Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG

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Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
Treuhand | Steuer- und Rechtsberatung
Wirtschaftsprüfung | Unternehmensberatung
Informatik-Gesamtlösungen

Ein Leitfaden für die
Digitalisierung in KMU
Wie digitale Anwendungen die
internen Prozesse verbessern
Alexander Fust | Alexander Graf | Thomas Züger | Christoph Brunner | Marcel Baghdassarian

        www.kmu.unisg.ch                                         www.obt.ch
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
Inhaltsverzeichnis

         1     Vorwort                                                                         1

         2     Zusammenfassung / Management Summary                                           3

         3     Einleitung                                                                      7

         4	Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen                                      8
         4.1 Was bedeutet Digitalisierung?                                                     8
         4.2 Analyse: Was für digitale Prozesse haben das grösste Potenzial?                  10
         4.3 Was für digitale Lösungen gibt es, und worauf ist bei deren Nutzung zu achten?   14
             4.3.1   Enterprise Resource Planning                                             15
             4.3.2   Dokumentenmanagementsystem                                               16
             4.3.3   Finanzen / Buchhaltung                                                   18
             4.3.4   Personalwesen                                                            20
             4.3.5	Schnittstelle zum Kunden: von Online Marketing
                     über CRM und Marketing-Automatisierung bis hin zu Shopsoftware           23
             4.3.6   Business Intelligence (BI-Lösung)                                        28
             4.3.7   Teamübergreifende Zusammenarbeit                                         28
             4.3.8   Sonstige Tools                                                           29
             4.3.9   Mitarbeitende als Erfolgsfaktor: M
                                                      ­ itarbeitende mit auf den Weg nehmen   30
             4.3.10 Allgemeine Erfolgsfaktoren digitaler Lösungen                             31
         4.4 Wie können Ihre nächsten Schritte aussehen?                                      33
             4.4.1   Wie priorisieren Sie Investitionen in digitalen Anwendungen?             33
             4.4.1.1 Priorisierung nach Aufwand und Nutzen                                    33
             4.4.1.2 Priorisierung nach Kundenerlebnis                                        34
             4.4.2   Wie schaffen Sie günstige Rahmen­bedingungen?                            37

         5     Schlussbetrachtung und Fazit                                                   38

         6     Anhang                                                                         39
         6.1   Beispiel Prozessbeschreibung bei einer Ist-Soll-Analyse                        39
         6.2   Übersicht zu digitalen Lösungen und möglichen Anwendungsfällen                 41
         6.3   Gedanken zur IT-Sicherheit                                                     42

         7     Literaturverzeichnis / empfohlene Literatur                                    43

         8     Portrait der Interviewpartner und Danksagung                                   44

         9     Portrait der OBT AG und des KMU-HSG                                            49

             Drucksache
myclimate.org/01-20-824083
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
1 Vorwort

Wir beobachten in unserer Praxis, dass die Komplexität rund um das Thema Digitalisierung
eine grosse Herausforderung für Unternehmerinnen und Unternehmer ist. Wir möchten
helfen, mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Dabei sehen wir die Digitalisierung als Mittel
zum Zweck. Wie können interne Prozesse mit Hilfe der Digitalisierung verbessert werden?

Es stellte sich die Frage, wie wir einen einfachen Leitfaden für eine komplexe Thematik
erstellen können, der auch noch in ein paar Jahren aktuell sein wird. Mit diesem Leit­
faden möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, aufzeigen, wie an die Thematik
herangegangen werden kann und Ihnen Inspiration bieten zu möglichen Anwendungen
und Automatisierungsmöglichkeiten. Wir wissen aber auch, dass dieser Prozess aufwen­
dig ist und Zeit braucht.

Wir wünschen viel Spass beim Lesen und viel Inspiration!

November 2020, die Autoren

                                                                                           Vorwort | 1
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
Abkürzungsverzeichnis

     AB      Auftragsbestätigung                     HR       Human Resources
     AG      Aktiengesellschaft                      IT       Informationstechnologie
     BI      Business Intelligence                   kaufm.   kaufmännisch
     CRM     Customer Relationship Management        KMU      Klein- und Mittelunternehmen
     DMS     Dokumentenmanagementsystem              KPI      Key Performance Indicator
     DSGVO   Datenschutzgrundverordnung              KVP      kontinuierlicher Verbesserungsprozess
     ERP     Enterprise Resource Planning            MWST     Mehrwertsteuer
     F&E     Forschung & Entwicklung                 RE       Rechnungseingang
     Fibu    Finanzbuchhaltung                       SEA      Search Engine Advertising
     GL      Geschäftsleitung                        SEO      Search Engine Optimization
     GmbH    Gesellschaft mit beschränkter Haftung   SRM      Supplier Relationship Management

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Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
2 Zusammenfassung / Management Summary

Die Beschäftigung mit der Digitalisierung ist für KMU     ƒ ERP (Enterprise Resource Planning)
ein herausfordernder Prozess. Neben dem Alltags­          ƒ DMS (Dokumentenmanagementsystem)
geschäft gilt es, die zu verbessernden Prozesse zu        ƒ Buchhaltung / Finanzen
identifizieren und priorisieren, die Möglichkeiten der    ƒ Personalwesen
digitalen Anwendungen zu erfassen und die Mitar­          ƒ Schnittstelle zum Kunden: Online Marketing
beitenden auf diesem Weg mitzunehmen. Wir möch­             Tools, CRM und Marketing-Automatisierung
ten den Fokus auf die internen Prozessverbesserun­          sowie Shopsoftware
gen legen. D.h.: Wie können die internen Prozesse         ƒ Business Intelligence
mit Hilfe von digitalen Anwendungen verbessert resp.      ƒ teamübergreifende Zusammenbarbeit
automatisiert werden? Mit diesem Leitfaden möch­          ƒ sonstige Tools (z.B. Wissens- und Projekt­
ten wir die ­Herangehensweise erläutern, eine Inspi­        management oder No-Code-Plattformen)
ration bieten für mögliche digitale Anwendungen,
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine aufzeigen sowie         ERP (Enterprise Resource Planning). Das ERP-System
relevante Reflexionsfragen stellen. Die Digitalisierung   (Geschäftsressourcenplanung) bildet möglichst alle
soll hierbei kein Selbstzweck sein, sondern einem         Geschäftsprozesse einer Firma ab. Es gibt branchen­
bestimmten Ziel und Nutzen dienen.                        spezifische ERP-Systeme, welche viele Geschäfts­
                                                          prozesse einer bestimmten Branche abdecken. Die
Gemeinsames Verständnis für die Digitalisierung.          Frage ist, ob auf ein zentrales ERP-System gesetzt
Zu Beginn sollten Sie ein gemeinsames Verständnis         wird oder auf einen «Best of Breed»-Ansatz. Beim
zu Digitalisierung in Ihrem Unternehmen aufbauen.         zuletzt genannten Ansatz werden spezialisierte An­
Fragen Sie sich: Geht es um Digitalisierung aus der       wendungen mit Hilfe von Schnittstellen dazugeschal­
Perspektive der Effizienzsteigerung, des Umsatz­          tet. Um ein ERP-System im Einsatz zu sehen, lohnt
wachstums, der Unternehmensstruktur oder eines            sich der Besuch eines befreundeten Unternehmens,
sonstigen Kundenmehrwerts?                                das ein ERP-System nutzt.

Vorgehen. Es gilt, eine Standortbestimmung vor­           Dokumentenmanagementsystem (DMS). Im Zuge
zunehmen (Ist-Situation), gefolgt von der Identifika­     des papierlosen Büros wird oft ein DMS eingeführt.
tion der zu verbessernden Prozesse. Schliesslich          Ein gutes DMS hilft, Dokumente einfach wieder­
werden diese Prozesse mit Hilfe von digitalen Anwen­      zufinden. Dabei können Dokumente sogar automa­
dungen verbessert und ausgeführt (Umsetzung).             tisch abgelegt werden. Eine Anbindung an das ERP
                                                          ist zentral, um wichtige Funktionalitäten nutzen zu
Standortbestimmung. Es gibt verschiedene Pro­             können. Es lohnt sich zudem, die Beschriftung der
zesse in Unternehmen (z.B. Führungs-, Geschäfts-          Dateien zu definieren, was die Auswahl geeigneter
und Unterstützungsprozesse). In der Standortbestim­       Attribute und Schlagworte miteinbezieht.
mung werden die Subprozesse betrachtet. Es wird
entschieden, welche dieser Prozesse am meisten            Finanzen / Buchhaltung. Die Automatisierungsmög­
Potenzial aufweisen, ob sie Fehler oder manuelle          lich­keiten nehmen zu, wenn die Buchhaltung mit
Schritte beinhalten. Dabei spielt es auch eine Rolle,     dem ERP und den Stammdaten (z.B. Kunden­daten)
wie sich die eigene Geschäftstätigkeit in Zukunft         verbunden ist. So können Offerten erfasst, Auftrags­
verändern wird und was für eine Einschät­zung dazu        bestätigungen erstellt und elektronische Rech­
besteht, wie sich die Kundenbedürfnisse verändern         nun­gen verschickt werden. Die Prüfung der Zahlung
werden.                                                   kann über einen automatischen Import der E-Ban­
                                                          king-Daten ins Buchhaltungsprogramm vorgenom­
Anwendungsbereiche. Folgende Anwendungs­                  men werden. Zudem hilft auch die Integration der
bereiche lassen sich unterscheiden, jedoch nicht          Zeiterfassung, wodurch eine Nachkalkulation der
immer trennscharf:                                        Aufträge gut möglich wird. Auch das Mahnprozedere

