ELAN AUSGABE 1 / 2017 - Evangelisch-Lutherische Ansichten und Nachrichten - Landeskirche Schaumburg-Lippe
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AUSGABE 1 / 2017 FRÜHJAHR ELAN Evangelisch-Lutherische Ansichten und Nachrichten Magazin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe Mus i k
Vorwort Liebe Leserinnen und Leser! Musik ist ein ewiges Thema des Menschen. Seit Menschengedenken spielt die Musik im kulturellen und religiösen Leben eine wichtige und verbindende Rolle. Für sehr viele Menschen ist Musik ein unver- zichtbarer Bestandteil ihres Lebens – sei es, dass sie Musik hören, selbst singen oder spielen. Musik und Gesang umgeben uns fast überall. Im Stadion und in Konzertsälen, auf Zeltfesten und Familienfeiern. Und sie wird auf ganz individuelle Weise konsumiert – ob über Kopfhörer an der Halte- stelle – oder wenn sie über Lautsprecher Küche, Bad, PKW oder andere Räume mit ihrem Klang ausfüllt. „Musik liegt in der Luft“ – so wird es häufig emp- funden, wenn man Kirchenräume oder Gemein- dehäuser betritt. Die Musik ist schon immer eine unüberhörbare Ausdrucksform des christlichen Glaubens gewesen. Wir blicken in dieser Ausgabe des ELANs auf unterschiedliche Aspekte der Musik in der Kirche und im Leben des Einzelnen. Dazu haben uns Musikbegeisterte aus unserer Landeskirche etwas zu ihrer Sicht auf Orgel und Bandmusik, Kirchen- und Posaunenchor, Musik ohne Töne und Glockenklang verfasst. Außerdem werden der Wandel in der Kirchenmusik, der sich verändernde Stellenwert des Gesangbuchs, die unterschiedlichen Tonträger für die Konservierung von Musik sowie der sich stetige Wandel des Mu- sikgeschmacks betrachtet. Musik ist nicht nur eine besondere Form der Verkün- digung, sondern sie birgt auch eine gemeinschafts- stiftende und –fördernde Kraft in sich. Wie gewohnt weisen wir hin auf besondere Veran- staltungen im Bereich unserer Landeskirche sowie auf personelle Veränderungen und berichten über Aufbrüche und Projekte in der Konfirmanden- und Jugendarbeit. Genießen Sie die neue Ausgabe des ELANs und verleben Sie eine schöne Frühlingszeit, Ulrich Hinz, Redaktion ELAN Foto: ©kd www.LKSL.de Ulrich Hinz, Karin Droste – Redaktion ELAN
„Wie im Himmel“ Gute Geschichten und gute Musik gehören mit zu den schönsten Dingen, die es gibt. Beide zusammen finden sich zum Beispiel in einem Gottesdienst. Oder im Kino. Dort gab es vor einigen Jahren einen Film, der Millio- nen von Menschen begeistert hat: „Wie im Himmel“. Es ist ein Film über einen Chor in Schweden und die Arbeit eines Dirigenten, der beginnt, auf eine neue Weise mit den Menschen zu arbeiten. Jede Stimme ist einzigartig, verkündet Daniel, der Dirigent. Jeder besitzt einen unverwechselbaren Platz, niemand sonst kann ihn ausfüllen. Alle zählen, Tore, der Junge mit der Behinderung, genauso Inhalt wie Arne, der Geschäftsmann, der sich hinter seiner Arbeit verschanzt und dessen Handy 2 Vorwort ständig bei den Proben klingelt. Auch Gab- 3 Wie im Himmel riella, Mutter zweier Kinder, die regelmäßig 4 Die Königin von ihrem Ehemann verprügelt wird. Für sie 5 Im Kirchenchor singen komponiert Daniel ein eigenes Lied, Gabriel- 6 Gott loben, das ist unser Amt las Song. „Schon als kleiner Junge habe ich 7 Die Kirchenband "aufLeben" davon geträumt, eine Musik zu machen, die 8 Musik ist die halbe Miete die Herzen der Menschen öffnet“, sagt Daniel. 9 Jeder Mensch nimmt Töne wahr Wenn Menschen singen, kommt etwas in unscheinbar. Dann ein neuer Leiter, der die 10 Musik im Alter Bewegung. Sie öffnen sich, nach innen und Anfängerinnen und Anfänger aus den Blä- 11 Im Pfarrhaus zwischen Bach und Rock nach außen. Singen hat enorme Kraft. Große serklassen der Schulen anleitet. Schließlich 12 Gottesgeschenk und Geistesklang Veränderungen innerhalb einer Gesellschaft sind sie mit 15.000 anderen Bläsern beim 13 Der Raum macht was mit den Leuten werden von Musik begleitet. Die Reformation Posaunentag in Leipzig. 14 Von Luthers Protest Martin Luthers ebenso wie Protestbewe- Immer wieder kommen andere dazu, um 15 Nummer 362 – ein Lied mit Geschichte gungen in heutiger Zeit. Menschen ziehen ein Instrument zu lernen, Eltern, Freunde 16 Knistern macht Musik authentisch singend durch die Straßen. und Kolleginnen. Wenn sie im Gottesdienst 17 Der Klang der Glocken spielen, ist die Kirche zu klein. Fast meint 18 Internationales Frauenfest „Wie im Himmel“ zeigt, wie durch Musik man, das Dach der Kirche öffnet sich, wenn 19 Come together & Soccer and More etwas in Bewegung kommt unter Menschen. die Posaunen erklingen. Kaum zu glauben, 20 Sei mal plakativ Das gibt es nicht nur im Kino oder in Schwe- aber wahr. 21 Gerd Peter jetzt in Hannover den. Beispiele gibt es genug, in den Gemein- Der Film „Wie im Himmel“ endet mit einer 21 Der Count-down läuft! den unserer Landeskirche wie überall auf der eindrucksvollen Szene. Der Dirigent, dessen 22 Termine und Veranstaltungen Welt. Da ist beispielsweise eine Gemeinde, Leben manchmal durchaus Ähnlichkeiten mit 25 Freud und Leid in der es vor Jahren eine entscheidende der Geschichte Jesu zeigt, stirbt am Schluss. Veränderung gegeben hat. Der langjährige Sein Chor steht auf der Bühne, ohne ihn. Vor Chorleiter hatte seinen Abschied genom- einem großen Publikum sollen sie singen. Es men. Die Mitglieder des Chores gingen mit ist still, kein Ton kommt aus ihrem Mund, Ver- ihm. Kirchenmusik gibt es schon immer in zweiflung auf ihren Gesichtern. Dann, nach der Gemeinde. Nun scheint es Zeit für einen einer gefühlten Ewigkeit, ein klagender Ton. Generationswechsel zu sein. Aber niemand Ein anderer kommt dazu. Ein Klang baut sich weiß, wie der kommen soll. Er kommt in auf, kraftvoll, schwebend. Gesichter fangen Gestalt einer jungen Chorleiterin, selbst an zu strahlen. Dann steht einer aus dem erst neunzehn Jahre alt, aber voller Elan. Publikum auf. Ein Bass stimmt mit ein. Am Mit ihrer Freude gibt sie der Kirchenmusik Ende stehen alle. Und ein wunderbarer Klang neuen Schwung und begeistert viele für das steigt zum Himmel. Das erinnert an das große Chorsingen, Junge und Alte. Aus einer Gruppe Fest des Geistes, von dem in der Bibel erzählt junger Erwachsener formt sich ein kleiner wird. Plötzlich sprechen alle Menschen eine Chor. Es kommen weitere hinzu, Menschen Sprache. Sie erzählen von der Kraft, die sie aus der eigenen und anderen Gemeinden. bewegt. Die Botschaft wird verstanden und Sie singen im Gottesdienst, in Deutsch, Eng- EL AN lisch und anderen Sprachen. Einige rümpfen erklingt bis heute. Magazin der Evangelisch-Lutherischen darüber die Nase. Andere finden es gut. Beim Musik verbindet Menschen mit dem Him- Landeskirche Schaumburg-Lippe Chorkonzert ist die Kirche bis auf den letzten mel und mit Gott. Es ist Gottes Atem, der -Landeskirchenamt- Pressestelle Platz gefüllt. Menschen leben lässt, vom ersten bis zum Bahnhofstraße 6 | 31675 Bückeburg Die Gemeinde ist stolz auf ihren Chor. Und letzten Atemzug. Im Gesang und der Musik Internet: www.lksl.de noch etwas ist neu. Der Chor will nicht nur verbindet sich der Atem mit Gott. Und das E-Mail: elan@lksl.de singen. Er hat auch eine Botschaft. Bei den Lied wird zum Lob. Konzerten werden eigene Texte und Gebete Verantwortlich: Ulrich Hinz vorgetragen. Das kommt an. Uwe Herde In der Nachbargemeinde geschieht etwas Layout/Design: Karin Droste Ähnliches mit dem Posaunenchor. Vor eini- Einband: © Karin Droste (kd) gen Jahren noch eine kleine Gruppe, eher Geistliches Wort 3
