Das Hochschulmagazin der TH Köln Herbst 2021 Ausgabe #59 Fluthochwasser Welche Konsequenzen wir jetzt ziehen müssen Macht der Sprache Ist "Den ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Das Hochschulmagazin der TH Köln Herbst 2021 Ausgabe #59 Fluthochwasser Macht der Sprache Stiller Zeitzeuge Welche Konsequenzen Ist „Den Hügel hinauf” Ideen für den wir jetzt ziehen müssen eine gute Übersetzung? Löwenbrunnen
Prof. Dr. Stefan Herzig, Präsident der TH Köln Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, die global-politische Gegenwart schlägt zwar oft den entgegengesetz- ten Kurs ein, aber die Zeichen unserer Gegenwart lassen keine andere Op- tion zu: Frei nach dem österreichischen Dichter Ernst Ferstl sollten wir uns auf das besinnen, was uns verbindet, anstatt uns auf das Trennende zu kon- zentrieren. Insofern ist die Internationalisierungsstrategie, die unsere Hoch- schule in den vergangenen Monaten erarbeitet hat, für die TH Köln ein wichtiger Schritt, um die Herausforderungen unserer Zeit mitgestalten zu können. Und um die Kernwerte, die sich unsere Hochschule auf die Fahnen schreibt, mit Leben zu füllen. Denn Offenheit bedeutet auch, Internationali- tät und Interkulturalität als gegeben anzuerkennen, statt sie als Vision abzu- tun. Mit unserer Internationalisierungsstrategie wollen wir nicht nur unsere Relevanz in Lehre, Forschung und Transfer erhöhen. Wir möchten auch das Miteinander unserer vielfältig kulturell geprägten Mitglieder an der TH Köln verbessern. Daher haben wir uns Strategie- und Handlungsziele in den Be- reichen Global Challenges, Global Citizenship, Global Employability, Global Partnerships und Global Visibility gesetzt, die wir in den kommenden Jahren umsetzen werden. In dieser Ausgabe von Inside out erklären verschiedene Hochschulangehörige, die an dem Entstehungsprozess beteiligt waren, ihre Perspektive auf Internationalität. Wir sollten Internationalisierung als Chance erachten. Ich lade Sie, liebe Hochschulangehörige, herzlich ein, bei der Umsetzung mitzumachen, und 28 Neue Ziele freue mich darauf, mit Ihnen gemeinsam diese Aufgabe anzupacken. Die Internationalisierungsstrategie der TH Köln Hilfsbereitschaft, Solidarität und Miteinander zeigten die Menschen auch bei der Flutkatastrophe im Juli. Leider waren auch an unserer Hochschule etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Studierende und Lehrende, von den Überschwemmungen betroffen. Die Natur hat uns im Sommer mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass die Menschen die verheerenden Fol- gen des Klimawandels nicht nur in weit entfernten Regionen der USA oder im Indischen Ozean zu spüren bekommen. Plötzlich konnten wir die er- nüchternden und mitunter traumatisierenden Erlebnisse unmittelbar am ei- genen Leib erfahren, direkt vor unserer Haustür. Daher beleuchten wir mit Leben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Bereichen Kritische In- frastrukturen, Ökosystemmanagement und Versicherungswesen Ursachen 4 Die Wissenschaft hinter der Krise und drängende Handlungsfelder, mit denen sich Bund, Länder, Kommunen Der Klima-Podcast von Prof. Dr. und jede*r einzelne von uns jetzt auseinandersetzen müssen. Claudia Frick In diesem Jahr haben sich rund 100 unserer Studierenden intensiv mit der 50 Jahre TH Köln deutschen Geschichte auseinandergesetzt. Im hochschulweiten Wettbe- werb „Zeiträume“ haben sie Ideen und Konzepte entwickelt, um das politi- 6 Ein Abend voller Auszeichnungen sche Zeitzeugnis Löwenbrunnen zukünftig als einen Ort der Reflexion und Preisverleihung des Wettbewerbs des Diskurses über die interessante und wechselvolle Geschichte des Haupt- „Zeiträume” und Ehrensenatorenwürde gebäudes der TH Köln zugänglich zu machen. Wir stellen Ihnen die Gewin- nerkonzepte vor. Selbstverständlich werden wir Sie darüber informieren, 9 Die Gewinnerteams des studentischen wenn die studentischen Ideen Gestalt angenommen haben. Wettbewerbs „Zeiträume” Als Hochschule für Angewandte Wissenschaften beruht unsere Expertise 11 50.010 nicht nur auf Theorie und empirischer Beobachtung. Unsere Stärken liegen in der Mitgestaltung der Zukunft durch Wissensvermittlung, Transfer und Praxisnähe unserer Forschung. Ich hoffe, die Lektüre unseres Hochschulma- gazins gibt Ihnen dazu interessante Einblicke. Ihr Stefan Herzig
6 Stiller Zeitzeuge im Fokus Die Gewinnerteams des Wettbewerbs „Zeiträume” 12 Flutkatastrophe 2021 Welche Konsequenzen wir jetzt ziehen müssen 24 Macht, Identität und Sprache Zur Kontroverse um Amanda Gormans The Hill We Climb Lernen und Forschen Wissen 12 Vorsorge auf allen Ebenen 21 Versichert um jeden Preis? 28 Eine Frage der Haltung Nach der Flutkatastrophe: was beim Ist eine Versicherungspflicht gegen Die Internationalisierungsstrategie 2030 Ausbau der kritischen Infrastrukturen Wetterextreme zielführend? der TH Köln notwendig ist 22 Sparfüchse für die Industrie 32 KurzNachrichten 15 Fünf Prinzipien für klimasichere Kom- Intelligente Lösungen zur Wassererspar- munen und Städte nis in der Industrieproduktion 33 Neuberufene Professorinnen und Professoren 17 Mehr Raum für Boden 23 Ausgezeichnet Warum wir unser Flächenmanagement 38 Personalia ändern müssen 24 Das Ringen ums Wort Über die Debatte zu den Übersetzungen 19 Virtuelle Exkursion an die Erft vonA rmanda Gormans The Hill We Climb 20 Makro Inside out_Herbst_03/2021
4 | 450 |Jahre LebenTH Köln – der Anfang August erschienene Bericht des Weltklimarates ist mehr als umfangreich und für Laien kaum lesbar. Und dabei ist er nur der erste von drei Teilen des sechsten IPCC-Reports zum Stand der Klimaforschung. Aber was steht da nun genau drin? Und was ist eigentlich das IPCC? Dies einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, ist eine gewaltige Aufgabe, die sich Prof. Dr. Claudia Frick und Dr. Florian Freistetter mit ihrem Podcast vorge- nommen haben. Claudia Frick hat zuerst Meteorologie in Mainz studiert, darin promoviert und unter anderem beim Deutschen Wetterdienst gearbeitet. Berufsbeglei- tend folgte ein Studium der Informations- und Bibliothekswissenschaft an unserer Hochschule. Heute forscht und lehrt sie am Institut für Informati- onswissenschaft zu den Themenfeldern Wissenschaftskommunikation und Informationsdienstleistungen. Florian Freistetter ist ein österreichischer Wissenschaftsjournalist. Kurz vor der Publikation des Klimareports suchte er über Twitter nach einer fachkom- petenten Partnerin für den Podcast. Auf Umwegen landete die Anfrage bei Claudia Frick, die zuerst zögerte, aber als ihr das Konzept vorlag, begeistert war von dem Projekt: „Die Verbindung von Meteorologie und Kommunika- tion war für mich perfekt!