EINZIGARTIG UNESCO-Welterbe in Bayern - TIEFGEHEND - Bayerisches Landesamt für ...
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Nr. 177 2022 DENKMAL INFORMATION BAYERN EINZIGARTIG UNESCO-Welterbe in Bayern TIEFGEHEND Rätselhafte Gänge in der Erde UNTERSUCHT Kulturerbe im Klimawandel STURMBESCHÄDIGT Millimeterarbeit an Königsstatue
Titelbild: Bad Kissingen, Arkadenbau Foto: BLfD, David Laudien Foto S. 3: © Steffen Böttcher Foto S. 5: BLfD, Michael Forstner
ED ITO RIAL Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde der Denkmalpflege, mit dem Thema Welterbe kennen wir uns in Bayern gut aus: Man denke nur an die Bamberger und Regensburger Altstadt-Ensembles, Bad Kissingen als Teil der bedeutenden Kurstädte Europas oder den westlichen Teil des Donaulimes, um nur einige Beispiele zu nennen, die innerhalb unseres Freistaats als Welterbestätten ausgezeichnet wurden. Solche Stätten sind für uns ganz besondere Orte, denn sie übernehmen eine Vielzahl an Funktionen: Sind sie es doch, die eine Brücke schlagen zwischen unserer geschichtsträchtigen Vergangenheit und pulsierenden Gegenwart – zwischen altbewährter Tradition und innovativer Neuerung. Großartige Errungenschaften der Weltgeschichte werden geschützt und für die Nachwelt bewahrt. Sie übernehmen eine wichtige Funktion der Völkerverständigung, repräsentieren sie doch Meilensteine der Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig werden sie im Sinne der Nachhaltigkeit genutzt und ermöglichen so ein zeitgemäßes Handeln, ohne dabei zu vergessen, woher wir kommen und was unsere Vorfahren geleistet haben. Darüber hinaus stiftet das Welterbe Identität und ist essenzieller Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Die Welterbestätten bewahren einen immensen Schatz für die nächsten Generationen und laden ein zu Besichtigung und Austausch – und dies weit über Bundes- oder Ländergrenzen hinaus. Einen Einblick, was es bei uns im Freistaat Bayern gemeinsam zu entdecken gibt, liefert die neue Ausgabe des Magazins DI Denkmal Information Bayern. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen und faszinierende Einblicke in den Kosmos des Welterbes. München, im April 2022 Markus Blume, MdL Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 3
FIGURENWEIHER BEI SCHLOSS SEEHOF Figurengruppen Orpheus und Bacchus von Ferdinand Tietz (unrestaurierter Zustand) (Foto: BLfD, Eberhard Lantz)
ED ITO RIAL Liebe Leserinnen und Leser, vor nunmehr 50 Jahren wurde die UNESCO-Welterbe- Das harmonische Zusammenwirken von erfahrenen konvention in Paris verabschiedet. Die Auszeichnung Kirchenmalern, Schreinern und Textilherstellern wie als UNESCO-Welterbe beinhaltet die Verantwortung, auch Behörden und fördernden Institutionen mündet so herausragende Zeugnisse der Menschheits- und Na- in einer Wiederherstellung mit großartigem Ergebnis. turgeschichte, die „von besonderer Bedeutung für die Schön bebildert spiegelt der Artikel „Ein wiederge- Weltgemeinschaft“ sind, für die Nachwelt zu bewah- wonnenes Kleinod“ von Esther Sophia Sünderhauf und ren. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Auftrag, Frank Seehausen die spannende Dokumentation dieses dem sich auch die staatliche Denkmalpflege verpflichtet Prozesses wider. fühlt und der damit die Arbeit unseres Amtes entspre- Die Themenvielfalt der Denkmalpflege manifestiert chend prägt. sich in den facettenreichen Artikeln und Themenkom- Insofern ist es mir eine ganz besondere Freude, dass plexen dieser Ausgabe der DI Denkmal Information im Vorjahr gleich zwei bayerische Denkmäler neu auf Bayern natürlich auch an anderer Stelle: Birgit Symader die Welterbeliste der UNESCO gekommen sind – geht rätselhaften Gängen in der Erde auf den Grund, der westliche „nasse“ Teil des Donaulimes und Bad Laura Deglmann beschreibt die Erfassung der histo- Kissingen als Teil der bedeutenden Kurstädte Europas. rischen Handwerkstechnik des Kratzputzes, und Unsere Kollegin Katharina Arnold und Kollege Markus in der Rubrik „Entschlüsselt“ widmet sich das Referat Gschwind beschreiben diese Entwicklungen im Artikel Kommunikation einer Statue von Ludwig II., die mit „Welterbe in Bayern“. beeindruckendem handwerklichem Geschick und der Denkmalschätze bereichern unser tägliches Leben, richtigen denkmalfachlichen Unterstützung „zurück- machen Tradition lebendig und prägen das Bild so vieler geformt“ wurde. Städte, Dörfer und Landstriche Bayerns ganz essenziell. Denkmalpflege ist „gelebte Geschichte“, den Wer- So wird die Sanierung eines Bürgerhauses in Freising ken unserer Vorfahren wird dabei Respekt und Pflege von Hildegard Sahler eingehend beschrieben – ein zuteil. Denkmalpflege verbindet „Alt und Neu“, Denk- schmuckes Objekt mit uriger Stube und einer Bohlen- malpflege erzählt Geschichten und bringt – liebevoll balkendecke von 1552. präsentiert – die ganze Vielfalt unserer Vergangenheit „Ein Schatz der Renaissance“ titeln Christine zum Strahlen. Stege und Charlotte Höpker ihren Beitrag – und das zu Recht, denn das kostbare Chorgestühl der Pfarrkirche Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Einblick in unsere St. Johannes der Täufer in Steingaden stammt ursprüng- spannenden Projekte. lich aus der Zeit nach der Plünderung und Zerstörung im Zuge der Bauernkriege um 1534. Im geschnitzten Fries ist diese Jahreszahl festgehalten – und gewährt Ihr so einen Blick zurück in eine bewegte Vergangenheit. Nach der Restaurierung zeigt sich die volle Pracht. Und auch die Innenraumeinfassungen einer Jugend- stilvilla in Nymphenburg offenbaren hohe künstle- rische Güte. In 120 Jahren wechselte dieses außerge- wöhnliche Denkmal lediglich zweimal die Besitzer – daher blieben ganz besondere historische Details ohne Prof. Dipl.-Ing. Architekt Mathias Pfeil große Veränderungen bis heute original erhalten. Generalkonservator DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 5
