Das Wirtschaftsmagazin Nr. 2/2016 - Entwicklung der Wirtschaftsverbände Strukturwandel in der Ostschweiz seit 1880 Ostschweizer Kräfte besser ...
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WWW.IHK.CH SC HWER PU NK T 55 0 JAH RE I HK Entwicklung der Wirtschaftsverbände W I R T SC HA F T & P OL I T I K Das Wirtschaftsmagazin Nr. 2/2016 Strukturwandel in der Ostschweiz seit 1880 W I R T SC HA F T & P OL I T I K Ostschweizer Kräfte besser bündeln
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EDITORIAL 1466 – da war doch was? Aber ja! Der polnische König Kasimir IV. be- siegte den Deutschen Orden, in Strassburg wurde die erste deutsche Bibel gedruckt, Mühlhausen schloss ein Schutzbündnis mit der Eidge- nossenschaft – und die «loblich Gesellschaft des Nottenstains» wurde in St. Gallen gegründet. Es waren vor allem Kaufleute, die als Fern- händler Leinwand aus St. Gallen in halb Europa vertrieben und sich zu einer Interessensgemeinschaft zusammengeschlossen hatten. Auf fremden Märkten wie auch in der Stadtrepublik nahmen sie die wirt- schaftlichen und handelspolitischen Belange ihrer Mitglieder wahr. So- mit darf man mit Fug und Recht feststellen: Die Gesellschaft «Zum Notenstein» (die sich 1730 als «Kaufmännische Corporation» neu or- ganisierte) ist die Vorläuferin der IHK St. Gallen-Appenzell. Seit 550 Jahren also existiert unser Wirtschaftsverband, der älteste sei- ner Art in der Schweiz und der bedeutendste in der Ostschweiz. Und damals wie heute ist unsere Vereinigung von Unternehmern aus der Peter Spenger Präsident IHK St. Gallen-Appenzell Region als erfolgreiche Interessensvertreterin unserer Mitglieder und als liberales Forum wirtschaftspolitischer Anliegen aktiv und – wie es so schön heisst – in St. Gallen-Appenzell daheim und in der Welt zu Hause. Aus dieser langen Erfolgsgeschichte der IHK St. Gallen-Appen- zell lassen sich zweifellos viele eindrucksvolle Beispiele unternehmeri- schen Wagemuts und gesellschaftlichen Engagements, innovativer Projekte und bemerkenswerter Visionen, ja sogar abenteuerlicher Han- delsfahrten in ferne Länder erzählen. Daher widmet sich die vorlie- gende Ausgabe der IHKfacts in der Rubrik «Schwerpunkte» auch ei- nigen Facetten unserer IHK zwischen gestern und heute. Als Organisation blicken wir zwar stolz auf unsere traditionsreiche Ver- gangenheit zurück, aber als Unternehmer schauen wir vor allem auf die Erfordernisse unserer Gegenwart und blicken den Herausforderun- gen der Zukunft zielstrebig und entschlossen entgegen. Dafür, das ist mein grösster Wunsch als IHK-Präsident, möge unser Wirtschaftsver- band auch in den Jahren, welche unserem 550-jährigen Jubiläum fol- gen werden, Ihr Partner und unser Garant sein. Ich wünsche Ihnen eine ebenso anregende wie ertragreiche Lektüre!
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INHALT BLITZLICHT 06 Entwicklung der Wirtschaftsverbände in der Schweiz SCHWERPUNKT Wo IHK draufsteht, ist auch IHK drin 550 JAHRE IHK 08 «Von müssiggengern und köfflüt» Weshalb 1466 als Gründungsjahr der IHK St. Gallen-Appenzell gilt Siegeszug der Baumwolle und Stickereiblüte Historische Bilder zur Ostschweizer Textilgeschichte Ostschweizer Wirtschaftsgeschichte im Überblick Zeittafel über 550 Jahre IHK St. Gallen-Appenzell Von der Geschichte lernen Wie die Ostschweiz den Strukturwandel wiederholt meisterte IHK ist politisch heimatlos WIRTSCHAFT UND POLITIK 20 Wie die IHK heute zu den Parteien steht IHK-Cockpit – Wirtschaftskennzahlen aus der Ostschweiz Erste Zeichen von Erholung Das Problem mit der Kostenwahrheit Vor dem Hintergrund der «Milchkuh»-Initiative Die Ostschweiz aus Sicht von Bundesbern Persönliche Einschätzung des ehemaligen Ständerats Hans Altherr Kräfte bündeln und klare Schwerpunkte setzen Die Ostschweizer Volkswirtschaftsdirektoren im Interview Struktureller Wandel seit 1880 Wie sich die Bedeutung der Branchen in der Ostschweiz veränderte Agrarprotektionismus auf Kosten der Arbeitsplätze KNOW-HOW 36 Maestrani-CEO Markus Vettiger zur neuen Swissness-Gesetzgebung IHK-Neumitglied IHK 39 Eigenmann Unternehmungen, Wittenbach AKTUELLE FIRMENNEWS 40 NETZWERK 41 AGENDA 42
BLITZLICHT Regional bis global EcoOst-Symposium 2016: Im April führte die IHK St. Gallen-Appenzell KMU und ihr Wunsch nach zusammen mit den Stadtarchiven von Orts- Selbstständigkeit bürgergemeinde und Stadt St. Gallen sowie Rund 150 Entscheidungsträgerinnen und der Privatbank Notenstein La Roche eine -träger aus der Ostschweiz kamen für das zweiteilige Vortragsreihe zur St. Galler Wirt- dritte «EcoOst – das Symposium» zusam- schaftsgeschichte vom Mittelalter bis ins 20. men, um über das Tagungsthema «Der Jahrhundert durch. Wer die Veranstaltungen Wunsch nach Selbstständigkeit: Erfolgsre- verpasst hat, bekommt im September noch zept oder Stolperfalle für KMU?» zu disku- einmal eine Gelegenheit: IHK-Direktor Kurt tieren. Neu war der Veranstaltungsort: Das Weigelt wird dann jeweils über Mittag in drei Symposium wechselte von der Universität Regionen das Referat «Im Schnellzug durch St. Gallen ins Einstein Congress. die Ostschweizer Wirtschaftsgeschichte» hal- Urs Frey vom KMU-Institut der Universität ten. Am 15. September in Heerbrugg, am 22. St. Gallen zeigte in seinem Leadreferat auf, September in Rapperswil und am 29. Septem- welche Auswirkungen die Digitalisierung ber in Wil. auf die unternehmerische Unabhängigkeit haben kann. In drei Sessions erzählten Füh- rungspersönlichkeiten von ihrem eigenen Blick auf das Tagungsthema: Christine Bolt Politik setzt sich für IT-Bildungsoffensive ein (stellvertretende Leiterin der St.Galler Tag- Ende des letzten Jahres forderte Kurt Weigelt blatt AG), Erich Eigenmann (CEO von ESGE im Rahmen des Konjunkturforums Zukunft AG, bamix of Switzerland) und Caroline Ostschweiz eine IT-Bildungsoffensive. Vorge- Magerl-Studer (CEO, Mila d‘Opiz). schlagen wurde unter anderem, Geldmittel Bevor das Symposium mit einem EcoOst- aus dem besonderen Eigenkapital des Kan- Buffet