“ Dass die Sache mit viel Arbeit verbunden ist, war sofort klar. Frick und Freis- tetter arbeiten für sich jedes Kapitel durch, besprechen die wichtigsten Fra- gen und erstellen einen groben Sendeplan. Dann setzen sich beide an den heimischen Computer und nehmen ihr Gespräch auf. Schon beim ersten Ka- pitel wurde deutlich: Eine Folge pro Kapitel, wie zunächst geplant, ist nicht machbar, wenn der Podcast nicht mehrere Stunden dauern soll. Also gibt es jetzt zwei pro Kapitel. Die ersten Rückmeldungen waren sehr positiv. Nicht zuletzt, weil es ein der- art ehrgeiziges Projekt zur allgemeinverständlichen Vermittlung von Kli- maforschung im deutschsprachigen Raum wohl noch nie gab. Und für Clau- dia Frick ist die Arbeit eine in mehrerlei Hinsicht spannende Erfahrung. Das Eintauchen in die Themenwelt ihres früheren Berufslebens ist eine davon. „Schon im ersten Kapitel wurden Themen behandelt, die ich gar nicht in dem Bericht erwartet hatte. Da ging es zunächst ausführlich um die Sprache, in der die Forschung vermittelt wird. Außerdem finde ich es faszinierend, dass der IPCC-Report inzwischen auch ganz alte Quellen einbezieht, etwa Schiffslogbücher oder sogar mündliche Überlieferungen, die Erkenntnisse über frühere Klimabedingungen liefern.“ Die Vorzüge des Formats wurden schnell klar. „Man muss sich nicht hetzen, hat viel Zeit. Und es gibt viel Gestaltungsspielraum, denn man kann Dialoge ebenso einsetzen wie Monologe oder auch Interviews. Hinzu kommt, dass man keinen Verlag braucht und nur wenig technische Ausstattung“, sagt Frick. Für Wissenschaftskommunikation generell also ein sehr interessantes Format, und auch in der Lehre könnte es in Zukunft eine Rolle spielen: „Pod- casts als Prüfungsform könnte ich mir vorstellen. Das ist ähnlich wie bei Wi- kipedia-Artikeln, die ich schon jetzt Studierende schreiben lasse. Hier geht es darum, Inhalte korrekt und doch einfach wiederzugeben – das ist die Kür der Wissenschaftskommunikation.“ Jeden Montag erscheint nun eine neue Folge von „Das Klima. Podcast zur Wissenschaft hinter der Krise“. Zum Schluss folgt dann ein besonders span- nender Teil um die „summary for policy makers“, also die Zusammenfassung, die nicht nur für politische Entscheiderinnen und Entscheider gemacht ist, sondern auch schon unter deren Einfluss: Regierungen arbeiten an dieser Version bereits aktiv mit. Wie viel da von der Dringlichkeit des eigentlichen Reports übrig bleibt oder wie viel verwässert sein mag, wird also ungefähr in Folge 25 zu hören sein. Werner Grosch Das Klima. Podcast zur Wissenschaft hinter der Krise https://dasklima.podigee.io/ out_Herbst_03/2021 Inside out_Sommer_02/2021
6 | 50 Jahre TH Köln Platz eins für das Konzept „Time Cube”, hier mit der Jury und Wettbewerbs-AG auf der Preisverlei- hung in der Aula am Campus Südstadt Ein Abend voller Auszeichnungen Preisverleihung des Wettbewerbs „Zeiträume” und Ehrensenatorenwürde Von der Verhüllung über eine Inszenierung mit „Zusammen mit seiner baulichen Umgebung Live-Performance bis hin zu Klangfragmen- stellt der Löwenbrunnen ein eindrucksvolles ten: Im studentischen Wettbewerb „Zeiträume“ Zeugnis politischer Geschichte dar“, sagte bei haben 16 Teams aus verschiedenen Fakultä- der Preisverleihung Prof. Dr. Stefan Herzig, Prä- ten vielfältige Ideen zur Gestaltung und Nut- sident der TH Köln, der den Wettbewerb mitini- zung des Löwenbrunnens im Hauptgebäude tiiert hat. „Im Zuge der Aktivitäten, die unsere der Hochschule entwickelt. Die besten Kon- Hochschule in ihrem 50. Jubiläumsjahr unter- zepte wurden in einer Feierstunde in der Aula nimmt, sollen der Brunnen und seine unmittel- des Campus Südstadt ausgezeichnet und mit bare Umgebung zukünftig ein Ort der Reflexion Preisgeldern in Höhe von insgesamt 3.000 Euro und des Diskurses über die interessante und bedacht. wechselvolle Geschichte des Gebäudes sein.“ Der Löwenbrunnen im Treppenhaus der Clau- Der Wettbewerb wurde von der Hochschule diusstraße blickt ebenso wie das Hauptge- gemeinsam mit dem Verein der Freunde und bäude selbst auf eine lange und wechselhafte Förderer der Technischen Hochschule Köln Geschichte zurück. Als Zierbrunnen 1907 in der ausgelobt. Eingereicht wurden Konzepte zu deutschen Kaiserzeit erbaut, wurde der Brun- temporären oder permanenten, statischen oder nen in der NS-Zeit zu einem „Opfertisch“ um- wandelbaren sowie physischen oder digitalen funktioniert, bevor er überbaut und im Laufe Installationen und Anwendungen. (Die Preisträ- der Jahrzehnte fast vergessen wurde. Nach 75 gerinnen und Preisträger und ihre Ideen stellen wir Jahren wurde der Brunnen wiederentdeckt, frei- auf den Folgeseiten vor.) gelegt und saniert. Im studentischen Wettbe- werb „Zeiträume“ haben rund 100 Studierende Der zehnköpfigen Jury, bestehend aus Persön- aus den Bereichen Design, Architektur, Me- lichkeiten aus den Bereichen Kultur und Ge- dientechnologie, Code & Context, Terminologie schichte, Informationswissenschaft, Restaurie- und Sprachtechnologie sowie Restaurierungs- rung, Architektur und Design, fiel die Wahl nicht Platz 2 für Studentinnen des Bachelorstudi- und Konservierungswissenschaften Konzepte leicht: „Die Jury hat sich gefreut, dass der Wett- engangs Integrated Design zur Gestaltung und Nutzung des Brunnens bewerb bei Studierenden und Lehrenden auf entwickelt. große Resonanz gestoßen ist. An zwei Tagen hat sich die Jury mit den eingereichten Wett- bewerbsvorschlägen befasst, in vielen Stunden >> Inside out_Herbst_03/2021
50 Jahre TH Köln | 7 Auf den dritten Preis erst mal eine Runde! v. l.: Prof. Dr. Peter Kozub, Prof. Dr. Daniel Lohmann, Dombaumeister Peter Füssenich Oben links, v. l.: Die Siegerfaust! Jurymitglied Peter Füssenich und Fördervereinsvorsitzende Susanne Fabry (RheinEnergie AG) mit dem Gewinnerteam aus dem Masterstudiengang Architektur Oben rechts, v. l.: Die Jurymitglieder Milena Karabaic (LVR) und Dr. Nadine Oberste-Hetbleck (Uni Köln) mit Prof. Dr. Stefan Herzig v. l.: Die Fördervereinsmitglieder Susanne Fabry (RheinEnergie AG), Christiane Wei- genad, Frank Fleckenstein (beide Sparkasse KölnBonn) mit Prof. Dr. Stefan Herzig Inside out_Herbst_03/2021
