierungsbildung – das Scheitern ren Umgang mit der AfD bis hin zu möglichen Koalitionen der Jamaika-Gespräche und die schleppenden Verhand- mit ihr aussprechen. lungen über die Fortsetzung der Großen Koalition. Sie kam Unzufrieden mit dem Kurs von Merkel, wenn auch aus erst zustande, nachdem die SPD, die versprach, sich in der anderen, ganz materiellen Gründen, zeigt sich auch der Opposition zu erneuern, mühselig die Skepsis und Wider- Wirtschaftsflügel, die Vereinigung des Mittelstandes in der stände in den eigenen Reihen überwinden konnte. Union. Ihnen gehen die sozialpolitischen Zugeständnisse Im Parlament steht der nun großen Koalition mit der an die SPD in den Koalitionsvereinbarungen zu weit. Erin- AfD erstmals eine rechtspopulistische Partei, mit einem nern wir uns, schon in der letzten Legislaturperiode hatten vökisch-nationalen Flügel, als stärkste Oppositionskraft ge- sie Vorhaben, wie z.B. das vereinbarte Rückkehrrecht von genüber. Deren Wahlerfolge und ihre wachsenden Umfrage- Teil- auf Vollzeit erfolgreich torpedieren können. ergebisse veranlassten die Regierungsparteien, die Stim- A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018 3
mungen, die darin zum Ausdruck kommen, aufzunehmen der Linkspartei, durch parlamentarische Mehrheit von und unter dem Druck der CSU auch teilweise umzusetzen. rot-rot-grün die große Koalition ablösen zu können, hat mit Die AfD bestimmt durch ihre Erfolge und ihre parlamen- der Bundestagswahl einen weiteren Dämpfer erhalten. Die- tarische Präsenz weitgehend die Themen des politischen se Möglichkeit ist angesichts der Verluste der SPD in noch Diskurses, wie er sich in der Boulevardpresse, den bürgerli- weitere Ferne gerückt. Zudem hatten die Parteispitzen von chen Medien aber auch in den öffentlich-rechtlichen Me- SPD und Grünen dem Streben der Linkspartei nach einer dien und ihren Talkshows niederschlägt. gemeinsamen Koalition eine klare Absage erteilt und sie Auch die FDP versucht auf der Welle nationaler und haben dies in den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl populistischer Parolen zu reiten. Wie die AfD attackiert nochmals praktisch unterstrichen. Es gab und wird in ab- sie die Regierung von rechts. Ihre Erneuerung, sprich das sehbarer Zeit keinen »Lagerwahlkampf« geben, wie von der Vorhaben, sich als nationalliberale Kraft zu profilieren, war Linkspartei angestrebt. einer der Gründe, weshalb die FDP die Jamaika-Gespräche Die fehlende Perspektive einer Regierungsbeteiligung platzen liess. Es vertrug sich nicht mit Zugeständnissen an auf Bundesebene hat die innerparteilichen Auseinander- die Grünen, die linksliberale Konkurrenz. Die FDP wollte setzungen zugespitzt. Die Gräben zwichen den Parteiflü- der Gefahr vorbeugen, erneut von den Wähler*innen ab- geln und Interessengruppen sind tiefer geworden, scheinen gestraft und unter die 5-Prozent-Hürde gedrückt zu werden, kaum noch überwindbar zu sein. Auch die zerstrittenen wie in der vorangegangenen Legislaturperiode. Übrigens Politiker der Linkspartei versuchen im innerparteilichen beendete sie die Koalitionsgespräche Ende letzten Jahres Machtkampf die bürgerlichen Medien zu nutzen, von de- unvermittelt, trotz weitgehender Zugeständnisse von nen sie zugleich benutzt werden. Zwei Kontroversen be- Seiten der Grünen. »Besser gar nicht, als falsch regeieren«, timmten die Debatten auf dem Parteitag und die Berichter- lautete die Begründung vom FDP-Vorsitzenden Lindner. stattung in den Medien. Das brachte ihm, wie aktuell der CSU, den Vorworf der sta- Die von Sarah Wagenknecht erhobene Forderung nach atsbürgerlichen Verantwortungslosigkeit ein. Er stelle die einer Begrenzung der Migration. »Die Menschen haben ei- Interessen der FDP über das Wohl des Landes. nen Anspruch darauf, dass der Staat sie vor Dumpingkon- kurrenz schützt«, sagte die Linken-Fraktionschefin im Ma- Das Drängen der Grünen gazin »ZEIT Geschichte«. Sie versucht damit die Stimmung in die Regierungsverantwortung in breiten Teilen der Bevölkerung zu bedienen, um deren Abwanderung zur AfD zu verhindern bzw. um verlorene Bei den Grünen hat sich längst der Flügel durchgesetzt, der Wähler*innen zurückzugewinnen. sich eine Koalition in alle Richtungen offenhält, nicht nur in den Ländern (wie in Baden-Württemberg) sondern auch Der Plan von Wagenknecht zur Gründung einer auf Bundesebene. Die Bildung einer Jamaika-Regierung »Sammlungsbewegung« sollte den Grünen die Anerkennung als ganz normaler Ko- alitionspartner von seiten der Union und der FDP bringen. So schreiben Wagenknecht und Stegemann in Zeit-Online Das scheiterte, wie schon gesagt, an der rechtsnationalen vom 8. Juni 2018 »Nach jüngsten Umfragen steht die SPD Profilierung der FDP. Seither sitzen die Grünen sozusagen bei rund 17 Prozent, Grüne und Linke kommen jeweils auf zwischen den (Palaments-)Stühlen, als Oppositionskraft etwa 10 Prozent. Was im vorigen Bundestag zumindest rech- bemüht um Wählerstimmen, zugleich jedoch bereit, jeder- nerisch noch möglich war, ist in weite Ferne gerückt: eine zeit Regierungsverantwortung zu übernehmen. Deutlich Mehrheit für linke Politik in Deutschland.