endete, fand unter der Leitung von tons St. Gallen zur Anschubfinanzierung von Urs Wehrle, RUZ-Geschäftsführer, mit allen Bildungsmassnahmen im MINT-Bereich einzu- vier Referenten eine Podiumsdiskussion setzen. Die Realisierung dieser Forderung ist statt. jetzt ein Stück näher gerutscht: Der St. Galler Kantonsrat hat an seiner letzten Session die von einer breiten bürgerlichen Allianz einge- reichte Motion «IT-Bildungsoffensive» überwiesen. Die Fraktionen von SVP, CVP/EVP und FDP beauftragen die Regierung, «die gesetzlichen Grundlagen zur Anschubfinanzierung für eine Bildungsoffensive auf allen Stufen der MINT-Ausbildung, unter besonderer Berücksichtigung der Informatikausbildung, zu schaffen.» Züger Frischkäse AG gewinnt Export Award Mit der Züger Frischkäse AG und der Sky- Frame AG haben gleich zwei Ostschweizer Unternehmen den von Switzerland Global Enterprise (S-GE) verliehenen Export Award 2016 gewonnen. Die Züger Frischkäse AG ge- wann in der Kategorie «Success». Seit 2008 beliefert die Firma aus Oberbüren den deut- schen Bio-Fachhandel mit laktosefreien Bio- milch-Produkten. Etwa 60 Millionen Franken oder 40 Prozent des Umsatzes erzielt der fünftgrösste Milchverarbeiter der Schweiz Fotos vom EcoOst-Symposium: heute im Ausland. Herzliche Gratulation! 6 Nr. 2/2016
BLITZLICHT Ein Festkleid zum Jubiläum Zur Feier des 550-Jahr-Jubiläums erhielt der Geschäftssitz der IHK St. Gallen-Appenzell ein von Star-Designer Martin Leuthold (Jakob Schlaepfer Textiles) entworfenes «Festkleid». Wie Leuthold anlässlich der Vorstellung der Fassadengestaltung erklärte, wurden dafür historische Spitzen aus der Sammlung des Textilmuseums neu interpretiert. Die bisherigen Reaktionen sind äusserst positiv. Doch die goldene Pracht wird von begrenzter Dauer sein: Nach dem Jubiläumsjahr wird die Fassade wieder dem klassizistisch strengen Weiss weichen. Ein Videobeitrag von IHK- TV informiert über das Projekt und zeigt, wie die Fassade zu ihrem goldenen Muster kam. IHK-Festkleid auf Youtube: tunOstschweiz Geschichte auf Textilweg erleben zum Zweiten Die textile Vergangenheit St. Gallens lässt sich Nach dem letztjährigen Gross- auch auf neuen Textilwegen erleben, die erfolg wurde die von der IHK «Textilland Ostschweiz» zusammen mit mitinitiierte Erlebnisschau tun- St. Gallen-Bodensee Tourismus und dank der Ostschweiz an der OFFA 2016 Unterstützung der Ortsbürgergemeinde bereits zum zweiten Mal St. Gallen anbietet. Die zwei Wege «Stadt durchgeführt. Kinder und Ju- St. Gallen» und «St. Gallen West» sind indivi- gendliche besetzten begeistert duell begehbar. Während ersterer einen die verschiedenen Experimen- Rundgang entlang der Gebäude der St. Galler tiertische. Sie konnten rund Blütezeit darstellt, ist der zweite eine textile um die Welt funken, einen Geheimsender finden, einen Roboter tan- Zeitreise in die Natur, der vom Bahnhof zum zen lassen oder einen Schubladenalarm bauen. Mit tunOstschweiz soll Tröckneturm und zum Sitterwerk führt. Beide potenzieller Nachwuchs möglichst früh für Tätigkeiten in den Berei- Wege sind online unter www.textilweg.ch chen Informatik, Ingenieurwissenschaften oder Robotik begeistert abrufbar und mit den Gratis-Apps «Oschte» werden. Die Sonderschau wird künftig im Zwei-Jahres-Rhythmus statt- und «GPS-Tracks» können sich Interessierte finden – das nächste Mal während der OFFA 2018. digital führen lassen. Nr. 2/2016 7
SCHWERPUNKT Entwicklung der Wirtschaftsverbände in der Schweiz Wo IHK draufsteht, ist auch IHK drin Die Verbandslandschaft hat sich verändert und insbesondere die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme der Wirtschaftsverbände sind geringer als früher. Die Zeiten, als die Verwaltung auf die Sachkompetenz der Verbände angewiesen war, gehören der Vergangenheit an. Die Wirtschaftsverbände müssen ihre Rolle deshalb neu definieren. Für die IHK St. Gallen-Appenzell bedeutet dies in erster Linie eine Rückbesinnung auf ihre ursprüngliche Funktion als privat-wirtschaftlich organisierte Interessenvertreterin ihrer Mitgliedunternehmen. Im Fokus stehen Themen, die für die Zukunft unseres Wirt- schaftsstandortes wichtig sind, die aber mit Blick auf die politische Ökonomie kurz- Dr. Kurt Weigelt Direktor IHK fristig keine Rendite versprechen. Am Anfang der IHK St. Gallen-Appenzell standen Fern- des ersten Weltkrieges und den anschliessenden Krisen- händler, die sich in der freien Gesellschaft zum Notenstein jahren. Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft entwi- versammelten. Neben der Pflege der Gastlichkeit küm- ckelte sich zu einer Mischform von staatlich gelenkter und merte man sich in erster Linie um operative Aufgaben, die marktwirtschaftlich offener Ökonomie, in der die Behör- von den einzelnen Handelshäusern nicht selbst geleistet den mit den Interessenverbänden Interventionen und För- werden konnten. Dazu gehörte seit dem 15. Jahrhundert derungen absprachen. Sozialpartnerschaft und Konkor- der kaufmännische Botendienst. Von besonderer Bedeu- danz etablierten sich als nicht-kompetitive Muster der tung war zudem die Handelsdiplomatie. Weniger enga- Konfliktsteuerung. Über Jahrzehnte galt der Direktor des giert waren die Fernhändler in der Politik vor Ort. Diese Vororts, der Vorgängerorganisation von economiesuisse, dominierte das in Zünften organisierte Handwerk. Dies als achter Bundesrat, der bei der Landesregierung ein und änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. aus ging und es verstand, hinter verschlossenen Türen die Die mit der Entstehung der modernen Schweiz verbun- Interessen der Wirtschaft durchzusetzen. dene Kompetenzverlagerung nach Bundesbern verlangte nach der nationalen Organisation gruppenspezifischer In- Wirtschaftsverbände und neue Politik teressen. Das Bild einer politischen Schweiz, in der alle im gleichen Im Jahre 1870 erfolgte die Gründung des Schweizerischen Boot sitzen und dieses nach Absprachen und Verhandlun- Handels- und Industrievereins (Vorort), 1879 folgte der gen gemeinsam