8 | 50 Jahre TH Köln Der Juryvorsitzende Dr. Ulrich Soénius hat sich darüber hinaus jedes Jurymitglied in- tensiv damit auseinandergesetzt. Wir danken al- len TeilnehmerInnen für das hohe Engagement und die guten Ideen. Alle Beiträge waren von hoher Qualität, der Jury ist die Entscheidung nicht leichtgefallen, aber sie musste getroffen werden”, unterstrich der Juryvorsitzende Dr. Ul- rich Soénius. Der Jury gehörten an: Peter Füssenich (Dom- baumeister Dombauhütte Köln), Dr. Johanna Gummlich (Leiterin des Rheinischen Bildar- chivs), Sigrun Heinen (LVR – Amt für Denkmal- pflege), Dr. Werner Jung (Leiter des NS-Doku- mentationszentrums Köln), Milena Karabaic (LVR – Kultur und Landschaftliche Kulturpflege), Prof. Klaus Neuburg (Ostfalia Hochschule für an- gewandte Wissenschaften), Dr. Nadine Oberste- Hetbleck (Direktorin des ZADIK, Universität zu Köln), Prof. Gabi Schwab-Trapp (Hochschule Düsseldorf), Dr. Ulrich Soénius (Direktor der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschafts- archiv zu Köln und Mitglied im Kuratorium der TH Köln) und Dr. Thomas Werner (Stadtkonser- vator Köln). Ebenfalls geehrt wurde an diesem Abend der Alt-Präsident der TH Köln, der wie kaum ein an- derer Hochschulangehöriger Fakten und Ge- Oben, v. l.: Die Professorinnen und Professoren Dr. Carolin Höfler, Nicole Russi, schichten über die wechselhafte Geschichte des Peter Kozub und Dr. Daniel Lohmann haben als AG-Mitglieder den Wettbewerb Brunnens und des Gebäudes Claudiusstraße 1 mitinitiiert. (unten) Laudator Prof. em. Dr. Winfred Kaminski verglich die Arbeit kennt: Für seine herausragenden Verdienste um des Ehrensenators und Alt-Präsidenten Prof. Metzner mit den Aufgaben eines die TH Köln wurde Prof. Dr. Joachim Metzner Schiffskapitäns auf hoher See. die Ehrensenatorenwürde der Hochschule ver- liehen. Metzner war unter anderem von 1989 bis 2012 Rektor / Präsident der damaligen Fach- hochschule Köln und setzt sich bis heute für Hochschulpolitik, Lehre sowie für die interna- tionale Reputation und Vernetzung deutscher Hochschulen ein. „Prof. Dr. Joachim Metzner hat die ehemalige Kölner Fachhochschule und heutige TH Köln ge- prägt und zukunftsfähig gemacht. Dank seines weiten fachlichen Blickwinkels und seiner Fä- higkeit, anderen auf Augenhöhe zu begegnen, gelang es Prof. Metzner, sowohl die verschiede- nen Fakultäten als auch die unterschiedlichen Standorte der Hochschule zusammenzuhalten und als eine Einheit begreiflich zu machen. Da- durch konnte sich die TH Köln zu einer bundes- weit und international renommierten Hoch- schule entwickeln“, unterstrich Laudator Prof. Dr. Winfred Kaminski. Der emeritierte Professor für Sprach- und Literaturpädagogik war lang- jähriger Weggefährte von Prof. Metzner an der Hochschule. Prof. Dr. Matthias Jarke, Vorsitzender des Hoch- schulrats der TH Köln, ging in seiner Rede un- ter anderem auf die zahlreichen Initiativen von Prof. Metzner ein, die damalige Fachhoch- schule Köln zu seiner Zeit als Rektor internatio- nal zu etablieren. „Die jetzige TH Köln profitiert bis heute von diesem Einsatz und leistet höchst Beeindruckendes gerade in Asien und in afrika- nischen Ländern, etwa mit Innovationen in der klimawandel-bedrohten Sahelzone“, so Jarke. v. l.: Prof. em. Dr. Dr. Joachim Metzner, Prof. Dr. Stefan Herzig Inside out_Herbst_03/2021
50 Jahre TH Köln | 9 Die Gewinnerteams des studentischen Wettbewerbs „Zeiträume” Das Konzept „Time Cube” schlägt eine Black Box vor, die den Brun- nen verhüllt und dadurch verstärkt zur Wahrnehmung bringt. An einigen Stellen erhalten Betrachterinnen und Betrachter Einblicke in den Kubus, welche die Aufmerksamkeit auf Details lenken und die damit verbundenen geschichtlichen Ereignisse erzählen sol- len. Ein verhülltes Objekt sei gerade durch die Verhüllung interes- sant, so die Jurybegründung: Der Löwenbrunnen ist das Objekt, 1. Preis: Time Cube an dem sich die Geschichte und die Geschichten des Hauses mate- Team: Ivan Falkenstern, Ann-Kristin Heiser, Jas- rialisieren und erzählt werden. Daher hält die Jury den Entwurf für min Strauch, Arwin Yousefein (alle Masterstudi- sehr geeignet, die Geschichten des Hauses zu erzählen und die Di- engang Architektur), mensionen sichtbar zu machen, die sich mit dem Löwenbrunnen betreut durch Prof. Dr. Daniel Lohmann als Objekt und der Geschichte dieses Hauses verknüpfen. 2. Preis: (un)erzählt Team: Malou Tremblay, Anna Marie Schulze-Ardey, Alina Bertacca, Oli- via Emefiele und Lisa Blömeke (alle Studiengang Integrated Design), betreut durch Prof. Dr. Carolin Höfler und Prof. Dr. Andreas Wrede „Im Mevissen-Saal sind schwarze Stühle verteilt. Die Besuchenden betreten den Raum und suchen ihre Plätze. Es ist still. Das Licht wird ausgeschaltet. Ein*e Pianist*in spielt ein Stück von Arnold Schoenberg. Die Musik verklingt im Raum. Sprecher*innen sitzen zufällig verteilt im Publikum. Der*die erste Sprecher*in erhebt sich. Es beginnt eine Textprojektion im Raum. Mit emotionsloser, aber kräftiger Stimme er- zählt er*sie eine Geschichte, die bislang unerzählt blieb.” (Auszug aus Wettbewerbsbeitrag) Die Inszenierung mit Live-Performance greift 19 Biographien von Men- schen auf und beleuchtet deren Schicksal in der Zeit von 1919 bis 1933. Durch die Inszenierung würde Menschen eine Stimme gegeben, die ih- nen im Nationalsozialismus genommen wurde. Durch das Aussprechen ihrer Namen und ihrer Geschichte würden ihre Schicksale gehört und die Erinnerung an sie wird bewahrt und erneuert – ganz in der Hoff- nung, dass wir aus der Geschichte lernen, Wiederholungen unmöglich werden, so die Jury. Inside out_Herbst_03/2021
10 | 50 Jahre TH Köln 3. Preis: frequencies of fragments Team: Max Scholpp (Studiengang Integrated Design), Florian Fuchs, Mariana Prado, Zher Hassan, Anncatrin Arbeiter und Martin van Elten (alle Masterstudiengang Architektur), betreut durch Prof. Dr. Carolin Höfler und Prof. Dr. Andreas Wrede „frequencies of fragments“ ist eine performative Komposition. Der Entwurf sieht vor, Besucherinnen und Be- sucher im Treppenhaus des Gebäudes mit Klängen zur Reflexion über die Geschichte des Ortes anzuregen. Dazu hat das Team eine Dramaturgie in drei Akten entwickelt, in der Klangfragmente mit dem Ort des Löwen- brunnens interagieren sollen. Auch historische Tonaufnahmen aus dem Bestand des NS-Dokumentationszen- trums wurden dabei eingebaut. Gerade diese auditiv-sinnliche Ansprache der Besucherinnen und Besucher wurde von der Jury als originelle Form der Vermittlung historischer Zusammenhänge angesehen. Sie schaffe einen niederschwelligen und sehr individuellen Zugang zur Auseinandersetzung mit der Geschichte des Or- tes. Der Raum würde so zum Resonanzkörper für die persönliche Interpretation und Reflexion, unterstreicht die Jury in ihrer Begründung. Besondere Anerkennung: Auf den Spuren der Zeit Team: Christine Isabel Barreto Müller, Michelle Lakke, Sanae Motos und Oliver Wahn (alle Masterstudiengang Terminologie und Sprachtechnologie), betreut durch Prof. Dr. Karolina Suchowolec „Auf den Spuren der Zeit“ ist eine Webseite, auf der mit Hilfe von Fotografien, leichter Spra- che, einer virtuellen Tour sowie einer Concept Map mit Hintergrundinformationen die His- torie rund um den Brunnen vermittelt wird. Die Webseite sei in ihrer Struktur und durch das Angebot der leichten Sprache nicht nur inklusiv, sondern unter Verwendung der gleichen Technologie auch multilingual erweiterbar, so die Begründung der Jury. Inside out_Herbst_03/2021