« Unter Verweis wahrnehmber waren ihre politischen Signale, notfalls in auf die Wahlerfolge von Podemos in Spanien und La France eine Regierung unter Merkel einzutreten bzw. sie zu stüt- insoumise in Frankreich fragen sie weiter: »Sollten das zen, sollte durch den unionsinternen Machtkampf die CSU nicht hinreichende Gründe dafür sein, auch in Deutschland als Regierungspartei ausfallen. eine überparteiliche Sammlungsbewegung zu starten, die zusammenführt, was bisher getrennt agiert?« Die Initiati- Die Linke: Streben nach Regierungsverantwortung ve für eine Sammlungsbewegung brachte dem Flügel um und Zerstrittenheit über den Weg Wagenknecht den Vorwurf ihrer innerparteilichen Kontra- henten ein, die eigene Partei überflüssig machen zu wollen. Zwar konnte die Linkspartei bei der Bundestagswahl – im Schließliech gäbe es mit der Linkspartei ja schon den Rah- Gegensatz zu den Volksparteien CDU/CSU und SPD – ih- men, offen für alle linken auch ohne ihr Parteibuch. ren Stimmenanteil leicht erhöhen. Aber der erste Blick Podemos in Spanien ist in dem breiten Widerstand der täuscht; in den neuen Bundesländern, mit ihren besonde- letzten Jahre entstanden. La France insoumise konnte sich ren Erfahrungen und Interessen, wurde sie von der AfD auf verstärkte Klassenauseinandersetzungen und soziale als zweitstärkste parlamentarische Kraft verdrängt. Auch Bewegungen stützen. Mit Bewegung haben die Flügel in etliche Wähler*innen der Linkspartei wechselten dort zur der Linkspartei wenig zu tun – Bewegungen kann man rechtspopulistischen AfD. Die Gründe liegen in den Hoff- nicht gründen. Sie entstehen aus einer Zuspitzung gesell- nungen/Erwartungen, die mit der Wahl der Linkspartei in schaftlicher Widersrpüche und daraus resultierender sozi- die Regierungsverantwortung verbunden waren und die sie aler Auseinandersetzungen. nicht erfüllen wollte und konnte. Sie erwies sich als eine An diesen Voraussetzungen mangelt es in der BRD. Die normale bürgerliche Kraft, die sich in ihrem Regierungs- Widersprüche haben sich vertieft, es gibt aber nur ver- handeln kaum von der SPD oder CDU unterschied. einzelt sozialen Widerstand. Daraus hat sich bisher keine In den westlichen Bundesländern konnte die Linkspar- breite außerparlamentarische Bewegung entwickelt, wie tei ihren Stimmenanteil leicht ausbauen, blieb aber weit bspw. in Spanien oder Frankreich. Die Linkspartei hat sich hinter dem rasanten Aufstieg der AfD zurück. Ihr gelang seit ihrer Gründung bemüht, als normale, demokratische es nicht, wie gehofft, in größerem Umfang die von der SPD Kraft im parlamentarischen Gefüge anerkannt zu werden. enttäuschten Wähler*innen zu gewinnen. Es half ihr nicht, Dies hat sie als Koalitions- und Regierungspartner bei der sich als Alternative zu präsentieren, die die alten sozialde- Verwaltung der kapitalistischen Ordnung auf Länderebene mokratischen Werte – was immer das sein mag – glaubwür- unter Beweis gestellt. Nichts kennzeichnet die Linke besser, diger und kosequenter vertreten würde. Die Hoffnungen als der Umgang mit diesen Erfahrungen. (Es gibt sicherlich 4 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018
zahlreiche Genoss*innen, die den Regierungsbeteiligun- gegenwärtigen Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen gen sehr kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. Sie in Frage stellt oder wenigstens die konkreten Bedingungen bilden aber eine Minderheit, die mit ihren Positionen die oder rote Linien für eine Regierungsbeteiligung formuliert. Beschlusslage in der Partei nicht beeinflussen kann.) Eine Bei aller Kritik an der parlamentarischen Fixierung der breite, auch öffentlich geführte Debatte über die Ergeb- Linkspartei, sie ist momentan im Bundestag die einzige nisse der Regierungsbeteiligungen in Berlin, Brandenburg Partei, welche die »sozialen Mißstände« und die Interes- und Thüringen wird vermieden. Es gibt keinen relevanten sen/Forderungen der Betroffenen zur Sprache bringt – so- Parteiflügel, der die Übernahme von Regierungsverantwor- lange sie eben nicht selbst an der Regierung beteiligt ist. tung unter kapitalistischen Verhältnissen und unter den 26.07.2018 n Demonstration (links) gegen den AfD-Aufmarsch in Berlin (rechts), 27. Mai 2018 Fotos: Peter Homann/Umbruch Bildarchiv Die gesellschaftliche Funktion des rechtsnationalen Populismus »Menschen in Not, den Kriegsflüchtligen muss man helfen, – siehe die monatelangen Schlagzeilen über die sexuellen aber wir können nicht alle, die zu uns kommen, aufneh- Übergriffe auf der Kölner Domplatte, die Diskussionen men.« So lässt sich wohl die Meinung in der Mehrheit der über das Verbot von Kopftüchern, als Symbol der »Frauen- Bevölkerung kurz zusammenfassen. Aber der Anteil der- feindlichkeit« und »politischen Intoleranz des Islam« und jenigen wächst, die den Parolen der AfD folgen. Das oft der »Terrorgefahr« durch »Hassprediger« und »Gefährder“. vorgebrachte Argument: »Seit Jahrzehnten haben die Politi- Sie wären von Merkel ins Land geholt worden und lebten ker auf unsere Kosten gespart, jetzt, nachdem die Grenzen auf unsere Kosten von staatlichen Sozialleistungen. Nach für die Flüchtlinge geöffnet wurden, ist auf einmal Geld vor- dem Muster verlief auch die sogenannte BAMF-Affäre, bei handen.