DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE - Transformation by Disaster oder by Design? 03/2018 - Bibliothek der ...
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D I S K U R S 03/ 2018 René Bormann, Philipp Fink, Helmut Holzapfel, Stephan Rammler, Thomas Sauter-Servaes, Heinrich Tiemann, Thomas Waschke, Boris Weirauch DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE Transformation by Disaster oder by Design?
WISO DISKURS 03/ 2018 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditions- reichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demo- kratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerkschaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungs- empfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politik- beratung leisten. Über die Autoren René Bormann, Leiter des Arbeitsbereichs Mobilitätspolitik, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dr. Philipp Fink, Leiter des Arbeitsbereichs Klima-, Umwelt-, Energie- und Struktur- politik, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Prof. Dr.-Ing. Helmut Holzapfel, Zentrum für Mobilitätskultur Kassel. Dr. Stephan Rammler, Professor für Transportation Design and Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes, Leiter des Studiengangs Verkehrssysteme, ZHAW School of Engineering. Heinrich Tiemann, Staatssekretär a.D., war Ministerialdirektor im Bundeskanzler- amt und Staatssekretär in verschiedenen Bundesministerien und ist Mitglied des Arbeitskreises „Nachhaltige Strukturpolitik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Thomas Waschke, Strategieberatung Neue Mobilitätssysteme. Dr. Boris Weirauch, MdL, Wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg. Für diese Publikation sind in der FES verantwortlich René Bormann, Leiter des Arbeitsbereichs Mobilitätspolitik, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dr. Philipp Fink, Leiter des Arbeitsbereichs Klima-, Umwelt-, Energie- und Struktur- politik, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung.
03/ 2018 WISO DISKURS René Bormann, Philipp Fink, Helmut Holzapfel, Stephan Rammler, Thomas Sauter-Servaes, Heinrich Tiemann, Thomas Waschke, Boris Weirauch DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE Transformation by Disaster oder by Design? 3 ZUSAMMENFASSUNG 5 1 EINLEITUNG 7 2 DIE DEUTSCHE AUTOINDUSTRIE HEUTE 7 2.1 Zunehmende Bedeutung von Produktion und Absatz im Ausland 9 2.2 Stabile Beschäftigungszahlen auf hohem Niveau 9 2.3 Innovation als Schlüssel zum bisherigen Erfolg 9 2.4 Premiumsegment getrieben durch SUV-Wachstum 9 2.5 Zwischenfazit 11 3 MEGA- UND MOBILITÄTSTRENDS TRANSFORMIEREN DIE MOBILITÄT 11 3.1 Vier Megatrends verändern die Mobilität 11 3.1.1 Urbanisierung 11 3.1.2 Nachhaltigkeit 12 3.1.3 Individualisierung 12 3.1.4 Digitalisierung 12 3.2 Vier Mobilitätstrends verändern die Automobilität 13 3.2.1 Elektrifizierung 14 3.2.2 Vernetzung und neue Wettbewerber 15 3.2.3 Automatisierung 15 3.2.4 Mobilität als Dienstleistung 15 3.2.5 Zukunftspfade der Automobilität 17 4 HERAUSFORDERUNGEN: KOOPERATION, ORGANISATION, BESCHÄFTIGUNG 17 4.1 Neue Kooperationsformen 18 4.2 Neue Organisationskultur 19 4.3 Neue Beschäftigung 21 5 ZWISCHENFAZIT: PRIMAT DER POLITIK ERFORDERLICH 21 5.1 In die Zange genommen von Kalifornien und China 21 5.2 Chinas Technologiesprung 21 5.3 Pfadabhängigkeit erschwert Innovation 22 5.4 Systemumbau im laufenden Betrieb 22 5.5 Primat der Politik wahrnehmen 23 5.6 Ausweg Zukunftspakt für Mobilität >
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 2 > 24 6 ZUKUNFTSPAKT FÜR MOBILITÄT ZUR TRANSFORMATION DER AUTOMOBILINDUSTRIE 24 6.1 Markttransformationsprogramm für Elektromobilität 26 6.2 Europäischer Technologiesprung 27 6.3 Kommunale Labore für neue Mobilität 27 6.4 Neuausrichtung der Infrastrukturpolitik 28 6.5 Forschungsförderung 28 6.6 Initiative für Beschäftigung und Qualifizierung 28 6.7 Strukturpolitische Initiativen 29 7 GESAMTFAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN: TRANSFORMATION BY DESIGN IST SCHWIERIG, ABER MACHBAR 32 Abbildungsverzeichnis 32 Abkürzungsverzeichnis 33 Literaturverzeichnis 34 Mitdiskutant_innen
DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE WISO DISKURS 3 ZUSAMMENFASSUNG Weltweit lösen sich die etablierten Leitbilder der Automobi moderieren, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen. lität des 20. Jahrhunderts zunehmend auf. Damit gerät die Sie muss den regulativen, fiskalischen und strukturpolitischen Automobilwirtschaft in Deutschland und Europa mit ihrer Handlungsrahmen schaffen, während Unternehmen und Po- enormen volkswirtschaftlichen, beschäftigungs- und innova- litik in einem transparenten Konsultationsmechanismus die tionspolitischen Bedeutung unter Druck. Dies geschieht zu gesellschaftliche Verständigung über einen Zukunftspakt für einem Zeitpunkt, in dem die Branche sich auf einem Expan Mobilität vorantreiben sollten. sionskurs mit steigenden Umsätzen, wachsender Beschäfti- In einem ersten Schritt sollte ein politisch moderiertes und gung und weiter zunehmenden Exporten befindet. reguliertes verbraucherseitiges Markttransformationsprogramm Starke und global wirksame Megatrends, neue Mobilitäts- für Elektromobilität auf- und auch umgesetzt werden. Es gilt anforderungen in den sich urbanisierenden Verkehrsmärkten dabei vor allem, Verhaltensweisen der Verbraucher_innen mu- und eine bislang nicht bekannte Konkurrenz, etwa durch die tig so zu gestalten, dass die Nachfrage für neue und zukunfts- aufstrebende IT-Branche, aber auch durch die industriepoliti- fähige Produkte entsteht. Auf europäischer Ebene sieht der schen Zielsetzungen Chinas, verändern unsere Mobilität. Die Zukunftspakt beispielsweise die Initiierung eines Projekts zum damit einhergehende Elektrifizierung, Vernetzung, Automa Technologiesprung hin zur Elektromobilität vor. Im Rahmen tisierung und Sharing Mobility revolutionieren die Automobi- des Markttransformationsprogramms müssen zudem die Kom- lität, sie führen zu einer neuen Automobilität. An die Stelle munen stärker und umfassender befähigt werden, kommu- des fossilen Antriebs treten elektromotorische Aggregate und nale Labore zu fördern, in denen sowohl die Autoindustrie als Speicherkonzepte, anstelle des Selbstfahrens treten die Kon- auch die Betreiber des öffentlichen Verkehrs (ÖV) neue For- zepte des assistierten, automatisierten und autonomen Fah- men der Zusammenarbeit im Hinblick auf die neue Mobilität rens, und anstelle des Besitzes tritt die digitale Plattformöko- entwickeln können. nomie mit neuen Geschäftsmodellen und Vertriebsformen. Für die Automobilwirtschaft in Deutschland und Europa kumulieren diese Entwicklungen zu drastischen Angebots- und Nachfrageveränderungen, die ihr bisheriges Geschäfts- modell infrage stellen. Mit automobilpolitischer Regulierung und unternehmensinterner Selbsttransformation sind diese Transformationsprozesse nicht mehr zu bewältigen. Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Verbraucher_innen müs- sen in gemeinsamer Anstrengung einen Wandel im Bereich der Automobilitiät voranbringen. Gelingen kann dies nur mit einem Zukunftspakt für Mo- bilität, der unternehmerische, politische und gesellschaftliche Strategien mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Ver- kehrswende zusammenführt. Er steht in der Tradition der ko- operativen Bewältigung des wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Wandels. Politisches Leitbild muss ein nach- haltiges und integriertes Gesamtverkehrssystem unter Ein- beziehung des Automobils als Baustein in intermodalen Hand- lungs- und Transportketten sein. Vor allem die Bundesregierung ist hier gefordert, als zen- traler staatlicher Akteur die Prozesse zu koordinieren und zu