INHALT Thema dieser Ausgabe Welterbestätten sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Durch ihren Schutz werden Meilensteine der Menschheitsgeschichte für kommende Generationen bewahrt. 8 IM FOKUS 8 Welterbe in Bayern Bayern hat Anteil an zwei neuen UNESCO-Welterbestätten – an den „GRENZEN DES RÖMISCHEN REICHES – DONAULIMES (WESTLICHER ABSCHNITT)“ und – mit Bad Kissingen – an der Stätte „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“ KATHARINA ARNOLD und MARKUS GSCHWIND ERINNERN · ERHALTEN · ENTDECKEN · ERFORSCHEN 18 Ein Stück Freisinger Stadtgeschichte Die Sanierung des Bürgerhauses Ziegelgasse 5 HILDEGARD SAHLER 22 Ein Schatz der Renaissance Das Chorgestühl der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer in Steingaden CHRISTINE STEGE und CHARLOTTE HÖPKER 28 Kunstwerke für die Zukunft Konservierungsstrategien zu Betonfiguren im Feld 28 CHRISTOPH SABATZKI und STEFANIE FUCHS 34 Eine bronzezeitliche Pfostenkreisanlage mit Kleinkinderbestattungen in München-Pasing STEFANIE BUCHNER und ALEXANDER KÖPPE 44 36 Rätselhafte Gänge in der Erde Das Europäische Erdstall-Forschungszentrum mit archäologischer Dokumentation BIRGIT SYMADER 40 Kratzputz für ein Wechselspiel von Licht und Schatten Datenbankbasierte Bestandserfassung einer historischen Handwerkstechnik zur Sicherung des kulturellen Erbes LAURA DEGLMANN 44 Mit einer Pferdestärke durch Ronhof Archäologische Ausgrabung am Ludwigskanal bei Fürth THOMAS LIEBERT und KLARA RÜDIGER 6
I N H A LT 50 ÜBRIGENS – WELTERBE 54 REFERAT KOMMUNIKATION INTERVIEW 52 „Wir werfen einen Blick in die Zukunft“ Interview mit Dr. Johanna Leissner zum Schutz unseres Kulturerbes in Zeiten des Klimawandels JULIANE GRIMM - VON WEDEMEYER ENGAGEMENT 54 Ein wiedergewonnenes Kleinod Die Innenraumfassungen einer Jugendstilvilla in Nymphenburg ESTHER SOPHIA SÜNDERHAUF und FRANK SEEHAUSEN ENTSCHLÜSSELT 60 Vom Winde verweht REFERAT KOMMUNIKATION DENKMAL WEITER 62 Blühendes Weltkulturerbe Bad Kissinger Grün CHRISTIAN SCHMIDT 68 ÜBRIGENS REFERAT KOMMUNIKATION 69 MOMENT MAL – DENKMAL! REFERAT KOMMUNIKATION 60 STADT LAND FLUSS 70 Große Söhne kleiner Schwabenstädte Auf Zeitreise entlang der Donau im Landkreis Dillingen 70 DORIS EBNER NAHAUFNAHME 76 Von Frankreich nach Franken Aus den Forschungen zum Großinventar Bamberg BENJAMIN SOMMER und HILDEGARD SAHLER HINTER DEN KULISSEN 78 Bodendenkmalpflege Koordination Archäologische Welterbestätten MARKUS GSCHWIND und ANDREA FRONHÖFER 80 Bücher 82 Autorinnen und Autoren, Literatur, Impressum DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 7
IM FOKUS Welterbe in Bayern Bayern hat Anteil an zwei neuen UNESCO-Welterbestätten – an den „GRENZEN DES RÖMISCHEN REICHES – DONAULIMES (WESTLICHER ABSCHNITT)“ und – mit Bad Kissingen – an der Stätte „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“ von KATHARINA ARNOLD und MARKUS GSCHWIND BAD KISSINGEN, ARKADENBAU (Foto: BLfD, David Laudien) 8
Bad Kissingen Donaulimes – westlicher Abschnitt E s war spannend! Eigentlich sollte im Jahr 2020 über die beiden Welterbeanträge „Grenzen des Römischen Reiches – Donaulimes“ und „Die be- deutenden Kurstädte Europas“ entschieden werden. Doch die Corona-Pandemie machte wie so oft auch dem internationalen Welterbekomitee, das über die Einschreibung der Anträge in die Welterbeliste ent- scheidet, einen Strich durch die Rechnung. So ver- schob man die Sitzung auf den Sommer 2021, die An- träge wurden in einer weltweiten Online-Konferenz verhandelt. Die Internetverbindung nach Fuzhou in China hielt und das Komitee, das aus Vertretern von 21 Staaten besteht, belohnte die jahrelange Arbeit der Antragssteller schließlich mit der Ernennung der Stät- ten zum UNESCO-Welterbe. WAS BEDEUTET EIGENTLICH UNESCO-WELTERBE? Alles begann 1960, als der Bau des Assuan-Staudammes im südlichen Ägypten zahlreiche bedeutende Kultur- denkmäler, darunter die Tempel von Abu Simbel und Philae, zu zerstören drohte. Die UNESCO rief damals dazu auf, die durch den Nil bedrohten Tempelanlagen für die Nachwelt zu retten. Der Aufruf fand Gehör und es beteiligten sich 50 Länder durch Know-how, techni- sche Hilfen und finanzielle Unterstützung an der Ab- tragung und dem Wiederaufbau der Tempel auf höher gelegenem Terrain. Der Welt wurde deutlich vor Augen geführt, dass Kulturgüter nicht nur durch „bewaffnete Konflikte“ (Haager Konvention, 1954) bedroht sind, son- dern auch durch die Ausbreitung der Zivilisation. Die UNESCO reagierte darauf mit dem „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“, das sie 1972 in Paris verabschiedete. Deutschland trat 1976 bei. Heute sind es 194 Staaten, die sich dazu verpflich- tet haben, das auf ihrem Gebiet befindliche Welterbe selbst zu erfassen, zu schützen und zu erhalten. Die- se Selbstverpflichtung hat dazu geführt, dass bislang 1.154 Stätten (Stand: Jan. 2022) in die Welterbeliste der UNESCO eingetragen wurden. Zentrales Kriterium für die Einschreibung ist – neben Integrität und Authenti- zität – der Outstanding Universal Value (OUV), der außer- gewöhnliche universelle Wert einer Stätte. DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 9
IM FOKUS WELTERBESTÄTTEN IN BAYERN Landgrenze zwischen Rhein und Donau, als eigene Welterbestätte ins Rennen zu schicken. Da dies nicht In Bayern befinden sich derzeit zehn Welterbestät- möglich war, wurden der Hadrianswall und der Ober- ten. Die Würzburger Residenz wurde bereits vor germanisch-Raetische Limes schließlich 2005 unter 41 Jahren in die Liste eingeschrieben und war damit die dem Namen „Grenzen des Römischen Reiches“ zu ei- erste Welterbestätte Bayerns. Zwei Jahre später folgte ner länderübergreifenden Welterbestätte zusammen- die Wallfahrtskirche „Die Wies“ im Pfaffenwinkel. gefasst. Bei dieser Gelegenheit nahm das Welterbe- 1993 erlangte die Bamberger Altstadt den Welterbetitel komitee die drei Kontinente überspannenden Grenzen und nach einer zwölfjährigen Pause fand schließlich der des Römischen Reiches als Ganzes in den Blick und Obergermanisch-Raetische Limes als Teil der „Grenzen empfahl, die neue Welterbestätte schrittweise um Li- des Römischen Reiches“ Eingang in die Welterbeliste. mesabschnitte in anderen Ländern zu erweitern. Nach 2006 wurde die Altstadt von Regensburg mit Stadtam- nur drei Jahren kam der Antoninuswall in Schottland hof eingeschrieben. Mit den „Prähistorischen Pfahl- hinzu, doch dann geriet das Großprojekt, das Völker bauten um die Alpen“ folgte 2011 wiederum eine länder- und Kontinente verbindet, etwas ins Stocken. übergreifende archäologische Stätte. Ein Jahr später wurde das Markgräf- liche Opernhaus in Bayreuth einge- VON DER TRANSNATIONALEN schrieben. 2019 ernannte man das SERIELLEN WELTERBESTÄTTE Augsburger Wassermanagement- ZUM WELTERBECLUSTER System zum Welterbe, und 2021 „GRENZEN DES RÖMISCHEN UNESCO wurden schließlich „Die bedeuten- REICHES“ Die UNESCO (United Nations den Kurstädte Europas“ sowie die Educational, Scientific and „Grenzen des römischen Reiches – Dennoch erarbeitete Bayern die Cultural Organization), Donaulimes (westlicher Abschnitt)“ Grundlagen für die Nominierung des eine Sonderorganisation in die Welterbeliste eingeschrieben. Donaulimes, und auch in Österreich, der Vereinten Nationen, Ungarn und der Slowakei wurde an trägt durch Förderung Nominierungsdossiers für den Do- der internationalen DIE „GRENZEN DES RÖMISCHEN naulimes gearbeitet. 