Die Königin S „Die orgl ist doch in meinem augen und Pflege und Weiterentwicklung befähigt Pfeifen zum Klingen bringt, der „Wind“, ohren der könig aller jnstrumenten“. waren, allmählich zu dem Instrument in den biblischen Sprachen Hebräisch o schrieb Mozart in seiner nicht der Kirche schlechthin wurde. Ihre antike und Griechisch gleichbedeutend mit nur musikalisch unnachahmli- Herkunft hatte ihr allerdings zunächst „Geist“? Und lässt nicht das Konzept chen Schreibweise im Oktober ganz andere Aufgaben zugewiesen. einer immerwährenden, unablässigen 1777 aus Augsburg an seinen Vater Belegbar „erfunden“ wurde die Orgel Windversorgung – heutzutage beson- Leopold. Diese berühmte Titulierung, durch den Ingenieur Ktesibios in Alex- ders spektakulär betont im auf 639 korrekterweise in „Königin“ verändert, andria im 3. Jahrhundert vor Christus Jahre angelegten Cage-Orgelprojekt in gehört bis heute zu den beliebtesten als ein „organon“ (Werkzeug, Maschi- Halberstadt – schnell zum Thema „Un- Zitaten rund um die Orgel. Doch auch ne), bei dem durch Wasserdruck Luft endlichkeit“ aufschließen? Hier kann die Briefsätze davor sind vielsagend und komprimiert und diese als „Wind“ einer man leicht ins Nachdenken kommen. aufschlussreich, um sich dem Phäno- Pfeifenreihe gezielt zugeführt werden Doch gibt es ja noch vielmehr zu be- men Orgel und seinen vielen Facetten konnte. Einsatz fand sie dann bei den staunen und zu berichten, wenn man der „Königin“ der Instrumente nur ein ganz klein wenig gerecht werden möch- te. Da ist zum Beispiel die technische Weiterentwicklung der Orgel ab dem Mittelalter, die schließlich zu den ausge- reiften Meisterinstrumenten führt, die uns ab der Renaissancezeit überliefert sind, und die natürlich auch heute noch weitergeht. Bewundernswert ist die Viel- seitigkeit des Orgelbauerberufes, der mit musikalischem, physikalischem, plane- rischem und architektonischem Wissen gleichermaßen vertraut sein muss wie mit der zum Teil in millimetergenauer Präzision erforderlichen Bearbeitung vieler unterschiedlicher Materialien. Da ist die Fülle der Orgelmusik, die zu- Foto: ©kd sammen mit den regional unterschied- lich ausgeprägten Orgeltypen aus vielen Jahrhunderten einen sinnenstarken Ein- druck von der Farbigkeit der Musikkultur zu nähern. Mozart begehrt also bei römischen Erben der griechischen Kultur Europas und darüber hinaus gibt. Da sind einem Herrn Stein, die Orgel zu spielen, in Zirkusarenen und entwickelte sich die Kulminationspunkte geistlicher Mu- denn die Orgel sei seine Passion. Der darauf im christlichen Byzanz zum Ins- sik, in Kleinodien und Großwerken nicht verwundert sich darüber: wie könne trument des Kaiserkults. Trotz dieser in nur der bekanntesten Orgelkomponisten ein solch großer Clavierist wie Mozart unseren Augen durchaus zweifelhaften wie Bach, Reger oder Messiaen. Da sind Gefallen an einem Instrument ohne Vorgeschichte lag doch von Anfang an in die schier unerschöpflichen Klangkom- Lieblichkeit, ohne Expressivität, ohne ihrer Idee eine besondere Eignung vor, binationen mittlerer und größerer In- Differenzierung der Lautstärke durch in den christlichen Kirchen, zeitweise strumente, die Tradition und Innovation den Anschlag haben? Mozarts Antwort: sogar in jüdischen Synagogen, zum In- gleichermaßen ermöglichen. „Das hat alles nichts zu bedeuten.“ Und strument der Kommunikation zwischen Trotz allem ist die Orgel heute aus dann der berühmte Satz von der Hoheit „Diesseits und Jenseits“ zu werden oder, mancherlei Gründen nicht mehr unan- der Orgel. wie es der berühmte Orgelkomponist gefochten das kirchliche Instrument So schnell können – zumindest von je- Charles-Marie Widor gegenüber Albert schlechthin. Das muss nicht beunruhi- mandem, der für die Orgel Leidenschaft Schweitzer formulierte: zur Manifestati- gen. Es ist eher Ansporn, an ihrer Zukunft verspürt - Einwände hinweggewischt on eines „mit dem Schauen der Ewigkeit mitzuarbeiten. Die nächste „Schaumbur- werden. Dabei tauchen diese natürlich erfüllten Willens“ geeignet zu sein. Denn ger Orgelwoche“ ist für August 2018 in auch in Bezug auf die „Königin“ immer in ihrem Aufbau aus mehr oder weniger Planung. Und auch heute noch gibt es wieder auf. Schon die Kirchenväter zahlreichen Pfeifen unterschiedlicher Zwölfjährige, die auf eine freie Kirche setzten sich zunächst heftig zur Wehr, als Abmessungen spiegeln sich uralte, an hoffen, wie 1821 Felix Mendelssohn die Orgel im 8. Jahrhundert, mitgebracht den Namen des Pythagoras geknüpfte Bartholdy, der an seinen Orgellehrer im Gepäck oströmischer Diplomaten, Vorstellungen von kosmischer Ord- schrieb: „Was sagt der Küster? Können Eingang in unseren Kulturkreis bekam nung und Harmonie, die durch Töne wir heute Nachmittag spielen? Gibt es und über die Klöster, wo Mönche wis- hörbar gemacht werden können. Und keine Hochzeit?“ senschaftlich und handwerklich zu ihrer ist nicht das Wort für die Luft, die die Christian Richter 4 Die Königin