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DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE WISO DISKURS 5 1 EINLEITUNG Die Mobilitätswirtschaft durchläuft eine rasante Transforma den Schadstoffemissionen des fossilen Straßenverkehrs und tion. Die Megatrends der Nachhaltigkeit, Urbanisierung, Indivi- seinen Raum- wie auch Ressourcenverbräuchen. Zum anderen dualisierung und Digitalisierung erfordern und ermöglichen erklärt sie sich aber vor allem aus der Verpflichtung zum lang- sowohl technologische als auch soziale Innovationen der Mo- fristigen Erhalt von Beschäftigung und sozialer Sicherheit am bilität im großen Maßstab. In den Jahren 2010 und 2014 Produktionsstandort Deutschland. Verantwortung überneh- hat sich die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in zwei Projekten men heißt für die Unternehmen, den Transformationsprozess bereits mit dieser Transformationsdynamik in den Weltver- mit dem Ansatz aktiver Partnerschaft mit Arbeitnehmerver- kehrsmärkten und den daraus folgenden Herausforderungen treter_innen, Politik und Verbraucher_innen vertrauensbildend für die deutsche Automobilindustrie eingehend beschäftigt. voranzutreiben. Inzwischen ist festzustellen, dass diese Veränderungen in eine Aus dieser übergeordneten Sicht muss der jetzt anstehen- beschleunigte Phase eingetreten sind, die völlig neue quali- de sektorale Umbau der Automobilwirtschaft als Teil einer tative Herausforderungen mit sich bringt. So stellt sich nicht Verkehrswende und diese wiederum als Teil der grundsätzli- nur die Frage nach weiteren Innovationen und organisations- chen Nachhaltigkeitstransformation der Bundesrepublik kon- kulturellen Anpassungsleistungen dieses Wirtschaftszweiges, zipiert werden. Ökonomische, soziale und ökologische Aspekte sondern auch nach der Art und Weise und den Bedingungen der Nachhaltigkeit sind so auszutarieren, dass sie zu höherer seines Fortbestehens. Damit rücken wiederum Wertschöp- Resilienz des Standortes Deutschlands und seiner Wertschöp- fung, Beschäftigung und soziale Sicherheit in den regionalen fungsregionen insgesamt beitragen. automobilen Clustern und letztlich die volkswirtschaftliche Die automobilpolitischen Aushandlungsprozesse der ver- Resilienz der Bundesrepublik insgesamt in den Fokus. gangenen Jahrzehnte haben den gut austarierten Grund- All das findet in einer Situation statt, in der die bisherige konsens dieses etablierten sozioökonomischen Kräftefeldes antriebstechnologische Zukunftshoffnung der europäischen nie in Zweifel gezogen und waren vor allem auf Stabilisie- und vor allem der deutschen Autobranche, der Dieselantrieb, rung und Strukturerhalt ausgerichtet. Jetzt aber steht dieses in den urbanen Regionen Europas zusätzlich stark in der Kritik tradierte Regulierungsregime infrage. Es droht an seinem ei- steht. Die Branche sieht sich mit Vorwürfen illegaler Vorge- genen Erfolg und an der enormen Komplexitätssteigerung hensweisen und kartellrechtlich problematischer Absprachen und Beschleunigung des mobilitäts- und automobilpolitischen konfrontiert. Mit anderen Worten: Die Automobilwirtschaft Handlungsfeldes zu scheitern. So riskant und unsicher eine erlebt gerade eine Transformation by Disaster, in der die übli- wirkliche Verkehrswende erscheint, ist sie in unsicheren Situ- chen Verfahrensweisen und Arrangements obsolet werden. ationen dennoch eine kluge Alternative zum bisherigen ver- Die organisationskulturelle Zerrissenheit der Branche zwischen breiteten „Fahren auf Sicht“. Denn Nachhaltigkeit, Urbanisie- vollmundigen Ankündigungen und internem Verharren in oft rung, Digitalisierung und Individualisierung verdichten sich erstarrten Unternehmenshierarchien hilft in dieser Situation zu einer Transformationsdynamik, die nur durch frühzeitiges, nicht weiter. Das Agieren des Managements schadet so nicht zielgerichtetes, aber auch experimentelles und mutiges Han- nur dem Ruf der deutschen Autoindustrie, sondern könnte deln zu bewältigen sein wird. Abwarten und Beobachten den gesamten Standort und seine Kernmarke „Made in Ger- oder gar Wegducken werden sich, vor allem langfristig, zum many“ beschädigen. Nachteil der deutschen Automobilindustrie auswirken. In dieser Situation gilt es, aus der Not eine Tugend zu ma- Es liegt auf der Hand, dass dieser so umfänglich zu kon chen und auf den Transformationsmodus by Design um zipierende Wandel nur als ein gesamtgesellschaftliches Projekt zuschalten. Aufhalten lässt sich der Wandel ohnehin nicht. zu denken ist. Einen Umbau dieser Größenordnung der Indus- Zudem gibt es, neben dieser ungeregelten und unübersicht trie allein zu überlassen, übersteigt ihre Fähigkeit bei Weitem lichen empirischen Transformation auch eine normative und wäre überdies auch nicht fair angesichts einer Verbraucher- Transformationsnotwendigkeit. Sie resultiert zum einen aus seite, die die Produktpräferenzen weitgehend definiert.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 Die zentrale Handlungsempfehlung dieses Papiers1, das sich Zusammenfassung der zentralen Handlungsempfehlungen gleichermaßen an Unternehmen, Gewerkschaften (bspw. IG adressiert an die jeweiligen Akteure (Kapitel 7). Metall für die OEM und Zulieferer, IGBCE für die Zulieferer, Die Struktur unserer Argumentation wird in der Abbil- Verdi für die Branche der Mobilitätsdienstleistungen), Ver- dung 1 veranschaulicht. Es benennt die relevanten Einfluss- braucher_innen und Politik wendet, ist denkbar einfach, zu- faktoren und Akteure, denen gleichermaßen die Aufgabe gleich aber sehr ambitioniert und wird allen Branchenbeteilig- wie Chance zufällt, die Zukunft der Automobilität zu gestal- ten viel zumuten: Deutschland braucht einen Zukunftspakt ten, und setzt sie zueinander in Beziehung. für Mobilität von Unternehmen, Gewerkschaften, Politik und Verbraucher_innen. Über Strategien, Zeiträume und Ober- Abbildung 1 grenzen kann man im Detail streiten. Oft wissen wir auch ein- Vielfältige Abbildung 1Trends verändern die Welt des Autos fach noch nicht genug, fehlen uns wichtige Erkenntnisse und Einflussfaktoren Trends verändern auf die dieAutomobilität Welt des Autos Einflussfaktoren auf die Automobilität Erfahrungswerte, insbesondere bei den neuen digitalen An- geboten, und müssen wir deshalb reale Laborsituationen und soziotechnische Experimentierräume für neue Mobilität in eit Urb a urbanen, suburbanen und ländlichen Raumtypen schaffen. lt igk ni s ha ier Aber einen anderen Weg aus der Krise als einen gemeinsa- h un men mit vereinten Kräften wird es nicht geben. ac N g Der Zukunftspakt für Mobilität soll eine Antwort auf die Ang eb gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen der ot deutschen Automobilindustrie sein, die die übliche Reichweite Nachfrage der etablierten automobilpolitischen Mechanismen und be- D e m o g ra f i e G eopol itik kannten Paktkonstellationen