EINZIGARTIG UNESCO-Welterbe in Bayern - TIEFGEHEND - Bayerisches Landesamt für ...

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EINZIGARTIG UNESCO-Welterbe in Bayern - TIEFGEHEND - Bayerisches Landesamt für ...
Nr. 177
                                   2022

DENKMAL
INFORMATION
BAYERN

EINZIGARTIG
UNESCO-Welterbe
in Bayern

TIEFGEHEND
Rätselhafte Gänge in der Erde

UNTERSUCHT
Kulturerbe im Klimawandel

STURMBESCHÄDIGT
Millimeterarbeit an Königsstatue
EINZIGARTIG UNESCO-Welterbe in Bayern - TIEFGEHEND - Bayerisches Landesamt für ...
Titelbild: Bad Kissingen, Arkadenbau
Foto: BLfD, David Laudien

Foto S. 3: © Steffen Böttcher​
Foto S. 5: BLfD, Michael Forstner
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ED ITO RIAL

                                Liebe Leserinnen und Leser,
                                liebe Freundinnen und Freunde
                                der Denkmalpflege,

                                mit dem Thema Welterbe kennen wir uns in Bayern gut aus: Man denke nur
                                an die Bamberger und Regensburger Altstadt-Ensembles, Bad Kissingen
                                als Teil der bedeutenden Kurstädte Europas oder den westlichen Teil des
                                Donaulimes, um nur einige Beispiele zu nennen, die innerhalb unseres
                                Freistaats als Welterbestätten ausgezeichnet wurden.
                                Solche Stätten sind für uns ganz besondere Orte, denn sie übernehmen
                                eine Vielzahl an Funktionen: Sind sie es doch, die eine Brücke schlagen
                                zwischen unserer geschichtsträchtigen Vergangenheit und pulsierenden
                                Gegenwart – zwischen altbewährter Tradition und innovativer Neuerung.
                                Großartige Errungenschaften der Weltgeschichte werden geschützt
                                und für die Nachwelt bewahrt. Sie übernehmen eine wichtige Funktion
                                der Völkerverständigung, repräsentieren sie doch Meilensteine der
                                Menschheitsgeschichte. Gleichzeitig werden sie im Sinne der Nachhaltigkeit
                                genutzt und ermöglichen so ein zeitgemäßes Handeln, ohne dabei zu
                                vergessen, woher wir kommen und was unsere Vorfahren geleistet haben.

                                Darüber hinaus stiftet das Welterbe Identität und ist essenzieller Teil unseres
                                kulturellen Gedächtnisses. Die Welterbestätten bewahren einen immensen
                                Schatz für die nächsten Generationen und laden ein zu Besichtigung und
                                Austausch – und dies weit über Bundes- oder Ländergrenzen hinaus.

                                Einen Einblick, was es bei uns im Freistaat Bayern gemeinsam zu entdecken
                                gibt, liefert die neue Ausgabe des Magazins DI Denkmal Information Bayern.
                                In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen und
                                faszinierende Einblicke in den Kosmos des Welterbes.

                                München, im April 2022

                                Markus Blume, MdL
                                Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst

DI DENKMAL INFORMATION BAYERN    NR. 177/2022                                                                     3
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FIGURENWEIHER BEI SCHLOSS SEEHOF
       Figurengruppen Orpheus und Bacchus
von Ferdinand Tietz (unrestaurierter Zustand)
                      (Foto: BLfD, Eberhard Lantz)
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ED ITO RIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

vor nunmehr 50 Jahren wurde die UNESCO-Welterbe-             Das harmonische Zusammenwirken von erfahrenen
konvention in Paris verabschiedet. Die Auszeichnung          Kirchenmalern, Schreinern und Textilherstellern wie
als UNESCO-Welterbe beinhaltet die Verantwortung,            auch Behörden und fördernden Institutionen mündet so
herausragende Zeugnisse der Menschheits- und Na-             in einer Wiederherstellung mit großartigem Ergebnis.
turgeschichte, die „von besonderer Bedeutung für die         Schön bebildert spiegelt der Artikel „Ein wiederge-
Weltgemeinschaft“ sind, für die Nachwelt zu bewah-           wonnenes Kleinod“ von Esther Sophia Sünderhauf und
ren. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Auftrag,       Frank Seehausen die spannende Dokumentation dieses
dem sich auch die staatliche Denkmalpflege verpflichtet      Prozesses wider.
fühlt und der damit die Arbeit unseres Amtes entspre-            Die Themenvielfalt der Denkmalpflege manifestiert
chend prägt.                                                 sich in den facettenreichen Artikeln und Themenkom-
      Insofern ist es mir eine ganz besondere Freude, dass   plexen dieser Ausgabe der DI Denkmal Information
im Vorjahr gleich zwei bayerische Denkmäler neu auf          Bayern natürlich auch an anderer Stelle: Birgit Symader
die Welterbeliste der UNESCO gekommen sind –                 geht rätselhaften Gängen in der Erde auf den Grund,
der westliche „nasse“ Teil des Donaulimes und Bad            Laura Deglmann beschreibt die Erfassung der histo-
Kissingen als Teil der bedeutenden Kurstädte Europas.        rischen Handwerkstechnik des Kratzputzes, und
Unsere Kollegin Katharina Arnold und Kollege Markus          in der Rubrik „Entschlüsselt“ widmet sich das Referat
Gschwind beschreiben diese Entwicklungen im Artikel          Kommunikation einer Statue von Ludwig II., die mit
„Welterbe in Bayern“.                                        beeindruckendem handwerklichem Geschick und der
      Denkmalschätze bereichern unser tägliches Leben,       richtigen denkmalfachlichen Unterstützung „zurück-
machen Tradition lebendig und prägen das Bild so vieler      geformt“ wurde.
Städte, Dörfer und Landstriche Bayerns ganz essenziell.          Denkmalpflege ist „gelebte Geschichte“, den Wer-
So wird die Sanierung eines Bürgerhauses in Freising         ken unserer Vorfahren wird dabei Respekt und Pflege
von Hildegard Sahler eingehend beschrieben – ein             zuteil. Denkmalpflege verbindet „Alt und Neu“, Denk-
schmuckes Objekt mit uriger Stube und einer Bohlen-          malpflege erzählt Geschichten und bringt – liebevoll
balkendecke von 1552.                                        präsentiert – die ganze Vielfalt unserer Vergangenheit
      „Ein Schatz der Renaissance“ titeln Christine          zum Strahlen.
­Stege und Charlotte Höpker ihren Beitrag – und das zu
 Recht, denn das kostbare Chorgestühl der Pfarrkirche        Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Einblick in unsere
 St. Johannes der Täufer in Steingaden stammt ursprüng-      spannenden Projekte.
 lich aus der Zeit nach der Plünderung und Zerstörung
 im Zuge der Bauernkriege um 1534. Im geschnitzten
 Fries ist diese Jahreszahl festgehalten – und gewährt       Ihr
 so einen Blick zurück in eine bewegte Vergangenheit.
 Nach der Restaurierung zeigt sich die volle Pracht.
      Und auch die Innenraumeinfassungen einer Jugend-
 stilvilla in Nymphenburg offenbaren hohe künstle-
 rische Güte. In 120 Jahren wechselte dieses außerge-
 wöhnliche Denkmal lediglich zweimal die Besitzer –
 daher blieben ganz besondere historische Details ohne       Prof. Dipl.-Ing. Architekt Mathias Pfeil
 große Veränderungen bis heute original erhalten.            Generalkonservator

        DI DENKMAL INFORMATION BAYERN        NR. 177/2022                                                              5
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INHALT

              Thema dieser Ausgabe
              Welterbestätten sind Teil unseres kulturellen Gedächtnisses.
              Durch ihren Schutz werden Meilensteine der Menschheitsgeschichte
              für kommende Generationen bewahrt.