50 Jahre TH Köln | 11 Impressions haben die Social-Media-Posts zum Musikvideos des TH-Jubiläumssongs auf Twitter, Facebook, Instagram und LinkedIn gesammelt. Seit der Premiere haben außerdem über 7.000 Personen das Video in voller Länge auf dem YouTube-Kanal der TH Köln angesehen. Entstanden ist das Lied in Kooperation mit Henning Krautmacher und Freddi Lubitz von der Kölner Band Die Höhner. „Wir fanden die Idee toll, dass die TH Köln ihren fünf- zigsten Geburtstag mit einem Song feiern möchte“, so Krautmacher. „Da wir Bildung und Wissensvermittlung gerne unterstützen, haben wir bei Text, Komposition und Produktion geholfen.“ Und das mit Erfolg: „Viva TH Köln“ ist nicht nur ein Ge- burtstagslied, sondern betont vor allem die Wissensvermittlung und -verbreitung durch die Hochschule. *Stand 28. Oktober 2021 Inside out_Herbst_03/2021
12 | Lernen und Forschen Vorsorge auf allen Ebenen Es wird lange dauern, bis die Schäden in den betroffenen Flutgebieten in Nord- rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wieder behoben sind. Warum gerade in ländlichen Regionen jetzt verstärkt ein Ausbau der kritischen Infrastrukturen und des Bevölkerungsschutzes notwen- dig ist und wie auf allen Ebenen Vorsor- gemaßnahmen getroffen werden kön- nen, erklärt Prof. Dr. Alexander Fekete. Inside out_Herbst_03/2021
Lernen und Forschen | 13 Nach der Flutkatastrophe wurde direkt die heute keine flächendeckenden Hochwasserkar- Frage laut: „Wer trägt die Schuld?“ Auch Ih- ten an Flüssen. nen wurde diese Frage von den Medien ge- stellt. Wie ordnen Sie als Experte diese af- In Hochwasserregionen wie an den großen fekthafte Schuldsuche ein? Flüssen haben die Leute mit Überschwem- Das ist ein normales Muster, eine natürliche Re- mungen Erfahrungen. Mit Starkregen ken- aktion, die sich bei Katastrophen abspielt. Men- nen wir uns aber noch nicht aus. Wie können schen reagieren auf solche Situationen mit Un- wir uns zukünftig darauf vorbereiten? verständnis und denken, dass jemand Schuld Flusshochwasser ist an großen Flüssen wie dem oder „versagt“ hat – das passiert nicht nur in Rhein relativ gut vorherzusagen, während ein Deutschland, sondern weltweit. Auch bei den Starkregen ähnlich wie ein Tornado oder Hagel Katastrophen wie dem Elbe-Hochwasser 2006 sehr zufällig und punktueller zuschlagen kann. oder 2013 begegneten uns Menschen immer Es gibt bereits vereinzelte Handlungsempfeh- wieder mit Argwohn. Als Fachexpertinnen und lungen für Starkregen vom Bund und auch von -experten können wir solche Katastrophen einzelnen Bundesländern, die auch bauliche leichter einordnen, da wir uns jahrelang mit Vorsorgemaßnahmen für Eigenheimbesitzer diesen Thematiken beschäftigen. Daher müs- beinhalten. Aber es braucht Zeit, bis diese Re- sen wir besonders sensibel gegenüber Laien geln im Bewusstsein der Einzelnen ankommen. sein. Hinzu kommt aber, dass in Deutschland Es ist wichtig, dieses Bewusstsein zu schaffen, die Schuldfrage gesellschaftlich noch einmal denn es gehört zur sogenannten risikoinfor- stärker verankert ist. Wir sind eine Gesellschaft, mierten Gesellschaft. Das heutige Risikoma- die sich schnell aufregt. Es gibt auch das soge- nagement ist aber auch vom Aspekt der Re- nannte Vulnerabilitätsparadoxon: Je höher eine silienz geprägt: Wir müssen akzeptieren, dass Gesellschaft entwickelt ist, um so hilfloser füh- wir nicht mehr alles zu 100 Prozent sicher ge- len sich die Menschen, wenn etwas nicht mehr stalten können. zur Verfügung steht. Wenn etwas nicht funktio- niert, klagen wir und zeigen mit dem Finger auf Wenn wir uns nicht mehr sicher sein kön- andere. Diese Einstellung ist in solchen Situati- nen, wie sollten wir zukünftig mit den un- onen wie der Flutkatastrophe aber vollkommen kalkulierbaren Wetterereignissen wie Stark- unangebracht. regen umgehen? Wir können zwar nicht vorhersagen, wann und Ist also im Hinblick auf zukünftige Szenarien wo genau Starkregen niedergehen wird. Aber auch die Eigenverantwortung der Bürgerin- wir können erkennen, an welchen Orten die to- nen und Bürger gefragt? pografischen Bedingungen ungünstig sind, Ja, aber das ist ein sehr schwieriges Thema. zum Beispiel in engen Tälern oder Senken. Ei- Aus meiner Sicht gibt es mindestens fünf Zu- nige größere Städte stellen bereits seit Jahren ständigkeitsebenen: Bürgerinnen und Bürger Starkregengefahrenkarten online, unter ande- sind teilweise sogar zu einer Eigenvorsorge bei rem Köln. Aber viele gerade ländliche Kommu- Hochwasser gesetzlich verpflichtet1. Als zweite nen, die dafür weder über die nötigen Finanz- Ebene und in der Hauptverantwortung sind die mittel noch die Ressourcen verfügen, müssen Kommunen und Landkreise, wenn diese nicht unterstützt werden, um hochpräzise Daten zu mehr in der Lage sind, liegt die Verantwortung entwickeln. Aber: Diese Daten bringen nichts, bei den Bundesländern. Die vierte Ebene ist der wenn die Menschen sie nicht nutzen oder nicht Bund, der zu Hilfe geholt werden kann, aber ei- wissen, was sie damit anfangen sollen. gentlich nicht zuständig ist, da die Länder ihre Autonomie behalten wollen. Nummer fünf ist Sie sind Co-Autor des 2016 erschienenen At- die internationale Ebene. Strategisch wird hier las der Verwundbarkeit und Resilienz. Sind bereits viel getan, beispielsweise wurde 2012 dort auch Starkregenregionen erfasst oder die europaweite Hochwasserrahmenrichtli- werden Sie den Atlas jetzt nachbessern? nie festgelegt. Ohne diese Richtlinie hätten wir Unser Katastrophen-Warnsystem umfasste bisher überwiegend Hochwasserereignisse 1 Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) §5: Allgemeine an den Flüssen. Es sind in den gesammelten Sorgfaltspflichten, Abs. 2, regelt die Eigenverant- >> wortung wie folgt: „Jede Person, die durch Hoch- wasser betroffen sein kann, ist im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, geeig- nete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor nach- teiligen Hochwasserfolgen und zur Schadensmin- derung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen nachteiligen Folgen für Mensch, Umwelt oder Sachwerte durch Hoch- wasser anzupassen.“ Inside out_Herbst_03/2021