2010 änderte Zusammenarbeit in Bildung, REICHES – DONAULIMES dann ein Beschluss des Welterbe- Wissenschaft, Kultur und (WESTLICHER ABSCHNITT)” komitees die Spielregeln und stellte Kommunikation zur Erhaltung damit alles in Frage. Eine schrittwei- des Friedens und der Bereits der umständliche Titel zeigt, se Erweiterung der „Grenzen des Rö- Sicherheit bei. dass die neue Welterbestätte Teil mischen Reiches“, wie sie das Komi- eines größeren Ganzen ist. In der Tat tee 2005 empfohlen hatte, war nun umspannten die Grenzen des Römi- nicht mehr möglich. Daher wurde schen Reiches im 2. Jahrhundert im Rahmen einer Thematischen Stu- n. Chr. in weitem Bogen das gesamte die 2016–2017 in Abstimmung mit Mittelmeer. Auf einer Strecke von dem internationalen Denkmalrat über 7.500 km erstreckten sich die Grenzen durch den ICOMOS eine neue Nominierungsstrategie erarbeitet. Norden Großbritanniens und ganz Mitteleuropa bis zum Da eine Welterbestätte gut gemanagt werden Schwarzen Meer, über den Vorderen Orient bis ans Rote muss und das Management bei transnationalen se- Meer und von dort durch ganz Nordafrika bis an die riellen Stätten erfahrungsgemäß umso aufwendiger Atlantikküste. ist, je mehr Vertragsstaaten beteiligt sind, drangen die Experten von I COMOS vehement darauf, einzelne Abschnitte der Grenzen des Römischen Reiches als DIE „GRENZEN DES RÖMISCHEN REICHES“ eigenständige Welterbestätten zu nominieren. Dabei IM KONTEXT DES UNESCO-WELTERBES – war jedoch zu beachten, VON DER NATIONALEN ZUR TRANSNATIONALEN SERIELLEN WELTERBESTÄTTE ... dass jede Welterbestätte 1987 wurde mit dem Hadrianswall die Nordgrenze des römischen Britannien in die Welterbeliste einge- einen eigenen OUV (außer- schrieben. Sie verläuft von Küste zu Küste und bildet daher eine abgeschlossene Einheit. Um die Jahrtau- gewöhnlichen universellen sendwende gab es dann in Deutschland Bestrebungen, den Obergermanisch-Raetischen Limes, die römische Wert) besitzen muss. 10
In Passau, am Zusammenfluss von Ilz, Donau und Inn, lässt sich das Ende der römischen Herrschaft in Bayern besonders gut erkunden. (Foto: BLfD, Klaus Leidorf) Teile der Wehrmauer des Legionslagers prägen das Bild der Regensburger Altstadt bis heute. Besonders eindrucksvoll ist die porta praetoria, das Haupttor des Lagers. (Foto: Stadt Regensburg, P. Ferstl) Regensburg Weltenburg Straubing Künzing Passau Mautern Bad a u D on Gögging Enns Das frühkaiserzeitliche Kleinkastell von Weltenburg-Am Galget während der Aus- grabungen 1989 (Foto: BLfD, Klaus Leidorf) Das römische Kastell Favianis/Mautern liegt zwischen Linz und Wien am östlichen Ausgang der Wachau. Es wurde im 4. Jahrhundert ausgebaut und mit weit vorspringenden Türmen verstärkt, an denen man bis heute Details wie die Gestaltung der Fenster im Obergeschoß ablesen kann. Karte: Agentur alphabetique (Foto: Bundesdenkmalamt, Bettina Neubauer-Pregl) DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 11
Für die römischen Grenzen in Asien und Nordafrika wurden durch die Thematischen Studien eigenstän- Fundorten entlang der dige OUVs sichergestellt. Für Europa ergab sich Fol- gendes: Der Antoninuswall, der Hadrianswall und Donau zusammen, von der Obergermanisch-Raetische Limes, die gebauten Landgrenzen Europas, bleiben als gemeinsame Welt- Bad Gögging in Bayern erbestätte bestehen. Der Niedergermanische Limes hat als Flussgrenze mit hervorragender Feuchtboden- bis Iža in der Slowakei. erhaltung eigenen OUV. Der Donaulimes wiederum hat OUV, da er zeigt, wie hervorragend diese Flussgrenze an wechselnde Landschaftsräume angepasst ist, und Damit umfasst das Welterbe auf einer Länge von der dakische Limes im heutigen Rumänien hat als viel- rund 600 km derzeit den Ostteil der römischen Pro- fältig organisierte Landgrenze ebenfalls ausreichend vinz Raetien, die Nordgrenze von Noricum und den OUV für eine eigenständige Welterbenominierung. westlichen Teil der Grenze Pannoniens. Ab flavischer Aufgrund unter- Zeit (69–96 n. Chr.) war schiedlicher Arbeits- auf der gesamten Stre- stände wurde in einem cke eine durchgehende ersten Schritt der west- Grenzsicherung ein- liche Teil des Donau- gerichtet, die im Laufe limes nominiert. Mit der Zeit ausgebaut und einem Kraftakt enger immer wieder den ak- internationaler Zusam- tuellen Erfordernissen menarbeit gelang es angepasst wurde. Le- Deutschland, Öster- gionslager wie jenes in reich, der Slowakei und Regensburg bildeten das Ungarn, am 31. Januar Rückgrat des Systems, 2018 ein gemeinsames das aus zahlreichen Nominierungsdossier Kastellen, Kleinkastel- einzureichen. Es folg- len und Wachttürmen ten eine von Ungarn bestand und von den verursachte Ehrenrun- Zivilsiedlungen der de und die Pandemie. Kastelle ebenso ergänzt Entsprechend wurden Römische Waffen und Handfesseln aus dem großen Eisenhort, wurde wie durch das 2021 der Donaulimes der im Kastell Quintana/Künzing gefunden wurde Heilbad von Bad Gög- und auch der zwei Jah- (Foto: Museum Quintana, G. Bachmeyer) ging, das Heiligtum re später nominierte auf dem Weinberg bei Niedergermanische Limes in die Welterbeliste einge- Eining und den Statthalterpalast von Carnuntum. schrieben. Es ist ein absolutes Novum, dass drei Limes- Auch zeitlich bilden die Fundstellen des Welterbes abschnitte eigenständigen Welterbestatus haben und die ganze Geschichte des Donaulimes ab: Als kurz gemäß Thematischer Studie nun den ersten Welterbe- vor der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. eine erste cluster in der Geschichte der UNESCO bilden. durchgehende Grenzsicherung in Raetien eingerich- tet wurde, erbaute man das frühkaiserzeitliche Klein- kastell von Weltenburg-Am Galget. In Regensburg WELTERBE DONAULIMES – HEUTE UND MORGEN lassen sich mit der Zerstörung des Auxiliarkastells Kumpfmühl, der Stationierung der neu aufgestellten legio III Italica und dem Bau eines kleinen Kastells in Großprüfening sehr gut die Auswirkungen der Mar- Die neue Welterbestätte komannenkriege fassen. In Straubing zeigt ein Ver- gleich des mittelkaiserzeitlichen Kastells auf dem Os- „Grenzen des Römischen tenfeld mit dem spätrömischen Kastell unter St. Peter exemplarisch den grundlegenden Wandel im römi- Reiches – Donaulimes schen Festungsbau vom 3. zum 4. Jahrhundert n. Chr. In Passau fassen wir schließlich mit den Überresten (westlicher Abschnitt)” unter Kloster Niedernburg die Zeit der Absetzung des letzten Kaisers des Weströmischen Reiches im setzt sich aus 77 römischen Jahr 476 n. Chr. und damit das Ende des Donaulimes.