     8             IM FOKUS

              8    Welterbe in Bayern
                   Bayern hat Anteil an zwei neuen UNESCO-Welterbestätten –
                   an den „GRENZEN DES RÖMISCHEN REICHES – DONAULIMES
                   (WESTLICHER ABSCHNITT)“ und – mit Bad Kissingen – an
                   der Stätte „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“
                   KATHARINA ARNOLD und MARKUS GSCHWIND

                   ERINNERN · ERHALTEN · ENTDECKEN · ERFORSCHEN

              18   Ein Stück Freisinger Stadtgeschichte
                   Die Sanierung des Bürgerhauses Ziegelgasse 5
                   HILDEGARD SAHLER

              22   Ein Schatz der Renaissance
                   Das Chorgestühl der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer
                   in Steingaden
                   CHRISTINE STEGE und CHARLOTTE HÖPKER

              28   Kunstwerke für die Zukunft
                   Konservierungsstrategien zu Betonfiguren im Feld
         28        CHRISTOPH SABATZKI und STEFANIE FUCHS

              34   Eine bronzezeitliche Pfostenkreisanlage
                   mit Kleinkinderbestattungen in München-Pasing
                   STEFANIE BUCHNER und ALEXANDER KÖPPE
44
              36   Rätselhafte Gänge in der Erde
                   Das Europäische Erdstall-Forschungszentrum mit
                   archäologischer Dokumentation
                   BIRGIT SYMADER

              40   Kratzputz für ein Wechselspiel von Licht und Schatten
                   Datenbankbasierte Bestandserfassung einer historischen
                   Handwerkstechnik zur Sicherung des kulturellen Erbes
                   LAURA DEGLMANN

              44   Mit einer Pferdestärke durch Ronhof
                   Archäologische Ausgrabung am Ludwigskanal bei Fürth
                   THOMAS LIEBERT und KLARA RÜDIGER

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I N H A LT

50   ÜBRIGENS – WELTERBE
                                                                    54
     REFERAT KOMMUNIKATION

     INTERVIEW
52   „Wir werfen einen Blick in die Zukunft“
     Interview mit Dr. Johanna Leissner zum Schutz unseres
     Kulturerbes in Zeiten des Klimawandels
     JULIANE GRIMM - VON WEDEMEYER

     ENGAGEMENT
54   Ein wiedergewonnenes Kleinod
     Die Innenraumfassungen einer Jugendstilvilla in
     Nymphenburg
     ESTHER SOPHIA SÜNDERHAUF und FRANK SEEHAUSEN

     ENTSCHLÜSSELT
60   Vom Winde verweht
     REFERAT KOMMUNIKATION

     DENKMAL WEITER
62   Blühendes Weltkulturerbe
     Bad Kissinger Grün
     CHRISTIAN SCHMIDT

68   ÜBRIGENS
     REFERAT KOMMUNIKATION

69   MOMENT MAL – DENKMAL!
     REFERAT KOMMUNIKATION
                                                              60

     STADT LAND FLUSS
70   Große Söhne kleiner Schwabenstädte
     Auf Zeitreise entlang der Donau im Landkreis Dillingen         70
     DORIS EBNER

     NAHAUFNAHME
76   Von Frankreich nach Franken
     Aus den Forschungen zum Großinventar Bamberg
     BENJAMIN SOMMER und HILDEGARD SAHLER

     HINTER DEN KULISSEN
78   Bodendenkmalpflege
     Koordination Archäologische Welterbestätten
     MARKUS GSCHWIND und ANDREA FRONHÖFER

80   Bücher

82   Autorinnen und Autoren, Literatur, Impressum

       DI DENKMAL INFORMATION BAYERN    NR. 177/2022                        7
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IM FOKUS

    Welterbe in Bayern
    Bayern hat Anteil an zwei neuen UNESCO-Welterbestätten – an den
    „GRENZEN DES RÖMISCHEN REICHES – DONAULIMES (WESTLICHER ABSCHNITT)“
    und – mit Bad Kissingen – an der Stätte „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“

    von KATHARINA ARNOLD und MARKUS GSCHWIND

                                    BAD KISSINGEN, ARKADENBAU
                                        (Foto: BLfD, David Laudien)

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Bad Kissingen
                                                                                         Donaulimes –
                                                                                           westlicher
                                                                                            Abschnitt

                                               E
                                                     s war spannend! Eigentlich sollte im Jahr 2020
                                                     über die beiden Welterbeanträge „Grenzen des
                                                     Römischen Reiches – Donaulimes“ und „Die be-
                                               deutenden Kurstädte Europas“ entschieden werden.
                                               Doch die Corona-Pandemie machte wie so oft auch
                                               dem internationalen Welterbekomitee, das über die
                                               Einschreibung der Anträge in die Welterbeliste ent-
                                               scheidet, einen Strich durch die Rechnung. So ver-
                                               schob man die Sitzung auf den Sommer 2021, die An-
                                               träge wurden in einer weltweiten Online-Konferenz
                                               verhandelt. Die Internetverbindung nach Fuzhou in
                                               China hielt und das Komitee, das aus Vertretern von
                                               21 Staaten besteht, belohnte die jahrelange Arbeit der
                                               Antragssteller schließlich mit der Ernennung der Stät-
                                               ten zum UNESCO-Welterbe.

                                               WAS BEDEUTET EIGENTLICH
                                               UNESCO-WELTERBE?

                                               Alles begann 1960, als der Bau des Assuan-Staudammes
                                               im südlichen Ägypten zahlreiche bedeutende Kultur-
                                               denkmäler, darunter die Tempel von Abu Simbel und
                                               Philae, zu zerstören drohte. Die UNESCO rief damals
                                               dazu auf, die durch den Nil bedrohten Tempelanlagen
                                               für die Nachwelt zu retten. Der Aufruf fand Gehör und
                                               es beteiligten sich 50 Länder durch Know-how, techni-
                                               sche Hilfen und finanzielle Unterstützung an der Ab-
                                               tragung und dem Wiederaufbau der Tempel auf höher
                                               gelegenem Terrain. Der Welt wurde deutlich vor Augen
                                               geführt, dass Kulturgüter nicht nur durch „bewaffnete
                                               Konflikte“ (Haager Konvention, 1954) bedroht sind, son-
                                               dern auch durch die Ausbreitung der Zivilisation. Die
                                               UNESCO reagierte darauf mit dem „Übereinkommen
                                               zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“, das
                                               sie 1972 in Paris verabschiedete. Deutschland trat 1976
                                               bei. Heute sind es 194 Staaten, die sich dazu verpflich-
                                               tet haben, das auf ihrem Gebiet befindliche Welterbe
                                               selbst zu erfassen, zu schützen und zu erhalten. Die-
                                               se Selbstverpflichtung hat dazu geführt, dass bislang
                                               1.154 Stätten (Stand: Jan. 2022) in die Welterbeliste der
                                               UNESCO eingetragen wurden. Zentrales Kriterium für
                                               die Einschreibung ist – neben Integrität und Authenti-
                                               zität – der Outstanding Universal Value (OUV), der außer-
                                               gewöhnliche universelle Wert einer Stätte.

DI DENKMAL INFORMATION BAYERN   NR. 177/2022                                                               9
EINZIGARTIG UNESCO-Welterbe in Bayern - TIEFGEHEND - Bayerisches Landesamt für ...
IM FOKUS