                                                                               Zusammenfassung / Management Summary | 3
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
oder sogar der Visierprozess von Standard­rech­          Allgemeine Erfolgsfaktoren digitaler Anwendungen.
       nungen lässt sich automatisieren. Schliesslich kann      Software-Grenzen vs. zukünftige Bedürfnisse:
       ein gutes Finanzcockpit fürs Controlling helfen.         Jede Software hat Limitierungen: Prüfen Sie, ob
                                                                ­diese in Einklang mit den geplanten Entwicklungen
       Personalwesen. Grundsätzlich kann der gesamte HR-         in Ihrem Unternehmen stehen.
       Zyklus vom Onboarding bis zum Offboarding über            Branchenspezifische Anforderungen kennen:
       HR-Software erleichtert werden. Gleichzeitig ist eine     Reicht Ihnen eine branchenübergreifende bzw. hori­
       automatisierte Lohnbuchhaltung von Vorteil. Dabei         zontale Lösung oder wäre eine branchenspezifische
       sind sowohl Lohnzahlungen als auch Buchungssätze          Nischen-Lösung die bessere Wahl?
       definiert und die Kommunikation mit den Sozialver­        Modulare Einführung/Modularität: Ist die Lösung
       sicherungen und der Mehr­wert­steuerbehörde gere­         mo­dular einführbar? Mit Teilbereichen zu starten ist
       gelt. Die Lohnabrechnungen können von den Mit­            oft­mals leichter und führt schneller zu Erfolgserleb­
       arbeitenden auf einer Plattform heruntergeladen           nissen.
       werden. Auch der Spesen­abrech­nungseinreich­             Schnittstellen absichern: Die Zunahme von Schnitt­
       prozess kann automatisiert werden, indem etwa die         stellen und die steigende Vernetzung mit unterneh­
       Kreditkarten­abrechnungen eingelesen oder ein Foto        mensexternen Netzwerken erhöht Risiken.
       von den Spesenbelegen gemacht wird. Die Nutzung           Adäquate Schnittstellen vorhanden: Überlegen
       von Textbausteinen für die Arbeits­zeugnisse erhöht       Sie sich bereits vor der Anschaffung, mit welchen
       neben der Effizienz auch die Rechts­sicherheit, und       Lösungen eine Vernetzung notwendig ist und auf
       die ­Dokumente zu den Mit­arbeitergesprächen kön­         welche verzichtet werden kann.
       nen im DMS gut abgelegt werden.                           Best of Breed vs. Zentralisierung evaluieren: Soll
                                                                 der Schwerpunkt auf die leistungsfähigste und funk­
       Online Marketing, CRM und Marketing-Automatisie­          tionsreichste Spezial-Software für jeden Anwendungs­
       rung. Beim Online Marketing geht es darum, die            bereich gelegt werden (Best of Breed) oder sollen
       Anzahl der Website-Besucher zu erhöhen (Traffic-          möglichst viele Prozesse über die Gesamtlösung
       Generierung), diese anonymen Besucher in qualifi­         eines Anbieters abgedeckt werden (Zentralisierung)?
       zierte Interessenten bzw. Leads und schliesslich in
       Kunden zu konvertieren (Traffic-Konvertierung). Im       Mitarbeitende mit auf die Reise nehmen. Bei all die­
       Anschluss gilt es, gewonnene Kunden zu binden und        sen digitalen Anwendungen steht schliesslich der
       zu Wiederkäufen anzuregen. Klassische Instrumente        Mensch im Zentrum, der die Anwendung auch nut­
       hierfür sind: Suchmaschinenoptimierung, Social-          zen wird resp. soll. Das Change-Management ist
       Media- und Suchmaschinenwerbung sowie E-Mail-            in solchen Projekten zentral. Es gilt, die Notwendig­
       Marketing. Den Erfolg Ihrer Online Marketing             keit der Neuerung und den Nutzen klar zu kommu­
       Massnahmen können Sie mithilfe einer Vielzahl von        nizieren. Die Erstellung eines Konzepts lohnt sich.
       Analyse-Tools detailliert überprüfen und nachverfol­     Es soll mit Quick Wins angefangen werden, bei
       gen. Dem CRM und der damit zusammenhängen­               denen möglichst alle Mitarbeitenden schnell den
       den Marketing-Automatisierung kommt im Online            Nutzen der Veränderung sehen. Die Begleitung und
       Marketing ebenfalls eine grosse Bedeutung zu.            die Befähigung der Mitarbeitenden helfen, dass
                                                                Ängste und der Respekt vor der Veränderung abge­
       Business Intelligence (BI-Lösungen). Grosse Mengen       baut werden können. Dies soll durch Informations­
       an Daten werden ausgewertet und in Dashboards            veranstaltungen und gute Kommunikation unterstützt
       visualisiert. So können z.B. mittels eines Führungs­     werden. Es braucht dazu eine Unterstützung und ein
       Dashboards die wichtigsten Führungskennzahlen            klares Commitment der Führungskräfte, die mit
       übersichtlich dargestellt werden, was hilft, Entschei­   gutem Beispiel vorangehen.
       dungen treffen zu können. Wichtige Informationen
       könnten Führungskennzahlen aus der Auftrags-             Priorisierung. Nach dem Studium der vielen Möglich­
       (Umsatz, Auftragsbestand, Anzahl offener Offerten)       keiten, wie digitale Anwendungen interne Prozesse
       oder der Lagersituation (Lagerbestand, Ladenhüter-       verbessern können, gelingt es die Investitionen unter
       Analyse) bereithalten.                                   Berücksichtigung von Aufwand, Nutzen und Kunden­
                                                                erlebnis zu priorisieren.
       Teamübergreifende Zusammenarbeit. Die Einführung
       von Home-Office führt dazu, dass auf die Firmenres­      Abbildung 1 fasst die allgemeinen Erfolgsfaktoren
       sourcen von verschiedenen Orten zugegriffen wer­         und jene der einzelnen digitalen Anwendungen zu­
       den kann. Videokonferenzen helfen bei der Zu­            sammen und zeigt die verschiedenen methodischen
       sammenarbeit. Slack- oder Microsoft-Teams bieten         Werkzeuge in einer Übersicht.
       zudem Kanäle und Chats an für die bessere Nachvoll­
       ziehbarkeit der Kommunikation. So müssen weniger
       Mails für die Kommunikation eingesetzt werden.

4 | Zusammenfassung / Management Summary
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
Genannte Erfolgsfaktoren digitaler Anwendungen nach Bereich

 ERP                     DMS                   Finanzen /             Personalwesen            Kunden-­                Sonstige Lösungen
 (S.15 -16)              (S.16 -17)            Buchhaltung            (S.20-22)                Schnittstelle           (S.28-30)
                                               (S.18-20)                                       (S.23-27)

 ƒ Zusatzmodule vs.      ƒ Anbindung           ƒ zukünftige           ƒ Strukturen und         Online Marketing:       Business
   eigenständige           an das ERP            Bedürfnisse            Prozesse klar          ƒ Grundlagen            ­Intelligence:
   Lösungen              ƒ Start mit einem       miteinbeziehen         ­definiert               schaffen               ƒ Datenqualität
 ƒ Schnittstellen          Pilotprojekt        ƒ Plausibilitäts­      ƒ Datenschutz            ƒ KPIs regelmässig         prüfen und
   absichern             ƒ richtige              prüfung durch           durch                   überprüfen               gewährleisten
 ƒ Entwicklungspfad        Mehrfachattribute     Treuhänder nach         ­Berechtigungen       ƒ A / B-Tests            ƒ Adäquate KPI’s
   des Unter­              frühzeitig setzen     Einführung               gewährleisten          durchführen              definieren und
   nehmens               ƒ Beginn mit          ƒ Grenzen der          ƒ Einsparungen           ƒ Online-Präsenz           regelmässig
   berücksichtigen         einfachen             ­Software kennen         durch Vermeidung       auf Unternehms­          überprüfen
 ƒ branchen­               Prozessen           ƒ gängiger                 manueller Fehler       werte abstimmen
   spezifische           ƒ modularer Ankauf       ­Konten­rahmen          berücksichtigen                              Wissens­
   Anforderungen           des DMS             ƒ Kompatibilität mit   ƒ keine über­            CRM:                    managementtools:
   berücksichtigen       ƒ Auswahl der             QR-Rechnungen          dimensionierte       ƒ Daten- /              ƒ Nutzung
                           Anbieter            ƒ Anpassungs­              Software               Leadpflege              niederschwellig
                                                   fähigkeit an       ƒ Anpassung der          ƒ Auswahl auf             gestalten
                                                   regulatorische         eigenen Prozesse       Basis der internen
                                                   Veränderungen          an Standard­           Prozesse              Kollabora­tions­
                                               ƒ keine ­Dopplungen        lösung evaluieren    ƒ Eignung               tools:
                                                   bei Rechnungen     ƒ Fokus auf                regelmässig           ƒ Nutzungskonzept
                                               ƒ Sensibilität für         ­Standardprozesse      hinterfragen            festlegen
                                                   gefälschte
                                                   ­Rechnungen                                 Marketing-­
                                                                                               Automatisierung:
                                                                                               ƒ Marketing- und
                                                                                                 Verkauf
                                                                                                 integrieren
                                                                                               ƒ Effizienz und
                                                                                                 Kunden­
                                                                                                 zufriedenheit
                                                                                                 vereinen
                                                                                               ƒ DSGVO-­
                                                                                                 Konformität