Im Kirchenchor singen Im Chor singen? Warum? C hor heisst Gemeinschaft: Miteinander Zeit verbringen, in der Musik einstudiert wird. Zu- sammen sein, um kleinere oder größere Gespräche am Rand zu führen. Zusam- Im Chor singen? Ich kann nicht singen… Jeder Mensch kann singen! Oft hat das Gefühl, nicht singen zu können, damit zu tun, dass es nicht geübt wurde. Wie bei jeder Muskulatur gilt es auch • Das Singen schüttet Endorphine (Glückshormone) aus und verhilft dazu, dass man sich wohlfühlt. Wenn das kein Grund ist zu singen! men Entwicklung spüren, wenn Stimme für die Stimme, dass sie Training und Im Chor singen? Warum Kirchenchor? und Klang verbessert wird. Gemeinsam Übung braucht, damit ein Gefühl dafür "Doch ist die Musik nicht nur Gabe Auftritte vorbereiten und durchführen. entstehen kann, wie Singen eigentlich Gottes, sondern auch Aufgabe des Men- funktioniert. Die Stimme ist abhängig schen." (Martin Luther) Chorarbeit heisst, dass gemeinsam sin- vom Gehör. Hinhören und Singen sind Der Kirchenchor ist nicht nur eine gend gearbeitet wird. In der Chorprobe vollkommen miteinander verbunden Gemeinschaft in sich, sondern eine werden andere Stimmen und Stimmla- und auch dies will trainiert und geübt Gemeinschaft innerhalb der Gemeinde. gen gehört und wahrgenommen und sein. Bei dem einen geht es schneller, ein Er ist auch eine Gemeinschaft für die Gemeinde, wenn er seinen Dienst tut und im Gottesdienst singt. Deshalb ist die Auswahl der zu singenden Litera- tur christlich und stützt sich auf die Bibel und den Glauben. Diese Inhalte bewegen Menschen in der musischen Auseinandersetzung des Glaubens und in der Umsetzung des Chorgesangs. Die Interpretation von Texten durch die Unterstützung von Musik und Ge- sang ist eine ganz besondere Form des Glaubens, vielleicht sogar eine singende Verkündigung. Gerade diese Verknüpfung von Text und Melodie, von Glauben und Gesang hat neben den Gemeindeliedern im Gottesdienst einen besonderen Stellen- wert. Christliche Aussagen wirken durch das gesungene Wort ganz anders und Foto: ©kd sprechen eine berührende innere Tiefe im Gottesdienstbesucher an. Deshalb kann der Kirchenchor gegenüber dem gesprochenem Wort des Pastors oder unterscheiden sich von dem, was man Gespür dafür zu entwickeln, bei dem an- der Lektorin eine ihm eigene Nische des von der eigenen Stimme gewohnt ist. deren langsamer und das ist in Ordnung. verkündenden Wortes einnehmen. Musikstücke, Lieder und Kanons erklin- Wichtig ist doch, dass überhaupt wieder gen und werden gemeinsam entwickelt. gesungen wird! Die Anbindung des Kirchenchores an Immer wieder werden neue Stücke ge- die Kirche, die Gemeinde und den lernt, sodass das eigene Repertoire sich Und das hat mehrere ganz entscheiden- Gottesdienst bedeutet eine Pflege von vergrößert. Klangbildung und sprach- de Gründe. Glauben und Tradition. Trotzdem trägt liche Umsetzung wird verbessert und • Es macht Spaß zu singen, zu hören, diese Bindung auch die Chance in sich, unterstützt das Singen. Die Freude am zu gestalten und sich selbst stimm- neue Impulse setzen zu können durch Singen, der emotionale Ausdruck und lich zu verbessern. eine erweiterte Musikauswahl und der Spaß innerhalb der gemeinsamen • Es ist sehr gesund zu singen! Z.B. einen moderneren 'Anstrich'. Dieser ist Zeit ist Teil der Chorprobe, und das kann für die Atmung und den Kreislauf: ganz wichtig, um ein Aussterben von richtig motivieren! Im Chor zu sein be- die Einatmung wird ganz anders Kirchenchören zu vermeiden und sie deutet, freiwillig Zeit zu investieren, um gefordert als beim Sprechen und nach und nach verjüngen zu können. zu singen. Und das machen viele Sänge- verbessert sich qualitativ. Das Mit ihrem Repertoire müssen Kirchen- rinnen und Sänger oft wöchentlich und Atemvolumen wird vergrößert und chöre ansprechend und vielfältig sein abends, denn jede und jeder spürt, wie der Brustkorb durch die Atemweite und werden. gut das Singen tut und wieviel Freude beweglich. Durch die vertiefte At- Ruth Freymüller damit verbunden ist, wenn das eigene, mung wird der Kreislauf angeregt innere Instrument klingt und singt. und die Sauerstoffzufuhr verbes- sert. Chor 5
Gott loben, das ist unser Amt S ie sind aus unserem kirchlichen Leben nicht mehr wegzudenken – die Posaunenchöre. Fast in jeder schaumburg-lippischen Kirchen- gemeinde gibt es einen Posaunenchor, zeln sind in Schaumburg-Lippe bis heute noch zu spüren. Die Chöre aus Meinsen und Bad Eilsen sind der Tradition des CVJM verbunden, die Großenheidorner und Lindhorster z. B. der Hermannsbur- so etwas wie eine generationsübergrei- fende Bildungsarbeit. Und mehr noch. Natürlich wird in den Chören auch der Gemeinschaftssinn gepflegt. Deswegen darf die Pause am Übungsabend nicht der in regelmäßigen Abständen die Got- ger Mission. Inzwischen gibt es in ganz zu kurz sein, bleibt man gern nach der tesdienste mitgestaltet. Zur Adventszeit Deutschland ca. 7000 Posaunenchöre, Probe noch auf ein Bier beieinander oder und dem Weihnachtsfest gehört der die sich im „Evangelischen Posaunen- fährt in den Sommerferien in großer festliche Klang des Posaunenchores dienst in Deutschland“ (EpiD s.u.) zusam- Runde auf gemeinsame Chorfreizeit. genauso wie die ruhige Begleitung des mengeschlossen haben. Musikalisch steht natürlich bei den Volkstrauertags oder des Ewigkeits- meisten Einsätzen der Posaunenchöre immer noch die Begleitung des Gemein- degesangs im Vordergrund. Jeder Open Air Gottesdienst an Himmel- fahrt oder in der Adventszeit lebt von dieser Unterstützung. Doch in den letz- ten Jahren hat sich das Repertoire der Posaunenchöre weit über diese Möglich- keit hinaus erweitert. Die Interpretation moderner Musik ist hinzugekommen und manchmal wird von den Zuhörern stau- nend wahrgenommen, wie wunderbar sie sich in gottesdienstliches Geschehen einbauen lässt. Für die Jüngeren, oft ausgebildet in Bläserklassen der hiesigen Schulen, eine Selbstverständlichkeit, für manche älteren Bläser dagegen eine echte Herausforderung an das vertraute Rhythmusgefühl. Und immer wieder die Erkenntnis: Es geht. Zusammen. Mit ge- meinsamem Üben und etwas Zeit. Foto: ©privat Vielleicht ist genau diese Erfahrung der größte Schatz für eine Kirchengemeinde, dass immer wieder in den Auftritten der Posaunenchöre sichtbar werden kann: Es sonntags. Und auch bei vielen anderen Erst seit ungefähr 50 Jahren ist es gelingt zusammen. Ganz fröhlich. Zum kirchlichen und öffentlichen Veranstal- selbstverständlich, dass auch Mädchen Lobe Gottes. tungen lassen die Bläser ihre Instru- und Frauen Mitglieder eines Posaunen- Wilfried Vauth mente erklingen. Sie sind nur schwer chores sein können. Dem „schwachen zu überhören und geben das Signal: Geschlecht“ wurden vermutlich keine Hier ist Kirche präsent. In erstaunlicher kraftvollen Töne zugetraut. Was für ein (EPiD) Bandbreite musizieren Junge und Alte, Irrtum, wenn man sich heutige Posau- Der Evangelische Posaunendienst in Männer und Frauen gemeinsam. nenchöre anhört. Und ganz selbstver- Deutschland (EPiD) ist der Dachverband ständlich ist es geworden, dass Frauen aller Posaunenwerke und -verbände Kein Wunder mag man denken, wer- Posaunenchöre leiten oder als Posau- in Deutschland. Er vertritt ca. 120 000 den die Posaunen doch schon im Alten nenwartinnen in vielen Landeskirchen Bläser/innen. Testament bei der Eroberung Jerichos für die musikalische Entwicklung der Der EPiD wurde 1994 in Bethel (Bielefeld) (Josua 6) und in den Psalmen (Psalm Chöre und die Fortbildung der Bläserin- gegründet, an historischer Stätte, denn 150) erwähnt. nen und Bläser zuständig sind. hier wirkte Pastor D. Johannes Kuhlo (1856-1941), der Pionier der Posaunen- Aber so selbstverständlich ist es dann All das hat natürlich auch die Gemein- chorbewegung. doch nicht. Erst seit gut 150 Jahren gibt schaft in den Posaunenchören verändert Neben vielen anderen Veranstaltungen es ihn, den Posaunenchor oder den Po- und geprägt. Aus den reinen Männer- sind besonders die beiden großen Po- saunenverein. Ins Leben gerufen durch bünden sind vielerorts richtige „Fami- saunentage (DEPT) in Leipzig (2008) und die Arbeit des CVJM in Westfalen und der lienunternehmen“ geworden und das Dresden (2016) vom Verband organisiert Hermannsburger Mission. Beide Wur- gemeinsame Musizieren ist gleichsam worden. Internetadresse: epid.de 6 Posaunenchor