durch das stürmische Meer der Weltge- Gewerbeverband, 1880 der Gewerkschaftsbund und schichte lenken, hat bis heute nichts an Strahlkraft verlo- 1879 der Bauernverband. Noch vor den Parteien wurden ren. Als Verbandsvertreter treffen wir uns zu wichtigen die Spitzenverbände zur Beratung von Gesetzesvorlagen Sitzungen, schreiben fleissig Vernehmlassungen und en- herangezogen und mit dem Recht auf ständige Vertretung gagieren uns vor Abstimmungen und Wahlen. in den Expertenkommissionen des Bundes ausgestattet. So weit, so gut. Nur, hat sich wirklich kaum etwas verän- Eine wichtige Rolle spielten die subventionierten Ver- dert? Funktioniert unser politisches System noch heute bandssekretariate, welche die schwache Bundesverwal- nach den Spielregeln der zweiten Hälfte des letzten Jahr- tung für die Politikformulierung dokumentierten. Be- hunderts? Spielen unsere Spitzenverbände unverändert schleunigt wurden diese Integrationsprozesse während die Rolle eines achten Bundesrates? Fliesst unser Exper- 8 Nr. 2/2016
SCHWERPUNKT tenwissen in die Arbeit der Verwaltung ein? Eine erste Interessenvertreterin der Antwort auf diese Fragen findet man in der vom Staats- Mitgliedunternehmen sekretariat für Wirtschaft seco herausgegebenen Publika- Diese Analyse ist kein Abgesang auf die Wirtschaftsver- tion «Die Volkswirtschaft» vom Mai des vergangenen Jah- bände. Vielmehr begründet sie die Notwendigkeit, sich als res. Zitiert wird eine Studie, die aufzeigt, dass die Verband neu zu erfinden. Für die IHK St. Gallen-Appenzell Interessenverbände seit 2001 an Einfluss auf die wichtigs- bedeutet dies in erster Linie eine Rückbesinnung auf ihre ten Entscheidungsprozesse verloren haben. Erklärt wird ursprüngliche Funktion als privat-wirtschaftlich organi- dies mit der Heterogenität der Interessen, dem Bedeu- sierte Interessenvertreterin ihrer Mitgliedunternehmen. tungsverlust traditioneller Politikfelder sowie der Europä- Wir sind nicht Teil des politisch-administrativen Bereichs. isierung und der Mediatisierung der Politik. Am politischen Wettbewerb beteiligen wir uns mit eige- nen Ideen und Erwartungen. Besondere Bedeutung 13 000 neue Erlasse in zehn Jahren kommt dabei Themen zu, die für die Zukunft unseres Angesichts des Absenders nicht ganz überraschend wird Wirtschaftsstandorts wichtig sind, die jedoch mit Blick auf der aus unserer Sicht entscheidende Grund nur indirekt die politische Ökonomie kurzfristig keine Rendite verspre- angesprochen: Die bereits in den siebziger Jahren von Max chen. Als branchenübergreifender Verband kämpfen wir Horkheimer beschriebene Totalverwaltung der modernen nicht für Privilegien einzelner Betriebe oder Branchen, Gesellschaft. Zwischen 2004 und 2014 ist der Umfang der sondern für attraktive wirtschaftspolitische Rahmenbedin- Bundeserlasse von 54 000 Seiten auf 67 000 Seiten gestie- gungen. Unverhandelbare Leitlinie ist dabei die formell gen. Die öffentliche Hand hat in der jüngeren Vergangen- durch die Statuten und ideell durch unsere Geschichte de- heit monatlich mehr als 500 neue Stellen geschaffen. Al- finierte Ausrichtung auf eine weltoffene, wettbewerbs- leine das Staatssekretariat für Wirtschaft des Bundes orientierte Marktwirtschaft. Wir vertrauen auf Werte und verfügt mit deutlich mehr als 600 Mitarbeitenden über Überzeugungen. Nach unserer Ansicht liegt die Zukunft das Zehnfache an personellen Ressourcen als economie- nicht in geheimen Absprachen hinter verschlossenen Tü- suisse. Und dies, obwohl economiesuisse nicht nur mit der ren, sondern in einer für die interessierte Öffentlichkeit Wirtschaftspolitik im engeren Sinne, sondern auch mit nachvollziehbaren politischen Auseinandersetzung. Dabei Fragen der Finanz- und Steuerpolitik, der Infrastruktur, kommt den modernen Kommunikationsinstrumenten von Energie und Umwelt, der Bildung, der Raumpolitik eine zentrale Bedeutung zu. Unser Ziel ist der direkte Aus- und vielem mehr befasst ist. Der IHK St. Gallen-Appenzell tausch mit unseren Mitgliedunternehmen und der Bevöl- stehen für die Bearbeitung der politisch relevanten Dossi- kerung. ers auf kantonaler und nationaler Ebene weniger als 200 Die IHK St. Gallen-Appenzell ist kein exklusiver Club, son- Stellenprozente zur Verfügung. dern steht allen Unternehmen offen, die sich zu unseren Die Zeiten, als die Verwaltung auf die Sachkompetenz der Grundsätzen bekennen. Dies alles setzt voraus, dass wir Verbände angewiesen war, sind Vergangenheit. Heute auch finanziell auf eigenen Beinen stehen. Wir funktio- werden neue Gesetze und vor allem die vielfach entschei- nieren wie ein Unternehmen und finanzieren unsere Ar- dendere Überarbeitung bestehender Erlasse von einer beit zusätzlich zu den Mitgliederbeiträgen über den Ver- kaum überblickbaren Zahl an verwaltungsinternen Exper- kauf von Dienstleistungen. Nur in Ausnahmefällen können ten im stillen Kämmerlein erarbeitet. Die traditionellen wir die immer wieder an uns herangetragene Erwartung Mitwirkungsverfahren kommen in der Regel zu spät. Die erfüllen, unsere Organisation für Aktivitäten und Bot- vorparlamentarische Phase hat an Bedeutung eingebüsst. schaften von Dritten zur Verfügung zu stellen. Wo IHK Auf verschiedenen Ebenen wird daher versucht, den Gang draufsteht, muss auch IHK drin sein. Möglicherweise tönt politischer Geschäfte über die von politischen Parteien ge- dies alles mehr als nur selbstverständlich. Mit dem tradi- prägte Parlamentsarbeit zu beeinflussen. Allerdings gilt tionellen Selbstverständnis eines Wirtschaftsverbandes dies nicht nur für Verbände, sondern noch viel ausgepräg- des zwanzigsten Jahrhunderts hat dies jedoch nur wenig ter für Lobbyisten im Auftrage von Partikularinteressen. zu tun. Wir träumen nicht mehr vom achten Bundesrat, Mit dem Bedeutungsverlust der vorparlamentarischen von der möglichst grossen Nähe zu verwaltungsinternen Phase haben die Verbände die über Jahrzehnte von ihnen und parteipolitischen Entscheidungsträgern, negativ oft besetzte Alleinstellung im politischen Prozess verloren. als «Filz» oder auch als «classe politique» umschrieben, Dies mit spürbaren Konsequenzen für die Wirtschafts- sondern von einer aktiven, selbstbewussten und unabhän- politik. Reparaturversuche im Umfeld parlamentarischer gigen Teilnahme am politischen Wettbewerb sowie einer Debatten und bei Volksabstimmungen sind weit weniger offenen und ehrlichen Zusammenarbeit mit den Behörden erfolgsversprechend als die ursprüngliche Einflussnahme und den politischen Parteien. Der Kompromiss gehört auf die verwaltungsinterne Vorbereitung von Geschäften. nicht an den Anfang, sondern an das Ende der Debatte. Nr. 2/2016 9