Doch auch der Blick über Bayern DAS KURPHÄNOMEN – KUREN hinaus lohnt sehr: In Österreich ALS SOZIALES EVENT gibt es fast vollständig erhaltene Türme und Tore, die zu den am Die Modebäder Europas wurden besten erhaltenen spätrömischen jährlich von zahlreichen Gäs- Wehrbauten in Mitteleuropa zäh- ten besucht – noch heute prägen len, und in der Slowakei lohnt ein Hotel- und Villenviertel maß- Besuch des nördlich der Donau ge- geblich das Erscheinungsbild der legenen Brückenkopfkastells Iža. Städte. Internationales Flair er- Weitere hochinteressante Stätten langten die Bäder vor allem durch werden in absehbarer Zeit hinzu- zahlreiche ausländische Gäste, kommen, denn in Kroatien, Ser- die nicht selten von einem Kurort bien, Bulgarien und Rumänien zum nächsten reisten. Der Aus- wird intensiv an einem Erweite- bau des Eisenbahnstreckennetzes rungsantrag für den Donaulimes machte es möglich. Die Offenheit gearbeitet, und Ungarn, das sei- und Akzeptanz gegenüber aus- ne Beteiligung kurz vor der Ein- ländischen Kurgästen und ande- schreibung zurückgezogen hatte, ren Glaubensgemeinschaften ist ist dabei, in das Projekt zurück- in Bad Kissingen unter anderem zukehren. Überblickskarte über durch die Russisch-Orthodoxe „Die bedeutenden Kurstädte Europas“ Kirche sowie den jüdischen Fried- hof belegt. „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“ Neben den medizinischen Anwendungen ging es beim jährlichen Aufenthalt im Kurbad aber vor allem Auch bei der Welterbestätte „Die bedeutenden Kur- um soziale Interaktion. Das Flanieren auf den Prome- städte Europas“ handelt es sich um eine transnationa- naden diente neben der körperlichen Ertüchtigung le serielle Stätte, die in ihrer Gesamtheit elf Städte in letztlich dem „Sehen und gesehen werden“. Im Theater, sieben Ländern Europas umfasst. Neben Bad Kissingen auf der Pferderennbahn oder im Spielkasino wurden sind in Deutschland Baden-Baden und Bad Ems Teil des Bekanntschaften geschlossen und Kontakte gepflegt. Verbunds. Außerdem zählen Spa in Belgien, Vichy in Durch die immer steigenden Freizeitangebote nahmen Frankreich, Bath in Großbritannien, Montecatini Terme die Kurstädte schließlich eine Vorreiterrolle in der Ent- in Italien, Baden bei Wien in Österreich und die tsche- wicklung des modernen Tourismus ein. Eine Besonder- chischen Kurorte Franzensbad, Marienbad und Karls- heit der Stadt Bad Kissingen ist das seit 1837 existieren- bad dazu. Zusammen repräsentieren sie das internatio- de Kurorchester (Staatsbad Philharmonie Kissingen), nale europäische Kurphänomen, welches seine Blütezeit dessen Konzerte Anwohner und Kurgäste noch heute zwischen dem frühen 18. Jahrhundert und 1930 hatte. ganzjährig erfreuen. Sog. „Dampferle“, Postkarte um 1900 (Foto: Stadtarchiv Bad Kissingen) DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 13
IM FOKUS Obere Saline Kurstadt Bad Kissingen Legende Welterbegebiet Saale Untere Saline Pumpwerk Arkadenbau von Friedrich von Gärtner, 1834-1838 (Foto: BLfD, David Laudien) SAALE Russisch- Orthodoxe Kirche Pumpwerk zum Heben von Sole von 1848 und 1883 (Hauspumpe im Hintergrund) (Foto: BLfD, David Laudien) Regentenbau Maxbrunnen Kurgarten KURVIERTEL MIT Arkadenbau MINERALQUELLEN Wandelhalle Luitpoldpark Jüdischer Friedhof Staatsbad Philharmonie Bad Kissingen, Konzert im Kurgarten (Foto: BLfD, David Laudien) Ehem. Schlachthof Maxbrunnen von Max Littmann, 1911 (Foto: BLfD, David Laudien) Golfplatz Luitpoldpark, angelegt ab 1857 (Foto: BLfD, David Laudien) Welterbegebiet Bad Kissingen, Auswahl der Principle Elements (Kartengrundlage: Anna Maria Boll; Bearbeitung: Agentur alphabetique) 14
Grüner Saal des Regentenbaus von Max Littmann, 1910-1913 (Foto: Stadtarchiv Bad Kissingen) Aber die Kurorte dienten nicht nur einem wohlhaben- eigens aus der Kurfunktion entstandene einzigartige den Publikum als Reiseziel. Als innovative Zentren Stadttypus und die dazu gehörenden Architekturen. für Medizin, Balneologie und Freizeit verkörperten Herzstück einer jeden Kurstadt sind die natürlichen die großen Kurorte Europas die Philosophie der Auf- mineralischen Heilquellen, um die herum sich medi- klärung und begründeten das Konzept dessen, was zinische Einrichtungen, Bäder und Trinkhallen ent- wir heute mit dem Sozialwesen umschreiben würden. wickelten – Galerien, Kolonnaden und Arkaden sind Die Gesundheitsversorgung wurde für alle sozialen typische Gestaltungsmerkmale dieser Architekturen. Schichten etabliert. Weitere wesentliche Elemente einer jeden Kurstadt sind Kurhäuser, Krankenhäuser und Sanatorien, Versamm- lungsräume, Spielcasinos, Theater- und Konzerthäuser, DER „AUSSERGEWÖHNLICHE UNIVERSELLE Bazare, Hotels und Villen. Eingebettet sind die Spa-spe- WERT“ DER STÄTTE „DIE BEDEUTENDEN zifischen Infrastrukturen jeweils in eine therapeutisch KURSTÄDTE EUROPAS“ genutzte Landschaft, die durch angelegte Parks, Pro- menaden, Sportanlagen und Wälder die Heilung und Von zentraler Bedeutung für eine Welterbestätte ist der Entspannung der Gäste fördern sollte. Zur Erkundung „außergewöhnliche universelle Wert“, der sogenann- der umgebenden Landschaft der Kurstädte gab es zu- te OUV. Eine Welterbestätte muss nicht nur für einen meist Fahrgeschäfte. In Bad Kissingen ist es das soge- bestimmten Kulturkreis von Bedeutung sein, sondern nannte „Dampferle“, das seit 1877 durch Linienverkehr für die gesamte Menschheit. Im Falle der Stätte „Die die Untere und Obere Saline mit den zentralen Kurein- bedeutenden Kurstädte Europas“ sind es vor allem der richtungen verbindet. DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 15