Die Kirchenband "aufLeben" W er singt, betet doppelt – liest man beim Kirchenva- ter Augustin. In der Refor- mation wurde mit Liedern die Botschaft des Evangeliums in die Gemeinden dienst bekommen hat. Jugendliche und Familien sind dankbar, wenn auch „ihre“ Musik im Gottesdienst Raum hat und fühlen sich damit auch ernst genommen. Ob Swing oder Pop, Samba oder ruhige für besondere Gottesdienste den Einsatz der Musiker erbitten. Bis auf 15 Einsätze im Jahr hat es die Band schon gebracht. Daran mag deutlich werden, dass es den Musikerinnen unter der Leitung von getragen. Das gemeinsame Singen ver- Ballade - die Band gestaltet die neuen Ina Seidl und Conny Wagner auch ein bindet die versammelte Gemeinde über Lieder höchst abwechslungsreich. Ob persönliches Anliegen ist, mit der Musik alle Unterschiede hinweg. fröhliches Gotteslob, nachdenkliche von Gott zu erzählen. Musik berührt Texte oder besinnliche Begleitmusik zum die Herzen der Menschen oft mehr als Eine reiche geistliche Musikkultur ist so Gang zur Eucharistie, für alles hat die Worte. Der Trost und die Freude, die über Jahrhunderte entstanden und ent- Band etwas in ihrem Programm. Im Vor- der Glaube Menschen schenken kann, wickelt sich weiter, weil sich natürlich der dergrund steht bis heute die Begleitung werden über die Melodien spürbar. Das Musikgeschmack verändert. Von Swing von Liedern. Zum Mitsingen und Mit- möchte die Band weitergeben und inves- und Samba tiert dafür gerne für wusste Luther Proben und Gottes- noch nichts. diensttermine ihre Moderne Me- Freizeit. lodien, von E- Bass, Gitarre Eine Band braucht und Schlagzeug Technik. Der Schlag- begleitet, sind zeuger (Jan Hoth) inzwischen auch mag sich noch ohne in die Gottes- Verstärker durch- dienste einge- setzen, aber der zogen. „Ein fes- Bass (Klaus Schla- te Burg“ singt der) funktioniert sich mit Orgel nur mit Strom. Da- gut, „Aufsteh’n, mit die Melodien im aufeinander zu Rhythmus nicht un- geh’n“ klingt mit tergehen, werden Band allerdings auch Geige (Hei- besser. ner Seidl), Gitarre Die Kirchen- (Heinrich Stolze) Foto: ©privat band „ auf Le - und Keyboard (Ina ben“ begleitet Seidl) verstärkt. Das Kinder-, Jugend- gilt natürlich auch und Familien- für die Sängerinnen gottesdienst mit (Marita Spieker- modernen Instrumenten, den unter- klatschen wird ausdrücklich eingeladen. mann, Conny Wagner, Ursula Biesemeier schiedlichsten Rhythmen und mehrstim- Weil die Musiker sich durch persönliche und Christa Skade). Der katholischen Ge- migem Gesang. 2004 taten sich Musiker Kontakte zusammenfanden, ergab es meinde St. Joseph war die Bereicherung zusammen, die in den Gottesdiensten sich, dass die Zusammensetzung der des Gottesdienstes so wichtig, dass sie der katholischen Gemeinde St. Joseph in Band auch dem Gedanken der Ökumene die technische Ausstattung finanziert Stadthagen eine Ergänzung zur Orgelbe- Rechnung trägt. hat. Helmut Spiekermann sorgt bei Pro- gleitung vermissten. ben und Gottesdiensten dafür, dass alle Nach dem Motto: „Nicht klagen, selber Je zur Hälfte gehören die Mitglieder der Kabel richtig angeschlossen sind, keiner machen“ waren schnell Melodien neu- katholischen und der evangelischen zu laut wird und alle Stimmen zu ihrem er Kirchenlieder eingeübt. Pfarrer und Kirche an. Dadurch ergab es sich dann Recht kommen. Ein bisschen schade Gemeinde wurden von der Neuerung auch fast automatisch, dass inzwischen finden es die Musiker, dass es nicht mehr im musikalischen Bereich überzeugt. in Kirchengemeinden beider Konfessio- Bands in den Kirchengemeinden gibt. Gleich die ersten Gottesdienste, die nen Gottesdienste begleitet werden. Der Das Interesse ist da. Sie können allen von aufLeben gestaltet wurden, fanden Musikgeschmack ist schließlich nicht mit nur Mut machen, die Instrumente aus- große Zustimmung. dem Bekenntnis verbunden. Und auch zupacken, sich mit anderen zusammen Ein häufig geäußertes Vorurteil, dass die evangelische Gottesdienste bestehen zu tun und mit fröhlicher Musik zu Gott „älteren“ Menschen solche Art der Mu- nicht nur aus der Predigt, sondern leben und Gottesdienst einzuladen. sik nicht mögen, hat sich nie bestätigt. Im ganz in der Tradition Luthers auch von Gegenteil. Quer durch alle Generationen fröhlichem Singen. Inzwischen gibt es Jan Peter Hoth ist die Freude groß, dass auch moderner eine ganze Anzahl von Gemeinden, die Musikgeschmack seinen Ort im Gottes- Band 7
Musik ist die halbe Miete Ein Leben ohne Musik - für Jugendliche undenkbar M usik ist für die meisten Jugendlichen unverzicht- bar. "Musik hören" ist bei Mädchen zwischen 14 und 19 Jahren das wichtigste, bei Jungs das zweit- Unter allen Musikrichtungen ist da- bei "Pop" eindeutig die angesagteste Musikrichtung. Der Musikexperte Karl Bruckmaier meint: "Pop ist zum größ- ten gesellschaftlichen Feldversuch der sind für die Verantwortlichen von Ju- gendkirchen längst passé. Für sie gilt: Auch Popularmusik kann eine Beziehung zu Gott stiften. Gleichwohl sind wir in der kirchlichen Jugendarbeit natürlich wichtigste Medium. Die Musik wird Menschheitsgeschichte angewachsen, durch die Frage herausgefordert: "Was nur abgeschaltet, wenn es nicht zu weiter verbreitet als parlamentarische wollen wir mit der Musik erreichen?" vermeiden ist. Selbst beim Ankommen Demokratie und zuckerfreies Cola." Organisieren wir ein Konzert mit einem in der Schule ist sie über Handy oder Es bedarf keiner weiteren Begründung, geistlichen Impuls oder dient die Musik MP3-Player "in ear". Hausaufgaben um deutlich zu machen, dass wir in der dem liturgischen Spannungsbogen eines erledigen, ohne Musik zu hören, ist für kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen Jugendgottesdienstes? Viele weitere Fra- viele Jugendliche undenkbar - und für den Faktor Musik ganz oben ansiedeln ge ergeben sich, die alle in der Spannung viele Eltern undenkbar, dass das so ist. müssen. Wie aber setzen wir Musik, die stehen, neue liturgische Formen für Ju- Neben dem MP3-Player wird vor allem das Leben der Jugendlichen bestimmt, gendliche zu entwickeln und Bewährtes über das Radio und über das Inter- neu zu entdecken. net Musik online konsumiert, und Welche Schlüsse ziehen wir in der über die sozialen Plattformen wer- ev. Jugend aus der Bedeutung der den Musikvideos und Infos über Musik? Drei inhaltliche Richtungen die neueste Musik ausgetauscht. zum Schluss. 