PUBLIREPORTAGE «Leasing gehört zu einem optimalen Finanzierungsmix» Investitionsgüterleasing senkt die Finanzierungskosten und schont die Eigenmittel. Das macht diese Finanzierungsform in wirtschaftlich herausforderungsreichen Zeiten wie heute besonders interessant. Alfred Schaub Die Migros Bank hat sich über die Jahre hinweg ein profundes Know- Leiter Firmenkunden Ostschweiz how im Investitionsgüterleasing aufgebaut: Sie bietet kompetente alfred.schaub@ migrosbank.ch Beratung, verbunden mit fairen Preisen und einer schnellen Abwick- T 071 228 53 30 lung. Viele Schweizer Unternehmen sind zierung nach dem Motto «pay as you earn» Phase des Unternehmenslebenszyklus ist es ein- mit Kostendruck und sinkenden spart gleichzeitig Eigenmittel, und bestehende mal mehr entscheidend, gute Berater an seiner Margen konfrontiert. Welche Vor- Kreditlimiten bleiben unberührt. Zudem fallen Seite zu wissen – wie jene der Migros Bank. teile bringt das Investitionsgüter- bei vergleichbarer Bonität die Finanzierungs- leasing in diesem herausfordern- kosten tiefer aus als bei einer Kreditfinanzie- Warum soll ein Unternehmen für den Umfeld? rung, denn das Leasingobjekt dient der Bank Investitionsgüterleasing zur Migros Remo Montesi: Heute muss in der Schweizer als Sicherheit. Bank? Wirtschaft jeder Franken zweimal umgedreht Alfred Schaub: Ein weiterer Vorteil ist, dass Alfred Schaub: Wir sind die sympathische werden, und der Einsatz liquider Zahlungsmit- Leasing eine individuelle Vertragsgestaltung Bank für KMU-Betriebe sowie für Unterneh- tel will sorgfältig überlegt sein. Eine interes- z.B. hinsichtlich Rückzahlungsraten und Lauf- men der öffentlichen Hand wie z.B. Spitäler, sante Lösung für Finanzierungen ist das Inves- zeit bietet. Diese beträgt bei Leasingverträgen Verkehrs- und andere Gemeindebetriebe. Wir titionsgüterleasing, wie es die Migros Bank normalerweise 36 bis 84 Monate. Bei sehr bieten Investitionsgüterleasing als hauseigenes anbietet. Denn die Leasingraten lassen sich so langlebigen Investitionsgütern wie z.B. Infra- Produkt an und stehen somit mit unserem gestalten, dass sie aus dem erwirtschafteten strukturprojekten werden auch Laufzeiten Namen hinter dieser Dienstleistung. Unsere Umsatz bezahlt werden können. Diese Finan- von bis zu 12 Jahren angeboten. Damit ist Kunden attestieren uns hohe Fachkenntnis, Leasing – abgesehen von einer Hypothek – verbunden mit einem fairen Preis und einer oft die einzige Möglichkeit für langfristige schnellen Abwicklung. Dabei sollten Sie das Finanzierungen. Viele Banken offerieren Fest- Beratungsgespräch bereits dann suchen, wenn darlehen nur mit einer Vertragsdauer von Sie in Ihrem Betrieb die Budgets für das Folge- maximal fünf Jahren. jahr besprechen. Wenn Leasing frühzeitig ins Spiel gebracht wird, steht zum Investitionszeit- In den nächsten Jahren steht bei punkt ein optimaler Finanzierungsmix bereit. vielen KMU-Betrieben eine Unter- nehmensnachfolge an. Kann Lea- sing helfen, die Kosten der Nach- folgelösung zu optimieren? Remo Montesi: Die Herausforderung besteht oft darin, einerseits betriebsnotwendige Inves- Kompetenzzentrum Leasingfinanzierungen titionen in den allenfalls überalterten Maschi- T 044 839 88 55 nen- und Fuhrpark vorzunehmen. Andererseits leasing@migrosbank.ch sind gleichzeitig Liquidität und Eigenmittel so weit zu schonen, dass die für die Nachfolgefi- Die Migros Bank ist in der Ostschweiz 11-mal nanzierung aufgenommenen Darlehen fristge- vertreten: Amriswil, Buchs SG, Chur, Frauenfeld, Alfred Schaub, Leiter Firmenkunden Ostschweiz (links) recht zurückgeführt werden können. Diesen Kreuzlingen, Pfäffikon SZ, Rapperswil, St. Gallen, Remo Montesi, Leiter Kompetenzzentrum Leasingfinanzierungen (rechts). Spagat schafft Leasing. In dieser wichtigen Schaffhausen, Wil SG und Winterthur. 10 Nr. 2/2016
SCHWERPUNKT Baumwoll- und Stickereiblüte 1 2 3 4 5 1 Weberpaar in einem Ostschweizer Webkeller, 2 Historische Aufnahme einer Stickmaschine 3, 4, 5 St. Galler Stickerei zur Zeit des Jugendstils, Aquarell, Johannes Schiess, um 1830, Graphische (Bibliothek Textilmuseum) vor dem Ersten Weltkrieg, vermutlich in Paris Sammlung der ETH Zürich (aus «Geschichte im (aus «Geschichte im Tröckneturm» von Ernst Tröckneturm» von Ernst Ziegler, Typotron AG) Ziegler, Typotron AG) Nr. 2/2016 11
SCHWERPUNKT Weshalb 1466 als Gründungsjahr der heutigen IHK St. Gallen-Appenzell gilt «Von müssiggengern und köfflüt» Schon die St. Galler Fernhändler des 15. Jahrhunderts hatten mit Einschränkungen im Warenverkehr zu kämpfen: Zölle, Währungsschwierigkeiten und protektionistische Wirtschaftszweige stellten die Herausforderungen dar. 1466 gründeten St. Galler Kauf- leute die Gesellschaft zum Notenstein, die Vorgängerin der heutigen IHK St. Gallen- Appenzell, um gemeinsam für freiheitliche Rahmenbedingungen einzustehen. Die Ge- schichte der IHK hält noch viele historisch wichtige Daten parat: Die Marktordnung von 1637, die Überführung in die Kaufmännische Corporation 1730 oder die Fusion von Kaufmännischer Corporation und dem Handels- und Industrieverein im Jahr 1991. Dr. Kurt Weigelt Direktor IHK Bekanntlich gibt es nichts Neues unter der Sonne. Dies gilt Welches Datum ist zu feiern? auch für die Herausforderungen im grenzüberschreiten- Nun kann man sich natürlich zu Recht fragen, ob es legi- den Warenverkehr. Die