« der sich bald herausstellte, daß die Bremer Außenstelle ju- Unzufriedenheit, Wut und Ängste, hervorgerufen durch ristisch korrekt gearbeitet hatte. Die AfD bestimmt immer das Gefühl der Ohnmacht über eine Entwicklung, die die stärker den gesellschaftspolitischen Diskurs. Betroffenen nicht aufhalten und beeinflussen konnten, suchen sich ein Ventil. Mit der Wahl der AfD fanden deren Der Rechtspopulismus ist in der Mitte der Wähler*innen ihr Ventil und konnten »es denen da oben Gesellschaft abgekommen mal zeigen“. Und darin liegt die Funktion des nationalis- tischen Populismus. Er lenkt ab von den gesellschaftlichen Das damit geschaffene gesellschaftliche Klima drängt die Ursachen und deren Profiteuren. In den Mittelpunkt der Berichterstattung über andere Ereignisse an den Rand. gesellschaftlichen Debatte rücken die »Verantwortlichen« Nicht die Linke (im weitesten Sinne) oder die Sozialver- – »Merkel muss weg« – und die scheinbar einfachen Lösun- bände und Gewerkschaften, sondern die AfD gibt die The- gen zu Lasten der Geflüchteten und anderer Minderheiten, men der öffentlichen Debatten vor. Die übrigen Parteien aller, die sich zum Feindbild der AfD und anderer Rechts- agieren nicht, sondern reagieren – vor allem die Koalitions- populisten eignen. parteien, zu deren Lasten die Erfolge der AfD gehen. Kaum Mit den Wahlerfolgen der AfD prägen rassistische noch ein Politiker aus Union und Sozialdemokratie – von Vorurteile und nationalistische Losungen immer stärker der rechtsnationalen FDP brauchen wir in diesem Zusam- die öffentlichen Debatten, wie sie sich in den Talkshows menhang nicht zu reden – wagt es, sich offen gegen Volkes und der Auswahl ihrer Gäste als auch in der Berichterstat- Stimme und Stimmung zu stellen. Das Asylrecht, die Gen- tung der privaten und öffentlichen Medien wiederspie- fer Flüchtlingskonvention und die allgemeinen Menschen- geln. Fast wöchentlich »wird eine neue Sau durchs Dorf rechte bleiben auf der Strecke, gehen mit der zunehmenden getrieben“. Ängste werden beständig geschürt und bedient Anzahl ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer unter. Die A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018 5
Empörung darüber scheint der Gewohnheit gewichen oder Deregulierung erfasst nicht nur den Arbeitsmarktes (Agen- verhallt rasch, während die Pläne zum Ausbau der inne- da 2010), sondern auch den Wohnungsmarkt und zahlreiche ren Sicherheit (Polizeigesetze der Bundesländer) und zur Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, die zunehmend militärischen Sicherung der europäischen Aussengrenzen dem Konkurrenzdruck des Marktes ausgesetzt wurden. (Frontex) vorangetrieben werden. Die Ängste, das Gefühl der Ohnmacht – am Arbeitsplatz, Die CSU (jedenfalls ihre Führungsriege Söder, Dobrindt, auf dem Wohnungsmarkt, gegenüber den Repressionen der Seehofer) bedient sich nicht nur der Rhetorik der AfD. Sie staatlichen Sozialbürokratie – haben eine reale Grundlage. hat sich mit Übernahme von deren Forderungen im »Mas- Damit verknüpft ist die Abbwendung von den bisherigen terplan Migration« in der Koalition weitgehend durchge- parlamentarischen Vertreten, von denen sie sich verkauft setzt (siehe Artikel »Die CSU setzt weitere Rechtswende fühlen, und die Suche der (AfD)-Wähler*innen nach der in der Regierungskoalition durch«). Die Versuche von CSU starken Hand, nach der Autorität, die ihren Wünschen und und Teilen der CDU, der AfD damit den Wind aus den Anliegen Geltung verschafft. Reaktionäre und repressive Segeln zu nehmen, wird das Gegenteil des Beabsichtigten Lösungen, wie von den Rechtspoulisten gefordert, werden bewirken. Es macht die AfD in breiteren Wählerkreisen sa- von den Regierungsparteien aufgegriffen und umgesetzt. lonfähig und die Leute, die aus Wut und Unzufriedenheit Ihnen bleibt nichts anderes übrig den Volksparteien den Rücken gekehrt haben, wählen lie- ber das Original. Antirassistischer/antifaschistischer und sozialer Die Regierungsvertreter der SPD enthielten sich weit- Widerstand gehend einer inhaltlichen Kritik an den CSU-Plänen zur Migration und warteten den Ausgang des Machtkampfes Zwischen den zunehmenden Krisenerscheinungen im zwischen den Unionsparteien ab. Danach billigten sie Kapitalismus und dem Erstarken nationalistischer und deren Kompromiss mit dem Versprechen für ein Einwan- faschistischer Kräfte besteht zwar ein unmittellbarer Zu- derungsgesetz. Die Fragen von Flucht, Einwanderung und sammenhang, aber kein Automatismus. Aber allein mit Migration wollen sie nicht zum öffentlichen Zankapfel, zu Aufklärung und den besseren Argumenten, so wichtig und einer Koalitionsfrage machen – auch im Hinblick auf die hilfreich sie auch sind, ist dem Erstarken des Rassismus Abwanderung vieler ihrer Wähler zur AfD und auf die nicht beizukommen. Auch die zahlreichen Aktionen gegen öffentliche Stimmung. die Parteitage und Aufmärsche der AfD, um ihr nicht die Auch innerhalb der Grünen (Kretschmann, Palmer) und Straße zu überlassen, konnten nicht verhindern, dass sie an der Linkspartei (Wagenknecht) mehren sich die Stimmen Zuspruch und Einfluss gewann. Ohnmachtmachtsgefühle für eine Begrenzung der Migration. Die offiziellen Posi- und Ängste, die den Erfolgen der AfD zugrunde liegen, die tionen in der Migrationsfrage, festgehalten in Program- sie bedient und weiter schürt, lassen sich nicht wegdis- men und Parteitagsbeschlüssen, spielten und werden in kutieren und -demonstrieren. Solange sich die überwälti- zukünftigen Koalitionsverhandlungen keine Rolle spielen. gende Mehrheit der Lohnabhängigen als Opfer sieht, die Sie wurden und werden wohl als erstes der angestrebten