 Allgemeine (bereichsübergreifende und begleitende) Erfolgsfaktoren

 Digitale Anwendungen                                                 Change Management / Mitarbeitende

 ƒ   Software-Grenzen vs. zukünftige Bedürfnisse                      ƒ   Notwendigkeit und Nutzen kommunizieren
 ƒ   branchenspezifische Anforderungen kennen                         ƒ   Klares Commitment der Geschäftsleitung
 ƒ   modulare Einführung / Modularität                                ƒ   Einführung in kleinen, strukturierten Schritten
 ƒ   IT-Sicherheit: Schnittstellen, Datenschutz                       ƒ   Nutzungskonzept entwickeln
 ƒ   Adäquate Schnittstellen vorhanden?                               ƒ   Befindlichkeiten verfolgen
 ƒ   Best of Breed vs. Zentralisierung evaluieren                     ƒ   «Kipp-Moment» ansteuern (S.30)

 Methodische Werkzeuge und Rahmenbedingungen

 Standortbestimmung                            Priorisierung von Investitionen                  Günstige Rahmenbedingungen

 Reifegradanalyse / Digital Checks:            Aufwand / Nutzen-Verhältnis:                     ƒ Förderung agiler Arbeitsweisen
 ƒ Einstufung nach vordefinierten Kritierien   ƒ Erkenntnisse aus der Standort­                   und Organisationsstrukturen
   oder relativ zu anderen Unternehmen           bestimmung einfliessen lassen                  ƒ Mitarbeitenden Freiraum zum
 ƒ branchenspezifisch oder branchen­           ƒ Schätzung Aufwand / Nutzen auch                  Experimen­tieren geben
   übergreifend                                  mittels der Erfahrungswerte anderer            ƒ Austausch zwischen funktionalen
                                                 Unternehmen                                      Teams fördern
 Wichtigkeit von Prozessen:                    ƒ Quick Wins priorisieren                        ƒ Partnerschaften mit Startups,
 ƒ Potenzial mal Fehleranfälligkeit                                                               ­Univer­sitäten, Fachhochschulen und
                                               Customer Journey:                                   etablierten Playern
 Ist-Soll-Analyse:                             ƒ mit realen Kunden oder Personas                ƒ externe Verwaltungsräte, um andere
 ƒ Mitarbeitergespräche                        ƒ Fokus auf «Moments of Truth»,                     Erfahrungen einfliessen zu lassen
 ƒ Prozessbeschreibungen im Ist- und             d.h. Schlüsselinteraktionen                    ƒ Austausch mit anderen Unternehmerin­
   Soll-Zustand: Handbuch                      ƒ Ist-Soll-Analyse ggf. mit Erkenntnissen           nen bzw. Unternehmern in Erfahrungs­
                                                 der Customer Journey ergänzen                     austauschgruppen

Abbildung 1: Übersicht zum Leitfaden

                                                                                                     Zusammenfassung / Management Summary | 5
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
6 | Einleitung
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
3 Einleitung

Das Tagesgeschäft brummt und fordert eine grosse                     Wir werden Ihnen mit verschiedenen Fragen, A­nt­
Aufmerksamkeit. Rufe nach der Digitalisierung kön­                   worten, Praxisbeispielen und Reflexionsfragen hel­
nen dadurch leicht verhallen. Denn es läuft ja gut,                  fen, damit Sie für sich selbst die weiteren Fort­
und der Leidensdruck ist gering. Die Corona-Pan­                     schritte mit Hilfe von digitalen Tools entscheiden
demie zeigt jedoch auf, dass digitale Technologien                   können. Es geht uns darum, das Thema Digitalisie­
besonders in diesen Zeiten helfen können, wenn es                    rung für KMU auf der operativen Ebene fassbar zu
etwa um den Online-Zugang zu Ressourcen oder um                      machen. Deshalb stellten wir unseren Interview­
die Zusammenarbeit untereinander geht. Digitale                      partnern2 – Unternehmerinnen bzw. Unternehmern,
Anwendungen können Prozesse stark verein­fachen,                     ­IT-Entscheidungsträgerinnen bzw. Entscheidungs­
Kosten lassen sich einsparen und die Qualität der                     trägern von KMU und Digitalisierungsexperten –
Leistungserstellung kann erhöht werden.                               folgende Fragen:
                                                                      ƒ Welche IT-Anwendungen haben zum grössten
Die Digitalisierung ist mit Investitionen verbunden,                     Mehrwert geführt?
und es ist nicht immer klar, welche Investitionen                     ƒ Was waren Stolpersteine und Erfolgsfaktoren?
sich lohnen werden. Gleichzeitig beobachten wir teil­                 ƒ Was würden Sie im Nachhinein gesehen anders
weise eine Unkenntnis darüber, was die Digitalisie­                      machen?
rung für Möglichkeiten bietet und konkret für KMU
bedeuten kann. Digitalisierung muss nicht zwangs­
läufig gross gedacht werden und mit einer Trennung
von bewährten Geschäftsmodellen und Strukturen
einhergehen. Auch in kleinen Schritten – beginnend
bei den internen Prozessen – können KMU dank der
Digitalisierung Erfolge erzielen.

Wir richten uns mit diesem Leitfaden an KMU und
verfolgen die folgenden Ziele:
1. Die wichtigsten Fragen adressieren in Bezug
   auf die Digitalisierung von KMU auf operativer
   Ebene, damit diese Unternehmen ihre internen
   Prozesse verbessern können.
2. Hilfsmittel bieten, damit die Unternehmer1 diese
   Frage für sich beantworten können.
3. Wir möchten damit die Unternehmer ermuntern,
   Massnahmen anzugehen, um mit Hilfe der Digita­
   lisierung ihre internen Prozesse zu verbessern und
   Kosten zu reduzieren, den Kundennutzen zu stei­
   gern oder die Qualität der Prozesse zu erhöhen.

1
    Wir achten darauf, eine genderneutrale Form zu verwenden,
    resp. Bezeichnungen, die beide Geschlechter beinhalten. In
    Einzelfällen wurde im Sinn der Lesefreundlichkeit entschieden,
    die weibliche oder männliche Form zu nutzen, wobei darin
    selbstverständlich auch das andere Geschlecht gemeint ist.       2
                                                                         Die Interviewpartner sind in Kapitel 8 aufgelistet.

                                                                                                                               Einleitung | 7
Ein Leitfaden für die Digitalisierung in KMU - OBT AG
4 Digitale Anwendungen für KMU:
           zentrale Fragen