St. Galler Fernhändler, die ab dem tim ist, das Jahr 1466 als Gründungsdatum der IHK 15. Jahrhundert mit ihrer Leinwand ganz Europa bedien- St. Gallen-Appenzell zu feiern. Wäre das passende Ereignis ten, hatten mit Logistikproblemen zu kämpfen. Ihre Trans- nicht vielmehr die Marktordnung von 1637 oder das Jahr porte blieben oft tagelang liegen. Behindert wurde der 1730, als sich die aus der Gesellschaft zum Notenstein Fernhandel zudem durch Abgaben am Bestimmungsort herausgewachsene Kaufmannschaft als Kaufmännische und durch Brücken- und Durchfuhrzölle. Dazu kamen Corporation ein eigentliches Organisationsstatut gab? Währungsschwierigkeiten. Die wirtschaftliche Entwick- Oder gehören wir gar zur Generation Y? 1991 fusionier- lung beeinträchtigten aber auch hausgemachte Vorschrif- ten. Die Zunftverfassung der Stadt St. Gallen schützte das heimische Handwerk. Der Einfuhr von Leinwand aus Über- see, dem Allgäu, stand man ablehnend gegenüber. In St. Gallen hergestellte oder gehandelte Artikel mussten hier gebleicht und gefärbt werden. Dies alles, so Hans Ru- dolf Leuenberger in seinem Buch zum 500-Jahr-Jubiläum der Kaufmännischen Corporation, förderte den Schulter- schluss der Fernhändler. Ein früher Hinweis auf eine Ge- sellschaft der Kaufleute findet sich um 1350. Im Stadtsat- zungsbuch gibt es die Bestimmung, dass die Ratsherren sowie die «müssiggenger und die köfflüt» gehalten wa- ren, bei inneren Unruhen direkt den Bürgermeister aufzu- suchen. Dies im Gegensatz zu den Mitgliedern der Zünfte, deren erste Anlaufstelle der Zunftmeister war. Die erste urkundlich nachweisbare Organisation der St. Galler Kauf- leute bildete die Gesellschaft zum Notenstein, «deren An- fang war auf 15. August 1466». 12 Nr. 2/2016
SCHWERPUNKT ten der Handels- und Industrieverein und die Kaufmänni- torischer Dokumente zu belegen versuchte. 1891 erklärte sche Corporation zur heutigen Industrie- und Handels- man den Bundesbrief von 1291 zur Gründungsurkunde kammer St. Gallen-Appenzell. der Schweiz. Tatsache ist, dass im Jahre 1966 die Kaufmännische Cor- poration unter grosser öffentlicher Anteilnahme ihr Rückversicherung in der Geschichte 500-Jahr-Jubiläum feierte. Und ebenfalls offensichtlich ist, Es war wohl auch dieser zeitgeschichtliche Zusammen- dass die gemeinsame Interessenwahrung der Kaufleute in hang, der das älteste bekannte Mitgliederverzeichnis der St. Gallen eine jahrhundertealte Tradition hat. Der Bezug Gesellschaft zum Notenstein und damit das Jahr 1466 an auf das Jahr 1466 hingegen hat weniger einen operativen den Anfang unserer Organisation stellte. Die historische als einen politischen Hintergrund. Nach dem Sonder- Dimension diente als Anker in einer Zeit, in der Gewohn- bundskrieg und der Staatsgründung im Jahre 1848 war tes verschwand und Neues entstand. Je unaufhaltsamer die Schweiz in besonderem Masse darauf angewiesen, die ein Modernisierungsprozess voranschreitet, desto stärker Einigung im Innern zu fördern. Ihren Höhepunkt erreichte scheint das Bedürfnis nach Rückversicherung in der eige- die nationale Versöhnungskultur vor der Jahrhundert- nen Geschichte zu sein. Eine Erfahrung, die bis heute wende. In Schriften, Denkmälern, Umzügen, Schützenfes- nichts an Aktualität verloren hat. ten und Landesausstellungen feierte man die Freiheits- kriege der alten Eidgenossen und das Schweizer Alpenland als die zentralen Elemente einer spezifisch nationalen Identität. Dazu gehörte, dass man die eigenen Anfänge in möglichst frühe Zeiten zurückverlegte und mittels his- Der Beginn der IHK-Zeit- rechnung: Protokollbuch der Gesellschaft zum Versand von Ostschwei- Notenstein aus dem zer Leinwand – dem Jahre 1466 (aus: 500 wichtigsten Exportartikel Jahre Kaufmännische der Schweiz im 16. Jahr- Corporation St. Gallen, hundert. 1966) Nr. 2/2016 13
SCHWERPUNKT Ostschweizer Wirtschaftsgeschichte, zusammengetragen von IHK-Direktor Kurt Weigelt 550 Jahre IHK 15. Jahrhundert 16. Jahrhundert 17. Jahrhundert Beginn der Renaissance und Übergang Die politische Landschaft Europas befin- Der Dreissigjährige Krieg führt in Mittel- zur Neuzeit. Die Menschen befreien sich det sich im Umbruch. Kopernikus, Paracel- europa zu einer politischen und wirt- von den Zwängen des Mittelalters. Durch sus, Leonardo da Vinci und andere ent- schaftlichen Katastrophe. Dazu kommen die Entwicklung von Wirtschaft und Han- wickeln Kunst und Wissenschaft. Martin verheerende Pestepidemien. Frankreich del entstehen neue Machtzentren. Guten- Luther löst als theologischer Urheber die wendet sich von den Grundsätzen der re- berg erfindet den Buchdruck, Kolumbus Reformation aus. ligiösen Toleranz ab. entdeckt Amerika. St. Gallen wird reformiert, zwischen Abtei In den 1630er-Jahren konstituiert sich neu Der St. Galler Leinwandhandel entwickelt sich und Stadt baut man eine Schiedmauer. Die eine Generalversammlung sämtlicher Kauf- zur ersten Exportindustrie der Eidgenossen- Gesellschaft zum Notenstein verkauft ihr Ge- und Ladenleute. Diese übernimmt die opera- schaft. Als Gegengewicht zu den Zünften or- sellschaftshaus am Obstmarkt an die Stadt tiven Aufgaben der Gesellschaft zum Noten- ganisieren sich die Fernhändler in der freien und bezieht einen turmartigen Bau beim stein, die als gesellschaftliche Vereinigung Gesellschaft zum Notenstein. Das älteste be- Brühltor. Dank der im Ewigen Frieden von vornehmer Familien bestehen bleibt. Die po- kannte Mitgliederverzeichnis stammt aus 1516 mit Frankreich vereinbarten Handelspri- litischen Verwerfungen in den Absatzmärkten dem Jahre 1466. Die wichtigsten Aufgaben vilegien nimmt die Bedeutung Lyons für den belasten die St. Galler Leinwandindustrie. Die liegen in der Handelspolitik und in der Orga- St. Galler Leinwandhandel stetig zu. Zunftverfassung verhindert jedoch eine An- nisation des kaufmännischen Botendienstes, passung von Produkten und Produktion an dem Nürnberger und Lyoner Ordinari. die neuen Umstände. In Hauptwil und Trogen entstehen Konkurrenzstandorte. 1685 rich- ten die Kaufleute für die Hugenottenflücht- linge die «Eglise française de Saint-Gall» ein, die noch heute unter dem Patronat der IHK St. Gallen-Appenzell steht. Von der mittelalterlichen Leinwandindustrie zum Stickerei-Welthandel, Emil Rittmeyer, Öl auf Leinwand, 1881, Textilmuseum St. Gallen, Leihgabe der IHK St. Gallen-Appenzell 14 Nr. 2/2016