keinen Einfluß auf ihre Lebensbedingungen nehmen kann, Regierungsbeteiligung geopfert. wird sich am Zulauf für nationalistische, rassistische und Die parlamentarischen Parteien in der BRD, die auf dem reaktionäre Populisten wenig ändern. Vereinzelung und Boden der bürgerlichen Gesellschaft stehen und sich zu Ohnmacht lassen sich nur durch kollektives Handeln für ihren Regeln bekennen, können den Nährboden für Ras- die eigenen Interessen überwinden. Das reaktionäre gesell- sismus und Nationalismus nicht trocken legen, weil sie schaftliche Klima lässt sich nur durch breite soziale Bewe- deren Ursachen nicht beseitigen können. Zunehmende Zu- gungen wenden, wenn es ihnen gelingt, ihre Themen und kunftsängste sind aktuell eine Begleiterscheinung der kap- Forderungen in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen De- italistischen Entwicklung (Stichwort Globalisierung). Die batten zu rücken. Rassismus, Nationalismus und seine Ursachen: die Arbeitskraft als Ware Die kapitalistische Gesellschaft treibt die Menschen 2. die Kraft der Gegenseite, des Unternehmerlagers, dies auf allen Ebenen in eine zunehmende Konkurrenz: Die abzuwehren oder rückgängig zu machen; Mieter*innen bei der Wohnungssuche, die Erwerbslosen 3. der kapitalistische Arbeitsmarkt selbst, die Entwick- bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, die Belegschaften lung von Angebot und Nachfrage. zum Erhalt ihres Standortes, die Beschäftigten der eizelnen Ländern, wie es in der Losung »Sicherung des Standortes Wir erleben seit über zwei Jahrzehnten, wie die Schranken Deutschland« zum Ausdruck kommt. auf den kapitalistischen Märkten schrittweise abgebaut Der Kapitalismus hat nicht nur die natürlichen Res- werden – vor allem von den Parteien, die, wie die SPD, für sourcen und die Produkte menschlicher Arbeit, er hat die diese sozialpolitischen Erfolge standen. Der Widerstand da- Arbeitskraft selbst zu einer Ware gemacht, sie den Gesetz- gegen kann, wenn er möglichst breite Schichten unter den mäßigkeiten seines Marktes unterworfen. Ohne diese Vo- Lohnabhängigen erfasst (dazu gehören selbstverständlich raussetzung kann die kapitalistische Gesellschaftsordnung auch die Erwerbslosen), den Aufstieg des nationalistischen nicht existieren. Den abhängig Beschäftigten gelang es und Rechtpopulismus bremsen. Die Ursache beseitigen kann er kann es gelingen, möglichst günstige Bedingungen beim nicht. Das wäre nur durch die Abschaffung der Lohnarbeit Verkauf der Arbeitskraft zu erkämpfen. Sie konnten dem als solcher möglich, d.h. mit der Beseitigung der kapita- freien Markt über Tarifverträge und die Sozialgesetzgebung listsichen Eigentumsordung, die aus der Arbeitskraft eine Schranken setzen. Drei Faktoren sind dabei ausschlagge- Ware gemacht hat. bend: 1. die Entschlossenheit und Bereitschaft der Lohnabhän- gigen, über den Kampf die eigene Lage zu verbessern; 6 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018
Eine breite soziale Bewegung fehlt zur Zeit. Umso wich- durch den Klassenkampf von unten zu Gunsten der arbei- tiger ist es, die vereinzelten und schwachen Aktionen des tenden und erwerbslosen Menschen verschieben. Auf der sozialen Widerstandes zu unterstützen, ohne die sich sol- parlamentarischen Ebene spiegelt sich dieses Kräftever- che Bewegungen nicht herausbilden können. »Uns aus dem hältnis nur wieder – momentan durch ein Erstarken der Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!« Seit über hun- AfD und einen Rechtsruck, der sich durch alle parlamen- dert Jahren besungen, zeigt diese Erkenntnis: Das Kräfte- tarischen Parteien zieht. vehältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital lässt sich nur 26.07.2018 n Das Internierungslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos »Flüchtlingskrise« und Merkels Kampf für die Geschlossenheit der EU Die Öffnung der deutschen Grenzen im August 2015, auf z.B. hat alleine 32 Produktionsstandorte in EU-Ländern au- dem Höhepunkt der »Flüchtlingskrise«, verschaffte Merkel ßerhalb Deutschlands) nicht überleben kann. Das deutsche den Ruf (bis weit in linke und alternative Kreise), sie stehe Industriekapital hat insbesondere nach der Weltwirtschafts- für eine menschliche Lösung der Flüchtlingsfrage. Ihr ge- krise 2008/9 seine führende Rolle in der EU ausgebaut, weil lang es, das durch die Spardiktate ramponierte Image der es vom Euro, den durch Hartz IV gedeckelten Lohnkosten Bundesrepublik, aufzupolieren. Nunmehr galt Deutschland und seinem technologischen Vorsprung profitieren konnte. mit seiner »Willkommenskultur« als Repräsentant huma- Das brachte Deutschland in die Position der führenden Na- nistischer Werte und nicht mehr als Lehrmeister Europas. tion innerhalb der EU. Doch hinter diesem schönen Schein verbargen sich auch Als im August letzten Jahres Ungarn die Grenzen ge- andere, staatspolitische Absichten und Ziele. Im Kern ging genüber den Flüchtlingen schloss, handelte die deutsche und geht es der Bundeskanzlerin um die Geschlossenhei Regierung ganz konsequent im Sinne einer europäischen der Europäischen Union und um die deutsche Führungs- Regierung und damit im Sinne des deutschen Kapitals: Es rolle auch in dieser Frage. galt eine Kettenreaktion auf die ungarische Maßnahme zu verhindern, nämlich, dass ein Land nach dem andern Blicken wir deshalb kurz zurück. Im März 