        Wir sind uns bewusst, dass für KMU die Beschäfti­        4.1 Was bedeutet Digitalisierung?
        gung mit der Digitalisierung ein herausfordernder        In der Vergangenheit wurde unter Digitalisierung vor
        und langwieriger Prozess ist. Diesen Prozess können      allem die Umwandlung von analogen in digitale Me­
        wir zwar nicht abnehmen, aber wir können Ihnen           dien, bestehend aus Bits und Bytes, verstanden –
        eine Inspiration bieten: Was ist möglich, und wie        wie z.B. durch Einscannen eines Buchs. Im Zentrum
        können Sie an das Thema herangehen? Diese Aus­           steht dabei, Daten und Informationen in digitalen
        einandersetzung wird zu verschiedenen wichtigen          Formaten zugänglich zu machen, sodass die Daten
        Erkenntnissen führen. Eine einzige Klausurtagung         von Computer-Systemen ausgelesen und für ver­
        zu diesem Thema wird aller Voraussicht nach nicht        schiedene Zwecke verwendet werden können. Bei
        ausreichen, denn es bleibt ein kontinuierlicher Pro­     diesem Vorgehen wird von der Digitalisierung im
        zess. Der Markt und die Kundenbedürfnisse verän­         engeren Sinn gesprochen. Das heutige Verständnis
        dern sich. Es gilt, sich diesen anzupassen und neue      von Digitalisierung geht darüber hinaus: Es umfasst
        Entwicklungen auf dem Radar zu haben.                    die Nutzung digitaler Technologien und ­Daten,
                                                                 um bestehende Geschäftsmodelle zu verbessern,
        Zunächst möchten wir in Kapitel 4.1 den Begriff der      neue Möglichkeiten zur Umsatzsteigerung sowie
        Digitalisierung näher erläutern, da in der Praxis zwar   Mehrwertgenerierung zu schaffen (Schallmo und
        häufig von dieser die Rede ist, jedoch nicht immer       Williams, 2018; i-SCOOP, 2016). Mehrwert kann
        dasselbe gemeint wird.                                   z.B. durch die Optimierung von Geschäftsprozessen
                                                                 entstehen, was bis hin zur Abschaffung von nicht
        Zudem zeigen wir Ihnen die Ergebnisse unserer            mehr benötigten Prozessen gehen kann, durch den
        ­G espräche mit Inhaberinnen bzw. Inhabern und           Einsatz neuer Technologien.
         Führungskräften diverser KMU, bei welchen wir den
         drei folgenden Leitfragen auf den Grund gingen:         Von der Digitalisierung zur digitalen Transformation.
         1. Wie kann vorgegangen werden, um interne Pro­         In einem Atemzug mit der Digitalisierung wird häufig
             zessverbesserungen und Automatisierungsmög­         von der digitalen Transformation gesprochen. Die
             lichkeiten zu identifizieren (Kapitel 4.2)?         digitale Transformation bezeichnet den Verän­d e­
         2. Welche Prozesse können digitalisiert werden,         rungsprozess, den Unternehmen durchlaufen.
             welche digitalen Anwendung gibt es, und worauf      Dieser Prozess wird sowohl ermöglicht als auch ge­
             ist bei deren Nutzung zu achten (Kapitel 4.3)?      trieben durch digitale Technologien und den sich aus
         3. Wie können die nächsten Schritte aussehen            diesen ergebenden Anwendungen und Geschäfts­
             ­( Kapitel 4.4)?                                    modellen. Die digitale Transformation wird dabei
                                                                 weniger als endlicher, klar strukturierter Prozess ver­
                                                                 standen, sondern eher als dynamische, fortlaufende
                                                                 Veränderung gewohnter Gegebenheiten. Bei der digi­
                                                                 talen Transformation werden die Auswirkungen auf
                                                                 Organisationen und die dazugehörigen Menschen
                                                                 stärker in den Vordergrund gerückt. Dies beinhaltet
                                                                 unter anderem die folgenden fünf Auswirkungen
                                                                 resp. Ebenen der digitalen Transformation:
                                                                 ƒ Prozesse: Neue digitale Tools werden an­
                                                                     gewandt und manuelle Arbeitsschritte durch
                                                                     digitale, teilweise vollautomatische Prozesse
                                                                    ­optimiert.

8 | Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen
ƒ Geschäftsmodelle: Neue Geschäftsmodelle                 Kundenzentrierung, aber auch mit «Trial & Error» zu­
           werden mit Hilfe der digitalen Transformation           sammen. Es geht also darum, auch nicht ganz fertig
           geschaffen.                                             entwickelte Lösungen den Kunden zu zeigen und
         ƒ Organisation: Neue Strukturen und Arten                 aus dem Feedback zu lernen.
           der Zusammenarbeit entstehen durch digitale
           Möglichkeiten.
         ƒ Branchengefüge bzw. Geschäftsumfeld:                      Reflexionsfragen
           Wertschöpfungsketten und Rollen von                       ƒ Was bedeutet Digitalisierung für Sie und Ihr
           ­Unternehmen verändern sich.                                Unternehmen?
         ƒ Gesellschaft: Bewegungen und Trends.                      ƒ Wie würden Ihre Mitarbeitenden antworten,
                                                                       wenn Sie über ihr Verständnis der Digitalisierung
         Im Alltag und in der Praxis ist jedoch beobachtbar,           befragt würden?
         dass Bezeichnungen wie die digitale Transforma-             ƒ Besteht im Unternehmen ein gemeinsames
         tion und die Digitalisierung oftmals umgangs­                 Verständnis der Digitalisierung?
         sprachlich gleichbedeutend bzw. nicht ganz trenn­           ƒ Welche Ziele verfolgen Sie mit der Digitalisie­
         scharf verwendet werden – seien Sie sich dessen               rung?
         bewusst, und lassen Sie sich nicht verwirren. Stel­         ƒ Wird die Digitalisierung von den Mitarbeitenden
         len Sie auf jeden Fall innerhalb Ihres Unternehmens           als Chance oder Gefahr gesehen?
         sicher, dass alle die gemeinsame Sprache sprechen,          ƒ Wie agil ist Ihre Organisation?
         um Missverständnisse zu vermeiden.

«Immer, wenn wir über Digitalisierung reden, überlegen wir
uns zunächst, ob wir von der Digitalisierung aus der Sicht der
Effizienzsteigerung, des Umsatzwachstums, der Unterneh­
mensstruktur oder sonstigen Kundenmehrwerts reden.»
Marco Killer, Killer Interior AG

         Digitalisierung als Basis agiler Organisation. Unter­
         nehmen sind im Zuge der Digitalisierung stärker denn
         je einem dynamischen, schnelllebigen Marktumfeld
         ausgesetzt. Traditionelle Organisationsstrukturen
         werden dadurch hinterfragt, da sich einige Unter­
         nehmen im heutigen Zeitalter nicht schnell genug
         auf Marktveränderungen einstellen können. Als Kon­
         sequenz ist vom Erfordernis einer agilen Organisa­
         tion die Rede. Agile Organisationen können sich
         schnell verändernden Kundenbedürfnissen anpassen
         oder diese gar antizipieren. Die Agilität hat ihren Ur­
         sprung im Projektmanagement der Software-Ent­
         wicklung. Beim agilen Projektmanagement werden
         Funktionen einer Software in kurzen Iterationszyk­
         len hinzugefügt oder überarbeitet. Die Vorteile sind,
         dass dadurch schon während einer Produktentwick­
         lung zeitnah auf Feedbacks von Kunden reagiert wer­
         den kann. Agiles Projektmanagement hängt also eng
         mit der Bereitschaft von Markteinführungen, der

                                                                                      Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen | 9
4.2 Analyse: Was für digitale Prozesse
              haben das grösste Potenzial?
        Vereinfacht gesagt, wird zuerst die Ist-Situation                  «Wir beginnen zuerst mit dem Prozess und fragen uns dann,
        ­analysiert, danach werden die Prozesse mit dem                    ob wir mit Hilfe der Digitalisierung etwas verändern können,
         grössten oder gewünschten Verbesserungspoten­                     d.h., ob wir Ordnung und Struktur schaffen können.»
         zial mit Hilfe der Digitalisierung identifiziert, und             Marco Killer, Killer Interior AG
         dann wird die Umsetzung angegangen.

                                                                Identifikation der zu                         Umsetzung planen
                         Ist-Situation
                                                             ­verbessernden Prozesse                           und ausführen

        Abbildung 2: Vorgehen für die Identifikation von Verbesserungspotenzial

        Die Digitalisierung darf nicht als Selbstzweck ver­                Der Nutzen von Reifegradmodellen:
        standen werden, d.h. die Digitalisierung soll nicht                ƒ Die Reifegradmodelle zeigen, wo Sie im
        der Digitalisierung wegen durchgeführt werden. Die                   Vergleich zum Branchendurchschnitt und den
        Killer Interior AG machte beispielsweise gute Erfah­                 Vorreitern stehen.
        rungen damit, zunächst bestehende Prozesse von                     ƒ Ein digitaler Reifegrad ist nur eine Moment­
        jenen im Lean Management gängigen Verschwen­                         aufnahme. Um einen hohen Reifegrad aufrecht­
        dungsarten3 zu bereinigen. Erst auf Basis der berei­                 erhalten zu können, muss die digitale Transfor­
        nigten Prozesse wird analysiert, welcher Mehrwert                    mation als ein fortlaufender (Verbesserungs-)
        durch digitale Lösungen erzielt werden kann. Da­                     Prozess verstanden werden, und relevante
        durch wird gleichzeitig der betroffene Prozess greif­                Trends dürfen nicht aus den Augen verloren
        barer, denn geordnete, gut strukturierte Prozesse                    werden.
        sind leichter verständlich.                                        ƒ Der digitale Reifegrad dient zur Kontrolle des
                                                                             Fortschritts und zur fortlaufenden Identifikation
«Die Komplexität von Prozessstrukturen ist nicht unbedingt                   von Verbesserungsmöglichkeiten.
von der Unternehmensgrösse abhängig. Unternehmen mit
10 bis 20 Mitarbeitenden können bereits über extrem
­komplexe Prozesse und Anforderungen verfügen, denn
 Komplexitätstreiber sind oft andere Faktoren wie bspw.
 branchen- und auftragsbezogene Eigenheiten.»
Claudio Hintermann, Abacus Research AG

        Analyse der Ist-Situation: Um selbständig einen
        ersten groben Eindruck erhalten zu können, können
        sich Selbstchecks zum digitalen Reifegrad des eige­
        nen Unternehmens als nützlich erweisen. Diese wer­
        den in Form eines (Online-)Fragebogens durchlaufen
        und von vielen verschiedenen Institutionen angebo­
        ten. Es gibt branchenunabhängige und eher allge­
        meiner ausgestaltete Modelle und solche, die kon­
        kreter sind, da sie sich auf eine Branche beziehen.