SCHWERPUNKT 18. Jahrhundert 19. Jahrhundert 20. Jahrhundert Die Aufklärung verändert die Welt. Vorerst In Europa und in Nordamerika setzen sich Zwei Weltkriege prägen die Welt und herrscht aber noch die alte Ordnung. Mit Marktwirtschaft und Industrialisierung trennen Völker. 1989 wird in Berlin die der Erklärung der Menschenrechte in Ame- durch. Die Eisenbahn beschleunigt den Mauer niedergerissen, der real existie- rika und der Französischen Revolution be- wirtschaftlichen Wandel. Nach 1870 ge- rende Sozialismus verabschiedet sich von ginnt eine neue Zeitrechnung. Nach dem rät der liberale Aufbruch ins Stocken und der Weltbühne. Im gleichen Jahr ent- Einmarsch französischer Truppen geht die wird durch protektionistische Tendenzen wickelt Tim Berners-Lee am Cern in Genf alte Eidgenossenschaft unter. bedrängt. das Internetprotokoll. Zeit und Raum sind nicht mehr, was sie über Jahrhunderte Baumwollprodukte verdrängen die Leinwand. Die Verbesserung der Handstickmaschine und waren. Die starke Stellung der Zunft der Weber er- die Erfindung der Schifflistickmaschine lösen schwert in der Stadt St. Gallen den Struktur- einen kometenhaften Aufstieg der St. Galler Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und wandel. 1730 gibt sich die aus der Gesell- Stickerei aus. Sie wird zum wichtigsten Ex- der anschliessenden Weltwirtschaftskrise ge- schaft zum Notenstein herausgewachsene portprodukt der Schweiz. Gleichzeitig ent- rät die Stickereiindustrie in eine tiefe Krise. Die Kaufmannschaft als Kaufmännische Corpora- wickelt sich die Textilmaschinenindustrie. meisten Unternehmen verschwinden. Heute tion ein eigentliches Organisationsstatut. 1864 verkauft die Kaufmännische Corpora- arbeitet noch ein Prozent der Erwerbstätigen 1753 werden die ersten Mousselinegewebe tion ihr Postgebäude (heute Stadthaus) und der Ostschweiz in der Textilindustrie. Nach wie bestickt. Die Handstickerei wird in der ganzen bezieht als neuen Geschäftssitz die Nachbar- vor gibt es aber bedeutende Textilunterneh- Ostschweiz rasch zu einem wichtigen Wirt- liegenschaft, das «Haus zum Engelskopf». men, die mit kreativen, innovativen und hoch- schaftsfaktor. 1798 liquidiert man mit den Da die Kaufmännische Corporation nur Stadt- wertigen Produkten den Namen «St. Gallen» Zünften auch die Gesellschaft zum Noten- bürgern offensteht, gründen Exportkaufleute in die ganze Welt tragen. 1991 fusionieren die stein. 1875 den Handels- und Industrieverein. Kaufmännische Corporation und der Handels- und Industrieverein zur Industrie- und Han- delskammer St. Gallen-Appenzell. Nr. 2/2016 15
SCHWERPUNKT Wie die Ostschweiz den Strukturwandel im 18. Jahrhundert wiederholt meisterte Von der Geschichte lernen Die Leinwand – das weisse Gold – stand über Jahrhunderte hinweg für den wirtschaftli- chen Erfolg von Stadt und Region St. Gallen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts lief je- doch die Baumwolle der Leinwand den Rang ab. Die immer strikteren Reglementierun- gen konnten diesen Strukturwandel auch nicht aufhalten. Dank weltoffener und inno- vativer Unternehmer knüpfte die Ostschweiz aber bald wieder an ihre Erfolge an. Im 19. Jahrhundert wurde die St. Galler Stickerei zum wichtigsten Exportprodukt der Schweiz und machte die Ostschweiz zu einer der wohlhabendsten Regionen der Schweiz. Dr. Kurt Weigelt Direktor IHK Von Jacob Burckhardt stammt die Erkenntnis, dass Ge- rung des Handwerks. Man setzte alles daran, abge- schichte nicht klug für ein andermal, sondern weise für schirmt von äusserer Konkurrenz arbeiten zu können. Die immer macht. Es geht nicht um Rezepte, sondern um Er- ersten Unternehmer, die im Baumwollgewerbe fabrizier- kenntnisse. Und diese lassen sich nicht an einzelnen Er- ten, zwang man, der Zunft der Leinwandweber beizutre- eignissen, an Jubiläumsjahren, sondern nur an langfristi- ten. Zudem wurden auch auf Baumwollartikeln die lein- gen gesellschaftlichen Prozessen festmachen. Dabei interessieren insbesondere die Phasen der grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Weichenstellun- gen. Welche Kräfte waren die Treiber der Veränderung? Wer blockierte? Was führte zu radikalen politischen Um- wälzungen? Was braucht es, damit eine erfolgreiche Ge- sellschaft nicht den Anschluss verliert? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, lohnt sich der Blick zurück ins 18. Jahrhundert. Die Ostschweizer Wirtschaft und damit der Wohlstand der ganzen Region stand zur Disposition. Über Jahrhunderte hatte die Leinwand – das weisse Gold – den wirtschaftlichen Erfolg von Stadt und Region St. Gallen begründet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte jedoch ein Strukturwandel ein, der alles in Frage stellen sollte. Die Baumwolle begann die Leinwand zu verdrängen. Entscheidend für den Niedergang waren je- doch weniger veränderte Kundenbedürfnisse als vielmehr die wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Stadt St. Gallen. Die einflussreichen Weberzünftigen wollten ihre Artikel weiterhin nach der aus dem Mittelalter stam- menden Produktionsweise herstellen. Dazu gehörte die mit der Zunftverfassung verbundene strikte Reglementie- 16 Nr. 2/2016