14 | Lernen und Forschen „Wir müssen akzeptieren, dass wir nicht mehr alles zu 100 Prozent sicher gestalten können.“ Prof. Dr. Alexander Fekete lehrt und forscht am Institut für Rettungsin- genieurwesen und Gefahrenabwehr (IRG) u. a. zu Risiko- und Krisenmanage- ment, Risikokommunikation, Kritischen Infrastrukturen und Bevölkerungs- schutz. Außerdem ist er an unserer Hochschule Koordinator des Forschungs- schwerpunkts „Bevölkerungsschutz im gesellschaftlichen Wandel“. Fallbeispielen auch fünf Arbeiten zu Starkrege- Konzepte direkt vor Ort bereitgestellt werden. zusätzlicher Hilfsmaßnahmen ist. Durch die nereignissen für einige Regionen aufgeführt, Zum Beispiel haben unsere Studierenden Kon- Hochwassererfahrungen der letzten Jahre hat aber auch an dieser Stelle müssen wir nachhal- zepte für mobile Sirenen mitentwickelt. die Stadt Köln mittlerweile ihre Warnsysteme ten, ergänzen und nachbessern. Jedoch sind und den Hochwasserschutz komplett moder- diese Szenarien auch aufwändiger zu berech- Als bei der Flut der Strom ausfiel, versagten nisiert. Das ist europaweit fast einmalig: Kaum nen. Der Atlas gibt einen Überblick über den die digitalen Kommunikationskanäle. Wa- eine andere Stadt hat so viel in ein neues Ab- Forschungsstand. Leider kommen diese Er- rum sollten wir dennoch die Digitalisierung wasser-, Informations- und Hochwasserschutz- kenntnisse aber nicht unbedingt bei den Ent- ausbauen? system investiert. Andere Kommunen haben scheiderinnen und Entscheidern an – obwohl In der Katastrophen-Kommunikation sind di- diese Mittel nicht bekommen und ein riesiges wir uns bemühen, die Informationen adressa- gitale Technologien nur ein Hilfsmittel und Problem. Forschungsprojekte sind oft der erste tengerecht auf zwei Seiten verkürzt darzustel- kein Ersatz für andere Systeme. Hauptsächlich und einzige Weg, um hier eine Grundlage zu len, für die Behörden, Organisationen oder auch wurden die Menschen durch mehrere Wege schaffen, um Entscheidungsträger und Finan- die Ansprechpartnerinnen und -partner in der gewarnt: Der klassische Weg sind die tradi- zierer zu überzeugen, noch mehr zu tun. Denn Wirtschaft. tionellen Medien wie Radio, Fernsehen und Zei- meistens fehlt es an der Datengrundlage, um tungen. Sinnvoll sind außerdem Sirenen. Hilf- bewerten zu können, welche Risiken eine Stadt Wie gehen Sie vor, um die Entscheiderinnen reich sind auch Menschen, die von Tür zu Tür oder Kommune treffen können. und Entscheider zu sensibilisieren? gehen. Am Ende kann man durch direkten Kon- Bei unserem Projekt KIRMin beispielsweise ha- takt und eine verständliche Kommunikation ge- Müssten neben der kommunalen Verwal- ben wir vor ein paar Jahren mit der Stadt Köln währleisten, dass die Betroffenen die Warnun- tung auch Einsatzbereiche wie Feuerwehr und dem Rhein-Erft-Kreis sehr gut zusammen- gen auch ernst nehmen – und selbst dann gibt und THW stärker gefördert werden? gearbeitet: Wir haben aus der Wissenschaft he- es immer wieder Menschen, die die Warnungen Kommunen, die knapp bei Kasse sind, benöti- raus den Dialog hergestellt zwischen zwei be- unterschätzen oder ihr Hab und Gut beschüt- gen spezielle Fördermechanismen. Die gab und nachbarten Landkreisen, die bis dato nicht oft zen wollen. Da hilft auch keine digitale Tech- gibt es zum Beispiel bei der Klimawandelan- miteinander zu den Themen Katastrophen- nik. Dennoch können wir durch digitale Techno- passung. Das hat einigen Kommunen ermög- schutz und Infrastrukturvorsorge gesprochen logien evtl. mehr Menschenleben retten, wenn licht, Personal einzustellen und sich überhaupt haben. Der erste Erfolg war, dass sich dadurch wir diese Zusatzwege auch weiter ausbauen. an solchen Forschungsvorhaben zu beteiligen. die Feuerwehren beider Gemeinden und Kreise Am IRG werden wir uns zukünftig vermehrt Aber im Alltag haben die Kommunen oft an- ausgetauscht haben. Dadurch hat die Stadt Erft- auch solchen Forschungsfragen stellen. dere Probleme. Die Feuerwehren und Rettungs- stadt neue Anregungen für den Aufbau ihres dienste sind zwar gut finanziert, laufen bei den Krisenstabs, Risikoanalysemethoden oder den Gehen Sie davon aus, dass die Zahl der For- Kommunen aber immer als eine Art Sonder- Aufbau einer Notstromversorgung erhalten. schungsanfragen und -projekte am Institut posten. Das heißt, jede zusätzliche Forschungs- Oft sind es die kleinen Aha-Effekte, über die wir durch die Flutkatastrophe steigen wird? stelle ist für die Kommunen kaum finanzierbar. mehr Bewusstsein schaffen. Neben der Zusam- Das ist ein sehr schwieriges Thema, denn wir Große Städte wie Köln, Berlin, München oder menarbeit in Forschungsprojekten unterstützt wollen die aktuelle Situation nicht ausnutzen. auch Dortmund können sich solche personellen unser Institut Kommunen und Einrichtungen Wir betonen immer wieder, dass wir uns hier Ressourcen mittlerweile leisten. Allerdings sind aber auch durch die Abschlussarbeiten unserer nicht besonders hervortun, sondern auch als diese Personalkosten auf die Dauer schwer auf- Studierenden. Dadurch können Ressourcenlü- Expertinnen und Experten lieber zurückhaltend rechtzuerhalten. Ich würde mir sehr wünschen, cken geschlossen und mehr Informationen und agieren wollen. Die Katastrophe hat gezeigt, dass auch für kleinere Kommunen ähnliche Pro- dass wir mehr Daten und Informationen benöti- gramme aufgelegt werden, damit sie robustere gen. Wir sehen jetzt vor der eigenen Haustür ei- Vorhersagemodelle entwickeln und konkrete nen großen Förderungsbedarf. Es müssen auch Lösungsvorschläge erarbeiten können. für kleinere Flusseinzugsgebiete die Vorhersage Interview: Monika Probst von Hochwasserwellen verbessert und zuverläs- sige Warnsysteme aufgebaut werden. Diese Un- terstützung ist in vielen Bereichen nötig, nicht nur in der Forschung. Es ist jetzt hoffentlich al- len bewusst, wie wichtig die Bereitstellung Inside out_Herbst_03/2021