        3
            Die Überproduktion (von Information oder Gütern), Lager­
            bestände, unnötige Bewegung, Wartezeit, Nacharbeit und
            Ausschuss, falsche und unnötige Prozesse sowie ungenutztes
            Talent werden u.a. als Verschwendungen verstanden. Es
            können etwa Beispiele für solche Verschwendungen in einem
            Workshop erarbeitet und Lösungen entwickelt werden.

10 | Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen
Identifikation von zu verbessernden Prozessen:                Leistungsprozesse stehen im Zentrum und beginnen
        Was für Prozesse gibt es? Wir unterscheiden Füh­              beim Kunden, seinen Anforderungen und Bedürfnis­
        rungs-, Leistungs- und Unterstützungsprozesse. Die            sen und ­enden mit einem Ergebnis für den Kunden.

                                                         Führungsprozesse
                                                 Controlling, Qualitätsmanagement,
                                                       Strategieentwicklung

                                                       Geschäftsprozesse
                 Kunde                                                                                      Kunde
                                                 Produktion und Montage, Verkauf,
             Bedürfnisse und                                                                           Ergebnis, Produkt
                                                           Entwicklung
             Anforderungen                                                                            oder Dienstleistung

                                                     Unterstützungsprozesse
                                             Personalwesen, Buchhaltung, Beschaffung,
                                               Logistik, Dokumentation, Marketing, IT

        Abbildung 3: Prozessarten (in Anlehnung an Rüegg-Stürm, 2003)

        Bei jeder dieser Prozessarten können weitere Sub­             Wir haben uns erlaubt, in der folgenden Tabelle eini­
        prozesse definiert werden (siehe Tabelle 1). So be­           ge Subprozesse aufzuführen, die mit Hilfe von digi­
        inhaltet etwa das Personalwesen Prozesse wie die              talen Anwendungen automatisiert werden können.
        Rekrutierung, Personalbeurteilung, Onboarding neuer           Die Aufzählung in der Tabelle ist nicht abschliessend.
        Mitarbeitender, Personalentwicklung, Abläufe mit              Das Potenzial des Prozesses kann in der zweiten Spal­
        Arbeitszeugnissen, etc. Es gilt, diese Subprozesse zu         te angegeben werden (von 1, gering, bis 10, hoch).
        identifizieren und zu überlegen, wie hoch das Poten­          Ein sehr oft genutzter Prozess bedeutet ein hohes
        zial der Einsparung, des Umsatzwachstums oder der             Potenzial. In der nächsten Spalte folgt die Fehleran­
        Qualitätserhöhung sein könnte. Prozesse, die oft ge­          fälligkeit, resp. die Einschätzung, ob für den Prozess
        nutzt werden und zeitaufwendig sind, bieten sich              aktuell noch viele manuelle Schritte notwendig sind.
        am ehesten an.                                                Auch kann je nach Anforderung die Forderung in Be­
                                                                      zug auf die Geschwindigkeit oder die Durchlaufzeit
«Auch wenn nicht jeder Geschäftsvorfall standardisiert ist,           angegeben werden. Dabei wird auch wieder mit einer
sollte so viel wie möglich automatisiert werden. Damit ge­            Skala von 1 (gering) bis 10 (hoch) die entsprechende
winnt man Zeit und Ressourcen, um individuelle und dynami­            Bewertung angegeben. Für die letzte Spalte wer­
sche Sachverhalte mit der nötigen Priorität zu behandeln.»            den die Zahlen in den beiden Spalten zusammenge­
Peter Herger, PROFFIX Software AG                                     zählt, um eine Übersicht über die Rangierung zu
                                                                      erhalten.

                                                                        Bevor Sie die folgende Tabelle ausfüllen,
                                                                        sind die folgenden Reflexionsfragen zu beachten:
                                                                        ƒ Wie sieht die Vision und Strategie Ihrer Firma aus?
                                                                        ƒ Was sind die strategischen Ziele Ihrer Firma?
                                                                        ƒ Wie werden sich die Kundenbedürfnisse
                                                                           in Zukunft verändern?
                                                                        ƒ Was wird in Zukunft alles gefordert sein, das
                                                                           eine Auswirkung auf die Prozesse resp. die
                                                                           ­Ausgestaltung der digitalen Anwendungen hat?
                                                                        ƒ Welche Prozesse bieten das grösste
                                                                            ­Auto­matisierungspotenzial?
                                                                        ƒ Welche Prozesse könnten aufgrund der
                                                                             ­Anwendung von digitalen Anwendungen neu
                                                                              entstehen?

                                                                                        Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen | 11
Prozess                                                        Potenzial            Manuelle             Wichtigkeit
                                                                        (z.B. oft            Schritte /           (Potenzial mal
                                                                        genutzter Prozess)   Fehleranfälligkeit   Fehleranfälligkeit)

         Kernleistung

         Verkauf

         Offerterstellung

         Auftragsbestätigung

         Auftragsvorbereitung / Planung etc.

         Leistungserstellungsprozess (Dienstleistung / Produkt)

         Dokumentationen im Rahmen des Leistungs­erstellungsprozesses
         (Dienstleistung / Produkt)

         Leistungserfassung

         Einkauf

         Lagermanagement

         Projektmanagement

         Logistik

         Kundendienst

         Buchhaltung / Finanzen

         Rechnungsstellung

         Kassenführung

         definierter Visierprozess

         Verbuchung der Standardbuchungen

         Lohnbuchhaltung

         Mahnwesen

         Führung

         Übersicht über die wichtigsten Kennzahlen
         (Dateneingabe und -aufbereitung)

         Übersicht über den Stand der wichtigen operativen
         und strategischen Projekte

         Controlling

         Übersicht über die delegierten Aufgaben

         teamübergreifende Zusammenarbeit

         Personalwesen

         Rekrutierungsprozess

         Pflege der Stammdaten der Mitarbeitenden

         Absenzenmanagement

         Onboarding

         Mitarbeiterbeurteilungsgespräche (inkl. -ablage)

         Arbeitszeugnisse erstellen

         Spesen

         Lohnabrechnungen

         CRM – Customer (oder Contact) Relationship Management

         Kontaktdaten der Kunden festhalten

         Festhalten der vergangenen Kontakte mit Kunden

         Kommunikation mit den Kunden

         Kontaktdaten bereinigen

         Kontakte qualifizieren

12 | Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen
Prozess                                                      Potenzial            Manuelle             Wichtigkeit
                                                              (z.B. oft            Schritte /           (Potenzial mal
                                                              genutzter Prozess)   Fehleranfälligkeit   Fehleranfälligkeit)

 (Online) Marketing

 Aktualisierung und Pflege der Marketing-Kanäle

 Aktualisierung und Pflege der Marketing-Unterlagen

 Webseiten-Besucher erkennen, nachverfolgen
 und kategorisieren

 Lead-Generierung/Interessentengewinnung

 Werbe-Mails und Prospekte versenden

 Bestandskundenpflege

 Marketing-Investitionen messen und auswerten

 Logistik

 Wareneingang

 Kommissionierung

 Verpackung

 Transport

 Retouren

 Wissensmanagement

 Aktualisierung von Betriebswissen

 Verteilung von Betriebswissen

 Suche nach relevantem Betriebswissen

 Qualitätsmanagement

 Daten generieren fürs Qualitätsmanagement

 Massnahmen ableiten

 kontrollieren der Massnahmen und Erfolge

 IT

 IT-Überwachung/-Monitoring (Performance)

 Einholung und Aktualisierung technischer Anforderungen

 Mitarbeitenden-Schulungen (Software-Bedienung)

 Mitarbeitenden-Schulungen (Cyber-Security)

Tabelle 1: Beispiel einer Tabelle mit einer Auswahl von Subprozessen, die mit Hilfe von digitalen Anwendungen vereinfacht
werden können.