SCHWERPUNKT wandspezifischen Abgaben erhoben. Dies führte zu einer das Jahr 1753, als die Firma Gonzenbach, Schlumpf und Verlagerung der Produktion ausserhalb der Stadt. Im Söhne die ersten Mousseline-Stücke zum Besticken ins Jahre 1752 rief der Kleine Rat die «Leinwatcassa» ins Le- Vorarlberg brachte. Die Handstickerei entwickelte sich ben, welche finanziell bedrängten Kaufleuten Darlehen rasch und beschäftigte bald einmal Zehntausende von gewährte. Bei all diesen wirtschaftspolitischen Massnah- Heimarbeiterinnen. Nach 1865, also rund hundert Jahre men ging es nicht nur um den Versuch, den Wandel auf- später, löste die Verbesserung der Handstickmaschine und zuhalten und die eigenen wirtschaftlichen Privilegien zu die Erfindung der Schifflistickmaschine einen kometenhaf- sichern. Vom Festhalten an der alten Produktionsweise ten Aufstieg der St. Galler Stickerei aus. Sie wurde vorü- erhoffte man sich eine Garantie der bestehenden sozialen bergehend zum wichtigsten Exportprodukt und die Ost- Ordnung. Alles sollte so bleiben, wie es angeblich einmal schweiz zu einer der wohlhabendsten Regionen der war. Eine Illusion, die mit dem Einmarsch der Franzosen Schweiz. im Jahre 1798 jäh zerplatzte. Die Stadtrepublik und mit ihr die Zünfte und die Gesellschaft zum Notenstein wur- Weltoffen, innovativ und unabhängig den liquidiert. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass weltoffene und innovative Unternehmer die treibenden Kräfte des Der Weg aus der Leinwandkrise Strukturwandels im 18. Jahrhundert waren. Wohl kein Trotz all dieser politischen Abwehrmassnahmen liess sich Zufall ist, dass diese als Einwanderer oder als europaweit der Strukturwandel an den Stadtmauern nicht aufhalten. tätige Kaufleute in der Stadtpolitik nur eine untergeord- Peter Bion, ein Einwanderer aus Heidelberg, liess als Erster nete Rolle spielten. Ihre Unabhängigkeit erlaubte es aus Leinen- und Baumwollgarn Barchentstoffe herstellen. ihnen, Bestehendes in Frage zu stellen und mit neuen Zunehmend offen für Veränderungen zeigten sich auch Produkten und vor allem mit einer neuen Produktions- die vornehmen Kaufleute. Zwar waren diese in eigener weise auf veränderte Bedürfnisse und Rahmenbedingun- Sache alles andere als ordnungspolitische Sonntagsschü- gen zu reagieren. Der Weg aus der Leinwandkrise führte ler. Da sie jedoch im Gegensatz zu den Zunftherren nicht nicht über politisch motivierte Sicherheitsversprechen in Produktionsgüter vor Ort investiert waren und ihr Geld und die Garantie des Status quo. Entscheidend waren ausserhalb der Stadt verdienten, wollten sie die neuen vielmehr veränderungsbereite Persönlichkeiten, die nicht Chancen nutzen. Im Appenzellischen liessen sie Baum- den mit dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen wolltücher weben, die sich zum Bedrucken eigneten. Wandel verbundenen Gegenwind bekämpften, sondern Hans Jacob Kirchhofer stellte als Erster Mousseline-Ge- die Segel neu setzten. webe her. Als das Geburtsjahr der St. Galler Stickerei gilt Während Jahrhunderten machten Leinwand- produktion und -handel den Erfolg von Stadt und Region St. Gallen aus: St. Gallen gegen Nord- westen mit Bleichen (Öl auf Leinwand, um 1675), Historisches Museum St. Gallen Nr. 2/2016 17
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Das Verhältnis der IHK zu den Parteien Politisch heimatlos Wie in der Gesellschaft insgesamt spielt auch für die IHK St. Gallen-Appenzell Parteipo- litik kaum mehr eine Rolle. Dennoch ergreift die IHK Partei – für ihre Mitgliedunterneh- men. Parteipolitisch ist unser Verband aber weitgehend heimatlos geworden. Niemand vertritt die IHK-Positionen vollumfänglich. Die grössten Schnittmengen sind bei SVP und FDP auszumachen – allerdings auch dort mit bedeutenden Abstrichen. Die eidgenössischen und kantonalen Wahlkämpfe sind Wahlen schielend – die eigenen Grundwerte verwässern. Robert Stadler geschlagen, der politische Pulverdampf verzieht sich lang- Stattdessen entscheidet er sachbezogen und im langfris- Leiter Kommunikation / sam. Auch die IHK St. Gallen-Appenzell hat die Wahlen tigen Interesse des Wirtschaftsstandortes Ostschweiz. Stv. Direktor IHK aktiv begleitet, Informationsarbeit bei den nationalen Bei seinen Entscheiden orientiert sich der IHK-Vorstand Wahlen geleistet und Empfehlungen für die St. Galler Re- jeweils an einem Referenzrahmen, der die aus unserer gierungswahlen abgegeben. Zentral war dabei stets die Sicht entscheidenden wirtschaftsaftspolitischen Leitplan- Frage, welche Vertreterinnen und Vertreter am ehesten im ken skizziert: Prosperierende Wirtschaft, funktionierende Sinne unserer Mitglieder politisieren und sich für best- Marktwirtschaft, liberaler Arbeitsmarkt, freies Unterneh- mögliche Rahmenbedingungen einsetzen. Denn wir ver- mertum, offener Zugang zu Weltmärkten, führender Bil- stehen uns in erster Linie als Dienstleister für unsere Mit- dungs- und Forschungsplatz, wettbewerbsfähige Finanz- gliedunternehmen. und Steuerpolitik, leistungsfähige Infrastruktur, sichere und kompetitive Energieversorgung und effizienter Schutz Klare wirtschaftspolitische Leitplanken der Umwelt. Jede Abstimmungsparole oder Wahlempfeh- Im Gegensatz zu anderen Verbänden ist der IHK-Vorstand lung wird jeweils an diesen Positionen gemessen. nicht parteipolitisch zusammengesetzt. Von den allermeis- ten Vorstandsmitgliedern ist nicht einmal bekannt, ob sie IHK-Politrating bildet kantonale Politik ab überhaupt parteigebunden sind. Trotzdem nimmt unser Zur Halbzeit der ablaufenden Legislatur im St. Galler Kan- Vorstand sehr wohl politische Verantwortung wahr: Er dis- tonsrat wurde das IHK-Politrating lanciert. Dieses zeigt an- kutiert über Abstimmungsvorlagen und beschliesst Paro- hand der Auswertung ausgewählter Abstimmungen im len. Dabei ist er jedoch keinen parteipolitischen Winkel- Kantonsparlament, welche Parteien sich im Sinne der IHK zügen verpflichtet und muss auch nicht – auf die nächsten wirtschaftsfreundlich verhalten. Kurz vor den letzten Kan- 20 Nr. 2/2016