Lernen und Forschen | 15 Fünf Prinzipien für klimasichere Kommunen und Städte Gemeinsames Statement von: Prof. Dr. Christian Kuhlicke, Prof. Dr. Christian Albert, Prof. Dr. Daniel Bachmann, Prof. Dr. Jörn Birkmann, Prof. Dr. Dietrich Borchardt, Prof. Dr. Alexander Fekete, Prof. Dr. Stefan Greiving, Prof. Dr. Thomas Hartmann, Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Prof. Dr. Robert Jüpner, Prof. Dr. Sigrun Kabisch, Prof. Dr. Kerstin Krellenberg, Prof. Dr. Bruno Merz, Prof. Dr. Roland Müller, Prof. Dr. Dieter Rink, Dr. Karsten Rinke, Prof. Dr. Holger Schüttrumpf, Prof. Dr. Rei- mund Schwarze, Prof. Dr. Georg Teutsch, Prof. Dr. Annegret Thieken, Dr. Maximilian Ueber- ham, Prof. Dr. Martin Voss 1. Frühwarnsysteme verbessern und den Bevölkerungsschutz stärken: Auch für kleinere Flusseinzugsgebiete gilt es, die Vorhersage von Hochwasserwellen zu verbessern und zu- verlässige Warnsysteme aufzubauen. Neben der Entwicklung von robusten Vorhersage- modellen ist die Etablierung einer dauerhaften und verlässlichen Kommunikation mit Vertreter*innen von Städten und Gemeinden sowie den Bürger*innen vor Ort unerläss- lich. Nur eine Warnung, die Menschen verstehen und der sie vertrauen, wird zu den ge- wünschten Handlungen führen. 2. Schwammfähigkeit und Speicherfähigkeit steigern: Neben etablierten Schutzlösungen, wie Deichen, Mauern und Poldern, gilt es vermehrt, Gemeinden, Städte und Landschaf- ten wie Schwämme zu konzipieren und den Wasserrückhalt in der Landschaft zu verbes- sern. Jeder Kubikmeter Wasser, der nicht über die Kanalisation in Bäche und Flüsse einge- leitet wird, trägt zur Abflachung von Hochwasserwellen bei, kann diese aber, wie bei den Ereignissen 2021, nicht verhindern. Daher gilt es, den Wasserrückhalt und das Speicher- vermögen von Flussauen, Wald- und Agrarlandschaften, aber auch in den dichter besie- delten Bereichen durch zusätzliche Grün- und Freiflächen zu steigern. Gerade für extreme Niederschläge sind zusätzliche Speicherräume und grüne Infrastrukturen so zu konzipie- ren, dass diese auch als Notwasserwege im Fall der Fälle vorbereitet sind. Ein hohes Spei- chervermögen für Wasser hilft nicht nur in Hochwasser-, sondern auch in Trockenzeiten. 3. Klimaprüfung von kritischen Infrastrukturen durchsetzen: Bei der Sanierung, dem Wie- deraufbau nach Katastrophen und dem Neubau von öffentlichen Infrastrukturen und Ge- bäuden – insbesondere sogenannten kritischen Infrastrukturen – gilt es, die Folgen des Klimawandels abzuschätzen und Bemessungswerte entsprechend zu erneuern. Dies schließt auch die Berücksichtigung von Kaskadeneffekten durch die Unterbrechung von Versorgungsleistungen in Infrastruktursystemen ein. Infrastrukturen (Versorgung mit Wasser, Strom etc.), das Rückgrat unserer modernen Gesellschaft, müssen so konzipiert werden, dass sie auch in extremen Wetterlagen funktionieren oder entsprechende Rück- falloptionen erlauben. Es ist nicht hinnehmbar, wenn gerade während einer Krise not- wendige Kommunikationsnetze, medizinische Dienstleistungen und Einrichtungen aus- fallen, da sie nicht hinreichend auf solche Extremereignisse vorbereitet sind. 4. Klimasicherheit von Gebäuden fördern: Bei dem Neubau bzw. der Sanierung im Be- stand gilt es, die Klimasicherheit von Gebäuden von Anfang an mitzudenken und den Schutzstandard zu erhöhen, insbesondere auch von Einrichtungen, die besonders vulne- rable Gruppen wie Kinder, Senioren oder behinderte Menschen beherbergen. Dafür be- darf es, ähnlich wie bei der energieeffizienten Sanierung, finanzieller Förder- und Anreiz- instrumente sowie der Etablierung vorsorgeorientierter Versicherungsprämien. Auch bei Bauanträgen und Immobilienverkäufen sollten systematisch entsprechende Informatio- nen über Starkregen- oder Hochwassergefahren bereitgestellt und abgefragt werden. Zu- kunftsherausforderungen im Gebäudebestand allein appellativ bzw. reaktiv meistern zu wollen, wird nicht ausreichen. 5. Gestaltungs- und Durchsetzungswille ist ebenso notwendig wie Kooperation und Soli- darität: Für den Umbau bedarf es des Innovations- und Gestaltungswillens auf Seiten von Städten, Gemeinden, Investoren und Privatpersonen ebenso wie des Einsatzes von Fi- nanzierungs- und Anreizinstrumenten auf Seiten des Bundes bzw. der Länder. Es braucht durchsetzungsstarke Instrumente in der Planung und kohärente und standardisierte Rah- menwerke und Vorgehensweisen. Des Weiteren sind Nutzen und Lasten des Umbaus hin zu klimasicheren Städten und Gemeinden solidarisch zu verteilen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gemeinden, die im Oberlauf von Flüssen mehr Raum für Wasser schaffen, wer- den davon nur indirekt profitieren; Gemeinden im Unterlauf aber unmittelbar, da das Überflutungsrisiko reduziert wird. Vollständige Veröffentlichung unter: https://riskncrisis.wordpress.com, Juli 2021 Inside out_Herbst_03/2021
16 | Lernen und Forschen Verteilung der Bodenbedeckung in der EU nach Flächenart 2012 unserer Erde sind mit Wasser bedeckt 71% Wald und Waldflächen: 41% Ackerflächen: 25% Der größte Teil der weltweiten Süßwasserressourcen ist in Eis und Schnee gebunden Bebaute und künstlich angelegte Flächen: 5% Gewässer und Feuchtgebiete: 5% Europa hat weltweit den größten Waldbestand (Außerdem: 20 % Grünland, 4 % Heide, 2 % vegetationslose Flächen) Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland 1992 2019 Landwirt- 40.305 km² 28% 51.489 km² schaftsfläche 50,7% Gewässer Anteil der Grünanlagen in deutschen Städten (stehend und 2,3 % 29,8% Wald fließend) 1996 2018 > 500.000 7,7 % 10,9 % Einwohner*innen 5% Verkehrswege Siedlungen 9,3 % 1996 2018 25.000 - 500.000 2,9 % 7,1 % 9,7 % Einwohner*innen weitere baulich genutzte Flächen Stichprobenerhebung zu Bodennutzung⁄Bodenbedeckung, Eurostat 2012, statista.de Statistisches Bundesant, 2019, statista.de FAO Global Forest Resources Assessment 2020, statista.de Inside out_Herbst_03/2021
Lernen und Forschen | 17 Mehr Raum für Boden Asphaltiert und zugepflastert: Versiegelte Flächen sind besonders in Ort- schaften ein großes Problem bei Starkregen, da die Böden das Wasser nicht aufnehmen können. Geograph Dr. Udo Nehren, Professor für Ökosystem- management, sieht das Flächenmanagement in der Pflicht: Nicht nur in den Städten bedarf es dringender Maßnahmen, um sich gegen zukünf- tige Starkregenfluten zu wappnen, sondern auch in der Landwirtschaft. Nach dem Hochwasser wurden sofort die Auf Hochwasser an großen Flüssen ist un- Hangparzellierung und -stabilisierung, im Wein- Fragen nach der Verantwortung und mög- sere Gesellschaft durch die historischen Er- bau auch in der traditionellen Form von Terras- lichem Behördenversagen gestellt. Müs- fahrungen vorbereitet und gut eingestellt. sierungen mit Trockenmauern, an. sen wir uns nicht auch fragen, ob wir die Flä- Welche Vorsorge müssen wir bei kleinen chen zu stark versiegelt haben? Flussgebieten zukünftig treffen? Was muss jetzt beim Wiederaufbau der Orte Neben den extrem großen Niederschlagsmen- Ich bin an der Mosel aufgewachsen. Die Hoch- aus Sicht des Flächenmanagements beach- gen, die im Juni in Verbindung mit Topographie wassergefahr ist hier allgegenwärtig und in vie- tet werden? und Vorfeuchte der Gebiete zu diesen katastro- len Orten gibt es Häuser mit historischen Hoch- Die anhaltende Nutzung von Freiflächen vor al- phalen Hochwässern geführt haben, spielt auch wassermarken. Die Bevölkerung ist sich daher lem für den Siedlungsbau und die Verkehrsent- die