2016 schrieben Zäune baut und die Grenzen schließt. Damit wären der Bin- wir in der der Arbeiterpolitik unter der Überschrift: nenmarkt und der freie Waren- und Kapitalverkehr gefähr- det, mithin die wichtigste Errungenschaft für das deutsche »Flüchtlingskrise«, »Eurokrise«, »Syrienkrise« … Kapital. Es drohte die Renationalisierung der EU, d.h. der Scherbenhaufen, wohin man blickt Rückzug in einzelne Nationalstaaten. Es war also durchaus logisch, als Merkel darauf reagierte und ankündigte, dass Für das deutsche Kapital ist die EU das Lebenselixier, da es Deutschland die Grenzen öffnen werde. Als heimliche EU- ohne seine Exportmärkte, die überwiegend (2014: 58%) in Regierungschefin dachte sie natürlich, dass die anderen der EU liegen, und Produktionsstätten in EU-Ländern (VW Länder über kurz oder lang mitziehen würden, da auch A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018 7
sie kein Interesse an einem Zusammenbruch des Binnen- Handeln erzwingen, gingen nicht in Erfüllung. Die Diffe- marktes und der Wiedereinführung von Grenzkontrollen renzen in wesentlichen Fragen, wie der Verteilung der Ge- haben dürften. flüchteten oder einer einheitlichen Regelung der Asyl- und Wenn die EU keine politisch bestimmende Regierung Aufnahmeverfahren, blieben bestehen und haben sich ver- und kein gemeinsames Ziel mehr hat und jedes Land ma- tieft. Zahlreiche osteuropäische Regierungen, allen voran chen kann, was es will, und dies auch tut, dann wird die EU die ungarische unter Orban, weigern sich strikt, Geflüchte- bedeutungslos auf der weltpolitischen Bühne. te ins Land zu lassen. Die Mittelmeerländer, Griechenland, Zur Einwanderung in die EU heißt das Zauberwort jetzt: Italien und nun verstärkt auch Spanien, blieben/bleiben »Sicherung der Außengrenzen«. Wenn man den Schengen- auf den »Gestrandeten« sitzen, während andere europä- Raum und den Binnenmarkt für Waren und Güter aller Art ische Staaten, wie Dänemark, zunehmend ihre Grenzen aufrecht erhalten wolle, müsse man die EU-Außengrenzen dicht machten. dicht machen. Im Juni 2016 folgte die Entscheidung der britischen Wähler für den Austritt aus der EU. Für die Brexitbefür- Die Sicherung der Aussengrenzen: worter spielte die Zuwanderungsfrage, vor allem osteuropä- der EU-Türkei-Deal ischer Arbeitskräfte, eine wesentliche Rolle. Die britische Regierung solle diese selbst steuern und einschränken und Schon im März 2016 wurde mit der verstärkten Sicherung sich nicht mehr den Gesetzen und Regelungen zur Arbeit- der Aussengrenzen begonnen, durch einen Deal zwischen nehmerfreizügigkeit in der EU unterwerfen. An der Arbeit- der EU und der Türkei, mit entsprechenden finanziellen nehmerfreizügigkeit haben gerade die ärmeren ost- und Gegenleistungen. Die Türkei wurde zu einem sicheren südeuropäischen Länder ein großes Interesse, mindern sie Herkunftsland erklärt und verpflichtete sich, soweit dies doch die Erwerbslosigkeit im eigenen Land und sorgen für überhaupt möglich ist, die Grenzen zu Griechenland dicht einen finanziellen Rückfluss durch die innereuropäischen zu machen. Die Fluchtroute zu den in Sichtweite liegen- Arbeitsmigranten. Dies ist einer der Gründe, warum nicht den griechischen Inseln wird seither von den türkischen nur die nationalpopulistischen Regierungen in Osteuropa Sicherheitsbehörden blockiert. Griechenland wurde ver- sondern auch eine Mehrheit in der Bevölkerung die EU- donnert, die Bootsflüchtlinge auf den Inseln festzuhalten, Mitgliedschaft nicht in Frage stellen. um sie an der Weiterfahrt zu hindern. Die Informationen Trotz aller Bemühungen der Bundesregierung konn- und Bilder von den Zuständen im Lager Moria – beschö- ten die Differenzen innerhalb der Europäischen Union in nigend »hot-spots« genannt – auf der Insel Lesbos sollen der »Flüchtlingsfrage« in den letzen beiden Jahren nicht der Abschreckung dienen. Für 1.800 Personen geplant, beigelegt werden. Die Verfechter nationaler Eigeninteres- werden derzeit über 7.000 Menschen dort interniert – unter sen, durch die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien unmenschlichen Bedingungen und mit der Ungewissheit gestärkt, haben eine Einigung blockiert. Und ausgerech- über ihr weiteres Schicksal werden sie dort monatelang net in dieser Situation drohte Innenminister Seehofer mit festgehalten. Der EU-Türkei-Deal wird bis heute von Mer- der umgehenden Schließung der Grenze zu Österreich, mit kel und den Regierungen der anderen EU-Staaten vehement einem nationalen Alleingang der Führungsmacht in der gegen alle Kritik verteidigt. So viel zu den moralischen Mo- EU. Das hätte alle bisherigen Bemühungen der Bundesre- tiven, die viele in Merkels Flüchtlingspolitik zu entdecken gierung auf europäischer Ebene konterkariert und Merkel glaubten. desavouiert. Dem konnte die Bundeskanzlerin nicht nach- Während der »Finanz- und Eurokrise« waren die Mit- geben. Sie suchte fieberhaft nach einem Kompromiss, um gliedsländer in der EU noch den fiskalischen und sozial- den Streit innerhalb der Unionsfraktion nicht außer Kon- politischen Vorgaben der deutschen Regierung gefolgt. Die trolle geraten zu lassen. Die Rückführungen in andere EU- Erwartungen Merkels, die Bundesregierung könne auch bei Staaten sollten auf keinen Fall einseitig, sondern nur nach der Bewältigung der »Flüchtlingskrise« eine einheitliches bilateralen Absprachen erfolgen. Merkel erhielt die Zusi- Westblock – Ostblock August Thalheimer August Thalheimer Internationale monatliche Übersichten Grundlagen der Einschätzung Grundlinien und Grundbegriffe der von August Thalheimer 1945 – 1948, der Sowjetunion Weltpolitik nach dem 2. Weltkrieg Vorwort Gruppe Arbeiterpolitik 1992 1946, Gruppe Arbeiterpolitik Anfang 1946, Gruppe Arbeiterpolitik 460 Seiten A5 | Broschur | 7,50 EUR 43 Seiten A5 | 1,50 EUR 32 Seiten A5 | 1,50 EUR 8 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018