Falls eine detailliertere Analyse gewünscht wird,             Im genannten Soll-Handbuch wird der gewünschte
sollte darüber nachgedacht werden, einen externen             zukünftige Prozessablauf beschrieben. Ein Beispiel
Berater mit Erfahrung als Unterstützung zu holen.             einer aus der Ist- und Soll-Analyse entstandenen
Anhand des Beispiels der Reif GmbH könnte die Zu­             Prozessbeschreibung des Rechnungseingangs der
sammenarbeit mit einem Berater wie folgt aussehen,            Reif GmbH befindet sich im Anhang (Kapitel 6.3).
wobei sich die Dauer selbstverständlich je nach Fir­
mengegebenheiten und -anforderungen ändern kann:              Wichtig bei der Erstellung von Soll-Prozessen ist,
ƒ Über einen Zeitraum von 16 Tagen wurde durch                dass alle Eventualitäten so weit wie möglich im Vor­
   den Berater eine Vielzahl von Mitarbeitenden               hinein bedacht werden, sodass diese in der Prozess­
   interviewt, die Prozesse wurden eingeleitet                beschreibung korrekt abgebildet werden können. An­
   und die Erkenntnisse dokumentiert.                         sonsten besteht laut der Reif GmbH folgende Gefahr:
ƒ In den neun darauffolgenden Tagen wurden
  ­Verbesserungspotenziale identifiziert.                     «Bei der Erstellung der Prozessbeschreibung besteht immer
ƒ Nach der Gesamtdauer von 25 Tagen konnte                    die Gefahr, Eventualitäten zu oberflächlich zu bewerten, so­
   ein Soll-Handbuch als Resultat der Zusammen­               dass im Nachgang nicht mit dem digitalen Prozessablauf ge­
   arbeit in den Händen gehalten werden.                      arbeitet werden kann. Entsprechend kann es dann schnell zu
                                                              Un­mut bei den beteiligten Mitarbeitenden kommen, und ein
                                                              neuer Prozess kann dann recht schnell wieder zu Fall kommen.»
                                                              Andreas Baumann, Reif GmbH

                                                                                   Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen | 13
«Belegte unternehmensinterne Ressourcen sind in KMU             4.3 Was für digitale Lösungen gibt es, und
das Teuerste in Verbindung mit der Digitalisierung. Mitarbei­        worauf ist bei deren Nutzung zu achten?
tende, die unnötig lange mit Digitalisierungsprojekten be­      Wir möchten in diesem Kapitel Inspirationen bieten
schäftigt sind, weil die gleichen Projekte mehrmals ange­       zu den Möglichkeiten, die digitale Anwendungen für
gangen werden, ohne dass diese zu Ende gebracht werden.         die Automatisierung von verschiedenen Prozessen
Adäquate Planung und Durchhaltevermögen sind das A und          bieten.
O, denn bei abgebrochenen Projekten muss oftmals wie­
der bei null begonnen werden.»                                  Unternehmerinnen und Unternehmer sind sich be­
Marek Dutkiewicz, HR Campus AG                                  wusst, dass es Investitionen braucht, um die Digita­
                                                                lisierung erfolgreich angehen zu können. Unklar bleibt
                                                                jedoch, welche Investitionen und welche Anwen­
           Reflexionsfragen                                     dungen die richtigen sind, um auch in Zukunft einen
           ƒ Welche Aufgaben können automatisiert werden?       Wettbewerbsvorteil haben zu können (oder einen
           ƒ Wäre ein KVP-Tag eine gute Möglichkeit,            Wettbewerbsnachteil vermeiden zu können).
             um Verbesserungspotenziale erkennen und
             nutzen zu können?                                  Wir möchten zuerst konkrete Möglichkeiten dazu
           ƒ Wie könnte der Soll-Prozess aussehen für           aufzeigen, wie die internen Prozesse mit Hilfe von
             die wichtigsten Prozesse?                          digitalen Anwendungen und Hilfsmitteln verbessert
           ƒ Was sind wichtige Anforderungen, und was ist       werden können4. Die nachfolgende Auflistung ist
             «nice to have»?                                    zwar nicht abschliessend, enthält jedoch viele Mög­
                                                                lichkeiten für Automatisierungen mit Hilfe von digi­
                                                                talen Anwendungen und soll KMU eine gute Über­
                                                                sicht über die Möglichkeiten bieten5. Wir teilen sie
                                                                ein in die folgenden Anwendungsbereiche, wobei
                                                                nicht immer scharf abgetrennt werden kann:
                                                                ƒ ERP (Enterprise Resource Planning)
                                                                ƒ DMS (Dokumentenmanagementsystem)
                                                                ƒ Buchhaltungstools
                                                                ƒ Personalwesen
                                                                ƒ Schnittstelle zum Kunden:
                                                                   CRM und Online Marketing Tools
                                                                ƒ Business Intelligence
                                                                ƒ teamübergreifende Zusammenarbeit
                                                                ƒ Sonstige Tools (z.B. Wissens- und Projekt­
                                                                   management)

                                                                Uns ist wichtig, dass wir Erfolgsfaktoren und Stolper­
                                                                steine zu den einzelnen Anwendungsbereichen auf­
                                                                zählen, damit wir danach den Menschen ins Zent­
                                                                rum stellen können: Wie können die Mitarbeitenden
                                                                auf die Reise mitgenommen werden?

                                                                4
                                                                    Siehe dazu z.B. Forster (2019).
                                                                5
                                                                    Siehe ebenfalls Tabelle 3 in Kapitel 6.2 für eine Inspiration zu
                                                                    möglichen Anwendungsfällen zu den im Leitfaden erwähnten
                                                                    digitalen Lösungen.

14 | Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen
4.3.1 Enterprise Resource Planning                               erhöhen. Wenn ein «Patchwork» an spezialisierter
Ein ERP-System (Abkürzung aus dem Englischen für                 Software durch eine vollintegrierte, zentralisierte
Enterprise Resource Planning, also die Geschäfts­                Lösung abgedeckt werden soll, ist es ratsam, die
ressourcenplanung) bildet möglichst alle Geschäfts­              bestehenden Tools auf denselben funktio­nalen Be­
prozesse einer Firma ab. Dazu gehört etwa die Inte­              reichen paketweise abzulösen.
gration von Funktionen für die Materialbeschaffung,              ƒ Bspw. zuerst ein CRM (siehe Kapitel 4.3.5),
für das Lager, für die Disposition, für die Produktions­            dann ein Finanz-Tool (siehe Kapitel 4.3.3) usw.
planung, für das Finanz- und Rechnungswesen, für                 ƒ Für die Ablösung jedes Pakets sollte ein
F & E, für Verkauf und Marketing, etc. in einem Sys­                adäquater Zeitraum definiert werden wie z.B.
tem6. Viele Branchen haben spezifische Branchen­                    max. ein Paket pro Quartal, denn die Einführung
lösungen. Wir möchten mit diesem Leitfaden nicht                    ist für eine Firma und für die Mitarbeitenden
jede einzelne Brancheneigenschaft aufnehmen, son­                   aufwendig.
dern auf die relevanten Fragen und Anwendungen
eingehen, die für alle (oder möglichst viele) Unter­             «Der Markt mit technischen Hilfsmitteln ist stark überlaufen.
nehmen wichtig sind.                                             Die Herausforderung liegt darin zu entscheiden, welche
                                                                 ­Lösungen die richtigen für ein Unternehmen sind.»
Es lohnt sich, sich von verschiedenen (befreunde-                Andreas Baumann, Reif GmbH
ten) Unternehmerinnen bzw. Unternehmern der-
selben oder einer ähnlichen Branche das ERP-                     Die Einbindung und Integration der restlichen Tools
System im Einsatz zeigen zu lassen und Fragen                    in das ERP sollte gewährleistet sein.7 Bei einem Up­
zu stellen. Der ERP-Anbieter hat oft eine Liste mit              date beim ERP sind die Schnittstellen zu den anderen
Referenzfirmen. Für eine Vertiefung zur Einführung               Systemen zu prüfen, da sie nicht zwingend zusam­
von ERP-Systemen soll auf unseren Leitfaden aus                  men mit dem Update funktionieren müssen. Die
derselben Reihe verwiesen werden (KMU und die                    Thematik eines möglichen Updates und der Aktuali­
Einführung von ERP-Systemen: https://www.obt.ch/­                sierung der Schnittstellen sollte bereits in der Evalua­
resources/folders/40/obt-erp-leitfaden.pdf                       tionsphase miteinbezogen werden.

ERP-Systeme bieten z.B. die Möglichkeit, dass etwa               Erfolgsfaktoren und Tipps:
die Offerte im System erfasst, der Stand eines Auf­              1. Zusatzmodule vs. eigenständige Lösungen: ERP-­
trages nachvollzogen und eine Nachkalkulation des                   Systeme bieten meist eine Vielzahl an Zusatz­
Auftrags vorgenommen werden kann. Die Funktiona­                    modulen, welche sich jedoch gegenüber einer
lität hängt stark davon ab, ob es ein zentrales ERP-                eigenständigen Lösung aus der Kostenperspek­
System gibt oder ob verschiedene spezialisierte An­                 tive nicht immer lohnen. Nehmen Sie stets einen
wendungen (sogenannter «Best of Breed»-Ansatz)                      Vergleich zu dedizierten Lösungen vor.
gewählt werden. Die zentralisierte Anwendung bietet              2. Schnittstellen absichern: Die IT-Sicherheit ist
höchstwahrscheinlich einen geringeren Funktions­                    zentral. Schnittstellen mit anderen Programmen
umfang als spezialisierte Anwendungen, jedoch sind                  bieten nicht nur bei Updates möglicherweise
die Funktionen stärker miteinander verknüpft. Gleich­               Nachteile (Gewährleistung der Funktionsweise),
zeitig stellt sich die Frage, ob es nicht besser ist, die           sondern bieten auch potenziell Einfallstore.
volle Funktionalität einer zentralisierten Lösung aus­           3. Entwicklungspfad berücksichtigen: Der Wechsel
zunutzen, als sich in den vielen Möglichkeiten einer                bei Kernsystemen stellt einen besonders grossen
spezialisierten Software zu verlaufen. Es kann sein,                Aufwand dar. Überlegen Sie sich, ab welchem
dass spezialisierte Lösungen nicht miteinander kom­                 Zeitpunkt ein Umstieg auf eine anspruchsvollere
patibel sind. Es lohnt sich, die Schnittstellen zu prüfen           ERP-Lösung durch Veränderungen Ihrer Anforde­
und vor allem auch, wie die Schnittstellen miteinan­                rungen (z.B. die Anforderung an eine intensivere
der verknüpft werden können. Zudem soll auch ge­                    Nutzung aufgrund des Unternehmenswachs­
klärt werden, ob die Stammdaten doppelt geführt                     tums) in Zukunft nötig werden könnte. Planen Sie
werden müssen. Der Vorteil dieser Lösungen liegt                    diese zukünftigen Veränderungen ggf. frühzeitig
hingegen in der starken Spezialisierung.                            ein. Wenn Sie nicht mit relevanten Veränderun­
                                                                    gen rechnen oder diese nicht verfolgen, ist dies
Der Einsatz oder der Umgang mit spezialisierter                     selbstverständlich ebenfalls relevant für Ihre Pla­
Software kann aufgrund der Komplexi­tät öfters die                  nung.
eigene Kompetenz übersteigen und somit die Ab­
hängigkeit von externen Beratungsdienstleistungen