1. Partizipation: Wäh- Jugendliche hinterlegen via Link rend Jugendliche im Alltag Musik auf Pinnwänden ihrer (virtuellen) meist "konsumieren", soll Musik Freunde die Lieblingsmusik und im Jugendgottesdienst und in der informieren sich gegenseitig über Jugendarbeit Bedeutungsträger für angesagte oder persönlich präfe- die damit verbundenen Texte sein. rierte Interpreten. Eltern spielen Sie soll zum Mitsingen und Mitma- bei der Vermittlung von Musiker- chen animieren. Wir sind immer fahrungen meist keine wesentliche wieder erstaunt und auch glücklich Rolle mehr. Die Freunde lösen hier darüber, wie sehr Jugendliche auf die Familie als primäre Bezugsin- Freizeiten und anderen längeren stanz ab und eröffnen damit neue Veranstaltungen doch bereit sind, Bildungs- und Sozialisationsräume Lieder mitzusingen. Darüber wird in der Freizeit. viel Gemeinschaft gestiftet - auch mit Gott! 2. Qualität: Jugendliche Dabei stellen Musikstars für die merken ganz genau, ob Musik auch jugendlichen HörerInnen nach handwerklich gut gemacht oder wie vor Identifikationsfiguren dar. dilettantisch ist - das spielt bei Kon- Über ihre Vorbildfunktion werden zerten und allem, was musikalisch politische, moralische und auch eingeübt wird, eine große Rolle. religiöse Haltungen transportiert 3. Ressourcen: Die Bedeutung und von den Jugendlichen für die der Musik für Jugendliche und die eigenen sozialen Leitbilder und kirchlichen professionellen Mög- Foto: ©lg Verhaltensweisen aufgenommen. lichkeiten, dies für die Jugendarbeit Dabei spielen die Musikrichtun- zu nutzen, müssten ausgebaut gen innerhalb der eigenen Clique werden. Wir sind im Bereich der natürlich eine bedeutende Rolle. von vielen Landeskirchen schon Ob jemand z.B. der Hardcore-, Emo-, in der Jugendarbeit "sinnvoll" ein? besetzten Popkantorenstellen noch Techno-, oder Hip-Hop-Szene angehört, Dass die Jugendlichen Zugang zu jeder "musikalisches Entwicklungsland". ist nicht nur Zugangsvoraussetzung Art von Musik, zu jedem Song haben, Deshalb verwundert es sicher nicht, zu Gleichgesinnten, sondern auch für erschwert die Musikauswahl nicht nur dass der Fokus für eine der neuen Freundschaften ein wichtiges, verbin- in den Jugendgottesdiensten. Längst Stellen im Bereich der Jugendarbeit dendes Element. wird die künstliche Trennung zwischen unserer Landeskirche jetzt ganz auf die Dies ist vor allem auch deshalb der Fall, "geistlicher" und "weltlicher" Musik als Musik gelegt wird: Zur Unterstützung weil über die Musik nicht nur situativ, überholt empfunden. Die Zeiten, in de- der Chor- und Bandarbeit und um neue sondern auch mit Nachhaltigkeit bei nen darüber gestritten wurde, ob Lieder Ideen umzusetzen, Jugendliche durch den Jugendlichen Gefühle, Stimmungen, wie "Über den Wolken", "Bridge over die Musik zu begeistern - und damit für Wünsche und Sehnsüchte "bearbeitet" troubled water" oder "Take me home, Gottes Wirken. und damit auch Lebens- und Liebesent- country roads" in einem christlichen würfe "geschaffen" werden. Gottesdienst gespielt werden dürfen, Lutz Gräber 8 Jugend und Musik
Jeder Mensch nimmt Töne mit dem Körper wahr „W ie bitte? Es gibt einen Gebärdenchor in Han- nover?“ So werde ich häufig gefragt, wenn ich von unseren erschlossen werden und dann können wir ans Gebärden gehen. Wir haben sogar ein Gebärdenlieder- aber inhaltlich auch anspruchsvollere Lieder. Der Chor wie auch die Gemein- de mag beispielsweise das Lied „Meine Zeit“ besonders gern. Da lautet der Re- Chorproben erzähle. Meine Antwort: buch für den Gottesdienst. Manche frain: „Meine Tage, meine Stunden, mei- Ja, es gibt auch bei uns einen Chor! Was Lieder darin sind sehr kommunikativ. Da ne Minuten und Sekunden – meine Zeit, wir Hörenden mit der Stimme machen, dürfen wir mit dem Finger aufeinander ein Stückchen Ewigkeit.“ Die Menschen das machen die Gehörlosen mit den zeigen – zum Beispiel bei unserem Got- gebärden das Lied mit und fühlen sich Händen und den Gesichtern. Wir üben tesdiensteingangslied: „Ich da, du da, du gehalten und geborgen, weil auch ihre bei unseren Chorproben das synchrone da, du da, Gott da, wir zusammen (mit Lebensspanne in Gottes Hand liegt, wie Gebärden und die passende Mimik Gott) – wunderbar!“ Bei dem „du da, du es in der letzten Strophe heißt: „Meine dazu. So können wir für die Augen da, du da“ zeigen wir aufeinander und Zeit – anfangen und enden – meine Zeit sichtbar machen, was die Musik für die das lockert die Stimmung auf, schafft ein in Gottes Händen“. Ohren hörbar macht! Für uns Hörende ist es un- gewohnt, sich Musik visuell und nicht akustisch vorzu- stellen. Die Melodie ergibt sich beim Gebärden aus dem Fluss der Bewegungen und aus den Gefühlen, die die Sänger durch ihre Kör- persprache und die Mimik einfließen lassen. Wir können zum Beispiel ganz zackig, abgehackt ge- bärden wie ein Roboter. Das entspricht in der Musik dem Staccato. Wir können aber auch eine Gebärde in die andere fließen lassen wie in der Musik beim An- dante die Töne ineinander fließen. Das sieht dann sehr weich und elegant aus. Wir können sogar laut und leise „singen“, wenn wir Foto: ©kd nämlich ganz groß oder ganz klein gebärden. Und in der visuellen Welt brau- chen wir viel Mimik – auch im normalen Gespräch miteinander, Gemeinschaftsgefühl im Gottesdienst, Instrumentalmusik wird für Gehörlose denn die Mimik hilft, den anderen noch weil wir einander wahrgenommen und erst dann interessant, wenn die Luft besser zu verstehen. angelacht haben und führt uns gleich- oder der Boden vibriert. Das kommt im zeitig in die besondere Situation des Gottesdienst eher selten vor. Aber auch Noten brauchen wir nicht. Für unsere Gottesdienstes, in der es zuerst nicht ohne Musik sind unsere Gottesdienste Lieder haben wir Texte, aber diese Texte um uns, sondern um Gottes Gegenwart fröhlich und lebendig! Sie können sich bearbeiten wir oft noch. Gehörlose Men- bei uns geht. davon gern selbst überzeugen und mal schen finden unsere Grammatik häufig einen besuchen! sehr schwer. Das „Du“ ist in der Gehörlosengemein- schaft die übliche Anrede für eine Christiane Neukirch, Uns Hörenden ist diese Schwierigkeit einzelne Person unabhängig davon, wie Beauftragte für Gebärdensprachliche oft gar nicht klar. Deshalb genügt es vertraut wir mit ihr sind. Das kommt da- Seelsorge in der Landeskirche Hannover nicht, dem Gebärdenchor einen Text her, dass das „Sie“ den Plural, also viele zu geben. Der Textinhalt muss erstmal Personen bezeichnet. Wir haben leichte, Gebärdenchor 9