     WELTERBESTÄTTEN IN BAYERN                                          Landgrenze zwischen Rhein und Donau, als eigene
                                                                        Welterbestätte ins Rennen zu schicken. Da dies nicht
     In Bayern befinden sich derzeit zehn Welterbestät-                 möglich war, wurden der Hadrianswall und der Ober-
     ten. Die Würzburger Residenz wurde bereits vor                     germanisch-Raetische Limes schließlich 2005 unter
     41 Jahren in die Liste eingeschrieben und war damit die            dem Namen „Grenzen des Römischen Reiches“ zu ei-
     erste Welterbestätte Bayerns. Zwei Jahre später folgte             ner länderübergreifenden Welterbestätte zusammen-
     die Wallfahrtskirche „Die Wies“ im Pfaffenwinkel.                  gefasst. Bei dieser Gelegenheit nahm das Welterbe-
     1993 erlangte die Bamberger Altstadt den Welterbetitel             komitee die drei Kontinente überspannenden Grenzen
     und nach einer zwölfjährigen Pause fand schließlich der            des Römischen Reiches als Ganzes in den Blick und
     Obergermanisch-Raetische Limes als Teil der „Grenzen               empfahl, die neue Welterbestätte schrittweise um Li-
     des Römischen Reiches“ Eingang in die Welterbeliste.               mesabschnitte in anderen Ländern zu erweitern. Nach
     2006 wurde die Altstadt von Regensburg mit Stadtam-                nur drei Jahren kam der Antoninuswall in Schottland
     hof eingeschrieben. Mit den „Prähistorischen Pfahl-                hinzu, doch dann geriet das Großprojekt, das Völker
     bauten um die Alpen“ folgte 2011 wiederum eine länder-             und Kontinente verbindet, etwas ins Stocken.
     übergreifende archäologische Stätte.
     Ein Jahr später wurde das Markgräf-
     liche Opernhaus in Bayreuth einge-                                                   VON DER TRANSNATIONALEN
     schrieben. 2019 ernannte man das                                                     SERIELLEN ­WELTERBESTÄTTE
     Augsburger Wassermanagement-                                                         ZUM WELTERBECLUSTER
     System zum Welterbe, und 2021                                                        „GRENZEN DES RÖMISCHEN
                                                              UNESCO
     wurden schließlich „Die bedeuten-                                                    REICHES“
                                                  Die UNESCO (United Nations
     den Kurstädte Europas“ sowie die
                                                    Educational, Scientific and
     „Grenzen des römischen Reiches –                                                     Dennoch erarbeitete Bayern die
                                                      Cultural Organization),
     Donaulimes (westlicher Abschnitt)“                                                   Grundlagen für die Nominierung des
                                                     eine Sonderorganisation
     in die Welterbeliste eingeschrieben.                                                 Donaulimes, und auch in Österreich,
                                                     der Vereinten Nationen,
                                                                                          Ungarn und der Slowakei wurde an
                                                      trägt durch Förderung
                                                                                          Nominierungsdossiers für den Do-
                                                        der internationalen
     DIE „GRENZEN DES RÖMISCHEN                                                           naulimes gearbeitet. 2010 änderte
                                                   Zusammenarbeit in Bildung,
     REICHES – DONAULIMES                                                                 dann ein Beschluss des Welterbe-
                                                     Wissenschaft, Kultur und
     (WESTLICHER ABSCHNITT)”                                                              komitees die Spielregeln und stellte
                                                  Kommunikation zur Erhaltung
                                                                                          damit alles in Frage. Eine schrittwei-
                                                       des Friedens und der
     Bereits der umständliche Titel zeigt,                                                se Erweiterung der „Grenzen des Rö-
                                                          Sicherheit bei.
     dass die neue Welterbestätte Teil                                                    mischen Reiches“, wie sie das Komi-
     eines größeren Ganzen ist. In der Tat                                                tee 2005 empfohlen hatte, war nun
     umspannten die Grenzen des Römi-                                                     nicht mehr möglich. Daher wurde
     schen Reiches im 2. Jahrhundert                                                      im Rahmen einer Thematischen Stu-
     n. Chr. in weitem Bogen das gesamte                                                  die 2016–2017 in Abstimmung mit
     Mittelmeer. Auf einer Strecke von                                                    dem internationalen Denkmalrat
     über 7.500 km erstreckten sich die Grenzen durch den              ­ICOMOS eine neue Nominierungsstrategie erarbeitet.
     Norden Großbritanniens und ganz Mitteleuropa bis zum                   Da eine Welterbestätte gut gemanagt werden
     Schwarzen Meer, über den Vorderen Orient bis ans Rote              muss und das Management bei transnationalen se-
     Meer und von dort durch ganz Nordafrika bis an die                 riellen Stätten erfahrungsgemäß umso aufwendiger
     Atlantikküste.                                                     ist, je mehr Vertragsstaaten beteiligt sind, drangen
                                                                        die Experten von I­ COMOS vehement darauf, einzelne
                                                                        Abschnitte der Grenzen des Römischen Reiches als
     DIE „GRENZEN DES RÖMISCHEN REICHES“                                eigenständige Welterbestätten zu nominieren. Dabei
     IM KONTEXT DES UNESCO-WELTERBES –                                  war jedoch zu beachten,
     VON DER NATIONALEN ZUR TRANSNATIONALEN
     SERIELLEN WELTERBESTÄTTE
                                                                        ... dass jede Welterbestätte
     1987 wurde mit dem Hadrianswall die Nordgrenze
     des römischen Britannien in die Welterbeliste einge-               einen eigenen OUV (außer-
     schrieben. Sie verläuft von Küste zu Küste und bildet
     daher eine abgeschlossene Einheit. Um die Jahrtau-                 gewöhnlichen universellen
     sendwende gab es dann in Deutschland Bestrebungen,
     den Obergermanisch-Raetischen Limes, die römische                  Wert) besitzen muss.

10
In Passau, am Zusammenfluss von Ilz,
                                         Donau und Inn, lässt sich das Ende
                                       der römischen Herrschaft in Bayern
                                               besonders gut erkunden.
                                             (Foto: BLfD, Klaus Leidorf)

Teile der Wehrmauer des Legionslagers prägen das Bild der
Regensburger Altstadt bis heute. Besonders eindrucksvoll
ist die porta praetoria, das Haupttor des Lagers.
(Foto: Stadt Regensburg, P. Ferstl)

                                                                                       Regensburg

                                                                            Weltenburg              Straubing
                                                                                                         Künzing
                                                                                                            Passau               Mautern
                                                                                       Bad
                                                                             a   u
                                                                      D   on         Gögging

                                                                                                                     Enns

Das frühkaiserzeitliche Kleinkastell
von Weltenburg-Am Galget
während der Aus-
grabungen 1989
(Foto: BLfD,
Klaus Leidorf)

                                                                                                       Das römische Kastell Favianis/Mautern liegt
                                                                                                   zwischen Linz und Wien am östlichen Ausgang
                                                                                               der Wachau. Es wurde im 4. Jahrhundert ausgebaut
                                                                                                und mit weit vorspringenden Türmen verstärkt, an
                                                                                                  denen man bis heute Details wie die Gestaltung
                                                                                                        der Fenster im Obergeschoß ablesen kann.
Karte: Agentur alphabetique                                                                    (Foto: Bundesdenkmalamt, Bettina Neubauer-Pregl)