IM FOKUS BAD KISSINGEN ALS TEIL DER WELTERBESTÄTTE deren Authentizität und Integrität. Dies äußert sich un- „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“ ter anderem dadurch, dass die Kurfunktion noch in der Stadtstruktur ablesbar ist und sich die kurspezifischen Aus den urbanen Strukturen und Architekturen, die Architekturen in einem guten Erhaltungszustand be- sich auf die speziellen Funktionen des „Kurens“ bezo- finden. Die funktionale Integrität ist in Bad Kissingen gen, ging also ein eigener Stadttypus hervor, der allen ebenfalls gegeben, da die Stadt bis heute ihre Kurfunk- elf Kurstädten gemeinsam ist. Trotzdem hat jeder Kur- tion bewahrt hat und jährlich zahlreiche Gäste zur Kur ort auch seine Besonderheiten. beherbergt. Bad Kissingen zum Beispiel repräsentiert innerhalb der Gruppe das Ideal einer Kurstadt um 1900. Zwar entstand das Kurviertel südlich der Altstadt be- reits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts um den 1738 angelegten Kurgarten herum, die städtebauliche Aus- SCHUTZ, ERHALT UND VERMITTLUNG ALS gestaltung erfolgte jedoch hauptsächlich in der Bieder- GEMEINSAME AUFGABE meierzeit unter dem Einfluss von König Ludwig I. und im frühen 20. Jahrhundert. Das Welterbegebiet Bad Kis- Mit dem Titel „UNESCO-Welterbe“ geht eine beson- singen erstreckt sich in nordsüdlicher Richtung entlang dere Verpflichtung einher. Zum einen geht es um den der Saale mit einem zentralen Kurviertel, der Saline im Schutz und den Erhalt der Stätten, denn die Zerstörung Norden und den Parkanlagen sowie einem Golfplatz im einer Welterbestätte würde einen Verlust für die ganze Süden. Drei der vier Mineralquellen Bad Kissingens lie- Menschheit bedeuten. Deshalb sind wir alle aufgerufen, gen im Kern des Welterbegebiets, dem Kurviertel, und das Welterbe gemeinsam zu schätzen, zu schützen und so zentrieren sich auch die meisten therapeutischen für nachfolgende Generationen zu bewahren. Da man Einrichtungen und Repräsentationsarchitekturen in aber nur schätzen kann, was man kennt und versteht, diesem Bezirk, unter anderem der von Friedrich von ist die Vermittlung eine weitere zentrale Aufgabe, die Gärtner stammende Arkadenbau (1834–1838), die von mit dem Welterbe verbunden ist; nicht umsonst steht Max Littmann errichtete Wandelhalle (1910–1912) sowie das „E“ von UNESCO für Educational. Auch aus diesem der ebenfalls von Max Littmann stammende Regenten- Grund sind Sie alle eingeladen, die neuen Welterbestät- bau (1910–1913). Max Littmann fasste auch eine der äl- ten zu besuchen und näher kennenzulernen. testen Quellen Bad Kissingens ein und entwarf 1911 den sogenannten Maxbrunnen im Stil des Neoklassizismus, der am Rande des Kurparks liegt. Ein besonderer Beitrag von Bad Kissingen zur Be- MEHR ERFAHREN deutung der Welterbestätte „Die bedeutenden Kurstädte Europas“ ist zudem die außergewöhnliche örtliche Weitere Informationen und Veranstaltungs- Infrastruktur. Im Süden der Stadt liegt der ehemali- hinweise zu den Welterbestätten: ge Schlachthof von 1923/25, auch „Ochsenkathedrale“ genannt. Auf Galerien im Inneren konnten sich die Kur- Donaulimes gäste von den innovativen und vorbildlichen hygieni- donau-limes.de schen Zuständen des Betriebes überzeugen. Im Norden der Welterbestätte Bad Kissingen be- findet sich die Untere Saline, eine der ältesten Salzpro- Die bedeutenden Kurstädte Europas duktionsstätten Zentraleuropas (seit 823). Zudem gibt welterbe.badkissingen.de es dort seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Pumpen- anlagen, die zum einen das Gradierwerk speisten und zum anderen die Sole ins südliche gelegene Kurviertel welterbe.badkissingen.de/karte pumpten. Ebenfalls entscheidend für den außerge- welterbe.badkissingen.de/welterbe- wöhnlichen universellen Wert einer Welterbestätte ist bad-kissingen/uebersichtskarte 16
I N N E R N ER A L T E N ERH C K E N E N T D E R S C H E N ER F O Lebendige Denkmalpflege bedeutet: ERINNERN. Den Blick zurück auf die Geschichte werfen. Die Vergangenheit pflegen. Eine neue Aufmerksamkeit. ERHALTEN. Altes neu denken, neu erschließen. Brücken bauen zwischen Gestern und Heute. Eine neue Funktion. ENTDECKEN. Die Wahrnehmung für das Vorhandene schärfen. Das Besondere im Alltäglichen finden. Ein neues Sehen. ERFORSCHEN. Von der Forschung lernen. Zusammenhänge aktiv knüpfen und verstehen. Ein neuer Zugang. DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 17
ERINNERN Ein Stück Freisinger Stadtgeschichte Die Sanierung des Bürgerhauses Ziegelgasse 5 von HILDEGARD SAHLER F reising – die grüne Stadt: Das Dieser ausgedehnte Gewerbe- Urkataster präsentiert wie bereich lag im Randbereich der auch die Renovation von mittelalterlichen Siedlung am 1858 im rückwärtigen Bereich der Fuße des Dombergs, die wohl dichten Blockrandbebauung an nur von einer Wallanlage mit der Oberen Hauptstraße großflä- Graben umgeben war. Mit dem chige Garten- und Grünanlagen, die Bau der Stadtmauer seit Beginn des bis zur Stiegelbräugasse und teilwei- 15. Jahrhunderts in ihrem heuti- se bis zum Oberen Graben reichen. Das gen Verlauf wurden die Flächen auf- Wohnhaus Ziegelgasse 5 (Flurnummer 248) gewertet; vermutlich wurden die Öfen befindet sich in einer Stichstraße am Rand die- bald stillgelegt. Auf der Fläche errichtete Renovationsplan ser Freiflächen. Zum Anwesen auf Flurnr. 248 von 1858 man freistehende Bürgerhäuser mit großen gehörte eine im Norden und Westen gele- (Plan: Bayerisches Gärten, darunter auch das Anwesen Ziegel- gene große, ehemals gärtnerisch gestaltete Landesamt für gasse 5, welches nach den dendrochronologi- Grünfläche. Digitalisierung, schen Untersuchungen in das Jahr 1552 datiert. Breitband und Damit gehört es zur frühen repräsentativen Vermessung) Wohnbebauung in diesem Bereich. VOM GEWERBEGEBIET ZU GROSSZÜGIGEN BÜRGERGÄRTEN DIE BAUGESCHICHTE DES BÜRGERHAUSES IN Durch die archäologischen Untersuchungen anläss- DER ZIEGELGASSE 5 lich der Neubebauung mit großen Baukörpern und einer Tiefgarage, den „Ziegelhöfen“, wurde 2012 auf Der zweigeschossige Satteldachbau ist mit seinem dem Gelände ein Grubenkomplex mit einer Vielzahl Giebel und prägendem Standerker an städtebaulich von Brennöfen ergraben, die in mittelalterliche Zeit zu wichtiger Stelle am Ende der Stichstraße situiert. Zur datieren sind. Da es keine weiteren Funde gab, könnte Bauzeit war die Fassade ziegelsichtig mit exakter heller es sich um Räucher- oder Darröfen gehandelt haben. Verfugung. 18
BÜRGERHAUS IN FREISING, Südfassade mit Kirchturm der Stadtpfarrkirche St. Georg nach der Restaurierung (Foto: Sebastian Schels) DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 19