Flächenversiegelung eine große Rolle. In der Gefahr bewusst und weiß im Katastrophen- wicklung hat zur Folge, dass wichtige Ökosys- großen Flusseinzugsgebieten wie am Rhein und fall, was zu tun ist. Auch an der Ahr ist man temleistungen der Böden und der Vegetation an der Donau hat man das Problem durch die für gewöhnlich auf Hochwasser gut vorberei- verloren gehen. Beide haben aber unmittelba- extremen Hochwasser der letzten Jahrzehnte1 tet. In diesem Jahr übertraf jedoch die Hoch- ren Einfluss auf Wetterextreme und Naturge- erkannt, die durch Flächenversiegelung, Fluss- wasserwelle die der letzten 100, möglicher- fahren. Innerhalb der Siedlungsgebiete müs- begradigungen und Flurbereinigungen so- weise sogar 200 Jahre. Das überstieg unser aller sen vermehrt Grünflächen und Möglichkeiten wie durch die Kanalisierung von Vorflutern ver- Vorstellungskraft. Ein ganz entscheidender Un- der Wasserspeicherung und Versickerung ge- schärft wurden. Seitdem sind verschiedene terschied in der Hochwasserprävention zwi- schaffen werden – das Konzept der sogenann- Maßnahmen ergriffen worden, um Flächen wie- schen den großen Flüssen, wie Rhein und Mo- ten Schwammstadt zeigt hier verschiedenste der zu entsiegeln und sogenannte Retentions- sel, und kleineren Flüssen und Bächen ist der Möglichkeiten auf. Dabei geht es vor allem um flächen zu schaffen, also Flächen, die im Falle Zeitfaktor. Die großen Flüsse steigen vergleichs- die Zwischenspeicherung von Wasser bei Über- eines Hochwassers zur Überflutung genutzt weise langsam an. Es gibt dadurch ziemlich ge- flutung, damit die Kanalisation entlastet wird. werden können. Entlang des Rheins wurde bei- naue Vorhersagen der zu erwartenden Pegelhö- Dazu gehören multifunktionale Flächen, die so spielsweise im Zuge des Aktionsplans Hoch- hen und damit eine ausreichende Reaktionszeit, angelegt sind, dass sie bei Trockenheit genutzt wasser durch die Rhein-Anliegerstaaten bislang um Schutzmaßnahmen zu treffen. Aber an klei- und bei Regen überflutet werden können, bei- rund 340 Millionen Kubikmeter Retentionsvo- neren Fließgewässern steigen die Pegel sehr spielsweise ein Fußballplatz. Außerdem gibt lumen wiederhergestellt. In Köln wurden die rasch an, so dass nur sehr wenig Zeit zur Eva- es durchlässige Pflastersteine. Dach- und Fas- Retentionsräume Porz-Langel/Niederkassel- kuierung bleibt. Abgesehen von den sicher- sadenbegrünung spielen ebenfalls eine wich- Lülsdorf und Worringen geschaffen. Die West- lich zu verbessernden Frühwarnsystemen und tige Rolle. Auch die naturnahe Entwicklung der hovener Aue ist als naturnahe Flutungsfläche Evakuierungskonzepten, sehe ich eine Kom- Fließgewässer innerhalb von Siedlungsberei- deklariert und so von einer Bebauung ausge- bination aus grauer Infrastruktur und ökosys- chen muss weiter vorangetrieben werden. Dazu nommen. Auch entlang der Erft und Ahr wur- tembasierten Maßnahmen, um das Hochwas- gehören Bachentrohrung, die Entfernung von den im Zuge der Europäischen Wasserrahmen- serrisiko zu mindern. Zur grauen Infrastruktur Ufer- und Sohlverbau und die Schaffung natur- richtlinie Renaturierungsmaßnahmen auf den gehören beispielsweise Regenrückhaltebecken, naher Überschwemmungsbereiche. An der Erft Weg gebracht. Aber nach den verheerenden Schutzdeiche und -mauern. Ökosystembasierte wurden bereits einzelne Maßnahmen umge- Überschwemmungen in diesem Sommer stellt Maßnahmen beinhalten die angesprochenen setzt, wie beispielsweise die Renaturierung in sich unweigerlich die Frage, welche weiteren naturnahen Retentionsräume, Renaturierungs- Bergheim-Kenten. Allerdings sind solche Maß- Maßnahmen ergriffen werden müssen, um der- maßnahmen in Hangbereichen und entlang der nahmen in den engen Oberläufen der Flüsse, artige Katastrophen in Zukunft zu verhindern. Gewässer sowie eine an zukünftige Klimaän- die häufig als Kerbtäler ausgebildet sind, also Die Schaffung weiterer Retentionsflächen, der derungen und damit einhergehende Naturge- an der Sohle sehr schmal, sowie im Bereich von Bau von Regenrückhaltebecken und Flächen- fahren angepasste Waldbewirtschaftung. Wir Flussmäandern, wie beispielsweise in Altenahr entsiegelung zählen ebenso hierzu wie Maß- sollten uns auch fragen, inwieweit die land- oder Schuld im Ahrtal, begrenzt. Deshalb sollte nahmen in der Land- und Forstwirtschaft, die wirtschaftliche Nutzung inklusive des Wein- man hier in Erwägung ziehen, auf einen Wieder- darauf zielen, die Wasserspeicherfähigkeit von baus so optimiert werden kann, dass die Bö- aufbau in unmittelbarer Flussnähe zu verzich- Böden und Vegetation zu erhöhen. den möglichst viel Wasser aufnehmen und ten und, wo möglich, auf höhere Reliefpositio- 1 speichern können und somit der Hangab- nen auszuweichen. >> 1993 (Rhein), 1997 (Oder), 2002 (v. a. Elbe und fluss reduziert wird. Hier bieten sich beispiels- Donau), 2010 (Oder) und 2013 (v. a. Donau, Elbe) weise eine Ausweitung von Ackerrandstreifen, hangparalleles Pflügen sowie Maßnahmen zur Inside out_Herbst_03/2021
18 | Lernen und Forschen „Klimaschutz und Prävention von Naturgefahren gehen unmittelbar mit dem Bodenschutz einher.” Prof. Dr. Udo Nehren lehrt und forscht zu Ökosystemmanagement an der Fakultät für Raumentwicklung und Infrastruktursysteme. Worauf kommt es beim Ökosystem- und Flä- die Forstwirtschaft darstellen. Das gilt auch für Die Fakultät für Raumentwicklung und In- chenmanagement im Hinblick auf den Kli- die Bewirtschaftung städtischer Grünflächen. frastruktursysteme arbeitet in verschie- mawandel vor allem an? Wir müssen außerdem der Rolle unserer Bö- denen regionalen Projekten mit den Kom- Grundsätzlich müssen alle heute geplanten den verstärkt Aufmerksamkeit schenken. Denn munen zusammen an der Renaturierung. ökosystembasierten Maßnahmen an zukünftige sie spielen eine zentrale Rolle im Wasserhaus- Haben Sie einen Überblick, wie viel Bedarf Klimaverhältnisse angepasst sein. Das heißt, halt: Sie nehmen Wasser auf, speichern und ge- zur Änderung des Ökosystemmanagements dass beispielsweise neu gepflanzte Bäume ver- ben es (langsam) wieder ab. Damit mindern sie es alleine in dieser Region gibt? stärkt trocken- und hitzeresistent sein müs- bei Starkniederschlägen den Hangabfluss – zu- Das lässt sich pauschal nicht sagen. Grundsätz- sen. Gleichzeitig müssen sie an Hängen eine mindest so lange, bis sie gesättigt sind. In Tro- lich geht es beim Ökosystemmanagement ja hohe Stabilität gegenüber durch Starknieder- ckenperioden stellt der Boden hingegen einen um die Erreichung verschiedener Zielsetzun- schläge induzierten Rutschungen und Erosion Restwasserspeicher für die Vegetation dar. Die