6
    Siehe Tabelle 3 in Kapitel 6.2 für eine Übersicht weiterer   7
                                                                     Ein ERP-System kann ein DMS, eine Buchhaltung, Anwendun­
    gängiger Funktionen bzw. Anwendungsbereiche von                  gen des Personalwesens, ein CRM oder weitere Anwendungen
    ERP-Lösungen.                                                    wie Business Intelligence oder andere enthalten.

                                                                                      Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen | 15
4. Branchenspezifische Anforderungen berücksich-
           tigen: Gängige ERP-Anbieter bieten teilweise           Reflexionsfragen zu ERP-Systemen
           Spezialmodule für bestimmte Branchen an. Zu­           ƒ Soll auf ein zentrales ERP-System oder auf
           dem gibt es Nischenanbieter mit branchenspezi­             verschiedene spezialisierte Anwendungen
           fischen Lösungen, die mit dem herkömmlichen                gesetzt werden?
           ERP-System verbunden werden können.                    ƒ   Was für Schnittstellen zu anderen Programmen
                                                                      sind vorhanden, wenn auf spezialisierte Anwen­
«Unter anderem das Auftragsmanagement oder das Leis­                  dungen zurückgegriffen wird?
tungsverzeichnis können sich je nach Branche stark unter­         ƒ   Welche Funktionen sind zentral für das ERP-
scheiden. Es gilt daher stets zu überlegen, ob es branchen­           System und welche «nice to have»?
spezifische Anforderungen an das ERP gibt.»                       ƒ   Was für Branchen-ERP-Lösungen gibt es auf
Claudio Hintermann, Abacus Research AG                                dem Markt?
                                                                  ƒ   Was für Branchen-ERP-Lösungen werden von
        Folglich gibt es immer wieder Anbieter von Nischen­           befreundeten Unternehmerinnen und Unterneh­
        software, die sich erfolgreich an gängige ERP-Lösun­          mer genutzt, und was für Erfahrungen haben
        gen anhängen können.                                          sie damit gemacht?
                                                                  ƒ   Wie sehen die jetzigen Prozesse aus in Bezug auf
«Die Frage, ob umfangreichere oder individuelle Software-             die Rechnungs- und Offertstellung?
Lösungen in Zukunft notwendig werden könnten, ist nicht           ƒ   Könnte ein Upgrade oder Redesign für das
unbedingt von der Anzahl der Mitarbeitenden bzw. von der              eigene ERP-System sinnvoll sein?
Unternehmensgrösse abhängig, sondern eher davon, ob               ƒ   Besteht die Möglichkeit, aus dem gewählten ERP
diese Lösungen zukünftig intensiver genutzt werden müs­               rauszuwachsen? Ab wann könnte dies der Fall sein?
sen, als dies aktuell der Fall ist.»
Walter Regli, Swiss 21
                                                                4.3.2 Dokumentenmanagementsystem
        Folgende Auswahl an Stolpersteinen lässt                Ein Dokumentenmanagementsystem (DMS) wird
        sich bei der Einführung eines ERP identifizie-          oft eingeführt, wenn der Wunsch ein papierloses
        ren (siehe auch Siegenthaler, 2012):                    Büro zu haben, vorhanden ist. Es handelt sich um
        ƒ ungenügende Unterstützung der Geschäfts­              ein Ablagesystem für verschiedene Dateien, welche
            leitung                                             manuell oder automatisch gespeichert werden. Ein
        ƒ Projekt hat zu wenig Priorität gegenüber dem          gutes DMS hilft, alle relevanten Dokumente heute
            Tagesgeschäft                                       und in Zukunft einfach wiederzufinden.
        ƒ unklar formulierte oder vergessene
           ­Anforderungen                                       Folgende Dateien / Dokumente können z.B. in einem
        ƒ Verantwortlichkeiten wurden nicht geregelt            DMS verwaltet werden (nicht abschliessende Liste):
        ƒ unrealistische zeitliche Vorgaben für das Projekt     ƒ Verträge mit Kunden, Lieferanten und Partnern
        ƒ Mitarbeitende sind nicht informiert oder              ƒ Maschinenparkmappen
            involviert.                                         ƒ Lieferantenvereinbarungen / Supplier Relationship
                                                                  Management (SRM)
«Aus der Sicht der IT-Sicherheit müssen Unternehmen da­         ƒ Stammkarten (Fertigungsartikel)
für sorgen, dass so wenige Schnittstellen wie möglich exis­     ƒ Prozessdokumentationen
tieren und dass diese so gut abgesichert sind wie möglich.»       - Arbeitsanweisungen
Marek Dutkiewicz, HR Campus AG                                    - Verpackungsanweisungen
                                                                  - nach Bereichen (bspw. Finanzen, Controlling,
        Nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten kann ein Re­           HR oder Fertigung)
        design des ERP notwendig werden, wenn die Pro­          ƒ Produktionsaufträge
        zesse des ERP nicht mehr der Arbeitsweise der           ƒ Personalakten
        Mitarbeitenden und den Anforderungen eines Un­          ƒ weitere Dokumentationen
        ternehmens entsprechen. Eine Gefahr besteht dar­          - Administratorendokumentation
        in, dass die Mitarbeitenden in solchen Fällen mit an­     - Benutzerdokumentation
        deren Lösungen arbeiten (v.a. mit Word und Excel).        - Maschinenparkdokumentation

16 | Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen
Abseits der Dokumentenablage kann ein DMS weite­            5. Richtige Mehrfachattribute frühzeitig festlegen:
        re nützliche Aufgaben erfüllen. Bei der Hans Eberle            Ein guter DMS-Anbieter weist in der Projekt­
        AG wird der elektronische Rechnungsversand über                phase darauf hin, was Mehrfachattribute brin­
        das DMS abgewickelt. Je nach ERP-System kann die­              gen. Es soll zudem bei jedem Attribut genau
        ser Prozess auch über das ERP oder über die Finanz­            überlegt werden, wo das entsprechende Attri­
        lösung umgesetzt werden. Der Prozess bei der                   but überall gebraucht wird. Die Attribute sollen
        Hans Eberle AG dauerte früher mehr als 30 Minuten              von Anfang an erfasst werden, ansonsten ent­
        pro Tag und läuft nun automatisch über das DMS.                steht ein Mehraufwand, wenn dies erst im Nach­
        Einmal pro Tag löst das DMS eine Abfrage zu den                hinein gemacht wird. Der DMS-Anbieter sollte
        neu eingegangenen Rechnungen aus, welche auto­                 aufzeigen, was für Lösungen andere Kunden
        matisch an die im ERP hinterlegten Kundenadres­                haben: Wo brauchen sie Mehrfachattribute? Auf
        sen versandt werden. Der ganze Rechnungserstel­                der Basis solcher Beispiele kann mit Prozesslei­
        lungsprozess dauert weniger als eine Minute.                   tern in der Firma darüber gesprochen werden,
                                                                       welche Dokumente in der Firma für mehrere
        Die Hans Eberle AG sieht die Einführung des DMS                Attribute gelten könnten.
        als eine der massgeblichsten Prozessverbesserung.           6. Auswahl der Anbieter: Folgende Fragen sind
        Neben dem geringeren physischen Platzbedarf auf­               wichtig: Ist eine Schnittstelle zum bestehenden
        grund der entfallenen physischen Archivierung konnte           ERP oder zur Datenbank vorhanden? Sind die
        die Effizienz in verschiedenen Prozessen um mehr               bestehenden Datenstrukturen bekannt? Es soll
        als einen Drittel gesteigert werden. Auch kann die             auch nach der Möglichkeit der Modularität ge­
        Veränderung von Dokumenten nun transparent nach­               fragt werden. Als Kosten fallen einmalige Initial­
        vollzogen werden.                                              kosten und Wartungskosten während des Be­
                                                                       triebs an. Idealerweise wird ein Anbieter mit
«Durch den verringerten Platzbedarf konnten wir zwei Büros             einem Dienstleistungsgedanken gefunden. Er
mit jeweils sechs Personen auf je acht Personen erweitern.»            soll mitdenken, damit die bestmögliche Lösung
Marc Dönni, Hans Eberle AG                                             gefunden werden kann.