cherung von 14 Regierungen zu Gesprächen für derartige dass Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, zu »kon- Abmachungen. Seehofer akzeptierte und muss nun über die trollierten Zentren« auf EU-Boden gebracht werden sollen. zwischenstaatlichen Lösungen und entsprechende Verträ- [...] Diese Einrichtungen sollen freiwillig sein. Bisher ist aber ge verhandeln, beispielsweise mit Österreich und Italien. kein Land bekannt, das ein derartiges Zentrum einrichten Das einzige, worauf sich die EU-Regierungen auf ihrem will. [...] Auch die Übernahme von anerkannten Flüchtlin- letzten Gipfel überhaupt gemeinsam verständigen konnten, gen aus diesen Zentren soll freiwillig sein.« Die Pläne für war eine verstärkte Sicherung der europäischen Außen- derartige »kontrollierte Zentren« ähneln den sogenannten grenzen. So soll mit der Abwehr von Geflüchteten an den »Hot Spots«, wie sie die Europäische Union schon seit 2015 Außengrenzen zugleich die zerstrittene EU vor dem wei- mit dem Lager Moria auf Lesbos in Griechenland betreibt, teren Zerreißproben bewahrt werden. Eine Reihe von Maß- oder den von Horst Seehofers Innenministerium konzipi- nahmen wurde in diesem Zusammenhang beschlossen: erten deutschen Ankerzentren in Manching und Bamberg. Stärkung von Frontex: Die geplante personelle Auf- Dort müssen die Flüchtlinge wohnen bleiben (»Residenz- stockung der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex soll der ver- pflicht“) bis das Verfahren abgeschlossen ist. Es gibt aller- besserten Kontrolle der Außengrenzen dienen. Von insgesa- dings bisher keinen Staat auf europäischem Boden, der sich mt 10.000 Polizisten die Rede, der Ausbau soll bis 2020 zur Einrichtung solcher Zentren zu Verfügung stellt. abgeschlossen sein. Diese Angaben sind allerdings nicht im Abschlussdokument enthalten. »Dort heißt es aber, Fron- Auch in weiteren Streitfragen der Migrationspolitik konn- tex solle ein »erweitertes Mandat« erhalten. Die Erklärung ten die Regierungsoberhäupter auf dem EU-Gipfel keine klingt so, als ob Frontex künftig auch an der »Rückführung Einigung herstellen. Die Europäische Union zeigt sich zer- irregulärer Migranten« beteiligt wird. Näheres wird nicht strittener denn je. Bilaterale Abkommen sollen die Gräben mitgeteilt.« (taz, 30.06.2018) überbrücken. Nationale Alleingänge werden zunehmen, »Ausschiffungsplattformen« Nordafrika: »Die Regie- um sich Vorteile in diesen bilateralen Verhandlungen zu rungschefs wollen, dass ein Konzept »regionaler Ausschif- verschaffen. Italien und Malta praktizieren dies mit der fungsplattformen« »ausgelotet« wird. Darunter werden Schließung ihrer Häfen, übrigens nicht nur für zivile, son- Einrichtungen in Nordafrika verstanden, in die Flüchtlinge dern auch für Schiffe der EU-Mission »Sophia«, wenn sie gebracht werden, die auf seeuntüchtigen Booten im Mittel- Flüchtlinge an Bord haben. meer gerettet wurden. [...] Bisher wurden solche Flüchtlinge 2016 wurde die Abwehr von Bootsflüchtlingen in der vor allem nach Italien und Malta gebracht. [...] Im Gipfeldo- Ägäis den türkischen Sicherheitsheitskräften übertragen. kument heißt es ausdrücklich, man wolle »vermeiden, dass Zwei Jahre später wird die Seenotrettung in lybischen Ho- eine Sogwirkung entsteht“. In den Plattformen soll auch heitsgewässern praktisch deren Küstenwache überlassen. nicht EU-Recht, sondern nur internationales Recht gelten. Die nichtstaatlichen, humanitären Rettungsboote wurden Gemeint ist wohl die Genfer Flüchtlingskonvention, die nur beschlagnahmt, der Kapitän der »Lifeline« in Malta vor eine Rückschiebung in den Verfolger-Staat verbietet.« (taz, Gericht gestellt. Es gibt derzeit keine NGO-Rettungsschiffe 30.06.2018) So wird verhindert, dass die Geflüchteten eu- mehr im Mittelmeer. Nicht moralische, sondern materi- ropäischen Boden betreten und europäisches Asylrecht elle Interessen und stategische Ziele (die Geschlossenheit beanspruchen können. Auch deren Verteilung innerhalb der EU im weltweiten Konkurrenzkampf) bestimmen die der EU, die für so viel Streit unter den Mitgliedsstaaten Politik der EU-Regierungen. Wissentlich nehmen diese die sorgt, würde dadurch umschifft. Bisher haben allerdings steigende Zahl Ertrunkener zur Abschreckung in Kauf. Die alle Staaten Nordafrikas die Errichtung von »Ausschif- moralischen Hürden bis zur Anwendung militärischer Ge- fungsplattformen« dankend abgelehnt. walt zum Schutz der europäischen Aussengrenzen werden »Kontrollierte Zentren« in Europa: »Weil also Ausschif- mit den wachsenden Erfolgen der nationalistischen Rechts- fungsplattformen in Nordafrika bis auf weiteres unrealist- populisten immer niedriger. isch sind, heißt es im nächsten Punkt der Gipfel-Erklärung, 26.07.2018 n Faschismus in Deutschland I August Thalheimer Reprint Analysen und Berichte der KPD-O Die Potsdamer Beschlüsse Zeitschrift Arbeiterpolitik von 1928 – 1933, Deutschlandpolitik der Großmächte nach November 1948 bis Juli 1950, einschl. Vorwort Gruppe Arbeiterpolitik 1973 dem 2. Weltkrieg »Offene Worte an Kommunisten« September 1945, Gr. Arbeiterpolitik Gruppe Arbeiterpolitik 1975 296 Seiten A5 | Broschur | 8,00 EUR 32 Seiten A5 | 1,50 EUR 440 Seiten A5, Broschur | 7,50 EUR A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018 9