                DI DENKMAL INFORMATION BAYERN            NR. 177/2022                                                                                11
Für die römischen Grenzen in Asien und Nordafrika
wurden durch die Thematischen Studien eigenstän-                     Fundorten entlang der
dige OUVs sichergestellt. Für Europa ergab sich Fol-
gendes: Der Antoninuswall, der Hadrianswall und                      Donau zusammen, von
der Obergermanisch-Raetische Limes, die gebauten
Landgrenzen Europas, bleiben als gemeinsame Welt-                    Bad Gögging in Bayern
erbestätte bestehen. Der Niedergermanische Limes
hat als Flussgrenze mit hervorragender Feuchtboden-                  bis Iža in der Slowakei.
erhaltung eigenen OUV. Der Donaulimes wiederum hat
OUV, da er zeigt, wie hervorragend diese Flussgrenze
an wechselnde Landschaftsräume angepasst ist, und                     Damit umfasst das Welterbe auf einer Länge von
der dakische Limes im heutigen Rumänien hat als viel-                 rund 600 km derzeit den Ostteil der römischen Pro-
fältig organisierte Landgrenze ebenfalls ausreichend                  vinz Raetien, die Nordgrenze von Noricum und den
OUV für eine eigenständige Welterbenominierung.                       westlichen Teil der Grenze Pannoniens. Ab flavischer
    Aufgrund unter-                                                                                   Zeit (69–96 n. Chr.) war
schiedlicher Arbeits-                                                                                 auf der gesamten Stre-
stände wurde in einem                                                                                 cke eine durchgehende
ersten Schritt der west-                                                                              Grenzsicherung       ein-
liche Teil des Donau-                                                                                 gerichtet, die im Laufe
limes nominiert. Mit                                                                                  der Zeit ausgebaut und
einem Kraftakt enger                                                                                  immer wieder den ak-
internationaler Zusam-                                                                                tuellen Erfordernissen
menarbeit gelang es                                                                                   angepasst wurde. Le-
Deutschland, Öster-                                                                                   gionslager wie jenes in
reich, der Slowakei und                                                                               Regensburg bildeten das
Ungarn, am 31. Januar                                                                                 Rückgrat des Systems,
2018 ein gemeinsames                                                                                  das aus zahlreichen
Nominierungsdossier                                                                                   Kastellen, Kleinkastel-
einzureichen. Es folg-                                                                                len und Wachttürmen
ten eine von Ungarn                                                                                   bestand und von den
verursachte Ehrenrun-                                                                                 Zivilsiedlungen       der
de und die Pandemie.                                                                                  Kastelle ebenso ergänzt
Entsprechend wurden                Römische Waffen und Handfesseln aus dem großen Eisenhort,
                                                                                                      wurde wie durch das
2021 der Donaulimes                     der im Kastell Quintana/Künzing gefunden wurde                Heilbad von Bad Gög-
und auch der zwei Jah-                       (Foto: Museum Quintana, G. Bachmeyer)                    ging, das Heiligtum
re später nominierte                                                                                  auf dem Weinberg bei
Niedergermanische Limes in die Welterbeliste einge-                   Eining und den Statthalterpalast von Carnuntum.
schrieben. Es ist ein absolutes Novum, dass drei Limes-               Auch zeitlich bilden die Fundstellen des Welterbes
abschnitte eigenständigen Welterbestatus haben und                    die ganze Geschichte des Donaulimes ab: Als kurz
gemäß Thematischer Studie nun den ersten Welterbe-                    vor der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. eine erste
cluster in der Geschichte der UNESCO bilden.                          durchgehende Grenzsicherung in Raetien eingerich-
                                                                      tet wurde, erbaute man das frühkaiserzeitliche Klein-
                                                                      kastell von Weltenburg-Am Galget. In Regensburg
WELTERBE DONAULIMES – HEUTE UND MORGEN                                lassen sich mit der Zerstörung des Auxiliarkastells
                                                                      Kumpfmühl, der Stationierung der neu aufgestellten
                                                                      legio III Italica und dem Bau eines kleinen Kastells in
                                                                      Großprüfening sehr gut die Auswirkungen der Mar-
Die neue Welterbestätte                                               komannenkriege fassen. In Straubing zeigt ein Ver-
                                                                      gleich des mittelkaiserzeitlichen Kastells auf dem Os-
„Grenzen des Römischen                                                tenfeld mit dem spätrömischen Kastell unter St. Peter
                                                                      exemplarisch den grundlegenden Wandel im römi-
Reiches – Donaulimes                                                  schen Festungsbau vom 3. zum 4. Jahrhundert n. Chr.
                                                                      In Passau fassen wir schließlich mit den Überresten
(westlicher Abschnitt)”                                               unter Kloster Niedernburg die Zeit der Absetzung
                                                                      des letzten Kaisers des Weströmischen Reiches im
setzt sich aus 77 römischen                                           Jahr 476 n. Chr. und damit das Ende des Donaulimes.
Doch auch der Blick über Bayern                                                            DAS KURPHÄNOMEN – KUREN
hinaus lohnt sehr: In Österreich                                                           ALS SOZIALES EVENT
gibt es fast vollständig erhaltene
Türme und Tore, die zu den am                                                              Die Modebäder Europas wurden
besten erhaltenen spätrömischen                                                            jährlich von zahlreichen Gäs-
Wehrbauten in Mitteleuropa zäh-                                                            ten besucht – noch heute prägen
len, und in der Slowakei lohnt ein                                                         Hotel- und Villenviertel maß-
Besuch des nördlich der Donau ge-                                                          geblich das Erscheinungsbild der
legenen Brückenkopfkastells Iža.                                                           Städte. Internationales Flair er-
Weitere hochinteressante Stätten                                                           langten die Bäder vor allem durch
werden in absehbarer Zeit hinzu-                                                           zahlreiche ausländische Gäste,
kommen, denn in Kroatien, Ser-                                                             die nicht selten von einem Kurort
bien, Bulgarien und Rumänien                                                               zum nächsten reisten. Der Aus-
wird intensiv an einem Erweite-                                                            bau des Eisenbahnstreckennetzes
rungsantrag für den Donaulimes                                                             machte es möglich. Die Offenheit
gearbeitet, und Ungarn, das sei-                                                           und Akzeptanz gegenüber aus-
ne Beteiligung kurz vor der Ein-                                                           ländischen Kurgästen und ande-
schreibung zurückgezogen hatte,                                                            ren Glaubensgemeinschaften ist
ist dabei, in das Projekt zurück-                                                          in Bad Kissingen unter anderem
zukehren.                                Überblickskarte über                              durch die Russisch-Orthodoxe
                                         „Die bedeutenden Kurstädte Europas“               Kirche sowie den jüdischen Fried-
                                                                                           hof belegt.
„DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“                                      Neben den medizinischen Anwendungen ging es
                                                                     beim jährlichen Aufenthalt im Kurbad aber vor allem
Auch bei der Welterbestätte „Die bedeutenden Kur-                    um soziale Interaktion. Das Flanieren auf den Prome-
städte Europas“ handelt es sich um eine transnationa-                naden diente neben der körperlichen Ertüchtigung
le serielle Stätte, die in ihrer Gesamtheit elf Städte in            letztlich dem „Sehen und gesehen werden“. Im Theater,
sieben Ländern Europas umfasst. Neben Bad Kissingen                  auf der Pferderennbahn oder im Spielkasino wurden
sind in Deutschland Baden-Baden und Bad Ems Teil des                 Bekanntschaften geschlossen und Kontakte gepflegt.
Verbunds. Außerdem zählen Spa in Belgien, Vichy in                   Durch die immer steigenden Freizeitangebote nahmen
Frankreich, Bath in Großbritannien, Montecatini Terme                die Kurstädte schließlich eine Vorreiterrolle in der Ent-
in Italien, Baden bei Wien in Österreich und die tsche-              wicklung des modernen Tourismus ein. Eine Besonder-
chischen Kurorte Franzensbad, Marienbad und Karls-                   heit der Stadt Bad Kissingen ist das seit 1837 existieren-
bad dazu. Zusammen repräsentieren sie das internatio-                de Kurorchester (Staatsbad Philharmonie Kissingen),
nale europäische Kurphänomen, welches seine Blütezeit                dessen Konzerte Anwohner und Kurgäste noch heute
zwischen dem frühen 18. Jahrhundert und 1930 hatte.                  ganzjährig erfreuen.

                   Sog. „Dampferle“,
                   Postkarte um 1900
                    (Foto: Stadtarchiv
                       Bad Kissingen)

        DI DENKMAL INFORMATION BAYERN        NR. 177/2022                                                                         13
IM FOKUS

                                                  Obere
                                                  Saline             Kurstadt Bad Kissingen

                                                                     Legende
                                                                           Welterbegebiet
                                                                           Saale

                                                           Untere Saline

                                                                     Pumpwerk

     Arkadenbau von Friedrich von Gärtner,
     1834-1838 (Foto: BLfD, David Laudien)
                                                             SAALE

                                                                          Russisch-
                                                                          Orthodoxe
                                                                          Kirche
                                                                                             Pumpwerk zum Heben von Sole von 1848
                                                                                               und 1883 (Hauspumpe im Hintergrund)
                                                                                                          (Foto: BLfD, David Laudien)

                                                Regentenbau                Maxbrunnen
                                                                            Kurgarten          KURVIERTEL MIT
                                                   Arkadenbau
                                                                                               MINERALQUELLEN
                                                      Wandelhalle

                                                  Luitpoldpark                             Jüdischer
                                                                                           Friedhof

     Staatsbad Philharmonie Bad Kissingen,
     Konzert im Kurgarten
     (Foto: BLfD, David Laudien)

                                             Ehem. Schlachthof

                                                                                                  Maxbrunnen von Max Littmann, 1911
                                                                                                         (Foto: BLfD, David Laudien)
                                                 Golfplatz

     Luitpoldpark, angelegt ab 1857
     (Foto: BLfD, David Laudien)                                       Welterbegebiet Bad Kissingen, Auswahl der Principle Elements
                                                                (Kartengrundlage: Anna Maria Boll; Bearbeitung: Agentur alphabetique)

14
Grüner Saal des Regentenbaus von Max Littmann, 1910-1913 (Foto: Stadtarchiv Bad Kissingen)

Aber die Kurorte dienten nicht nur einem wohlhaben-                        eigens aus der Kurfunktion entstandene einzigartige
den Publikum als Reiseziel. Als innovative Zentren                         Stadttypus und die dazu gehörenden Architekturen.
für Medizin, Balneologie und Freizeit verkörperten                         Herzstück einer jeden Kurstadt sind die natürlichen
die großen Kurorte Europas die Philosophie der Auf-                        mineralischen Heilquellen, um die herum sich medi-
klärung und begründeten das Konzept dessen, was                            zinische Einrichtungen, Bäder und Trinkhallen ent-
wir heute mit dem Sozialwesen umschreiben würden.                          wickelten – Galerien, Kolonnaden und Arkaden sind
Die Gesundheitsversorgung wurde für alle sozialen                          typische Gestaltungsmerkmale dieser Architekturen.
Schichten etabliert.                                                       Weitere wesentliche Elemente einer jeden Kurstadt sind
                                                                           Kurhäuser, Krankenhäuser und Sanatorien, Versamm-
                                                                           lungsräume, Spielcasinos, Theater- und Konzerthäuser,
DER „AUSSERGEWÖHNLICHE UNIVERSELLE                                         Bazare, Hotels und Villen. Eingebettet sind die Spa-spe-
WERT“ DER STÄTTE „DIE BEDEUTENDEN                                          zifischen Infrastrukturen jeweils in eine therapeutisch
KURSTÄDTE EUROPAS“                                                         genutzte Landschaft, die durch angelegte Parks, Pro-
                                                                           menaden, Sportanlagen und Wälder die Heilung und
Von zentraler Bedeutung für eine Welterbestätte ist der                    Entspannung der Gäste fördern sollte. Zur Erkundung
„außergewöhnliche universelle Wert“, der sogenann-                         der umgebenden Landschaft der Kurstädte gab es zu-
te OUV. Eine Welterbestätte muss nicht nur für einen                       meist Fahrgeschäfte. In Bad Kissingen ist es das soge-
bestimmten Kulturkreis von Bedeutung sein, sondern                         nannte „Dampferle“, das seit 1877 durch Linienverkehr
für die gesamte Menschheit. Im Falle der Stätte „Die                       die Untere und Obere Saline mit den zentralen Kurein-
bedeutenden Kurstädte Europas“ sind es vor allem der                       richtungen verbindet.