zwischen Automobilindustrie und Funktionsraum Politik überschreitet. Denn der Umbau der Automobilwirt- Automobilität schaft wird in der jetzigen Situation kein marktwirtschaftlicher Selbstläufer sein, sondern eines der Kernprojekte eines am bitionierten politischen Gestaltungsszenarios, das in weiten ik Teilen den kurzfristigen automobilwirtschaftlichen Interessen lit Po konstellationen wie auch den aktuellen privaten Lebens- und ig n D g Konsumstilen deutlich widerspricht. Das wird uns politisch ei- ita ru lis ie niges zumuten. Eine Alternative dazu sehen wir nicht. ier ung a lis Der Zukunftspakt für Mobilität setzt einen genauen Blick Glob auf die aktuelle Situation der Automobilwirtschaft voraus. Deshalb beschäftigen wir uns im ersten Hauptteil dieser Pub- likation mit der Darstellung der Faktoren, die für die Um Quelle: Eigene Darstellung. wälzungen im Verkehrs- und Automobilmarkt verantwortlich sind. Wir gehen zunächst auf die aktuelle Bedeutung und Entwicklung der Automobilwirtschaft in Deutschland und Eu- ropa ein (Kapitel 2). Anschließend befassen wir uns mit den Mega- und Mobilitätstrends, die in ihrem Zusammenwirken Risiken und Veränderungszwänge, aber auch Chancen für eine zukunftsfähige Transformation der Automobilwirtschaft erzeugen (Kapitel 3). Ehe wir ein Zwischenfazit (Kapitel 5) ziehen, disktuieren wir zuvor die Konsequenzen, die sich aus der skizzierten Tranformationsdynamik für die deutsche Auto mobilwirtschaft (Kapitel 4) hinsichtlich Kooperation, Organi- sation und Beschäftigung ergeben. Vor diesem Hintergrund werden im zweiten Hauptteil (Kapitel 6) schließlich unter- nehmerische, politische und gesellschaftliche Strategien the- matisiert, die die sich abzeichnenden Zuspitzungen und Ver- werfungen einer Entwicklung by Disaster zu einer dauerhaft zukunftsfähigen Entwicklung by Design transformieren können. Die Publikation schließt mit einem Fazit und einer 1 Seit Anfang 2017 hat eine Expertengruppe aus Politik, Gewerkschaften, Wirtschaft, Wissenschaft in einer Reihe von Fachgesprächen die Transforma- tion der Automobilwirtschaft diskutiert. Ziel des Projekts war, belastbare neue Transformationsnetzwerke der relevanten automobil- und verkehrspolitischen Akteure jenseits der klassischen Strukturen und Lobbykanäle zu beschreiben und ggf. zu etablieren. Die Ergebnisse dieses Projekts werden hier vorge- stellt. Sie beinhalten auch die Erkenntnisse aus einer gemeinsamen Exkursion nach China.
DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE WISO DISKURS 7 2 DIE DEUTSCHE AUTOINDUSTRIE HEUTE Die Bedeutung der Automobilwirtschaft für Deutschland ist 5,5 Millionen, tatsächlich in Deutschland hergestellt wurde. Im unbestritten. Wir wollen hier einen empirischen Blick auf die Jahr 2016 hat sich das Verhältnis der Inlands- zur Auslands- aktuelle Situation dieser Branche werfen. Vor allem interes- produktion drastisch verschoben. 2016 stellten deutsche Ori- siert uns dabei, wie sich die globale Entwicklung auf Produk- ginal Equipment Manufacturer (Hersteller von Automobilen tion, Absatz und Beschäftigung auswirkt, welche Stärken unter eigenen Markennamen – OEM) mit 5,7 Millionen noch die deutsche Automobilindustrie auszeichnen, aber auch mit annähernd gleich viele Pkw in Deutschland her wie in 2008. welchen Schwächen sie konfrontiert ist. Gleichzeitig verdoppelten sie ihre Auslandproduktion um knapp Im Jahr 2016 verzeichnete die deutsche Automobilindus- 5 Millionen auf nun rund 10,1 Millionen Pkw (VDA 2017a). trie einen Gesamtumsatz von rund 405 Milliarden Euro, was Der wichtigste Auslandsfertigungsstandort deutscher in etwa den Zahlen aus 2015 entspricht (VDA 2017a). Damit OEM mit rund 4,7 Millionen produzierten Einheiten war 2016 stellt die Automobilbranche mit ca. einem Fünftel des ge- mit großem Abstand China. Insgesamt wurden in dem Land samten Industrieumsatzes weiterhin den umsatzstärksten In- mit 28,4 Millionen Fahrzeugen knapp 30 Prozent der welt- dustriesektor in Deutschland dar. Etwa drei Viertel tragen weiten Pkw gefertigt (ACEA 2017). Als zweitwichtigste aus- die Fahrzeughersteller zu diesem Ergebnis bei. Besonders re- ländische Produktionsstätte folgen mit großem Abstand die levant ist die Automobilindustrie für das Auslandsgeschäft USA, wo 110.000 Beschäftigte (inkl. Zulieferer) im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland. Mit 256 Milliarden Euro deutscher OEM 2016 rund 852.000 Fahrzeuge montierten. wurden 2016 annähernd zwei Drittel des Gesamtumsatzes Seit 2009 hat sich damit die Produktion in den USA beinahe außerhalb des Heimatmarktes erwirtschaftet (VDA 2017a). vervierfacht (Krause 2017). In Westeuropa verzeichneten Das entspricht fast einem Drittel des gesamten Außenum die deutschen OEM in 2016 dagegen keine Produktionszu- satzes der deutschen Industrie. wächse gegenüber 2015 – ohne die Produktion in Deutsch- land wurden 1.565.192 Fahrzeuge in Westeuropa hergestellt. In Osteuropa stellten die deutschen OEM 1.888.000 Fahr- 2.1 ZUNEHMENDE BEDEUTUNG VON zeuge her, was wiederum ein Zuwachs von fünf Prozent ge- PRODUKTION UND ABSATZ IM AUSLAND genüber 2015 (VDA 2017a: 12) entspricht. Insgesamt finden in der Folge dieses Kapazitätsa ufbaus im Ausland inzwi- Durch die unterschiedliche weltweite Marktentwicklung ver- schen annähernd zwei Drittel der Automobilp roduktion der ändert sich auch die räumliche Verteilung von Produktion deutschen OEM außerh alb des Heimatmarktes statt. Die und Absatz über die verschiedenen Regionen des Globus. In insgesamt 15,8 Millionen Fahrzeuge deutscher OEM stellen den USA erreichte die Pkw-Nachfrage 2016 einen neuen dabei 19 Prozent der Pkw-Weltproduktion (2016: 83,1 Millio- Höchststand. Gleiches gilt für den in den vergangenen Jahren nen Stück) dar (VDA 2017b). Gleichzeitig sind die globalen explosionsartig gewachsenen Neufahrzeugmarkt in China Produktionszahlen seit 2009 kontinuierlich angestiegen und (BMWi 2017). So hat sich der Absatz dort seit 2005 mehr als konnten bis 2016 um fast 50 Prozent gegenüber 2009 zulegen. versiebenfacht auf heute mehr als 23 Millionen Automobile Mit knapp 77 Prozent gehen mehr als drei Viertel der pro Jahr. In Europa (EU plus EFTA) sanken die Verkäufe im Pkw-Produktion in den Export. Der Anteil des Auslandsab- gleichen Zeitraum um 0,8 Prozent. Entsprechend groß ist der satzes stieg von 82 Prozent in 2008 auf knapp 85 Prozent Einfluss Chinas auf den Weltmarkt: Weltweit stieg der Pkw-Ab- in 2016. Mit 2,5 Millionen Pkw belief sich der Anteil der Ex- satz seit 2005 um 55 Prozent, ohne die Verkäufe in China porte aus Deutschland in die EU-28-Staaten im Jahr 2016 hätte die Zunahme nur ein Niveau von rund elf Prozent er- immer noch auf rund 56 Prozent (VDA 2017a), sodass der reicht (Ernst & Young 2017). Absatz von Pkw aus deutscher Produktion noch immer ent- Abbildung 2 zeigt, dass 2008 von den 10,8 Millionen scheidend von den europäischen Märkten abhängt. Jedes Pkw aus deutscher Produktion ungefähr die Hälfte, nämlich zweite 2016 verkaufte Auto in Europa stammt von einem
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8 Abbildung 2 Deutsche Automobilindustrie zunehmend vom Ausland abhängig Regionale Verteilung der Herstellung und des Verkaufs der Fahrzeuge deutscher Automobilunternehmen, in Mio. Stück Quelle: VDA 2017a, KBA 2017, eigene Berechnungen.
DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE WISO DISKURS 9 deutschen Hersteller. In China erreichten die deutschen OEM tätigte die deutsche Automobilindustrie 2015 mit knapp 2016 einen Marktanteil von knapp einem Fünftel, ebenso 32 Milliarden Euro den Großteil der weltweiten F&E-Ausga- in Russland. In den USA ist der Wert leicht unter acht Prozent ben im Inland. Dies entspricht annähernd 40 Prozent aller gefallen (VDA 2017a). deutschen F&E-Ausgaben (HELABA 2017). Die intensive Forschungstätigkeit spiegelt sich auch in der Patentanmeldung wider: 2016 gingen 32 Prozent aller welt- 2.2 STABILE BESCHÄFTIGUNGSZAHLEN weit im Automobilsektor erteilten Patente an deutsche Un- AUF HOHEM NIVEAU ternehmen, insgesamt 2.587 (ACEA 2017). Das gleiche Bild ergibt sich in der Mittelfristbetrachtung des bedeutendsten In den 16 Bundesländern finden sich insgesamt 41 Endmon- Zukunftsfeldes der Automobilität: Seit 2010 wurden weltweit tagewerke (ACEA 2017) mit einer Produktionsleistung, die die meisten Patente im Bereich des automatisierten Fahrens mehr als 30 Prozent der in Europa produzierten Personen- an deutsche OEM und Zulieferer vergeben. Insgesamt hat die kraftwagen abdeckt. Sie bilden das Zentrum der deutschen deutsche Industrie einen Anteil von 58 Prozent der Patente Automobilindustrie mit hoher Relevanz für die Beschäftigung auf diesem Feld (VDA 2017a). in Deutschland. Gegenüber 2015 ist die Anzahl der in der deutschen Automobilbranche Beschäftigten 2016 noch ein- mal um zwei Prozent angestiegen und beziffert sich nun 2.4 PREMIUMSEGMENT GETRIEBEN DURCH auf über 808.000 Personen. Die Automobilwirtschaft ist mit SUV-WACHSTUM einem Anteil von etwa 13 Prozent der im gesamten verar beitenden Gewerbe tätigen Personen nach dem Maschinen- Forschung und Entwicklung sind gerade deswegen von so bau die beschäftigungsstärkste deutsche Industriebranche hoher Bedeutung, weil der Erfolg der deutschen Automobil- (Statistisches Bundesamt 2016). industrie entscheidend an ihrer Innovations- und Technologie Hinzu kommen Beschäftigte außerhalb der Automobilin- führerschaft hängt. Diese manifestiert sich insbesondere im dustrie, die Zuliefer- und Komplementärprodukte für die Kraft- Premiumsegment 2 . Die deutsche Automobilindustrie stellt fahrzeugbranche fertigen (ifo 2017). Aufgrund der starken Ar- weltweit mit Abstand die meisten Premiumfahrzeuge her. Fast beitsteilung finden rund 70 Prozent der Wertschöpfung der zwei Drittel (63 Prozent) aller verkauften Premium-Pkw sind deutschen Automobilindustrie bei mittelständischen Zuliefer- einem deutschen OEM zuzuordnen. Audi, BMW und Mercedes unternehmen statt (BMWi 2017). Zudem ist eine bedeutende weisen in den Absatzzahlen einen großen Vorsprung vor den Anzahl Beschäftigter von der Automobilkonjunktur abhängig, internationalen Wettbewerbern auf. Rund 40 Prozent der 2016 die nicht auf den ersten Blick der automobilen Wertschöpfungs- hergestellten Pkw dieser margenstarken Kategorie wurden kette zuzuordnen sind (z. B. Hersteller aus der chemischen In- in Deutschland gefertigt (Statista 2017). Die drei großen deut- dustrie oder der Textilindustrie). Das ZEW kommt insgesamt auf schen Premiumhersteller wuchsen auch 2016 schneller als bis zu 1,5 Millionen Personen, wenn die indirekt Beschäftigten der Gesamtmarkt. Mit rund 6 Millionen verkaufter Premium- berücksichtigt werden. Am ehesten erreicht der deutsche Ma- fahrzeuge erreichten sie einen Weltmarktanteil von 73 Prozent. schinenbausektor noch diese Bedeutung für den Arbeitsmarkt. Insgesamt wurden 2016 weltweit rund 9,5 Millionen Premi- Zur Veranschaulichung der europäischen Dimensionen: Der umfahrzeuge verkauft. Das entspricht einem Anteil von über europäische Branchenverband ACEA geht auf der Grundlage elf Prozent am gesamten Pkw-Markt. von Eurostat-Daten davon aus, dass in der EU rund 3,3 Millio- Wichtiger Treiber ist das starke Wachstum im Teilsegment nen Beschäftigte direkt und indirekt von der Automobilpro- Sport Utility Vehicle (SUV). Betrug 2011 der Anteil der SUV an duktion abhängig sind (ACEA 2017). Trotz aller temporären allen in Deutschland hergestellten Fahrzeugen noch 13,3 Pro- Schwankungen ist das Beschäftigungsniveau im Automobil- zent, war 2016 schon jeder fünfte hier gefertigte Pkw ein SUV. sektor seit Jahrzehnten relativ stabil (ZEIT 2017). Gegenwärtig Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Auslandsproduktion, in der befindet sich die Beschäftigung seit sechs Jahren auf einem das SUV-Segment ebenfalls das mit Abstand größte Wachs- ununterbrochenen Wachstumspfad (VDA 2017a). tum aufwies (VDA 2017a). 2.3 INNOVATION ALS SCHLÜSSEL ZUM 2.5 ZWISCHENFAZIT BISHERIGEN ERFOLG Diese statistische Lagebeschreibung unterstreicht eindrucks- Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) be- voll die enorme volkswirtschaftliche und beschäftigungs- und legt Deutschlands Automobilbranche im internationalen Ver- innovationspolitische Bedeutung der Automobilwirtschaft in gleich den Spitzenplatz, vor den OEM aus Japan und den Deutschland und Europa. Angesichts der Exportkennzahlen USA. Für F&E wendete die deutsche Automobilindustrie 2016 lässt sich zudem feststellen, dass die deutsche Automobilin- knapp 39 Milliarden Euro auf (VDA Politikbrief 2017) und dustrie besonders stark vom Ausland, insbesondere vom chi- damit noch einmal 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Gemäß Berechnungen der Europäischen Kommission stammt somit etwa ein Drittel der globalen F&E-Aufwendungen der Auto- 2 Premium bezeichnet technologisch und komfortbezogen hochwertige Fahrzeuge. Hierzu werden neben Luxuslimousinen auch kleinere Fahrzeuge mobilbranche aus Deutschland. mit entsprechender Ausstattung gezählt. Viele Neuentwicklungen und In- Im Gegensatz zur Fahrzeugproduktion, die mittlerweile novationen werden zuerst im Premiumsegment eingesetzt und diffundieren zu mehr als 60 Prozent an ausländischen Standorten erfolgt, langsam in das Massensegment.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 nesischen Markt abhängig ist und diese Abhängigkeit in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hat. Inzwischen wird jeder dritte deutsche Neuwagen in China verkauft (Ernst & Young 2017). Mit Blick auf die im Folgenden beschriebene rasante Trans- formationsdynamik kann man sagen, dass die damit verbun- denen Veränderungsrisiken des Weltautomobilmarktes die Branche quasi auf dem Gipfel ihres Erfolgs ereilt. Einerseits verstärkt ein solcher lang anhaltender und großer Erfolg die Neigung zum Festhalten am Bewährten. Andererseits hat die Branche vor dem Hintergrund dieses Erfolgs aber auch betriebswirtschaftliche Spielräume, um notwendige Verände- rungsprozesse einzuleiten, die sie in einer Krise nicht hätte.
DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE WISO DISKURS 11 3 MEGA- UND MOBILITÄTSTRENDS TRANSFORMIEREN DIE MOBILITÄT Um die Transformationsdynamik, mit der sich die Mobilitäts- Lebensfunktionen arrangieren müssen, desto knapper wird der wirtschaft aktuell konfrontiert sieht, richtig erfassen zu können, Funktionsraum für die uns heute bekannte Form der Automobil- ihre Herausforderungen, aber auch Chancen zu identifizieren, ität. In den rasant wachsenden Metropolregionen der Welt, vor wollen wir in diesem Kapitel die golbalen Trends diskutieren, allem aber den asiatischen, ist schlicht zu wenig Platz für wei- die unsere Gegenwart bestimmen. Sie haben direkten oder terwachsende Automobilflotten und deren externe Effekte. Das indirekten Einfluss auf die Entwicklungen der Mobilität. ist für die deutsche Automobilindustrie vor allem deswegen Ein Trend ist ein Konzept zur Beschreibung von Veränderun- problematisch, weil diese Regionen sich als ihre Hauptabsatz- gen in allen Bereichen der Gesellschaft, um Aussagen über mög- märkte etabliert haben. liche zukünftige Entwicklungsverläufe treffen zu können. Trends sind beobachtbar, aber nur schwer exakt messbar. Ihr Verlauf 3.1.2 NACHHALTIGKEIT lässt sich abschätzen, doch nur teilweise beeinflussen. Für beson- ders tief gehende, anhaltende und ausgreifende Trends hat der Nachhaltigkeit steht hier als Sammelbegriff für alle Versuche, Zukunftsforscher John Naisbitt (1982) den Begriff „Megatrend“ die externen Effekte der industriellen und fossilen Produktions- geprägt. Für die Automobilindustrie ergeben sich wiederum und Konsumweisen zu verringern und – im Ausgleich mit so- aus dem Zusammenwirken der aktuell relevanten Megatrends zialen und ökonomischen Interessen – dauerhaft in den Griff konkrete Mobilitätstrends. Auch auf sie wollen wir hier eingehen. zu bekommen. Angesichts der fortgeschriebenen Botschaft des „World Transport Outlook“ des Internationalen Transport Forums der OECD, das Verkehrsaufkommen werde sich bis 3.1 VIER MEGATRENDS VERÄNDERN zum Jahr 2050 weltweit mindestens verdreifachen, ist guter DIE MOBILITÄT Rat stets teuer. Während in allen anderen Sektoren Effizienz- steigerungen, Verbrauchssenkungen und die Verringerung von Es sind im Wesentlichen die vier Megatrends Nachhaltigkeit, Umwelteffekten mehr oder minder erfolgreich umgesetzt Urbanisierung, Individualisierung und Digitalisierung, die so- werden, wachsen die externen Effekte der Mobilität immer wohl technologische als auch soziale Innovationen der Mobi- schneller. Eine Antwort auf die Frage, wie unter diesen Um- lität im großen Maßstab erfordern und ermöglichen. Welche ständen die Mobilitätsanforderungen von demnächst womög- Risiken und Veränderungszwänge, aber auch Möglichkeiten lich bis zu 12 Milliarden Menschen auf wirklich nachhaltige für eine zukunftsfähige Transformation der Automobilwirtschaft Weise zu gewährleisten wären, bleiben die Expert_innen regel- von ihnen ausgehen, wollen wir im Folgenden diskutieren. mäßig schuldig. Einig ist man sich allein darin, dass bei einer ungesteuerten Entwicklung die Nachfrage nach fossilen Brenn- 3.1.1 URBANISIERUNG stoffen und die Emissionen von Klimagasen, Luftschadstoffen und Feinstäuben, die Lärmemissionen, die Unfallkosten und Das Bevölkerungswachstum der nächsten Jahre konzentriert vor allem der Material- und Raumbedarf der Mobilität sprung- sich fast vollständig auf die Stadtregionen der Welt. Urbani- haft ansteigen werden. In Bezug auf die moderne Automobilität sierung ist ein globaler Trend, besonders ausgeprägt findet sind vor allem die Emissionen der Fahrzeuge problematisch. er sich jedoch in Asien. Lebten um 1900 etwa 165 Millionen Insbesondere der Dieselmotor steht dabei aktuell in der Kritik Menschen in Städten, werden es im Jahr 2050 Prognosen und in einem innerhalb dieser Technologielinie wohl kaum zufolge 70 bis 80 Prozent von etwa 10 bis 12 Milliarden mehr dauerhaft auflösbaren Dilemma zwischen Klimaschutz sein. Das Leben in sehr dichten Ballungsräumen wird also im und kommunalem Gesundheitsschutz. Die international ver- 21. Jahrhundert die typische Existenzform für den überwiegenden abredeten Ziele zum Klimaschutz – weitgehende Dekarbonisie- Teil der Weltbevölkerung sein. Je mehr Menschen sich auf im- rung bis 2050 – werden im Mobilitätssektor nur erreichbar mer engerem Raum mit ihren vielfältigen Bedürfnissen und vitalen sein, wenn etwa ab 2035 keine verbrennungsmotorischen An-
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 triebe mehr zugelassen werden (Öko-Institut 2016). Zugleich dividuellen Privatverkehrs (Privatauto, Mietauto, Taxi) einer- gibt es auf EU-Ebene klar definierte Emissionsminderungsziele seits und dem sehr flächeneffizienten, nachhaltigeren, dafür für die lokal wirksamen Fahrzeugemissionen, die als gesetz- aber bislang wenig individuellen kollektiven Verkehr (Straßen-, tes Recht eingehalten werden müssen. Dabei dürfen die soziale S- und U-Bahnen, Busse), entsteht damit ein drittes neues und ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit nicht aufge- Marktsegment: der sogenannte kollaborative Verkehrsmarkt. geben werden. Soziale Gerechtigkeit und Daseinsvorsorge, gute Hier stehen die etablierten Anbieter urbaner Mobilität zu- Beschäftigung und ökonomische Resilienz des Standortes künftig vor der Herausforderung, sich organisatorisch, tech- Deutschland gilt es, im Sinne einer nachhaltigen Politik mit den nisch, finanziell-betriebswirtschaftlich und markenmäßig mit starken Umwelt- und Gesundheitsschutzzielen in Einklang alten und neuen Akteuren zu arrangieren, um flexiblere An- zu bringen. gebote zu ermöglichen, die auf die individualisierten Kunden anforderungen reagieren. 