KO R R E s P O N D E N Z : n V e r b a l e B e s c h i m p fu n g e n s e i t e n s d e r AfD s c h lu g e n i n o ff e n e G e wa lt u m Angriffe gegen Gewerkschafter in Hanau Der Angriff kam plötzlich, hinterhältig und unvermutet. Regionen auch. In vergangenen Jahrzehnten ging es etwa Am 20. Juli 2018 wurde ein aktiver Gewerkschaftskollege um die NPD, dann die »Republikaner«, in den letzten Jah- und Betriebsrat in Hanau bei einer Kundgebung gegen die ren erneut um die NPD und nun die AfD. So wurden zeit- AfD niedergestreckt und musste die anschließende Nacht weilig Bündnisse gegen Rechts gegründet und gibt es sie im Klinikum verbringen. Er erlitt ein »Schädel-Hirn-Trau- teilweise immer noch. Die Aktiven kommen aus verschie- ma, Prellungen und kurzzeitige Amnesie«. »Dass Umstehen- denen Zusammenhängen: Gewerkschaften, linke Parteien, de den Vorfall mitbekamen und sofort dazwischen gingen, sozialpolitische Initiativen, autonome Antifa, bürgerliche rettete dem Gewerkschafter vielleicht das Leben (Presse- Vereine, kirchliche Gruppen etc. Eine Zeitlang wurde der erklärung des DGB, Region Südosthessen, vom 22.7.).« Zu- Ostermarsch in Bruchköbel von Nazis zu unterwandern vor hatte ein AfD-Sympathisant versucht, der Regionsge- versucht; dies wurde durch ein aktives Bündnis abgewehrt. schäftsführerin des DGB-Südosthessen, Ulrike Eifler, das Bei den Aufmärschen der NPD zum 1. Mai 2013 und zum Mikrofon zu entreißen. Der aufmerksame Kollege drängte Bundestagswahlkampf des gleichen Jahres fühlte sich so- ihn ab, wurde aber urplötzlich von einem zweiten Mann gar die politische Führung der Stadt (SPD, Grüne u. a.) zur von hinten angegriffen. Der Vorfall ereignete sich vor der Gründung eines »Runden Tisches« veranlasst, der freilich Kulturhalle Steinheim in Hanau, in der zu dieser Zeit eine im Sande verlief. Pseudogedenkveranstaltung der AfD zum 20. Juli 1944 (der Die direkte Vorgeschichte der Auseinandersetzung mit offiziell gefeierte Tag zum – bürgerlichen – Widerstand ge- der AfD begann wohl mit einer Rede der Regionsgeschäfts- gen Hitler) mit Beatrix von Storch als Hauptrednerin lief. führerin des DGB Südosthessen (Sitz: Hanau), Ulrike Eifler, Der DGB Südosthessen hatte zu einer Gegenkundgebung auf dem Ostermarsch in Bruchköbel 2016, in der sie klare aufgerufen, zu der mehrere hundert Menschen (Polizeibe- Worte zum Charakter der AfD fand: »Die AfD ist die gefähr- richt 200, DGB-Presseerklärung 400) erschienen waren. In- lichste aller Parteien am rechten Rand, die es jemals in der zwischen hat der DGB Strafanzeige wegen gefährlicher Kör- Nachkriegsgeschichte gegeben hat, und zwar aus drei Grün- perverletzung gestellt. Die Gewalttat war der Höhepunkt den …« Der erste sei der nach außen gelungene Anschein einer Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und von Seriosität; der zweite der Schulterschluss mit extrem AfD in Hanau, darüber hinaus im Rhein-Main-Gebiet, die rechten Gruppierungen und deren Aktivitäten auf der Stra- seit Monaten eskaliert und die wir im Folgenden der Reihe ße; der dritte der Zusammenfall des Aufbaus der AfD mit nach darstellen. einer tiefen sozialen Krise in Deutschland (vgl. Arbeiterpo- litik 2/2016, S. 3 f.). »Dagegen halten!« Zur Landtagswahl in Hessen, die im Oktober 2018 statt- finden wird, schritt Eifler zur Tat. Sie rief zur Gründung In Hanau gibt es eine lange Vorgeschichte der Abwehr von des Bündnisses »Keine AfD im Landtag« auf, die auch um- Rechtsextremen durch Antifaschisten, wie in anderen gesetzt wurde. Es gibt einen Aufruf im Netz (keine-afd-im- 10 A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018
landtag.de), eine große Zahl von ErstunterzeichnerInnen, gitimieren als eine Partei unter anderen. Offenbar ging es Unterstützergruppen über das antifaschistische Spektrum ihm darum, die Linie der AfD zu unterstützen. von linken Parteien, Jugendorganisationen, Verbänden, kirchlichen Gruppen hinweg, namhafte ReferentInnen, Keine AfD im Gewerkschaftshaus! Presseerklärungen, Berichte und Stellungnahmen. Kon- taktadresse ist das DGB-Büro in Hanau. Ein besonderer Der nächste Schritt (ob so geplant oder nicht) war ein »Ge- Aufruf wurde für den Main-Kinzig-Kreis verfasst: »Dage- sprächsangebot« von Wissenbach an den DGB. Den am 12. gen halten! Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter im März begonnenen »Dialog« wolle man fortsetzen. Hinter- MKK sagen: Die AfD ist keine Partei für Arbeitnehmer.