ERINNERN Stube im Erdgeschoss mit Bohlenbalkendecke von 1552 nach der Restaurierung (Foto: Sebastian Schels) Historische Eingangstüre nach der Restaurierung (Foto: Eva Willberg) Die historische Erschließung auf der östlichen Giebel- Um 1815 wurde eine neue Treppe im Hausinneren ge- seite direkt neben dem Standerker zeigt heute eine auf- schaffen. 1884 brach man schließlich die beiden alten wendig geschnitzte Haustüre mit frühklassizistischen Kamine ab und ersetzte sie durch russische Kamine. Ornamenten. Auf der Südseite des T-förmigen Hausgan- Die jüngsten Baumaßnahmen 1935 griffen am stärks- ges liegt im Erdgeschoss ein durch die Einbeziehung des ten in die Struktur und Substanz des Baudenkmals Erkers repräsentativer Raum mit Bohlenbalkendecke, ein. Das Grundrissgefüge wurde durch den Einbau von die sich bis in den Hausgang erstreckt. Daneben befindet drei Wohnungen insbesondere im nördlichen Teil stark sich die ehemalige Küche. Vom nörd- verändert. Der Hauptzugang wurde an lichen Hausgang werden beidseitig je die Südseite verlegt – die Türe trägt zwei weitere Räume erschlossen, die im Gitter das Umbaudatum – und die vermutlich als Kammern oder Lager- Urkataster Treppe ins Obergeschoss erneuert. Das räume genutzt wurden. Das Gebäude 1808 gründete König Tonnengewölbe im Keller ersetzte man besitzt ein steiles Sparrendach mit zwei Max I. Joseph die Bayerische durch eine Betondecke, um das Boden- Kehlbalkenebenen und stehendem Steuervermessungskommission niveau auszugleichen. Mit dem neuen Stuhl. Es ist teilweise mit einem Gewöl- und ordnete die systematische Ausbau des Dachgeschosses und dem bekeller unterkellert, der von außen und exakte Vermessung Einbau der Dachgaube über die gan- zugänglich war. sämtlicher Grundstücke in ze Hauslänge wurde nicht nur in die Bayern an, um eine einheitliche Substanz des Dachwerks von 1552 stark Die weitere Baugeschichte stellt sich und gerechte Besteuerung des eingegriffen, sondern auch die Außen- nach den Recherchen der Bauforsche- Grundbesitzes zu erreichen. ansicht verändert. rin Eva Willberg wie folgt dar: 1771 In Oberbayern musste wurde das erste Dachgeschoss ausge- jedoch von 1851 bis 1864 baut, hierfür gab es am bauzeitlichen eine Renovationsmessung INSTANDSETZUNG UND Dachwerk einige Reparaturmaßnah- durchgeführt werden, RESTAURIERUNG men. Weitere Modernisierungsmaß- weil hier die Karte mit der nahmen sind durch den fürstbischöf- Wirklichkeit häufig nicht mehr 2013 begann die Instandsetzung dieses lichen Hof- und Stadtmaurermeister übereinstimmte. stark vernachlässigten Gebäudes, be- Klemens Floßmann archivalisch be- gleitet durch das Freisinger Architek- legt. Auf ihn geht der Einbau der Haus- turbüro Deppisch. Als einen Glücks- türe zurück, welche die Insignien sei- fall kann man es bezeichnen, dass die nes Berufes zeigt. Spätestens zu dieser Zeit wurde das Eigentümer die große, breite Gaube im Dachgeschoss Gebäude verputzt und erhielt eine Farbigkeit ähnlich wieder zurückbauten. Das Dachtragwerk von 1552 der heutigen Fassade. Durch die Umgestaltung war die konnte so wieder ergänzt und statisch instandgesetzt ehemals im Hausgang befindliche sehr schmale Stiege werden. Die hier sichtbaren Reparaturen von 1771 wur- nicht mehr zeitgemäß, sodass für den Zugang ins Ober- den als Zeitzeugnis erhalten. Statt der breiten Schlepp- geschoss im Westen ein Anbau errichtet wurde. Hie- gaube wurden für die Belichtung des Dachgeschosses raus resultieren noch die erhaltenen Treppengeländer zwischen die Sparren drei gut proportionierte schmale aus Balustern sowie eine Türe mit Bockshornbändern. Schleppgauben eingefügt. Durch den Einbau von 20
Kastenfenstern erhielt die Fassade Noch vorhandene historische Ausstat- nicht nur ein historisch anmutendes tungselemente wie Fenster und Türen Relief, sondern auch eine sinnvolle hat man erhalten und integriert. Die Bohlenbalkendecke energetische Ertüchtigung. Die fres- Innenwände wurden nach histori- Bei der Bohlenbalkendecke kal aufgetragene Kalkfarbe mit ihrer schem Vorbild mit Lehmputz auf Rohr- handelt es sich um eine sich besonderen Lichtbrechung als letzte matten verputzt, um die historischen selbst tragende Decke aus dem Schicht auf dem mineralischen Dämm- Putze zu erhalten, und mit Kalkfarbe Wechsel eines Balkens und putz vervollständigt den optischen Ein- gestrichen. Ein Temperiersystem im einer Bohle. Sie ist in Freising druck. Der barocke Anbau im Westen Erdgeschoss unterstützt die Heizung im profanen Hausbau bis zum musste aufgrund des schlechten Bauzu- mit Brennwerttechnik. Durch den 16. Jahrhundert weit verbreitet. stands ersetzt werden, er nimmt wieder Einbau einer Aufsparrendämmung Die Balken tragen manchmal die Erschließung in die Wohnungen im konnte das Dachwerk sichtbar belas- eine reiche Verzierung. Obergeschoss und Dachgeschoss auf. sen werden. Obwohl der Dachspitz nur Gestalterisch setzte man ihn durch die durch die beiden Giebelfenster belich- Verkleidung mit einer Holzschalung tet ist, hat der Wohnraum ein beson- vom Haupthaus ab. Im Inneren wurde die historische deres Ambiente. Die Verwendung von Schilfrohr und Grundrissstruktur wiederaufgenommen. Die unter Lehmputz zwischen den Sparren schuf zusätzlich ein moderner Decke verborgene beeindruckende Bohlen- gesundes Raumklima. balkendecke wurde mit größerem Aufwand statisch 2016 wurde die vorbildliche Maßnahme mit dem saniert, die Holzoberfläche restauratorisch bearbeitet. Bayerischen Denkmalpflegepreis ausgezeichnet. Archäologische Grabung: Schnitt durch einen Brennofen Ansicht von Süden vor der Restaurierung (Foto: Anzenberger & Leicht) (Foto: Christoph Spieß) Dachwerk von 1552, Spitzboden mit Aufzugswinde nach der Sanierung (Foto: Sebastian Schels) Ansicht von Osten nach der Restaurierung (Foto: BLfD, Hildegard Sahler) DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 21
E R H A LT E N Ein Schatz der Renaissance Das Chorgestühl der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer in Steingaden von CHRISTINE STEGE und CHARLOTTE HÖPKER 22
Chor der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer in Steingaden (Foto: BLfD, Michael Forstner) D er Pfaffenwinkel in Oberbayern ist bekannt für DAS CHORGESTÜHL seine vielen kulturhistorisch bedeutenden Kir- chen und Klöster. Die katholische Pfarrkirche Nach den Plünderungen und Zerstörungen im Zuge der St. Johannes der Täufer in Steingaden, ehemalige Prä- Bauernkriege wurde im Jahr 1534 ein neues Chorgestühl monstratenserabteikirche, ist eines dieser bedeuten- für die Klosterkirche in Steingaden geschaffen, welches den Kulturgüter. Gegründet als Kloster und Grablege sich zu beiden Seiten des Hochchores befindet. Aus der der Welfen 1147 durch Herzog Welf VI. – daher auch die Renaissance stammen die hinteren Reihen mit je zwölf Bezeichnung Welfenmünster – hat die Klosterkirche Stallen, die auf einem dreistufigen Podest ruhen. Die vor- in ihrer über 800-jährigen Geschichte Überformun- deren elfsitzigen Reihen wurden im Jahr 1962 in Anleh- gen der jeweiligen Zeit erfahren. Dabei vereint sie ein- nung an das Original als zusätzliche Sitzgelegenheit neu drucksvoll eine Vielzahl an Epochen in harmonischem geschaffen. Das Gestühl ist durch geometrische Formen Zusammenspiel – vom romanischen Baukörper mit go- klar gegliedert und mit einem reliefartig geschnitzten tischem Kreuzgang über die reiche Rokokogestaltung Fries über den Dorsalfeldern ornamental geschmückt. Die im Hauptschiff bis zur modernen Altarraumgestaltung hohe künstlerische und handwerkliche Qualität zeigt sich des 21. Jahrhunderts. Ein kulturhistorisch besonders auch an der sorgsamen Auswahl hochwertiger Hölzer. wertvolles Kunstwerk ist dabei im Chorraum zu finden: Deren unterschiedliche Intensität in Maserung und das Chorgestühl aus der Frührenaissance. Holzfarbton wurde gezielt kontrastreich eingesetzt. DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 23