3.1.3 INDIVIDUALISIERUNG 3.1.4 DIGITALISIERUNG Der Begriff der Individualisierung meint den Übergang von der sozialen Fremd- zur Selbstbestimmung von Menschen. Als Faust- Die Digitalisierung hat aufgrund der ihr inhärenten exponenti- regel der Verkehrssoziologie gilt die Annahme: Je entwickelter ellen Entwicklungsdynamik in den Feldern der digitalen Ver- eine Gesellschaft ist, desto höher der Grad der Individualisie- netzung, der Automatisierung, der künstlichen Intelligenz und rung, desto partikularer, flexibler und spontaner wird das Ver- der prädiktiven Analyse von großen Datenmengen die poten- kehrsverhalten und desto weniger bündelungsfähig ist die ziell stärksten disruptiven und deswegen für die etablierten Nachfrage. Zudem hat die Flexibilisierung in der Arbeitswelt den Strukturen und Akteure gefährlichsten Innovationswirkungen. Effekt, dass immer mehr Menschen immer häufiger den Ar- Andererseits bietet die Digitalisierung vielfältige Ansätze und beitsplatz wechseln und phasenweise entweder keine Arbeit Chancen, die aus den anderen Megatrends resultierenden haben oder mehrere Jobs gleichzeitig benötigen. Auch des- Handlungsaufforderungen in der Verkehrsentwicklung zu be- wegen verändern sich Mobilitätsmuster schneller und weisen wältigen. Die Erwartung dieser Chancen basiert im Kern auf ein weniger stabiles und damit planb ares Nachfrageverhalten drei möglichen Effekten der Digitalisierung: erstens der enor- als früher auf. Überall dort, wo Individualisierung stattfand, men Steigerbarkeit der Nutzungseffizienz von Verkehrsinfra- prägte sich deswegen die Automobilnutzung stärker aus. Der strukturen und Fahrzeugflotten; zweitens der Automatisierung Pkw wurde – im Verein mit seiner massiven politischen För- und damit der Optimierung bislang von Menschen ausge- derung – diesem Megatrend funktional wie symbolisch, d. h. führter Steuerungsfunktionen; drittens die sehr effektive Ver- zum Zweck der sozialen Distinktion und Selbst-Stilisierung mittlung zwischen Angebot und Nachfrage durch Vernetzungs- durch demonstrativen Konsum, bislang am besten gerecht. technologie, smarte Endgeräte mit Softwareapplikationen Zeitgleich zu Individualisierung und Flexibilisierung, durch und neue Konzepte von Vermittlungsplattformen. Jede dieser diese mitgeprägt und befördert, bildet sich in den urbanen Teilentwicklungen der Digitalisierung würde für sich allein Stadtkulturen der Welt der Konsumtrend der Plattformöko- genommen schon enorme Veränderungen bewirken. Doch nomie langsam, aber sicher heraus. Dieser basiert auf den in ihrem Zusammenwirken sowohl untereinander als auch E rmöglichungsfaktoren der digitalen Technologien, speist mit den Trends zur Elektrifizierung und zum „Nutzen statt Be- sich in der Motivlage aber ebenso aus der beschriebenen sitzen“ erzeugen sie die transformative Entwicklungsdynamik höheren Komplexität, Flexibilität und Wandelbarkeit moderner für die Automobilwirtschaft, die gerade zu beobachten ist. Lebensstile: Wo das Leben immer schneller, weniger planbar, räumlich und zeitlich wechselhafter wird, dort wird Besitz zur hinderlichen Flexibilitätsbremse. Im Gegenzug werden Tech- 3.2 VIER MOBILITÄTSTRENDS VERÄNDERN nologien immer interessanter, die durch die unproblematische DIE AUTOMOBILITÄT Ermöglichung eines anteiligen Konsums des Produktnutzens hohe Flexibilität bei zugleich geringeren, weil anteiligen Kos- Mobilitätstrends sind spezifische Entwicklungen, die räumlich ten als zuvor ermöglichen. Da in der Mobilität bislang wohl und zeitlich noch stärker differenziert sein können als die zu- die größten besitzbedingten betriebswirtschaftlichen Fehlal- vor genannten Megatrends, zugleich aber eine global beob- lokationen stattfinden, 3 ist die Dynamik der Entwicklung von achtbare ähnliche Verlaufsrichtung aufweisen. Man kann ihr nutzungseffizienten, geteilten Produkten hier derzeit auch Entstehen als Ergebnis des Zusammenwirkens der Megatrends am stärksten. Im Zusammenwirken dieser Untertrends der und der daraus resultierenden Veränderungsdynamik inter- Individualisierung kommt es zu Veränderungen in den urba- pretieren. Im wissenschaftlichen wie im verkehrs- und auto- nen Mobilitätsmärkten, denn hier ist der Grad der Individuali- mobilpolitischen Diskurs werden zurzeit einvernehmlich die sierung und Flexibilisierung am größten. Hier sind folglich vier Mobilitätstrends der Elektrifizierung, der Vernetzung, der auch die Voraussetzungen für neue Angebote der digitalen, Automatisierung und der Sharing Mobility bzw. der Mobili- oft Start-up-basierten Plattformökonomie am günstigsten. tätsdienstleistungen diskutiert. Sie werden für die Neuforma- Zwischen den bislang durch recht stabiles Nachfrageverhalten tierung der Automobilität zukünftig eine wichtige Rolle spielen und politische Regulierung getrennten Bereichen des wenig und reformulieren die Automobilität so umfassend, dass es flächeneffizienten, weniger nachhaltigen, dafür aber stark in- legitim ist, von einer neuen Automobilität zu sprechen. In wel- cher konkreten Ausprägung und in welcher Kombination 3 Ein Automobil wird in Deutschland im Durchschnitt ein bis zwei Stunden diese Mobilitätstrends sich in welcher Weltregion durchsetzen am Tag genutzt, bleibt also 22 bis 23 Stunden ungenutzt. werden, ist noch eine offene Frage. Einvernehmen herrscht bei
DIE ZUKUNFT DER DEUTSCHEN AUTOMOBILINDUSTRIE WISO DISKURS 13 den Expert_innen dahingehend, dass in den Weltregionen triebs aufzubauen und damit von den aktuellen Kooperations- aufgrund der verschiedenen geografisch-klimatischen, kulturel- zwängen mit den etablierten Anbietern von Fahrzeugen mit len, ökonomischen, technologischen, demografischen und Verbrennungsmotor und den regulativen Regimen der sie politisch-regulativen Voraussetzungen unterschiedliche Markt- beheimatenden Staaten unabhängig zu werden. Möglicher- konstellationen entstehen werden, in denen das Automobil weise wird der Zwang zu automobilen Joint Ventures aufge- eine jeweils andere Rolle spielen wird. Einigkeit besteht eben- geben und somit der Markteintritt für die europäische Industrie falls darüber, dass es in dichten, hybriden und komplexen vereinfacht. Die gegenwärtigen Aktivitäten Chinas zeigen, wie urbanen Verkehrssituationen zu einer anderen Marktdynamik schnell ein Leitbildwechsel (vgl. den folgenden Exkurs) in der und zu anderen Konzepten zukunftsfähiger Mobilität kom- automobilen Antriebstechnologie vonstatten gehen könnte. men wird als in ländlichen und suburbanen Lebens- und Wirt- Die Rahmenbedingungen der Verkehrse ntwicklung in China schaftsräumen. Insgesamt ist damit eine sehr deutliche Ab- unterstreichen die Notwendigkeit, aber auch die Fähigkeit des kehr von früheren Konzepten eines einheitlichen Weltauto- Landes zu einem Technologiesprung. Aus Sicht der Expert_ mobilbaus mit global standardisierten Fahrzeugen besiegelt. innen wird der Technologiesprung sehr wahrscheinlich gelingen. Sollte es dazu kommen, ändert das für den Weltautomobil- 3.2.1 ELEKTRIFIZIERUNG bau und im Besonderen auch für die deutschen Autobauer vieles. Bei mangelndem Risikobewusstsein könnte die Zukunft Nach allem was wir heute wissen, ist der Elektroantrieb kurz- bis einiger europäischen Marken nur noch in ihrer Bedeutung als mittelfristig die tragfähigste produkttechnologische Antwort Markenträger, im Design und in der Teilefertigung liegen. Der auf die Herausforderung, die externen Eff ekte der Automobili- Weg in eine stabile Zukunft wird für die deutschen Hersteller tät, insbesondere die Luft- und Lärmemissionen, zu minimieren. vor allem in Kooperationen gesehen (untereinander, mit den Eine wichtige Übergangsrolle als Brückentechnologie könnte Technologiefirmen und mit China). 