Musik im Alter Z uerst sang Marikka Rökk 1939 und später auch Johannes Hees- ters und auch Peter Alexander: „Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück. Ich brauche ist, zu dem erkrankten Menschen eine Beziehung aufzubauen. Hier sind ver- traute Lieder und Melodien hilfreich. Der alte Mensch überträgt die positiven bzw. auch die negativen Eindrücke, die er Diese Begegnung hat mich sehr ange- rührt und mich bewogen, im Sommer immer wieder das Lied singen zu lassen. Für demenzerkrankte Menschen ist eine vertraute Struktur wichtig. Bei vielen von nur Musik, Musik, Musik…“ Dieser kurze mit dem Lied oder der Melodie in jungen ihnen ist die Verknüpfung vorhanden: Liedausschnitt zeigt, wie wichtig Musik Jahren gemacht hat, auf die Person, die Die Orgel spielt, der Gottesdienst be- unabhängig von unserem Alter für uns das Lied singt oder die Melodie summt. ginnt. So ist es sehr hilfreich, bei einem Menschen ist. Die Musik spricht den Vom Frühsommer bis zum Erntedank- Gottesdienst instrumentale Begleitung Menschen auf der emotionalen Ebene fest singe ich in meinen Gottesdiensten zu haben. Die Musik strukturiert einen Gottesdienst. Sie holt die Gottesdienst- besucher ab aus ihrem Alltag und bindet die Aufmerksamkeit. Seit drei Jahren haben wir Heiligabend in den Altenheimgottesdiensten musi- kalische Unterstützung am Keyboard. Sobald die ersten Töne erklingen, ist die volle Aufmerksamkeit Aller da, dann beginnt für mich Weihnachten. In der Kirche zeigt die Orgel Anfang und Ende eines Gottesdienstes an. In den Seniorenheimen ist es oft sehr unruhig vor den Gottesdiensten oder die Bewohner sind in sich gekehrt. Sobald das Akkordeon erklingt, sind die Gottes- dienstbesucher wachgerüttelt und ich habe ihre Aufmerksamkeit. Einige Jahre hatten wir von verschiede- nen Akkordeonspielern Unterstützung. Diese gehörten zum festen Bestandteil eines Gottesdienstes und wurden auch immer von den Besuchern erwartet. Der Foto: ©kd Gottesdienst war durch die musikalische Begleitung eine angenehme, gern wahr- genommene Abwechslung. an. Sie erlaubt uns, unsere Gefühle im Seniorenbereich immer wieder den Lange Zeit habe ich mich bemüht, mit und Stimmungen auszudrücken. Mit Choral „Geh aus, mein Herz" von Paul einer Begrüßung die Aufmerksamkeit manchen Musikstücken oder Liedern Gerhardt. Hier begeistert mich zum zu binden. Bei demenzerkrankten Besu- verbindet jemand positive Eindrücke einen das Lied selbst, aber auch die chern ist dies beschwerlich. So habe ich oder auch traurige, enttäuschende. Wirkung auf Menschen. Einige singen vor einiger Zeit es ausprobiert, zuerst mit, obwohl sie schon lange aufgehört „Großer Gott, wir loben dich" zu singen. Diese sind sofort präsent beim Hören. haben, zu sprechen. Darauf reagierte eine Besucherin: „Oh, Bei den heutigen alten Menschen mache So sangen wir bei einem Gottesdienst das Lied haben wir immer in der Kirche ich die Beobachtung, dass Lieder aus der „Geh aus, mein Herz". Nach diesem gesungen.“ Ich antwortete ihr: „Ja, das Kindheit und Jugend noch präsent sind. verabschiedete ich mich von allen Besu- Lied ist sehr schön und bei vielen be- Stimme ich ein bekanntes Kinderlied, chern persönlich. Ich ging von einem zum kannt.“ Die Frau fühlte sich durch diese Volkslied, Schlager oder Kirchenlied an, nächsten. Als ich bei einer Frau ankam kleine Ansprache gesehen und gewür- singt der alte Mensch sofort mit. Mich und mich von ihr verabschieden wollte, digt. So hatte ich ihre Aufmerksamkeit begeistert immer wieder, welch ein meinte diese: „Warten Sie einmal! Ich während des ganzen Gottesdienstes. Repertoire an Liedern und Melodien muss mal aufstehen.“ Ich schaute sie bei alten, besonders auch bei demen- etwas fragend und verunsichert an. Bärbel Sandau zerkrankten Menschen, vorhanden ist. „Das war ja so schön, dass wir das Lied Auf der emotionalen Ebene ist es im- ‚Geh aus, mein Herz‘ gesungen haben! mer wieder möglich, egal wie weit die Kommen Sie her, ich muss Sie jetzt erst Demenzerkrankung vorangeschritten einmal als Dankeschön umarmen!“ 10 Musik im Alter
Im Pfarrhaus zwischen Bach und Rock S eine ersten Auftritte als Musiker hatte Christof Stein-Schneider im Seniorenkreis der Kirchenge- meinde seines Vaters. Sechs oder sieben Jahre war er damals alt und die Senioren Und so greift er also seit Jahrzehnten in die Saiten seiner Gitarre. Dabei sollte er doch eigentlich nach dem Willen seiner Der tiefe Zugang zur Musik, der sei bei ihm auf jeden Fall in der Kindheit entstanden zwischen Gesangbuch und waren begeistert von dem niedlichen Kleinen. Heute urteilt die Hannoversche Allgemeine Zeitung über die Musik seiner Band „Wohnraumhelden“, sie sei „Unterhaltungspunk mit knackigen Bläsersätzen, Chor und Spielereien zwi- schen Pogo, Reggae und Mariachi“. Hat das eine mit dem anderen zu tun? Und hat seine Kindheit als Sohn des Pastors Einfluss genommen auf seine Musik? Einige Stunden nach dem Gespräch irgendwo in einem Café in Hannovers Stadtteil Linden wird Stein-Schneider auf der Bühne der Cumberlandschen Galerie sitzen und mit seinen „Wohn- raumhelden“ vergnügt die musikalische Begleitung zu einer Lesung im Treppen- haus gestalten. „Dann achte bei dem einen Lied mal drauf“, sagt er, „auf diese Zeile ‚Danke für deinen Finger in meiner Wunde‘ – das ist angelehnt an das ‚Danke-Lied‘.