E R H A LT E N Die Verwendung von zur damaligen Zeit kostbaren Geschnitzter Fries mit Jahreszahl, hinterlegt mit Hölzern wie Blumenesche und Vogelaugenahorn blauem Papier (Foto: BLfD, Michael Forstner) unterstreicht den künstlerischen Rang des Gestühls: Die Zwischenwangen und Schulterringe aus massiver Rüster (Ulmenholz) sind mit herausgearbeiteten Säu- len und einem eingelegten Streifen aus Vogelaugen- ahorn gestaltet. Die dazwischenliegenden Klappsitze und ihre schlichten Miserikordien bestehen aus Ahorn. Eine mit Blumenesche furnierte stehende Raute bildet das Zentrum eines jeden Dorsalfeldes. Sie ist von Profil- leisten eingefasst und in massive Eichenfelder einge- lassen. Diese Felder aus Eiche werden von profilierten Leisten und einem breiten Band aus Blumenesche ge- rahmt. Die Dorsalfelder werden von schmalen Lisenen aus Eichenprofilen und Vogelaugenahorn getrennt. Die darüberliegende Gebälkzone ist stark verkröpft und enthält je ein durchbrochen geschnitztes Relief, das ursprünglich mit blauem Papier hinterlegt war. Die unterschiedlichen Reliefs zeigen unter anderem Putten, Füllhörner und Fabelwesen sowie die Wappen der Welfen und des Ortes Steingaden, die Jahreszahl 1534 und das Monogramm HS. Den oberen Abschluss des Gestühls bilden eine Vierteltonne aus Ahorn und ein gegliederter Aufsatz. Es findet sich das Element der Raute aus Blumenesche wieder – jedoch hier liegend und als aufgesetzte Kassette aus Wacholder. Als heller Rahmen fungiert auf der Südseite Vogelaugenahorn, wohingegen auf der nördlichen Seite Riegelahorn Ver- wendung fand. Die sorgfältig ausgewählten Hölzer Miserikordien wurden ursprünglich mit einer Lasur betont und damit Miserikordien bezeichnen kleine gekonnt zu einem Gesamtbild zusammengestimmt. Stützbretter an den Klappsitzen des Chorgestühls zum Anlehnen während langer Stehzeiten. Steingaden, Chorgestühl in der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer (Foto: BLfD, Michael Forstner) 24
E R H A LT E N STEINGADEN, Chorgestühl in der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer (Foto: BLfD, Michael Forstner) DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 25
In Zusammenarbeit zwischen dem Referat Restau- Unterschiedliche Holzarten rierung des Bayerischen Landesamtes für Denk- wurden verwendet: malpflege (BLfD) und dem Doerner Institut in Ahorn, Blumenesche, Eiche, Vogelaugenahorn München gelang es, anhand weniger Proben (Foto: Christine Stege) Bister als färbendes Pigment dieser Lasur nachzuweisen. Bister ist ein organisches, feindisperses, braunes Farbmittel, das Sicher ist jedoch, vielfältige Farbnuancen bereits bei ge- dass das Chorge- ringer Dosierung in einem (Lack-)Über- stühl in der Ver- zug ermöglicht. Dieser Befund ist für die gangenheit Verän- Forschung zur Veredelung von Holzober- derungen erfahren flächen wertvoll, da naturwissenschaftliche hat. Beispielsweise Nachweise historischer Färbematerialien an ist anzunehmen, dass holzsichtigem Mobiliar nach wie vor so selten an den westlichen En- sind, dass sich eindeutige Vorstellungen zur ur- den beider Reihen je ein sprünglichen Farbigkeit historischer Holzausstat- Sitz für den Abt und den Prior tungen schwer belegen lassen. abgewinkelt angebracht waren. Die Teile dieser Stallen wurden in ver- änderter Form als Verlängerung vor die Chorpfeiler VERÄNDERUNG UND ERHALTUNG montiert. Der Steingadener Chronik ist zudem zu ent- nehmen, dass 1834 „Dem Kistler Lengger für Verferti- Im Laufe der Zeit wurde das Kloster mehrmals geplün- gung eines neuen Speisgitters um 26 Gulden 56 Kreu- dert und teilweise zerstört. Zu diesen einschneidenden zer und dem gleichen Handwerker für Beseitigung der Ereignissen gehörte auch ein Brand im Dreißigjährigen alten Chorstühle und Verfertigung der neuen Kinder- Krieg, der unter anderem den brennenden Dachstuhl stühle 66 Gulden 24 Kreuzer [...]“ gezahlt wurden. Mit des Chorraums zum Einsturz brachte. Erstaunlich ist, der „Beseitigung der alten Chorstühle“ war vermutlich dass zumindest die hinteren Gestühlsreihen unbeschä- nur die vordere Reihe des Chorgestühls gemeint. An- digt blieben. Inwiefern eine vordere Sitzreihe zu Scha- statt der entfernten Sitzreihe wurde eine Brüstung aus den kam, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Nadelholz hinzugefügt. Das angesprochene Kinder- gestühl ist auf Aufnahmen, die vor den 1950er Jahren entstanden sind, zu sehen und wurde laut Steingadener Chronik im Jahr 1958 im Zuge einer größeren Umgestal- tung des Chorraums entfernt. Unterlagen aus dem Archiv des BLfD deuten auf eine weitere Maßnahme am Chorgestühl im Jahr 1936 hin. Es sollten fehlende Teile ergänzt und die Oberfläche mit „Terpentinwachs“ behandelt werden. Ergänzt wurden damals vor allem Fehlstellen der Schnitzereien wie Blätter, Voluten und die Ziffern 1, 5 und 3 der Jahreszahl 1534 am nördlichen Gestühl. Das blaue Papier hinter der reliefartigen Schnitzerei wurde teilweise entfernt und die Rücklagen blau gestrichen. Bei genauer Betrachtung sind daher verschiedene Blautöne zu erkennen. Vor dem Auftrag des „Terpentinwachses“ wurde vermutlich die ursprüngliche Bisterlasur entfernt, da diese nur noch in Resten an schwer erreichbaren Stellen erhalten ist. Das aufgebrachte „Terpentinwachs“ ist heute stark vergraut, wodurch die charakteristische Maserung und Farbin- tensität der unterschiedlichen Holzarten nicht mehr zur Geltung kommen. Besonders störend fallen die weiß gefüllten Poren von Eiche, Esche und Rüster ins Auge. Schließlich wurde 1962 die vordere Sitzreihe samt Gebetbuchablage von einer örtlichen Schreinerei er- gänzt. Die neuen Bänke wurden mit einem transparen- Außenansicht ten Kunstharzlack gestrichen, der mit der Alterung trüb (Foto: BLfD, Michael Forstner) und grünlich wurde. 26