        Als Erfolgsfaktoren für die Umsetzung werden die
        folgenden Aspekte erkannt:                                    Reflexionsfragen (siehe auch Kurz, 2014)
        1. Anbindung an das ERP: Falls keine Schnittstelle            ƒ Was für Ablagen sind heute physisch vorhanden?
            mit dem ERP aufgebaut werden kann, könnte                 ƒ Wie können diese Ablagen und Dokumente
            bspw. direkt eine Anbindung an die ERP-Daten­               digitalisiert werden?
            bank z.B. über eine SQL-Abfrage vorgenommen               ƒ Wie können diese Dokumente automatisch
            werden. Die Voraussetzung dafür ist, dass man               zugeordnet werden?
            die Strukturen kennt. Es braucht Mitarbeitende,           ƒ Was für Mehrfachattribute sind vorhanden?
            die die Tabellen und Felder kennen und vorgeben           ƒ Wie kann die Integrität auf lange Sicht erreicht
            können, welche Bedingungen erfüllt sein müs­                werden?
            sen, damit der Workflow (Arbeitsablauf) funktio­          ƒ Wie sollen die Daten gesichert werden?
            nieren kann.                                              ƒ Bis wann dürfen die Dokumente verändert
        2. Start mit einem Pilotprojekt: Zuerst sollte ein Pilot­       werden, und wie werden diese Veränderungen
            projekt gestartet werden mit wenigen verknüpf­              gekennzeichnet?
            ten Prozessen und gegebenenfalls mit einer Aus­           ƒ Wie sieht das Vertragsmanagement aus?
            wahl an Testkunden. Danach sollten die Prozesse             D.h. wie können die wichtigsten Dokumente
            sukzessive weiter ausgerollt werden.                        wieder gefunden werden?
        3. Beginn mit einfachen Prozessen: Es sollte mit              ƒ Wie soll mit Scans umgegangen werden?
            den Prozessen begonnen werden, die nicht                  ƒ Nach welchen Suchbegriffen wird in Zukunft
            schwie­rig sind und die funktionieren. So bauen             gesucht?
            die Mitarbeitenden Vertrauen auf (siehe auch
            das Kapitel 4.3.7).
        4. Modularer Ankauf des DMS: Es sollen zuerst kos­
            tengünstig einige wenige Module gekauft werden
            können. Dies erleichtert die Anpassung an die
            individuellen Gegebenheiten und Bedürfnis­se
            eines Unternehmens. So werden die finanziellen
            Einstiegshürden verringert. Dies unterstützt so­
            mit auch die schrittweise Einführung.

                                                                                     Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen | 17
4.3.3 Finanzen / Buchhaltung                               Rechnungen ab welcher Höhe geben? Dies kann
        Der Bereich der Finanzen und der Buchhaltung bietet        auch automatisch eingestellt werden. D.h. die
        viele Möglichkeiten der Automatisierung mit Hilfe          Rechnung vom Telekomanbieter kann durch Text­
        der Digitalisierung. Da es Stand heute (Juli 2020)         erkennung automatisch an die zuständige Person
        noch keinen einheitlichen Standard gibt in Bezug auf       zum Visieren geschickt werden. Diese elektroni­
        die elektronische Rechnung, kann die Digitalisierung       sche Verarbeitung verändert verschiedene Pro­
        jedoch noch nicht ihr volles Potenzial für die Auto­       zesse. Ein Eingangsstempel oder eine Rechnungs­
        matisierung der Buchhaltungsprozesse entfalten.            nummer braucht es nicht mehr, da das System
        Nichtsdestotrotz gibt es einige Automatisierungs­          die Rechnungen automatisch erkennt. Das Pro­
        möglichkeiten, die es einzubeziehen gilt.                  gramm kann auch eine Plausibilitätsüberprüfung
                                                                   der Rechnung übernehmen (z.B. Additionsfeh­
        Nachfolgend werden die ersten Schritte vorgestellt,        ler, digitale Vorprüfung der Rechnung). Auch
        wenn es um die Automatisierung verschiedener Pro­          das Mahnwesen sollte damit automatisiert sein,
        zesse geht.                                                wobei verschiedene Aspekte eingestellt werden
        1. Eigene Bedürfnisse: Der erste Schritt liegt im          können (z.B. Mahnrhythmus).
           Bewusstsein, was für eigene Bedürfnisse vorhan­      4. Standardrechnungen: Rechnungen werden als
           den sind und wie sich die Bedürfnisse in Zukunft        PDF oder als Ausdruck erhalten. Diese können
           verändern könnten. Daraus ergibt sich ein Anfor­        automatisiert ausgelesen und verbucht werden.
           derungsprofil für die digitale Anwendung.               Bei PDF-Dokumenten gilt es, der IT-Sicherheit
        2. Programm auswählen, das auch die Offerten,              Beachtung zu schenken und die Mitarbeitenden
           Rechnungen und die Buchhaltung integriert: Um           diesbezüglich zu sensibilisieren. Verschiedene
           den Vorteil der Integration zu erhalten, soll ein       Programme bieten Prüfmechanismen an. Im Fall
           gutes ERP, resp. Buchhaltungsprogramm mit               von Rechnungen per Brief müssen diese zuerst
           dem gewünschten Funktionsumfang ausgewählt              eingescannt werden. Die automatische Verbu­
           und genutzt werden. Die Offerten, Auftrags-             chung ist insbesondere für Standardrechnungen
           bestätigungen und Rechnungen sollen mittels             relevant. Die Buchhaltungsprogramme ermögli­
           dem ERP-System erstellt werden können, um bei           chen eine automatische Prüfung dieser Rechnun­
           Bezahlung der Rechnungen eine gute Zuordnung            gen. Die automatisierte Erfassung von Rechnun­
           in der Buchhaltung zu gewährleisten (z.B. über          gen lohnt sich vor allem für die Gemeinkosten
           eine Schnittstelle zum E-Banking). Die Auftrags­        bzw. Standardrechnungen (wie z.B. Miete, Tele­
           bestätigungen bieten dabei die Grundlage für die        fonrechnungen, Benzinrechnungen, Unfallversi­
           Erstellung der Rechnungen. Um Rechnungen ge­            cherung, Betriebshaftpflichtversicherung etc.),
           nerieren zu können, braucht es zudem auch den           jedoch nicht für die Spezialfälle. Regelungen für
           Kundenstamm in diesem Programm (oder eine               Spezialfälle sind oft sehr teuer und lassen sich
           Schnittstelle dazu). Streng genommen sind die           gemäss unserem Wissensstand noch nicht zu
           auf den ersten Blick als erweiterte Buchhaltungs­       100% zu angemessenen Kosten automatisieren.
           programme erscheinenden Anwendungen ERP-             5. Einlesen der Bankbewegungen: Die Bank­
           Systeme, da sie etwa die Prozesse der Offertstel­       bewegungen können über eine Schnittstelle zum
           lung und der Auftragsbestätigung abdecken, mit          E-Banking automatisch eingelesen und mit der
           einer Schnittstelle in die Debitorenbuchhaltung.        Buchhaltung abgeglichen werden. Damit dies
                                                                   funktioniert, bedarf es einer Einrichtung, welche
«Oft werden in kleineren Firmen die Rechnungen am Sams­            mit einer Bank verknüpft ist (Bereitstellung der
tag geschrieben oder die Rechnungsstellung wird teilweise          Dateien übers E-Banking). Diese Daten werden
sogar vergessen. Der Aufwand für Rechnungen wird durch             dann von der Software eingelesen. Dazu soll auch
stark automatisierte Buchhaltungsanwendungen verringert.           die Buchhaltungssoftware so eingerichtet wer­
Rechnungsstellung kann auf Knopfdruck ausgelöst werden.»           den, dass die Bankbewegungen den Buchhal­
Joël Ben Hamida, Bexio                                             tungskonten zugeordnet werden.
                                                                6. Auswertungen für die Führung: Die Buchhaltung
        3. Ein Projekt wählen, um die Abläufe zu definie­ren:      ist auf dieser Grundlage à jour, und die Zahlen
           In diesem Projekt geht es darum, dass überlegt          können so besser für Entscheidungen und als
           wird, wie die elektronischen Belege bear­beitet         Führungsinstrument genutzt werden. Auch kann
           werden können, die vorher auf Papier kamen.             in den Kontenblättern durch das Anklicken der
           Die Lohnarten müssen klar sein, die Buchhal­            einzelnen Buchungen nachvollzogen werden, um
           tung sollte gut eingerichtet werden, die internen       was für Zahlungen es sich handelt. Es können z.B.
           Abläufe klar sein und die Anforderungen mit der         quartalsmässige Auswertungen vorgenommen
           Bank besprochen werden. Zudem sollte auch der           werden, und die Erfolgsrechnung kann generiert
           elektronische Visierprozess geklärt werden.             werden. Die Erstellung eines Cockpits mit den
           Welche Person muss die Freigabe für welche              fünf wichtigsten Zahlen kann der Führung stark

18 | Digitale Anwendungen für KMU: zentrale Fragen
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