         DI DENKMAL INFORMATION BAYERN           NR. 177/2022                                                                         15
IM FOKUS

     BAD KISSINGEN ALS TEIL DER WELTERBESTÄTTE                   deren Authentizität und Integrität. Dies äußert sich un-
     „DIE BEDEUTENDEN KURSTÄDTE EUROPAS“                         ter anderem dadurch, dass die Kurfunktion noch in der
                                                                 Stadtstruktur ablesbar ist und sich die kurspezifischen
     Aus den urbanen Strukturen und Architekturen, die           Architekturen in einem guten Erhaltungszustand be-
     sich auf die speziellen Funktionen des „Kurens“ bezo-       finden. Die funktionale Integrität ist in Bad Kissingen
     gen, ging also ein eigener Stadttypus hervor, der allen     ebenfalls gegeben, da die Stadt bis heute ihre Kurfunk-
     elf Kurstädten gemeinsam ist. Trotzdem hat jeder Kur-       tion bewahrt hat und jährlich zahlreiche Gäste zur Kur
     ort auch seine Besonderheiten.                              beherbergt.

     Bad Kissingen zum Beispiel
     repräsentiert innerhalb
     der Gruppe das Ideal einer
     Kurstadt um 1900.
     Zwar entstand das Kurviertel südlich der Altstadt be-
     reits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts um den 1738
     angelegten Kurgarten herum, die städtebauliche Aus-         SCHUTZ, ERHALT UND VERMITTLUNG ALS
     gestaltung erfolgte jedoch hauptsächlich in der Bieder-     GEMEINSAME AUFGABE
     meierzeit unter dem Einfluss von König Ludwig I. und
     im frühen 20. Jahrhundert. Das Welterbegebiet Bad Kis-      Mit dem Titel „UNESCO-Welterbe“ geht eine beson-
     singen erstreckt sich in nordsüdlicher Richtung entlang     dere Verpflichtung einher. Zum einen geht es um den
     der Saale mit einem zentralen Kurviertel, der Saline im     Schutz und den Erhalt der Stätten, denn die Zerstörung
     Norden und den Parkanlagen sowie einem Golfplatz im         einer Welterbestätte würde einen Verlust für die ganze
     Süden. Drei der vier Mineralquellen Bad Kissingens lie-     Menschheit bedeuten. Deshalb sind wir alle aufgerufen,
     gen im Kern des Welterbegebiets, dem Kurviertel, und        das Welterbe gemeinsam zu schätzen, zu schützen und
     so zentrieren sich auch die meisten therapeutischen         für nachfolgende Generationen zu bewahren. Da man
     Einrichtungen und Repräsentationsarchitekturen in           aber nur schätzen kann, was man kennt und versteht,
     diesem Bezirk, unter anderem der von Friedrich von          ist die Vermittlung eine weitere zentrale Aufgabe, die
     Gärtner stammende Arkadenbau (1834–1838), die von           mit dem Welterbe verbunden ist; nicht umsonst steht
     Max Littmann errichtete Wandelhalle (1910–1912) sowie       das „E“ von UNESCO für Educational. Auch aus diesem
     der ebenfalls von Max Littmann stammende Regenten-          Grund sind Sie alle eingeladen, die neuen Welterbestät-
     bau (1910–1913). Max Littmann fasste auch eine der äl-      ten zu besuchen und näher kennenzulernen.
     testen Quellen Bad Kissingens ein und entwarf 1911 den
     sogenannten Maxbrunnen im Stil des Neoklassizismus,
     der am Rande des Kurparks liegt.
         Ein besonderer Beitrag von Bad Kissingen zur Be-         MEHR ERFAHREN
     deutung der Welterbestätte „Die bedeutenden Kurstädte
     Europas“ ist zudem die außergewöhnliche örtliche             Weitere Informationen und Veranstaltungs-
     Infrastruktur. Im Süden der Stadt liegt der ehemali-         hinweise zu den Welterbestätten:
     ge Schlachthof von 1923/25, auch „­Ochsenkathedrale“
     genannt. Auf Galerien im Inneren konnten sich die Kur-                  Donaulimes
     gäste von den innovativen und vorbildlichen hygieni-                    donau-limes.de
     schen Zuständen des Betriebes überzeugen.
         Im Norden der Welterbestätte Bad Kissingen be-
     findet sich die Untere Saline, eine der ältesten Salzpro-               Die bedeutenden Kurstädte Europas
     duktionsstätten Zentraleuropas (seit 823). Zudem gibt                   welterbe.badkissingen.de
     es dort seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Pumpen-
     anlagen, die zum einen das Gradierwerk speisten und
     zum anderen die Sole ins südliche gelegene Kurviertel                   welterbe.badkissingen.de/karte
     pumpten. Ebenfalls entscheidend für den außerge-                        welterbe.badkissingen.de/welterbe-
     wöhnlichen universellen Wert einer Welterbestätte ist                   bad-kissingen/uebersichtskarte

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I N N  E R N
  ER
    A  L T E N
ERH            C K E N
   E  N T  D E
         R S C H E N
 ER F O

             Lebendige Denkmalpflege bedeutet: ERINNERN.
              Den Blick zurück auf die Geschichte werfen. Die
            Vergangenheit pflegen. Eine neue Aufmerksamkeit.
               ERHALTEN. Altes neu denken, neu erschließen.
             Brücken bauen zwischen Gestern und Heute. Eine
          neue Funktion. ENTDECKEN. Die Wahrnehmung für das
           Vorhandene schärfen. Das Besondere im Alltäglichen
              finden. Ein neues Sehen. ERFORSCHEN. Von der
          Forschung lernen. Zusammenhänge aktiv knüpfen und
                        verstehen. Ein neuer Zugang.

  DI DENKMAL INFORMATION BAYERN   NR. 177/2022                  17
ERINNERN

     Ein Stück
     Freisinger
     Stadtgeschichte
     Die Sanierung des Bürgerhauses Ziegelgasse 5

     von HILDEGARD SAHLER

     F
           reising – die grüne Stadt: Das                                                    Dieser ausgedehnte Gewerbe-
           Urkataster präsentiert wie                                                         bereich lag im Randbereich der
           auch die Renovation von                                                            mittelalterlichen Siedlung am
     1858 im rückwärtigen Bereich der                                                         Fuße des Dombergs, die wohl
     dichten Blockrandbebauung an                                                            nur von einer Wallanlage mit
     der Oberen Hauptstraße großflä-                                                        Graben umgeben war. Mit dem
     chige Garten- und Grünanlagen, die                                                    Bau der Stadtmauer seit Beginn des
     bis zur Stiegelbräugasse und teilwei-                                               15. Jahrhunderts in ihrem heuti-
     se bis zum Oberen Graben reichen. Das                                           gen Verlauf wurden die Flächen auf-
     Wohnhaus Ziegelgasse 5 (Flurnummer 248)                                      gewertet; vermutlich wurden die Öfen
     befindet sich in einer Stichstraße am Rand die-                            bald stillgelegt. Auf der Fläche errichtete
                                                           Renovationsplan
     ser Freiflächen. Zum Anwesen auf Flurnr. 248              von 1858         man freistehende Bürgerhäuser mit großen
     gehörte eine im Norden und Westen gele-              (Plan: Bayerisches    Gärten, darunter auch das Anwesen Ziegel-
     gene große, ehemals gärtnerisch gestaltete             Landesamt für       gasse 5, welches nach den dendrochronologi-
     Grünfläche.                                            Digitalisierung,    schen Untersuchungen in das Jahr 1552 datiert.
                                                            Breitband und
                                                                                Damit gehört es zur frühen repräsentativen
                                                             Vermessung)
                                                                                Wohnbebauung in diesem Bereich.
     VOM GEWERBEGEBIET ZU GROSSZÜGIGEN
     BÜRGERGÄRTEN
                                                                         DIE BAUGESCHICHTE DES BÜRGERHAUSES IN
     Durch die archäologischen Untersuchungen anläss-                    DER ZIEGELGASSE 5
     lich der Neubebauung mit großen Baukörpern und
     einer Tiefgarage, den „Ziegelhöfen“, wurde 2012 auf                 Der zweigeschossige Satteldachbau ist mit seinem
     dem Gelände ein Grubenkomplex mit einer Vielzahl                    Giebel und prägendem Standerker an städtebaulich
     von Brennöfen ergraben, die in mittelalterliche Zeit zu             wichtiger Stelle am Ende der Stichstraße situiert. Zur
     datieren sind. Da es keine weiteren Funde gab, könnte               Bauzeit war die Fassade ziegelsichtig mit exakter heller
     es sich um Räucher- oder Darröfen gehandelt haben.                  Verfugung.