E R H A LT E N KONSERVIERUNG UND RESTAURIE- und anschließend leicht feucht mit Wat- RUNG 2020 testäbchen gereinigt. Nach der Reinigung Vogelaugenahorn konnten hier die Reste des Wachsüberzugs Die Kirche St. Johannes der Täufer wurde Als Vogelaugenahorn mittels kleiner Bürsten verdichtet werden, in den letzten Jahren aufwendig restau- wird ein Fehlwuchs was den hellen Hölzern einen gewissen riert. Die Kirchengemeinde finanzierte des Zuckerahorns Glanz verleiht. einen erheblichen Teil dieses umfassen- bezeichnet. Im Holz Eine Herausforderung stellten die den Vorhabens selbst. Im Rahmen dieser entstehen punktartige 1962 hinzugefügten vorderen Reihen des Maßnahme konnten eine restauratorische Strukturen, die an Gestühls dar. Deren gealterte Kunstharz- Befunduntersuchung und die Entwicklung Vogelaugen erinnern. Oberfläche unterschied sich stark von den eines überzeugenden Konservierungs- und Diese unregelmäßige beiden hinteren renaissancezeitlichen Restaurierungskonzepts realisiert werden. Maserung macht Gestühlsreihen. Durch das Aufbringen Während der Voruntersuchung zeichnete das Holz besonders eines getönten Überzugs konnten die er- sich jedoch ab, dass durch unvorhersehbare dekorativ und kostbar. gänzten Sitzreihen den restaurierten al- Kostenmehrungen anderer Gewerke wäh- ten Gestühlsreihen farblich angeglichen rend der Gesamtinstandsetzung die Kon- werden. Um auch hier die verwendeten servierung und Restaurierung des Chorge- Holzarten zur Geltung zu bringen, wur- stühls nicht mehr finanzierbar schienen. den analog zum renaissancezeitlichen Be- Eine Bearbeitung dieses Schatzes aus der Frührenais- stand nur die Teile aus Rüster getönt. Das helle Ahorn- sance machte schließlich dankenswerterweise die holz der Klappsitze wurde, wie auch die Sitze in den großzügige Spende des Ehepaars Dres. Helga und Kurt hinteren Reihen, lediglich gereinigt und nicht geölt. Kappelmaier über die Messerschmitt Stiftung möglich. Nun zeigt sich ein geschlossenes Erscheinungsbild aus historischem Chorgestühl und später hinzugefügten Ziel der Konservierung und Sitzreihen, wobei jedoch bei genauerer Betrachtung die formalen Unterschiede ablesbar bleiben. Restaurierung war es, das Zusammenspiel der qualität- Links: Holzoberfläche vor der Konservierung/ Restaurierung mit weiß vollen Hölzer und damit den gefüllten Poren hohen Anspruch in Entwurf und Gestaltung von 1534 wieder ablesbar zu machen. Konstruktiv waren nur wenige Arbeiten notwendig. Die- se beschränkten sich auf die Verleimung von Rissen in den Gurten des Baldachins, wobei es gelang, die Fugen zwischen den Ahornbrettern weitgehend zu schließen. Die Ergänzung fehlender Profilleisten komplettiert die Rechts: konservierte/ klare Gliederung des Chorgestühls. restaurierte Holzoberfläche Die gesamte Holzoberfläche wurde vorsichtig feucht (Foto: Christine Stege) mit speziellen Schwämmen und Bürsten gereinigt. Durch die Verwendung von feinsten Messingbürsten Das Chorgestühl des Welfenmünsters ist zweifelsohne konnten die grobporigen Hölzer von den hellen Wachs- eines der bedeutendsten Chorgestühle der Frührenais- einlagerungen befreit werden. Zum Schutz der gerade sance in Bayern. Durch die aufwendige Konservierung im unteren Bereich stark ausgemagerten Holzsubstanz und Restaurierung kommen die Maserstrukturen und wurde ein trocknendes Halböl aufgetragen. Geölt wur- die Farbigkeit der für die damalige Zeit kostbaren Holz- den dabei nur die grobporigen, dunklen Hölzer. Neben arten im Sinne der Renaissance wieder voll zur Gel- der Schutzfunktion verbessert der Auftrag des Öls auch tung. Dies wird zusätzlich durch die neue Illumination das Tiefenlicht der individuellen Holzstrukturen. Die des Kirchenraums eindrucksvoll hervorgehoben. Der Reinigung der feinteiligen Schnitzereien erwies sich Zusammenklang dieses kunsthistorischen Highlights als besonders anspruchsvoll, da die blauen Papiere hin- mit der soeben restaurierten Raumschale ist beein- ter der Schnitzerei sehr empfindlich auf Feuchtigkeit druckend und lohnt einen Besuch im Welfenmünster reagieren. Das Schnitzwerk wurde daher erst trocken Steingaden. DI DENKMAL INFORMATION BAYERN NR. 177/2022 27
E R H A LT E N Kunstwerke für die Zukunft Konservierungsstrategien zu Betonfiguren im Feld von CHRISTOPH SABATZKI und STEFANIE FUCHS W estlich von Eichstätt, auf der Wacholderheide erfasst, die Dringlichkeit der notwendigen Konservie- oberhalb des Altmühltals gelegen, befindet rungs- und Pflegemaßnahmen in drei Schadensklassen sich ein eindrucksvolles Mahnmal gegen ermittelt. Damit konnte eine erste Kostenschätzung für Krieg und Gewalt – 81 monumentale Betonplastiken das längerfristige Rahmenkonzept vorgelegt werden. hat der Bildhauer Alois Wünsche-Mitterecker in über 20 Jahren geschaffen. In mü- hevoller Arbeit brachten der DER BETON Künstler und seine Söhne mit Unterstützung der Baufamilie Das verwendete Material kann Meier die tonnenschweren Ob- als Künstlerbeton bezeichnet jekte an ihren Aufstellungsort werden, seine äußeren Merk- in den Hängen des Hessentals. male unterscheiden sich deut- Da die nun etwa 40 Jahre lich vom Normbeton. Die Zu- der Witterung ausgesetzten sammensetzung des Betons Kunstwerke inzwischen zum weicht von den Angaben des Teil gravierende Schäden auf- Künstlers ab, wie sich in mi- weisen, wurde nach einem kroskopischen Untersuchun- Ortstermin der Werkstätten gen, durchgeführt mit Hilfe des Bayerischen Landesamtes des Zentrallabors des BLfD und für Denkmalpflege (BLfD) mit Fachlaboren der Uni Erlangen, Vertretern der Stadt Eichstätt Prof. Roman Koch, und der TU und dem Denkmaleigentümer, München, feststellen ließ. Der dem Kuratorium für das Mahn- gelegentlich schwarz, rot und mal, festgelegt, ein Konservie- weiß pigmentierte Abgussbe- rungskonzept zu entwickeln ton wurde in verlorenen, d. h. sowie eine dezidierte Bestands- Betonplastik nicht wiederverwendbaren For- aufnahme, Materialprüfun- (Foto: Ralf Eiba, Tourist Information Eichstätt) men, die beim Ausschalen von gen und exemplarisch Kon- der Form abgeschlagen wur- servierungsmethoden zum Erhalt des Betons im Feld den, aus Gips hergestellt. Die bläulich-graue Färbung durchzuführen. Die unterschiedlich stark beeinträch- vieler Betonfiguren, insbesondere an den Ausbrüchen, tigten Betonfiguren wurden nach ihrer Schadenstiefe hängt wohl in erster Linie mit dem erhöhten Anteil an 28
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