WIRTSCHAFT UND POLITIK tonsratswahlen wurde das Rating aktualisiert. Rechnet dafür an ihrer Staatsnähe. Sie war die erste und lange Zeit man das Ergebnis in eine Prozent-Wertung um, wobei dominierende Partei auf Bundesebene. Im Kanton St. Gal- 100 % maximale Wirtschaftsfreundlichkeit und 0 % ma- len war sie hinter der CVP die starke politische Kraft. Die ximale Wirtschaftsfeindlichkeit bedeuten, dann ergab sich beiden Parteien, die sich in innigem Kulturkampf gegen- folgendes Bild: Die SVP-Vertreter im Kantonsrat erreichten überstanden, teilten sich die staatlichen Pfründe unterein- einen Wert von 77 % Wirtschaftsfreundlichkeit, gefolgt ander auf. «Staatstragende» FDP bedeutete vor allem, dass von der FDP mit 72 %. Bereits mit deutlichem Abstand sich viele Parteigänger im Solde des Staates wiederfanden, folgten GLP (53 %), CVP (51 %) und die mittlerweile aus während die Partei das Lied von der freien Marktwirtschaft dem Parlament verschwundene BDP mit 50 %. Als wirt- und dem schlanken Staat sang. Dies ist in abgeschwächter schaftsfeindlich muss die ebenfalls nicht mehr im neuen Form noch heute so. Die FDP ist noch immer ein guter Kantonsrat vertretene EVP mit 38 % gelten – gar nicht zu Nährboden für viele Karrieren in der öffentlichen Verwal- sprechen von der SP (12 %) und den Grünen (10 %). tung. Die Staatsnähe ist an der Delegation im St. Galler Aus diesem Ergebnis lässt sich jedoch nicht ableiten, dass Kantonsrat abzulesen: Von der neu 26-köpfigen Fraktion die SVP für die IHK St. Gallen-Appenzell per se die wirt- bezieht mehr als die Hälfte den Lohn vom Steuerzahler; schaftsfreundlichste Partei wäre, auch wenn dies von SVP- zehn FDP-Ratsmitglieder präsidieren eine Gemeinde oder Vertretern gerne so dargestellt wird. Denn das IHK-Polit Schulbehörde. So wirtschaftsfreundlich die Einzelnen auch rating beurteilt ausschliesslich die Arbeit der Parteien im denken mögen: Es bestehen Abhängigkeiten zum Staat, St. Galler Kantonsrat. Die Aktivitäten auf eidgenössischer die in ihrer Politik früher oder später zum Tragen kommen. Ebene bleiben ausgeblendet. Öffnet man aber den Blick- winkel, muss leider festgestellt werden, dass keine einzige CVP – die undefinierbare Mitte Partei die Positionen und Werte der IHK wirklich abdeckt: Ähnlich liegt der Fall bei der CVP. In den Kantonen Appen- zell Innerrhoden und St. Gallen war die CVP die dominie- Beurteilung der einzelnen Parteien rende Partei. Seit der Einführung des proportionalen SVP – die Nationalisten Wahlverfahrens 1912 erreichte sie im Kanton St. Gallen Im St. Galler Kantonsrat ist die SVP die verlässlichste Kraft, bis zu den 90er Jahren stets einen Wähleranteil von über um das stetige Staatswachstum zu drosseln. Allerdings ist 40 %. Einzig während des zweiten Weltkrieges sank die- auch sie nicht vor Schandtaten gefeit. So hatte sie der Mo- ser minim unter diese Marke. In den 1970er Jahren hielt tion für eine stärkere Regulierung in der Gastronomie die CVP sogar die absolute Mehrheit im Kantonsparla- noch deutlich zugestimmt. Die eigentliche Gesetzesrevi- ment. Tempi passati. Bei den letzten Kantonsratswahlen sion dazu lehnte sie dann allerdings knapp ab. Im Rat erreichten die Christdemokraten gerade noch 20 % und spielte ausgerechnet ein SVP-Vertreter das Zünglein an der liegen gleichauf mit dem Freisinn. Die traditionelle Macht Waage: Dank des Stichentscheides des Kantonsratspräsi- spiegelt sich aber wie bei der FDP in zahlreichen Verwal- denten wurde die protektionistische Gesetzesrevision tungskarrieren mit CVP-Parteibuch. Hinzu kommt, dass bachab geschickt. Weit stärker ins Gewicht fallen jedoch die Partei trotz immer schmaler werdenden Basis nach wie viele eidgenössische Positionen der wählerstärksten Par- vor sehr breit aufgestellt ist: Hier treffen stramm Bürger- tei. Die SVP verdankt ihre Wahlerfolge vor allem dem liche auf Christlichsoziale oder konservative Landvertreter Schüren von Ängsten gegenüber Ausländern und allen auf liberalere Städter. Nicht umsonst gilt die CVP als poli- fremden Einflüssen sowie dem Zelebrieren längst vergan- tisch unsicherer Partner, der zwischen den Positionen la- gener Schweiz-Mythen. Eine solche Grundhaltung steht viert und niemandem zu fest auf die Füsse tritt. völlig im Widerspruch zur weltoffenen und zukunftsopti- mistischen Sicht einer IHK St. Gallen-Appenzell, die sich SP und Grüne – die Geldverteiler seit jeher für offene Grenzen einsetzt. Während die Ost- Wenig zu sagen gibt es zu den beiden linken Parteien, SP schweizer Wirtschaft weitgehend vom Export in den EU- und Grüne. Mit Ausnahme gewisser Positionen in der Raum lebt, torpediert die SVP laufend die Bilateralen Ver- Aussen- oder in der für einen Wirtschaftsverband weniger träge und setzt den wirtschaftlichen Erfolg aufs Spiel. relevanten Gesellschaftspolitik gibt es in den Zielen und Massnahmen wenig Gemeinsamkeiten. In den meisten für FDP – die Staatstreuen die Wirtschaft wichtigen Themen wie Arbeitsrecht, Sozi- Die Liberalen politisieren insgesamt wirtschaftsfreundlich. alstaat oder Regulierungsdichte vertreten die Sozialdemo- Sie treten etwas weniger hart auf die Finanzbremse, weh- kraten und Grünen das Gegenteil einer freien Marktwirt- ren sich dafür am stärksten gegen protektionistische Ten- schaft. Sie meinen es gut, verteilen Geschenke und denzen. Ihre liberale Grundhaltung entspricht am ehesten nehmen in Kauf, dass damit langfristig der Wirtschafts- jener der IHK – zumindest auf dem Papier. Die FDP krankt standort und die Arbeitnehmenden Schaden nehmen. Nr. 2/2016 21
IHK-COCKPIT Wie beurteilen Sie die Geschäftslage? Wie beurteilen Sie die Geschäftserwartungen? APRIL 2016 APRIL 2016 36.2% 52.6% 11.2 31.6% 57.2% 11.2 FEBRUAR 2016 FEBRUAR 2016 30.5% 50.7% 18.8% 31.2% 49.3% 19.5% NOVEMBER 2015 NOVEMBER 2015 39.1% 43.5% 17.4% 27% 48.7% 24.3% Beurteilung der Geschäftslage nach Sektoren Beurteilung der Geschäftserwartungen nach Sektoren 8% 10.8% 11.5% 15.4% 23.1% 27.7% 34.5% 46% 46% 61.5% 54% 61.5% 2. Sektor 3. Sektor 2. Sektor 3. Sektor Beurteilung der Geschäftslage Beurteilung der Geschäftserwartungen nach Unternehmensgrösse nach Unternehmensgrösse 10.9% 7.3 11.4% 13.4% 27.3% 23.6% 36.1% 41.2% 47.4% 69.1% 61.8% 50.5% bis 50 über 50 bis 50 über 50 Mitarbeiter Mitarbeiter Mitarbeiter Mitarbeiter Quelle: Konjunkturumfrage auf www.ihk.ch gut befriedigend schlecht 22 Nr. 2/2016
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