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BÜRGERHAUS IN FREISING,
                         Südfassade mit Kirchturm der Stadtpfarrkirche
                               St. Georg nach der Restaurierung
                                       (Foto: Sebastian Schels)

DI DENKMAL INFORMATION BAYERN   NR. 177/2022                             19
ERINNERN

                                                                   Stube im Erdgeschoss
                                                                   mit Bohlenbalkendecke
                                                                   von 1552 nach der
                                                                   Restaurierung
                                                                   (Foto: Sebastian Schels)

                                                                                    Historische
                                                                            Eingangstüre nach
                                                                             der Restaurierung
                                                                           (Foto: Eva Willberg)

     Die historische Erschließung auf der östlichen Giebel-             Um 1815 wurde eine neue Treppe im Hausinneren ge-
     seite direkt neben dem Standerker zeigt heute eine auf-            schaffen. 1884 brach man schließlich die beiden alten
     wendig geschnitzte Haustüre mit frühklassizistischen               Kamine ab und ersetzte sie durch russische Kamine.
     Ornamenten. Auf der Südseite des T-förmigen Hausgan-               Die jüngsten Baumaßnahmen 1935 griffen am stärks-
     ges liegt im Erdgeschoss ein durch die Einbeziehung des            ten in die Struktur und Substanz des Baudenkmals
     Erkers repräsentativer Raum mit Bohlenbalkendecke,                 ein. Das Grundrissgefüge wurde durch den Einbau von
     die sich bis in den Hausgang erstreckt. Daneben befindet           drei Wohnungen insbesondere im nördlichen Teil stark
     sich die ehemalige Küche. Vom nörd-                                               verändert. Der Hauptzugang wurde an
     lichen Hausgang werden beidseitig je                                              die Südseite verlegt – die Türe trägt
     zwei weitere Räume erschlossen, die                                               im Gitter das Umbaudatum – und die
     vermutlich als Kammern oder Lager-                      Urkataster                Treppe ins Obergeschoss erneuert. Das
     räume genutzt wurden. Das Gebäude                  1808 gründete König            Tonnengewölbe im Keller ersetzte man
     besitzt ein steiles Sparrendach mit zwei      Max I. Joseph die Bayerische        durch eine Betondecke, um das Boden-
     Kehlbalkenebenen und stehendem               Steuervermessungskommission          niveau auszugleichen. Mit dem neuen
     Stuhl. Es ist teilweise mit einem Gewöl-     und  ordnete die systematische       Ausbau des Dachgeschosses und dem
     bekeller unterkellert, der von außen             und exakte Vermessung            Einbau der Dachgaube über die gan-
     zugänglich war.                                sämtlicher Grundstücke in          ze Hauslänge wurde nicht nur in die
                                                  Bayern an, um eine einheitliche      Substanz des Dachwerks von 1552 stark
     Die weitere Baugeschichte stellt sich        und  gerechte  Besteuerung   des     eingegriffen, sondern auch die Außen-
     nach den Recherchen der Bauforsche-           Grundbesitzes zu erreichen.         ansicht verändert.
     rin Eva Willberg wie folgt dar: 1771              In Oberbayern musste
     wurde das erste Dachgeschoss ausge-             jedoch von 1851 bis 1864
     baut, hierfür gab es am bauzeitlichen          eine  Renovationsmessung           INSTANDSETZUNG UND
     Dachwerk einige Reparaturmaßnah-                  durchgeführt  werden,           RESTAURIERUNG
     men. Weitere Modernisierungsmaß-               weil hier die Karte mit der
     nahmen sind durch den fürstbischöf-          Wirklichkeit häufig nicht mehr       2013 begann die Instandsetzung dieses
     lichen Hof- und Stadtmaurermeister                   übereinstimmte.              stark vernachlässigten Gebäudes, be-
     Klemens Floßmann archivalisch be-                                               gleitet durch das Freisinger Architek-
     legt. Auf ihn geht der Einbau der Haus-                                         turbüro Deppisch. Als einen Glücks-
     türe zurück, welche die Insignien sei-                                          fall kann man es bezeichnen, dass die
     nes Berufes zeigt. Spätestens zu dieser Zeit wurde das           Eigentümer die große, breite Gaube im Dachgeschoss
     Gebäude verputzt und erhielt eine Farbigkeit ähnlich             wieder zurückbauten. Das Dachtragwerk von 1552
     der heutigen Fassade. Durch die Umgestaltung war die             konnte so wieder ergänzt und statisch instandgesetzt
     ehemals im Hausgang befindliche sehr schmale Stiege              werden. Die hier sichtbaren Reparaturen von 1771 wur-
     nicht mehr zeitgemäß, sodass für den Zugang ins Ober-            den als Zeitzeugnis erhalten. Statt der breiten Schlepp-
     geschoss im Westen ein Anbau errichtet wurde. Hie-               gaube wurden für die Belichtung des Dachgeschosses
     raus resultieren noch die erhaltenen Treppengeländer             zwischen die Sparren drei gut proportionierte schmale
     aus Balustern sowie eine Türe mit Bockshornbändern.              Schleppgauben eingefügt. Durch den Einbau von

20
Kastenfenstern erhielt die Fassade                                                Noch vorhandene historische Ausstat-
nicht nur ein historisch anmutendes                                               tungselemente wie Fenster und Türen
Relief, sondern auch eine sinnvolle                                               hat man erhalten und integriert. Die
                                                  Bohlenbalkendecke
energetische Ertüchtigung. Die fres-                                              Innenwände wurden nach histori-
                                              Bei der Bohlenbalkendecke
kal aufgetragene Kalkfarbe mit ihrer                                              schem Vorbild mit Lehmputz auf Rohr-
                                              handelt es sich um eine sich
besonderen Lichtbrechung als letzte                                               matten verputzt, um die historischen
                                            selbst tragende Decke aus dem
Schicht auf dem mineralischen Dämm-                                               Putze zu erhalten, und mit Kalkfarbe
                                               Wechsel eines Balkens und
putz vervollständigt den optischen Ein-                                           gestrichen. Ein Temperiersystem im
                                             einer Bohle. Sie ist in Freising
druck. Der barocke Anbau im Westen                                                Erdgeschoss unterstützt die Heizung
                                             im profanen Hausbau bis zum
musste aufgrund des schlechten Bauzu-                                             mit Brennwerttechnik. Durch den
                                            16. Jahrhundert weit verbreitet.
stands ersetzt werden, er nimmt wieder                                            Einbau einer Aufsparrendämmung
                                              Die Balken tragen manchmal
die Erschließung in die Wohnungen im                                              konnte das Dachwerk sichtbar belas-
                                                 eine reiche Verzierung.
Obergeschoss und Dachgeschoss auf.                                                sen werden. Obwohl der Dachspitz nur
Gestalterisch setzte man ihn durch die                                            durch die beiden Giebelfenster belich-
Verkleidung mit einer Holzschalung                                                tet ist, hat der Wohnraum ein beson-
vom Haupthaus ab. Im Inneren wurde die historische                 deres Ambiente. Die Verwendung von Schilfrohr und
Grundrissstruktur wiederaufgenommen. Die unter                     Lehmputz zwischen den Sparren schuf zusätzlich ein
moderner Decke verborgene beeindruckende Bohlen-                   gesundes Raumklima.
balkendecke wurde mit größerem Aufwand statisch                        2016 wurde die vorbildliche Maßnahme mit dem
saniert, die Holzoberfläche restauratorisch bearbeitet.            Bayerischen Denkmalpflegepreis ausgezeichnet.

Archäologische Grabung: Schnitt durch einen Brennofen            Ansicht von Süden vor der Restaurierung
(Foto: Anzenberger & Leicht)                                     (Foto: Christoph Spieß)

Dachwerk von 1552, Spitzboden mit Aufzugswinde
nach der Sanierung (Foto: Sebastian Schels)

                    Ansicht von Osten nach der Restaurierung
                                (Foto: BLfD, Hildegard Sahler)

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E R H A LT E N

     Ein Schatz der
     Renaissance
     Das Chorgestühl der Pfarrkirche
     St. Johannes der Täufer in Steingaden
     von CHRISTINE STEGE und CHARLOTTE HÖPKER

22
Chor der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer in Steingaden
                                                                                              (Foto: BLfD, Michael Forstner)