4 5 (insbesondere im Nutz- und Schwerlastbereich) der Gasantrieb sein. Klimawandel und die entsprechenden CO2-Standards, Exkurs: lokale Emissionsgrenzwerte und das geopolit ische wie volks- China als Gamechanger 5 im weltweiten Automobilmarkt wirtschaftliche Interesse an der Verringerung der Abhängigkeit Das Verkehrswachstum in China wird vor allem durch die wirtschaftliche von Erdölimporten treiben in den großen Automobilmärkten Entwicklung des Landes vorangetrieben. Auffällig sind die enorm rasan- Europas und Asiens die Entwicklung in Richtung Elektromobili- ten „Motorisierungsraten“: Gab es im Jahr 2000 nur 1 Million Pkw in Peking, tät voran. Neben den – im Hinblick auf die aktuellen Markt- waren es 2010 schon 5,6 Millionen. Die Urbanisierung und mit ihr ver- anteile marginal zu nennenden – Konzepten elektrifizierter bunden die funktionalen und ökologischen Probleme der klassischen Auto- mobilität bilden den Rahmen für die aktuellen industriepolitischen Pla- Carsharing-Flotten der europäischen Autobauer wird von den nungen der chinesischen Zentralregierung. Es wird erwartet, dass in den europäischen Herstellern bislang noch im Kern der Weg ver- kommenden zehn Jahren ca. 300 Millionen Menschen in die Städte ziehen. folgt, die etablierte Funktionalität des verbrennungsmotorischen Neben den jetzigen Großräumen der Urbanisierung gibt es weitere Universalfahrzeugs im Privatbesitz weiterzuführen. Deswe- 150 Städte mit jeweils mehr als 3 Millionen Einwohner_innen. Sie alle werden in den kommenden zehn Jahren stark wachsen. gen stehen mit Blick auf die gewohnten Konsummuster der Beim Thema Automobilität konzentrieren sich die chinesischen Planer_ Autokäufer_innen die Bemühungen um Kapazitäts- und innen im Augenblick auf die drei von Verkehrsproblemen am stärksten Reichweitenverlängerung der E-Fahrzeuge im Vordergrund. betroffenen Verdichtungsräume: Peking, Shanghai und Shenzhen. In jedem Sie führen zu den verschiedenen technologischen Teilkon- dieser drei Großräume soll ein international konkurrenzfähiger Automo- bilhersteller etabliert werden. Ziel ist es einerseits, die Innovationskraft der zepten des Hybridantriebs, des dominant elektrischen Fahrens Ballungsräume, das starke Nachfragepotenzial einer technologieaffinen (Batterie in Kombination mit einem kleinen Verbrennungs- Bevölkerung und den hohen Problemdruck zu regionalen Synergien zu- motor als „Reichweitenverlängerung“) und des Ansatzes, die sammenzuführen. Andererseits soll auf diese Weise die bisherige Frag- Reichweite der rein batterieelektrischen Fahrzeuge mit Inno- mentierung der Produkt ionsstrukturen konsolidiert werden. Bislang leidet die Autoproduktion in China noch an der Zersplitterung in 35 Provinzen vationen in der Zellen- und Batterietechnologie zu erhöhen. mit eigener Autoproduktion. Als Folge sind ca. 100 kleinere Firmen ent- Bei den nordamerikanischen Technologiefirmen und in China standen, die mit ihren spezifischen Problemen zu kämpfen haben: Preis- stehen neben diesem eher klassisch evolutionären Innovations- druck, geringe Margen, geringe F&E-Investitionen, lokale Standards. Diese konzept der schrittweisen Optimierung des Fahrzeugs und Fragmentierung soll durch den strategischen Entwicklungsplan „Made in China 2025“ der Zentralregierung überwunden werden, damit sich des Antriebsstranges noch zwei weitere Aspekte im Vorder- der Automobilbau zu einem bedeutenden nationalen Wirtschaftssektor grund: erstens die Überlegung, in der Elektromobilität durch der kommenden Jahrzehnte entwickeln kann. „Leap Frogging“, also durch das Überspringen einzelner Stufen in einem Entwicklungsprozess, durch einen Technologiesprung, > die Kompetenzen der etablierten Autobauer ein- bzw. sogar zu überholen und dabei die Fahrzeugnutzung in eine neue digi- tale Nutzungsphilosophie einzubinden, bei der der Betrieb 4 Beim Ridesharing nimmt ein_e Fahrer_in auf dem Weg eine_n Mitfahrer_ großer urbaner Fahrzeugflotten mit geringen spezifischen Fahr- in mit – die Fahrt würde also auch ohne eine_n Mitfahrer_in durchgeführt leistungen je Fahrzeug im Vordergrund steht. Autonome und werden. Solche Fahrgemeinschaften können von privaten Personen, aber elektrisch angetriebene urbane Car- und Ridesharing 4-Flotten auch von Unternehmen angeboten werden. Transportunternehmen würden sollen zukünftig als Teil eines vielfältigen und intermodal ver- dann einen Fahrgast aufnehmen und auf dem Weg zu dessen Ziel einen weiteren Fahrgast mitnehmen, also Fahrgemeinschaften bilden. netzten Gesamtverkehrsangebotes operieren. Zweitens das 5 Mit dem Begriff „Gamechanger“ wird eine Person oder Idee bezeichnet, darauf aufbauende industriepolitische Interesse insbesondere die die akzeptierten Regeln, Prozesse, Strategien und das Management der chinesischen Zentralregierung, eine eigenständige Auto- von Geschäftsfunktionen grundsätzlich ändert und damit den Markt grund- mobilwirtschaft auf der Basis der Beherrschung des neuen An- legend verändert.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 14 > > Alle industriepolitischen Planungsparadigmen sind darauf ausgerich- Antriebe in Produktion und Verkauf auf dem chinesischen Markt ein- tet, China zu einer führenden Autonation zu machen, dessen Industrie zuhalten. So sollen Hersteller, die mehr als 30.000 herkömmliche Fahr- einen Technologiesprung über die westliche Vorherrschaft im Be- zeuge jährlich produzieren oder importieren, bestimmte Anteile über reich der verbrennungsmotorischen Antriebe hinweg schafft. Die bis ein Punktesystem erfüllen. Für reine Elektroautos bekommen die Her- 2025 avisierte Entwicklung basiert dabei auf klaren techn-logischen steller demnach mehr Punkte gutgeschrieben als für Hybridmotoren, Innovationszielen, der Entwicklung der Elektromobilität im Kontext ei- auch für höhere Reichweiten soll es mehr Punkte geben. In 2019 sollen ner nationalen Kraftstoffstrategie und schließlich dem Konzept zur die Hersteller zunächst eine Zehn-Prozent-Quote in China erfüllen, von Einbindung der E-Fahrzeuge in digitalisierte Infrastrukturen und Ser- 2020 an dann zwölf Prozent 6. Schafft ein Hersteller die Vorgaben nicht, vicekonzepte. Hinzu kommt, dass China aufgrund der Erfahrungen im muss er entweder Punkte von anderen Firmen kaufen oder Strafen Bereich der Unterhaltungselektronik und bei E-Rollern erste wichtige zahlen. Auch wenn die industriepolitischen Bemühungen nicht immer Erkenntnisse zu den Vor- und