gen, wie den Biodiversitätsschutz, die Klima- haben. Im Uferbereich müssen sie hingegen ei- Übernutzung der Böden hat aber dazu geführt, wandelanpassung, die Kohlenstoffspeicherung ner starken mechanischen Beanspruchung wi- dass ihre Mächtigkeit durch Erosionsprozesse und die Minderung von Naturgefahren – aber derstehen. Hinzu kommen die ökonomischen großflächig abgenommen hat. Ihre Wasserspei- auch um die Bereitstellung hochwertiger Land- Erwägungen, die bei der Suche nach geeigne- cherfähigkeit ist dadurch gemindert. Gleichzei- schaftsräume für die Naherholung und die öko- ten Baumarten eine große Herausforderung für tig wurde der Boden vielerorts durch schweres logische Wiederherstellung ehemaliger Berg- landwirtschaftliches Gerät verdichtet, so dass er bauflächen. Renaturierung verfolgt daher sehr weniger Wasser aufnehmen und halten kann. Klimaschutz und Prävention von Naturgefah- ren gehen daher unmittelbar mit dem Boden- schutz einher. Hochwasserschäden 2021 an der Erft bei Erftstadt-Blessem Inside out_Herbst_03/2021
Lernen und Forschen | 19 verschiedene Ziele und entsprechend groß ist Und was ist aus Ihrer Sicht wich- Stichwort Eigenverantwortung: Wo sol- das Portfolio von Maßnahmen. Unsere Fakultät tiger: graue Infrastruktur- oder len die Kommunen selbst entscheiden und unterstützt die Stadt Kerpen derzeit beispiels- Renaturierungsmaßnahmen? wo soll der Bund regulieren bzw. Vorgaben weise bei der Erarbeitung einer Klimaanpas- Die Diskussion, ob in grüne oder graue Infra- setzen? sungsstrategie und eines Monitoringsystems, struktur investiert werden soll, wird oft sehr Die Verantwortung für den Hochwasserschutz um Umweltveränderungen zu erfassen. emotional geführt. Häufig ist das Vertrauen der im Hinblick auf die Entwicklung von Strategien Bevölkerung in graue Infrastruktur wie Deiche, und Umsetzung konkreter Maßnahmen hat Wie viel Zeit braucht es im Durchschnitt, ein Regenrückhaltebecken oder Schutzwände grö- der Bund den Bundesländern übertragen, wo- Gebiet zu renaturieren? ßer. Ökologische Maßnahmen werden biswei- bei für einzelne Projekte des Hochwasserschut- Auch das lässt sich pauschal nicht sagen, da es len als minderwertig und weniger effektiv an- zes auch Kommunen oder Wasserverbände ver- von der Art und dem Umfang der Maßnahme gesehen, was jedoch wissenschaftlich so nicht antwortlich sein können. Gleichzeitig setzt die abhängt. Während kleinere Projekte, wie die lo- belegt werden kann. In der Realität kommt häu- Europäische Wasserrahmenrichtlinie den ge- kale Renaturierung der Ufervegetation, inner- fig eine Kombination aus grüner und grauer In- samteuropäischen Ordnungsrahmen für eine halb weniger Jahre geplant und erfolgreich frastruktur zum Einsatz. Hinsichtlich der Effek- integrierte Gewässerschutzpolitik, die als ein umgesetzt werden können, bedarf es bei grö- tivität und der Kosten muss dabei im Einzelfall Ziel die Minderung von Überschwemmungen ßeren Maßnahmen meist einiger Jahrzehnte. So entschieden werden, ob eine graue, grüne oder beinhaltet. Aus meiner Sicht kann ein effektives wurde beispielsweise der ökologische Umbau Hybridlösung zu präferieren ist. Der Hochwas- Hochwassermanagement nur dann funktionie- der Emscher 1992 begonnen und soll voraus- serschutz der Stadt Köln beispielsweise baut ren, wenn die Zuständigkeiten und Kompeten- sichtlich Ende 2021 abgeschlossen sein. auf eine solche Kombination, indem die mobile zen klar definiert sind. Diesbezüglich ist ja ge- Hochwasserschutzwand als technische Lösung rade auf politischer Ebene eine Diskussion im Wie viel kostet im Durchschnitt so eine implementiert wurde, gleichzeitig aber Reten- Gange, inwieweit die Kompetenzen des Bundes Renaturierung? tionsflächen geschaffen und naturnahe Über- und im Besonderen des Bundesamtes für Bevöl- Die Kosten hängen entscheidend von Art und schwemmungsbereiche geschützt wurden. kerungsschutz (BBK) ausgeweitet werden soll- Umfang der Maßnahme ab. Für die Renaturie- ten. Konkret gesagt: Aus meiner Sicht muss ein rungen von Fließgewässern sind unter anderem großräumiges Hochwasserrisikomanagement Kosten für Planung, Flächenankauf, Baumaß- auf Flussgebietsebene im europäischen und na- nahmen und Instandhaltung zu berücksichti- tionalen Kontext erfolgen, während lokal wirk- gen. Im Falle der großräumigen Renaturierung same Einzelmaßnahmen von Wasserverbänden der Emscher beträgt das Investitionsvolu- oder Kommunen entwickelt und implemen- men laut offiziellen Angaben rund 5,4 Milli- tiert werden sollten. Dieses Zusammenspiel von arden Euro. Kleinere Maßnahmen lassen sich Top-down- und Bottom-up-Ansätzen bedarf al- aber schon mit rund 10 Euro pro Gewässerme- lerdings einer effektiven Steuerung, bei der es ter realisieren. noch Verbesserungspotenzial gibt. Interview: Monika Probst Virtuelle Exkursion an die Erft Was tun, wenn Exkursionen in Zeiten von Corona nicht möglich sind oder Studierende aus anderen Gründen nicht teilnehmen können? Kein Problem, dann kommt die Exkursion eben zu den Studierenden nachhause. Am Institut für Technologie und Ressourcenmanagement in den Tropen und Sub- tropen (ITT) haben Studierende die Möglichkeit, der Erft einen virtuellen Besuch ab- zustatten. Im Rahmen des vom DAAD geförderten Projekts „Hybrid International Teaching & Learning Community” entwickelt Dr. Georg Lamberty mit Partnerinnen und Partnern aus der Praxis ein hybrides Lehrformat, das unverzichtbare Exkursions- erfahrungen mit den Möglichkeiten der digitalen Lehre kombiniert. Statt frontalem Online-Unterricht ermöglicht die virtuelle Exkursion den Studieren- den, sich individuell und zeitlich unabhängig mit der Fließgewässerlandschaft der Erft und den Transformationsprozessen im Rheinischen Revier vertraut zu machen. Um komplexes Fachwissen vermitteln zu können, sind die visuellen Elemente der Exkur- sion mit Inhalten aus unterschiedlichen Modulen des ITT angereichert. Der Prototyp der Anwendung wird derzeit durch Übungen, Spielelemente und fach- liche Themenstränge ergänzt (unter anderem das Hochwasser im Juli 2021), um den Studierenden interaktives Lernen zu ermöglichen. Zukünftig soll eine mobile Aug- mented-Reality-Variante den Lernenden die Vorteile einer kombinierten real-virtuel- len Exkursion bieten. Ziel der Weiterentwicklung des Prototyps ist es zudem, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich virtuelle Exkursionen unkompliziert auch in anderen Themengebie- ten erstellen lassen, beispielsweise Landschafts- und Stadtplanung oder technische Infrastrukturen. https://www.river-vision.de/vs/Erft/virtualexcursion/ Inside out_Herbst_03/2021
Sie können auch lesen