“ Ja, das sei wohl das Lied, das ihn am ehesten geprägt habe in seiner Kindheit zwischen Kirchenmusik von Bach und den ersten gar nicht so zaghaften Versuchen als Rockmusiker. Foto: ©bnj Gerade habe er in der Zeitung gelesen, dass der Komponist des Liedes gestor- ben sei. Da wurde es noch einmal ganz präsent. Eltern Klavier lernen. Wollte er nicht. Gitarrensaiten. Er ist überzeugt davon, Kirchenmusik geht also gut mit Punk und Musik machen war okay, statt Klavier dass die Menschen zuerst singen und Rock zusammen, meint Stein-Schneider. beharrte er aber auf einer Gitarre. Damit dann erst sprechen lernten. Musik, das Zumindest an manchen Stellen. Und brachte er es zu einigem Bekanntheits- sei doch ein Grundnahrungsmittel für die gegen Auftritte in Kirchen hat er absolut grad schon lange Zeit bevor er begann, menschliche Psyche. Und außerdem sei nichts einzuwenden. Am Wochenende mit den „Wohnraumhelden“ zu touren. Musik etwas, mit dem sich Botschaften zuvor hat er gemeinsam mit seinem Bru- Bei „Fury in the Slaughterhouse“ ge- transportieren ließen – eingängiger als der ein Konzert in einem Gemeindehaus hörte er zu den Gründungsmitgliedern, Schlagzeilen in Zeitungen und mit viel gegeben. Vor dem Altar in der Kirche war mit der Band viele Jahre unterwegs Raum für die Zwischentöne. So hängt seines Vaters hat er sein allererstes und geht in diesem Jahr mit ihnen auf bei ihm auch soziales Engagement meis- Rockkonzert gegeben. „Das war eine Tour. Eigentlich war nur ein kleines tens mit Musik zusammen. Kindern und Katastrophe. Wir waren so schlecht“, Konzert - just for fun – geplant. Daraus Jugendlichen Chancen zu geben, den erinnert er sich grinsend. Aber weder da- sind zwölf Konzerte geworden mit dem Zugang zur Musik zu finden. Dafür stellt rüber noch über die lautstarken Proben Versprechen, dass es sich dabei um keine er dann auch gerne einmal seinen Pro- im Jugendraum des Gemeindehauses Re-Union handelt, sondern nur um ein benraum zur Verfügung. Wenn gerade mit „tierischem Krawall“ habe sich je- wenig Spaß mit Freunden. Und ja: auch kein Gemeindehaus frei ist. (bnj) mals jemand beschwert. Musik gehört mit Fury ist er oft in Kirchen aufgetreten. zur Kirche und die jungen Leute sollten Da hätten sie dann aber häufig eher die damals doch einfach das machen, wozu leiseren Töne angeschlagen. Es sei eben sie Lust haben. So hätte die Gemeinde doch eine spezielle Atmosphäre, vor wohl argumentiert. einem Altar zu spielen. Rock 11
Gottesgeschenk und Geistesklang „M usik scheint von allen Künsten die zu sein, die uns am unmittel- barsten berührt“ schreibt der ame- wonach das Wort Christi uns mit Psalmen, Hymnen und geistlichen Liedern bewegt, ist eigentlich klar, dass schon im NT kei- ne poetisch-musikalische Monokultur herrschte, sondern eine Vielfalt der Stile musikalischem Kabarett. Gerade Spirituals und Gospels bieten Texte mit revolutio- närem Sprengstoff. Beispielhaft sei hier an das Lied We shall overcome erinnert, das die schwarze Widerstandsbewegung rikanische Musikpsychologe Robert Jourdain. angesagt war. Das gilt auch heute, mehr der 1960er-Jahre um Martin Luther King [...] Luther schätzte an der Musik, die er denn je: Wir brauchen Vielfalt, denn auch begleitet und gestärkt hat. [...] als Schwester der Theologie betrachtete, der Geist wirkt vielfältig (1. Kor 12). Das Vielstimmigkeit eine dreifache Wirkung: Sie stärkt die heißt nicht, dass sich Kirchenmusik an Gottes Geist befähigt nicht nur unter- Beziehung zu Gott und zu den Menschen, den Zeitgeschmack einfach ungeprüft schiedliche Menschen mit unterschied- weitet aber auch den Blick für die Welt andocken, ja womöglich anbiedern soll. lichen Gaben (vgl. 1. Kor 12), er benützt als klingende Schöpfung, durch die Gott Sie ist immer auch ein Korrektiv, ein Stück auch unterschiedliche Töne und Klänge, uns anredet. Gegenkultur zum Zeitgeist. Salz der Erde verschiedene Rhythmen und Musikstile Freilich ist die Musik nicht nur Gottesgabe, und Licht der Welt zu sein (Mt 5,13) ist von der archaischen Gregorianik bis zum sondern auch Menschenkunst. Sie wird uns auch kirchenmusikalisch aufgetragen. komplexen Jazz, von der barocken Vokal- seit Jahrtausenden von Generation zu Integrative Wirkung polyphonie bis zum begeisternden Gospel, Generation, von Lehrern an die Schüler Wenn es gelingt, finden beim gemeinsa- vom meditativen Choral bis zum „abgefah- weitergegeben. Um sie so auszuüben, men Musizieren in der Kirche oft Men- renen“ Rap. Es gibt keinen Musikstil, der dass sie andere Menschen anspricht schen unterschiedlicher Herkunft und sakrosankt oder aber völlig ungeeignet für und berührt, bedarf es der sorgfältigen Frömmigkeit, aber auch unterschiedlichen den kirchlichen Gebrauch wäre. [...] Ausbildung. [...] Dies gilt sowohl für die Alters und Milieus zusammen. Personen, Instrumentalmusik als auch besonders denen Kirche und christlicher Glaube Summe für die Vokalmusik. Gerade das Singen fremd geworden sind, können in der Kir- Kein anderer als Paul Gerhardt hat die ermöglicht eine ästhetisch und theologisch chenmusik neue religiöse Beheimatung Bedeutung der Kirchenmusik in einer ideale Verbindung von Klang und Wort, und Identität finden. [...] Von daher kann Liedstrophe („Ich singe dir mit Herz und von Tönen, Predigen und Rühmen. Darauf Kirchenmusik dazu beitragen, Gemeinde Mund“, EG 324,1) unvergleichlich zum können wir in der Kirche nicht verzichten! zu bauen. Ich denke da besonders an die Ausdruck gebracht. Deshalb brauchen wir auch weiterhin eine Altersgruppe zwischen 30 und 50, die wir „Ich singe dir mit Herz und Mund.“ Das qualifizierte Ausbildung von Kirchenmusi- mit anderen Angeboten oft wenig errei- beste und höchste Ziel jeder Musik ist es, kern und -musikerinnen! chen. [...] Gott zu loben und ihm die Ehre zu geben. Wer singt, betet doppelt – wer singt, Heilsame Bedeutung [...] Das besondere Profil protestantischer verkündigt doppelt Musik kann – mehr als reine Worte – Ge- Kirchenmusik ist die Verkündigung des Luther verstand die Verkündigung des fühle der Freude oder Erhabenheit, aber Evangeliums von Jesus Christus. Sie lädt Evangeliums als Klangereignis: „Evangeli- auch des Schmerzes ausdrücken oder aus- zum Glauben ein und ermutigt zu einem um … heißt auf Deutsch gute Botschaft, … lösen und Gefühle der Zuneigung in Töne erfüllten Leben mit Gott. davon man singt und sagt und fröhlich ist“ fassen, ja vielleicht sogar wecken. Wer ein- Den beiden liturgischen entsprechen zwei – und stellt dankbar fest: „So predigt Gott mal am Sterbebett mit einem Menschen spirituelle Aspekte des Singens: das Evangelium auch durch die Musik.“ „Befiehl du deine Wege“ gesungen hat und „Herr, meines Herzens Lust!“ Wenn ein Nicht nur Kanzel und Altar, auch Chor und spürte, wie die Person dabei noch einmal Mensch vor Gott singt und musiziert, ge- Orgel sind Orte der Verkündigung! Doch zurück kommt, weiß, wovon ich rede. Aber schieht das nicht nur mit der Stimme oder damit nicht genug: Durch die Musik be- auch ein Popsong kann trösten und neue mit den Händen; vielmehr kommt der gan- kommt auch unser Gebet eine spirituelle Hoffnung geben. Ich denke an Eric Claptons ze Mensch zum Klingen, summt und lacht, Verdichtung, [...]. Wer singt, betet doppelt „Tears in Heaven“, geschrieben anlässlich jubelt, klatscht und tanzt. Kirchenmusik (Augustin). Beides geschieht nun schon seit des Todes seines fünfjährigen Sohnes [...]