D
       er Pfaffenwinkel in Oberbayern ist bekannt für      DAS CHORGESTÜHL
       seine vielen kulturhistorisch bedeutenden Kir-
       chen und Klöster. Die katholische Pfarrkirche       Nach den Plünderungen und Zerstörungen im Zuge der
St. Johannes der Täufer in Steingaden, ehemalige Prä-      Bauernkriege wurde im Jahr 1534 ein neues Chorgestühl
monstratenserabteikirche, ist eines dieser bedeuten-       für die Klosterkirche in Steingaden geschaffen, welches
den Kulturgüter. Gegründet als Kloster und Grablege        sich zu beiden Seiten des Hochchores befindet. Aus der
der Welfen 1147 durch Herzog Welf VI. – daher auch die     Renaissance stammen die hinteren Reihen mit je zwölf
Bezeichnung Welfenmünster – hat die Klosterkirche          Stallen, die auf einem dreistufigen Podest ruhen. Die vor-
in ihrer über 800-jährigen Geschichte Überformun-          deren elfsitzigen Reihen wurden im Jahr 1962 in Anleh-
gen der jeweiligen Zeit erfahren. Dabei vereint sie ein-   nung an das Original als zusätzliche Sitzgelegenheit neu
drucksvoll eine Vielzahl an Epochen in harmonischem        geschaffen. Das Gestühl ist durch geometrische Formen
Zusammenspiel – vom romanischen Baukörper mit go-          klar gegliedert und mit einem reliefartig geschnitzten
tischem Kreuzgang über die reiche Rokokogestaltung         Fries über den Dorsalfeldern ornamental geschmückt. Die
im Hauptschiff bis zur modernen Altarraumgestaltung        hohe künstlerische und handwerkliche Qualität zeigt sich
des 21. Jahrhunderts. Ein kulturhistorisch besonders       auch an der sorgsamen Auswahl hochwertiger Hölzer.
wertvolles Kunstwerk ist dabei im Chorraum zu finden:      Deren unterschiedliche Intensität in Maserung und
das Chorgestühl aus der Frührenaissance.                   Holzfarbton wurde gezielt kontrastreich eingesetzt.

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E R H A LT E N

     Die Verwendung von zur damaligen Zeit kostbaren                      Geschnitzter Fries mit Jahreszahl, hinterlegt mit
     Hölzern wie Blumenesche und Vogelaugenahorn                             blauem Papier (Foto: BLfD, Michael Forstner)

     unterstreicht den künstlerischen Rang des Gestühls:
     Die Zwischenwangen und Schulterringe aus massiver
     Rüster (Ulmenholz) sind mit herausgearbeiteten Säu-
     len und einem eingelegten Streifen aus Vogelaugen-
     ahorn gestaltet. Die dazwischenliegenden Klappsitze
     und ihre schlichten Miserikordien bestehen aus Ahorn.
     Eine mit Blumenesche furnierte stehende Raute bildet
     das Zentrum eines jeden Dorsalfeldes. Sie ist von Profil-
     leisten eingefasst und in massive Eichenfelder einge-
     lassen. Diese Felder aus Eiche werden von profilierten
     Leisten und einem breiten Band aus Blumenesche ge-
     rahmt. Die Dorsalfelder werden von schmalen Lisenen
     aus Eichenprofilen und Vogelaugenahorn getrennt.
     Die darüberliegende Gebälkzone ist stark verkröpft
     und enthält je ein durchbrochen geschnitztes Relief,
     das ursprünglich mit blauem Papier hinterlegt war.
     Die unterschiedlichen Reliefs zeigen unter anderem
     Putten, Füllhörner und Fabelwesen sowie die Wappen
     der Welfen und des Ortes Steingaden, die Jahreszahl
     1534 und das Monogramm HS. Den oberen Abschluss
     des Gestühls bilden eine Vierteltonne aus Ahorn und
     ein gegliederter Aufsatz. Es findet sich das Element der
     Raute aus Blumenesche wieder – jedoch hier liegend
     und als aufgesetzte Kassette aus Wacholder. Als heller
     Rahmen fungiert auf der Südseite Vogelaugenahorn,
     wohingegen auf der nördlichen Seite Riegelahorn Ver-
     wendung fand. Die sorgfältig ausgewählten Hölzer                              Miserikordien
     wurden ursprünglich mit einer Lasur betont und damit                 Miserikordien bezeichnen kleine
     gekonnt zu einem Gesamtbild zusammengestimmt.                        Stützbretter an den Klappsitzen
                                                                          des Chorgestühls zum Anlehnen
                                                                            während langer Stehzeiten.

     Steingaden, Chorgestühl in der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer
     (Foto: BLfD, Michael Forstner)

24
E R H A LT E N

                                         STEINGADEN,
                                 Chorgestühl in der Pfarrkirche
                                   St. Johannes der Täufer
                                     (Foto: BLfD, Michael Forstner)

DI DENKMAL INFORMATION BAYERN   NR. 177/2022                                      25
In Zusammenarbeit zwischen dem Referat Restau-                                        Unterschiedliche Holzarten
     rierung des Bayerischen Landesamtes für Denk-                                            wurden verwendet:
     malpflege (BLfD) und dem Doerner Institut in                                               Ahorn, Blumenesche,
                                                                                                  Eiche, Vogelaugenahorn
     München gelang es, anhand weniger Proben
                                                                                                   (Foto: Christine Stege)
     Bister als färbendes Pigment dieser Lasur
     nachzuweisen. Bister ist ein organisches,
     feindisperses, braunes Farbmittel, das                                                            Sicher ist jedoch,
     vielfältige Farbnuancen bereits bei ge-                                                            dass das Chorge-
     ringer Dosierung in einem (Lack-)Über-                                                             stühl in der Ver-
     zug ermöglicht. Dieser Befund ist für die                                                          gangenheit Verän-
     Forschung zur Veredelung von Holzober-                                                            derungen erfahren
     flächen wertvoll, da naturwissenschaftliche                                                      hat. Beispielsweise
     Nachweise historischer Färbematerialien an                                                     ist anzunehmen, dass
     holzsichtigem Mobiliar nach wie vor so selten                                                 an den westlichen En-
     sind, dass sich eindeutige Vorstellungen zur ur-                                          den beider Reihen je ein
     sprünglichen Farbigkeit historischer Holzausstat-                                      Sitz für den Abt und den Prior
     tungen schwer belegen lassen.                                                     abgewinkelt angebracht waren.
                                                                                Die Teile dieser Stallen wurden in ver-
                                                               änderter Form als Verlängerung vor die Chorpfeiler
     VERÄNDERUNG UND ERHALTUNG                                 montiert. Der Steingadener Chronik ist zudem zu ent-
                                                               nehmen, dass 1834 „Dem Kistler Lengger für Verferti-
     Im Laufe der Zeit wurde das Kloster mehrmals geplün-      gung eines neuen Speisgitters um 26 Gulden 56 Kreu-
     dert und teilweise zerstört. Zu diesen einschneidenden    zer und dem gleichen Handwerker für Beseitigung der
     Ereignissen gehörte auch ein Brand im Dreißigjährigen     alten Chorstühle und Verfertigung der neuen Kinder-
     Krieg, der unter anderem den brennenden Dachstuhl         stühle 66 Gulden 24 Kreuzer [...]“ gezahlt wurden. Mit
     des Chorraums zum Einsturz brachte. Erstaunlich ist,      der „Beseitigung der alten Chorstühle“ war vermutlich
     dass zumindest die hinteren Gestühlsreihen unbeschä-      nur die vordere Reihe des Chorgestühls gemeint. An-
     digt blieben. Inwiefern eine vordere Sitzreihe zu Scha-   statt der entfernten Sitzreihe wurde eine Brüstung aus
     den kam, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.      Nadelholz hinzugefügt. Das angesprochene Kinder-
                                                               gestühl ist auf Aufnahmen, die vor den 1950er Jahren
                                                               entstanden sind, zu sehen und wurde laut Steingadener
                                                               Chronik im Jahr 1958 im Zuge einer größeren Umgestal-
                                                               tung des Chorraums entfernt.
                                                                   Unterlagen aus dem Archiv des BLfD deuten auf eine
                                                               weitere Maßnahme am Chorgestühl im Jahr 1936 hin.
                                                               Es sollten fehlende Teile ergänzt und die Oberfläche mit
                                                               „Terpentinwachs“ behandelt werden. Ergänzt wurden
                                                               damals vor allem Fehlstellen der Schnitzereien wie
                                                               Blätter, Voluten und die Ziffern 1, 5 und 3 der Jahreszahl
                                                               1534 am nördlichen Gestühl. Das blaue Papier hinter der
                                                               reliefartigen Schnitzerei wurde teilweise entfernt und
                                                               die Rücklagen blau gestrichen. Bei genauer Betrachtung
                                                               sind daher verschiedene Blautöne zu erkennen. Vor dem
                                                               Auftrag des „Terpentinwachses“ wurde vermutlich die
                                                               ursprüngliche Bisterlasur entfernt, da diese nur noch in
                                                               Resten an schwer erreichbaren Stellen erhalten ist. Das
                                                               aufgebrachte „Terpentinwachs“ ist heute stark vergraut,
                                                               wodurch die charakteristische Maserung und Farbin-
                                                               tensität der unterschiedlichen Holzarten nicht mehr
                                                               zur Geltung kommen. Besonders störend fallen die weiß
                                                               gefüllten Poren von Eiche, Esche und Rüster ins Auge.
                                                                   Schließlich wurde 1962 die vordere Sitzreihe samt
                                                               Gebetbuchablage von einer örtlichen Schreinerei er-
                                                               gänzt. Die neuen Bänke wurden mit einem transparen-
        Außenansicht                                           ten Kunstharzlack gestrichen, der mit der Alterung trüb
        (Foto: BLfD, Michael Forstner)                         und grünlich wurde.