« grund war die Planung der AfD-Veranstaltung am 20. Juli in der Kulturhalle Steinheim. Hier wollte die AfD sich in Vereinnahmungstaktik der AfD die Tradition des bürgerlichen Widerstandes gegen Hitler einreihen, sich als Partei der Saubermänner und -frauen Nun ist dieses Bündnis »Keine AfD im Landtag« keineswegs darstellen und die Krawallkarte dem DGB zuschieben. das einzige im Lande, es gibt viele davon in Hessen und Wissenbach verlangte also, an dem vom DGB am 16. Juli anderen Bundesländern. Dennoch ist offenbar der Hanauer angesetzten Vorbereitungsgespräch für eine Gegenkund- DGB durch diese Aktivitäten und die klare Sprache der Re- gebung zur AfD-Veranstaltung am 20. Juli teilnehmen zu gionsgeschäftsführerin in den Fokus geraten. Die Hanauer dürfen. Im Grunde, so wiederholte er frühere Aussagen, sei AfD versuchte es zunächst mit einer Vereinnahmungstak- die DGB-Aktion aber unnötig, weil man doch »gemeinsame tik. Als am 12. März in der provisorischen Unterkunft des Interessen« habe. DGB in der Willy-Brandt-Straße (das Gewerkschaftshaus Ulrike Eifler und ihr Stellvertreter, Tobias Huth, rea- am Freiheitsplatz wurde renoviert) die VVN (Vereinigung gierten mit einem Hausverbot für den AfD-Funktionär. Sie der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten) beriefen sich auf die offene Gewerkschaftsfeindschaft der im Rahmen der Eröffnung einer Ausstellung über die AfD AfD: »Wir bekommen Drohbriefe und Emails, in denen man eine Diskussionsveranstaltung durchführte, erschienen ankündigt, uns in Arbeitslager stecken zu wollen. Kollegen, auch vier Mitglieder der AfD. Das prominenteste war der die sich kritisch über die AfD äußern, laufen Gefahr, ver- Rechtsanwalt Walter Wissenbach, Spitzenkandidat seiner klagt zu werden. Und in Norddeutschland fordert die Par- Partei in der vergangenen Wahl zum Landrat des Main- tei Schülerinnen und Schüler auf, kritische Lehrer auf ei- Kinzig-Kreises (die der Vertreter der SPD gegen fünf Kon- ner Meldeplattform zu denunzieren. (Presseerklärung DGB kurrenten knapp gewann). Seine Taktik war die der An- untersagt Wissenbach Zutritt zum Gewerkschaftshaus« vom biederung: »Wir wissen, dass Sie nicht unsere Wähler sind, 15.7.2018)« Von einem »Dialog« am 12. März könne keine aber Sie sollten bedenken, dass Rechte und Linke gemein- Rede sein. Das Gesprächsangebot sei eine Inszenierung. same Interessen gegenüber dem etablierten Parteiensystem Man werde vom Hausrecht Gebrauch machen. haben.« Natürlich verfing das nicht. In ausführlichen und Zur Begründung hieß es: »Wer unzufrieden mit der sozi- eindeutigen Wortbeiträgen seitens der VVN und anderer alen Situation in der Bundesrepublik ist, hat absolut Recht Diskussionsteilnehmer wurde dargelegt, dass die AfD ein damit. Wir können nicht länger hinnehmen, dass es Leih- inhumanes und rassistisches Menschenbild vertrete und arbeit, Niedriglohn und Armutsrenten gibt, dass die Miet- eine »Gemeinsamkeit« zwischen links und rechts völlig preise im Rhein-Main-Gebiet immer weiter steigen und es undenkbar sei.Bezeichnend war hierbei die Berichterstat- kaum noch möglich ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden tung des »Hanauer Anzeigers«. Es ist bekannt, dass in der und dass es an den Schulen Unterrichtsausfall, verrottete Redaktion dieses Blattes eine gewisse Verbundenheit mit Toiletten und undichte Schuldächer gibt. Und genauso we- der AfD besteht. Der an dem Abend anwesende und ver- nig können wir hinnehmen, dass die Reichen und Super- antwortliche Journalist nahm Wissenbach beim Wort. Er reichen steuerlich geschont werden und deshalb nicht genug überschrieb seinen tendenziösen Artikel mit den Worten Geld für soziale Projekte und öffentliche Infrastruktur da »Linke trifft auf Rechte« und hob hervor, dass es nicht zu ist. Wer an diesen Missständen etwas ändern möchte, sollte Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten gekommen sei. sich gemeinsam mit uns in Sozialbündnissen, Wohnraum- Die klaren Aussagen, die gemacht wurden, waren ihm kei- initiativen oder Gewerkschaften engagieren. Statt rechter ne Erwähnung wert; er versuchte, das Bild der angeblichen Hetze brauchen wir eine starke, solidarische Bewegung, die »Gemeinsamkeit« zu vermitteln und damit die AfD zu le- Druck macht für eine Umverteilung von oben nach unten.« Unsere Alternative heißt Solidarität! Der Angriff auf den DGB ist auch ein Angriff auf uns! Wir erklären uns solidarisch mit dem DGB in Hanau und Wir verurteilen, wie die AfD falsche Fakten schafft und verurteilen die Angriffe der AfD auf Hanauer Gewerkschaf- damit die Gesellschaft spaltet. Und wir sagen deutlich: ter. Weil der DGB zum Protest gegen eine Veranstaltung mit Eine Partei, die zu Protesten vor Gewerkschaftshäusern der stellvertretenden AfD-Vorsitzenden Beatrix von Storch aufruft, hat kein Interesse an starken Gewerkschaften und aufgerufen und ein "Gesprächsangebot« mit der AfD aus- der Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen. Der An- geschlagen hatte, wurden der Hanauer DGB und seine Ver- griff auf den Hanauer DGB ist auch ein Angriff auf uns. Wir treter in der Öffentlichkeit massiv und zum Teil persönlich erklären hiermit, dass wir solidarisch an der Seite der Ha- angegriffen. Die AfD schreckte auch nicht davor zurück, nauer Kolleginnen und Kollegen stehen. Angriffe auf alle eine öffentliche Mahnwache gegen Linksextremismus und müssen gemeinsam abgewehrt werden. Unsere Alternative politische Straftaten vor dem Hanauer Gewerkschaftshaus heißt Solidarität! durchzuführen. Damit vermittelte sie den Eindruck, die Vertreter des DGB stünden mit konkreten Straftaten in Ver- Ulrike Eifler bindung. DGB Südosthessen, Regionsgeschäftsführerin A r b e i t e r p o l i t i k N r . 4 · Au g u s t 2 018 11
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