Nachteilen der Batterietechnologie er- die gesteckten Ziele erreicht haben, ist China heute dennoch, was langt. Weitere – nicht industriepolitische – Gründe für den technologi- Deutschland ab 2020 einmal sein wollte: Leitmarkt für Elektromobili- schen Pfadwechsel sind die Senkung des Anteils der Erdölimporte tät. Weit früher als erwartet könnte das Land deshalb aus der Ver- (zwei Drittel der Importe werden für den Mobilitätssektor verwendet) brennungstechnologie vollständig aussteigen. und die Steigerung der volkswirtschaftlichen Resilienz angesichts der Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung erscheint es im Sinne Preisschwankungen am Weltmarkt. Auch die Luftreinhaltung in den kluger Zukunftsvorsorge zumindest ratsam, von einer dynamischen Ballungsräumen und die Überlastung städtischer Straßennetze sind und starken Rolle Chinas als „Gamechanger“ im globalen Automo- Gründe für die Neuausrichtig der chinesischen Industriepolitik im Be- bilmark t auszugehen. Dieses gilt umso mehr, weil eine ähnlich dy- reich der Mobilität. namische Entwicklung bzw. Entwicklungsbereitschaft wie bei der Die aus diesen Problemen bislang resultierenden rechtlichen Re- E- Mobilität in China auch im Bereich vernet z tes und autonomes gelungsversuche (Beschränkung der Zulassungszahlen, selektive Fahrt Fahren zu beobachten ist. Sie wird stark getrieben durch die Digi- beschränkungen nach Nummer des Nummernschildes, Versteigerung talfirmen im chinesischen Süden. Exper t_innen halten es dement- und hohe Kosten der Fahrzeugzulassung) erweisen sich heute als pro- sprechend für möglich, dass nach einem Einstieg in den westlichen bate Mittel zur Förderung der Elektromobilität. E-Fahrzeuge werden Markt über europäische Marken in etwa fünf Jahren erste Importe mit gar keinen oder geringeren Auflagen belegt, sodass massive Nut- aus China zu erwarten sind – noch früher womöglich im Nutzfahr- zungsvorteile für die Besitzer_innen entstehen. Diese verbraucher zeugbereich und im Stadtbussegment. Auch die lateinamerikanischen, seitig wirksamen Ansätze zur Markttransformation werden durch fi- arabischen und afrikanischen Märk te könnten von China aus er- nanzielle Anreize unterstützt: Möglich waren Prämien in Höhe von schlossen werden. Das Seidenstraßen-Projekt kann als Vehikel für 10.000 bis 14.000 Euro staatlicher Fördersumme pro Fahrzeug. Bis die Erschließung vor allem des asiatischen Marktes gesehen werden. 2014 war diese starke Anreizsetzung nur bedingt erfolgreich, da die funktionalen Rahmenbedingungen für die Nutzer_innen noch zu schlecht waren (mangelnde Ladeinfrastruktur). Aber schon 2013 wurde ein Politikwechsel zugunsten der Elektromobilität eingeläutet, der 6 auf die stärke Berücksichtigung der Konsumentenseite und den be- schleunigten Ausbau der Ladeinfrastruktur abzielt. 3.2.2 VERNETZUNG UND NEUE Denn hier hat auch China erheblichen Nachholbedarf, weil die WETTBEWERBER Netzinfrastruktur für die benötigte Ladesäulendichte keineswegs aus- reicht. Wenn sich gegenwärtig der Verkauf von Elektroautos zumin- Es wird aus unserer Sicht vor allem die digitale Vernetzungs- dest regional trotzdem positiv entwickelt, liegt das vor allem an den Zulassungsbeschränkungen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, kompetenz sein, die die Automobilbauer der Zukunft aus- die in den Megacitys wie Shanghai und Beijing eingeführt wurden. zeichnet. Sie garantiert als Basis neuer Dienstleistungen und Wer ein Benzinfahrzeug anmelden möchte, muss oftmals jahrelang Betriebskonzepte wie dem automatisierten Fahren das Ab- warten und dann für das Zulassungskennzeichen 12.000 bis 15.000 schöpfen eines wachsenden Teils der automobilen und auto- Euro bezahlen. Elektroautos kann man hingegen bspw. in Shanghai ohne Einschränkung und kostenlos anmelden. mobilnahen Wertschöpfung, während mit der reinen Produk- Zeitgleich werden die ersten größeren Anwendungsfälle der tion von Fahrzeugen zukünftig immer weniger Geld verdient Markttransformation sinnvollerweise im Bereich des Flottenbetriebs werden wird. Hier ist zu beobachten, dass die IT-Wirtschaft – geschaffen. Dabei geht es um staatliche Flotten – bspw. steigende insbesondere die global operierenden Firmen aus dem Silicon Quoten für die Beschaffung von Elektrobussen für den städtischen ÖPNV in Shanghai. Aber auch im privaten Sektor kommt der Aufbau Valley, aber auch die entsprechenden chinesischen IT-Firmen – von Fahrzeugflotten mit Elektroantrieben voran: Schon heute wird in seit einigen Jahren die Branchengrenzen überschreitet und China kein Taxi mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen. Technolo- die etablierte Autoindustrie mit neuen Konzepten des Fahrens gisch findet eine Fokussierung auf die BEV-Variante der Elektromobi- und des Nutzens von Automobilen auf der Grundlage ihrer lität statt. Trotz all dieser Bemühungen stellen Expert_innen fest, dass China digitalen Kompetenz direkt, visionär, kapitalkräftig und aggres- mit dem Absatz an Elektrofahrzeugen bislang nicht zufrieden sein siv angreift. kann. Verlief der Absatz schon zuvor außerhalb der chinesischen Me- Hinzu kommen die vielfältigen und recht aggressiven Ak- gacitys eher schleppend, ist er Anfang 2017 noch einmal erheblich tivitäten von ebenfalls mit viel Risikokapital ausgestatteten eingebrochen. Grund dafür dürfte die Einschränkung der Hersteller- prämien sein. 2020 wird diese direkte Unterstützung der Autopro- Firmen wie Lyft, Didi Chungxing oder Uber. Sie setzen mit duzenten vollständig beendet, weil sie zu ungewünschten Marktver- ihren Chauffeur- und Ridesharing-Aktivitäten nicht auf die zerrungen geführt hat. Die Prämien gingen teilweise an Hersteller, Entwicklung von Fahrzeugen, sondern wollen eine neue Nut- die gar nicht ernsthaft an der Automobilproduktion, sondern nur an zungskultur des Automobils auf Basis neuer digitaler Vernet- den Subventionen selbst interessiert waren. Die Beeinflussung der Marktentwicklung wird nach dem Ende der zungs- und Betriebsplattformen (Mobilitätsdienstleistungen) direkten Herstellersubventionen deshalb auf ein Quotensystem um- etablieren. Schließlich sind in diesem Zusammenhang die gestellt. Ab 2019 sind nach Aussage des Ministeriums für Industrie neuen chinesischen IT- und Technologiefirmen zu nennen, die und Informationstechnologie vom Herbst 2017 die heimischen Auto- sich auf den Einstieg in diesen Markt vorbereiten, wie die hersteller zunächst verpflichtet, Mindestziele für den Anteil alternativer > 6 Gleichzeitig soll der Flottenverbrauch in China bis 2020 auf 5L/100KM reduziert werden.
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