26
E R H A LT E N

KONSERVIERUNG UND RESTAURIE-                                                und anschließend leicht feucht mit Wat-
RUNG 2020                                                                   testäbchen gereinigt. Nach der Reinigung
                                                 Vogelaugenahorn            konnten hier die Reste des Wachsüberzugs
Die Kirche St. Johannes der Täufer wurde       Als Vogelaugenahorn          mittels kleiner Bürsten verdichtet werden,
in den letzten Jahren aufwendig restau-         wird ein Fehlwuchs          was den hellen Hölzern einen gewissen
riert. Die Kirchengemeinde finanzierte           des Zuckerahorns           Glanz verleiht.
einen erheblichen Teil dieses umfassen-         bezeichnet. Im Holz             Eine Herausforderung stellten die
den Vorhabens selbst. Im Rahmen dieser        entstehen punktartige         1962  hinzugefügten vorderen Reihen des
Maßnahme konnten eine restauratorische           Strukturen, die an         Gestühls dar. Deren gealterte Kunstharz-
Befunduntersuchung und die Entwicklung         Vogelaugen erinnern.         Oberfläche unterschied sich stark von den
eines überzeugenden Konservierungs- und        Diese unregelmäßige          beiden hinteren renaissancezeitlichen
Restaurierungskonzepts realisiert werden.         Maserung macht            Gestühlsreihen. Durch das Aufbringen
Während der Voruntersuchung zeichnete           das Holz besonders          eines getönten Überzugs konnten die er-
sich jedoch ab, dass durch unvorhersehbare    dekorativ und kostbar.        gänzten Sitzreihen den restaurierten al-
Kostenmehrungen anderer Gewerke wäh-                                        ten Gestühlsreihen farblich angeglichen
rend der Gesamtinstandsetzung die Kon-                                      werden. Um auch hier die verwendeten
servierung und Restaurierung des Chorge-                                    Holzarten zur Geltung zu bringen, wur-
stühls nicht mehr finanzierbar schienen.                                    den analog zum renaissancezeitlichen Be-
Eine Bearbeitung dieses Schatzes aus der Frührenais-           stand nur die Teile aus Rüster getönt. Das helle Ahorn-
sance machte schließlich dankenswerterweise die                holz der Klappsitze wurde, wie auch die Sitze in den
großzügige Spende des Ehepaars Dres. Helga und Kurt            hinteren Reihen, lediglich gereinigt und nicht geölt.
Kappelmaier über die Messerschmitt Stiftung möglich.           Nun zeigt sich ein geschlossenes Erscheinungsbild aus
                                                               historischem Chorgestühl und später hinzugefügten

Ziel der Konservierung und                                     Sitzreihen, wobei jedoch bei genauerer Betrachtung die
                                                               formalen Unterschiede ablesbar bleiben.
Restaurierung war es, das
Zusammenspiel der qualität-
                                                                Links: Holzoberfläche vor der Konservierung/
                                                                Restaurierung mit weiß

vollen Hölzer und damit den
                                                                gefüllten Poren

hohen Anspruch in Entwurf
und Gestaltung von 1534
wieder ablesbar zu machen.
Konstruktiv waren nur wenige Arbeiten notwendig. Die-
se beschränkten sich auf die Verleimung von Rissen in
den Gurten des Baldachins, wobei es gelang, die Fugen
zwischen den Ahornbrettern weitgehend zu schließen.
Die Ergänzung fehlender Profilleisten komplettiert die                                                   Rechts: konservierte/
klare Gliederung des Chorgestühls.                                                                 restaurierte Holzoberfläche
    Die gesamte Holzoberfläche wurde vorsichtig feucht                                                  (Foto: Christine Stege)

mit speziellen Schwämmen und Bürsten gereinigt.
Durch die Verwendung von feinsten Messingbürsten                Das Chorgestühl des Welfenmünsters ist zweifelsohne
konnten die grobporigen Hölzer von den hellen Wachs-            eines der bedeutendsten Chorgestühle der Frührenais-
einlagerungen befreit werden. Zum Schutz der gerade             sance in Bayern. Durch die aufwendige Konservierung
im unteren Bereich stark ausgemagerten Holzsubstanz             und Restaurierung kommen die Maserstrukturen und
wurde ein trocknendes Halböl aufgetragen. Geölt wur-            die Farbigkeit der für die damalige Zeit kostbaren Holz-
den dabei nur die grobporigen, dunklen Hölzer. Neben            arten im Sinne der Renaissance wieder voll zur Gel-
der Schutzfunktion verbessert der Auftrag des Öls auch          tung. Dies wird zusätzlich durch die neue Illumination
das Tiefenlicht der individuellen Holzstrukturen. Die           des Kirchenraums eindrucksvoll hervorgehoben. Der
Reinigung der feinteiligen Schnitzereien erwies sich            Zusammenklang dieses kunsthistorischen Highlights
als besonders anspruchsvoll, da die blauen Papiere hin-         mit der soeben restaurierten Raumschale ist beein-
ter der Schnitzerei sehr empfindlich auf Feuchtigkeit           druckend und lohnt einen Besuch im Welfenmünster
reagieren. Das Schnitzwerk wurde daher erst trocken             Steingaden.

        DI DENKMAL INFORMATION BAYERN      NR. 177/2022                                                                           27
E R H A LT E N

     Kunstwerke
     für die Zukunft
     Konservierungsstrategien zu
     Betonfiguren im Feld

     von CHRISTOPH SABATZKI und STEFANIE FUCHS

     W
                estlich von Eichstätt, auf der ­Wacholderheide                   erfasst, die Dringlichkeit der notwendigen Konservie-
                oberhalb des Altmühltals gelegen, befindet                       rungs- und Pflegemaßnahmen in drei Schadensklassen
                sich ein eindrucksvolles Mahnmal gegen                           ermittelt. Damit konnte eine erste Kostenschätzung für
     Krieg und Gewalt – 81 monumentale Betonplastiken                            das längerfristige Rahmenkonzept vorgelegt werden.
     hat der Bildhauer Alois Wünsche-Mitterecker in über
     20 Jahren geschaffen. In mü-
     hevoller Arbeit brachten der                                                                       DER BETON
     Künstler und seine Söhne mit
     Unterstützung der Baufamilie                                                                       Das verwendete Material kann
     Meier die tonnenschweren Ob-                                                                       als Künstlerbeton bezeichnet
     jekte an ihren Aufstellungsort                                                                     werden, seine äußeren Merk-
     in den Hängen des Hessentals.                                                                      male unterscheiden sich deut-
     Da die nun etwa 40 Jahre                                                                           lich vom Normbeton. Die Zu-
     der Witterung ausgesetzten                                                                         sammensetzung des Betons
     Kunstwerke inzwischen zum                                                                          weicht von den Angaben des
     Teil gravierende Schäden auf-                                                                      Künstlers ab, wie sich in mi-
     weisen, wurde nach einem                                                                           kroskopischen Untersuchun-
     Ortstermin der Werkstätten                                                                         gen, durchgeführt mit Hilfe
     des Bayerischen Landesamtes                                                                        des Zentrallabors des BLfD und
     für Denkmalpflege (BLfD) mit                                                                       Fachlaboren der Uni Erlangen,
     Vertretern der Stadt Eichstätt                                                                     Prof. Roman Koch, und der TU
     und dem Denkmaleigentümer,                                                                         München, feststellen ließ. Der
     dem Kuratorium für das Mahn-                                                                       gelegentlich schwarz, rot und
     mal, festgelegt, ein Konservie-                                                                    weiß pigmentierte Abgussbe-
     rungskonzept zu entwickeln                                                                         ton wurde in verlorenen, d. h.
     sowie eine dezidierte Bestands-                               Betonplastik                         nicht wiederverwendbaren For-
     aufnahme, Materialprüfun-                   (Foto: Ralf Eiba, Tourist Information Eichstätt)       men, die beim Ausschalen von
     gen und exemplarisch Kon-                                                                          der Form abgeschlagen wur-
     servierungsmethoden zum Erhalt des Betons im Feld                           den, aus Gips hergestellt. Die bläulich-graue Färbung
     durchzuführen. Die unterschiedlich stark beeinträch-                        vieler Betonfiguren, insbesondere an den Ausbrüchen,
     tigten Betonfiguren wurden nach ihrer Schadenstiefe                         hängt wohl in erster Linie mit dem erhöhten Anteil an

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