. macht Freude, sie darf im besten Sinne 2000 Jahren in unseren Kirchen. Kirchen- Diese Sätze sind ausgesprochen tröstlich, des Wortes lustvoll sein und begeistern. musik hat sich in dieser Zeit schon äußerst sie bringen die Hoffnung, ja die Gewissheit „Was mir von dir bewusst.“ Evangelische vielfältige Ausdrucksformen zu eigen zum Ausdruck, dass es ein Wiedersehen Kirchenmusik eröffnet uns neue Zugänge gemacht: [...] Alle haben sie elementaren geben wird dort droben… zu den Inhalten des Glaubens. So geschieht Anteil an Verkündigung, Klage und Lob Kulturelle Prägekraft Vergewisserung und „Bewusstseins- im Gottesdienst und im Alltag der Kirche. Über die Musik wirkt Kirche kulturell prä- Bildung“; wir werden durchklungen vom Wie Musik Glauben wecken kann gend auf die Gesellschaft ein. Was wären „Sound des Geistes“, der uns geistlich und Wenn Musik eine grundlegende Aus- wir ohne Bachs Weihnachtsoratorium, geistig aufbaut und bildet. drucksform unseres Glaubens ist, dann ohne Brahms‘ Requiem oder Händels wirkt sie über die Grenzen unserer Kirchen Messias? [...] Es ist erstaunlich, wie viele Jochen Arnold, habilitierter Theologe und A-Kirchenmusiker, hinaus in die Welt. Sie hat damit Anteil an berühmt gewordene Popstars ursprünglich Direktor des Evang. Zentrums für Gottesdienst der „missio Dei“, der Mission Gottes, d.h. in Gospel- und Kirchenchören beheimatet und Kirchenmusik im Michaeliskloster Hildesheim an dem Geschehen, durch das Gott sich waren (z.B. Mahalia und Michael Jackson, den Menschen bekannt macht. [...] Whitney Houston, Cliff Richard u.a.). Wenn wir die „Einsetzungsworte der Musik wirkt aber auch kritisch auf die Kirchenmusik“ in Kol 3,16 betrachten, Kultur ein. Hierin liegt eine Stärke po- pulärer Musik, z.B. in Protestsongs und 12 Klänge
Der Raum macht was mit den Leuten Weshalb Konzerte in Kirchen gern auch weltlicher Natur sein dürfen W as macht den besonde- ren Reiz von Kirchen als Konzerträumen aus? Und müssen solche Konzerte das Christen- tum im Mittelpunkt haben? Oder geht aus und welche Möglichkeiten eröffnen sich dort auch für die Kirchen! Gehen, innehalten, wahrnehmen – die Chance, solche Eindrücke zuzulassen, das solle die Kirche wahrnehmen, meint Cericius. und zahlreichen Enkeln sei er einiges gewohnt, meinte der Abt. Da sei „Sex Bomb“, auf der Orgel der Stiftskirche gespielt, doch nicht weiter schlimm. Eine andere kleine Episode kommt auch es auch anders – weltlich? Wir haben Dabei seien Kirchen beileibe keine aus dem Kloster Loccum. „Maybebop“ – Roger Cericius gefragt, für den Konzerte einfach zu bespielenden Konzertsäle. vier Männer mit vier Stimmen - sangen vielerlei Art in Kirchenräumen nahezu Technik ist in den meisten Fällen nur für dort freche fröhliche, manchmal auch täglich Brot sind. die Liturgie vorgesehen. Bei Umbauten frivole Lieder und gestalteten für Hun- und Sanierungen hier und dort darauf derte von Zuhörern einen fulminanten Mit Musik kennt Roger Cericius sich zu achten, dass Kirche multifunkti- Abend. Eines ihrer Lieder brachte sie aus. Sowohl als Interpret als auch dann, onaler genutzt wenn es darum geht, Konzerte zu orga- werden könne, nisieren. Beruflich macht er das bei einer das wünscht er Versicherung, wo er unter anderem im sich. Schließlich Veranstaltungsmanagement arbeitet. sei es tatsäch- Ehrenamtlich ist er Vorsitzender des Ver- li c h s o, das s eins, der die Internationalen A-cappella- Kirchen zuneh- Wochen Hannover initiiert. Und singend mend Erlebnis- hat er bereits als Kind auf vielen Bühnen räume würden. und auch in so mancher Kirche rund Das könne man- um den Globus gestanden, denn mit ches leichter neun Jahren wurde er Mitglied des Kna- machen, zumal benchors Hannover. Mittlerweile, sagt der hohen Er- er, reduziere sich sein eigener Gesang war tung der darauf, dass er in Gottesdiensten mit Gäste andere großer Begeisterung und laut mitsinge. suboptimale Neben den christlichen Inhalten ist es B e d i n g u n ge n aber immer auch sein Anliegen, andere, gegenüberstün- neue Inhalte in Kirchen zu bringen. Denn den. Ungefähr Kirchen gehören für ihn zu den magischs- ab der zehnten ten Räumen überhaupt. Sitzreihe sei doch meistens Foto: ©bnj Der erste Schritt, den ein Gast in einen nichts mehr zu Kirchenraum tue, um ein Konzert zu er- sehen. Und die leben – das sei doch schon immer etwas Akustik in Kir- Besonderes. Diese Atmosphäre jenseits chen – nun, die eines multifunktionalen Konzertraums. könne Konzerten zuträglich, aber spe- jedoch zeitweilig aus dem Konzept, Da seien die Erwartungen oftmals ganz ziell dafür auch ganz fürchterlich sein. denn das hatte die Frage danach, wie sie andere. Da soll nicht nur das Orchester, Manche Instrumente etwa könnten in sterben wollen, im Blick. Bei dem hei- der Chor, die Band erlebt, sondern Musik Kirchen einfach nicht gespielt werden. teren Lied wurden sich die Sänger aber auch als ganzheitliches Ereignis aufge- „Vom Schlagwerk kann man bewusstlos anscheinend plötzlich des Kreuzes, das nommen werden. Solch ein Kirchen- werden“, sagt er schmunzelnd. über ihren Köpfen hing, bewusst. Egal Konzertraum, sagt Cericius, der „macht ob Mousse T. oder Maybebop, meint was mit den Leuten“. Den Raum und die Was aber ist mit der weltlichen Musik Cericius – eine Kirche als Konzertraum Musik zu einer Einheit verschmelzen zu in Kirchen? „Als wir vor einigen Jahren „macht“ nicht nur etwas mit dem Pub- lassen, ist immer dann sein Ansatz, wenn Mousse T. für ein Konzert im Kloster likum, sondern auch mit den Musikern. er Konzerte in Kirchen organisiert. Das Loccum engagiert haben“, erzählt Ceri- So leicht kommt keiner unverändert gelinge oft gut und dabei ließen sich in cius, „sollte er sich beim Pressetermin wieder heraus. vielerlei Hinsicht die Möglichkeiten von an die Orgel setzen. Was er denn spielen Kirchen auch nutzen. solle, wollte er wissen. Die Journalisten Was er sich also in erster Linie wünscht, verlangten nach seinem größten Hit: wenn er ein Konzert in einer Kirche orga- Wandelkonzerte hat er bereits orga- Sex Bomb.“ Er hätte das vermutlich nisiert hat? Dass alle, die dort sind, einen nisiert. Die Musik von einem Ort zum nicht befürwortet an diesem Ort, sagt Abend erleben wie nie zuvor – und auch, nächsten gehen lassen, die Zuhörer Cericius frei heraus. Und auch Mousse T. dass sie das Kreuz sehen. (bnj) ebenfalls in Bewegung halten – das ist in hatte arge Bedenken. Neben dem stand kommerziellen Konzertsälen kaum mög- allerdings Loccums Abt Horst Hirschler, lich. Wie anders sieht das aber in Kirchen grinste und stimmte zu. Mit vier Söhnen Konzertraum 13
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